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Marxismus_und_Tierbefreiung_Antidot

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36 ― 37Die Grenzenbürgerlicher TierethikRezension – Der umfangreiche Sammelband Tierethik. Gr<strong>und</strong>lagentexte von Friederike Schmitz hält, was sein Titelverspricht. Das ist zugleich seine grösste Stärke <strong>und</strong> seine grösste Schwäche. Der Band gibt einen gutenEinblick in den Status quo des moraltheoretischen Tierrechtsdiskurses. Wissenschaftliche Schützenhilfe für dieBefreiung der Tiere liefern die versammelten AutorInnen nicht.Wer auf der Suche nacheiner Einführung in denMainstream der Tierethikist oder ein paar einschlägigemoralisch-theoreti scheArgumentationen älteren<strong>und</strong> jüngeren Datums insbesondereaus dem englischsprachigenRaum ken ­nenlernen will, sollte diesesBuch kaufen. Um sich mitden Kernaussagen der Au ­torInnen vertraut zu machen,muss man aber nichtunbedingt die 580 Seiten des mitunter ermüdendenmoralphilosophischen Kleinkleinsdurchackern. Es reicht eigentlich aus, die vonder Herausgeberin Friederike Schmitz hervorragendlesbare <strong>und</strong> ausführliche Einleitungzum Band zu lesen. Der Eindruck, der sich bereitsaus ihren Ausführungen auf den ersten70 Seiten ergibt, erhärtet sich bei der weiterenLektüre leider: Man lernt schnell, warum dieabgebildete Tierethik weder politischen AktivistInnennoch wissenschaftlichen TheoretikerInnenanzuempfehlen ist, die sich zu Recht fürdie Befreiung der Tiere von der Barbarei in denSchlachthöfen, Mastanlagen, Tierversuchslaboren,Pelzfarmen <strong>und</strong> so weiter einsetzen.Bürgerliche Tierethik, … Beispielsweise PeterSingers präferenzutilitaristische Moralphilosophiebasiert auf der Vorstellung, dass die Interessenaller leidensfähigen Wesen auch in derEthik berücksichtigt werden müssten, daherauch zumindest die des Gros der Tiere. Anhandvon Vergleichen etwa zwischen neugeborenenMenschen <strong>und</strong> Menschenaffen zeigt er in seinemAufsatz, dass die gängigen Abgrenzungenzwischen Menschen <strong>und</strong> Tieren entlang be ­s timmter ausgewählter Eigenschaften wie zumBeispiel der Vernunft nicht haltbar sind, weilauch nicht alle Menschen diese besitzen. Andersals ihm fälschlicherweise unterstellt wird,schlussfolgert er daraus aber nicht die Abwertungder Menschen, die nicht dem Idealbildentsprechen (so genannte «nicht-paradigmatischeMenschen» (Pluhar, S. 112)), sondern denEinschluss bestimmter Tiere in die moralischeGemeinschaft.Neben zahlreichen anderen Kritiken der SingerschenPhilosophie (für moraltheoretischesiehe dazu auch die Beiträge von Nussbaum<strong>und</strong> Luke, eine gute Übersicht bietet Bentonim Band), die entgegen politisch diffamierendenFalschbehauptungen Zeit ihrer Existenzauch in der Tierrechts- <strong>und</strong> <strong>Tierbefreiung</strong>sbewegungformuliert worden sind, sind vor allemzwei entscheidend, um seine Theorie zu verwerfen.Singer akzeptiert erstens die derzeitigengesellschaftlichen Verhältnisse als Grenze fürseine praktische Ethik. In der Konsequenz beschneideter zweitens seine Philosophie, derzufolge so gehandelt werden soll, dass am Endedas grösstmögliche Glück generiert wird, weilGlück in der gegenwärtigen Gesellschaft nurbeschränkt hergestellt werden kann. Der Utilitaristkann sich schlicht keine Bewegungvorstellen, in der gleichzeitig das Glück allerverwirklicht wird. Abgesehen von der krudenAnnahme, Glück sei quantitativ messbar, habendiese Prämissen zur Folge, dass das Glück <strong>und</strong>das Leiden verschiedener Individuen, deren Interessenaufgr<strong>und</strong> ihrer Leidensfähigkeit moralischrelevant sind, gegeneinander abgewogenwerden müssen: das Glück eines Schweinsgegen das Leiden eines menschlichen Säuglings,das Leid eines kranken Menschen gegendas Leid des Versuchstiers <strong>und</strong> so weiter. Dieseperverse Rationalisierung der bürgerlichen Ge ­sellschaft kann niemandem als Leitfaden dafürdienen, die nichtmenschlichen wie die menschlichenTiere von ihrem gesellschaftlich erzeugtenLeid zu befreien. Zumal Singer auch –seiner Philosophie immanent – die Tötung oderNutzung von Tieren nicht gr<strong>und</strong>sätzlich ablehnt.Wesentlich ist für ihn, ob «die allgemeineGlücksbilanz stimmt» (Schmitz, S. 53), wieSchmitz in ihrer Einleitung zu Recht kritischbemerkt.Gary L. Francione, einer der historischen Vorreiterder rechtswissenschaftlichen Debatteüber den Ein- <strong>und</strong> Ausschluss von Tieren insRechtssystem, verwehrt sich gegen die – unteranderem von Peter Singer vorgenommene –Verknüpfung von Leidens- <strong>und</strong> kognitivemVermögen zur Begründung von Tierrechten.Für ihn bedürfe es «ausser der Empfindungsfähigkeitkeiner anderen geistigen Fähigkeit [...],um in die moralische Gemeinschaft aufgenommenzu werden» (Francione, S. 154). Im Widerspruchzu Singer gesteht Francione ein, dass«Tiere keinen inhärenten oder intrinsischenWert» in unserer Gesellschaft hätten, weil siede facto «Eigentum sind» (Francione, S. 160). Inletzter Instanz heiligt der ökonomische Zweck,der Profit etwa eines Tierversuchslabors wieLaboratory of Pharmacology and Toxicology (LPT), dieMittel, wie etwa Tierversuche an Mäusen, Ratten,Hamstern, Meerschweinchen, Kaninchen,H<strong>und</strong>en, Affen, Katzen, Schweinen, Fischen<strong>und</strong> Vögeln.Francione erklärt die bestehenden Eigentumsverhältnissenicht historisch-materialistisch, eruntersucht sie auch nicht in ihrer bürgerlichenBesonderheit oder analysiert im Anschluss daranebenso wenig, welcher Platz Tieren in derkapitalistischen Produktionsweise durch diegesellschaftliche politisch-ökonomische Praxiszugewiesen wird. Stattdessen behauptet er, dass«der Eigentumsstatus [der Tiere; C.S.] unmittelbarauf der Idee» der Menschen beruhe, «dassTiere – anders als Menschen – kein Interesse anihrem Leben haben, weil sie sich kognitiv vonuns unterscheiden» (Francione, S. 161), weil sie«als Eigentum der Menschen betrachtet werden»(Francione, S. 172, Herv. C.S.). Tiere würdenalso nicht unterdrückt, weil Menschen einspeziesistisches Vorurteil haben, sondern weilsie Tiere aufgr<strong>und</strong> ihres speziesistischen Vorurteils– der absoluten «kognitiven Differenz»(Francione, S. 161) – zu Eigentum machten. Mitdieser metaphysischen Begründung für Ausbeutungder Tiere durch die KapitalistInnentrennt Francione weniger von Singers Position,derzufolge die Ausbeutung von Tieren auf «einVorurteil oder eine Voreingenommenheit gegenüberWesen aufgr<strong>und</strong> ihrer Spezies» (Singer,S. 81) zurückzuführen sei, als seine radikalerscheinende Kritik auf den ersten Blick suggeriert.Francione konterkariert durch seinenRückfall in den Idealismus seine richtige <strong>und</strong>wegweisende Erkenntnis, dass die moralischeEinstufung der Tiere belanglos ist, solange sieEigentum – genauer müsste man sagen: Privateigentumder KapitalistInnen – sind.Tierrechte … Tom Regans Ansatz, Tieren universelleRechte zuzusprechen, weil sie «Subjekteines-Lebens»(Regan, S. 101) seien, war für diehistorische US-Tierrechtsbewegung bedeute nd,auch wenn er theoretisch kaum haltbar ist.«Subjekt-eines-Lebens» sind alle Lebewesen un ­abhängig ihrer Spezies, die Überzeugungen,Wünsche, Absichten <strong>und</strong> einen gewissen Zukunftsbezughaben. Unter dieser Vorausset­

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