KONZERTEklingt das immer noch einen Tickhärter, euphorischer und authentischerals auf den Platten, von denendie letzte, ,,Legacy“, 2012 die höchsteChart-Platzierung in der Geschichtedes Voodoo-Club belegte.Nun gehen Phillip Boa And TheVoodooclub wieder auf Tour, allerdingsauf eine Farewell-Tour, dennPia Lund, die Mitgründerin derBand und Phillips ex-Frau, erklärtzum zweiten Mal in der Geschichteder Gruppe ihren Abschied – auspersönlichen Gründen. Das ist schade,zumal ohne ihre Beiträge derVoodooclub nicht mehr derselbe ist.Freuen wir uns also ein letztes Malauf Breitwand-Pop mit allem, wasden Voodooclub ausmacht: treibendeBeats, spröde Melodien, sperrigeGitarren und Boas schroffen Gesangim Wechsel mit Pias Sirenenstimme.Weil eine Abschiedstourauch etwas Besonderes bieten soll,spielen sie 25 ihrer bekanntestenvertrackten, rhythmisch und instrumentalvielseitigen Pop/Rock-Hymnen beziehungsweise Singles,darunter Hits und Klassiker wie,,Diana“, ,,And Then I Kissed Her“,,,I Dedicate My Soul To You“ , ,,LoveOn Sale“ und ,,This Is Michael“. Füralte wie für neue Fans: Unverzichtbar!Volkard SteinbachBIELEFELD, FORUM, 6.12.Der Doppel-AbrissREGGAE & DANCEHALL SATT BEIM ERSTEN»ROOTDOWN FESTIVAL«Münster-Massive, aufgepasst!Im Dezemberkommt der natty Nikolausin die Westfalenmetropole undmacht mit einer ganzen HordeReggae- und Dancehall-Acts gleichzwei bewährte Partytempel vor Ortunsicher. Am 7. Dezember, einenTag nachdem der Mann mit demweißen Bart euch die Stiefel vollgemachthat, ist im Skaters Palaceund im Carpe Noctem direkt amHauptbahnhof Synchron-Abriss imOffbeat angesagt.Das Reggae-Label ,,RootdownRecords“ aus dem beschaulichenHürth bei Köln hat sich in der letztenDekade zu einer der wichtigstenBrutstätten für Reggae ausDeutschland entwickelt, Namen wieNosliw, Maxim, Sebastian Sturm,Eric Wilson mit dem rückwärts gelesenen Künstler-Alias: NosliwMono & Nikitaman oder auch dieDubstep-Derwische Symbiz Soundsind bei der Plattenschmiede unterVertrag. Zum Rootdown-Festival,dem ersten offiziellen Festival desLabels, kommt gleich das halbe Label-Roostermit in die Domstadt.Headliner des Abends ist der KölnerNosliw, der mit seiner Band inder Halle des Skaters Palace spielenwird. Nosliw ist in Münster keinUnbekannter, seine Konzerte sindmeistens voll bis ausverkauft unddie Stimmung entsprechend ausgelassen.Während Nosliw im Reggaewie im Dancehall gleichermaßenzuhause ist und den Wechsel zwischenden Stilen aus dem Handgelenkbeherrscht, lässt sich LabelkollegeSebastian Sturm, der ebenfallsmit kompletter Bandbesetzung anreist,eher im traditionellen Roots-Reggae einordnen. Anders als Nosliwsingt Sturm, auch wenn es seinKünstlername nicht unbedingt vermutenlässt, seine Tunes auf Englischmit deutlichem Patois-Einschlag.Wer sich hier an die KölnerGentleman oder Patrice erinnertfühlt, liegt gar nicht so falsch.Nach Sturm und seiner Band ExileAirline macht die schwedischugandischeJaqee mit ihrer Bandweiter. Die 36-jährige ist stilistischdie vielfältigste, in ihrer inzwischenachtjährigen Karriere vermischensich Reggae-Riddims mit Soul- undR’n’B-Einflüssen, Songs von BillieHoliday hat sie genauso im Repertoirewie bluesige Akustik-Nummernmit Banjo-Begleitung. JaqeesKonzert wird entsprechend unterKennern jetzt schon als Highlightdes Abends gehandelt – nicht verpassen!Für den gepflegten Abriss nachder Session im Palace geht es dannnach dem Konzert von Nosliw direktim Carpe Noctem weiter. Dass hierzu späterer Stunde ein anderer, wenigerrootsiger Wind wehen wird,verraten schon die Namen auf demLine-Up: Symbiz Sound haben ihrenmittlerweile weltumspannendenRuf unter anderem einem legendärenAuftritt in Münsters TriptychonReggae got Soul: Jaqee covert auch mal Billie Holidayzu verdanken, bei dem die damalsnoch unbekannten Brüder dieCrowd komplett zum Ausrastenbrachten. Mittlerweile werden sieweltweit gebucht, doch ein erneutesGastspiel in Münster lassen sie sichnicht nehmen.Vor Symbiz stehen jedoch nochdie deutschsprachigen Roots-ActsMiwata und Nattyflo auf dem Programm,außerdem Roger Phad Fullund Slonesta, deren Dancehall-Riddims deutlich moderner undtanzbarer daherkommen undschon mal zum gepflegten warmskankeneinladen. Vor allem Slonestaversteht es dabei hervorragend,die Sprachmelodie der jamaikanischenVorbilder ins Deutschezu übertragen. Krönender Abschlussist dann der Auftritt desDuos Symbiz Sound, und spätestenshier kann dann der Kopf ausgeschaltetwerden. Wenn die beideneinmal aufdrehen, überträgt sichdie Energie auf der Bühne in Sekundenschnelleauf die Crowd, undTexte werden im bratzigen Sägebass-Gewitterund den 8-Bit-Bleepsder Dubstep-Tunes zur Nebensache.Reeewiiiiiiiind!Johannes WallatMÜNSTER, SKATERS PALACE& CARPE NOCTEM 7.12.20 ULTIMO
BÜCHERGESCHICHTEGottes KriegerRodney Stark bricht eine Lanzefür die KreuzritterDGustav Dore: Die Entdeckung des wahren Kreuzes (1877)as finstere Mittelalter war garnicht finster, mit der islamischenKulturwaresgarnichtsoweither, und die Kreuzzüge waren ziemlichidealistische Unternehmungen,um die Pilgerpfade zu den „heiligenStätten“ der Christen offenzuhaltenund vor muslimischen Räubern zuschützen. Verdient hat daran niemandetwas, im Gegenteil, so ein Abstechernach Jerusalem ging für einenkreuzfahrenden Ritter ziemlichins Portemonnaie und geschah meistnur für Gottes Lohn.Mit derart drolligen Ansichten(und eigentlich keinen Belegen)bring man es in den USA zum„Co-Leiter des Instituts für Studiender Religion an der Baylor University”(so der Klappentext), was nachentschieden mehr klingt, als es ist.Rodney Stark jedenfalls, gelernter„Religionssoziologe“ an der Universitätzu Washington, hat mit GottesKrieger ein Buch geschrieben, dassich vordergründig mit den fünfKreuzzügen zwichen dem 11. und13. Jahrhundert herum befasst. Hintergründigaber gibt Stark bereits imVorwort zu erkennen, dass es ihn ärgere,wenn westliche Autoren heuteden muslimischen Furor mit dem Unrechtder Kreuzzüge begründen.Denn die stellten keinesfalls eine barbarische,frühkolonialistische Invasiondar (wie es die Forschung heutegrößtenteils sieht), sondern ehereine idealistische Notwehr des bedrängtenChristentums gegen einesich aggressiv ausbreitende neueReligion, die dem Christentumkeinesfalls ethisch überlegengewesen sei.Um das zu untermauern, zitiertsich Stark munter durch die Werkeanderer Historiker (er selbst hat keinerleiForschung auf diesem Gebietbetrieben), wobei seine Auslassungen(im doppelten Sinne) recht amüsantund klug gewählt sind, um seineThesen zu stützen. Meistens geht dasbei Stark so: Kolonialismus impliziertdie wirtschaftliche Ausbeutungeines besetzten Landes. Da dieKreuzritter an ihren Kreuzzügennichts verdienten, kann es sich beiden Kreuzzügen nicht um Kolonialismushandeln. Ähnlich geht er vor,wenn es darum geht, „nachzuweisen“,die Kreuzritter seien nicht überdie Maßen antisemitisch gewesen.Der Idee, was die Päpste mit ihrenAufrufen bezweckten, geht Stark sowenig nach wie etwa der Frage, wasdas zwischen westlichen Kreuzritternund muslimischen Ländern eingekeilteByzanz eigentlich hätte tunsollen – außer sich elendig opportunistischzu verhalten.WersicheinbisscheninderGeschichteauskennt, wird sich bei dieserDarstellung der „Kreuzzüge inneuem Licht“ (Untertitel) gut unterhalten– als Beispiel für katholischeRhetorik und apologetisches Eskamotieren.Als Geschichtsbuch ist dasallerdings nicht ernst zu nehmen.Erich SauerRodney Stark: Gottes Krieger. DieKreuzzüge in neuem Licht. Aus demEnglischen von Klaus Binder und BerndLeineweber. Haffmanns & Tolkemitt,Berlin 2013, 384 S., mit zahlr. Abb.,22,95EUROPAGurkentruppeHenryk M. Broder findet dengemeinsamen Markt überschätztr hat die Abweichler gewählt, hatder streitbare Publizist jüngst zu-Die Euroskeptiker, de-Egegeben.nen weniger streitbare Publizistengleich Rechtsabweichung vorwarfen,weil sie die Eurobürokratie öffentlich„entartet“ nannten. So einedumme Blöße gibt sich der in derBILD vorabgedruckte Schlammschmeisserin seiner kleinen PhilippikaDie letzten Tage von Europa. Wiewir eine gute Idee versenken natürlichnicht. Er sammelt nur wohlfeilenÄrger auf (Europa hat uns die Energiesparlampeeingebrockt), geißeltdie Entlohnungspraktiken (ein Übersetzerin Brüssel verdient mehr alsein Facharzt in Braunschweig) undführt den EU-ParlamentspräsidentenMartin Schulz als Kronzeugen gegensich selbst an. Einerseits hat dergesagt „Wäre die EU ein Staat, derdie Aufnahme in die EU beantragenwürde, müsste der Antrag zurückgewiesenwerden – aus Mangel an demokratischerSubstanz.“ Andererseitsdas Paradebeispiel für einen wegenlokalen Versagens zum Zentral-Molochweggelobten Politikers.Er und alle bei der KrakeBeschäftigten, können gar nichtanders, als zum eigenenAuskommen die Maschine weiter zufüttern.Broder findet viel Fürchterlichesan dem Konstrukt Europa, und wenigNützliches. Irischen Whisky gabes auch vorher schon, Konflikte mitWanderarbeitern auch nachhernoch. Aber nie zuvor gab es so vieleAgenturen, die transnationale Papieremit Lösungsvorschlägen produzieren,die vor Ort keiner anpackenwill. Und wenn dann mal ein Gipfel allerArbeitsminister Europas einenSonderetat gegen Jugendarbeitslosigkeitbeschließt, dann kostet dermehr, als die 1400 Euro pro Kopf imBudget.Broder weiß nur einen Ausweg:Ein Moratorium. Erstmal alles aufHalt setzen und von Grund auf neudiskutieren. Etwa so, wie es die Britenwollen. Und vor allem ohne denalternativlosen Automatismus, mitdem sich der Schuldenstaatenbundselbst ruiniert. Da ist was dran. Aberzumindest in Sachen Gurken hat sichdie EU doch als lernfähig erwiesen.Seit 2011 dürfen sie auch wiederkrumm auf den gemeinsamen Marktkommen.WingHenryk M. Broder: Die letzten Tage Europas.Wie wir eine gute Idee versenken.Knaus, München 2013, 223 S.,19,99Das ist Paris. Darin gibt es Wohn- und Arbeitsviertel. Und es gibt eine Stadt-Kultur,die sich aus der Summe aller Geschichten ergibt, die über diese Stadt erzähltwurden. In Die City – Straßenleben in der geplanten Stadt stellt HanneloreSchlaffer Paris als Beispiel für eine Stadt dar, die noch mit ihren Traditionenlebt. Die neue deutsche City ist nur noch jener Knotenpunkt von Banken und Geschäften,an dem sich täglich Besucher und Angestellte treffen, um so zu tun, alswürde die Stadt leben. Abends fahren alle wieder nach Hause – und das befindetsich zunehmend an der Peripherie. Wo Innenstädte von Konzernen geplant werden,die ganz woanders sitzen und denen das Stadtbild völlig egal ist, wo eineStadtverwaltung nur noch danach schaut, wie man aus jedem QuadratmeterStadt möglichst viel Umsatz generieren kann – dort beginnt die öde Konformitätder Demokratie. Das wilde, überraschende, unkorrekte Leben gibt es nur nochselten, vielleicht in Barcelona, Rom oder Paris. Wer ein bisschen darüber nachdenkenmöchte, warum und wo er lebt, dem seien die Aufsätze Schlaffers in diesemkleinen Bändchen ans Herz gelegt. (zu Klampen, Springe 2013, 169 S.,18,00)ULTIMO 21