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350<br />
Ulrich Vosgerau<br />
AöR<br />
grund <strong>des</strong> staatlichen Gewaltmonopols gelten, das eine private Gegenwehr<br />
<strong>des</strong> Betroffenen oder sonstiger privater Dritter gerade ausschließt. 21 Mithin<br />
kommt je<strong>des</strong> zurechenbare staatliche Verhalten prinzipiell als Eingriff in Betracht.<br />
22 Insofern ist es schon der moderne Eingriffsbegriff, der die Anerkennung<br />
der Schutzpflichtendimension der Grundrechte denknotwendig aus sich<br />
herausgetrieben hat. Die Schutzpflichtendimension der Grundrechte folgt<br />
denknotwendig aus dem modernen Eingriffsbegriff, und der moderne Eingriffsbegriff<br />
ergibt sich aus dem staatlichen Gewaltmonopol, aus dem ein generelles<br />
Verbot der Selbsthilfe gegen Grundrechtsübergriffe Dritter resultiert,<br />
weil das Unterlassen wirksamen staatlichen Einschreitens aus Sicht <strong>des</strong> Übergriffsopfers,<br />
dem die effektive Gegenwehr, wo sie faktisch möglich sein sollte,<br />
durch das staatliche Gewaltmonopol verwehrt ist, jedenfalls ein Eingriff<br />
wäre. Daraus folgt zugleich: wer, mit welcher genauen dogmatischen Konstruktion<br />
auch immer, die Schutzpflicht zu einer Art Grundrechtsfunktion<br />
minderen Ranges erklären wollte, an die der Staat etwa nur nach Art eines<br />
politischen Allgemeinauftrages zur freien Ausgestaltung und unter dem Vorbehalt<br />
<strong>des</strong> prioritär gedachten staatsgerichteten Abwehrrechts <strong>des</strong> Übergriffsstörers<br />
gebunden sei, der müßte mehr oder minder zum klassischen Eingriffsbegriff<br />
23 zurückkehren. Will man dies nicht, so muß man Abwehrrecht<br />
und Schutzpflicht als prinzipiell gleichberechtigt ansehen. 24 Dies würde im<br />
Falle der Grundrechtsfunktionenkollision wohl zu Abwägungen führen 25 ;<br />
dabei ist dann aber zugleich absehbar, daß diese Abwägungen eigentlich stets<br />
zuungunsten <strong>des</strong> „Übergriffsstörers“ ausgehen würden 26 , und das ist in der<br />
Grundrechtsfunktionenkollision ganz typischerweise derjenige, der das<br />
Grundrecht als Abwehrrecht ins Feld führt – gegen staatliche Bemühungen,<br />
ihm die Störung zu verweisen.<br />
21 Vergl. hierzu D. Murswiek (Fn. 9), S. 91 ff.<br />
22 Vergl. B. Pieroth/B. Schlink (Fn. 20) Rn. 238.<br />
23 Vergl. B. Pieroth/B. Schlink (Fn. 20), Rn. 240.<br />
24 Daher ist der Vorschlag M. Borowskis konsequent, gar nicht mehr von Schutzpflichten<br />
zu sprechen, da dieser Begriff an objektive Pflichten statt an subjektive Rechte<br />
denken lasse, sondern statt<strong>des</strong>sen von „Schutzrechten“; vergl. M. Borowski, Die<br />
Glaubens- und Gewissensfreiheit <strong>des</strong> Grundgesetzes (2006), S. 608; zustimmend<br />
U. Vosgerau, Freiheit <strong>des</strong> Glaubens und Systematik <strong>des</strong> Grundgesetzes (2007), S. 200<br />
a. E.<br />
25 Auch dies hat die Senatsmehrheit in der Entscheidung „Abtreibung I“ bereits gesehen,<br />
vgl. BVerfGE 39, 1 (47): „Allerdings muß der Gesetzgeber den hierbei entstehenden<br />
Konflikt durch eine Abwägung der beiden einander gegenüberstehenden<br />
Grundwerte oder Freiheitsbereiche nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung<br />
und unter Beachtung <strong>des</strong> rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lösen.“<br />
26 Vergl. zum Vorrang der Interessen <strong>des</strong> Opfers vor denen <strong>des</strong> Täters (in den Konstellationen<br />
„finaler Rettungsschuß“ und „Rettungsfolter“) Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck<br />
(Hg.), GG, Bd. 1, 5. Aufl. 2005, Art. 1 Abs. 1 Rd.Nr. 78 f.; ablehnend<br />
R. Merkel, JZ 2007, 373 (375).