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Juli/August 2002 (PDF) - An.schläge

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Verstößen gegen die Gehorsams- und<br />

Tugendhaftigkeitspflichten konnten<br />

Frauen von ihren Vätern oder Ehemännern<br />

bestraft oder sogar getötet werden.<br />

Grundsätzlich galt eine strenge<br />

Trennung von Lebens- und Aufgabenbereichen,<br />

wobei den Frauen der häusliche<br />

Teil vorbehalten war. Die Tradition<br />

des Füßebindens, die sich in der Song-<br />

Dynastie (960–1280) durchsetze, band<br />

die Frauen auch rein physisch ans Haus.<br />

Die als sehr erotisch geltenden Lilienfüße<br />

entstanden, indem etwa vierjährigen<br />

Mädchen die Fußknochen gebrochen<br />

und eng eingeschnürt wurden.<br />

Die Füße wuchsen dann nicht weiter,<br />

die Frauen konnten sich unter lebenslangen<br />

Schmerzen nur trippelnd und<br />

über kurze Strecken fortbewegen. Diese<br />

Tradition wurde bis ins 20. Jahrhundert<br />

hinein praktiziert.<br />

Ebenfalls bis weit ins 20. Jahrhundert<br />

hinein verbreitet war das Konkubinat.<br />

Frauen waren nicht nur den Männern<br />

untergeordnet, auch untereinander<br />

gab es im Familienverband eine<br />

strenge Hierarchie: Die Schwiegermutter<br />

stand über allen Ehefrauen und die<br />

Hauptfrau wiederum über den Nebenfrauen.<br />

Eine Nebenfrau konnte jedoch<br />

in der Hierarchie aufsteigen, wenn sie<br />

vor der Hauptfrau einen Sohn zur Welt<br />

brachte.<br />

Erste Reformen. Ein erstes Aufbrechen<br />

dieser Strukturen bringt die Zeit der Republik<br />

von 1912–49. Eine gesetzliche<br />

Gleichstellung von Frauen und Männern<br />

gibt es aber erst nach der Machtübernahme<br />

der Kommunisten im Jahr<br />

1949. Dem Parteiführer Mao ist die<br />

„Frauenfrage“ sehr wichtig; durch eine<br />

Reihe von neuen Ehegesetzen versucht<br />

er, die Stellung der Frauen zu verbessern.<br />

In der kommunistischen Partei<br />

konnten Frauen auch erstmals hohe politische<br />

Ämter erlangen. Beim Versuch,<br />

die Entstehung der chinesischen Frauenbewegung<br />

in Phasen zu unterteilen,<br />

wird die Zeit von 1949 bis in die 1970er<br />

Jahre oft als maoistische Phase bezeichnet,<br />

in der alle Initiativen von oben, von<br />

der Partei, ausgehen. Diese propagierte<br />

die Gleichheit von Frauen und Männern<br />

vehement.<br />

Die Frauenbewegung. Als nach der Kulturrevolution<br />

in den frühen 1980er Jahren<br />

eine Modernisierungswelle mit Lockerung<br />

staatlicher Kontrolle und marktwirtschaftlichen<br />

Reformen über China<br />

hereinbricht, bedeutet das auch den<br />

<strong>An</strong>fang indigener <strong>An</strong>sätze einer neuen<br />

Frauenbewegung von unten. Es gibt<br />

viele Konferenzen zu frauenspezifischen<br />

Themen, eine Menge Frauenzeitungen<br />

und -zeitschriften werden herausgegeben.<br />

Der Problem- und Handlungsdruck,<br />

der die Frauenforschung in<br />

China entstehen lässt, ist groß. Einerseits<br />

bestehen alte Probleme fort, etwa<br />

durch konfuzianisches Denken beeinflusste<br />

Rollenaufteilung, arrangierte<br />

Ehen und Diskriminierung von Mädchen<br />

in Hinblick auf Bildung. Noch im<br />

Jahr 1998 betrug die <strong>An</strong>alphabetenrate<br />

unter Männern 9 %, unter Frauen 25 %.<br />

<strong>An</strong>dererseits treten aber auch eine Reihe<br />

von neuen Problemen auf, die mit<br />

der marktwirtschaftlichen Reformpolitik<br />

einhergehen und sehr an die Probleme<br />

von Frauen in westlichen Ländern<br />

erinnern: hohe Frauenarbeitslosigkeit,<br />

Zurückdrängen der Frauen<br />

an den Herd bei Arbeitskräfteüberschuss<br />

oder Diskriminierungen im<br />

Arbeitsleben.<br />

<strong>An</strong>fangs gibt es in der Frauenbewegung<br />

noch zwei konkurrierende<br />

Gruppen, die mittlerweile aber zusammenarbeiten.<br />

Die erste ist der staatliche<br />

Frauenverband, ein Organ aus von<br />

der Partei gewählten VertreterInnen<br />

zur Umsetzung der Parteilinie. Der<br />

Frauenverband ist stark praxisorientiert.<br />

Die zweite Gruppe bilden autonome<br />

Frauen an den Universitäten. Pionierin<br />

war die schon erwähnte Li Xiaojiang,<br />

die ab 1978 frauenspezifische Seminare<br />

hielt. Zentrale Themen in der<br />

Arbeit der autonomen Frauen sind die<br />

Aufwertung der Kategorie Geschlecht<br />

gegenüber der Klassenfrage, Kritik an<br />

der sozialistischen Gleichheitspropaganda,<br />

die eine <strong>An</strong>gleichung an die<br />

männliche Norm bedeutet, und die<br />

Entdeckung der weiblichen Perspektive.<br />

Neben dem 1985 in Zhengzhou gegründeten,<br />

parteiunabhängigen Frauenforschungszentrum<br />

gibt es vor allem<br />

in den großen Städten private Salons,<br />

in denen die Frauen sich treffen und<br />

diskutieren. Die Salons werden allerdings<br />

nach der blutigen Niederschlagung<br />

der Demokratiebewegung 1989<br />

wieder verboten. Die Frauenstudienzweige<br />

an den Universitäten können<br />

sich aber akademisch etablieren, die<br />

Vernetzung mit dem Frauenverband<br />

wächst.<br />

<strong>An</strong>näherungen. In den 1990er Jahren folgt<br />

eine Phase der internationalen Einbindung.<br />

Rund um die UN-Weltfrauenkonferenz<br />

1995 in Peking beginnen die chinesischen<br />

Frauenforscherinnen, sich<br />

mehr mit westlichen <strong>An</strong>sätzen zu beschäftigen.<br />

Begriffe wie „gender“ oder<br />

„empowerment“ werden erstmals diskutiert.<br />

Insgesamt entsteht eine eigenständige<br />

und pluralistisch argumentierende<br />

Frauenforschung. Einig sind sich<br />

die Forscherinnen heute darin, dass<br />

mehr interdisziplinäre Vernetzung und<br />

internationaler Austausch das Ziel sein<br />

müssen. Dabei sollen aber die eigene<br />

Identität und Selbstbestimmung bewahrt<br />

bleiben. Westliche Erkenntnisse<br />

und feministische Theorien werden für<br />

akademische Zwecke durchaus als sinnvoll<br />

betrachtet, für die aktuellen Probleme<br />

der chinesischen Gesellschaft sind<br />

sie aber wenig hilfreich. Auch der Begriff<br />

„Feminismus“ wird weitgehend abgelehnt<br />

und nicht verwendet. So ist<br />

auch folgendes Erlebnis einer österreichischen<br />

Studentin bei einem Aufenthalt<br />

in Peking zu erklären. Sie fragte<br />

eine chinesische Studentin, was ihr zu<br />

dem Begriff Feminismus einfalle. Die<br />

Chinesin wusste erst mit dem Wort gar<br />

nichts anzufangen. Nach einigem Überlegen<br />

meinte sie dann aber:„cooking“.<br />

Im Gespräch stellte sich dann heraus,<br />

dass sie dachte,„Feminismus“ meine<br />

einfach etwas „typisch Weibliches“, und<br />

Frauen würden nun mal häufig in der<br />

Küche stehen.<br />

Wenn auch das Wort „Feminismus“<br />

in China nicht in dem uns bekannten<br />

Sinn gebräuchlich ist, gibt es doch eine<br />

Menge chinesischer Frauen, die sich,<br />

auch auf wissenschaftlicher Basis, mit<br />

den selben Fragen beschäftigen wie<br />

westliche Feministinnen. <strong>An</strong> vielen sinologischen<br />

Universitätsinstituten in Europa<br />

gibt es auch schon Interesse an der<br />

chinesischen Frauenforschung. Bleibt zu<br />

hoffen, dass auch mehr Forscherinnen<br />

anderer Disziplinen die chinesischen,<br />

aber auch andere außereuropäische<br />

feministische <strong>An</strong>sätze „entdecken“ und<br />

rezipieren, damit der Vorwurf von Li Xiaojiang,<br />

dass chinesische Frauenforscherinnen<br />

nicht gehört werden, nicht mehr<br />

länger haltbar bleibt. ❚<br />

chinainternational<br />

juli august <strong>2002</strong>an.<strong>schläge</strong> 15

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