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Epochenjournal 'Expressionismus'.pdf - Sapientia

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Jahr heiratete er auch nach dem frühen Tod seiner ersten Frau seine Sekretärin Herta von Wedemeyer.1945 kehrte er nach Berlin zurück, um dort die ärztliche Tätigkeit in seiner alten Praxis wiederaufzunehmen. Am 7. Juli 1956 erlag Benn dann schließlich unter heftigen Schmerzen den Folgen seinesKnochenkrebses.Werk „Morgue“:Diese Sammlung von insgesamt neun Gedichten Gottfried Benns, deren offizieller Titel „Morgue undandere Gedichte“ lautet, wurde 1912 in einem Flugblatt veröffentlicht. Hierin beschreibt er inemotionsloser Weise seine Erfahrungen im Leichenschauhaus, wodurch er einerseits die Oberschichtund den Adel mit ekelerregenden Szenen aus dem Alltag eines Pathologen provoziert, andererseits aberauch auf die Abstumpfung der Menschlichkeit anspielt. Seine Provokation beruht vor allem auf derBanalität der menschlichen Existenz, wobei er mit den herkömmlichen lyrischen Traditionen radikalbricht. Dieser Bruch mit der Vergangenheit lässt sich auch daran erkennen, dass sich das traditionellelyrische Ich nach Möglichkeit aus den Gedichten heraushält. Außerdem sind seine künstlerischeMethode und sein artistischer Umgang mit Sprache so neuartig, dass er die expressionistische Lyrikwesentlich beeinflusst. Die zunehmende Anzahl der Obduzierten sowie der fortschreitendeVerwesungsprozess deuten ebenfalls auf die Auflösung des Individuums in der damaligen Gesellschafthin. Im Folgenden wird ein Gedicht dieser Sammlung herausgegriffen und etwas genauer betrachtet:Kleine AsterEin ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhelllila Asterzwischen die Zähne geklemmt.Als ich von der Brust ausunter der Hautmit einem langen MesserZunge und Gaumen herausschnitt,muß ich sie angestoßen haben, denn sie glittin das nebenliegende Gehirn.Ich packte sie ihm in die Brusthöhlezwischen die Holzwolle,als man zunähte.Trinke dich satt in deiner Vase!Ruhe sanft,kleine Aster!Gottfried Benn (1912)In dem Gedicht „Kleine Aster“ wird die Obduktion einer Wasserleiche dargestellt, welche eine„dunkelhelllila“ Aster in ihrem Mund hat. Bereits diese Wortneuschöpfung Benns deutet durch denenthaltenen Widerspruch in sich auf den starken Kontrast der Epoche des Expressionismus hin. Die totePerson verliert durch die Eingriffe und Öffnungen ihres Körpers ihre Totalität, da der Körper ausgehöhltwird, um letztendlich der Aster als Vase zu dienen. Diese – als Gegenstück zu dem toten Körper – gehtsomit eine Verbindung mit jenem ein, ist aber dadurch (in ihm) auch nicht mehr lebensfähig. Zusätzlichdurch seinen präzisen und sachlichen Beschreibungsstil sowie seine einfache, knappe und schmuckloseSprache unterstützt weist Gottfried Benn mit diesem Gedicht auf die allmähliche Abschmälerung bzw.Abstumpfung der menschlichen Sensibilität und damit auch die zunehmende Gefühlslosigkeit und Leereder Menschen hin.Seite 7

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