Jugendhilfe Band 09 - Wirkungsorientierte Jugendhilfe
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kumentationsarbeit wahr, während die andere Hälfte<br />
der Fachkräfte keine Entlastung durch die neuen Dokumentationsformen<br />
sieht. Dies gilt für Mitarbeiter/<br />
innen des Jugendamtes wie auch der freien Träger.<br />
Die Faktoren für eine Be- oder Entlastung der<br />
Fachkräfte im Zusammenhang mit den Dokumentationsformen<br />
sind in der Evaluation klar erkennbar:<br />
Die Entlastung und Vereinfachung durch Dokumentation<br />
wird von den Fachkräften dann wahrgenommen,<br />
wenn sich ihrer Einschätzung nach die Dokumentation<br />
fachlich verbessert hat und eine größere Transparenz<br />
sowohl für Kolleg/innen als auch für Adressat/innen<br />
realisiert wurde. Erhöht sich allerdings ausschließlich<br />
der Dokumentationsaufwand durch die Standardisierung,<br />
sehen die Fachkräfte keine Erleichterung. Dieser<br />
klar erkennbare empirische Zusammenhang zeigt,<br />
dass für die erfolgreiche praktische Umsetzung in der<br />
Hilfepraxis zwingend berücksichtigt werden muss,<br />
dass der Dokumentationsaufwand nicht wesentlich<br />
gesteigert werden darf.<br />
Auswirkungen auf die Praxis der Hilfeplanung<br />
Eine auffällige Entwicklung in der <strong>Jugendhilfe</strong>, die<br />
durch das Bundesmodellprogramm offenbar beschleunigt<br />
wird, zeigt sich im zunehmenden Einsatz<br />
von Dokumenten in der Hilfeplanung: In allen untersuchten<br />
Hilfeplangesprächen kamen meist mehrere<br />
Dokumente zum Einsatz. Häufig bezogen sich die Gespräche<br />
auf Entwicklungsberichte, die im Vorfeld erstellt<br />
worden waren, sowie auf den letzten Hilfeplan.<br />
In einigen Fällen wurden die Formularvordrucke für<br />
den aktuellen Hilfeplan bzw. den Zielerreichungsplan<br />
von der fallführenden Fachkraft des Jugendamtes bereits<br />
während des Hilfeplangesprächs ausgefüllt. Mit<br />
Formularen wird also nicht nur der Ablauf und Inhalt<br />
von Hilfeplangesprächen dokumentiert, vielmehr<br />
strukturieren sie auch das Gespräch durch inhaltliche<br />
Vorgaben, die abgearbeitet und in den Gesprächsfluss<br />
integriert werden müssen.<br />
Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Hilfeplanverfahren:<br />
Die standardisierten Dokumentvorlagen können<br />
zu einer Strukturierung des Hilfeprozesses beitragen.<br />
Sie können für mehr Transparenz und Handlungssicherheit<br />
sorgen, insofern die Formularlogik<br />
den Beteiligten bekannt ist. Im Gegensatz zu einer<br />
Gesprächssituation, die flüchtig ist und deren Ablauf<br />
und Inhalt nur den Anwesenden zugänglich ist, wir-<br />
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ken die in den Verfahren eingesetzten Dokumente in<br />
doppeltem Sinne erweiternd. Erstens sichern sie den<br />
Beteiligten über die Situation hinaus Zugang zu den<br />
Gesprächsinhalten, was u. a. der Reflexion sowie der<br />
Klärung von Zielen und Aufgaben im laufenden Hilfeprozess<br />
dienlich sein kann. Zweitens kann dadurch<br />
anderen, nicht an der Gesprächssituation direkt Beteiligten,<br />
Einblick in den Ablauf des Hilfeplanverfahrens<br />
gewährt werden. Dokumente haben eine Erinnerungsfunktion<br />
und erzeugen Verbindlichkeit.<br />
Der Einsatz von Formularen im Hilfeplangespräch<br />
erzeugt aber auch ein höheres Maß an Rigidität, so dass<br />
der Gestaltungsspielraum des Gesprächs abnimmt.<br />
So lässt sich beobachten, dass es für die Fachkräfte,<br />
die während des Gesprächs ein Formular bedienen,<br />
schwierig ist, der Logik des Formulars und der Dynamik<br />
des Gesprächs gleichermaßen gerecht zu werden.<br />
Die Formulare erzwingen Aufmerksamkeit und legen<br />
die Orientierung der Beteiligten an formalisierten<br />
Themenstellungen und Gesprächsabläufen nahe. Sie<br />
unterbrechen Gesprächsdynamiken und erschweren<br />
eine Moderation, die sich an aktuellen Themen und<br />
den Befindlichkeiten der Anwesenden orientiert.<br />
Wenn Hilfepläne oder andere Formularvorlagen<br />
im Gespräch ausgefüllt werden, kann das Gespräch<br />
zäh werden, weil die übrigen Teilnehmenden von der<br />
Tätigkeit des Schreibens ausgeschlossen sind. Dieser<br />
Effekt kann jedoch durch Beteiligung an der Tätigkeit<br />
des Dokumentierens abgemildert werden. Dies<br />
geschieht etwa dadurch, dass die Fachkraft sich während<br />
des Schreibens selbst zitiert oder kommentiert,<br />
die Anwesenden um Unterstützung bei der Formulierung<br />
bittet oder sich über die zu dokumentierenden<br />
Inhalte rückversichert. Dadurch wird Transparenz und<br />
Beteiligung an der Verfahrenspraxis über das Hilfeplangespräch<br />
hinaus ermöglicht. Die dabei entstehenden<br />
Pausen können auch von den übrigen Beteiligten<br />
für Nebengespräche genutzt werden, etwa zur<br />
Klärung von Verständnisfragen, zum Abstimmen über<br />
den weiteren Gesprächsverlauf oder zur Reflexion<br />
des bisher Gesagten.<br />
Die Fallanalysen zeigen überdies, dass der Einsatz<br />
von Entwicklungsberichten, die ja i. d. R. von den<br />
leistungserbringenden Fachkräften verfasst werden,<br />
auch deren Redeanteil im Hilfeplangespräch erhöht,<br />
insofern sie meist dazu aufgefordert werden, die wesentlichen<br />
Inhalte des Berichtes kurz zu referieren.