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Sichtlich unsichtbar<br />
„Monologe im fehlenden Diskurs“ bezeichnet Helga Pankratz<br />
ihre gesammelten Glossen und Kommentare, dabei ist es<br />
gerade Widerspruch, den sie mit ihren Texten provozieren will.<br />
Von Gabi Horak<br />
In einer Glosse „aus lesbischer<br />
Sicht“ in den LAMBDA-Nachrichten<br />
im April 1999 berichtet Helga<br />
über ein Treffen mit jugendlichen<br />
Lesben, deren historisches<br />
Bild sie um einiges gerader richten musste.„Der<br />
Paragraph 129 galt doch nur für<br />
Schwule!“ lagen sie im Irrtum und damit<br />
waren sie nicht die einzigen in ihrem Alter<br />
und schon gar nicht in diesem Land.<br />
Helga Fazit lautete folgerichtig:„Das Gespräch<br />
hat mich wachgerüttelt, aufgeweckt:<br />
mich niemals zur Ruhe zu setzen,<br />
von der trügerischen Selbstzufriedenheit<br />
eingelullt, ich und meine Generation hätten<br />
schon alles getan, was getan werden<br />
muss, um lesbische Geschichte dem Verdrängen,<br />
Verleugnen, Vergessen zu entreißen.“<br />
Und genau das ist die Leistung<br />
dieses Buches, das Glossen und Kommentare<br />
von Helga Pankratz aus rund<br />
zehn Jahren versammelt: Neben<br />
an.<strong>schläge</strong>-Kommentaren finden sich Texte<br />
aus „Die LINKE“,„Der Saurüssel“,„stimme<br />
der frau“,„STIMME von und für Minderheiten“,„sic!“<br />
und natürlich aus den<br />
„LAMBDA-Nachrichten“, die den größten<br />
Teil einnehmen.<br />
Die Glossen und Kommentare können<br />
als Beitrag zur feministischen/lesbischen<br />
Geschichtsschreibung gelesen<br />
werden, als ausgewählte Bruchstücke<br />
der vielen Themen, die lesbische Kultur<br />
und lesbisches Leben ausmachen. Hel-<br />
gas Perspektive als aktive HOSI-Frau<br />
und ihre Fähigkeiten als Literatin<br />
entlocken dem Zeitgeschehen historische<br />
Details, die frau so in keinem Geschichtsbuch<br />
finden wird. Ich werde<br />
den Band auch der nächsten heterosexuellen<br />
Bekanntschaft empfehlen, die –<br />
allgegenwärtigen Vorurteilen erliegend<br />
– ein Bild von lesbischer Lebensweise<br />
hat, das viel zu sehr einer Skizze von Pablo<br />
Picasso gleicht.<br />
„Ich WILL den Diskurs“, erklärte Helga<br />
Pankratz kürzlich, nachdem sie von<br />
einer Buchpräsentation zurück gekehrt<br />
war. Nur zögerlich hätten die Frauen im<br />
Publikum das Wort ergriffen, um ihre <strong>An</strong>merkungen<br />
zu Helgas Sichtweise zu formulieren.<br />
Dabei behandeln die Texte im<br />
Sammelband nicht nur Themen, die zur<br />
Zeit der Erscheinung gerade Thema waren;<br />
beispielsweise die „Halbe-Halbe“-<br />
Kampagne der Frauenministerin Helga<br />
Konrad oder die Rechtschreibreform.<br />
Helga lässt sich auch über Themen aus,<br />
die nur scheinbar kein Thema wert sind<br />
und gibt ihnen Relevanz für ein lesbisches<br />
Selbstverständnis; beispielsweise<br />
Graffiti, die „Mailbox für Arme“, oder die<br />
Damenklos frauenbewegter Treffpunkte.<br />
Sie zerpflückt sprachliche Floskeln und<br />
entlarvt die Reproduktion heterosexistischer<br />
Rollenbilder. Manche Texte aus<br />
den frühen 90er Jahren lesen sich, als<br />
wären sie erst gestern erschienen oder<br />
sie formulieren Utopien, deren Verwirklichung<br />
noch weiter in die Ferne gerückt<br />
ist. Ein zentraler Kommentar dazu ist<br />
„Utopie – Resignation – Reform“.<br />
Auch unveröffentlichte Texte gibt<br />
es zu lesen, ein Highlight ist die 1992<br />
entstandene Reflexion zur Geschlechter-(in)differenz<br />
in der Homosexuellenbewegung:„Ich<br />
bin nicht SCHWULES-<br />
BISCH!“. Das Schreiben und <strong>An</strong>kämpfen<br />
gegen ein „schwulozentrisches Weltbild“<br />
hat viel Bewusstsein geschaffen,<br />
doch hat sich wirklich etwas geändert<br />
in der Bewegung? Nicht viel – resümiert<br />
Helga im Oktober 2000. Die einseitige<br />
Berichterstattung zu diversen Gay Games,<br />
in der in erster Linie schwule Sichtbarkeiten<br />
gepflegt werden, ist eines der<br />
zahlreichen Beispiele.<br />
„Wofür bin ich eigentlich vor mittlerweile<br />
auch bereits zwanzig Jahren<br />
aufgestanden?“, fragt sie einige Monate<br />
zuvor. „Ich will es – auch wenn es u.a. in<br />
zahlreichen LAMBDA-Ausgaben nachlesbar<br />
ist – gerne zum x-ten Mal wiederholen:<br />
Für die Sichtbarkeit von Lesben<br />
hab´ ich es getan. Dafür, dass Lesben<br />
mit ihren spezifischen <strong>An</strong>liegen<br />
wahrgenommen werden: von der Gesellschaft,<br />
den Medien, aber zuerst einmal<br />
auch in der Frauenbewegung und<br />
der Schwulenbewegung.“ Möge das<br />
mit diesem Buch noch ein bisschen<br />
mehr gelingen! ❚<br />
lese.zeichen<br />
Helga Pankratz:<br />
Aus lesbischer Sicht<br />
Glossen und Kommentare<br />
zum Zeitgeschehen.<br />
Milena <strong>2002</strong>, euro 17,90 (Ö)<br />
juli august <strong>2002</strong>an.<strong>schläge</strong> 39