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Verstößen gegen die Gehorsams- und<br />
Tugendhaftigkeitspflichten konnten<br />
Frauen von ihren Vätern oder Ehemännern<br />
bestraft oder sogar getötet werden.<br />
Grundsätzlich galt eine strenge<br />
Trennung von Lebens- und Aufgabenbereichen,<br />
wobei den Frauen der häusliche<br />
Teil vorbehalten war. Die Tradition<br />
des Füßebindens, die sich in der Song-<br />
Dynastie (960–1280) durchsetze, band<br />
die Frauen auch rein physisch ans Haus.<br />
Die als sehr erotisch geltenden Lilienfüße<br />
entstanden, indem etwa vierjährigen<br />
Mädchen die Fußknochen gebrochen<br />
und eng eingeschnürt wurden.<br />
Die Füße wuchsen dann nicht weiter,<br />
die Frauen konnten sich unter lebenslangen<br />
Schmerzen nur trippelnd und<br />
über kurze Strecken fortbewegen. Diese<br />
Tradition wurde bis ins 20. Jahrhundert<br />
hinein praktiziert.<br />
Ebenfalls bis weit ins 20. Jahrhundert<br />
hinein verbreitet war das Konkubinat.<br />
Frauen waren nicht nur den Männern<br />
untergeordnet, auch untereinander<br />
gab es im Familienverband eine<br />
strenge Hierarchie: Die Schwiegermutter<br />
stand über allen Ehefrauen und die<br />
Hauptfrau wiederum über den Nebenfrauen.<br />
Eine Nebenfrau konnte jedoch<br />
in der Hierarchie aufsteigen, wenn sie<br />
vor der Hauptfrau einen Sohn zur Welt<br />
brachte.<br />
Erste Reformen. Ein erstes Aufbrechen<br />
dieser Strukturen bringt die Zeit der Republik<br />
von 1912–49. Eine gesetzliche<br />
Gleichstellung von Frauen und Männern<br />
gibt es aber erst nach der Machtübernahme<br />
der Kommunisten im Jahr<br />
1949. Dem Parteiführer Mao ist die<br />
„Frauenfrage“ sehr wichtig; durch eine<br />
Reihe von neuen Ehegesetzen versucht<br />
er, die Stellung der Frauen zu verbessern.<br />
In der kommunistischen Partei<br />
konnten Frauen auch erstmals hohe politische<br />
Ämter erlangen. Beim Versuch,<br />
die Entstehung der chinesischen Frauenbewegung<br />
in Phasen zu unterteilen,<br />
wird die Zeit von 1949 bis in die 1970er<br />
Jahre oft als maoistische Phase bezeichnet,<br />
in der alle Initiativen von oben, von<br />
der Partei, ausgehen. Diese propagierte<br />
die Gleichheit von Frauen und Männern<br />
vehement.<br />
Die Frauenbewegung. Als nach der Kulturrevolution<br />
in den frühen 1980er Jahren<br />
eine Modernisierungswelle mit Lockerung<br />
staatlicher Kontrolle und marktwirtschaftlichen<br />
Reformen über China<br />
hereinbricht, bedeutet das auch den<br />
<strong>An</strong>fang indigener <strong>An</strong>sätze einer neuen<br />
Frauenbewegung von unten. Es gibt<br />
viele Konferenzen zu frauenspezifischen<br />
Themen, eine Menge Frauenzeitungen<br />
und -zeitschriften werden herausgegeben.<br />
Der Problem- und Handlungsdruck,<br />
der die Frauenforschung in<br />
China entstehen lässt, ist groß. Einerseits<br />
bestehen alte Probleme fort, etwa<br />
durch konfuzianisches Denken beeinflusste<br />
Rollenaufteilung, arrangierte<br />
Ehen und Diskriminierung von Mädchen<br />
in Hinblick auf Bildung. Noch im<br />
Jahr 1998 betrug die <strong>An</strong>alphabetenrate<br />
unter Männern 9 %, unter Frauen 25 %.<br />
<strong>An</strong>dererseits treten aber auch eine Reihe<br />
von neuen Problemen auf, die mit<br />
der marktwirtschaftlichen Reformpolitik<br />
einhergehen und sehr an die Probleme<br />
von Frauen in westlichen Ländern<br />
erinnern: hohe Frauenarbeitslosigkeit,<br />
Zurückdrängen der Frauen<br />
an den Herd bei Arbeitskräfteüberschuss<br />
oder Diskriminierungen im<br />
Arbeitsleben.<br />
<strong>An</strong>fangs gibt es in der Frauenbewegung<br />
noch zwei konkurrierende<br />
Gruppen, die mittlerweile aber zusammenarbeiten.<br />
Die erste ist der staatliche<br />
Frauenverband, ein Organ aus von<br />
der Partei gewählten VertreterInnen<br />
zur Umsetzung der Parteilinie. Der<br />
Frauenverband ist stark praxisorientiert.<br />
Die zweite Gruppe bilden autonome<br />
Frauen an den Universitäten. Pionierin<br />
war die schon erwähnte Li Xiaojiang,<br />
die ab 1978 frauenspezifische Seminare<br />
hielt. Zentrale Themen in der<br />
Arbeit der autonomen Frauen sind die<br />
Aufwertung der Kategorie Geschlecht<br />
gegenüber der Klassenfrage, Kritik an<br />
der sozialistischen Gleichheitspropaganda,<br />
die eine <strong>An</strong>gleichung an die<br />
männliche Norm bedeutet, und die<br />
Entdeckung der weiblichen Perspektive.<br />
Neben dem 1985 in Zhengzhou gegründeten,<br />
parteiunabhängigen Frauenforschungszentrum<br />
gibt es vor allem<br />
in den großen Städten private Salons,<br />
in denen die Frauen sich treffen und<br />
diskutieren. Die Salons werden allerdings<br />
nach der blutigen Niederschlagung<br />
der Demokratiebewegung 1989<br />
wieder verboten. Die Frauenstudienzweige<br />
an den Universitäten können<br />
sich aber akademisch etablieren, die<br />
Vernetzung mit dem Frauenverband<br />
wächst.<br />
<strong>An</strong>näherungen. In den 1990er Jahren folgt<br />
eine Phase der internationalen Einbindung.<br />
Rund um die UN-Weltfrauenkonferenz<br />
1995 in Peking beginnen die chinesischen<br />
Frauenforscherinnen, sich<br />
mehr mit westlichen <strong>An</strong>sätzen zu beschäftigen.<br />
Begriffe wie „gender“ oder<br />
„empowerment“ werden erstmals diskutiert.<br />
Insgesamt entsteht eine eigenständige<br />
und pluralistisch argumentierende<br />
Frauenforschung. Einig sind sich<br />
die Forscherinnen heute darin, dass<br />
mehr interdisziplinäre Vernetzung und<br />
internationaler Austausch das Ziel sein<br />
müssen. Dabei sollen aber die eigene<br />
Identität und Selbstbestimmung bewahrt<br />
bleiben. Westliche Erkenntnisse<br />
und feministische Theorien werden für<br />
akademische Zwecke durchaus als sinnvoll<br />
betrachtet, für die aktuellen Probleme<br />
der chinesischen Gesellschaft sind<br />
sie aber wenig hilfreich. Auch der Begriff<br />
„Feminismus“ wird weitgehend abgelehnt<br />
und nicht verwendet. So ist<br />
auch folgendes Erlebnis einer österreichischen<br />
Studentin bei einem Aufenthalt<br />
in Peking zu erklären. Sie fragte<br />
eine chinesische Studentin, was ihr zu<br />
dem Begriff Feminismus einfalle. Die<br />
Chinesin wusste erst mit dem Wort gar<br />
nichts anzufangen. Nach einigem Überlegen<br />
meinte sie dann aber:„cooking“.<br />
Im Gespräch stellte sich dann heraus,<br />
dass sie dachte,„Feminismus“ meine<br />
einfach etwas „typisch Weibliches“, und<br />
Frauen würden nun mal häufig in der<br />
Küche stehen.<br />
Wenn auch das Wort „Feminismus“<br />
in China nicht in dem uns bekannten<br />
Sinn gebräuchlich ist, gibt es doch eine<br />
Menge chinesischer Frauen, die sich,<br />
auch auf wissenschaftlicher Basis, mit<br />
den selben Fragen beschäftigen wie<br />
westliche Feministinnen. <strong>An</strong> vielen sinologischen<br />
Universitätsinstituten in Europa<br />
gibt es auch schon Interesse an der<br />
chinesischen Frauenforschung. Bleibt zu<br />
hoffen, dass auch mehr Forscherinnen<br />
anderer Disziplinen die chinesischen,<br />
aber auch andere außereuropäische<br />
feministische <strong>An</strong>sätze „entdecken“ und<br />
rezipieren, damit der Vorwurf von Li Xiaojiang,<br />
dass chinesische Frauenforscherinnen<br />
nicht gehört werden, nicht mehr<br />
länger haltbar bleibt. ❚<br />
chinainternational<br />
juli august <strong>2002</strong>an.<strong>schläge</strong> 15