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324<br />
Heike Krieger<br />
AöR<br />
nach dem das Grundgesetz nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass ein Konflikt<br />
mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland<br />
nicht entsteht. 46<br />
Dabei kommt dem Völkerrecht und der internationalen Integration im<br />
deutschem Verfassungsverständnis ein besonderer Stellenwert zu. Zwar sind<br />
die Transformationsnormen der deutschen Verfassung nicht einmal so weitreichend<br />
wie die anderer Staaten, z. B. Österreichs, der Niederlande oder<br />
Spaniens. 47 So ist beispielsweise die EMRK in Österreich unmittelbar anwendbar<br />
und besitzt formellen Verfassungsrang. Aber seit der Nachkriegszeit<br />
ist eine Perspektive vorherrschend, wonach dem Völkerrecht die Funktion zukommt,<br />
antidemokratische und nationalistische Tendenzen zu kontrollieren<br />
und Souveränitätsansprüche zu begrenzen.<br />
In ihrer abweichenden Meinung zum Urteil über den Europäischen Haftbefehl<br />
hat die Verfassungsrichterin Lübbe-Wolff diesem Gedanken Ausdruck<br />
gegeben. Zur Frage, ob das Europäische Haftbefehlsgesetz gegen das Demokratieprinzip<br />
verstößt, führt sie aus, dass es Sinn von Art. 79 Abs. 3 GG sei,<br />
einen Rückfall unseres Lan<strong>des</strong> in Diktatur und Barbarei auszuschließen, wobei<br />
nichts diesem Ziel mit höherer Wahrscheinlichkeit diene als Deutschlands<br />
Integration in die Europäische Union. 48 Die Funktion der völkerrechtlichen<br />
Einbindung, den innerstaatlichen politischen Prozess vor menschenrechtswidrigen<br />
Exzessen zu bewahren, betont auch Tomuschat: „Verfassungs- und<br />
Völkerrecht haben sich zu einem finalen Aktionsverbund zusammengeschlossen;<br />
. . . die internationale Gewährleistung der Grundrechte gewinnt<br />
jeweils an Bedeutung in der Krisensituation <strong>des</strong> Staates, wenn von deutschen<br />
Entscheidungsgremien Problemlösungen erwogen werden, die sich aus einer<br />
distanzierten Sicht heraus als vorschnell und unbedacht erweisen können.<br />
Die internationale Menschenrechtsverfassung, die ja überhaupt ihre Entstehung<br />
einer Reaktion auf die verbrecherische Politik <strong>des</strong> Dritten Reiches verdankt,<br />
übernimmt somit die Funktion eines Notankers der innerstaatlichen<br />
Menschenrechtsverfassung.“ 49 Offene Staatlichkeit wird so zum Gegenentwurf<br />
zu einem nationalen Sonderweg. Gerade die Hinwendung zum Internationalen<br />
gewährleistet nach diesem Verständnis den Schutz einer Demokratie,<br />
die den grundrechtlichen Freiheiten <strong>des</strong> Einzelnen verpflichtet ist.<br />
46 Zur Herleitung <strong>des</strong> Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit: BVerfGE 111,<br />
307 (317f.); 112, 1 (24). Differenzierend zum Begriff der Völkerrechtsfreundlichkeit<br />
und der offenen Staatlichkeit: P. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: W. Graf<br />
Vitzthum (Hg.), Völkerrecht, 4. Aufl., 2007, 2. Abschn. II 2.<br />
47 Vgl. Art. 9 <strong>des</strong> Österreichischen Bun<strong>des</strong>-Verfassungsgesetzes, Art. 90–95 der<br />
Verfassung der Niederlande; Art. 93–96 der Spanischen Verfassung.<br />
48 BVerfGE 113, 273 (336).<br />
49 C. Tomuschat in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hg.), HbStR VII, 1992 § 172 Rn. 73.