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Willkommen zur vielseitigsten Bildungsreise Ihres Lebens.

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sonders über Sartre, sein politisches Engagement (das<br />

wechselhafte Verhältnis zum Kommunismus), sein Denken<br />

und die Methode seiner literarischen Produktion<br />

werden Informationen gegeben, die von größtem Interesse<br />

für das Verständnis seines Werks sind.<br />

� Lit.: C. Monteil: S. de B. Le mouvement des femmes, 1995.<br />

Richard Mellein<br />

La vieillesse<br />

(frz.; Das Alter, 1972, A. Aigner-Dünnwald; R. Henry) –<br />

Der 1970 erschienene Essay versteht sich als Dokumentation<br />

eines unpopulären und mit Vorurteilen behafteten<br />

Themas. Schon vor seiner Abfassung hatte Simone<br />

de Beauvoir sich in literarischer Form mit der individuellen<br />

Problematik des physischen Verfalls und des Leidens<br />

am Alterungsprozess befasst. In Une mort très<br />

douce, 1964 (Ein sanfter Tod), schildert sie den dramatischen<br />

Kampf ihrer Mutter gegen das Sterben. Der Novellenband<br />

La femme rompue, 1967 (Eine gebrochene<br />

Frau), umkreist das Thema des Älterwerdens aus der<br />

Perspektive der Frau. Im Epilog ihres Memoirenbandes<br />

La force des choses, 1963 (Der Lauf der Dinge), verdichtet<br />

die Autorin die eigenen Empfindungen angesichts dieses<br />

näher rückenden <strong>Lebens</strong>abschnitts.<br />

Die empörte öffentliche Reaktion auf dieses persönliche<br />

Bekenntnis wurde zum Anlass für eine systematische<br />

Auseinandersetzung mit dem Alter, das hier nun als<br />

soziales und politisches Phänomen behandelt wird. Den<br />

Phrasen von einer angeblichen Würde, etwa »der heiteren<br />

Gelassenheit des Alters«, mit denen die Gesellschaft<br />

das für sie heikle Thema zu beschönigen sucht, tritt Simone<br />

de Beauvoir mit dem Vorsatz entgegen, »die Verschwörung<br />

des Schweigens zu brechen«. Weil das Alter<br />

mit einem gesellschaftlichen Tabu belegt sei, lasse es sich<br />

»nur in seiner Gesamtheit erfassen; es ist nicht nur eine<br />

biologische, sondern eine kulturelle Tatsache«.<br />

Aufbau und methodischer Zugriff setzen La vieillesse<br />

in Beziehung zu ihrem bahnbrechenden Essay Le deuxième<br />

sexe, 1949 (Das andere Geschlecht). La vieillesse ist<br />

nach dessen Muster in zwei Teile gegliedert. Der erste<br />

Teil, »Von außen betrachtet«, behandelt objektive und<br />

kulturhistorische Fakten des Alters: Simone de Beauvoir<br />

referiert statistische Daten und Forschungsergebnisse<br />

aus Biologie, Gerontologie, Ethnologie, Geschichte und<br />

empirischer Sozialforschung. Das Kapitel über die <strong>Lebens</strong>bedingungen<br />

des alten Menschen im Lauf der Geschichte<br />

und seine Stellung in der Literatur umfasst die<br />

sogenannten primitiven Gesellschaften ebenso wie die<br />

historischen von der Antike bis <strong>zur</strong> Gegenwart. Neben<br />

die Darstellung physiologischer Faktoren des Alterungsprozesses<br />

tritt also im ersten Abschnitt des Essays<br />

eine Sozialgeschichte des Alters.<br />

Simone de Beauvoir �<br />

Auf die soziale Situation des alten Menschen konzentriert<br />

sich auch sein zweiter Teil. Hier stellt Simone<br />

de Beauvoir den objektiven Fakten die unmittelbar gelebte<br />

Erfahrung der körperlichen und seelischen Verfassung<br />

aus der Sicht der Betroffenen gegenüber. Sie<br />

schöpft aus einem überreichen Fundus persönlicher<br />

Aussagen zum Thema Alter und lässt vorwiegend<br />

Schriftsteller zu Wort kommen, aber auch Künstler, Politiker,<br />

frühgriechische Philosophen und zeitgenössische<br />

Intellektuelle. Sodann entwirft sie ein Panorama<br />

der individuellen Konfrontation mit dem Alter. Die<br />

Dokumente sind nach thematischen Gesichtspunkten<br />

zusammengestellt: z. B. »Bewältigung des Alters«, »Zeit,<br />

Aktivität«, »Alter und Alltag«. Als Repräsentanten des<br />

Alters porträtiert die Autorin unter anderen Ä Michelangelo,<br />

Ä Balzac, Verdi, Ä Einstein, Clemenceau, Ä Goethe,<br />

Ä Freud, Ä Aristoteles, Ä Flaubert und Ä Churchill,<br />

deren Aussagen bzw. Schicksale sie mit nüchternen,<br />

zuweilen auch melancholischen Kommentaren versieht<br />

und unter Hinweis auf gesellschaftliche Verhältnisse<br />

kommentiert.<br />

Um der Fatalität des Alters zu entgehen, sieht Beauvoir<br />

zwei Lösungen. Im existenzialistischen Sinn empfiehlt<br />

sie dem Individuum »weiterhin Ziele zu verfolgen,<br />

die unserem Leben einen Sinn verleihen: das hingebungsvolle<br />

Tätigsein für einzelne, für Gruppen oder für<br />

eine Sache«. Der andere Lösungsvorschlag ist an die Gesellschaft<br />

gerichtet, deren »Alterspolitik ein Skandal«<br />

sei. Die Leistungsgesellschaft beschleunige nämlich den<br />

Alterungsprozess durch Ausbeutung und verweigere<br />

schließlich noch die materielle Absicherung nach Beendigung<br />

des Berufslebens. Folglich betrifft die sozialpolitische<br />

Lösung »das ganze System, und die Forderung<br />

kann nur radikal sein: das Leben verändern«. Auch die<br />

sozialistischen Länder, denen im Anhang ein eigenes<br />

Kapitel gewidmet wird, seien noch weit vom Soll-Zustand<br />

entfernt, der auf die Formel gebracht wird, dass<br />

»ein Mensch auch im Alter ein Mensch bleiben kann. In<br />

der idealen Gesellschaft [...] würde, so kann man hoffen,<br />

das Alter gewissermaßen gar nicht existieren«.<br />

La vieillesse hatte nicht eine ähnlich große Resonanz<br />

wie Le deuxième sexe. Zwar begrüßte die Kritik das Werk<br />

als außerordentlich kenntnis- und lehrreiche Studie, bezweifelte<br />

aber, dass das Buch über akademische Kreise<br />

hinaus wirken werde. Die angebotenen Lösungsvorschläge<br />

wurden als zu vage <strong>zur</strong>ückgewiesen. Der Existenzialphilosophie<br />

verpflichtet, hat Simone de Beauvoir<br />

den Essay mit marxistischen Tendenzen unterlegt, was<br />

ihr den Vorwurf eingetragen hat, eher den Widerspruch<br />

zweier Weltanschauungen zu verdeutlichen, als programmatische<br />

Ansätze diesseits der Grenze von Sozialutopien<br />

zu leisten. Unbestritten bleibt jedoch das Verdienst<br />

der Autorin, ein vernachlässigtes und verdrängtes<br />

Thema aufgegriffen zu haben.

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