Jugendhilfe Band 09 - Wirkungsorientierte Jugendhilfe
Jugendhilfe Band 09 - Wirkungsorientierte Jugendhilfe
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Ableitung von ‚kleinen‘ aus ‚großen‘ Zielen: Die<br />
Überlegung kleinschrittige Ziele zu formulieren ist<br />
mit der Vorstellung verbunden, dass sich diese aus<br />
übergeordneten Zielsetzungen ableiten lassen. Dies<br />
wird auch in den Formularen zur Zielbearbeitung<br />
deutlich, in denen meist drei bis vier Zielebenen<br />
unterschieden werden. Diese sollen offenbar unterschiedliche<br />
Abstraktionsniveaus eines zusammenhängenden<br />
Sachverhalts angeben, so dass sich demnach<br />
aus dem Hilfebedarf operationalisierte Ziele ableiten<br />
ließen, deren Erreichung wiederum Rückschlüsse auf<br />
übergeordnete Zielsetzungen oder sogar den Hilfebedarf<br />
zulassen soll. Die sachliche Zuordnung der<br />
Gesprächsinhalte zu den jeweiligen Zielebenen lässt<br />
allerdings kaum eine einheitliche Systematik zu. Ob<br />
beispielsweise das Erreichen des Hauptschulabschlusses<br />
das Ziel der Hilfe, eines von mehreren Leitzielen<br />
oder ein operationalisiertes Ziel ist (oder auch etwa<br />
‚nur‘ der Wunsch einer Personensorgeberechtigten)<br />
,hängt vom jeweiligen (Argumentations-)Zusammenhang<br />
ab. Dies kann zur Verwirrung und Uneindeutigkeit<br />
beim Ausfüllen der Formulare führen. Doch auch<br />
die Idee der Ableitung als solche erscheint problematisch.<br />
Versucht man komplexe Konstrukte wie Selbstständigkeit<br />
in messbare Einheiten zu überführen, so<br />
lassen sich lediglich entsprechende Verhaltensweisen<br />
der Jugendlichen als Ziele angeben. Zwar ist es möglicherweise<br />
sinnvoll Bedingungen anzugeben, unter<br />
denen ein Jugendlicher noch nicht als selbstständig<br />
gelten kann (bzw. nicht verselbstständigt, d.h. aus<br />
der stationären Betreuung entlassen werden kann),<br />
beispielsweise die Fähigkeit sich selbst Essen zuzubereiten.<br />
Fraglich ist allerdings, inwiefern sich Selbstständigkeit<br />
in Einzelaspekte zergliedern lässt, die zusammengenommen<br />
eine/n selbstständige/n Jugendliche/n<br />
ausmachen (der/die dann aus der Einrichtung<br />
entlassen werden kann).<br />
Die Fallanalysen machen deutlich, dass durch den<br />
Versuch, Ziele operational zu formulieren, Aufgaben,<br />
Aktivitäten und Verhaltensziele der Kinder und Jugendlichen<br />
in den Fokus der Zielbearbeitung rücken.<br />
Die Zielformulierung wird dadurch konkreter, sie wird<br />
aber auch begrenzt auf Ziele, deren Erreichung beobachtbar<br />
oder gar messbar ist.<br />
Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen<br />
als Gegenstand der Zielformulierungen: Wenn Wirkungen<br />
bei den Adressat/innen einen größeren Stel-<br />
38 |<strong>Wirkungsorientierte</strong> <strong>Wirkungsorientierte</strong> <strong>Jugendhilfe</strong> <strong>Band</strong> <strong>09</strong><br />
lenwert in der <strong>Jugendhilfe</strong> bekommen sollen, so erscheint<br />
es zunächst plausibel, dass die Entwicklung<br />
und Anliegen von Kindern und Jugendlichen zum<br />
Gegenstand von Zielformulierungen werden. Ziele<br />
verlangen aber auch nach einem verantwortlichen<br />
Akteur. In den Hilfeplangesprächen zeigt sich nun,<br />
dass durch die Fokussierung auf die jungen Menschen<br />
bei der Zielformulierung ihnen auch ein Großteil der<br />
Verantwortung für den Hilfeerfolg aufgebürdet wird<br />
(s. dazu auch 2.2.2).<br />
Zusammenfassende Bewertung<br />
Bei der Frage, wie Fachkräfte dieses Element einschätzen<br />
und welche Folgen seine Anwendung für<br />
das Partizipationsempfinden der jungen Menschen<br />
hat, ist der Grad der Standardisierung entscheidend.<br />
Statistisch lässt sich nachweisen, dass die Fachkräfte<br />
der Standardisierung von Hilfezielen und der Methodisierung<br />
der Zielformulierung grundsätzlich positive<br />
Effekte zuschreiben, eine zu starke Standardisierung<br />
allerdings negative Auswirkungen nicht nur auf das<br />
professionelle Handeln der Fachkräfte, sondern auch<br />
auf das Partizipationsempfinden der Kinder und Jugendlichen<br />
hat. Die Ergebnisse der fallanalytischen<br />
Praxisbeobachtung empfehlen einen reflexiven Umgang<br />
mit Zielen in der Hilfeplanung, unter Berücksichtigung<br />
der folgenden Grundsätze:<br />
–– Die schriftliche Fixierung von Zielen hat eine ‚Erinnerungsfunktion‘.<br />
Sie kann verhindern, dass die<br />
Überprüfung der vereinbarten Zielsetzungen im<br />
nächsten Hilfeplangespräch vergessen wird oder die<br />
Anerkennung von Teilerfolgen aus dem Blick gerät.<br />
–– Nicht alle Anliegen, die in der Hilfeplanung bearbeitet<br />
werden (sollten), sind Ziele. Auch Erwartungen,<br />
Wünsche, Befürchtungen, etc. sollten in<br />
der Hilfeplanung ihren Platz haben und nach Möglichkeit<br />
auch in den Dokumenten als solche gekennzeichnet<br />
werden.<br />
–– Die Relevanz von Zielen im jeweiligen Hilfeplangespräch<br />
ist abhängig von verschiedenen Faktoren,<br />
wie etwa den Problemlagen, der Hilfeart, dem Maß<br />
an Freiwilligkeit der Inanspruchnahme und den<br />
subjektiven Voraussetzungen der Adressat/inn/en,<br />
und muss einzelfallspezifisch geklärt werden.<br />
–– Die Fähigkeit, realistische Ziele zu setzen oder<br />
sich auf gemeinsame Ziele zu einigen, kann Ziel<br />
der Hilfe sein. Dabei kann die Paradoxie, dass für