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Juli/August 2002 (PDF) - An.schläge

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Sichtlich unsichtbar<br />

„Monologe im fehlenden Diskurs“ bezeichnet Helga Pankratz<br />

ihre gesammelten Glossen und Kommentare, dabei ist es<br />

gerade Widerspruch, den sie mit ihren Texten provozieren will.<br />

Von Gabi Horak<br />

In einer Glosse „aus lesbischer<br />

Sicht“ in den LAMBDA-Nachrichten<br />

im April 1999 berichtet Helga<br />

über ein Treffen mit jugendlichen<br />

Lesben, deren historisches<br />

Bild sie um einiges gerader richten musste.„Der<br />

Paragraph 129 galt doch nur für<br />

Schwule!“ lagen sie im Irrtum und damit<br />

waren sie nicht die einzigen in ihrem Alter<br />

und schon gar nicht in diesem Land.<br />

Helga Fazit lautete folgerichtig:„Das Gespräch<br />

hat mich wachgerüttelt, aufgeweckt:<br />

mich niemals zur Ruhe zu setzen,<br />

von der trügerischen Selbstzufriedenheit<br />

eingelullt, ich und meine Generation hätten<br />

schon alles getan, was getan werden<br />

muss, um lesbische Geschichte dem Verdrängen,<br />

Verleugnen, Vergessen zu entreißen.“<br />

Und genau das ist die Leistung<br />

dieses Buches, das Glossen und Kommentare<br />

von Helga Pankratz aus rund<br />

zehn Jahren versammelt: Neben<br />

an.<strong>schläge</strong>-Kommentaren finden sich Texte<br />

aus „Die LINKE“,„Der Saurüssel“,„stimme<br />

der frau“,„STIMME von und für Minderheiten“,„sic!“<br />

und natürlich aus den<br />

„LAMBDA-Nachrichten“, die den größten<br />

Teil einnehmen.<br />

Die Glossen und Kommentare können<br />

als Beitrag zur feministischen/lesbischen<br />

Geschichtsschreibung gelesen<br />

werden, als ausgewählte Bruchstücke<br />

der vielen Themen, die lesbische Kultur<br />

und lesbisches Leben ausmachen. Hel-<br />

gas Perspektive als aktive HOSI-Frau<br />

und ihre Fähigkeiten als Literatin<br />

entlocken dem Zeitgeschehen historische<br />

Details, die frau so in keinem Geschichtsbuch<br />

finden wird. Ich werde<br />

den Band auch der nächsten heterosexuellen<br />

Bekanntschaft empfehlen, die –<br />

allgegenwärtigen Vorurteilen erliegend<br />

– ein Bild von lesbischer Lebensweise<br />

hat, das viel zu sehr einer Skizze von Pablo<br />

Picasso gleicht.<br />

„Ich WILL den Diskurs“, erklärte Helga<br />

Pankratz kürzlich, nachdem sie von<br />

einer Buchpräsentation zurück gekehrt<br />

war. Nur zögerlich hätten die Frauen im<br />

Publikum das Wort ergriffen, um ihre <strong>An</strong>merkungen<br />

zu Helgas Sichtweise zu formulieren.<br />

Dabei behandeln die Texte im<br />

Sammelband nicht nur Themen, die zur<br />

Zeit der Erscheinung gerade Thema waren;<br />

beispielsweise die „Halbe-Halbe“-<br />

Kampagne der Frauenministerin Helga<br />

Konrad oder die Rechtschreibreform.<br />

Helga lässt sich auch über Themen aus,<br />

die nur scheinbar kein Thema wert sind<br />

und gibt ihnen Relevanz für ein lesbisches<br />

Selbstverständnis; beispielsweise<br />

Graffiti, die „Mailbox für Arme“, oder die<br />

Damenklos frauenbewegter Treffpunkte.<br />

Sie zerpflückt sprachliche Floskeln und<br />

entlarvt die Reproduktion heterosexistischer<br />

Rollenbilder. Manche Texte aus<br />

den frühen 90er Jahren lesen sich, als<br />

wären sie erst gestern erschienen oder<br />

sie formulieren Utopien, deren Verwirklichung<br />

noch weiter in die Ferne gerückt<br />

ist. Ein zentraler Kommentar dazu ist<br />

„Utopie – Resignation – Reform“.<br />

Auch unveröffentlichte Texte gibt<br />

es zu lesen, ein Highlight ist die 1992<br />

entstandene Reflexion zur Geschlechter-(in)differenz<br />

in der Homosexuellenbewegung:„Ich<br />

bin nicht SCHWULES-<br />

BISCH!“. Das Schreiben und <strong>An</strong>kämpfen<br />

gegen ein „schwulozentrisches Weltbild“<br />

hat viel Bewusstsein geschaffen,<br />

doch hat sich wirklich etwas geändert<br />

in der Bewegung? Nicht viel – resümiert<br />

Helga im Oktober 2000. Die einseitige<br />

Berichterstattung zu diversen Gay Games,<br />

in der in erster Linie schwule Sichtbarkeiten<br />

gepflegt werden, ist eines der<br />

zahlreichen Beispiele.<br />

„Wofür bin ich eigentlich vor mittlerweile<br />

auch bereits zwanzig Jahren<br />

aufgestanden?“, fragt sie einige Monate<br />

zuvor. „Ich will es – auch wenn es u.a. in<br />

zahlreichen LAMBDA-Ausgaben nachlesbar<br />

ist – gerne zum x-ten Mal wiederholen:<br />

Für die Sichtbarkeit von Lesben<br />

hab´ ich es getan. Dafür, dass Lesben<br />

mit ihren spezifischen <strong>An</strong>liegen<br />

wahrgenommen werden: von der Gesellschaft,<br />

den Medien, aber zuerst einmal<br />

auch in der Frauenbewegung und<br />

der Schwulenbewegung.“ Möge das<br />

mit diesem Buch noch ein bisschen<br />

mehr gelingen! ❚<br />

lese.zeichen<br />

Helga Pankratz:<br />

Aus lesbischer Sicht<br />

Glossen und Kommentare<br />

zum Zeitgeschehen.<br />

Milena <strong>2002</strong>, euro 17,90 (Ö)<br />

juli august <strong>2002</strong>an.<strong>schläge</strong> 39

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