UniReport 5/11 | Goethe-Universität Frankfurt
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UniCampus<br />
Konferenz<br />
über Judentum<br />
und Moderne<br />
Die Haskalah – die jüdische Aufklärung –<br />
bietet ein faszinierendes Beispiel einer<br />
der vielgestaltigen „Aufklärungen“ im Europa<br />
des 18. und 19. Jahrhunderts. Zugleich<br />
verkörpert sie ein einzigartiges Kapitel der<br />
Geistes- und Sozialgeschichte der europäischen<br />
Judenheit, das für ein Verständnis<br />
der Modernisierung jüdischer Identität von<br />
zentraler Bedeutung ist. Sie umspannt den<br />
Zeitraum von den 1770er- bis zu den 1890er-<br />
Jahren und unterschiedliche jüdische Gemeinschaften<br />
von London und Amsterdam<br />
über Berlin und Prag bis hin nach Kopenhagen,<br />
Vilnius und St. Petersburg.<br />
Die Haskalah-Forschung hat in jüngster<br />
Zeit eine starke Blüte erlebt. Neue Themen<br />
und Forschungsperspektiven wurden im<br />
Juli bei der „4th International Conference<br />
on Jewish Enlightenment: Haskalah and<br />
Religion“ an der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong> aufgegriffen.<br />
Wissenschaftler aus Israel, den USA<br />
und Europa diskutierten aus historischer,<br />
philosophischer und literaturwissenschaftlicher<br />
Perspektive über den komplexen Prozess<br />
der Modernisierung des europäischen<br />
Judentums im Kontext der allgemeinen<br />
Aufklärungsdiskurse der Zeit. Besonderes<br />
Augenmerk galt der Verhältnisbestimmung<br />
von Haskalah und jüdischer Tradition, ihrer<br />
Beziehung zum orthodoxen Judentum und<br />
zum osteuropäischen Chassidismus, aber<br />
auch ihrem Gespräch mit säkularer Wissenschaft<br />
und Philosophie sowie ihrer Bedeutung<br />
für die Entstehung des jüdischen Nationalismus.<br />
Intensive Debatten löste die Frage<br />
nach der Rolle des Religiösen in den unterschiedlichen<br />
Ausprägungen der jüdischen<br />
Aufklärung sowie nach ihrem Beitrag zur<br />
Säkularisierung der Gemeinschaft seit dem<br />
18. Jahrhundert aus. Auch für gegenwärtige<br />
Debatten über das Verhältnis von Religion<br />
und Moderne ist diese Thematik bedeutsam.<br />
Organisiert wurde die Konferenz von<br />
Prof. Christian Wiese, Martin Buber-Professor<br />
für Jüdische Religionsphilosophie,<br />
Prof. Shmuel Feiner von der israelischen<br />
Bar Ilan University und dem Centre for<br />
German-Jewish Studies an der University<br />
of Sussex. Die Zusammenarbeit mit Feiner,<br />
der 2012 als Humboldt-Preisträger an der<br />
<strong>Frankfurt</strong>er Professur zu Gast sein wird, ist<br />
Auftakt einer Kooperation mit israelischen,<br />
amerikanischen und europäischen <strong>Universität</strong>en,<br />
die der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong> als Ort<br />
exzellenter Forschung im Bereich der jüdischen<br />
Geistes- und Philosophiegeschichte<br />
internationale Sichtbarkeit verleihen wird.<br />
Die Tagung wurde von der Vereinigung von<br />
Freunden und Förderern der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong><br />
unterstützt. UR<br />
24<br />
Im Juni fand auf dem Campus Westend<br />
die Konferenz „Colonial Legacies, Postcolonial<br />
Contestations: Decolonizing the Social<br />
Sciences and the Humanities“ statt. Im<br />
Fokus standen Fragen nach der Kolonialität<br />
zeitgenössischer Wissensproduktion und<br />
den Möglichkeiten einer erkenntnistheoretischen<br />
und methodischen Dekolonisierung.<br />
Initiiert wurde die Konferenz von Nikita<br />
Dhawan, Juniorprofessorin am Institut für<br />
Politikwissenschaft der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong><br />
und Gründerin des <strong>Frankfurt</strong> Research Center<br />
for Postcolonial Studies (FRCPS).<br />
Über 140 Nachwuchswissenschaftler<br />
aus mehr als 35 Ländern präsentierten den<br />
knapp 300 Besuchern den aktuellen Forschungsstand<br />
im Feld der feministisch-postkolonialen<br />
Theorie. Ziel der Konferenz war<br />
es, nicht nur verschiedene Disziplinen der<br />
Sozial- und Geisteswissenschaften kritisch<br />
auf ihr koloniales Erbe zu beleuchten, sondern<br />
auch die Rolle der Forscher und ihre<br />
eigene Situierung im postkolonialen Diskurs<br />
zu thematisieren. Die 33 Panels spannten<br />
den Bogen von gesellschafts- und demokratietheoretischen<br />
Problemstellungen über<br />
kultur- und literaturwissenschaftliche Ansätze<br />
bis hin zu Fragen nach dekolonisiertem<br />
Lernen an <strong>Universität</strong>en.<br />
Das FRCPS, angesiedelt am Exzellenzcluster<br />
„Die Herausbildung normativer<br />
Ordnungen“, ist innerhalb der deutschsprachigen<br />
Sozialwissenschaften das erste<br />
transdisziplinäre Forschungszentrum zu<br />
feministisch-postkolonialer Theorie. Die Internationalität<br />
der Konferenz und ihr sozial-<br />
Nr. 5 I 21. Oktober 20<strong>11</strong><br />
Dem kolonialen Erbe auf der Spur<br />
Internationale Konferenz von Nachwuchsforschern der Sozial- und Geisteswissenschaften<br />
Können Ausstellungen in Museen nur<br />
erfolgreich sein, wenn ihr Titel „Gold“,<br />
„Schatz“ oder „Geheimnis“ verheißt? Findet<br />
eine wissenschaftliche Kontroverse nur<br />
dann öffentliche Aufmerksamkeit, wenn sie<br />
zu persönlichem Streit zwischen Forschern<br />
führt? In wieweit sind diese und ähnliche<br />
Probleme „typisch deutsch“ oder grenzüberschreitende<br />
Phänomene?<br />
Fragen wie diese wurden bei der Tagung<br />
„Bilder der Antike. Wege zur Vermittlung<br />
altertumswissenschaftlicher Forschung“ im<br />
Juni auf dem Campus Bockenheim diskutiert.<br />
Veranstaltet wurde sie von der Mommsen-Gesellschaft,<br />
dem Verband der deutschsprachigen<br />
Forscherinnen und Forscher auf<br />
dem Gebiet des Griechisch-Römischen Altertums.<br />
Ihrem Vorstand gehört Wulf Raeck<br />
an, Professor am Institut für Archäologische<br />
Wissenschaften der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong>.<br />
Nach dem Eröffnungsvortrag von Dr.<br />
Stefan von der Lahr, Lektor für Altertumswissenschaft<br />
im Verlag C.H.Beck, München,<br />
und seiner ebenso provokanten wie amüsant<br />
belegten Feststellung, dass die Schreibkompetenz<br />
altertumswissenschaftlicher Autoren<br />
zunehmend zu wünschen übrig lasse,<br />
schilderte Dr. Patrick Schollmeyer (<strong>Universität</strong><br />
Mainz) manche Zwänge zu Abstrichen<br />
an wissenschaftlicher Seriosität, denen ein<br />
Autor angesichts betriebswirtschaftlicher<br />
Aspekte des Publikationsvorhabens ausge-<br />
wissenschaftlicher Fokus auf postkoloniale<br />
Theorie sollte dazu beitragen, deren Sichtbarkeit<br />
zu erhöhen sowie eine differenziertere<br />
Rezeption in der deutschen Wissenschaftslandschaft<br />
voranzubringen. In diesem Sinne<br />
unterstrich auch Prof. Rainer Forst, der als<br />
Sprecher des Clusters die Konferenz eröffnete,<br />
die wichtige Rolle des Zentrums für das<br />
Exzellenzcluster und die <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong>.<br />
Insbesondere begeistert von dem Engagement<br />
der internationalen Nachwuchswissenschaftler<br />
zeigte sich Prof. Patricia Hill<br />
Collins aus den USA, die für die Konferenz<br />
als Keynote-Sprecherin gewonnen werden<br />
konnte. Die renommierte Soziologin, Mitbegründerin<br />
der African American Studies sowie<br />
Ikone des Schwarzen Feminismus in den<br />
USA, setzte sich in ihrem Beitrag mit der Problematik<br />
der „Colorblindness“ auseinander,<br />
die durch Anti-Diskriminierungsstrategien<br />
entsteht und Rassismus auf nationaler sowie<br />
auf globaler Ebene weiterhin begünstigt.<br />
Die Auseinandersetzung mit den postkolonialen<br />
Lebenswelten der Gegenwart<br />
wurde durch das Kulturprogramm auf eine<br />
breitere gesamtgesellschaftliche Ebene gehoben:<br />
Ausstellungen, Filmprojektionen und<br />
Performances veranschaulichten und kontrastierten<br />
die wissenschaftlichen Inhalte<br />
der Tagung. Kontroverse Debatten wie zum<br />
Zusammenhang von Kolonialismus und aktuellem<br />
Rassismus in der deutschen Gesellschaft<br />
machte der Künstler Philipp Khabo-<br />
Köpsell zum Thema seiner „Spoken Word<br />
Performance“. Zudem konnten die Besucher<br />
der Konferenz auf einem postkolonialen<br />
Stadtrundgang die oft vergessenen oder beschönigten<br />
und romantisierten Spuren des<br />
deutschen Kolonialismus nachverfolgen.<br />
Die Keynote zum Abschluss der dreitägigen<br />
Konferenz wurde von Prof. Dipesh<br />
Chakrabarty aus Chicago, USA, gehalten,<br />
einem Historiker aus dem Kollektiv der<br />
South Asian Subaltern Studies Group. Er fokussierte<br />
auf den historischen Wandel der<br />
Wahrnehmungen von Gegenwart. Durch<br />
seinen Vortrag positionierte sich Chakrabarty<br />
in einer Debatte, die den Zusammenhang<br />
von Ökologie (Mensch-Umweltbeziehungen)<br />
und globaler Gerechtigkeit betont.<br />
Auf diesem Wege würdigte er Inhalt und<br />
Ausrichtung der Konferenz und entließ die<br />
Teilnehmer mit gesellschaftlich hoch relevanten<br />
und aktuellen Forschungsperspektiven<br />
für die Zukunft.<br />
Finanziell ermöglicht wurde die Konferenz<br />
durch eine breite Kooperation mit Einrichtungen<br />
der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong>; beteiligt waren<br />
der Exzellenzcluster „Die Herausbildung<br />
normativer Ordnungen“, die Freunde der<br />
<strong>Universität</strong>, das Internationale Promotions-<br />
Colleg (IPC), das International Office, das<br />
Zentrum für interdisziplinäre<br />
inter-disziplinäreAfrikaforschung<br />
(ZIAF) und das Cornelia <strong>Goethe</strong> Centrum.<br />
Durch die Förderung des Deutschen<br />
Akademischen Austauschdiensts (DAAD),<br />
finanziert aus Mitteln des Auswärtigen<br />
Amtes und der Postcolonial Studies Association<br />
(PSA) konnten 30 Referenten aus Ländern<br />
des globalen Südens ihre Forschungsergebnisse<br />
in <strong>Frankfurt</strong> vortragen.<br />
Anna Krämer & Philipp Zehmisch<br />
Zwischen Sensation und Information<br />
Tagung der Mommsen-Gesellschaft über Altertum und Öffentlichkeit<br />
Foto: Privat<br />
Die Saalburg ist einer der bedeutendsten<br />
archäologischen Ausstellungsorte Hessens<br />
setzt sein kann. Nina Willburger vom Landesmuseum<br />
Württemberg sprach über den<br />
Balanceakt zwischen Bildungsauftrag und<br />
Besucherzahlen, der durchaus kreatives Potential<br />
freisetzen kann.<br />
Die Vorträge zu Film und Fernsehen fielen<br />
überwiegend skeptisch aus. Dr. Martin<br />
Lindner (<strong>Universität</strong> Oldenburg) referierte<br />
über einseitige Lehrfilme und Dr. Alexander<br />
Juraske (<strong>Universität</strong> Wien) berichtete<br />
über den Trend bei Informationssendungen<br />
im Fernsehen, auf begleitende Kommentare<br />
von Wissenschaftlern zu verzichten und<br />
stattdessen die beteiligten Schauspieler nach<br />
ihren Eindrücken zu fragen.<br />
Unter den Vorträgen über Antike im<br />
Theater hingegen stellte Dr. Ulrich Sinn<br />
(<strong>Universität</strong> Würzburg) eine Kooperation in<br />
Würzburg vor, die antike Dramen auf die<br />
Bühne bringt und dabei im Vorfeld auch Forschungsergebnisse<br />
thematisiert.<br />
Den Festvortrag hielt der frühere Präsident<br />
des Deutschen Archäologischen Instituts,<br />
Althistoriker Prof. Hans-Joachim Gehrke,<br />
über „Lobbying for the Classics. Die Vermittlung<br />
der Altertumswissenschaft im politischen<br />
Raum“. Er diagnostizierte eine derzeit<br />
hohe Aufgeschlossenheit gegenüber altertumswissenschaftlichen<br />
Anliegen, deren Nutzung<br />
freilich geeigneter „Türöffner“ bedürfe,<br />
etwa publikumswirksamer Grabungsfunde.<br />
Beim abschließenden Besuch des Saalburgmuseums<br />
in Bad Homburg demonstrierte<br />
der stellvertretende Leiter Dr. Carsten<br />
Amrhein, früher Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
an der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong> im Fach<br />
Klassische Archäologie, anschaulich Vermittlungskonzepte<br />
archäologischer Baudenkmäler<br />
seit Wilhelminischer Zeit.<br />
Die Tagung wurde von der FAZIT-Stiftung<br />
und der Vereinigung von Freunden<br />
und Förderern der <strong>Goethe</strong>-<strong>Universität</strong> unterstützt.<br />
UR