Ausgabe 40 (04.10.12) - Ortsgemeinde Kördorf
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Informationsblatt für den Einrich 12 Nr. <strong>40</strong>/2012<br />
Nationaler Radverkehrsplan beschlossen<br />
„Das Bundeskabinett hat heute (05.09.2012) den Nationalen Radverkehrsplan<br />
2020 (NRVP) beschlossen.“ Mit dieser Meldung überraschte<br />
der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Peter Ramsauer,<br />
Anfang des Monats die Bevölkerung. Er möchte damit für nachhaltige<br />
Mobilität insbesondere im ländlichen Raum sorgen. Ich<br />
finde die Idee nicht schlecht, und solange es die körperliche Verfassung<br />
gestattet, ist es sowohl für die Umwelt als auch für das eigene Wohlbefinden<br />
gut, wo es möglich ist, aufs Auto zu verzichten und das Fahrrad<br />
zu verwenden. Durch die Nachricht wurde ich an einen Artikel erinnert,<br />
in dem von den Anfängen des Radfahrens berichtet wird. Da er lesenswert<br />
ist, wollen wir ihn nachstehend wiedergeben. (Otto Butzbach)<br />
Als „willenloses Pferd“, „als Knochenschüttler“<br />
gefürchtet – die ersten Fahrräder !<br />
Während sich heutzutage bei schönem Wetter unzählige Freizeitradler<br />
in den Sattel schwingen, hat man den in angelsächsischen<br />
Landen schon bald nach<br />
seiner Erfindung mit dem Spitznamen<br />
„Boneshaker“ (Knochenschüttler) bedachten<br />
„Drahtesel“ in früheren Zeiten auch zu ganz<br />
anderen Zwecken genutzt.<br />
So radelten beispielsweise um das Jahr 1890<br />
hinter den Kasernentoren allein in der<br />
englischen Arme rund 3000 Soldaten, um sich<br />
als „berittene(!) Truppe“ auf einen etwaigen<br />
Fronteinsatz vorzubereiten.<br />
Etwa zur gleichen Zeit kamen die ersten so<br />
genannten Standard-Militärräder auf den<br />
Markt und für das deutsche Heer wurden<br />
Klappräder beschafft.<br />
Bereits anno 1869 hatte jedoch ein<br />
fahrradbegeisterter Zeitgenosse in einer von<br />
ihm verfassten „Velocipede Brochure“ darauf<br />
verwiesen, dass das >moderne Fortbewe-<br />
Atelieraufnahme um1900<br />
gungsmittel> keineswegs nur dem Vergnügen<br />
der besseren Gesellschaft dienen dürfe,<br />
sondern auch eine „sociale Verwendung“ finden müsse.<br />
In diesem Sinne empfahl er seinen Einsatz für alle Postverbindungen<br />
am Lande, für den Telegrafendienst, für Ärzte und Priester, für die<br />
dienstbeflissene Dienerschaft und für alle „Überwachungs-Organe“.<br />
Angesehene Mediziner wollten das Fahrrad sogar allen Kranken verordnen,<br />
die an Gicht, Rheumatismus oder an allgemeiner Schwäche litten,<br />
da sein Gebrauch aus „hygienischer Sicht“ unbedenklich und der<br />
Gesundheit außerordentlich zuträglich sei.<br />
In einer landärztlichen Empfehlung von 1898 hieß es darüber hinaus:<br />
„Fahren mit Maß“ nütze bei »chronischer Verstopfung durch Stubenhockerei,<br />
bei allen Arten von Nervenschwäche und bei der Bleichsucht<br />
junger Mädchen«. Jedenfalls sollen bald schon Landärzte, Feuerwehrleute<br />
und Gendarmen sommers wie winters - selbst bei Glatteis - ihren<br />
Berufspflichten mit dem „Radel“ nachgekommen sein.<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt der Besitz eines Fahrrades dann<br />
als unverzichtbares Attribut eines tüchtigen Arbeiters, der bemüht war,<br />
immer pünktlich an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen. In den Kriegs-<br />
und Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkriegs wurde das Fahrrad neben<br />
dem Handwagen für viele zu dem wohl wichtigsten Transportmittel.<br />
Nicht selten musste, wenn man ausgebombt worden war, der gesamte<br />
noch verbliebene Hausrat damit in eine neue Unterkunft geschafft werden<br />
und auch bei den seinerzeit üblichen >Hamstertouren> erwies sich<br />
das Gefährt als ausgesprochen nützlich, um Kartoffeln, Kohlen, Brennholz<br />
und anderes mehr nach Hause befördern zu können.<br />
Mit Beginn des Wirtschaftswunders kamen die Drahtesel zunächst ein<br />
wenig aus der Mode, doch wurden sie auch weiterhin zumindest von all<br />
denen, die keinen Autoführerschein besaßen, für jede Art von Klein-<br />
transporten genutzt: für auf der<br />
Wiese geschnittenes Kaninchenfutter,<br />
für Bohnenstangen, für Henkelkörbe<br />
voll frisch geernteten Obstes<br />
oder für unterwegs zusammengekehrte<br />
Pferdeäpfel, die als Dünger<br />
für den Kleingarten benötigt wurden.<br />
In den Kindertagen des Fahrrads<br />
wurde - den Verkehr der Radfahrer<br />
auf öffentlichen Wegen,<br />
Straßen und Plätzen betreffend -<br />
unter anderem verfügt, dass >das<br />
Umkreisen von Fuhrwerken, Reitern<br />
und ähnlichen Bewegungen, welche<br />
geeignet sind, den Verkehr zu stören<br />
und Menschen oder fremdes<br />
Eigenthum zu gefährden,> bei Strafe<br />
verboten sind. Immerhin gaben<br />
die Prinzipienreiter zu, das Fahrrad<br />
habe als wirklich »willenloses<br />
Pferd« vor dem anderen den Vorzug,<br />
»dass es weit lenkbarer ist, nie<br />
scheu wird oder durchgeht und unbeschadet<br />
verliehen werden kann«.<br />
Zudem sei es - wie es weiter hieß -<br />
»immer gesattelt und gezäumt,<br />
braucht kein Futter, keinen Thierarzt<br />
oder Reitknecht«.<br />
Bei geringer, wenn auch unbedingt<br />
erforderlicher Materialpflege mittels<br />
Öl für die dem Verschleiß unterworfenen<br />
Teile und gelegentlich einem<br />
nassen Lappen zum Abwaschen<br />
der lackierten Teile sei das Fahrrad<br />
jedoch leicht „im Standehalten“ und<br />
für Jung und Alt einfach zu handhaben.<br />
Doch konnte man in einem<br />
„belehrenden und erbaulichen Lexicon<br />
der Sittsamkeit“ aus dem 19.<br />
Jahrhundert betreffs der neumodischen<br />
Sportart Fahrradfahren auch<br />
in Erfahrung bringen, dass es sich<br />
hierbei lediglich um ein Vergnügen<br />
handelt, „welches wir für die Herrenwelt<br />
reservieren.“ Später waren<br />
schon weitaus moderatere Töne zu<br />
hören, wenn es hieß: „Mit Hilfe einer<br />
geeigneten Lehrerin und mit entsprechenden<br />
Kleidern können (sogar!)<br />
Damen in einer Woche bei einer<br />
Stunde täglicher Übung eine<br />
solche Herrschaft über das Vélocipède<br />
erlangen, dass sie im Sattel<br />
mit der größten Leichtigkeit zu reiten<br />
im Stande sind.“ Allerdings vergaß<br />
man noch zu Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts insbesondere Frauen<br />
und Mädchen nicht davor zu warnen,<br />
dass bei Übertreibung des anstrengenden<br />
Radfahrens „wichtige<br />
innere Organe mit schweren Defekten<br />
bedroht“ seien. (Heike Michel)<br />
Quelle: Gestern-Heute+Morgen �<br />
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