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ZukunftslandMV Aufbruch in die Wissensgesellschaft für alle

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Zukunftsland MV<br />

<strong>Aufbruch</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Wissensgesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>alle</strong><br />

Integration und sonderpädagogische<br />

Förderung <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

Dokumentation zur Fachtagung<br />

am 28. März 2009 <strong>in</strong> Rostock


2<br />

Die Konferenz wurde durchgeführt mit freundlicher Unterstützung des Aktionsbündnisses:<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Evangelischer Schulträger MV


LIEbE LESERInnEn UnD LESER,<br />

<strong>die</strong> SPD-Landtagsfraktion M-V dokumentiert<br />

mit <strong>die</strong>ser Broschüre <strong>die</strong> Tagung zur sonderpädagogischen<br />

Förderung<br />

<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

vom 28. März 2009<br />

<strong>in</strong> Rostock. Unter dem Titel<br />

„<strong>Aufbruch</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissensgesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>alle</strong><br />

- Integration und sonder-<br />

Dr. Norbert Nieszery,<br />

Fraktionsvorsitzender<br />

pädagogische Förderung<br />

<strong>in</strong> M-V“ hatten sich zahlreiche<br />

Expert<strong>in</strong>nen und<br />

Experten versammelt, um den aktuellen Stand<br />

im Land, <strong>die</strong> Ergebnisse aus Wissenschaft und<br />

Forschung sowie <strong>die</strong> aktuellen Herausforderungen<br />

aus der Praxis zu diskutieren. Diese<br />

Tagung wurde unterstützt von e<strong>in</strong>em breiten<br />

Aktionsbündnis aus Gewerkschaft Erziehung<br />

und Wissenschaft (GEW), Landeselternrat<br />

Mecklenburg-Vorpommern, Verband Bildung<br />

und Erziehung MV, Grundschulverband, Verband<br />

der Sonderpädagogik MV sowie der Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Evangelischer Schulträger<br />

MV. Diese Partner stellten neben Herrn Prof.<br />

Dr. Hartke und Frau Prof. Dr. Koch von der<br />

Universität Rostock sowie dem Verband der<br />

Sonderpädagogik Baden-Württemberg, vertreten<br />

durch Herrn Dr. Stöppler, ihren gebündelten<br />

Sach- und Fachverstand <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gestaltung<br />

der Referate sowie der Moderation der<br />

Diskussion zur Verfügung. Die Ergebnisse der<br />

Workshops haben unser Konzept bestätigt,<br />

der Fachebene und den Praktiker<strong>in</strong>nen und<br />

Praktikern e<strong>in</strong> Forum <strong>für</strong> den <strong>in</strong>tensiven Austausch<br />

zu geben. Diesem Austausch lagen im<br />

Wesentlichen <strong>die</strong> UN-Konvention,<br />

der Bildungsbericht<br />

der Expertenkommission,<br />

das Schulgesetz sowie <strong>die</strong> zu<br />

erwartende Bildungskonzeption<br />

<strong>für</strong> K<strong>in</strong>der im Alter von<br />

0 bis 10 Jahren zugrunde.<br />

Wenn wir auch heute noch<br />

nicht <strong>alle</strong> Ergebnisse und<br />

Vorwort<br />

Mathias Brodkorb,<br />

bildungspolitischer<br />

Sprecher<br />

Anregungen <strong>in</strong> politisches Handeln umsetzen<br />

konnten, so lässt sich schon jetzt sagen,<br />

dass <strong>die</strong> Tagung wichtige Anregungen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Landespolitik gegeben hat. So wird beispielsweise<br />

der auf der Tagung immer wieder herausgearbeitete<br />

H<strong>in</strong>weis, dass <strong>in</strong>sbesondere <strong>die</strong><br />

K<strong>in</strong>dertagesförderung e<strong>in</strong>es präventiven Ansatzes<br />

sonderpädagogischer früher Hilfen bedarf,<br />

um Benachteiligungen von K<strong>in</strong>dern von<br />

Anfang an ausgleichen zu können, bereits <strong>in</strong><br />

naher Zukunft bei der Novellierung des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

Berücksichtigung<br />

f<strong>in</strong>den. Wir haben uns daher erlaubt, e<strong>in</strong>e erste<br />

Ideenskizze <strong>für</strong> e<strong>in</strong> solches System der eigentlichen<br />

Tagungsdokumentation voranzustellen.<br />

Gerne nehmen wir auch hierzu Ihren fachlichen<br />

Rat entgegen und freuen uns auf Ihre<br />

Anregungen.<br />

Allen Akteur<strong>in</strong>nen und Akteuren sagen wir an<br />

<strong>die</strong>ser Stelle ausdrücklich „Dankeschön!“ <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> konstruktive Zusammenarbeit <strong>in</strong> der Vorbereitung,<br />

Durchführung und Nachbereitung<br />

der Tagung. Den Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmern<br />

danken wir <strong>für</strong> ihre Wertschätzung


des Themas, <strong>die</strong> rege Diskussion im Plenum<br />

und <strong>in</strong> den Workshops sowie <strong>die</strong> nachgereichten<br />

Statements.<br />

E<strong>in</strong> besonderer Dank gilt dem M<strong>in</strong>isterpräsidenten,<br />

Herrn Erw<strong>in</strong> Seller<strong>in</strong>g, der geme<strong>in</strong>sam<br />

mit der SPD-Landtagsfraktion M-V maßgeblich<br />

dazu beigetragen hat, <strong>die</strong> nötigen f<strong>in</strong>an-<br />

Dr. Norbert Nieszery<br />

SPD-Fraktionsvorsitzender<br />

ziellen Mittel <strong>für</strong> e<strong>in</strong> Frühfördersystem <strong>in</strong> den<br />

K<strong>in</strong>dertagesstätten trotz der angespannten<br />

F<strong>in</strong>anzlage des Landes bereitzustellen. Dank<br />

sagen möchten wir auch dem Bildungsm<strong>in</strong>isterium,<br />

das sich unter der Leitung von Frau<br />

Brick aktiv an der Workshopgestaltung und<br />

der Diskussion beteiligte.<br />

Mathias Brodkorb<br />

Bildungspolitischer Sprecher


Inhalt<br />

Gleiche Chancen <strong>für</strong> <strong>alle</strong> -<br />

Individuelle Förderung im frühk<strong>in</strong>dlichen bereich stärken – E<strong>in</strong>e Ideenskizze 7<br />

Grußworte und E<strong>in</strong>gangsstatement<br />

Mathias brodkorb, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion MV 9<br />

Ra<strong>in</strong>er Sommerfeld, Sprecher des Aktionsbündnisses 10<br />

Erw<strong>in</strong> Seller<strong>in</strong>g, M<strong>in</strong>isterpräsident von Mecklenburg-Vorpommern 12<br />

2. Fachtagung<br />

E<strong>in</strong>führender Vortrag: Sonderpädagogik <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern:<br />

Ist-Stände und Perspektiven – Prof. Dr. bodo Hartke 1<br />

Diskussion 26<br />

nachgereichtes Statement zur Fachtagung –<br />

Elternverband hörgeschädigter K<strong>in</strong>der Landesverband MV e.V.<br />

Workshop 1:<br />

Vom Ziehen an e<strong>in</strong>em Strang, aber <strong>in</strong> unterschiedliche Richtungen –<br />

Zur Kooperation zwischen Trägern der Förderschulen und den Jugendämtern 7<br />

Moderation Thomas Thadewald<br />

Referat Katja Falkenberg/Silvia Schrötter 47<br />

Workshop 2:<br />

Land unter <strong>in</strong> den Kollegien der Förderschulen!? –<br />

Zur Fachkräftesituation <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

Moderation Roland Zahn<br />

5<br />

Referat Kerst<strong>in</strong> Morawetz 53<br />

Referat Gabriele Brick 57<br />

Workshop :<br />

Anforderungen an <strong>die</strong> Diagnostik – Förderausschuss und Kompetenzzentren<br />

Moderation Ines Huhle<br />

59<br />

Referat Dr. Michael Burgert 59<br />

Referat Steffen Petzak 63<br />

5


6<br />

Workshop : Diagnoseförderklassen – geeignetes Mittel? 67<br />

Moderation Ralph Grothe<br />

Referat Prof. Dr. Katja Koch 67<br />

Referat Anne Schön<strong>in</strong>g 71<br />

Referat Margitta Wagner 72<br />

Statement Monika Junghans 74<br />

Workshop 5:<br />

Frühe Hilfen <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten und Grundschulen – aber wie?<br />

Moderation Dr. Schalwig<br />

76<br />

Referat Prof. Dr. Bodo Hartke 77<br />

Referat Christiane Hermes 84<br />

Statement Anne Geister 87<br />

Workshop 6:<br />

Das neue Schulgesetz:<br />

Mit schülerbezogener Mittelzuweisung zu mehr Gerechtigkeit<br />

Moderation Michael Blanck<br />

88<br />

Referat Nils Kleemann 89<br />

Statement Anke Spitzbarth 91<br />

Workshop 7:<br />

Förderschulen abschaffen?<br />

Zu den Vorschlägen der Expertenkommission beim bildungsm<strong>in</strong>ister<br />

Moderation Ra<strong>in</strong>er Sommerfeld<br />

9<br />

Referat Dr. Thomas Stöppler 94<br />

Referat Peter Friedsam 97<br />

Statement Nikola Rebehn 103<br />

Anhang 10<br />

Prof. Dr. Preuß-Lausitz:<br />

Wie weiter mit den Förderzentren (und der sonderpädagogischen Förderung)? 104<br />

M<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong> Bildung, Wissenschaft und Kultur:<br />

Schriftlich nachgereichter Beitrag mit Auszügen aus den Dokumenten zum<br />

Bildungsbericht der Expertenkommission und zur frühk<strong>in</strong>dlichen Bildung 116


Gleiche Chancen <strong>für</strong> <strong>alle</strong> -<br />

Individuelle Förderung im frühk<strong>in</strong>dlichen bereich stärken<br />

- E<strong>in</strong>e Ideenskizze von Mathias brodkorb -<br />

Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen<br />

machen deutlich, dass <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

bis zu 25 % der K<strong>in</strong>der und Jugendlichen<br />

<strong>in</strong> unterschiedlichem Ausmaß besondere<br />

pädagogische Hilfe benötigen. Dabei<br />

betreffen <strong>die</strong> vorherrschenden Defizite <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie ausgerechnet jene Fähigkeiten, <strong>die</strong><br />

<strong>für</strong> das spätere Lernen erforderlich s<strong>in</strong>d: Pränumerik,<br />

Phonologie, Sprache, Konzentration,<br />

Verhalten, etc. Neben genannten kognitiven<br />

Defiziten s<strong>in</strong>d bei den Untersuchungen<br />

der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> M-V im E<strong>in</strong>schulungsalter<br />

ebenfalls überdurchschnittlich häufig Entwicklungsverzögerungen<br />

bei der Motorik und<br />

der emotionalen und sozialen Entwicklung<br />

sowie e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong> schlechter Gesundheitszustand<br />

(<strong>in</strong>sbesondere Adipositas) festgestellt<br />

worden.<br />

Wesentliche Grundste<strong>in</strong>e <strong>für</strong> <strong>die</strong>se besorgniserregende<br />

Entwicklung der K<strong>in</strong>der werden <strong>in</strong><br />

ihren ersten Lebensjahren gelegt. Systematische<br />

Ansätze, <strong>die</strong>ser Tendenz schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

frühen Entwicklungsphase zwischen drei und<br />

sechs Jahren zu begegnen, kommen <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs<br />

<strong>in</strong> M-V nicht flächendeckend und nicht nach<br />

e<strong>in</strong>heitlichen Standards zur Anwendung. Individuelle,<br />

bedarfsgerechte Frühförderung der<br />

Kita-K<strong>in</strong>der kann derzeit mangels tragfähiger<br />

und flächendeckender Konzepte sowie f<strong>in</strong>anzieller<br />

Ausstattung nicht im wünschenswerten<br />

Umfang stattf<strong>in</strong>den. In M-V sollen jedoch <strong>alle</strong><br />

K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e echte Chance auf e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

und selbstbestimmte Zukunft haben – unabhängig<br />

vom sozialen Status der Eltern. Um<br />

<strong>die</strong>s sicherzustellen, ist e<strong>in</strong>e Verbesserung h<strong>in</strong><br />

zu mehr <strong>in</strong>dividueller Förderung <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der<br />

von Beg<strong>in</strong>n an von entscheidender Bedeutung.<br />

Vor <strong>die</strong>sem H<strong>in</strong>tergrund ist es seitens der SPD<br />

e<strong>in</strong> wesentliches Ziel der laufenden Novellierung<br />

des K<strong>in</strong>dertagesfördergesetzes (KiföG<br />

M-V), geeignete Maßnahmen zur systematischen<br />

Erkennung von Benachteiligungen und<br />

e<strong>in</strong>er anschließenden Frühförderung zu ergreifen.<br />

Geplant ist, aufbauend auf e<strong>in</strong>er verb<strong>in</strong>dlichen<br />

Bildungskonzeption <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der von 0 – 10<br />

Jahren im Zuge der KiföG-Novellierung, zunächst<br />

<strong>für</strong> den K<strong>in</strong>dergarten flächendeckend<br />

e<strong>in</strong> Dokumentations- und Lernbegleit<strong>in</strong>strument<br />

e<strong>in</strong>zuführen, welches e<strong>in</strong>e gezielte Beobachtung<br />

und Dokumentation der Fähigkeiten<br />

und Nachholbedarfe der K<strong>in</strong>der ermöglicht.<br />

Diese gezielte Beobachtung und Dokumentation<br />

soll auf der Grundlage landesweit e<strong>in</strong>heitlicher<br />

und vergleichbarer Standards erfolgen<br />

und <strong>die</strong> Grundlage der <strong>in</strong>dividuellen Förderung<br />

<strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der bilden. Zudem liefert sie<br />

wichtige Informationen <strong>für</strong> besondere <strong>in</strong>dividuelle<br />

Förderbedarfe bei K<strong>in</strong>dern mit besonderen<br />

Benachteiligungen. Auf der Grundlage<br />

festgestellter besonderer Förderbedarfe erhalten<br />

<strong>die</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten daher künftig zusätzliche<br />

f<strong>in</strong>anzielle Mittel, um hiermit zielgenau<br />

frühe Hilfen organisieren zu können. Die<br />

entstehenden Dokumentationen sollen nach<br />

der E<strong>in</strong>schulung nahtlos auch den Grundschullehrer<strong>in</strong>nen<br />

und -lehrern <strong>für</strong> deren pädagogische<br />

Arbeit zur Verfügung stehen.<br />

7


8<br />

Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er wirksamen Gesamtstrategie<br />

sollen hier<strong>für</strong> durch das Sozialm<strong>in</strong>isterium 10<br />

Mio. Euro <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>in</strong>dividuelle Lernbegleitung<br />

und Dokumentation, <strong>für</strong> besondere Maßnahmen<br />

der <strong>in</strong>dividuellen Förderung und zur Verbesserung<br />

der Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen der Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

und Erzieher sowie durch das<br />

Bildungsm<strong>in</strong>isterium 5 Mio. Euro <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

frühk<strong>in</strong>dliche Bildung im K<strong>in</strong>dergarten bereitgestellt<br />

werden.<br />

Um e<strong>in</strong> solches Fördersystem s<strong>in</strong>nvoll zu entwickeln<br />

und implementieren, soll par<strong>alle</strong>l zum<br />

Gesetzgebungsverfahren e<strong>in</strong>e Arbeitsgruppe,<br />

u.a. bestehend aus M<strong>in</strong>isterien, Fachvertretern,<br />

Wissenschaftlern und Parlamentariern,<br />

gebildet werden. Zur qualitativen Sicherung<br />

des Entwicklungs- und Implementierungsprozesses<br />

f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Begleitung<br />

und Evaluation statt.


Grußworte<br />

Eröffnungsplenum zur Fachtagung<br />

„<strong>Aufbruch</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissensgesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>alle</strong>“<br />

28. März 2009<br />

Mathias brodkorb, bildungspolitischer<br />

Sprecher der SPD-Landtagsfraktion:<br />

Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen und Herren, der<br />

Bildungsbericht der Expertenkommission<br />

beim Bildungsm<strong>in</strong>ister enthält auch Vorschläge<br />

zum Bereich der Sonderpädagogik. Es gab<br />

ke<strong>in</strong>e Berufsgruppe, <strong>die</strong> so sehr auf uns zugekommen<br />

ist wie <strong>die</strong> der Sonderpädagogen. Da<br />

<strong>die</strong> Kolleg<strong>in</strong>nen des Förderzentrums Ribnitz-<br />

Damgarten hier auch vertreten s<strong>in</strong>d, darf man<br />

sagen, dass <strong>die</strong> Idee zu <strong>die</strong>ser Tagung <strong>in</strong> der Tat<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Gespräch mit ihnen entstanden<br />

ist. Wir dachten damals an etwa 50 bis<br />

100 Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmer. Sie<br />

sehen, wir haben heute etwas mehr, nach me<strong>in</strong>er<br />

Kenntnis s<strong>in</strong>d es 350. Das ist e<strong>in</strong>e sehr,<br />

sehr große Zahl und ich glaube e<strong>in</strong>e der größten<br />

Veranstaltungen, <strong>die</strong> es <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Bereich<br />

überhaupt jemals gegeben hat hier im Land.<br />

Aus drei Gründen ist <strong>die</strong>se Tagung auch <strong>für</strong><br />

uns etwas Neues. Erstens: Alle Welt redet von<br />

der <strong>Wissensgesellschaft</strong>, es geht um Stu<strong>die</strong>nanfänger,<br />

es geht um Abiturientenquoten, aber<br />

es wird kaum darüber gesprochen, wie man eigentlich<br />

Bildungsbenachteiligte fördern kann.<br />

Und zur <strong>Wissensgesellschaft</strong> gehören <strong>alle</strong>,<br />

auch <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> nicht über so gute Startbed<strong>in</strong>gungen<br />

verfügen wie andere. Deswegen ist<br />

es uns besonders wichtig, <strong>in</strong> das Thema <strong>Wissensgesellschaft</strong><br />

auch <strong>die</strong> Benachteiligtenförderung<br />

zu <strong>in</strong>tegrieren und <strong>in</strong> e<strong>in</strong> stärkeres<br />

Licht zu rücken. Ich hoffe, das wird uns heute<br />

gel<strong>in</strong>gen. Zweitens: Sie haben sicherlich bemerkt,<br />

dass <strong>die</strong>se Fachtagung <strong>in</strong> Kooperation<br />

mit Verbänden durchgeführt wird, zum Beispiel<br />

GEW, VBE und vds. E<strong>in</strong>ige haben uns<br />

Mathias Brodkorb eröffnet <strong>die</strong> Veranstaltung<br />

gefragt: Was ist denn nun los, ist jetzt <strong>die</strong><br />

GEW Mitglied der SPD? Ne<strong>in</strong>. Wir möchten<br />

das auch ausdrücklich betonen, Herr Sommerfeld<br />

wird das sicherlich auch noch tun. Das<br />

ist e<strong>in</strong>e fachliche Kooperation. Hier bleibt jeder<br />

parteipolitisch unabhängig, aber wir s<strong>in</strong>d<br />

sehr dankbar da<strong>für</strong>, dass es <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

gibt, <strong>die</strong> Fachvertreter<strong>in</strong>nen und Fachvertreter<br />

hier <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Tagung e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen und wirklich<br />

<strong>in</strong> der Sache zu diskutieren.<br />

Wir führen hier ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Fachtagung durch.<br />

Es ist ke<strong>in</strong>e Weiterbildung <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass<br />

wir <strong>in</strong>teressante Themen erörtern und es am<br />

Ende schön ist, dass wir mal darüber geredet<br />

haben. Natürlich werden wir hoffentlich <strong>alle</strong><br />

an <strong>die</strong>sem Tag e<strong>in</strong>iges lernen und uns austauschen,<br />

aber es ist unser ausdrücklicher Wunsch,<br />

dass wir <strong>in</strong> der Sache diskutieren und nach<br />

Möglichkeit Ergebnisse erzielen, <strong>die</strong> dann auch<br />

9


10<br />

<strong>für</strong> den politischen Prozess hier im Land relevant<br />

s<strong>in</strong>d. Wir wünschen uns e<strong>in</strong>e Diskussion,<br />

<strong>in</strong> der wir zu Ergebnissen kommen, wie man<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land im Bereich der Sonderpädagogik<br />

oder Benachteiligtenförderung <strong>in</strong> der Bildung<br />

e<strong>in</strong> Stück vorankommt. Und deshalb ist<br />

<strong>die</strong> Tagung auch so gestaltet, wie sie gestaltet<br />

ist. Es gibt ke<strong>in</strong>en Politiker, der e<strong>in</strong>en Workshop<br />

moderiert, sondern es s<strong>in</strong>d Vertreter der<br />

Verbände. Und es wird hier auch ke<strong>in</strong>e Ideologie<br />

betrieben, sondern wir s<strong>in</strong>d sehr dankbar,<br />

dass Professor Hartke am Anfang e<strong>in</strong>en fachlichen<br />

E<strong>in</strong>führungsvortrag halten wird, um<br />

das Problemfeld aufzureißen. Dann soll <strong>in</strong><br />

Workshops ergebnisoffen diskutiert werden.<br />

Es gibt ke<strong>in</strong>e Vorfestlegung. Wir s<strong>in</strong>d daran<br />

<strong>in</strong>teressiert, was Sie denken, und wir s<strong>in</strong>d vor<br />

<strong>alle</strong>m darauf angewiesen, von Ihnen aus der<br />

Praxis und aus der Theorie H<strong>in</strong>weise zu bekommen,<br />

was wir <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land verändern<br />

und besser machen müssen.<br />

Was ist der S<strong>in</strong>n des Ganzen? Wir planen, <strong>die</strong><br />

gesamte Veranstaltung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigenen Buch<br />

zu veröffentlichen und jeder Teilnehmer<strong>in</strong> und<br />

jedem Teilnehmer zur Verfügung zu stellen.<br />

Das machen wir deshalb, weil es uns eben wirklich<br />

darum geht, politisch zu diskutieren und<br />

zwar auf fachlicher Basis. Damit am Ende aber<br />

nicht der E<strong>in</strong>druck entstehen kann, dass hier<br />

irgendetwas untergeht oder irgendetwas unterdrückt<br />

wird, werden sämtliche Referate und<br />

auch <strong>die</strong> Diskussion dokumentiert. Deswegen<br />

schlagen wir folgendes Verfahren vor: Wenn<br />

Sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Workshop e<strong>in</strong> Statement abgeben,<br />

dann können Sie <strong>die</strong>s <strong>in</strong> kurzer schriftlicher<br />

Form zu Hause noch e<strong>in</strong>mal zusammenfassen<br />

und per E-Mail an uns schicken, bitte mit dem<br />

H<strong>in</strong>weis, <strong>in</strong> welchem Workshop Sie mitgearbeitet<br />

haben. Ihr Statement wird dann workshopbezogen<br />

veröffentlicht.<br />

Ich danke <strong>für</strong> <strong>die</strong> Aufmerksamkeit und bitte<br />

zunächst Herrn Sommerfeld um e<strong>in</strong> kurzes<br />

Statement.<br />

Ra<strong>in</strong>er Sommerfeld, Sprecher des Aktionsbündnisses:<br />

Sehr geehrter Herr M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

Seller<strong>in</strong>g! Sehr<br />

geehrte Damen und Herren!<br />

Im Namen des Aktionsbündnisses,<br />

das bei der Vorbereitung<br />

<strong>die</strong>ser Tagung zu<br />

sonderpädagogischen Inhal-<br />

Ra<strong>in</strong>er Sommerfeld<br />

ten beratend zur Seite stand,<br />

möchte ich Sie herzlich be-<br />

grüßen und erhoffe mir e<strong>in</strong>en regen Gedankenaustausch.<br />

Das Aktionsbündnis wurde im Frühjahr 2008<br />

anlässlich der Novellierung des Schulgesetzes<br />

unseres Landes <strong>in</strong>s Leben gerufen, um mit<br />

mehr Gewichtung <strong>die</strong> Interessen der K<strong>in</strong>der<br />

und Jugendlichen mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf gegenüber der Politik und den<br />

M<strong>in</strong>isterien zu vertreten. Zu <strong>die</strong>sem Aktionsbündnis<br />

zählt <strong>die</strong> GEW, der Landeselternrat<br />

Mecklenburg-Vorpommern, <strong>die</strong> Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Evangelischer Schulträger, der<br />

Verband Bildung und Erziehung, der Grundschulverband<br />

sowie der Landesverband Sonderpädagogik<br />

vds e.V.<br />

In vielen Gesprächen mit Vertretern der demokratischen<br />

Parteien haben wir unsere Hilfe<br />

zu Fachtagungen angeboten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Interessen<br />

der Beh<strong>in</strong>derten und von Beh<strong>in</strong>derung bedrohten<br />

K<strong>in</strong>der und Jugendlichen im Bildungsbereich<br />

tangieren. Die SPD trat zu uns<br />

mit der Bitte heran, sie bei <strong>die</strong>ser Fachtagung<br />

zu unterstützen. Ich möchte ausdrücklich betonen,<br />

dass wir jeder demokratischen Partei<br />

unseres Landes mit dem gleichen Engagement<br />

zur Seite stehen und zu Themen der sonderpädagogischen<br />

Förderung Hilfe anbieten.<br />

Schule muss sich e<strong>in</strong>em humanistischen Ideal<br />

stellen, von dem <strong>die</strong> gesellschaftliche Realität<br />

leider noch weit entfernt ist – der Integration.<br />

Kurz zum Begriff: Integratio bedeutet <strong>die</strong><br />

Wiederherstellung und Inklusion beh<strong>in</strong>derter


und von Beh<strong>in</strong>derung bedrohter junger Menschen,<br />

das Ziel e<strong>in</strong>er jeden sonderpädagogischen<br />

Intervention. Kurze Erläuterung zum<br />

Begriff Inklusion: Dieser Begriff verweist im<br />

pädagogischen Sprachgebrauch auf soziale und<br />

gesellschaftliche Prozesse, bei Integration eher<br />

auf <strong>in</strong>teraktive Prozesse. Aber dazu wird Herr<br />

Stöppler <strong>in</strong> der Arbeitsgruppe 7 sicherlich<br />

noch nähere Ausführungen machen.<br />

Unsere Gesellschaft, me<strong>in</strong>e Damen und<br />

Herren, ist noch lange nicht so weit, den <strong>in</strong>klusiven<br />

Gedanken fest im Kopf zu verankern.<br />

Wenn man es auch nicht wahrhaben will, das<br />

Grundproblem liegt dar<strong>in</strong>, dass Beh<strong>in</strong>derung<br />

nach wie vor e<strong>in</strong> nicht gesellschaftlich akzeptierter<br />

Zustand ist. Beobachten Sie doch e<strong>in</strong>fach<br />

mal <strong>die</strong> Zunahme von Abtreibungen beh<strong>in</strong>derter<br />

und nicht geborener K<strong>in</strong>der. Die<br />

Gentechnik beschäftigt sich seit langer Zeit<br />

mit dem Klonen von lebenswertem Leben. Beh<strong>in</strong>derung<br />

ist also nicht lebenswert? Es bedarf<br />

e<strong>in</strong>es gesellschaftlichen Wertewandels; Inklusion<br />

muss gesellschaftlich gewollt se<strong>in</strong>. Man<br />

kann sie nicht herbeireden und schon gar nicht<br />

anweisen. Alle bisherigen Erfahrungen verweisen<br />

auch auf bestimmte Gel<strong>in</strong>gensbed<strong>in</strong>gungen,<br />

<strong>die</strong> nicht zum Nulltarif unter der Prämisse<br />

von Kostenneutralität zu haben s<strong>in</strong>d.<br />

Es ist e<strong>in</strong> Entwicklungsprozess, der wachsen<br />

muss. Dieses Land ist schon aufgebrochen zur<br />

<strong>in</strong>tegrativen Pädagogik. Es ist nur allzu oft<br />

durch fehlende Ressourcen sowie fehlende<br />

personelle oder soziale Voraussetzungen abgewürgt<br />

worden. Inklusion bedeutet auch nicht<br />

<strong>die</strong> Abschaffung gesonderter Strukturen. Länder,<br />

<strong>die</strong> seit Jahren Integration praktizieren,<br />

verzichten auch nicht völlig darauf. Es setzt<br />

erst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Umdenken und <strong>die</strong> Umgestaltung<br />

der allgeme<strong>in</strong>en Schule voraus. In e<strong>in</strong>er<br />

Presseerklärung des Verbandes Sonderpädagogik<br />

am Anfang <strong>die</strong>ses Jahres heißt es dazu:<br />

„Integration kann nicht verstanden werden als<br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>seitiger Prozess der Anpassung des<br />

Menschen mit besonderem Förderbedarf an<br />

<strong>die</strong> bestehenden Verhältnisse. Immer ist vom<br />

e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>d auszugehen, jede Förderortbestimmung<br />

hat e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelf<strong>alle</strong>ntscheidung zu<br />

se<strong>in</strong>, bei der <strong>alle</strong><strong>in</strong> maßgebend der <strong>in</strong>dividuelle<br />

Förderbedarf des K<strong>in</strong>des ist.“ Bei <strong>alle</strong>n Schritten<br />

müssen pädagogisches Augenmaß und<br />

fachliche Kompetenz Vorrang haben anstatt<br />

starrer adm<strong>in</strong>istrativer Regelungen. Es darf<br />

ke<strong>in</strong>e konträre Diskussion geführt werden,<br />

me<strong>in</strong>e Damen und Herren, im S<strong>in</strong>ne von entweder<br />

Förderschule oder Integration, sondern<br />

<strong>die</strong> Maxime muss lauten: sowohl als auch! Und<br />

ich möchte dazu noch betonen, wo immer sie<br />

möglich ist. In der Arbeitsgruppe zu <strong>die</strong>ser<br />

Thematik wurde gemahnt, Inklusion darf ke<strong>in</strong>e<br />

Verlierer auf Schülerseite erzeugen.<br />

In <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne wünsche ich der heutigen<br />

Veranstaltung e<strong>in</strong>en guten Verlauf.<br />

11


12<br />

Erw<strong>in</strong> Seller<strong>in</strong>g, M<strong>in</strong>isterpräsident des<br />

Landes Mecklenburg-Vorpommern<br />

E<strong>in</strong>gangsstatement<br />

Me<strong>in</strong>e sehr geehrten Damen<br />

und Herren! Sehr geehrter<br />

Herr Professor Hartke, sehr<br />

geehrter Herr Sommerfeld,<br />

sehr geehrter Herr Brodkorb!<br />

Herr Brodkorb hat eben<br />

Erw<strong>in</strong> Seller<strong>in</strong>g<br />

schon etwas zum Charakter<br />

<strong>die</strong>ser Veranstaltung gesagt,<br />

das ist e<strong>in</strong>e Fachtagung <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass hier<br />

sehr viel Fachverstand zusammengekommen<br />

ist. Aber es geht auch darum, wie das, was hier<br />

erarbeitet wird, h<strong>in</strong>terher <strong>in</strong> tägliche Politik<br />

umgesetzt wird. Und deshalb ist es mir wichtig,<br />

hierher zu kommen. Ich werde auch an<br />

weiten Teilen der Diskussion heute Morgen<br />

teilnehmen können und zuhören, weil ich es<br />

eben <strong>für</strong> sehr wichtig halte, welche Empfehlungen<br />

Sie der Politik geben. Es ist eben schon<br />

gesagt worden, über 350 sehr engagierte Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

und Lehrer vor <strong>alle</strong>m von Förderschulen<br />

– Pädagogen und Sozialwissenschaftler<br />

– s<strong>in</strong>d hier. Sie <strong>alle</strong> setzen sich tagtäglich<br />

sehr engagiert <strong>in</strong> Ihrer Arbeit <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der und<br />

Jugendliche e<strong>in</strong>, <strong>die</strong> unsere besondere Unterstützung<br />

brauchen. Für mich ist das e<strong>in</strong> sehr<br />

wichtiges Thema <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Ich b<strong>in</strong> auch deshalb gern hierher gekommen<br />

zu Ihnen, um an <strong>die</strong>ser Tagung teilzunehmen,<br />

weil ich bei me<strong>in</strong>en Besuchen <strong>in</strong><br />

Kitas und Schulen immer wieder sehr begeistert<br />

b<strong>in</strong> von der Arbeit, <strong>die</strong> hier im Land geleistet<br />

wird.<br />

Mir geht es sehr darum, dass wir <strong>in</strong> Kitas und<br />

Schulen hervorragende Arbeit leisten. Wir<br />

brauchen <strong>die</strong>se Arbeit gerade <strong>für</strong> Benachteiligte.<br />

Diese Arbeit ist lebenswichtig <strong>für</strong> jedes e<strong>in</strong>zelne<br />

K<strong>in</strong>d und sie ist von e<strong>in</strong>er riesigen Be-<br />

deutung <strong>für</strong> unsere Gesellschaft. Sie ist e<strong>in</strong><br />

unverzichtbarer Beitrag <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e gerechtere<br />

und menschlichere Gesellschaft. Und deshalb<br />

möchte ich Ihnen <strong>alle</strong>n hier im Saal sehr herzlich<br />

danken, e<strong>in</strong> bisschen stellvertretend <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Tausend, <strong>die</strong> hier im Land <strong>die</strong> gleiche Arbeit<br />

tun.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren! Ich b<strong>in</strong> davon<br />

überzeugt, dass wir wieder auf <strong>die</strong> Familie<br />

schauen müssen, das, was sich <strong>in</strong> der Familie<br />

herausbildet und wie wir <strong>in</strong> der Familie mite<strong>in</strong>ander<br />

umgehen, davon können wir <strong>in</strong> der<br />

Gesellschaft viel lernen. In e<strong>in</strong>er Familie ist es<br />

selbstverständlich, dass der Starke dem Schwächeren<br />

hilft, damit der andere auf eigenen Füßen<br />

stehen kann und sich selber helfen kann.<br />

Die Familie lässt nie jemanden <strong>alle</strong><strong>in</strong>, sie ist<br />

immer da, wenn man sie braucht, sie bedeutet,<br />

dass man zusammenhält. Ich möchte als M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

<strong>die</strong>ses wunderschönen Landes,<br />

dass wir <strong>in</strong> ähnlicher Weise <strong>alle</strong> mite<strong>in</strong>ander<br />

umgehen wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Familie. (…) Und ich<br />

möchte sehr gern, dass wir <strong>in</strong> Mecklenburg-<br />

Vorpommern selbstbewusster, stärker und<br />

moderner werden. Für mich ist e<strong>in</strong>e der wichtigsten<br />

Aufgaben dabei, <strong>die</strong> Politik so zu gestalten,<br />

dass wir <strong>alle</strong> mitnehmen. Wir brauchen<br />

e<strong>in</strong>e starke Wirtschaft, aber wir brauchen<br />

auch e<strong>in</strong>e starke soziale Geme<strong>in</strong>schaft und wir<br />

brauchen <strong>alle</strong> im Land, jeden E<strong>in</strong>zelnen. Das<br />

ist auch e<strong>in</strong>e ökonomische Frage. Die Zahl der<br />

Schulabgänger hat sich von 1996, da waren es<br />

30.000, auf etwa 10.000 <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Jahr reduziert,<br />

also auf e<strong>in</strong> Drittel. Und deshalb gilt<br />

ganz besonders, dass wir jeden E<strong>in</strong>zelnen<br />

brauchen. Nur wenn wir <strong>alle</strong> mitnehmen, werden<br />

wir als Geme<strong>in</strong>schaft stark se<strong>in</strong>, auch<br />

wirtschaftlich stark. Wir müssen da<strong>für</strong> sorgen,<br />

dass jede E<strong>in</strong>zelne und jeder E<strong>in</strong>zelne se<strong>in</strong>e<br />

Stärken und Begabungen entwickeln kann, <strong>für</strong><br />

sich persönlich, aber auch, um sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Für den E<strong>in</strong>zelnen ist<br />

das e<strong>in</strong>e Frage von Gerechtigkeit, dass er <strong>die</strong>se


Chance bekommt. Aber <strong>für</strong> uns als Gesellschaft<br />

ist es e<strong>in</strong>e Notwendigkeit. Wenn ich mit<br />

Unternehmern rede, dann sage ich: Das ist<br />

auch e<strong>in</strong>e ökonomische Notwendigkeit. Es ist<br />

langsam bei den Unternehmern angekommen,<br />

dass <strong>die</strong> Fachkräfte knapp werden und dass sie<br />

sich anstrengen müssen, auch Leute zu bekommen,<br />

<strong>die</strong> sie ausbilden können.<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren, Chancengleichheit,<br />

das fängt <strong>in</strong> den Kitas und den Schulen<br />

an, wir haben e<strong>in</strong>iges da<strong>für</strong> getan <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Man darf es hier ruhig<br />

mal loben: Wir haben kostenloses Mittagessen<br />

e<strong>in</strong>geführt <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der aus bedürftigen Familien,<br />

wir hätten noch <strong>für</strong> <strong>alle</strong> etwas tun können,<br />

aber wir haben auch den Wunsch der CDU<br />

erfüllt und im letzten K<strong>in</strong>dergartenjahr <strong>die</strong><br />

Beiträge gesenkt. Jetzt wird es darum gehen,<br />

demnächst das K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetz<br />

zu ändern und anzupassen. Wir haben 2004<br />

e<strong>in</strong>en Festbetrag zur Verfügung gestellt und<br />

damals gab es etwa 10.000 K<strong>in</strong>der weniger als<br />

heute, also da ist e<strong>in</strong>e Anpassung dr<strong>in</strong>gend<br />

notwendig. Und was mir besonders am Herzen<br />

liegt: Da, wo es soziale Brennpunkte gibt,<br />

brauchen K<strong>in</strong>der besondere Betreuung. Langfristig<br />

muss natürlich unser Ziel se<strong>in</strong>, dass Bildung<br />

<strong>in</strong>sgesamt kostenlos ist. Bildung darf<br />

nichts kosten, nicht nur beim Studium, wenn<br />

längst <strong>alle</strong>s gelaufen ist, sondern gerade zu Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>in</strong> den Kitas, wenn <strong>die</strong> Weichen gestellt<br />

werden, ob K<strong>in</strong>der teilnehmen können oder<br />

nicht, selbstverständlich auch mit kostenlosem<br />

Mittagessen <strong>für</strong> <strong>alle</strong> <strong>in</strong> Kita und Schule. Wir<br />

als Land werden das nicht <strong>alle</strong><strong>in</strong>e bezahlen<br />

können, da wird man auch im Bund diskutieren<br />

müssen, damit e<strong>in</strong> Umdenken passiert.<br />

Wenn Chancengleichheit vor <strong>alle</strong>m durch Bildung<br />

passiert, dann s<strong>in</strong>d wir natürlich beim<br />

Thema Schule. Wir haben e<strong>in</strong>iges getan. Das<br />

Ganztagsschulangebot ist vergrößert und wir<br />

haben jetzt das neue Schulgesetz, mit dem wir<br />

<strong>die</strong> Weichen stellen zur selbstständigen Schu-<br />

le, weil wir überzeugt s<strong>in</strong>d, dass es das Beste<br />

ist, wenn vor Ort entschieden wird über den<br />

E<strong>in</strong>satz von Personal und F<strong>in</strong>anzen. Ich habe<br />

eben das e<strong>in</strong>e oder andere Gespräch geführt,<br />

und ich muss natürlich bei Ihnen nachfragen,<br />

<strong>die</strong> Sie <strong>die</strong> Arbeit vor Ort machen: Müssen wir<br />

denn wirklich <strong>die</strong> Förderschule abschaffen, wie<br />

<strong>die</strong> UN-Konvention das verlangt? Und ich<br />

denke Herr Sommerfeld hat <strong>die</strong> Antwort gegeben,<br />

<strong>die</strong> Sie <strong>alle</strong> geben würden, wir brauchen<br />

am Ende wohl beides. Es geht darum, dass wir<br />

<strong>in</strong> beiden Bereichen sehr gut arbeiten. Es wäre<br />

der dümmste Trugschluss der Politik, wenn<br />

wir durch <strong>die</strong> UN-Konvention sagen: Die<br />

K<strong>in</strong>der aus den Förderschulen, <strong>die</strong> ja etwas<br />

teurer s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> geben wir jetzt <strong>in</strong> <strong>die</strong> normalen<br />

Schulen und dann sparen wir Geld. Dann kostet<br />

das natürlich, denn es muss sehr gute Arbeit<br />

gemacht werden, damit wir uns <strong>in</strong> den<br />

Regelschulen um <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der im E<strong>in</strong>zelnen<br />

kümmern können. Wenn wir falsche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

schaffen, dann stürzen Sie sich<br />

auf <strong>die</strong> falschen Arbeiten. Auch dazu brauchen<br />

wir natürlich <strong>die</strong>se Diskussion. Wir müssen<br />

aufpassen, dass wir das Schulgesetz nicht so<br />

organisieren, dass wir e<strong>in</strong>en Anreiz <strong>für</strong> Förderschulen<br />

geben, möglichst viele K<strong>in</strong>der festzuhalten,<br />

sondern wir müssen schon versuchen<br />

zu sagen: Die Fälle, wo das wirklich nötig ist,<br />

wo K<strong>in</strong>der <strong>die</strong>sen Schutz auch brauchen, nicht<br />

nur den Schutz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Klasse an e<strong>in</strong>er Schule,<br />

sondern den Schutz <strong>in</strong>sgesamt, dass sie dann<br />

<strong>in</strong> solch e<strong>in</strong>e Institution gehen. Man muss auch<br />

Anreize und Strukturen schaffen, damit möglichst<br />

viele K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Regelschulen gehen können<br />

und dort ihren Schwächen zu begegnen<br />

und ihnen dort geholfen wird. Da bitte ich um<br />

e<strong>in</strong> bisschen Verständnis, <strong>für</strong> das, was <strong>die</strong> Politik<br />

dann leisten muss. Wir müssen versuchen,<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu f<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> denen Sie<br />

gute Arbeit leisten können und <strong>in</strong> denen wir<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong>ses Land, das nicht das reichste ist <strong>in</strong> der<br />

Bundesrepublik Deutschland, unsere Gelder<br />

1


1<br />

so e<strong>in</strong>setzen, dass es <strong>für</strong> <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der das Bestmöglichste<br />

schafft. Also me<strong>in</strong>e Damen und<br />

Herren! Ich hoffe, dass deutlich geworden ist,<br />

welch großes Interesse auch der M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

<strong>die</strong>ses Landes daran hat, H<strong>in</strong>weise da<strong>für</strong><br />

zu bekommen, wie wir <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Bereich besser<br />

werden können, wie sich Politik aufstellen<br />

kann, dass wir gute Arbeit machen. Deshalb<br />

wünsche ich mir sehr, dass <strong>die</strong>s e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

Tagung wird mit vielen guten Anregungen<br />

und Sie dürfen dann darauf hoffen,<br />

dass wir <strong>die</strong>se möglichst klug umsetzen. In<br />

<strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne wünsche ich Ihnen e<strong>in</strong>en schönen<br />

Tag. Vielen Dank.<br />

Prof. Dr. bodo Hartke, Universität Rostock<br />

E<strong>in</strong>führender Vortrag<br />

Sonderpädagogik <strong>in</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommern:<br />

Ist-Stände und Perspektiven<br />

Sehr geehrter Herr M<strong>in</strong>isterpräsident,<br />

sehr geehrte<br />

Damen und Herren,<br />

ich freue mich sehr, dass<br />

auf <strong>die</strong>ser Veranstaltung<br />

Fragen der Sonderpädagogik<br />

<strong>in</strong> Mecklenburg-Vor-<br />

Prof. Dr. Bodo Hartke<br />

pommern grundsätzlich<br />

diskutiert werden, <strong>die</strong> SPD-Landtagsfraktion<br />

sich <strong>die</strong>ses Themas annimmt und dabei von<br />

e<strong>in</strong>em Aktionsbündnis der wichtigsten bildungspolitischen<br />

Verbände unterstützt wird!<br />

Es ist me<strong>in</strong>e feste Überzeugung, dass e<strong>in</strong>e<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit sonderpädagogischen<br />

Fragen – mit Fragen der Förderung von beh<strong>in</strong>derten<br />

und von Beh<strong>in</strong>derung bedrohten K<strong>in</strong>dern<br />

e<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>n <strong>für</strong> jeden Pädagogen ist, und<br />

dass <strong>die</strong> Zusammenarbeit zwischen verschiedenen<br />

Professionalitäten zugunsten von K<strong>in</strong>dern,<br />

<strong>die</strong> besonderen Entwicklungsrisiken unterliegen,<br />

sich letztlich positiv auf <strong>die</strong> Bildung<br />

und Erziehung <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der auswirkt. Erfahrungen<br />

wie<br />

• Zusammenhalten und e<strong>in</strong>ander helfen<br />

machen auch Spaß,<br />

• Schwierigkeiten s<strong>in</strong>d <strong>alle</strong><strong>in</strong>e und mit Hilfe<br />

anderer zu überw<strong>in</strong>den,<br />

• Leistung ist nicht <strong>alle</strong>s und<br />

• ich b<strong>in</strong> auch verantwortlich da<strong>für</strong>, dass es<br />

<strong>alle</strong>n gut geht,<br />

also Erfahrungen von Zusammengehörigkeit,<br />

Selbstwirksamkeit, Verantwortung und Solidarität<br />

haben auch etwas mit Zusammenleben


mit Menschen mit besonderen Lebensproblemen<br />

zu tun und <strong>die</strong>se sollten ke<strong>in</strong>esfalls aus<br />

der allgeme<strong>in</strong>en Pädagogik ausgegrenzt werden.<br />

Gegenstand me<strong>in</strong>es Referates „Sonderpädagogik<br />

<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern: Ist-Stände<br />

und Perspektiven“ s<strong>in</strong>d Strukturdaten zur Beschulung<br />

von Schülern mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf. Thema ist nicht <strong>die</strong> tägliche<br />

praktische Arbeit der Kolleg<strong>in</strong>nen und<br />

Kollegen unter qualitativen Aspekten – hierzu<br />

liegen ke<strong>in</strong>e Daten vor – und ich gehe davon<br />

aus, dass <strong>in</strong> den Förderschulen und Förderzentren<br />

<strong>in</strong> MV genauso gute Arbeit geleistet wird<br />

wie anderswo auch. Nur das ist hier nicht das<br />

Thema. Problematisch s<strong>in</strong>d gegenwärtig zentrale<br />

Strukturdaten der Sonderpädagogik und<br />

mit <strong>die</strong>sen setze ich mich hier ause<strong>in</strong>ander. Zudem<br />

möchte ich Bezugspunkte <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Reform<br />

der Sonderpädagogik <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Bundesland<br />

nennen – e<strong>in</strong>e Diskussion hierzu anregen. Ich<br />

gehe hierzu auf folgende Punkte e<strong>in</strong>:<br />

1. E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> <strong>die</strong> Thematik: Zum aktuellen<br />

Grundkonsens über sonderpädagogische<br />

Förderung<br />

2. Sonderpädagogische Förderung <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

im Bundesvergleich<br />

3. Sonderpädagogische Förderung <strong>in</strong><br />

Deutschland im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />

4. Forschungsergebnisse über wirksame Sonderpädagogik<br />

5. Was ist zu tun?<br />

1. E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> <strong>die</strong> Thematik:<br />

Zum aktuellen Grundkonsens über<br />

sonderpädagogische Förderung<br />

Konsensfähige Aussagen <strong>in</strong> der aktuellen wissenschaftlichen<br />

Diskussion um sonderpädagogische<br />

Förderung s<strong>in</strong>d:<br />

• Im Mittelpunkt sonderpädagogischer Theorie<br />

und Praxis sollten weniger <strong>die</strong> Klassifikati-<br />

on und Kategorisierung von Störungen und<br />

damit verbundene <strong>in</strong>stitutionelle Festlegungen<br />

stehen, sondern <strong>die</strong> adaptive Entwicklungsförderung<br />

des K<strong>in</strong>des mit physischen,<br />

psychischen oder sozialen Bee<strong>in</strong>trächtigungen.<br />

Zwar sollten Diagnosen möglichst genau se<strong>in</strong>,<br />

Störungen auch benannt und spezifische Hilfen<br />

geleistet werden. Es ist aber zu bedenken, dass<br />

jedes K<strong>in</strong>d Entwicklungsprozessen unterliegt<br />

und feste Zuschreibungen von Defiziten Entwicklungen<br />

hemmen können. Stigmatisierende<br />

Prozesse s<strong>in</strong>d zu vermeiden, Aufgabe von Sonderpädagogik<br />

ist <strong>in</strong>dividualisierte Entwicklungsförderung.<br />

• Gerade <strong>die</strong> am häufigsten vorkommenden<br />

deutlichen Entwicklungsprobleme<br />

- kognitive Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />

- Sprachentwicklungsstörungen<br />

- Lese-Rechtschreibstörungen<br />

- Rechenstörungen<br />

- Aufmerksamkeitsdefizite<br />

- Aggression und Del<strong>in</strong>quenz<br />

- Ängste und Zurückgezogenheit<br />

entstehen über längere Zeiträume und<br />

unterliegen – wie jegliche menschliche<br />

Entwicklung – e<strong>in</strong>em Wechselspiel von<br />

Risiko- und Schutzfaktoren.<br />

In <strong>die</strong>ses Wechselspiel unterschiedlicher<br />

Faktoren gilt es, frühzeitig angemessen<br />

e<strong>in</strong>zugreifen. Risikofaktoren s<strong>in</strong>d zu<br />

m<strong>in</strong>imieren, förderliche und protektive<br />

Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen zu stärken. Wir<br />

dürfen nicht warten, bis <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der<br />

gescheitert s<strong>in</strong>d!<br />

• Statt sich um cut-off-po<strong>in</strong>ts und Def<strong>in</strong>itionen<br />

von sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

zu streiten, sollte davon ausgegangen<br />

werden, dass e<strong>in</strong> Kont<strong>in</strong>uum des Förderbedarfs<br />

besteht. Diesen besonderen Förderbedarf<br />

von K<strong>in</strong>dern im pädagogischen Handeln<br />

zu berücksichtigen, ist geme<strong>in</strong>same<br />

15


16<br />

Aufgabe von Vorschulerziehern, Schulpädagogen<br />

<strong>alle</strong>r Schularten, Sozialpädagogen<br />

und Schulpsychologen. Als erste wichtige<br />

Ergebnisse der Mecklenburger Längsschnittstu<strong>die</strong><br />

– <strong>die</strong> Frau Prof. Koch und ich<br />

gegenwärtig durchführen – s<strong>in</strong>d festzuhalten:<br />

Bereits 12 % der K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>schulungsjahrgangs<br />

– wir untersuchten <strong>in</strong>sgesamt<br />

über 1600 Schüler <strong>in</strong> Rostock und auf<br />

Rügen – brauchen <strong>in</strong> differenzierter Art und<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em unterschiedlichen Ausmaß besondere<br />

pädagogische Hilfen. Diese Hilfen betreffen<br />

<strong>in</strong>sbesondere Vorläuferfähigkeiten<br />

schulischen Lernens wie pränumerisches<br />

Wissen oder phonologische Bewusstheit,<br />

akustische und visuelle Wahrnehmungs-<br />

und Gedächtnisleistungen, rezeptive sprachliche<br />

Fähigkeiten, Konzentration und Ver-<br />

Im Publikum: Sonderpädagog<strong>in</strong>nen und Sonderpädagogen<br />

aus <strong>alle</strong>n Teilen des Landes.<br />

halten. Ebenfalls wurde bei der Auswertung<br />

<strong>die</strong>ser Daten deutlich, dass frühe Zuordnungen<br />

<strong>in</strong> Diagnoseförderklassen hohen<br />

Fehlerquoten unterliegen, frühe Klassifizierungen<br />

möglichst zu vermeiden s<strong>in</strong>d (<strong>die</strong>se<br />

Ergebnisse der Mecklenburger Längsschnittstu<strong>die</strong><br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em 180-seitigen Bericht<br />

differenziert dargestellt und über <strong>die</strong><br />

Homepage des Instituts <strong>für</strong> Sonderpädago-<br />

gische Entwicklungsförderung der Philosophischen<br />

Fakultät der Universität Rostock<br />

abrufbar).<br />

Die Beantwortung der Frage, wie <strong>die</strong>sen<br />

K<strong>in</strong>dern – <strong>die</strong>sen 12 % sowie deutlich physisch<br />

geschädigten K<strong>in</strong>dern – <strong>in</strong> Kooperation<br />

von Sonderpädagogik, allgeme<strong>in</strong>er<br />

Schulpädagogik und Sozialpädagogik frühzeitig<br />

optimal geholfen werden kann, ist<br />

Aufgabe e<strong>in</strong>er zeitgemäßen Sonderpädagogik.<br />

Und: Es gilt im Rahmen <strong>die</strong>ser Kooperation<br />

zu verh<strong>in</strong>dern, dass 20 – 25 % e<strong>in</strong>es Jahrgangs<br />

beim Verlassen der Schule über ke<strong>in</strong>e<br />

ausreichenden Kenntnisse im Lesen, Schreiben<br />

und Rechnen verfügen, sich also der<br />

Anteil der K<strong>in</strong>der mit besonderem Förderbedarf<br />

noch im Laufe der Schulzeit erhöht.<br />

• Konsens besteht – neben der gerade geschilderten<br />

stärkeren Zentrierung der Sonderpädagogik<br />

auf Entwicklungsprozesse<br />

und Entwicklungspotenziale statt auf Defizite<br />

– auch <strong>in</strong> den Zielen sonderpädagogischen<br />

Handelns: Letztlich geht es um <strong>die</strong><br />

Gewährleistung des Artikels 1 und des Artikels<br />

3 Absatz 3 des Grundgesetzes <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der,<br />

Jugendliche und Erwachsene mit physischen<br />

und psychosozial bed<strong>in</strong>gten<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen: „Die Würde des Menschen<br />

ist unantastbar ... Niemand darf wegen<br />

e<strong>in</strong>er Beh<strong>in</strong>derung benachteiligt werden.“<br />

Die Würde e<strong>in</strong>es jeden Menschen ist<br />

an sich gegeben, jeder Mensch ist wertvoll<br />

an sich und Leben ist s<strong>in</strong>nvoll. Genauso wie<br />

<strong>für</strong> Nichtbeh<strong>in</strong>derte gilt <strong>für</strong> bee<strong>in</strong>trächtigte<br />

Personen <strong>die</strong> Auffassung, der Mensch ist e<strong>in</strong><br />

aktiv handelndes Subjekt – durch Bildung<br />

und Erziehung gilt es, Mündigkeit und<br />

selbstständige Bewältigung des eigenen Lebens,<br />

verantwortliches Zusammenleben mit<br />

anderen zu fördern. Zu den Zielen e<strong>in</strong>er<br />

zeitgemäßen Sonderpädagogik e<strong>in</strong> Zitat<br />

von Franz Wember:


„Leitziel ist mittlerweile <strong>die</strong> größtmögliche<br />

Selbstverwirklichung durch persönliche Autonomie<br />

bei möglichst umfassender Integration <strong>in</strong><br />

Familie, Geme<strong>in</strong>de und Gesellschaft: Der Lebensalltag<br />

Beh<strong>in</strong>derter soll so normal wie möglich<br />

gestaltet werden, <strong>die</strong> <strong>in</strong>dividuelle Entwicklung<br />

des E<strong>in</strong>zelnen soll über den gesamten<br />

Lebenslauf unterstützt werden und der Selbstbestimmung<br />

und Eigentätigkeit der Betroffenen ist<br />

Vorrang zu gewähren vor Fremdbestimmung<br />

und aufgezwungener Hilfe.“ (Wember 2003,<br />

S. 14)<br />

Sonderpädagogik heute ist e<strong>in</strong>e wertgeleitete<br />

humanistische Diszipl<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Menschen mit<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen bei der Entwicklung von<br />

<strong>in</strong>dividuellen Kompetenzen, persönlicher Autonomie<br />

und Identität unterstützt – <strong>in</strong> der es<br />

darum geht, wie Menschen mit Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />

möglichst am wenigsten durch ihre<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen und durch <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

beh<strong>in</strong>dert werden, e<strong>in</strong> selbstbestimmtes erfülltes<br />

Leben zu leben. Es geht heute nicht darum,<br />

ob Teilhabe und Integration angezeigt<br />

s<strong>in</strong>d, sondern darum, wie <strong>die</strong>se am besten gel<strong>in</strong>gt!<br />

Handlungsfelder von Sonderpädagogen s<strong>in</strong>d<br />

heute neben Sonderschulen vor <strong>alle</strong>m K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />

und Schulen jeglicher Schulart.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund der Ergebnisse der Forschung<br />

über <strong>die</strong> Wirksamkeit von Prävention<br />

und Integration sowie angesichts ethisch moralischer<br />

Setzungen lässt sich das Konzept<br />

„Sonderbeschulung“ <strong>für</strong> <strong>die</strong> Mehrheit der K<strong>in</strong>der<br />

mit besonderem oder sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf nicht aufrechterhalten.<br />

Diese Aussage werde ich im 4. Abschnitt<br />

me<strong>in</strong>es Vortrages weiter belegen. Zunächst<br />

aber zu Ist-Ständen <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

im Bundesvergleich.<br />

2. Sonderpädagogische Förderung <strong>in</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommern im Bundesvergleich<br />

Im Weiteren stelle ich Ihnen e<strong>in</strong>ige Strukturdaten<br />

der Sonderpädagogik <strong>in</strong> MV im Vergleich<br />

zu Strukturdaten der Bundesrepublik<br />

dar. Basis hier<strong>für</strong> s<strong>in</strong>d Angaben des Statistischen<br />

Bundesamtes/Schuljahr 2007/08 –<br />

Fachserie 11 Reihe 1 (www. destatis.de).<br />

Zunächst e<strong>in</strong>e erfreuliche Nachricht: Von den<br />

13.776 Schülern mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf (SFB) <strong>in</strong> MV wurden 3.131 im<br />

geme<strong>in</strong>samen Unterricht unterrichtet. Der<br />

Anteil der <strong>in</strong>tegrierten Schüler mit SFB beträgt<br />

22 %. Im Bundesdurchschnitt wurden<br />

weniger Förderschüler <strong>in</strong>tegrativ beschult:<br />

16,8 %. Die Praxis zeigt also, dass schulische<br />

Integration <strong>in</strong> MV möglich ist und praktiziert<br />

wird.<br />

Nun e<strong>in</strong>ige eher nachdenklich stimmende Daten:<br />

Der Anteil der Schüler mit SFB an der<br />

Gesamtzahl der Schüler der Klasse 1 bis 10<br />

liegt bei 12,7 % und ist damit doppelt so hoch<br />

wie der Bundesdurchschnitt. Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit,<br />

<strong>in</strong> MV als beh<strong>in</strong>derter Schüler angesehen<br />

zu werden, ist also doppelt so hoch wie<br />

im Bundesdurchschnitt. Die Zahl der K<strong>in</strong>der<br />

mit offiziell attestierten SFB stieg <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahren <strong>in</strong> MV beständig.<br />

Der Anteil der Schüler <strong>in</strong> Förderschulen an<br />

der Gesamtzahl der Schüler der Klassen 1 bis<br />

10 lag bei 9,8 %, im Bundesdurchschnitt bei<br />

5,1 %. Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, Förderschüler<br />

zu werden, ist <strong>in</strong> MV also ebenfalls etwa doppelt<br />

so hoch wie im Bund.<br />

Wie stellt sich <strong>die</strong> Situation dar, wenn man <strong>die</strong><br />

e<strong>in</strong>zelnen Förderschwerpunkte <strong>für</strong> sich betrachtet.<br />

Zunächst Angaben zu den relativen<br />

17


18<br />

Förderschwerpunkt Bund (%) MV (%)<br />

Sehen 0,09 0,07<br />

Hören 0,18 0,25<br />

körperliche und motorische Entwicklung 0,38 0,49<br />

Sprache 0,7 1,4<br />

emotionale und soziale Entwicklung 0,7 1,8<br />

geistige Entwicklung 1,0 2,0<br />

Lernen 2,8 6,4<br />

Gesamt 6,1 12,7<br />

Tabelle 1 Relative Häufigkeiten von Schülern mit Sonderpädagogischem Förderbedarf (SFB) nach Förderschwerpunkten<br />

<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern und <strong>in</strong> der Bundesrepublik 2007/08<br />

Häufigkeiten der Schüler mit e<strong>in</strong>em bestimmten<br />

Förderbedarf <strong>in</strong> MV und im Bund.<br />

Während sich bei stark mit mediz<strong>in</strong>ischen Diagnosen<br />

assoziierten Förderschwerpunkten<br />

(Hören, körperliche und motorische Entwicklung)<br />

<strong>alle</strong>nfalls nur leicht erhöhte Häufigkeiten<br />

ausmachen lassen, bzw. im Förderschwerpunkt<br />

Sehen e<strong>in</strong>e leicht ger<strong>in</strong>gere Häufigkeit, zeigen<br />

sich bei def<strong>in</strong>itionsabhängigen Formen von<br />

SFB <strong>in</strong> MV zum<strong>in</strong>dest verdoppelte Häufigkeiten.<br />

Insbesondere <strong>die</strong> hohen Häufigkeiten<br />

von Schülern mit SFB <strong>in</strong> den Schwerpunkten<br />

emotionale und soziale Entwicklung s<strong>in</strong>d auffällig.<br />

Wie ist der Trend <strong>in</strong> Richtung Integration <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Förderschwerpunkten?<br />

Gerade bei den relativ eng mediz<strong>in</strong>isch diagnostizierbaren<br />

Förderschwerpunkten Hören,<br />

Sehen und motorische Entwicklung zeigt sich<br />

e<strong>in</strong> im Vergleich zur Situation <strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />

günstiger Trend, ebenso bei den Förderschwerpunkten<br />

emotionale und soziale<br />

Entwicklung und Sprache – <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs bei <strong>die</strong>sen<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergrund deutlich erhöhter<br />

Förderbedarfshäufigkeiten. Allen <strong>die</strong>sen Förderschwerpunkten<br />

ist geme<strong>in</strong>sam, dass bei ihnen<br />

<strong>die</strong> Schüler meist zielgleich <strong>in</strong>tegriert beschult<br />

werden können. Anders sieht es bei den<br />

Förderschwerpunkten Lernen und geistige<br />

Entwicklung aus. Geme<strong>in</strong>samer Unterricht<br />

Förderschwerpunkt Bund (%) M-V(%) Vergleich<br />

Sehen 22,9 25,3 +<br />

Hören 20,7 41,8 ++<br />

körperliche u. motorische Entwicklung 16,9 24,2 +<br />

Sprache 25,7 48,2 +<br />

emotionale und soziale Entwicklung 34,1 79,2 ++<br />

geistige Entwicklung 2,8 0,4 -<br />

Lernen 17,4 8,7 -<br />

Gesamt 16,8 % 22,7 % +<br />

Tabelle 2 Relative Häufigkeit von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SFB) im geme<strong>in</strong>samen Unterricht <strong>in</strong><br />

den Klassen 1 bis 10 nach Förderschwerpunkten 2007/08 <strong>in</strong> der Bundesrepublik und <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

Erläuterung: + steht <strong>für</strong> höherer relativer Anteil als im Bund, ++ steht <strong>für</strong> deutlich höherer relativer Anteil als im Bund, -<br />

steht <strong>für</strong> deutlich niedrigerer relativer Anteil als im Bund


verlangt hier von den Lehrern der allgeme<strong>in</strong><br />

bildenden Schulen <strong>die</strong> Bereitschaft zur zieldifferenten<br />

Integration – also zur B<strong>in</strong>nendifferenzierung.<br />

Hier liegen <strong>die</strong> Anteile <strong>in</strong>tegriert<br />

unterrichteter Schüler deutlich unter dem<br />

Bundesdurchschnitt.<br />

Die letztgenannten Befunde s<strong>in</strong>d zudem als<br />

besonders problematisch anzusehen, weil <strong>die</strong><br />

segregierten K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Sonderschulen dort zu<br />

e<strong>in</strong>em erheblichen Anteil nicht von ausgebildeten<br />

Sonderschullehrern unterrichtet werden,<br />

sondern von Lehrern ohne beh<strong>in</strong>dertenspezifische<br />

Ausbildung. Die Aussonderung<br />

führt also nur bed<strong>in</strong>gt zu spezifischen Hilfen.<br />

Zum Nachdenken regen auch <strong>die</strong> Häufigkeiten<br />

der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss<br />

<strong>in</strong> MV an. Bereits <strong>die</strong> hohe Zahl von 10,2 %<br />

Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss im<br />

Bund weist auf problematische Verhältnisse <strong>in</strong><br />

Schulen h<strong>in</strong>. In MV betrug <strong>die</strong>se Zahl 2007/08<br />

15,2 %. Trotz vieler Schüler <strong>in</strong> Förderschulen –<br />

sie machen den großen Teil <strong>die</strong>ser 15,2 % aus –<br />

scheitern dennoch ebenso wie <strong>in</strong> anderen Bundesländern<br />

etwa 6 % der Schüler der<br />

Sekundarstufe I an Regelschulen. Es ist also<br />

nicht so, dass durch den hohen Anteil an Förderschülern<br />

<strong>die</strong> Quote des Scheiterns <strong>in</strong> der Regelschule<br />

abnimmt. Der Anteil der Schüler ohne<br />

Hauptschulabschluss ist bedauerlich hoch!<br />

Zusammenfassend ist zur Struktur der Sonderpädagogik<br />

<strong>in</strong> MV festzuhalten:<br />

• Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, als Schüler mit<br />

SFB und als Förderschüler zu gelten, ist<br />

doppelt so hoch wie <strong>in</strong> den meisten anderen<br />

Bundesländern.<br />

• Die relativ hohen Anteile an Schülern im geme<strong>in</strong>samen<br />

Unterricht <strong>in</strong> den Förderschwerpunkten<br />

emotionale und soziale Entwicklung,<br />

Hören, Sprache, Sehen und motorische<br />

Entwicklung weisen nach, dass geme<strong>in</strong>samer<br />

Unterricht <strong>in</strong> MV möglich ist, <strong>die</strong> rechtlichen-<strong>in</strong>stitutionellen-organisatorischen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen <strong>für</strong> Integration gegeben s<strong>in</strong>d.<br />

• Der deutlich erhöhte Anteil an Förderschülern<br />

<strong>in</strong> MV beruht vorwiegend auf hohen<br />

Schülerzahlen <strong>in</strong> den Schulen <strong>für</strong> Schüler<br />

mit Lernbee<strong>in</strong>trächtigungen und deutlichen<br />

kognitiven Bee<strong>in</strong>trächtigungen.<br />

Weshalb kommen <strong>in</strong> MV doppelt so viele K<strong>in</strong>der<br />

mit SFB wie im Bundesdurchschnitt vor?<br />

Die Gründe hier<strong>für</strong> wurden bisher noch nicht<br />

untersucht – deshalb kann man höchstens<br />

Plausibilitätsabwägungen vornehmen. Mögliche<br />

Gründe könnten se<strong>in</strong> und werden <strong>in</strong> pädagogischen<br />

Diskussionen genannt:<br />

• das Vorherrschen weiter Def<strong>in</strong>itionen von<br />

SFB (was fachlich im Kontext von Sonderbeschulung<br />

nicht akzeptabel ist, da weit reichende<br />

E<strong>in</strong>griffe deutliche Störungen oder<br />

Beh<strong>in</strong>derungen voraussetzen) – oder anders<br />

formuliert: e<strong>in</strong>e grundsätzlich positive E<strong>in</strong>stellung<br />

gegenüber der Sonderbeschulung,<br />

<strong>die</strong> auch bei Schwierigkeiten, <strong>die</strong> anderswo<br />

<strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Schule zu bewältigen<br />

s<strong>in</strong>d, dazu verleitet, von e<strong>in</strong>em SFB und Förderschulbedürftigkeit<br />

auszugehen<br />

• schlechtere Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der mit Lernschwierigkeiten<br />

als <strong>in</strong> anderen Bundesländern – fehlende<br />

Förderung schulleistungsschwacher<br />

und verhaltensauffälliger Schüler <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong><br />

bildenden Schule<br />

• e<strong>in</strong> Lehrerpersonalkonzept, das durch e<strong>in</strong>e<br />

Teilzeitregelung, gekoppelt an Schülerzahlen<br />

<strong>in</strong> Schulen – auch Sonderschulen – e<strong>in</strong>lädt,<br />

möglichst viele Schüler aufzunehmen<br />

• mangelnde bzw. zu unspezifische vorschulische<br />

und schulische Prävention – fehlende<br />

Koord<strong>in</strong>ation der vorschulischen und schulischen<br />

Hilfen<br />

19


20<br />

• e<strong>in</strong> erhöhter Anteil an Schülern mit SFB im<br />

engeren S<strong>in</strong>ne aufgrund e<strong>in</strong>er besonderen<br />

Bevölkerungsstruktur (wobei <strong>die</strong>ses Argument<br />

<strong>alle</strong>nfalls e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>g erhöhten Anteil<br />

erklären kann und nicht e<strong>in</strong>en doppelten<br />

Anteil von Schülern mit SFB).<br />

Alle genannten Punkte s<strong>in</strong>d zum jetzigen<br />

Zeitpunkt als spekulativ zu bezeichnen und<br />

sollten geprüft werden, falls e<strong>in</strong>e ursachenorientierte<br />

Veränderungsstrategie e<strong>in</strong>geschlagen<br />

werden soll.<br />

3. Sonderpädagogische Förderung <strong>in</strong><br />

Deutschland im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />

Bei den gerade angeführten Strukturdaten<br />

habe ich <strong>die</strong> Situation <strong>in</strong> MV mit Durchschnittszahlen<br />

der gesamten Bundesrepublik<br />

verglichen. Wie s<strong>in</strong>d nun aber <strong>die</strong>se Daten<br />

über sonderpädagogische Förderung <strong>in</strong><br />

Deutschland – und damit auch <strong>die</strong> Daten über<br />

MV – <strong>in</strong>ternational e<strong>in</strong>zuordnen?<br />

Europaweit schwanken <strong>die</strong> Angaben zur Häufigkeit<br />

der Schüler mit SFB zwischen < 1 %<br />

und 15 %. Wobei <strong>in</strong> den Staaten mit hohen<br />

Prozentsätzen – es handelt sich vorwiegend<br />

um <strong>die</strong> skand<strong>in</strong>avischen Staaten – separative<br />

Beschulung kaum vorkommt. Anhand e<strong>in</strong>er<br />

weiten Def<strong>in</strong>ition klassifizierte Schüler mit<br />

SFB werden <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Ländern vorwiegend<br />

präventiv und <strong>in</strong>tegrativ gefördert. Dieses Vorgehen<br />

ist fachlich vertretbar, denn weite Def<strong>in</strong>itionen<br />

s<strong>in</strong>d im Kontext Prävention s<strong>in</strong>nvoll<br />

– aber nicht bei weitreichenden, tiefgehenden<br />

E<strong>in</strong>griffen. Bei letzteren s<strong>in</strong>d enge Def<strong>in</strong>itionen<br />

zu verwenden. Die durchschnittliche<br />

Häufigkeit von SFB lag <strong>in</strong> Europa 2003 unter<br />

Berücksichtigung der Daten aus 30 Staaten<br />

bei 5,5 %. In der Mehrheit der Länder werden<br />

höchsten 2 % der Schüler segregiert beschult<br />

– also etwa e<strong>in</strong> Drittel der Schüler mit SFB.<br />

Deutschland gehört zu der Gruppe der Länder,<br />

<strong>in</strong> denen Sonderbeschulungen von Schülern<br />

mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

am häufigsten praktiziert werden.<br />

Die Situation <strong>in</strong> MV – fast 10 % Schüler <strong>in</strong><br />

Sonderschulen – ist also im europäischen Vergleich<br />

äußerst auffällig, noch auffälliger als im<br />

bundesweiten Vergleich. Andere Staaten <strong>in</strong><br />

Europa – aber auch andere Bundesländer –<br />

zeigen also, dass es gel<strong>in</strong>gen kann, selbst bei<br />

e<strong>in</strong>er engen Def<strong>in</strong>ition von SFB <strong>die</strong> Mehrheit<br />

<strong>die</strong>ser K<strong>in</strong>der am Unterricht der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule teilhaben zu lassen.<br />

< 1 % 1 – 2 % 2 – 4 % > 4 %<br />

Cyprus<br />

Greece<br />

Iceland<br />

Italy<br />

Norway<br />

Portugal<br />

Spa<strong>in</strong><br />

Austria<br />

Denmark<br />

Ireland<br />

Liechtenste<strong>in</strong><br />

Lithuania<br />

Luxembourg<br />

Netherlands<br />

Sweden<br />

UK<br />

Belgium (DE)<br />

Estonia<br />

F<strong>in</strong>land<br />

France<br />

Hungary<br />

Latvia<br />

Poland<br />

Slovakia<br />

Tabelle 3 Percentage of pupils with Special Educational Needs <strong>in</strong> segregated sett<strong>in</strong>gs<br />

Quelle: European Agency for Development <strong>in</strong> Special Needs Education (2003)<br />

Belgium (F)<br />

Belgium (NL)<br />

Czech Rep.<br />

Germany<br />

Switzerland


4. Forschungsergebnisse über wirksame<br />

Sonderpädagogik<br />

Natürlich kann man sich nun auf den trotzigen<br />

Standpunkt stellen, <strong>die</strong>se Zahlen sagen<br />

ja noch nichts über <strong>die</strong> Qualität der Förderung<br />

<strong>in</strong> anderen Regionen aus – <strong>die</strong> vorwiegend <strong>in</strong><br />

MV praktizierte Beschulung <strong>in</strong> Sonderschulen<br />

habe Vorteile <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen. Bisherige<br />

Forschungsergebnisse über <strong>die</strong> Wirksamkeit<br />

von Prävention und Integration sprechen gegen<br />

<strong>die</strong>se Auffassung. Hierzu exemplarisch<br />

e<strong>in</strong>e kurze Zusammenfassung des Forschungsstandes<br />

zur Integration bei Lernbeh<strong>in</strong>derungen<br />

(der Begriff „Lernbeh<strong>in</strong>derungen“ wird<br />

hier verwendet, weil er <strong>in</strong> den meta-analysierten<br />

Stu<strong>die</strong>n vorwiegend vorkam):<br />

• Integriert beschulte Lernbeh<strong>in</strong>derte weisen<br />

im Vergleich zu ihren nichtbeh<strong>in</strong>derten<br />

Mitschülern e<strong>in</strong>e ungünstigere soziale Stellung<br />

auf – wobei sie <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> ihren Klassen<br />

nicht sozial isoliert, sondern nur nicht so<br />

anerkannt wie nicht bee<strong>in</strong>trächtigte Klassenkameraden<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

• Integriert beschulte Lernbeh<strong>in</strong>derte weisen<br />

im Vergleich zu ihren nichtbeh<strong>in</strong>derten Mitschülern<br />

und im Vergleich zu Lernbeh<strong>in</strong>derten<br />

<strong>in</strong> Sonderschulen e<strong>in</strong> niedrigeres Begabungskonzept<br />

auf. Allerd<strong>in</strong>gs verschlechtert<br />

sich das Begabungskonzept der Sonderschüler<br />

dramatisch, sobald sie mit Vergleichsprozessen<br />

<strong>in</strong>nerhalb von beruflichen E<strong>in</strong>gliederungsprozessen<br />

konfrontiert werden.<br />

• Neuere Stu<strong>die</strong>n belegen durchgängig bessere<br />

Schulleistungen <strong>in</strong>tegrierter K<strong>in</strong>der mit<br />

Lernbeh<strong>in</strong>derungen.<br />

• Erste Untersuchungen zur beruflichen E<strong>in</strong>gliederung<br />

berichten von Vorteilen <strong>in</strong>tegrativ<br />

beschulter lernbeh<strong>in</strong>derter Jugendlicher.<br />

• Nichtbeh<strong>in</strong>derten Schülern erwachsen<br />

durch <strong>die</strong> Integration lernbeh<strong>in</strong>derter Schüler<br />

ke<strong>in</strong>e nachweisbaren Nachteile.<br />

• Eltern beh<strong>in</strong>derter K<strong>in</strong>der – deren K<strong>in</strong>der<br />

im geme<strong>in</strong>samen Unterricht unterrichtet<br />

werden – äußern sich im Allgeme<strong>in</strong>en positiv<br />

zur Integration.<br />

• Lehrer äußern sich ambivalent. Die Idee<br />

wird be<strong>für</strong>wortet, geht es aber um <strong>die</strong> praktische<br />

Umsetzung, äußern sie sich eher zurückhaltend<br />

(zusammenfassend s. Bless,<br />

2000 und Hartke, 1998).<br />

Forschungsergebnisse über schulische Prävention<br />

zeigen, dass schulische Prävention positiv<br />

wirksam ist: Evident s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> folgenden Maßnahmen:<br />

• Kompensatorische Erziehung vor Schulbeg<strong>in</strong>n<br />

(Goetze, 1991; Perrez, 1994; Wember,<br />

2000)<br />

• gezielte Förderung früher mathematischer<br />

Kompetenzen zur Vermeidung von Rechenschwächen<br />

(Krajewski, 2008), empfehlenswert<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere <strong>die</strong> Programme<br />

„Mengen, zählen, Zahlen“ von Krajewski,<br />

Nied<strong>in</strong>g & Schneider (2007) und „Zahlenzauber“<br />

von Clausen-Suhr (steht kurz vor<br />

der Veröffentlichung, s. vorab Clausen-Suhr,<br />

Schulz & Bricks, 2008)<br />

• gezielte Förderung phonologischer Bewusstheit<br />

zur Vermeidung von Lese-Rechtschreibschwäche<br />

(Mannhaupt, 2008), <strong>in</strong>sbesondere<br />

das Bielefelder Screen<strong>in</strong>g zur Früherkennung<br />

von Lese-Rechtschreibschwäche<br />

(BISC) ( Jansen, Mannhaupt, Marx &<br />

Skworonek, 1999) und das dazugehörige<br />

Förderprogramm „Hören, Lauschen, Lernen<br />

- Sprachspiele <strong>für</strong> Vorschulk<strong>in</strong>der“ von<br />

Küspert und Schneider (2008) s<strong>in</strong>d zu empfehlen<br />

und sofort im vorschulischen Bereich<br />

e<strong>in</strong>setzbar<br />

• gezielte Förderung im Lesen, Schreiben und<br />

Rechnen durch Experten sowie Sprachunterricht<br />

<strong>für</strong> Migrantenk<strong>in</strong>der (Wember, 2000)<br />

21


22<br />

• Verbesserte Unterrichtsqualität – adaptiver<br />

Unterricht (Corno & Snow, 1986; Wang,<br />

1992; Hartke, 2000; Wember, 2001)<br />

• Lehrertra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>in</strong> klientenzentrierter Gesprächsführung<br />

(Tausch & Tausch, 1979;<br />

Asby, Roebuck & Asby, 1984; Borchert,<br />

1995; Goetze, 2001)<br />

• Herstellung e<strong>in</strong>es kooperativen und strukturierten<br />

Schulklimas (Rutter, 1980; Borchert,<br />

1996; Goetze, 2001)<br />

• Schulische Gewaltprävention nach Olweus<br />

(Korte, 1993; Olweus, 1996; Veerbeek und<br />

Petermann, 1999; Schubarth, 2000;)<br />

• Pädagogisch-psychologische Beratung bei<br />

Aggression und regelverletzendem Verhalten<br />

sowie Prüfungsangst mit Methoden der<br />

Verhaltensmodifikation bei schüchternem<br />

Verhalten mit klientenzentrierten Methoden<br />

(Sassenscheidt, 1992) – und: zur Förderung<br />

von Schülern mit Lernschwierigkeiten,<br />

<strong>die</strong> durch Verhaltensauffälligkeiten<br />

wesentlich mitbed<strong>in</strong>gt s<strong>in</strong>d, erwies sich das<br />

<strong>in</strong> Rostock entwickelte Programmpaket<br />

„Schwierige Schüler – 49 Handlungsmöglichkeiten<br />

bei Verhaltensauffälligkeiten“ als<br />

wirksam (Hartke & Vrban, 2008; Hartke,<br />

Diehl & Vrban, 2008).<br />

Was zeigen <strong>die</strong>se Forschungsergebnisse – <strong>die</strong><br />

hier nur überblicksartig wiedergegeben s<strong>in</strong>d<br />

und <strong>die</strong> <strong>für</strong> andere Bereiche ergänzt werden<br />

müssten? Gerade Lernschwierigkeiten, Verhaltensstörungen<br />

und Sprachprobleme s<strong>in</strong>d<br />

ke<strong>in</strong>e unausweichlichen Schicksale, sondern<br />

unterliegen bee<strong>in</strong>flussbaren Entwicklungsprozessen.<br />

Und: Integration ist zwar „ke<strong>in</strong> Rosengarten“,<br />

<strong>in</strong> dem sich Schwierigkeiten von selbst<br />

auflösen, Integration ist aber möglich und<br />

führt <strong>in</strong> der Regel nicht zu ungünstigeren Entwicklungsprozessen<br />

als <strong>die</strong> Förderung <strong>in</strong> Sonderschulen.<br />

Es gibt gut bewährte präventive<br />

Handlungsmöglichkeiten bei Lern- und Verhaltensstörungen.<br />

Gerade <strong>in</strong> den letzten Jah-<br />

ren wurden <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderbereiche Lesen,<br />

Rechnen und Verhalten wirksame Förderprogramme<br />

entwickelt. Die durch Strukturdaten<br />

belegte hoch problematische Situation <strong>für</strong><br />

Schüler mit schwachen Schulleistungen muss<br />

nicht h<strong>in</strong>genommen werden, sondern ist veränderbar.<br />

5. Was ist zu tun?<br />

Abschließend möchte ich e<strong>in</strong>ige Handlungsvorschläge<br />

zur Diskussion stellen:<br />

1. Beibehalten und „Pflege“ der guten Versorgung<br />

mit K<strong>in</strong>dertagesstätten – auch als<br />

kompensatorische pädagogische Grundversorgung<br />

<strong>für</strong> gefährdete K<strong>in</strong>der<br />

2. gezielte vorschulische Förderung gefährdeter<br />

K<strong>in</strong>der – also systematische wissenschaftlich<br />

begleitete Implementation spezifischer<br />

Förderung <strong>in</strong> den vorschulischen<br />

Bereich – Unterstützung der Entwicklung<br />

und E<strong>in</strong>führung von Programmen zur<br />

Früherkennung spezifischer Entwicklungsprobleme<br />

und zur Förderung von (Vor-)<br />

Wissen, Sprache und Verhalten <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />

3. Steigerung der Unterrichtsqualität <strong>in</strong> der<br />

allgeme<strong>in</strong>en Schule – unter Berücksichtigung<br />

von Evidenzkriterien (Qualität def<strong>in</strong>iert<br />

sich hiernach über nachweisbare Effekte<br />

von Konzepten und Methoden)<br />

4. langfristig angelegte frühzeitige <strong>in</strong>nerschulische<br />

Förderung gefährdeter Schüler <strong>in</strong><br />

Kooperation von allgeme<strong>in</strong>er Schulpädagogik<br />

und Sonderpädagogik und weiteren sozialen<br />

Diensten, Ausweitung der sonderpädagogischen<br />

Förderzentrumsarbeit<br />

5. E<strong>in</strong>satz spezifischer evidenter Fördermethoden<br />

bei deutlichen Schulproblemen <strong>in</strong><br />

der allgeme<strong>in</strong>en Schule durch Förderexperten<br />

und nicht Wiederholung der gleichen<br />

Didaktik (e<strong>in</strong>schließlich eventuell<br />

vorhandener Fehler) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er 6. Stunde<br />

durch den bisherigen Fachlehrer (Bünde-


lung von Förderstunden und Vergabe an<br />

Fachleute)<br />

6. Nachqualifizierung von Lehrkräften an<br />

Sonderschulen ohne sonderpädagogische<br />

Ausbildung – zum<strong>in</strong>dest auf dem Niveau<br />

des 1. Staatsexamens (exemplarisch s. hierzu<br />

<strong>die</strong> mit gutem Erfolg praktizierten Kurse<br />

an der Universität Leipzig – e<strong>in</strong> Modell <strong>für</strong><br />

MV/Rostock; e<strong>in</strong> <strong>die</strong>sbezüglicher Antrag<br />

des Instituts <strong>für</strong> Sonderpädagogische Entwicklungsförderung<br />

und Rehabilitation der<br />

Universität Rostock zur E<strong>in</strong>richtung solcher<br />

Kurse liegt dem Bildungsm<strong>in</strong>isterium vor)<br />

7. wissenschaftliche Qualitätsprüfung der<br />

Praxis der Begutachtung durch Sonderpädagogen<br />

<strong>in</strong> M-V – ggf. Fortbildungen <strong>für</strong><br />

Sonderpädagogen oder andere Maßnahmen<br />

zur M<strong>in</strong>derung des Vorkommens fachlich<br />

nicht vertretbarer Gutachten und gutachterlicher<br />

Entscheidungen<br />

8. Koppelung der personellen Versorgung mit<br />

Sonderpädagogen an <strong>die</strong> Gesamtzahl der<br />

Schülerschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region auf der Basis<br />

von bundesweiten Erfahrungssätzen über<br />

sonderpädagogischen Förderbedarf – unter<br />

Berücksichtigung demoskopischer Besonderheiten<br />

wie beispielsweise e<strong>in</strong>e erhöhte Armutshäufigkeit<br />

von Familien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Region<br />

9. wissenschaftlich begleitete E<strong>in</strong>richtung von<br />

Beratungs- und Fortbildungszentren zur<br />

Prävention und Integration <strong>in</strong> der Schule –<br />

als flankierende Maßnahme des Reformprozesses<br />

– mit dem Auftrag der Beratung<br />

<strong>alle</strong>r Beteiligten bei der Umstellung auf vermehrte<br />

Prävention und Integration, Koord<strong>in</strong>ation<br />

<strong>die</strong>ser Arbeit durch e<strong>in</strong>e Sonderbeauftragte<br />

der Landesregierung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Reform der Sonderpädagogik und der Hilfen<br />

<strong>für</strong> schulleistungsschwache Schüler <strong>in</strong><br />

der allgeme<strong>in</strong> bildenden Schule.<br />

Letztlich muss e<strong>in</strong> Ruck durch <strong>die</strong> Pädagogik<br />

und Politik <strong>in</strong> MV gehen, denn <strong>alle</strong> Beteiligten<br />

s<strong>in</strong>d angesichts der aktuellen Herausforderungen<br />

– mehr als 15 % der Schüler <strong>in</strong> MV<br />

scheitern <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong>en Schule – aufgefordert,<br />

bessere Lebens- und Entwicklungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>für</strong> K<strong>in</strong>der mit besonderem Förderbedarf<br />

zu schaffen.<br />

Ich danke Ihnen <strong>für</strong> Ihre Aufmerksamkeit!<br />

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Beltz.<br />

25


26<br />

Diskussion<br />

Annett L<strong>in</strong>dner, Gewerkschaft<br />

Erziehung und<br />

Wissenschaft:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Annett L<strong>in</strong>dner,<br />

ich b<strong>in</strong> von der Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft,<br />

von Haus aus aber<br />

Annett L<strong>in</strong>dner auch Förderschullehrer<strong>in</strong>,<br />

habe unterrichtet an e<strong>in</strong>er<br />

beruflichen Schule mit sonderpädagogischer<br />

Aufgabenstellung <strong>in</strong> Neubrandenburg. Professor<br />

Hartke, vielen Dank <strong>für</strong> <strong>die</strong>se aufschlussreiche<br />

Darstellung. Die spannende Frage, <strong>die</strong><br />

Sie zum Anfang gestellt haben, war: Wo liegen<br />

<strong>die</strong> Ursachen da<strong>für</strong>, dass wir e<strong>in</strong>e so hohe Anzahl<br />

an Förderschülern haben? Sie haben ja<br />

selbst gesagt, dass es leider ke<strong>in</strong>e Untersuchungen<br />

dazu gibt, das wäre <strong>für</strong> mich wirklich<br />

e<strong>in</strong>e spannende Frage gewesen.<br />

Sie haben den Vergleich gebracht Mecklenburg-<br />

Vorpommern im Verhältnis zu den anderen<br />

neuen Bundesländern. Me<strong>in</strong>es Wissens s<strong>in</strong>d <strong>die</strong><br />

Zahlen dort ähnlich und vielleicht muss man <strong>in</strong><br />

der Ursachenforschung da auch ansetzen, wie<br />

das zustande kommen kann. Sie haben mögliche<br />

Gründe aufgezählt und e<strong>in</strong>er ist das Lehrerpersonalkonzept<br />

und, auch wenn es nur im<br />

spekulativen Bereich war, wie Sie sagen, möchte<br />

ich nicht, dass im Raum stehen bleibt, dass Förderschullehrer<br />

Schüler rekrutieren, damit sie<br />

nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Teilzeit gehen müssen. Also: Dagegen<br />

möchte ich mich verwahren.<br />

Ich denke, was wir brauchen, ist, dass wir hier<br />

im Bundesland e<strong>in</strong>e landesweite Konzeption<br />

erarbeiten, wie Integration, Inklusion bei uns<br />

im Land funktionieren sollen und vor <strong>alle</strong>n<br />

D<strong>in</strong>gen, wie wir <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen da<strong>für</strong> schaffen.<br />

Insofern würde ich den Vorschlag <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en<br />

oder e<strong>in</strong>e Sonderbeauftragte <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen<br />

Bereich unterstützen. Danke schön.<br />

Prof. Dr. bodo Hartke, Universität<br />

Rostock:<br />

Ja, e<strong>in</strong>e Untersuchung zu<br />

den Gründen wäre relativ<br />

aufwendig und braucht<br />

auch e<strong>in</strong>fach Zeit. Wir als<br />

Wissenschaftler s<strong>in</strong>d wirk-<br />

Prof. Dr. Bodo Hartke<br />

lich <strong>in</strong> verschiedenster Weise<br />

beh<strong>in</strong>dert, wenn wir<br />

wirklich e<strong>in</strong>e seriöse Aussage treffen wollen,<br />

dann müssen wir zum Teil Untersuchungsverfahren<br />

erst entwickeln, <strong>die</strong> zu reliablen und<br />

validen Aussagen führen. Das würde schon<br />

e<strong>in</strong>mal zwei, drei Jahre dauern und dann <strong>die</strong><br />

Untersuchung durchzuführen, würde auch<br />

e<strong>in</strong>e gewisse Zeit dauern. Viel wichtiger als<br />

e<strong>in</strong>e Ursachenanalyse f<strong>in</strong>de ich eigentlich e<strong>in</strong><br />

Aktionsprogramm zu entwickeln, wie man <strong>die</strong><br />

Sonderpädagogik reformieren kann. Es gibt<br />

Erfahrungssätze, was denn wirklich hilfreiche,<br />

wirksame Sonderpädagogik ist. Und wäre es<br />

nicht möglich, so e<strong>in</strong> Aktionsprogramm zu<br />

entwickeln, auch unter wissenschaftlicher Begleitung,<br />

wo dann <strong>die</strong>se Energie der Wissenschaft<br />

weniger da<strong>für</strong> benutzt wird, <strong>die</strong> Ursachen<br />

noch genauer zu betrachten, sondern<br />

auch <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Schritte und <strong>die</strong> Wirksamkeit<br />

implementierter Maßnahmen zu begleiten.<br />

Ich würde gerne etwas Zukunftsgerichtetes<br />

machen, was K<strong>in</strong>dern sofort nützt und<br />

ich würde gerne Verfahren, Programme der<br />

Frühförderung, der schulischen Prävention<br />

entwickeln und e<strong>in</strong>en Prozess von vielleicht 10<br />

Jahren <strong>in</strong> den Schulen, <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagesstätten,<br />

wo wirklich pädagogisches Handeln weiterentwickelt<br />

wird, aber auch evaluiert wird,<br />

begleiten.


Kar<strong>in</strong> Hübener, Elternverband<br />

hörgeschädigter<br />

K<strong>in</strong>der, Mecklenburg-<br />

Vorpommern:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Kar<strong>in</strong> Hübener,<br />

ich b<strong>in</strong> vom Elternverband<br />

hörgeschädigter K<strong>in</strong>der<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Kar<strong>in</strong> Hübener<br />

und arbeite als Psychotherapeut<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> eigener Niederlassung, <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs weniger<br />

mit K<strong>in</strong>dern als mit Erwachsenen, also<br />

auch mit Eltern. Zunächst mal fand ich <strong>die</strong><br />

Zahlen im Vergleich Mecklenburg-Vorpommern<br />

und Bund bzw. im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />

sehr aufschlussreich. Ich kann verstehen,<br />

dass es hier nicht um e<strong>in</strong>zelne Beh<strong>in</strong>derungen<br />

gehen kann. Allerd<strong>in</strong>gs bewegt mich <strong>die</strong> Frage,<br />

<strong>in</strong>wiefern verschiedene Beh<strong>in</strong>derungen verschieden<br />

<strong>in</strong>tegrierbar s<strong>in</strong>d. Zum Beispiel bei<br />

hörgeschädigten K<strong>in</strong>dern liegt <strong>die</strong> Integrierbarkeit<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich anders als vielleicht bei<br />

K<strong>in</strong>dern mit anderen Beh<strong>in</strong>derungen. Und das<br />

ist natürlich auch aus der eigenen Betroffenheit<br />

– ich b<strong>in</strong> Mutter e<strong>in</strong>er erwachsenen gehörlosen<br />

Tochter – schon e<strong>in</strong>e Frage, <strong>die</strong> unterschiedlich<br />

zu behandeln ist. Was mich noch<br />

bewegt ist: Wo fängt <strong>die</strong> Segregation möglicherweise<br />

an? Wenn ich <strong>die</strong> Entwicklung <strong>in</strong><br />

den letzten 20 Jahren hier <strong>in</strong> Mecklenburg-<br />

Vorpommern betrachte, dann f<strong>in</strong>de ich es sehr<br />

begrüßenswert, dass zunehmend K<strong>in</strong>der mit<br />

Förderbedarf wahrgenommen werden und<br />

auch zunehmend professionelle Hilfen e<strong>in</strong>gesetzt<br />

werden. Allerd<strong>in</strong>gs ist <strong>die</strong> Frage, ob tatsächlich<br />

nicht bei dem Filtern der K<strong>in</strong>der doch<br />

e<strong>in</strong>e Ausgrenzung schon bei der Diagnostik<br />

liegt, nämlich dass möglicherweise dort, wo<br />

sonderpädagogischer Förderbedarf als Begriff<br />

steht, nicht unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Sonderschule dah<strong>in</strong>ter<br />

stehen muss, sondern sich gefragt werden<br />

muss: Warum hat das K<strong>in</strong>d denn sprachliche<br />

oder sozial emotionale Probleme, wo liegt<br />

denn <strong>die</strong> Ursache da<strong>für</strong>, und dass beim Dia-<br />

gnostiker letztlich schon mehr <strong>in</strong>tegratives Gedankengut<br />

e<strong>in</strong>e Rolle spielen müsste, wie wir <strong>in</strong><br />

den Hauptschulen, <strong>in</strong> den normalen Regelschulen<br />

<strong>die</strong>se Probleme besser durch <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong><br />

bildende Schule bewältigen können? Und es<br />

gibt e<strong>in</strong> Drittes, was ich gerne ansprechen<br />

möchte: Mich verwundert es nicht, dass Lehrer,<br />

<strong>die</strong> e<strong>in</strong>e hohe Selbstkompetenz und e<strong>in</strong>e hohe<br />

Kompetenz <strong>in</strong> der Aufmerksamkeit <strong>für</strong> das<br />

K<strong>in</strong>d haben, <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, sich von den K<strong>in</strong>dern<br />

abzugrenzen, damit K<strong>in</strong>der zu Persönlichkeiten<br />

reifen können. Ich f<strong>in</strong>de es empfehlenswert,<br />

<strong>die</strong> Bücher von Herrn W<strong>in</strong>terhoff zu<br />

lesen, <strong>die</strong> s<strong>in</strong>d jetzt <strong>in</strong> der Diskussion, aber ich<br />

kann es nur aus me<strong>in</strong>er praktischen Berufserfahrung<br />

sagen: K<strong>in</strong>der brauchen auch Autorität,<br />

um letztlich <strong>in</strong> ihrem Erwachsenenleben autonom<br />

handeln zu können. Danke.<br />

Prof. Dr. bodo Hartke, Universität Rostock:<br />

Sie haben den Begriff „Integrierbarkeit“ verwendet.<br />

Ich möchte hier nicht als Professor<br />

Allwissend auftreten und auch nicht <strong>für</strong> <strong>alle</strong><br />

sonderpädagogischen Fachrichtungen sprechen,<br />

aber vielleicht e<strong>in</strong> Beispiel: Soweit ich<br />

weiß, gibt es hier auch e<strong>in</strong>e Schule <strong>für</strong> Sehgeschädigte,<br />

<strong>in</strong> der K<strong>in</strong>der mit Sehschädigung<br />

auch überwiegend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Internat beschult<br />

werden. Ich vermute, dass es <strong>die</strong> Vorstellung<br />

gibt, dass <strong>die</strong>s nicht anders geht. Ich will das<br />

auch gar nicht angreifen, aber ich möchte e<strong>in</strong>fach<br />

nur e<strong>in</strong>e andere Vorstellung gegenüberstellen.<br />

In Schleswig-Holste<strong>in</strong> gibt es e<strong>in</strong>e<br />

Schule <strong>für</strong> Sehgeschädigte, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>fach Schule<br />

ohne Schüler ist. Da treffen sich zwar durchaus<br />

Eltern und bl<strong>in</strong>de K<strong>in</strong>der an Wochenenden<br />

oder auch <strong>in</strong> bestimmten Wochen und<br />

machen dort Mobilitätstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g oder bereiten<br />

e<strong>in</strong>en Urlaub vor. „Wie kann ich sehgeschädigt<br />

Ski fahren?“ und solche Themen werden dort<br />

besprochen, aber <strong>die</strong> Lehrer <strong>die</strong>ses Förderzentrums<br />

<strong>in</strong> Schleswig arbeiten <strong>alle</strong> verteilt über<br />

das gesamte Land und betreuen sehgeschä-<br />

27


28<br />

digte bl<strong>in</strong>de K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihren Schulen. Das ist<br />

e<strong>in</strong>e ganz andere Vorstellung davon, wie mit<br />

K<strong>in</strong>dern mit Sehschädigung gearbeitet werden<br />

kann. Und letztendlich haben, wenn man sich<br />

<strong>die</strong> Berichte über Integration ansieht, dann<br />

auch <strong>die</strong> Personen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e Zeit lang glaubten,<br />

das <strong>die</strong>s <strong>in</strong>tegrativ nicht geht, dort sehr häufig<br />

ihre Auffassung revi<strong>die</strong>ren müssen. Es ist e<strong>in</strong>fach<br />

sehr viel mehr möglich als gedacht.<br />

Mathias brodkorb, bildungspolitischer<br />

Sprecher der SPD-Landtagsfraktion:<br />

Ich möchte Herrn Professor Hartke noch e<strong>in</strong>mal<br />

bitten, <strong>die</strong> Frage von Frau L<strong>in</strong>dner zu beantworten:<br />

Wie sieht es <strong>in</strong> den anderen ostdeutschen<br />

Ländern im Bereich des<br />

sonderpädagogischen Förderbedarfs von<br />

Schülern aus, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss<br />

erwerben. Können Sie dazu etwas sagen?<br />

Prof. Dr. bodo Hartke, Universität Rostock:<br />

Also <strong>die</strong> Daten s<strong>in</strong>d ähnlich wie <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern,<br />

und ich habe da<strong>für</strong><br />

auch ke<strong>in</strong>e Erklärung. Me<strong>in</strong>e Vermutung ist<br />

e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong>, dass hier auch noch geschichtlich<br />

bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e positivere E<strong>in</strong>stellung gegenüber<br />

Sonderbeschulung besteht. Es handelt sich<br />

e<strong>in</strong>fach um engagierte Sonderpädagogen, <strong>die</strong><br />

sich wirklich <strong>für</strong> <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>setzen und <strong>die</strong><br />

mit Begeisterung ihre Schulen gestalten. Nur:<br />

Aus <strong>die</strong>ser Sicht des Praktikers kann man<br />

nicht erkennen, was Alternativen s<strong>in</strong>d. Alternativen<br />

abwägen kann man nur durch wissenschaftliche<br />

Vergleiche und durch Untersuchungen.<br />

Ich vermute, dass e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland e<strong>in</strong>e wesentlich positivere<br />

E<strong>in</strong>stellung gegenüber Sonderbeschulung vorherrscht<br />

und dass das mit e<strong>in</strong>er der Gründe<br />

ist.<br />

E<strong>in</strong> anderer Punkt ist vielleicht auch <strong>die</strong>ses<br />

Missverständnis. Ich habe vorh<strong>in</strong> den Ausdruck<br />

„weite Def<strong>in</strong>itionen“ benutzt. Hier werden<br />

K<strong>in</strong>der mit Schwierigkeiten aufgenom-<br />

men, <strong>die</strong> <strong>in</strong> anderen Bundesländern wirklich<br />

nicht <strong>in</strong> Sonderschulen aufgenommen werden,<br />

weil man denkt, es seie<strong>in</strong>e Wohltat <strong>für</strong> <strong>die</strong>se<br />

K<strong>in</strong>der. Bundesweit benutzt man eher enge<br />

Def<strong>in</strong>itionen. Diese Diagnosen von sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf oder Störungsbildern<br />

haben natürlich etwas Ausgrenzendes,<br />

aber wir sollten doch <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Bereich möglichst<br />

präzise se<strong>in</strong> und uns auf e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>stitutionellen<br />

Ebene schon um e<strong>in</strong>e präzise Sprache<br />

bemühen. Im Umgang mit dem K<strong>in</strong>d sollten<br />

wir von <strong>die</strong>sen Begriffen aber möglichst abkehren<br />

und jegliche stigmatisierende Begriffsbildung<br />

vermeiden.<br />

Harald Hillebrecht,<br />

Grundschulleiter <strong>in</strong><br />

Dambeck:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Harald Hillebrecht,<br />

ich b<strong>in</strong> Grundschulleiter<br />

e<strong>in</strong>er freien<br />

Grundschule <strong>in</strong> Dambeck.<br />

Harald Hillebrecht Ich suche seit über e<strong>in</strong>em<br />

halben Jahr nach e<strong>in</strong>er sonderpädagogischen<br />

Kraft, ich suche im ganzen<br />

Bundesland. Land unter ist gegeben! Ich würde<br />

mich freuen, wenn ich heute e<strong>in</strong>e Person<br />

zur E<strong>in</strong>stellung f<strong>in</strong>den könnte.<br />

Jörg Heydorn,<br />

SPD-Landtagsfraktion:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Jörg Heydorn,<br />

ich b<strong>in</strong> der sozialpolitische<br />

Sprecher der SPD-<br />

Landtagsfraktion und ich<br />

würde gern e<strong>in</strong>er Frage nach-<br />

Jörg Heydorn<br />

gehen. Herr Professor Hartke,<br />

Sie haben gesagt, wir haben<br />

<strong>in</strong>sgesamt im Land 12 Prozent K<strong>in</strong>der mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf und wir<br />

sollen aufhören, Förderbedarfe nach <strong>in</strong>dividuellen<br />

Gesichtspunkten zu betrachten und nicht<br />

Mittel je nach diagnostiziertem Förderbedarf


zuweisen, sondern das grundsätzlich an jeder<br />

Schule machen. Ich kenne <strong>die</strong> Situation an den<br />

K<strong>in</strong>dertagesstätten etwas besser. Es gibt e<strong>in</strong>e<br />

große Anzahl von K<strong>in</strong>dern, <strong>die</strong> <strong>die</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />

verlassen und Förderbedarfe haben<br />

<strong>in</strong> den angesprochenen Bereichen Sprache,<br />

Motorik und Adipositas.<br />

Aber wenn man sich das im Detail ansieht,<br />

dann konzentrieren sich <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der auf bestimmte<br />

Sozialräume, also da, wo Sie e<strong>in</strong>en<br />

hohen Anteil an Transferleistungsempfängern<br />

haben, wo Sie e<strong>in</strong>e hohe Migrantenquote haben,<br />

da haben Sie auch e<strong>in</strong>e Konzentration<br />

<strong>die</strong>ser K<strong>in</strong>der. Und ich kann mir vorstellen,<br />

dass das an den Schulen nicht anders ist. Wenn<br />

man jetzt hergeht und sagt, wir weisen Förderbedarfe<br />

und <strong>die</strong> notwendigen Ressourcen nicht<br />

mehr <strong>in</strong>dividualisiert zu, sondern wir gehen<br />

generell an <strong>die</strong> Schulen, wie kann man es dann<br />

schaffen, <strong>die</strong> Mittel gerecht zu verteilen? Also<br />

nach me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung muss schon <strong>in</strong> den<br />

Fokus genommen werden, dass sich <strong>die</strong>se Situationen<br />

<strong>in</strong> bestimmten Bereichen zu konzentrieren<br />

sche<strong>in</strong>en. Danke.<br />

Prof. Dr. bodo Hartke, Universität Rostock:<br />

Da haben Sie völlig Recht. Ich habe davon gesprochen,<br />

dass <strong>die</strong>se Zuweisung gekoppelt se<strong>in</strong><br />

soll an Schülerzahlen und Erfahrungssätze.<br />

Und e<strong>in</strong> Erfahrungssatz ist e<strong>in</strong>fach, dass sonderpädagogischer<br />

Förderbedarf oder Förderbedarf<br />

auch assoziiert ist mit Armut. Wir haben<br />

auch <strong>in</strong> der Stu<strong>die</strong> von Frau Koch und mir<br />

feststellen müssen, dass 80 Prozent der K<strong>in</strong>der<br />

<strong>die</strong>ser 12 Prozent, <strong>die</strong> wir als K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>em<br />

besonderen Förderbedarf diagnostiziert haben,<br />

aus Armutsfamilien kommen. Die Stellenzuweisung<br />

zur Förderung von K<strong>in</strong>dern<br />

nach Erfahrungssätzen muss natürlich <strong>die</strong>se<br />

Faktoren mit berücksichtigen. Man kann nicht<br />

blauäugig e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong> Bevölkerungszahl <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Region nehmen und dann zuweisen, sondern<br />

man muss auch sehen, wie <strong>die</strong> Bevölke-<br />

rungsstruktur <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Region ist. Ich vermute:<br />

Wenn man als Grundversorgung <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

aufgrund e<strong>in</strong>es landesspezifischen<br />

Faktors von 7 Prozent ausgehen<br />

würde, dann müsste man <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Regionen,<br />

wo sich der Förderbedarf konzentriert, natürlich<br />

noch etwas draufpacken und müsste von<br />

e<strong>in</strong>em höheren Prozentsatz ausgehen. Ihr E<strong>in</strong>wand<br />

ist völlig berechtigt.<br />

Ralf Hill, Förderzentrum<br />

Ribnitz-Damgarten:<br />

Gestatten Sie mir, liebe Kolleg<strong>in</strong>nen<br />

und Kollegen, Herr<br />

M<strong>in</strong>isterpräsident, Herr<br />

Brodkorb, vorab e<strong>in</strong>e persönliche<br />

Bemerkung. Ich f<strong>in</strong>de es<br />

Ralf Hill<br />

gut, dass sich <strong>die</strong> Politik entschlossen<br />

hat, sich mit Fachleuten<br />

zusammenzusetzen. Das haben wir im<br />

Rahmen der Empfehlung der Expertenkommission<br />

vermisst, ohne jemandem zu nahe treten<br />

zu wollen. Ich glaube, das ist stark überfällig,<br />

und das würde auch anderen Parteien gut<br />

zu Gesicht stehen, herzlichen Dank, dass Sie<br />

das heute e<strong>in</strong>berufen haben.<br />

Zu e<strong>in</strong>igen ausgewählten Aspekten möchte ich<br />

mich äußern:<br />

Zu den Diagnose-Förderklassen: Wir haben<br />

Anfang der neunziger Jahre als Förderschule<br />

<strong>die</strong> Diagnoseförderklassen mit e<strong>in</strong>gerichtet<br />

an der benachbarten Schule. Wir haben lange<br />

Zeit sehr erfolgreich Schüler, <strong>die</strong> <strong>die</strong> DFK<br />

besucht haben, <strong>in</strong> <strong>die</strong> Grundschulen wieder<br />

<strong>in</strong>tegriert. Man darf aber jetzt nicht e<strong>in</strong>erseits,<br />

das stand im Bericht der Expertenkommission<br />

und wurde heute auch gesagt, beklagen,<br />

dass <strong>die</strong> anschließende Beschulung nicht<br />

mehr erfolgreich verläuft, wenn gleichzeitig<br />

der politische Wille geäußert wird, dass e<strong>in</strong>deutige<br />

Förderschüler <strong>in</strong> der DFK beschult<br />

werden.<br />

29


0<br />

E<strong>in</strong> nächster Punkt: Herr Professor Hartke,<br />

Sie haben angesprochen, was zu tun ist <strong>in</strong> der<br />

Stärkung der vorschulischen Förderung. Wir<br />

haben <strong>in</strong> den neunziger Jahren sehr erfolgreich<br />

Vorklassen geführt. Wir haben Schüler auf<br />

den Besuch der Schule vorbereitet, und zwar<br />

nicht nur Förderschüler. Wir haben e<strong>in</strong>en so<br />

guten Ruf mit unserer Vorklasse am Förderzentrum<br />

Ribnitz-Damgarten gehabt, dass viele<br />

Eltern persönlich zu uns gekommen s<strong>in</strong>d und<br />

gesagt haben, wir bitten Sie sehr herzlich, es<br />

zu ermöglichen, dass unser K<strong>in</strong>d Ihre Vorklasse<br />

besuchen darf, wir wollen, dass unser K<strong>in</strong>d<br />

anschließend z.B. <strong>die</strong> Grundschule <strong>in</strong> Marlow<br />

oder Bad Sülze besucht. Das war politisch<br />

nicht mehr gewollt und <strong>die</strong> Vorklassen wurden<br />

abgeschafft. Wenn Herr Professor Hartke<br />

das jetzt fordert, dann frage ich mich, warum<br />

wurde es Ende der neunziger Jahre abgeschafft?<br />

Herr M<strong>in</strong>isterpräsident, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch<br />

zwischen uns vor ungefähr drei Monaten<br />

haben Sie gesagt, dass Ihnen sehr am<br />

Herzen liegt, <strong>die</strong> hohe Zahl der Schulabbrecher<br />

zu m<strong>in</strong>imieren. Das kann ich voll und<br />

ganz verstehen, das würde mir nicht anders<br />

gehen an Ihrer Stelle und auch selbst ich bedaure<br />

das sehr. Ich b<strong>in</strong> der festen Überzeugung:<br />

Wenn es Förderschulen nicht geben<br />

würde oder perspektivisch nicht mehr geben<br />

sollte, dann wird <strong>die</strong> Zahl der Schulabbrecher<br />

e<strong>in</strong>deutig ansteigen. Wir haben <strong>in</strong> den vergangenen<br />

anderthalb Jahrzehnten unglaublich<br />

viele Schüler aus den Grundschulen und Regelschulen<br />

aufgenommen, <strong>die</strong> nicht mehr bereit<br />

waren, zur Schule zu gehen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>genässt<br />

haben, <strong>die</strong> sich morgens mit Bauchschmerzen<br />

geweigert haben aufzustehen. Was wäre aus<br />

<strong>die</strong>sen Schülern geworden, hätte es <strong>die</strong> Förderschule<br />

nicht gegeben? Darüber sollten wir<br />

nachdenken.<br />

E<strong>in</strong> letzter Punkt: Herr Professor Hartke<br />

sprach <strong>die</strong> wissenschaftliche Begleitung bei<br />

der Praxis der Begutachtung an. Ich glaube mit<br />

Fug und Recht sagen zu können, dass unsere<br />

Diagnostiker e<strong>in</strong>e ausgezeichnete Arbeit leisten.<br />

Wir stellen uns jeglicher Begutachtung<br />

und ich weiß, dass sich <strong>die</strong> Diagnostik nicht<br />

geändert hat, sie ist sogar schärfer geworden.<br />

Wir überweisen ke<strong>in</strong>e Schüler an <strong>die</strong> Förderschule,<br />

<strong>die</strong> dort nicht h<strong>in</strong>gehören. Schon <strong>alle</strong><strong>in</strong>e<br />

durch den Elternwillen, dem, und das ist<br />

auch gut so, immer mehr Raum der Beschulung<br />

<strong>in</strong> den Grundschulen und den Regionalen<br />

Schulen gegeben wird. Dadurch erhalten wir<br />

wesentlich weniger Schüler, <strong>die</strong> eigentlich besser<br />

bei uns aufgehoben wären. Wir betreuen<br />

sie im geme<strong>in</strong>samen Unterricht, das ist auch <strong>in</strong><br />

Ordnung. Aber <strong>die</strong> Praxis der Begutachtung<br />

so <strong>in</strong> Frage zu stellen, wie ich es verstanden<br />

habe, halte ich nicht <strong>für</strong> gut, aber Sie s<strong>in</strong>d<br />

herzlich e<strong>in</strong>geladen, sich bei uns von der ausgezeichneten<br />

Arbeit zu überzeugen. Danke <strong>für</strong><br />

Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Dr. Thomas Stöppler,<br />

Verband Sonderpädagogik<br />

baden-Württemberg:<br />

Ich b<strong>in</strong> zuständig <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

zweite Phase der Sonderschullehrerausbildung<br />

<strong>in</strong><br />

Baden-Württemberg und<br />

leite dort e<strong>in</strong> Sonderschul-<br />

Dr. Thomas Stöppler<br />

sem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Stuttgart. Ich<br />

möchte drei Anmerkungen zu dem Vortrag machen.<br />

(…) Wenn wir <strong>die</strong> Länder anschauen, <strong>die</strong><br />

statistisch hier vorgestellt wurden, <strong>die</strong> ganz wenige<br />

K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Sonderbeschulungsformen haben,<br />

dann s<strong>in</strong>d das <strong>in</strong> der Regel Länder, <strong>in</strong> denen<br />

es auch ke<strong>in</strong> Recht auf e<strong>in</strong>en Schulplatz <strong>für</strong><br />

K<strong>in</strong>der mit massiven Beh<strong>in</strong>derungen gibt. Ich<br />

nenne vor <strong>alle</strong>n D<strong>in</strong>gen das südliche Europa,<br />

wo ganz viele K<strong>in</strong>der überhaupt nicht schulisch<br />

erfasst werden. Ich sage das vor dem H<strong>in</strong>tergrund,<br />

dass letzte Woche e<strong>in</strong>e Kommission der<br />

EU <strong>in</strong> Baden-Württemberg war und sich angeschaut<br />

hat, wie sonderpädagogische Institutio-


nen aussehen sollten, da Griechenland, Südspanien<br />

und Süditalien momentan beg<strong>in</strong>nen,<br />

sonderpädagogische Institutionen aufzubauen.<br />

E<strong>in</strong>e zweite Anmerkung zu den Zahlen: Wenn<br />

wir Länder anschauen wie F<strong>in</strong>nland zum Beispiel,<br />

dann haben <strong>die</strong> natürlich ke<strong>in</strong>e Sonderschulen,<br />

aber sie haben e<strong>in</strong>zelne separate Förderklassen<br />

<strong>in</strong> ihren Systemen. Auch das sche<strong>in</strong>t<br />

mir wichtig, darüber zu reflektieren. Es gibt<br />

unterschiedliche Organisationsformen und<br />

sonderpädagogische Förderung. Und drittens<br />

e<strong>in</strong>e Anmerkung zum Erfolg der Betreuung,<br />

Förderung und Bildung von K<strong>in</strong>dern an Förderschulen<br />

im Bereich Lernen. Wir haben den<br />

E<strong>in</strong>druck, dass dort im vermehrten geme<strong>in</strong>samen<br />

Unterricht vor <strong>alle</strong>n D<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den Altbundesländern<br />

e<strong>in</strong>e Restgruppe an Schülern <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>sen Institutionen verbleibt, und es gibt Untersuchungsergebnisse<br />

aus Berl<strong>in</strong>, dass <strong>für</strong><br />

K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> so stark lernbee<strong>in</strong>trächtigt s<strong>in</strong>d im<br />

umfänglichsten S<strong>in</strong>ne, logischerweise e<strong>in</strong><br />

Hauptschulabschluss nicht <strong>in</strong> Frage kommt.<br />

Also von daher müssen wir auch genau h<strong>in</strong>schauen,<br />

welche K<strong>in</strong>der aus <strong>die</strong>sem Bereich<br />

des Förderschwerpunktes Lernen überhaupt<br />

e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss machen können.<br />

Von daher bitte ich aus me<strong>in</strong>er Sicht darum,<br />

hier das sehr differenziert zu sehen.<br />

Elisabeth Graf, Sprachheilschule<br />

Schwer<strong>in</strong>:<br />

Ich habe zwei Anliegen. Sie<br />

sprechen, Herr Professor<br />

Elisabeth Graf<br />

Hartke, von Vorschulklassen<br />

oder Vorklassen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>gerichtet<br />

werden sollen. Aktuell<br />

sieht es so aus, dass unsere<br />

Vorklasse nicht mehr e<strong>in</strong>gerichtet<br />

werden soll. Die K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> zu uns <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> Vorklasse kommen, s<strong>in</strong>d auf dem Sprachniveau<br />

des Alters von zwei bis drei Jahren und<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> anderen nicht mehr verständlich, kön-<br />

nen auch nicht <strong>in</strong> normale Schulklassen <strong>in</strong>tegriert<br />

werden. Da ist also e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Arbeit<br />

notwendig und ich weiß nicht, wie das zu realisieren<br />

se<strong>in</strong> soll, wenn <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> normalen<br />

K<strong>in</strong>dergärten sprachlich nicht optimal gefördert<br />

werden können.<br />

Das zweite Problem ist: Am Berufsschulförderzentrum<br />

<strong>in</strong> Schwer<strong>in</strong>, was angegliedert<br />

werden soll, s<strong>in</strong>d ganz viele Jugendliche, <strong>die</strong><br />

nicht nur aus Förderschulen kommen, sondern<br />

aus ganz normalen Schulen, z.B. Schulverweigerer,<br />

im Sprach- und im Lernniveau Klasse 3<br />

und 4, sie können nicht lesen, sie können nicht<br />

schreiben, sie verweigern sich und sie s<strong>in</strong>d<br />

nicht <strong>in</strong> der Lage, ganz normal e<strong>in</strong>en Beruf zu<br />

erwerben. Zuvor gab es das BVJS, das war immer<br />

zweijährig. In <strong>die</strong>sen zwei Jahren hatten<br />

wir e<strong>in</strong>e Chance, <strong>die</strong> Schüler, <strong>die</strong> kamen, <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Gesellschaft zu <strong>in</strong>tegrieren und auf e<strong>in</strong>e Berufsausbildung<br />

vorzubereiten und wir hatten<br />

relativ großen Erfolg. Dadurch, dass das BVJS<br />

gestrichen wurde und nur noch e<strong>in</strong>jährig ist<br />

und nur bei bed<strong>in</strong>gtem Förderbedarf zweijährig,<br />

sicher auch aus Kostengründen, ist <strong>die</strong>se<br />

Chance nicht mehr gegeben. In e<strong>in</strong>em Jahr<br />

kann man <strong>die</strong>se Jugendlichen nicht emotional<br />

erreichen, weil sie <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Zeit aufgrund der<br />

vielen Misserfolge und schlimmen Erlebnisse<br />

gar ke<strong>in</strong> Vertrauen aufbauen können. Man erreicht<br />

sie wirklich nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zweijährigen<br />

Zeit, und das, was hier passiert ist, ist, dass<br />

h<strong>in</strong>terher Jugendliche mit 28, 29 und 30 nach<br />

der UN-Def<strong>in</strong>ition immer noch Analphabeten<br />

s<strong>in</strong>d, weil sie nämlich nicht auf e<strong>in</strong>em gehobenen<br />

Sprachniveau an der Gesellschaft teilhaben<br />

können. Wie soll das gelöst werden? Und<br />

<strong>die</strong>se Jugendlichen bekommen K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> dann<br />

wieder <strong>in</strong> der Grundschule s<strong>in</strong>d. Sie fangen gar<br />

nicht erst an, K<strong>in</strong>der vernünftig zu erziehen<br />

und ich weiß nicht, warum <strong>die</strong> Ursachenforschung<br />

nicht endlich mal so ausgerichtet wird,<br />

dass man schaut, wo denn <strong>die</strong> sprachlichen<br />

Kompetenzen <strong>in</strong> unserer Gesellschaft s<strong>in</strong>d.<br />

1


2<br />

Prof. Dr. bodo Hartke, Universität Rostock:<br />

Was sicherlich angesprochen wurde, ist das<br />

Vorkommen von K<strong>in</strong>dern mit wirklich eklatantem<br />

Förderbedarf. Dazu e<strong>in</strong>e Bemerkung:<br />

Sonderpädagogik war, wenn man sich <strong>die</strong> Geschichte<br />

der Sonderpädagogik ansieht, immer<br />

der Versuch e<strong>in</strong>er Antwort auf Probleme <strong>in</strong><br />

der allgeme<strong>in</strong> bildenden Schule. Es g<strong>in</strong>g auch<br />

bei der E<strong>in</strong>richtung der Hilfsschulen darum,<br />

<strong>die</strong> Letzten <strong>in</strong> der Klasse zu unterstützen, und<br />

Sonderpädagogen haben sich eben <strong>für</strong> <strong>die</strong>se<br />

K<strong>in</strong>der engagiert, und das ist heute sicherlich<br />

auch noch so. Wenn es also e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es<br />

Schulsystem gibt, <strong>in</strong> dem es e<strong>in</strong>fach so ist, dass<br />

K<strong>in</strong>der mit besonderen Schwierigkeiten nicht<br />

differenziert gefördert werden, wenn es dort<br />

ke<strong>in</strong>e Personen gibt mit besonderen Qualifikationen,<br />

dann liegt es natürlich nur allzu<br />

nahe, dass es auch E<strong>in</strong>richtungen <strong>für</strong> <strong>die</strong>se<br />

K<strong>in</strong>der geben muss, <strong>die</strong> sich ihrer annehmen.<br />

Deshalb spreche ich mich auch da<strong>für</strong> aus, dass<br />

<strong>die</strong> Qualität der vorschulischen Förderung<br />

und <strong>die</strong> Qualität der Förderung <strong>in</strong> der Schule<br />

gesteigert werden, <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>e Pädagogik<br />

muss sich e<strong>in</strong>fach qualitativ verbessern und <strong>die</strong><br />

K<strong>in</strong>der, von denen Sie berichten, s<strong>in</strong>d auch das<br />

Ergebnis e<strong>in</strong>es Entwicklungsprozesses.<br />

Wir wissen heute, dass sich Verhalten und<br />

auch kognitive Kompetenzen von Geburt an<br />

entwickeln und dass <strong>die</strong>se Entwicklungsprozesse<br />

bee<strong>in</strong>flussbar s<strong>in</strong>d, und das, was Sie dort<br />

schildern, ist dann das Ergebnis e<strong>in</strong>es Scheiterns.<br />

Ich hoffe, Sie können das Bild mit mir<br />

teilen, dass es e<strong>in</strong>fach s<strong>in</strong>nvoll ist, möglichst<br />

frühzeitig angemessene Hilfen <strong>für</strong> <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der<br />

zu leisten, kompensatorische Erziehung,<br />

Frühförderung, auch vorschulische Erziehung<br />

und dann auch angemessene Hilfen <strong>in</strong> der<br />

Schule anzubieten. Sonderpädagogik steht<br />

systemisch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Abhängigkeitsverhältnis<br />

von der Qualität der allgeme<strong>in</strong>en Pädagogik,<br />

Schulpädagogik und auch vorschulischer Förderung.<br />

Wenn dort Missstände bestehen, dann<br />

werden wir sicherlich weiter separate Hilfsangebote<br />

vorhalten müssen. Herr Stöppler hat<br />

auch auf <strong>die</strong> Situation <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland und Skand<strong>in</strong>avien<br />

h<strong>in</strong>gewiesen. In <strong>alle</strong>n Ländern, <strong>in</strong> denen<br />

e<strong>in</strong> differenziertes System der Förderung<br />

<strong>für</strong> K<strong>in</strong>der mit besonderem Förderbedarf besteht,<br />

gibt es auch Sonderbeschulung, <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs<br />

nicht <strong>in</strong> dem Umfang wie hier. Viele<br />

K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> auch <strong>in</strong>tegriert beschult werden,<br />

machen e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss,<br />

und es gibt K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> vermutlich <strong>in</strong> Sonderklassen<br />

längerfristig beschult werden, weil sie<br />

<strong>die</strong>sen Schonraum und auch spezifische Hilfen<br />

brauchen. Bloß: Der Umfang, <strong>in</strong> dem das<br />

hier stattf<strong>in</strong>det, der sollte uns <strong>alle</strong>n doch etwas<br />

zu denken geben.<br />

Ich habe mich nicht unbed<strong>in</strong>gt <strong>für</strong> <strong>die</strong> E<strong>in</strong>richtung<br />

e<strong>in</strong>er bestimmten Organisationsform der<br />

vorschulischen Förderung ausgesprochen. Ich<br />

kann hier auch ke<strong>in</strong> großes Plädoyer <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Vorklassen halten, das müsste man vielleicht<br />

auch noch genauer differenzieren, wie <strong>die</strong> Organisationsform<br />

se<strong>in</strong> müsste <strong>für</strong> <strong>die</strong> vorschulische<br />

Förderung. Wichtiger s<strong>in</strong>d mir e<strong>in</strong>fach,<br />

dass <strong>die</strong> Inhalte gegeben s<strong>in</strong>d. Bei K<strong>in</strong>dern, bei<br />

denen festgestellt wird, dass sie nicht <strong>in</strong> der<br />

Lage s<strong>in</strong>d, Wörter <strong>in</strong> Sätzen zu isolieren, Silben<br />

zu unterscheiden oder Anlaute, Endlaute<br />

und Mitlaute, dass <strong>die</strong>sen K<strong>in</strong>dern geholfen<br />

wird. K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> nicht <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, bei<br />

der E<strong>in</strong>schulung bis neun zu zählen, <strong>die</strong><br />

Schwierigkeiten haben, Mengenvergleiche<br />

vorzunehmen, <strong>die</strong> noch ke<strong>in</strong>en gewissen Zahlbegriff<br />

entwickelt haben, müssen erkannt und<br />

unterstützt werden.<br />

Die Stu<strong>die</strong> von Frau Koch und mir hat e<strong>in</strong>fach<br />

gezeigt, dass dort, wo Personen me<strong>in</strong>ten, sie<br />

können e<strong>in</strong>deutig Diagnose- und Förderklassenschüler<br />

erkennen, sich <strong>in</strong> sehr hohem Umfang<br />

geirrt wurde. Und wenn man sich <strong>die</strong> Validität<br />

und <strong>die</strong> Reliabilität von Messverfahren<br />

ansieht <strong>für</strong> fünf- und sechsjährige K<strong>in</strong>der,<br />

dann ist <strong>die</strong> e<strong>in</strong>fach so ger<strong>in</strong>g, dass wir hohe


Irrtumswahrsche<strong>in</strong>lichkeiten bei frühen Prognosen<br />

haben. Die Früherkennung <strong>die</strong>ser K<strong>in</strong>der,<br />

das ist nach me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen<br />

möglich, und das kann auch falsch<br />

verstanden werden. Frühe Diagnosen s<strong>in</strong>d unheimlich<br />

schwierig und ich persönlich würde<br />

auch davon abraten. Der Schwerpunkt sollte<br />

se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Lernausgangslage <strong>die</strong>ser K<strong>in</strong>der zu<br />

erfassen und sie spezifisch <strong>in</strong> Vorläuferfähigkeiten<br />

mathematischer Kompetenz und <strong>für</strong><br />

den Schriftspracherwerb zu fördern, es müssen<br />

e<strong>in</strong>fach Basic Skills im Bereich Sozialverhalten<br />

geübt werden, und <strong>in</strong> welcher Form das<br />

passiert, dazu habe ich ke<strong>in</strong>e Aussage getroffen.<br />

In der Aufstellung waren auch e<strong>in</strong>ige Länder<br />

dabei, <strong>in</strong> denen wirklich <strong>die</strong> Zahlen kritisch zu<br />

sehen s<strong>in</strong>d. Es gibt e<strong>in</strong>ige Länder, wie Spanien<br />

oder auch Griechenland, <strong>in</strong> denen Sonderpädagogik<br />

erst entwickelt wird. Es gibt auch sehr<br />

viele Länder mit wirklich gut entwickelten<br />

Hilfen, mit e<strong>in</strong>er langjährigen Tradition und es<br />

s<strong>in</strong>d <strong>alle</strong>s Länder, <strong>in</strong> denen <strong>die</strong> Sonderbeschulung<br />

dann bei e<strong>in</strong> bis zwei Prozent oder vielleicht<br />

auch zwischen zwei und drei Prozent<br />

liegt.<br />

Edeltraud Schmitt, Förderschule<br />

am Park behrenhoff:<br />

Edeltraud Schmitt, Schule<br />

<strong>für</strong> Erziehungsschwierige mit<br />

e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Förderschule<br />

am Park Behrenhoff.<br />

Unsere Schule gibt es jetzt<br />

über e<strong>in</strong> Jahr, aber seit gut 10<br />

Edeltraut Schmitt<br />

Jahren beschulen wir erziehungsschwierige<br />

Schüler <strong>in</strong>tegrativ und im<br />

Laufe der letzten Jahre zunehmend Schüler<br />

anderer Schularten, so dass bei uns momentan<br />

Schüler vier verschiedener Schularten beschult<br />

werden, unter anderem eben auch hochbegabte<br />

Schüler. Alle <strong>die</strong>se Schüler, <strong>die</strong> Hälfte s<strong>in</strong>d Erziehungsschwierige,<br />

kommen aus unterschied-<br />

lichen Regionen und werden zum Teil bis zu<br />

drei Stunden am Tag zu uns herangefahren.<br />

Das heißt, über 100 km fahren sie, weil man<br />

<strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der an anderer Stelle nicht beschulen<br />

konnte. Hier ist aber e<strong>in</strong>e Individualität, <strong>die</strong><br />

berücksichtigt werden muss, aber ke<strong>in</strong>e Berücksichtigung<br />

im neuen Schulgesetz f<strong>in</strong>det.<br />

Die schülerbezogene Zuweisung würde trotz<br />

Warteliste <strong>für</strong> unsere Schule das Aus bedeuten,<br />

weil wir das Defizit, was dann an Lehrerzuweisung<br />

besteht, e<strong>in</strong>fach nicht mehr ausgleichen<br />

können. Wir haben bei uns an der Schule<br />

zwei ausgebildete Sonderpädagogen, <strong>alle</strong> anderen<br />

Kollegen haben über zusätzliche Weiterbildung<br />

gezeigt, dass sie sich <strong>die</strong>ser Aufgabe<br />

stellen wollen und trotzdem wissen wir bis<br />

heute nicht genau, wie es weitergeht. Wir wissen<br />

nur, dass der Bedarf da ist und es mit e<strong>in</strong>em<br />

Gleichmachen, wie <strong>die</strong>se schülerbezogenen<br />

Zuweisungen dann aber se<strong>in</strong> werden, nicht zu<br />

lösen ist. Sie sagten vorh<strong>in</strong>, Herr Professor<br />

Hartke, dass <strong>die</strong> <strong>in</strong>tegrative Beschulung an Regelschulen<br />

gezeigt hat, dass <strong>die</strong> berufliche E<strong>in</strong>gliederung<br />

bei <strong>die</strong>sen Schülern positiv verlaufen<br />

ist. Für unsere Schule konnten wir<br />

feststellen, dass <strong>in</strong> den letzten Jahren zunehmend<br />

Schüler der siebten, achten Klasse der<br />

Regelschulen zu uns wechselten, weil sie nach<br />

zwei Schuljahren das Klassenziel nicht geschafft<br />

hatten und somit an <strong>die</strong> Förderschule<br />

wechseln mussten. Diese Schüler f<strong>alle</strong>n raus.<br />

Für <strong>die</strong> Schüler mit Erziehungsschwierigkeiten<br />

kann ich sagen: Bevor sie zu uns kommen, haben<br />

sie <strong>alle</strong> erdenkliche Förderung erhalten,<br />

unter anderem Integration und E<strong>in</strong>zelbeschulung<br />

an den Regelschulen. Diese Schüler f<strong>in</strong>den<br />

<strong>in</strong> Ihrer Berechnung ke<strong>in</strong>e Berücksichtigung,<br />

wo ich auch darum gebeten hatte und<br />

vermisse, dass wir auch zum Beispiel wissenschaftlich<br />

begleitet werden. Was ist mit den<br />

Schülern, <strong>die</strong> wir zum Schulabschluss geführt<br />

haben, <strong>die</strong> <strong>in</strong>zwischen den Hauptschulabschluss<br />

geschafft haben oder auch zurück an


<strong>die</strong> Regelschule s<strong>in</strong>d und sich jetzt der Mittleren<br />

Reife stellen. Ich wünsche mir sehr, dass<br />

der Anerkennung der Förderschule auch gesellschaftlich<br />

mehr Bedeutung e<strong>in</strong>geräumt<br />

wird. Eltern, <strong>die</strong> immer wieder hören, dass<br />

Förderschule ke<strong>in</strong>e Lobby hat, s<strong>in</strong>d auch nicht<br />

bereit, mit uns eng zusammenzuarbeiten. Ich<br />

b<strong>in</strong> nicht gegen Integration. Wenn ich sage,<br />

dass bei uns Schulen verschiedener Schularten<br />

beschult wurden, zeigt das, dass wir ganz stark<br />

<strong>in</strong>tegriert haben. Sicherlich auf e<strong>in</strong>em anderen<br />

Weg. Aber auch da haben wir Erfolg. Und man<br />

muss sich wirklich e<strong>in</strong>gestehen, Individualität<br />

zu fördern und zu beachten. Und <strong>die</strong>se Beachtung,<br />

muss ich Ihnen sagen, <strong>die</strong> vermissen wir.<br />

Danke.<br />

Mathias brodkorb, bildungspolitischer<br />

Sprecher der SPD-Landtagsfraktion:<br />

Daran versuchen wir heute etwas zu verändern.<br />

Ich möchte trotzdem darum bitten, dass wir<br />

uns <strong>in</strong> der Diskussion etwas fokussierter auf<br />

den Beitrag von Herrn Professor Hartke beziehen,<br />

weil <strong>in</strong> den Arbeitsgruppen sehr viel Raum<br />

se<strong>in</strong> wird, zum Beispiel schülerbezogene Mittelzuweisungen<br />

oder Lehrerstundenzuweisungen<br />

etc. zu diskutieren. Jetzt hat zunächst<br />

Herr Professor Prüß das Wort und dann hat<br />

M<strong>in</strong>isterpräsident Seller<strong>in</strong>g darum gebeten, etwas<br />

sagen zu können. Danke.<br />

Prof. Dr. Franz Prüß,<br />

Universität Greifswald:<br />

Franz Prüß, Lehrstuhl Schulpädagogik,<br />

Sozialpädagogik,<br />

Universität Greifswald. Ich<br />

möchte noch auf e<strong>in</strong>ige Probleme<br />

aufmerksam machen<br />

Prof. Dr. Franz Prüß<br />

und auch e<strong>in</strong>ige Zusammenhänge<br />

herstellen, welche Herr<br />

Prof. Hartke genannt hat, aber auch <strong>in</strong> der<br />

Diskussion sichtbar wurden. Und zwar sehe<br />

ich als e<strong>in</strong> besonderes Problem <strong>die</strong> Zurück-<br />

stellung von Schülern. Wir haben doch e<strong>in</strong>en<br />

relativ hohen Anteil an K<strong>in</strong>dern mit verspäteter<br />

E<strong>in</strong>schulung mit 6,8 Prozent und <strong>in</strong> der<br />

Zurückstellung mit 4,2 Prozent, also <strong>in</strong>sgesamt<br />

11 Prozent. Das heißt: Diese K<strong>in</strong>der gehen<br />

zurück <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dergarten und machen<br />

noch e<strong>in</strong> Jahr dasselbe, was sie vorher schon<br />

getan haben. Ich stimme also vollkommen mit<br />

Ihnen übere<strong>in</strong>, dass wir Maßnahmen treffen<br />

müssen, <strong>die</strong> entwicklungsgerecht mit <strong>die</strong>sen<br />

K<strong>in</strong>dern umgehen, damit wir frühzeitig<br />

Schwierigkeiten abbauen und nicht tatsächlich<br />

Defizite potenziert werden. Dass Defizite potenziert<br />

werden <strong>in</strong> der Schule wird deutlich,<br />

wenn wir uns <strong>die</strong> Abgängerzahlen <strong>in</strong> der Berufsausbildung<br />

anschauen.<br />

Was machen wir dann <strong>in</strong> der Zwischenzeit?<br />

Wir haben vor zwei Wochen e<strong>in</strong>e Stu<strong>die</strong> abgeschlossen,<br />

<strong>in</strong> der wir den Übergang von der<br />

Schule <strong>in</strong> <strong>die</strong> Berufsschule untersucht haben,<br />

und zwar <strong>die</strong> beruflichen Schulen mit sonderpädagogischer<br />

Aufgabenstellung und <strong>die</strong> beruflichen<br />

Schulen mit <strong>in</strong>tegrierten Klassen.<br />

Und dort zeigt sich: Wir haben <strong>in</strong>sgesamt 20,4<br />

Prozent Schüler <strong>in</strong> der Berufsausbildung ohne<br />

Abschlusszeugnis, das ist jeder Fünfte. Dar<strong>in</strong><br />

liegt auch e<strong>in</strong> großes Potenzial, wie wir mit<br />

Förderung umgehen. Wir sprechen jetzt auch<br />

nur von Integration <strong>in</strong> dem Bereich Förderschüler.<br />

Wir müssten Integration noch e<strong>in</strong><br />

bisschen weiter fassen. Was machen wir denn<br />

mit den unterschiedlichen Begabungen bis h<strong>in</strong><br />

zu den Gymnasiasten? Wir sollten darüber<br />

nachdenken, was wir <strong>in</strong> Zukunft im Flächenland<br />

Mecklenburg-Vorpommern machen. E<strong>in</strong>en<br />

zweiten Aspekt möchte ich anschneiden<br />

und zwar im Zusammenhang mit der Diskussion,<br />

dass <strong>die</strong> Förderzentren sehr gut s<strong>in</strong>d,<br />

aber <strong>die</strong> Integrationsformen etwas angezweifelt<br />

werden. Ich denke, das ist zurzeit e<strong>in</strong>e Frage<br />

der Betreuungsqualität. Ich kann das sachlich<br />

beurteilen, dass <strong>in</strong> den Förderschulen e<strong>in</strong>e<br />

ganz solide Arbeit geleistet wird, und ich kann


das auch bestätigen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Grundschule.<br />

In der Förderschule wird sehr systematisch<br />

vermittelt, werden Arbeitstechniken gelernt,<br />

dort wird mit Fachkompetenz systematisch<br />

und aufbauend gearbeitet, und sche<strong>in</strong>bar ist es<br />

gegenwärtig so, dass <strong>in</strong> manchen <strong>in</strong>tegrierten<br />

Klassen <strong>die</strong>ses nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Art gemacht<br />

werden kann. Also müssen wir fragen, welche<br />

Betreuungsnotwendigkeiten existieren? Ich<br />

kann mir vorstellen, dass das zum selben Erfolg<br />

führen kann. Aber wir brauchen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

und über <strong>die</strong> muss man dann<br />

sprechen.<br />

Dann will ich e<strong>in</strong>en dritten Aspekt nennen,<br />

weil das Prof. Hartke als Frage aufwarf. Ich<br />

will nicht sagen, dass es e<strong>in</strong>en l<strong>in</strong>earen Zusammenhang<br />

gibt, aber wir haben es mit e<strong>in</strong>er disproportionalen<br />

Reproduktion der Bevölkerung<br />

zu tun <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern. (Heiterkeit)<br />

Disproportionale Reproduktion bedeutet:<br />

Wir haben sozusagen bisher <strong>in</strong> bestimmten<br />

Schichten der Bevölkerung e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Zahl an Geburten. Wir haben ungefähr 40<br />

Prozent von Akademiker<strong>in</strong>nen, <strong>die</strong> s<strong>in</strong>d dauerhaft<br />

k<strong>in</strong>derlos. Und <strong>die</strong> andere Reproduktion<br />

bleibt auch. Damit ist ke<strong>in</strong>e Wertung verbunden.<br />

Das bedeutet: Wir brauchen auch andere<br />

pädagogische Konzepte <strong>in</strong> der Arbeit mit unseren<br />

K<strong>in</strong>dern, und wir brauchen e<strong>in</strong>e andere<br />

Lehrerbildung. Ich sehe das ja selbst bei uns.<br />

Ich kann <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderschule bei mir außerordentlich<br />

wenig machen, wenn ich nicht <strong>die</strong> Kooperation<br />

mit Rostock suche. Also auch <strong>die</strong><br />

Anteile <strong>in</strong> der Lehrerausbildung <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Bereich<br />

müssen wir e<strong>in</strong>fach verändern.<br />

Und e<strong>in</strong> letzter Gedanke, wenn wir <strong>die</strong>se disproportionale<br />

Reproduktion sehen: Wir haben<br />

es zu tun mit e<strong>in</strong>er sozialen Situation, <strong>in</strong> der<br />

wir e<strong>in</strong>en ungeheuren Zuwachs an K<strong>in</strong>dern<br />

haben, <strong>die</strong> sozusagen <strong>in</strong> Sozialhilfe aufwachsen.<br />

Das ist auch e<strong>in</strong>e Beh<strong>in</strong>derung, dass sie<br />

nicht den Zugang zu Bildungspotenzialen haben.<br />

Und das müssen wir verändern, denn <strong>die</strong><br />

Intelligenzpotenzen, <strong>die</strong> da s<strong>in</strong>d, werden ja gar<br />

nicht entwickelt.<br />

Erw<strong>in</strong> Seller<strong>in</strong>g, M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

des Landes<br />

Mecklenburg-Vorpommern:<br />

E<strong>in</strong>ige Worte möchte ich<br />

doch gern noch sagen, ohne<br />

den E<strong>in</strong>druck erwecken zu<br />

wollen, als würde ich jetzt<br />

Erw<strong>in</strong> Seller<strong>in</strong>g<br />

schon ganz viel mitnehmen,<br />

wir werden das ja <strong>in</strong>sgesamt<br />

auswerten. Zunächst zu Professor Prüß. Es ist<br />

doch fasz<strong>in</strong>ierend, dass man auch schwierigste<br />

und unangenehmste Vorgänge leichter beschreiben<br />

kann, wenn man schöne Fremdwörter<br />

da<strong>für</strong> hat. (Heiterkeit) Aber me<strong>in</strong>e Damen<br />

und Herren, das, was Sie beschrieben haben,<br />

ist e<strong>in</strong> riesiges Problem <strong>für</strong> <strong>die</strong>ses Land und<br />

vielleicht wird daran noch e<strong>in</strong>mal deutlich,<br />

dass wir <strong>die</strong>se großen Probleme den allgeme<strong>in</strong>en<br />

Systemen zu lösen versuchen müssen, <strong>in</strong><br />

den allgeme<strong>in</strong>en Kitas, im allgeme<strong>in</strong>en Schulsystem.<br />

Ich möchte mich sehr herzlich bei Professor<br />

Hartke bedanken, der e<strong>in</strong>en sehr fasz<strong>in</strong>ierenden<br />

Vortrag gehalten hat. Ich habe das so<br />

verstanden, dass Sie e<strong>in</strong>ige Fragen aufgeworfen<br />

haben, und ich f<strong>in</strong>de, <strong>die</strong>se Fragen lohnen sich.<br />

Ich vertrete <strong>die</strong> Politik, deshalb muss man genau<br />

aufpassen, dass wir da nicht zu Missverständnissen<br />

kommen.<br />

Ich möchte ganz deutlich sagen: Ich habe aus<br />

Ihrem Vortrag mitgenommen, dass wir darüber<br />

nachdenken müssen, dass wir das allgeme<strong>in</strong>e<br />

Schulsystem stärken, damit es <strong>in</strong> der Lage<br />

ist, <strong>die</strong> <strong>in</strong>tegrativen Leistungen auch zu erbr<strong>in</strong>gen.<br />

Den Vorwurf, <strong>die</strong> Förderschule halte ihre<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler fest, erhebt niemand.<br />

Und es geht auch nicht darum, dann<br />

umgekehrt zu sagen: Wenn wir möglichst viele<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler aus den Förderschulen<br />

herausnehmen, das s<strong>in</strong>d ja nun ver-<br />

5


6<br />

hältnismäßig teure Beschulungen, dann ist da<br />

e<strong>in</strong> Sparpotenzial, sondern es geht <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser<br />

ganzen Diskussion darum, wie wir mehr Qualität<br />

bekommen, wie wir mehr den K<strong>in</strong>dern<br />

helfen. Es sche<strong>in</strong>t mir auf jeden Fall so zu se<strong>in</strong>,<br />

dass wir nicht e<strong>in</strong>e scharfe Trennung machen<br />

dürfen zwischen dem allgeme<strong>in</strong>en Schulsystem<br />

und den Förderschulen, sondern wir brauchen<br />

vielfache Übergänge. Und dazu gehören<br />

natürlich auch separate Förderklassen und<br />

dass wir im allgeme<strong>in</strong>en Schulsystem Hilfestellung<br />

anbieten.<br />

Eben ist angeklungen, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schule Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler drei Stunden fahren müssen.<br />

Wenn ich e<strong>in</strong> bisschen um Verständnis<br />

werbe da<strong>für</strong>, dass <strong>in</strong> der Organisation von<br />

Schule <strong>in</strong> den letzten Jahren nicht <strong>alle</strong>s immer<br />

glatt gelaufen ist, dann nenne ich zwei Zahlen.<br />

1996 hatten wir 30.000 Schulabgänger, wir<br />

werden <strong>die</strong>ses Jahr etwa 10.000 haben, das ist<br />

e<strong>in</strong>e Reduzierung auf e<strong>in</strong> Drittel. Das zu organisieren<br />

ist nicht ganz e<strong>in</strong>fach. Deshalb kann es<br />

nur darum gehen, dass wir geme<strong>in</strong>schaftlich etwas<br />

h<strong>in</strong>bekommen und bei <strong>die</strong>ser demografischen<br />

Entwicklung <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem sehr weiten<br />

Land ist klar, dass wir bestimmte hervorragende<br />

Angebote nur noch dadurch erbr<strong>in</strong>gen können,<br />

dass nicht <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der drei Stunden fahren, sondern<br />

derjenige, der <strong>die</strong>ses spezielle Angebot erbr<strong>in</strong>gt,<br />

fahren muss. Insofern b<strong>in</strong> ich sehr nahe<br />

bei Ihnen, dass es <strong>die</strong> Möglichkeit geben muss,<br />

im allgeme<strong>in</strong>en Schulsystem wichtige Hilfestellungen<br />

zu erbr<strong>in</strong>gen.<br />

Ich habe bisher den E<strong>in</strong>druck, dass niemand<br />

<strong>in</strong>frage stellt, dass wir natürlich hervorragende<br />

Förderschulen brauchen, dass wir sie im Land<br />

haben. Die Diskussion geht darum, <strong>für</strong> wie<br />

viele Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler? Ganz wichtig<br />

sche<strong>in</strong>t mir auch, was wir mit der Selbstständigen<br />

Schule begonnen haben. Ich halte es <strong>für</strong><br />

richtig, dass der Staat natürlich e<strong>in</strong>en Rahmen<br />

zur Verfügung stellt, aber dass <strong>in</strong> vielen Bereichen<br />

vor Ort selbst entschieden wird, was das<br />

Klügste und das Richtige ist. Ich habe Sie so<br />

verstanden, dass Sie auch <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Richtung<br />

gehen wollen und sagen: Es kann sehr klug<br />

se<strong>in</strong>, wenn <strong>die</strong> Entscheidungen vor Ort selbst<br />

getroffen werden. Und dass dabei natürlich<br />

das Sozialräumliche unbed<strong>in</strong>gt mit e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden muss, darüber herrscht hier große<br />

E<strong>in</strong>igkeit. Ich kann auch deutlich sagen: Wir<br />

werden jetzt das KiföG im Jahre 2009 diskutieren<br />

und dann reformieren. Dabei wird e<strong>in</strong><br />

wichtiger Teil natürlich auch se<strong>in</strong> müssen, dass<br />

wir Geld zur Verfügung stellen, um den besonderen<br />

Problemen <strong>in</strong> besonderen Sozialräumen<br />

begegnen zu können. Das ist e<strong>in</strong> ganz<br />

wichtiger Punkt im KiföG wie auch <strong>in</strong> der<br />

Schule.<br />

Ich will noch e<strong>in</strong>mal auf den Sonderbeauftragten<br />

oder <strong>die</strong> Sonderbeauftragte e<strong>in</strong>gehen.<br />

Wenn damit verbunden ist, dass wir e<strong>in</strong>e hoch<br />

dotierte Stelle schaffen, dann sage ich Ne<strong>in</strong>,<br />

aber absolut richtig ist natürlich, dass wir e<strong>in</strong>e<br />

Begleitung der allgeme<strong>in</strong>en Politik durch Sachverstand<br />

brauchen. Ich persönlich, als Politiker,<br />

habe sehr gute Erfahrungen gemacht mit kle<strong>in</strong>en<br />

Gremien, vier, fünf Leute, <strong>die</strong> ehrenamtlich<br />

mit großem Engagement <strong>für</strong> e<strong>in</strong> Thema brennen<br />

und beraten. Und wenn wir da heute e<strong>in</strong><br />

Anzeichen da<strong>für</strong> f<strong>in</strong>den, dass Leute dazu bereit<br />

s<strong>in</strong>d, würde ich mich darüber sehr freuen. Ich<br />

glaube – wir s<strong>in</strong>d ja gelobt worden, dass wir <strong>die</strong>se<br />

Diskussion führen – <strong>die</strong> Diskussion darf<br />

heute nicht zu Ende se<strong>in</strong>. Mir würde sehr daran<br />

liegen, dass wir weiter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kontakt<br />

bleiben, der es möglich macht, dass Ihr Sachverstand<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Lösungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Politik geme<strong>in</strong>sam<br />

mit Ihnen umsetzt, auch E<strong>in</strong>gang<br />

f<strong>in</strong>det. Ich wünsche viel Erfolg, gute Ideen und<br />

b<strong>in</strong> sehr gespannt auf das, was dann h<strong>in</strong>terher<br />

<strong>in</strong> gebundener Form vorliegt. Und Sie dürfen<br />

dann natürlich gespannt darauf se<strong>in</strong>, was <strong>die</strong><br />

Politik daraus macht. Herzlichen Dank und<br />

<strong>alle</strong>s Gute.


Kerst<strong>in</strong> Morawetz, Förderzentrum<br />

Rostock:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Kerst<strong>in</strong> Morawetz,<br />

ich b<strong>in</strong> Lehrer<strong>in</strong> am<br />

Förderzentrum <strong>in</strong> der Danziger<br />

Straße <strong>in</strong> Rostock und<br />

auch Stellvertreter<strong>in</strong> der<br />

Fachgruppe Förderschule im<br />

Kerst<strong>in</strong> Morawetz<br />

Lehrerhauptpersonalrat. Ich<br />

möchte me<strong>in</strong>em Workshop heute nicht so sehr<br />

vorgreifen, der sich mit der Fachkräftesituation<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Lande beschäftigt, aber ich möchte<br />

dem jungen Mann hier vorne sagen: Ihre Abwerbung<br />

ist nicht so gut, wir haben nicht so<br />

viele Sonderpädagogen. Wir haben e<strong>in</strong>e Fachkräftesituation<br />

beg<strong>in</strong>nend mit dem Anfang der<br />

neunziger Jahre bis heute, <strong>in</strong> der wir uns hoch<br />

gehangelt haben von knapp 40 Prozent auf 52<br />

Prozent, und ich beziehe mich da auch tatsächlich<br />

nur auf das Lehramt Sonderpädagogik.<br />

Ich möchte damit überhaupt nicht <strong>die</strong> zahlreichen<br />

Fortbildungen von Lehrkräften im<br />

Förderschulbereich dequalifizieren, aber es ist<br />

aus me<strong>in</strong>er Sicht eben nur e<strong>in</strong>e Kompetenzerweiterung.<br />

Es geht also um <strong>die</strong> Nachqualifizierung<br />

von Lehrkräften im Förderschulbereich,<br />

und zwar m<strong>in</strong>destens mit dem Abschluss Erstes<br />

Staatsexamen. Das bedeutet, e<strong>in</strong> Aufbaustudium<br />

an e<strong>in</strong>er Universität zu absolvieren.<br />

Und me<strong>in</strong>e Frage, Herr Professor Hartke, lautet:<br />

Was muss das M<strong>in</strong>isterium tun, damit<br />

mehr Lehrkräfte bei Ihnen an der Universität<br />

stu<strong>die</strong>ren können? Wir haben es e<strong>in</strong>malig geschafft,<br />

nach vielen Ause<strong>in</strong>andersetzungen mit<br />

dem M<strong>in</strong>isterium, <strong>die</strong> aber zielorientiert waren,<br />

dass 16 Lehrkräfte <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Land sich<br />

von 2001 bis 2006 <strong>die</strong>sem Aufbaustudium<br />

stellen konnten, und zwar unter Gewährung<br />

von vier Anrechnungsstunden, also berufsbegleitend<br />

e<strong>in</strong> Aufbaustudium gemacht haben.<br />

Damit blieb <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrkräfte def<strong>in</strong>itiv e<strong>in</strong><br />

Unterrichtsvolumen von 24 Stunden, und<br />

trotzdem haben <strong>die</strong> Lehrkräfte das auf sich ge-<br />

nommen. Es gibt immer wieder Lehrkräfte <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>sem Land, <strong>die</strong> sich aufmachen, das Aufbaustudium<br />

an der Universität auf sich zu nehmen.<br />

Sie fahren durch das ganze Land und sie<br />

gehen eher mit Stunden <strong>in</strong> ihrem Unterrichtsvolumen<br />

herunter, um das auch zu bewältigen.<br />

Herr Professor Hartke, Sie werden mir Recht<br />

geben: Das Studium ist kaum organisierbar.<br />

Auf me<strong>in</strong>e Frage, weil es immer <strong>die</strong> Aussage<br />

vom M<strong>in</strong>isterium gab, liegt das an der Universität,<br />

dass es ke<strong>in</strong>e Kapazitäten gibt? Und ich<br />

will es e<strong>in</strong>fach beantwortet haben, dann würde<br />

ich gerne mit dem M<strong>in</strong>isterium genau <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser<br />

Frage auch wieder Kontakt aufnehmen.<br />

Danke.<br />

Prof. Dr. bodo Hartke, Universität Rostock:<br />

Es ist wirklich immer e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe von<br />

Lehrkräften an unserem Institut zu f<strong>in</strong>den gewesen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong>ses Aufbaustudium machte. Das<br />

war <strong>für</strong> sie wirklich extrem schwierig, weil natürlich<br />

auch im Stu<strong>die</strong>nbetrieb Veranstaltungen<br />

über <strong>die</strong> ganze Woche verteilt am Vormittag<br />

liegen. Das hat sehr viel E<strong>in</strong>satz gekostet,<br />

und trotzdem haben sehr viele das bewältigt<br />

und auch mit e<strong>in</strong>em wirklich guten Erfolg abgeschlossen.<br />

Seit Kurzem ist Folgendes e<strong>in</strong>getreten.<br />

Wir s<strong>in</strong>d aufgefordert worden, unseren<br />

Stu<strong>die</strong>ngang zu modularisieren. Sämtliche<br />

Stu<strong>die</strong>ngänge sollen im Rahmen des Bologna-<br />

Prozesses zum<strong>in</strong>dest modularisiert werden,<br />

auch Lehramtsstu<strong>die</strong>ngänge. Das führt zu e<strong>in</strong>er<br />

besseren und s<strong>in</strong>nvolleren Struktur des<br />

Studiums, hat aber e<strong>in</strong>en ganz entscheidenden<br />

Nachteil. Es werden also Gruppen von Veranstaltungen,<br />

beispielsweise über Diagnostik,<br />

über Didaktik oder über Grundlagen und über<br />

Leseförderung zusammengefügt und s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>es Stu<strong>die</strong>njahres zu stu<strong>die</strong>ren. Das<br />

ist e<strong>in</strong> viel strengerer, strafferer Stundenplan.<br />

Das führt e<strong>in</strong>fach dazu, dass man eigentlich<br />

ke<strong>in</strong>er Lehrkraft empfehlen kann, <strong>die</strong>ses Aufbaustudium<br />

zu machen, weil wir ke<strong>in</strong>e Rück-<br />

7


8<br />

sicht mehr auf <strong>die</strong> Lehrkräfte nehmen können,<br />

da wir nämlich den zeitlichen Punkt <strong>die</strong>ser<br />

Veranstaltung mit anderen Fächern <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Universität abstimmen müssen. Deshalb<br />

haben wir vor e<strong>in</strong>em Jahr e<strong>in</strong>en Brief an das<br />

Bildungsm<strong>in</strong>isterium geschrieben und klar gemacht,<br />

dass <strong>die</strong>se Möglichkeit entfällt und<br />

zweitens auch, dass e<strong>in</strong> besonderer Bedarf, genauso<br />

wie Sie ihn geschildert haben, im Land<br />

da ist, weil es e<strong>in</strong> unzuhaltbarer Zustand ist,<br />

dass K<strong>in</strong>der unter dem Anspruch besonderer<br />

Hilfe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Förderschule kommen, aber dann<br />

nur <strong>die</strong> Hälfte e<strong>in</strong>es Kollegiums vorhanden ist,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong>sem Anspruch auch von ihrer Ausbildung<br />

her gerecht wird. Das geht e<strong>in</strong>fach nicht.<br />

Wir haben darum den Vorschlag gemacht, genauso<br />

zu verfahren wie <strong>in</strong> Sachsen. In Sachsen<br />

werden Kohorten von Lehrern <strong>in</strong> 30er Gruppen<br />

zusammengefasst und bekommen an<br />

e<strong>in</strong>em ganz bestimmten Tag, an dem sie von<br />

der Schule freigestellt werden, Blockunterricht,<br />

und sie bekommen auch <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

bestimmte e<strong>in</strong>zelne Veranstaltungen <strong>in</strong> der<br />

Woche zu besuchen. Da<strong>für</strong> s<strong>in</strong>d dem Sonderpädagogischen<br />

Institut <strong>in</strong> Sachsen Stellen zugeordnet<br />

worden, <strong>die</strong> zeitlich befristet s<strong>in</strong>d.<br />

Wir haben ausgerechnet, dass wir eigentlich <strong>in</strong><br />

Zwei-Jahres-Kursen <strong>in</strong>nerhalb relativ kurzer<br />

Zeit Sonderschullehrer nachqualifizieren<br />

könnten, dass <strong>die</strong>ses Problem also <strong>in</strong>nerhalb<br />

von sechs bis acht Jahren zu lösen wäre mit e<strong>in</strong>er<br />

befristeten Stellenzuweisung an das Institut<br />

pro Fachrichtung. Wir brauchen Leute, <strong>die</strong>,<br />

angeleitet durch <strong>die</strong> Professoren, den Unterricht<br />

machen bzw. <strong>die</strong> uns im Stu<strong>die</strong>ngeschäft<br />

mit den Stu<strong>die</strong>renden entlasten, damit wir mit<br />

<strong>die</strong>ser Gruppe an e<strong>in</strong>em Freitag im Blockunterricht<br />

arbeiten können usw. Dieses Angebot<br />

haben wir gemacht. Wir bekamen aber <strong>die</strong><br />

Antwort, dass es durch <strong>die</strong> Abteilungen (im<br />

M<strong>in</strong>isterium) geht und ansche<strong>in</strong>end seit e<strong>in</strong>em<br />

Jahr behandelt wird. Da gibt es sicherlich<br />

Handlungsbedarf und ich hoffe, dass wir da<br />

auch bald e<strong>in</strong>e konkrete Aussage bekommen.<br />

Wir hatten zu der Zeit e<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> aus Sachsen<br />

am Institut, <strong>die</strong> kennt das sächsische System<br />

sehr genau, hat sich <strong>die</strong> Konzepte geholt<br />

und hat das auch dort dezi<strong>die</strong>rt ausgewertet.<br />

Wir haben e<strong>in</strong>e Kostenaufstellung gemacht,<br />

pro Haushaltsjahr usw., das liegt <strong>alle</strong>s dem<br />

M<strong>in</strong>isterium vor.<br />

Der zweite Punkt: Was hier auch deutlich<br />

wird, ist, dass immer wieder mit extremen<br />

Problemen argumentiert wird. Für mich ist<br />

das zwiespältig. Es gibt e<strong>in</strong>fach K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong><br />

s<strong>in</strong>d gescheitert <strong>in</strong> unserem System. Diese<br />

K<strong>in</strong>der brauchen auch Hilfe, nur können wir<br />

das Schicksal <strong>die</strong>ser K<strong>in</strong>der nicht verallgeme<strong>in</strong>ern.<br />

Das s<strong>in</strong>d besondere Fälle, <strong>die</strong> müssen<br />

auch besonders betrachtet werden h<strong>in</strong>sichtlich<br />

sonder- und sozialpädagogischer Hilfen <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der. Das ist aber e<strong>in</strong> besonderes, spezifisches<br />

Problem. Mir geht es mehr um den<br />

allgeme<strong>in</strong>en Trend und das, was Herr Seller<strong>in</strong>g<br />

sagte, da fühlte ich mich richtig verstanden.<br />

Es geht mir wirklich um e<strong>in</strong>e Qualitätsverbesserung<br />

der vorschulischen Erziehung<br />

und auch der allgeme<strong>in</strong> bildenden Schule,<br />

auch um e<strong>in</strong>e Verschiebung der Häufigkeiten<br />

und e<strong>in</strong>e Stärkung der Kooperation. Das<br />

Knowhow, das <strong>in</strong> den Sonderschulen ist, fehlt<br />

dr<strong>in</strong>gend <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> bildendenen Schule.<br />

Da gibt es doch systemische Zusammenhänge.<br />

Das ist doch so, dass Sie mit Ihrer Kompetenz<br />

e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong> bildenden Schulen gehören.<br />

Dort muss den K<strong>in</strong>dern frühzeitig geholfen<br />

werden.<br />

Dann <strong>die</strong> Sache mit der Diagnostik. Ich habe<br />

das als e<strong>in</strong>e Hypothese h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geworfen und<br />

ich hoffe, dass ich da niemandem auf <strong>die</strong> Füße<br />

getreten b<strong>in</strong>. Es könnte e<strong>in</strong>fach so se<strong>in</strong>, dass,<br />

wenn hier signifikant mehr K<strong>in</strong>der mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf diagnostiziert<br />

werden, eventuell e<strong>in</strong>ige Kriterien verschoben<br />

s<strong>in</strong>d. Das ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e Hypothese,


<strong>die</strong> im Raum steht. Wenn dem nicht so ist,<br />

dann wird man <strong>die</strong>se Hypothese aus der Welt<br />

schaffen. Anders ist me<strong>in</strong> Angebot der wissenschaftlichen<br />

Begleitung nicht zu verstehen.<br />

Man muss <strong>die</strong> Hypothesen, wenn man sie als<br />

Erklärung <strong>für</strong> e<strong>in</strong> Phänomen hat, systematisch<br />

prüfen und muss schauen, welche Hypothese<br />

übrig bleibt, und dann sollte man ursachenorientiert<br />

handeln. Das ist e<strong>in</strong>fach me<strong>in</strong>e Grundhaltung<br />

als Wissenschaftler.<br />

Michael blanck, Verband<br />

bildung und Erziehung M-V:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Michael<br />

Blanck vom Verband Bildung<br />

& Erziehung. Ich möchte<br />

mich erst e<strong>in</strong>mal dem Schulleiter<br />

aus Ribnitz-Damgarten<br />

anschließen und b<strong>in</strong> sehr<br />

Michael Blanck<br />

dankbar <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Veranstaltung,<br />

weil hier Politik und Praktiker zusammenkommen.<br />

Wir als Praktiker und natürlich<br />

Verbandsfunktionäre kommen zwar öfter mit<br />

der Politik <strong>in</strong>s Gespräch und machen auf <strong>die</strong><br />

Probleme aufmerksam, aber ich glaube, dass es<br />

wichtig ist, e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem großen Rahmen zu<br />

diskutieren. Und dann dürfen wir e<strong>in</strong>es nicht<br />

vergessen, Herr Professor Dr. Hartke hat eben<br />

darauf h<strong>in</strong>gewiesen: Wenn wir Veränderungen<br />

<strong>in</strong> der Bildung wollen, dürfen wir nicht vergessen,<br />

dass <strong>die</strong>se Prozesse langwierig s<strong>in</strong>d. Es dauert<br />

m<strong>in</strong>destens fünf Jahre, <strong>in</strong> der Regel zehn<br />

Jahre, bis Änderungen, <strong>die</strong> wir heute umsetzen,<br />

sich positiv bemerkbar machen. Und deshalb<br />

me<strong>in</strong> Appell auch an <strong>die</strong> noch anwesenden Landespolitiker:<br />

Der Doppelhaushalt, der <strong>die</strong>ses<br />

Jahr noch beschlossen werden soll, kann natürlich<br />

da<strong>für</strong> sorgen, dass es erste Änderungen gibt.<br />

Aber es wird länger dauern, denn wir brauchen<br />

<strong>in</strong> den Schulen e<strong>in</strong>en entsprechenden Input und<br />

dazu gehört natürlich auch das, was <strong>die</strong> Politik<br />

beschließen muss, damit wir wirklich Änderungen<br />

<strong>in</strong> den Schulen haben.<br />

Wir haben, und das hat <strong>die</strong> Diskussion heute<br />

gezeigt, viele Brandherde. Wir werden sie nicht<br />

sofort e<strong>in</strong>dämmen können, es s<strong>in</strong>d da e<strong>in</strong>ige<br />

D<strong>in</strong>ge schon angesprochen worden. Ich will<br />

nur kurz darauf e<strong>in</strong>gehen, dass ich Herrn Prof.<br />

Prüß sehr dankbar b<strong>in</strong>, dass er so elegant umschrieben<br />

hat, was man sich sonst kaum auszusprechen<br />

traut. Ich hatte es als ersten Punkt bei<br />

mir auch auf der Liste, was <strong>die</strong> Bevölkerungsstruktur<br />

betrifft, was <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der betrifft, <strong>die</strong> <strong>in</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommern geboren werden,<br />

<strong>die</strong> jungen Leute, <strong>die</strong> das Land verlassen, <strong>die</strong><br />

natürlich <strong>für</strong> große Probleme sorgen. Und unser<br />

Problem ist letztendlich, dass der Anteil<br />

der K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> aus den so genannten bildungsfernen<br />

Schichten kommen, immer größer wird.<br />

Hier müssen wir natürlich frühzeitig, also <strong>in</strong><br />

der frühk<strong>in</strong>dlichen Bildung, e<strong>in</strong>wirken.<br />

Der zweite Punkt ist eben angesprochen worden,<br />

wir bemängeln seit Jahren <strong>die</strong> fehlenden<br />

qualifizierten Lehrkräfte, aber es wurde bisher<br />

zu wenig gemacht, damit hier e<strong>in</strong>e Änderung<br />

e<strong>in</strong>tritt. Ohne <strong>die</strong>se qualifizierten Lehrkräfte<br />

werden wir nach wie vor Probleme haben.<br />

E<strong>in</strong>en dritten Punkt: Lehrer brauchen Zeit<br />

<strong>für</strong> ihre K<strong>in</strong>der. Diese Zeit wurde aber gerade<br />

<strong>in</strong> den letzten Jahren und auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> kommenden<br />

Jahre verstärkt e<strong>in</strong>geschränkt, weil<br />

immer mehr neue Aufgaben auf <strong>die</strong> Lehrer<br />

here<strong>in</strong>stürzen, <strong>die</strong> sie zu erfüllen haben und<br />

<strong>die</strong> Zeit, <strong>die</strong> sie den K<strong>in</strong>dern eigentlich widmen<br />

müssen, dadurch automatisch gekürzt<br />

wird. Lehrer brauchen Entlastung und sie<br />

brauchen auch e<strong>in</strong>e vernünftige Zuweisung,<br />

ich sage nur e<strong>in</strong> Stichwort: Diagnostik. Wir<br />

brauchen mehr Unterstützungssysteme, e<strong>in</strong>en<br />

Ausbau der Unterstützungssysteme <strong>in</strong> vielen<br />

Bereichen. Jeder, der hier sitzt, weiß, was darunter<br />

zu verstehen ist, sodass ich mich wirklich<br />

kurz fassen will. Ich sage nur e<strong>in</strong> Stichwort<br />

dazu: Wir sollten auch an PmsA<br />

denken.<br />

Danke.<br />

9


0<br />

Ralph Grothe, Grundschulverband<br />

Mecklenburg-<br />

Vorpommern e.V.:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Ralph Grothe,<br />

ich stehe dem Grundschulverband<br />

<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

vor.<br />

Ralph Grothe<br />

Ich b<strong>in</strong> Schulleiter e<strong>in</strong>er<br />

Schule <strong>in</strong> Pasewalk, <strong>die</strong> 400<br />

K<strong>in</strong>der beschult, und wir haben Diagnoseförderklassen<br />

und auch Sprachklassen bei uns.<br />

Wenn Lehrer Zeit brauchen <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der, dann<br />

brauchen K<strong>in</strong>der aber auch Konstanz und<br />

Stetigkeit, d. h. dass sie, wenn sie den Übergang<br />

vom K<strong>in</strong>dergarten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Grundschule<br />

schaffen wollen, auch vorher schon wissen, was<br />

auf sie zukommt, dass sie mit dem System, das<br />

dann <strong>in</strong> der Zukunft <strong>für</strong> sie Schule heißen<br />

wird, auch vertraut gemacht s<strong>in</strong>d, und <strong>für</strong> uns<br />

heißt es als Lehrer, dass wir wissen, wie wir<br />

den K<strong>in</strong>dern helfen können. Uns geht es e<strong>in</strong>fach<br />

zu spät los. Wenn Diagnostikförderung<br />

also jetzt e<strong>in</strong>setzen soll, s<strong>in</strong>d wir e<strong>in</strong>fach viel zu<br />

wenig <strong>in</strong> der Lage, auf <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>gehen zu<br />

können, da wir nicht wissen, wie sie denn eigentlich<br />

zu uns kommen.<br />

Wir haben jetzt im Land Mecklenburg-Vorpommern<br />

seit 2008 e<strong>in</strong>e Projektgruppe „Bildungskonzeption<br />

<strong>für</strong> K<strong>in</strong>der von 0 bis 10 Jahren“,<br />

<strong>die</strong> vom Bildungsm<strong>in</strong>isterium geleitet<br />

wird. Ich würde mir wünschen, dass <strong>die</strong> Politik<br />

<strong>die</strong> Empfehlungen <strong>die</strong>ser Bildungskonzeption,<br />

dass K<strong>in</strong>der frühzeitiger mit ihren Beschwernissen,<br />

mit ihren Sorgen und<br />

Beh<strong>in</strong>derungen gefördert werden müssen,<br />

wahrnimmt. Wenn Förderung viel frühzeitiger<br />

passiert, kann sie auch viel besser passieren.<br />

E<strong>in</strong>e zweite Sache, auf <strong>die</strong> ich h<strong>in</strong>weisen<br />

möchte, ist: Herr Prof. Hartke, Sie haben vorh<strong>in</strong><br />

gesagt, das Versagen der Regelschule führt<br />

dazu, dass wir so viele Förderschüler haben.<br />

Ich möchte sagen: Wir s<strong>in</strong>d auch oftmals damit<br />

total überfordert. Ich gebe Herrn Blanck<br />

dazu recht, wir s<strong>in</strong>d manchmal <strong>die</strong> so genannte<br />

„Eier legende Wollmilchsau“, <strong>alle</strong>s machen zu<br />

müssen und das Kerngeschäft, Unterricht und<br />

Förderung der K<strong>in</strong>der, das wird dabei e<strong>in</strong>fach<br />

manchmal vernachlässigt, weil wir auch nicht<br />

<strong>die</strong> Möglichkeiten dazu haben. Wenn es zum<br />

Beispiel e<strong>in</strong>e Förderung <strong>für</strong> den LRS-Bereich<br />

oder <strong>für</strong> den Bereich der Dyskalkulie gibt, wir<br />

aber ke<strong>in</strong>e ausgebildeten Fachleute da<strong>für</strong> haben<br />

und uns gesagt wird: Nun macht mal,<br />

dann kann das nicht <strong>die</strong> richtige Antwort se<strong>in</strong>.<br />

Wie sollen wir da eben <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der <strong>in</strong>dividuell<br />

fördern können? Das ist ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfall.<br />

Und gleichzeitig weise ich auch darauf h<strong>in</strong>:<br />

Wenn Diagnoseförderklassen und <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der<br />

<strong>die</strong>ser Klassen Erfolg haben sollen, wenn <strong>die</strong>se<br />

K<strong>in</strong>der dann von der Diagnoseklasse 2 <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

3. Klasse der Grundschule kommen, dann<br />

müsste es eigentlich so se<strong>in</strong>, dass <strong>die</strong> Lehrer,<br />

<strong>die</strong> sie aus der Probebeschulung oder dem geme<strong>in</strong>samen<br />

Unterricht aus der 2. Klasse kennen,<br />

<strong>in</strong> der 3. Klasse noch da s<strong>in</strong>d. Das heißt,<br />

das Lehrerpersonalkonzept hat so viele Beschwernisse,<br />

Förderung und Individualität der<br />

K<strong>in</strong>der zu beachten, dass wir grundsätzlich<br />

darüber nachdenken müssen: Wie wollen wir<br />

dort K<strong>in</strong>der und Lehrer stetig und wirklich <strong>in</strong><br />

sozialen Kontakten zusammenbr<strong>in</strong>gen, um<br />

das Leben an der Schule zu realisieren?<br />

Danke.<br />

Eva L<strong>in</strong>demann, Lehrer<strong>in</strong> an<br />

der Landesschule <strong>für</strong> bl<strong>in</strong>de<br />

und Sehbeh<strong>in</strong>derte <strong>in</strong><br />

neukloster:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Eva L<strong>in</strong>demann,<br />

ich b<strong>in</strong> Lehrer<strong>in</strong> an<br />

der Landesschule <strong>für</strong> Bl<strong>in</strong>de<br />

Eva L<strong>in</strong>demann und Sehbeh<strong>in</strong>derte <strong>in</strong><br />

Neukloster und möchte konkret<br />

darauf e<strong>in</strong>gehen, was vorh<strong>in</strong> gesagt wurde<br />

über <strong>die</strong> Förderung Sehgeschädigter <strong>in</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong><br />

im Vergleich zu uns <strong>in</strong> Meck-


lenburg-Vorpommern. Ich möchte dazu sagen,<br />

dass wir als Kollegium natürlich bereit s<strong>in</strong>d,<br />

Integration zu betreiben, wir haben auch viele<br />

K<strong>in</strong>der im geme<strong>in</strong>samen Unterricht. Es s<strong>in</strong>d<br />

uns aber e<strong>in</strong>deutig Grenzen gesetzt durch <strong>die</strong><br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, <strong>die</strong> nicht vorhanden<br />

s<strong>in</strong>d <strong>für</strong> den geme<strong>in</strong>samen Unterricht <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Das betrifft zum e<strong>in</strong>en<br />

<strong>die</strong> Stundenzuweisungen. Wir haben immer<br />

mehr K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> wir im geme<strong>in</strong>samen<br />

Unterricht betreuen, aber <strong>die</strong> Stundenzahl, <strong>die</strong><br />

uns da<strong>für</strong> zugewiesen wird, ist gleich bleibend.<br />

Und dann s<strong>in</strong>d es eben auch <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen.<br />

Ich kann ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, das 10 % Sehkraft hat, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Klasse stecken, <strong>in</strong> der <strong>die</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen,<br />

seien es jetzt sächliche oder personelle,<br />

nicht vorhanden s<strong>in</strong>d.<br />

birgit naumann, Integrative<br />

K<strong>in</strong>dertagesstätte im<br />

Stadtteil Dierkow:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Birgit Naumann,<br />

ich arbeite hier <strong>in</strong> Rostock<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrativen<br />

K<strong>in</strong>dertagesstätte im Stadt-<br />

Birgit Naumann<br />

teil Dierkow. Den Rostockern<br />

wird <strong>die</strong>se Bezeichnung<br />

etwas sagen, es ist e<strong>in</strong> absolut sozialer Brennpunkt<br />

und unsere Arbeit gestaltet sich <strong>in</strong>sofern<br />

etwas schwierig, als dass wir uns große Sorgen<br />

machen um den Nachwuchs, der wirklich <strong>in</strong><br />

vielerlei H<strong>in</strong>sicht zu wünschen übrig lässt. Wir<br />

haben zurzeit viele Praktikanten, <strong>die</strong> des Lesens<br />

und Schreibens kaum mächtig s<strong>in</strong>d, wo<br />

ich als Mentor h<strong>in</strong>terher, wenn das Praktikum<br />

vorbei ist, den Hefter durchgehen muss, um<br />

Rechtschreibfehler zu korrigieren. Wenn ich<br />

e<strong>in</strong>en Auftrag gebe: „S<strong>in</strong>gen Sie doch e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong> Lied mit den K<strong>in</strong>dern, lesen Sie e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong>e Geschichte vor“, stellt sich <strong>die</strong> Praktikant<strong>in</strong><br />

häufig h<strong>in</strong> und sagt: „Ich kann nicht s<strong>in</strong>gen.<br />

Ich kann ke<strong>in</strong>e Geschichte vorlesen.“ Und daher<br />

würden wir da<strong>für</strong> plä<strong>die</strong>ren, dass zum Bei-<br />

spiel Aufnahmekriterien, um <strong>die</strong>ses Studium<br />

oder <strong>die</strong>se Ausbildung zu beg<strong>in</strong>nen, festgeschrieben<br />

werden. E<strong>in</strong>e Spracherziehung, dass<br />

sie wenigstens halbwegs musikalisch begabt<br />

s<strong>in</strong>d, dass sie <strong>in</strong> der Gesprächsführung ausgebildet<br />

werden, dass sie auf Eltern zugehen können,<br />

dass sie zusammenarbeiten können. Gerade<br />

<strong>in</strong> der <strong>in</strong>tegrativen Betreuung ist all das sehr<br />

notwendig, weil <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der mit Beh<strong>in</strong>derungen<br />

oder <strong>die</strong> von Beh<strong>in</strong>derungen bedroht s<strong>in</strong>d, gerade<br />

<strong>in</strong> Dierkow und Toitenw<strong>in</strong>kel immer<br />

mehr werden, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> den letzten<br />

zwei Jahren. Wir hätten noch <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Sommer<br />

drei zusätzliche I-Gruppen aufmachen<br />

können, weil wirklich viele K<strong>in</strong>der auf solche<br />

Plätze warten. Und es ist auch so, dass <strong>die</strong> Eltern<br />

gern dann, wenn das K<strong>in</strong>d geboren ist, <strong>die</strong><br />

Verantwortung fließend übergehen lassen <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> Krippe und <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dergarten. Am besten<br />

von früh um 6 bis abends um 6. Und nachher<br />

ist <strong>die</strong> Schule dran. Und warum ist denn<br />

der Hort um vier schon vorbei? So was kann es<br />

doch nicht geben. Darum machen wir uns<br />

wirklich große Sorgen.<br />

E<strong>in</strong> anderer Punkt, der <strong>für</strong> uns sehr wichtig ist,<br />

wäre, dass <strong>die</strong> Zusammenarbeit sich verbessert<br />

mit den Schulärzten. Es wurde vorh<strong>in</strong> gesagt,<br />

dass etliche K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der DFK landen, <strong>die</strong> da<br />

nichts zu suchen haben. Das liegt nicht an unseren<br />

Empfehlungen. Wir arbeiten mit dem<br />

K<strong>in</strong>d, mit den Eltern, manchmal über 4 Jahre<br />

und empfehlen der Schulärzt<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en anderen<br />

Schultyp, haben das mit den Eltern besprochen,<br />

<strong>die</strong> s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>verstanden damit. Wir haben<br />

sie teilweise auch wirklich überzeugen müssen,<br />

dass das so wird, <strong>die</strong> Schulärzt<strong>in</strong> sieht sich das<br />

K<strong>in</strong>d 20 M<strong>in</strong>uten lang an und sagt: Ich habe <strong>in</strong><br />

der DFK noch e<strong>in</strong>en Platz frei, der geht erst<br />

mal da h<strong>in</strong>. Und dann wird das ausprobiert.<br />

Das K<strong>in</strong>d hat e<strong>in</strong> Misserfolgserlebnis nach<br />

dem anderen und ist noch mehr geschädigt als<br />

vorher. Ja, das ist eigentlich e<strong>in</strong>e ganz traurige<br />

Sache. Und es ist wirklich auch e<strong>in</strong> gesell-<br />

1


2<br />

schaftliches Problem. Die Eltern zu Hause<br />

haben nichts zu tun, sie s<strong>in</strong>d teilweise nicht <strong>in</strong><br />

der Lage, sich selbstständig um ihre K<strong>in</strong>der zu<br />

kümmern und s<strong>in</strong>d auf unsere Hilfe angewiesen.<br />

Es muss sich irgendetwas bewegen, irgendetwas<br />

ändern, dass auch <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

mit <strong>alle</strong>n untere<strong>in</strong>ander etwas besser<br />

wird, dass e<strong>in</strong>er auf den anderen auch hört.<br />

Sybille Schmidt, K<strong>in</strong>dertagesstätte<br />

<strong>in</strong> Stralsund:<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Sybille<br />

Schmidt, ich arbeite <strong>in</strong> der<br />

K<strong>in</strong>dertagesstätte <strong>in</strong> Stralsund<br />

Diese vorschulische<br />

Bildung machen wir gern<br />

und so gut wir können, aber<br />

Sybille Schmidt<br />

auch bei uns ist e<strong>in</strong> personelles<br />

Problem vorhanden. Wir haben hier <strong>in</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommern den schlechtesten<br />

Personalschlüssel bundesweit, 18:1 im Durchschnitt.<br />

Es wundert mich nicht, dass bei uns<br />

<strong>die</strong> meisten K<strong>in</strong>der – sozusagen im ganzen<br />

Bundesdurchschnitt – <strong>in</strong> der Förderklasse landen.<br />

Gerade <strong>in</strong> den Bereichen Sprache, emotionale<br />

Entwicklung, soziale Entwicklung und<br />

Lernen, wo es auch auf Beziehungen und auf<br />

Zeit mit dem K<strong>in</strong>d ankommt, können wir<br />

nicht das Nötige leisten bei <strong>die</strong>sen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen.<br />

Ra<strong>in</strong>er Sommerfeld,<br />

Sprecher des Aktionsbündnisses:<br />

Wir haben feststellen können:<br />

Inklusion braucht Professionalität.<br />

Und <strong>die</strong>se Professionalität,<br />

das haben wir<br />

auch feststellen können,<br />

Ra<strong>in</strong>er Sommerfeld<br />

muss früh ansetzen. Und ich<br />

sage jetzt auch e<strong>in</strong>mal: Egal wo. Es kann nicht<br />

se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> Professor vor e<strong>in</strong>em Jahr direkte<br />

Vorschläge macht, wie Professionalität erzeugt<br />

werden kann, wie Lehrer weitergebildet werden<br />

können und es dann ignoriert wird. Das<br />

ist <strong>für</strong> mich e<strong>in</strong>e Vorstellung, <strong>die</strong> mir nicht gegenwärtig<br />

wird. Und ich möchte jetzt der Politik<br />

mal entgegnen, dass sie e<strong>in</strong>e schwierige<br />

Aufgabe zu erledigen hat. Die schwierige Aufgabe<br />

ist: Schaffen Sie Bed<strong>in</strong>gungen, dass auch<br />

über den zweiten Berufsweg Möglichkeiten<br />

zur Qualifikation bestehen und achten Sie<br />

darauf, dass nicht e<strong>in</strong>fach nur <strong>in</strong> nachfolgenden<br />

Erlassen auf e<strong>in</strong> Fachpersonal mit sonderpädagogischer<br />

Qualifikation h<strong>in</strong>gewiesen wird.<br />

Und zweitens: Sorgen Sie da<strong>für</strong>, dass das E<strong>in</strong>gangsamt<br />

<strong>für</strong> Lehrer <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

attraktiver wird und dass <strong>die</strong> Arbeit<br />

<strong>für</strong> Lehrer <strong>in</strong> M-V attraktiver wird. Damit<br />

wäre uns sehr geholfen.<br />

Mathias brodkorb, bildungspolitischer<br />

Sprecher der<br />

SPD-Landtagsfraktion:<br />

Me<strong>in</strong>e Damen und Herren,<br />

ich erlaube mir jetzt e<strong>in</strong><br />

kurzes Schlusswort. Ich habe<br />

mich bisher aus der Diskus-<br />

Mathias Brodkorb sion herausgehalten, das<br />

macht man als Moderator so,<br />

aber an <strong>die</strong>ser Stelle möchte ich auch <strong>die</strong><br />

Schulabteilung <strong>in</strong> Schutz nehmen. Was den<br />

Brief von Professor Hartke angeht, davon habe<br />

ich das erste Mal gehört, denke ich nicht, dass<br />

das <strong>in</strong> der Schulabteilung auf verschlossene<br />

Ohren stößt, sondern <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> Hochschulentwicklung<br />

zuständige Abteilung e<strong>in</strong>e andere<br />

ist. Und es ist gemäß unserer Verfassung so,<br />

dass <strong>die</strong> Hochschulen e<strong>in</strong>en sehr großen Freiheitsspielraum<br />

haben, verfassungsmäßig garantiert<br />

e<strong>in</strong>en größeren als <strong>die</strong> Schulen. Das<br />

nennen wir Hochschulautonomie.<br />

Es gibt natürlich sehr unterschiedliche Kompetenzen<br />

und e<strong>in</strong> Machtgerangel zwischen<br />

Verwaltung, Politik und der Hochschule<br />

selbst. Ich denke, e<strong>in</strong> Teil des Problems ist


auch, dass Lehrerbildung generell <strong>in</strong> Hochschulen<br />

häufig nicht unbed<strong>in</strong>gt als das Wichtigste<br />

angesehen wird, womit man sich auf e<strong>in</strong>er<br />

<strong>in</strong>ternationalen Tagung präsentieren kann.<br />

Ich glaube aber, dass auch <strong>alle</strong> Professoren, <strong>die</strong><br />

sonst gegenüber der Lehrerbildung etwas reserviert<br />

reagieren, sich e<strong>in</strong>es überlegen müssen:<br />

Die Studenten und Forscher der Zukunft s<strong>in</strong>d<br />

<strong>die</strong> Schüler von heute. Also müssen auch Professoren<br />

e<strong>in</strong> elementares Interesse daran haben,<br />

nicht nur <strong>die</strong> Fachwissenschaft hoch zu<br />

halten, sondern <strong>die</strong> Lehrerbildung auch an der<br />

Universität Rostock als wesentlichen <strong>in</strong>tegralen<br />

Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung<br />

anzusehen. Also der H<strong>in</strong>weis auf das<br />

Thema fachliche Qualifikation ist angekommen.<br />

Es wird bald neue Zielvere<strong>in</strong>barungen<br />

mit der Universität Rostock geben, und ich<br />

kann mir nicht vorstellen, dass <strong>die</strong>ses Thema<br />

dort ke<strong>in</strong>e Rolle spielen wird. Insofern ist es<br />

gut, dass das heute angesprochen wurde.<br />

Ich möchte mich herzlich bedanken <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

konstruktive und offene Diskussion. Es wurde<br />

ke<strong>in</strong> Blatt vor den Mund genommen, trotzdem<br />

waren wir <strong>alle</strong> sachlich, da<strong>für</strong> b<strong>in</strong> ich sehr<br />

dankbar. Ich wünsche uns <strong>alle</strong>n weiterh<strong>in</strong><br />

fruchtbare Diskussionen. Wir stehen natürlich<br />

auch jederzeit <strong>für</strong> Gespräche zur Verfügung.<br />

Herzlichen Dank.


nachgereichtes Statement des Elternverbandes<br />

hörgeschädigter K<strong>in</strong>der Landesverband<br />

MV e.V., www.hoerkids.de<br />

Dr. Kar<strong>in</strong> Hübener, - Vorsitzende -<br />

Der Elternverband hörgeschädigter K<strong>in</strong>der -<br />

Landesverband Mecklenburg-Vorpommern<br />

begrüßt ausdrücklich das Zustandekommen<br />

<strong>die</strong>ser heutigen Tagung, das Aufe<strong>in</strong>anderzugehen<br />

von Politikern des Landes auf der e<strong>in</strong>en<br />

und Fachleuten verschiedenster Institutionen<br />

unseres Landes auf der anderen Seite. Es ist<br />

dr<strong>in</strong>gend notwendig geworden, weil Integration<br />

beh<strong>in</strong>derter Menschen bei uns im Land<br />

längst schon nicht mehr nur e<strong>in</strong> Fremdwort,<br />

sondern bereits auf vielfältige Weise E<strong>in</strong>gang<br />

<strong>in</strong> den Bildungs- und Erziehungsalltag gefunden<br />

hat und deutlich spürbar geworden ist,<br />

nicht immer <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs - wie sollte es anders<br />

se<strong>in</strong> - mit nur positiven Auswirkungen <strong>für</strong> <strong>alle</strong><br />

Beteiligten. Und gerade deshalb sollte hier<br />

auch <strong>die</strong> Gelegenheit genutzt werden, sich<br />

nicht nur der Möglichkeiten, sondern auch der<br />

Grenzen unserer Integrationsbemühungen<br />

bewusst und klar zu werden.<br />

Seit nunmehr zehn Jahren verfolgen wir als<br />

Interessenvertreter der Eltern und Familien<br />

mit hörgeschädigten K<strong>in</strong>dern <strong>die</strong> dynamischen<br />

Veränderungen im H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> Bildung<br />

und Erziehung unserer hörgeschädigten K<strong>in</strong>der<br />

im Land. Ja, nicht nur das, wir haben uns<br />

auch aktiv e<strong>in</strong>gebracht <strong>in</strong> entsprechende konzeptionelle<br />

Veränderungen auf Landesebene<br />

im Zusammenhang mit der sich schon Ende<br />

der 90er-Jahre abzeichnenden Schließung des<br />

Sonderschulstandortes <strong>in</strong> Ludwigslust und<br />

der Errichtung des „Landesförderzentrums <strong>für</strong><br />

den Förderschwerpunkt „Hören“ Mecklenburg-Vorpommern“.<br />

Uns g<strong>in</strong>g es mit vielen<br />

anderen Fachleuten gerade eben darum, dass<br />

es dabei nicht bei e<strong>in</strong>er Türschildänderung an<br />

der Sonderschule bleibt, sondern sich das För-<br />

derzentrum tatsächlich als Zentrum <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Förderung hörgeschädigter K<strong>in</strong>der und Jugendlicher<br />

mit <strong>alle</strong>n erforderlichen Kompetenzen<br />

im H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> Bewältigung der<br />

vielfältigen, auch neuen und sich ständig weiter<br />

verändernden Bildungs- und Erziehungsanforderungen<br />

etablieren kann. Tatsache ist,<br />

dass sich seitdem viel Lobens- und Anerkennenswertes<br />

getan hat, aber auch Vieles aufgetan<br />

hat, wo heute dr<strong>in</strong>gend Handlungs- und<br />

Veränderungsbedarf besteht.<br />

So ist es überaus begrüßenswert, <strong>in</strong> welcher<br />

Vielzahl und Vielfalt heute bereits stark hörgeschädigte<br />

K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schulen beschult werden, leider nicht immer<br />

mit dem erhofften Erfolg. Und fatalerweise<br />

wird auf e<strong>in</strong>en Misserfolg noch viel zu oft erst<br />

Jahre später reagiert, wenn das K<strong>in</strong>d durch das<br />

Erleben von Versagen, Zurücksetzung, Ausgrenzung,<br />

Isoliertheit, H<strong>in</strong>terher-Se<strong>in</strong> usw. <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Entwicklung nachhaltig geprägt wurde.<br />

Mitunter s<strong>in</strong>d dann Lern-, Leistungs- und<br />

Entwicklungsprobleme oder gar uns als Gesellschaft<br />

arg zusetzende Verhaltensstörungen<br />

der K<strong>in</strong>der und Jugendlichen <strong>die</strong> Folge. Und<br />

auch <strong>in</strong> ihrem späteren Leben f<strong>in</strong>den sie oft<br />

nicht so richtig ihren Platz im Leben, s<strong>in</strong>d und<br />

bleiben „Sorgenk<strong>in</strong>der“ der Familien, aber<br />

auch unserer Gesellschaft.<br />

Die Zeit lässt sich nicht aufhalten und <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e gel<strong>in</strong>gende und <strong>für</strong> das eigene<br />

Leben hilfreiche Identitätsentwicklung<br />

liegen nun mal <strong>in</strong> den frühen Jahren. Die Konsequenz<br />

heißt, wir müssen uns vorher mehr<br />

darum sorgen, was hörgeschädigte K<strong>in</strong>der und<br />

Jugendliche wirklich brauchen <strong>für</strong> ihre allumfassend<br />

gel<strong>in</strong>gende körperliche, geistige, seelische,<br />

moralische wie auch soziale Reifung und<br />

Entwicklung.


Wir stimmen Herrn Sommerfelds Aussage <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em kurzen E<strong>in</strong>gangsstatement zu, wenn er<br />

sagt, dass „Beh<strong>in</strong>derung“ e<strong>in</strong> gesellschaftlich<br />

nicht akzeptierter Zustand ist. Für den Bereich<br />

der hörgeschädigten Menschen ist festzustellen,<br />

dass ihr Handicap, nicht oder nur<br />

schlecht hören zu können, gerade im Bildungsbereich<br />

und <strong>in</strong> der Frühförderung noch nicht<br />

genügend akzeptiert und entsprechend berücksichtigt<br />

wird. Immer wieder müssen <strong>die</strong><br />

K<strong>in</strong>der erleben, dass sie so wie sie s<strong>in</strong>d nicht<br />

gut s<strong>in</strong>d (gesagt bekommen sie natürlich schon<br />

das Gegenteil). Immer wieder geht es aus unserer<br />

Sicht zu sehr darum, es den anderen, den<br />

gut hörenden Mitschülern, gleich zu tun, sich<br />

eben nur besser anzustrengen, aufmerksamer<br />

zu se<strong>in</strong>, aufzupassen, sich zu beteiligen und aktiver<br />

e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gruppe usw. usf.<br />

Natürlich brauchen hörgeschädigte K<strong>in</strong>der<br />

auch Ihresgleichen, sie brauchen eben damit<br />

<strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>schaft auch hörgeschädigter K<strong>in</strong>der,<br />

Mitschüler und Freunde, und auch hörgeschädigter<br />

Erwachsener, <strong>die</strong> <strong>für</strong> sie Vorbild<br />

se<strong>in</strong> können, an denen sie erleben können, dass<br />

es auch gut möglich ist, e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nvollen und<br />

nützlichen Platz <strong>in</strong> unserer Gesellschaft als erwachsener<br />

hörgeschädigter Mensch f<strong>in</strong>den zu<br />

können. Und <strong>die</strong>ses haben sie <strong>in</strong> den allgeme<strong>in</strong><br />

bildenden Schulen oft nicht, weil sie dort meist<br />

dann auch noch als e<strong>in</strong>zelnes, andersartiges,<br />

hörgeschädigtes K<strong>in</strong>d „<strong>in</strong>tegriert“ s<strong>in</strong>d.<br />

Von daher muss also unbed<strong>in</strong>gt <strong>die</strong> Besonderheit<br />

der mit der Hörschädigung – <strong>in</strong> unserer<br />

hörenden Welt – immer verbundenen Beh<strong>in</strong>derung<br />

der Kommunikation und sozialen Interaktion<br />

gesehen und berücksichtigt werden,<br />

wenn <strong>die</strong> konkrete Frage nach Integration (von<br />

Inklusion möchten wir an der Stelle noch nicht<br />

sprechen) gestellt wird. Die Integrierbarkeit<br />

von Menschengruppen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> bestehendes System<br />

ist unseres Erachtens vor <strong>alle</strong>m abhängig<br />

von der Kommunikationssituation: Diese wiederum<br />

ist wesentlich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausbildung von<br />

B<strong>in</strong>dungen und Beziehungsfähigkeit als<br />

Grundlage unseres menschlichen Mite<strong>in</strong>anders.<br />

Nicht zuletzt spiegelt sich gerade <strong>in</strong> unseren<br />

aktuellen Diskussionen, um beispielsweise<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung und Nutzung von<br />

Deutsch-Sprach-Tests im Umgang mit Migranten,<br />

<strong>die</strong>se noch nicht zufrieden stellend gelöste<br />

Problematik wider.<br />

E<strong>in</strong> Zweites, was uns im Zusammenhang mit<br />

der Thematik der Tagung bewegt:<br />

Die qualitativen und quantitativen Veränderungen<br />

<strong>in</strong> unserem Land zur Feststellung von<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf s<strong>in</strong>d überaus<br />

begrüßenswert, haben sie doch dazu geführt,<br />

dass unsere K<strong>in</strong>der viel früher und genauer<br />

angeschaut, diagnostiziert und ihnen<br />

sowie den Eltern entsprechende Hilfe und Unterstützung<br />

- wozu ganz wesentlich <strong>die</strong> Gewährung<br />

entsprechender sonderpädagogischer<br />

Förderung gehört - zuteil werden kann und<br />

damit <strong>die</strong> „Auswüchse“ von Fehlentwicklungen,<br />

sekundären Beh<strong>in</strong>derungen und Entwicklungsverzögerungen<br />

usw. weitgehend vermieden<br />

oder gemildert werden können. Wie sieht<br />

es nun aber <strong>in</strong> der Praxis aus? Haben wir uns<br />

da nicht e<strong>in</strong> bisschen zuviel des Guten vorgenommen,<br />

und so <strong>die</strong> Segregierung von Anteilen<br />

allgeme<strong>in</strong> notwendiger Förderung <strong>in</strong> den<br />

sonderpädagogischen Bereich (bzw. <strong>in</strong> den<br />

Aufbau von Förderschulen) verlagert, mit dem<br />

wir nun nicht mehr fertig werden, weil er uns<br />

über den Kopf wächst und wir das <strong>alle</strong>s kaum<br />

noch f<strong>in</strong>anzieren können?!<br />

Wir me<strong>in</strong>en dazu, JA: <strong>die</strong> Möglichkeiten frühzeitiger<br />

Diagnostik nutzen, das Wissen und<br />

<strong>die</strong> Erkenntnisse über den „(sonder-)pädagogischen<br />

Förderbedarf “ quasi im H<strong>in</strong>terkopf<br />

behalten und <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>e Schule personell<br />

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wie auch ideell <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bewältigung <strong>die</strong>ser umfangreichen<br />

gesellschaftlichen Erfordernisse<br />

besser ausrüsten.<br />

Wir brauchen weiter <strong>die</strong> Möglichkeit der Bildung<br />

und Erziehung unserer K<strong>in</strong>der an Sonderschulen<br />

(wir me<strong>in</strong>en gerade auch <strong>für</strong> unsere<br />

stark hörgeschädigten K<strong>in</strong>der) und das <strong>in</strong><br />

noch besserer Qualität, aber wir brauchen<br />

nicht <strong>für</strong> jede Art und jedes Ausmaß von „Beh<strong>in</strong>derung“<br />

e<strong>in</strong>e Förderschule. Im Freizeitbereich<br />

halten wir bei Hörgeschädigten mehr<br />

<strong>in</strong>tegrative Formen der Zusammenarbeit von<br />

Sonderschule und allgeme<strong>in</strong> bildender Schule<br />

durchaus <strong>für</strong> s<strong>in</strong>nvoll und erstrebenswert. Andererseits<br />

brauchen wir aber auch e<strong>in</strong>e Stärkung<br />

und Qualifizierung der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule, damit sie besser den<br />

diagnostizierten Förderbedarfen der „auffälligen“<br />

K<strong>in</strong>der entsprechen kann. Wir brauchen<br />

<strong>in</strong>dividuelle Förderung <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule ohne „Verzettelung“ <strong>in</strong>s Detail.<br />

Unser Anspruch ist es nicht, hier e<strong>in</strong>e umfassende<br />

und allgeme<strong>in</strong>gültige Liste von notwendigen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen und Voraussetzungen aufzuführen.<br />

Ne<strong>in</strong>, wir brauchen nicht nur <strong>in</strong> der<br />

allgeme<strong>in</strong> bildenden Schule, aber vor <strong>alle</strong>m<br />

dort, neben vielen spezifischen personellen<br />

und materiellen Voraussetzungen vor <strong>alle</strong>m<br />

e<strong>in</strong> Mehr an zwischenmenschlicher Kompetenz,<br />

d.h. wieder reife <strong>in</strong>tuitive Beziehungsfähigkeit<br />

und natürlich auch <strong>die</strong> <strong>in</strong>stitutionellen<br />

sowie personellen Voraussetzungen, um mite<strong>in</strong>ander<br />

zu leben, aber auch mite<strong>in</strong>ander zu<br />

erleben und vor <strong>alle</strong>m Erlebtes <strong>in</strong> altersgerechter<br />

Weise kommunizieren zu können. Wir<br />

brauchen dazu mehr Zeit, B<strong>in</strong>dung, Verlässlichkeit<br />

und Kont<strong>in</strong>uität, aber auch Autorität<br />

und <strong>die</strong> Fähigkeit von Lehrern, zugewandt<br />

und abgegrenzt zugleich Schülern gegenüber<br />

zu handeln. Wir brauchen emotionale Intelligenz<br />

und ganz klar „Entschleunigung“ als Vor-<br />

aussetzung <strong>für</strong> gel<strong>in</strong>gende Kommunikation -<br />

auf <strong>alle</strong>n Ebenen.


Workshops zur Fachtagung<br />

„<strong>Aufbruch</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Wissensgesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>alle</strong>“<br />

28. März 2009<br />

Workshop I: Vom Ziehen an e<strong>in</strong>em<br />

Strang, aber <strong>in</strong> unterschiedliche Richtungen<br />

– zur Kooperation zwischen<br />

Trägern der Förderschulen und den<br />

Jugendämtern<br />

Moderation: Thomas Thadewald, Landeselternrat<br />

M-V e.V.<br />

Katja Falkenberg, Thomas Thadewald, Silvia Schrötter (v.l.n.r.)<br />

Referat:<br />

Katja Falkenberg – Schulsozialarbeiter<strong>in</strong> an<br />

der „Hundertwasser“ Gesamtschule Rostock<br />

Silvia Schrötter – Schulleiter<strong>in</strong> am Förderzentrum<br />

<strong>für</strong> Erziehungsschwierige Rostock<br />

Jugendhilfe und Schule, beide Professionen<br />

s<strong>in</strong>d aufgefordert, systematisch zu kooperieren.<br />

Als Grundlage da<strong>für</strong> <strong>die</strong>nen:<br />

• verschiedene Bildungsberichte, vor <strong>alle</strong>m der<br />

Bildungsbericht der Expertenkommission<br />

• Analysen und Empfehlungen des 12. K<strong>in</strong>der-<br />

und Jugendberichts „Bildung, Betreuung<br />

und Erziehung vor und neben der Schule“<br />

sowie<br />

• <strong>die</strong> Beschlüsse der Jugendm<strong>in</strong>ister- und Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz<br />

zur Kooperation von<br />

Jugendhilfe und Schule.<br />

K<strong>in</strong>der und Jugendliche im Mittelpunkt<br />

Jugendhilfe und Schule agieren <strong>in</strong> gesellschaftlichem<br />

Auftrag. Sie werden überwiegend<br />

staatlich f<strong>in</strong>anziert.<br />

Ihre Qualität muss dokumentiert werden, z.B.<br />

<strong>in</strong> Sachberichten, Gesprächen mit Jugendämtern<br />

oder Schulentwicklungsplänen.<br />

Deshalb stehen im Mittelpunkt der Diskussionen<br />

zur Kooperation von Jugendhilfe und<br />

Schule <strong>die</strong> Rechte, Bedürfnisse und Förderbedarfe<br />

von K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen.<br />

Es geht um e<strong>in</strong>e erste umfassende und lebensweltorientierte<br />

Pädagogik, und es geht darum,<br />

wie formelle, nonformelle und <strong>in</strong>formelle Bildung<br />

mite<strong>in</strong>ander verwoben werden können.<br />

Für <strong>die</strong> Entwicklung ihrer Persönlichkeit, ihrer<br />

sozialen, emotionalen und kulturellen Fähigkeiten<br />

und ihrer Begabungen brauchen K<strong>in</strong>der<br />

und Jugendliche förderliche Bed<strong>in</strong>gungen.<br />

K<strong>in</strong>der und Jugendliche lernen <strong>in</strong> Peergroups<br />

und <strong>in</strong> Me<strong>die</strong>n- und Konsumwelten von- und<br />

mite<strong>in</strong>ander. Sie wollen vielfältige Möglichkeiten<br />

und Gelegenheiten, um Wissen und<br />

Können zu erwerben und eigene, selbstverantwortete<br />

Erfahrungen machen zu können.<br />

Für ihre Entwicklung brauchen sie:<br />

• beständige, verlässliche und akzeptierende<br />

Beziehungen,<br />

• e<strong>in</strong> stabiles kulturelles Umfeld,<br />

• Partnerschaften zu gleichaltrigen Jungen<br />

und Mädchen,<br />

• pädagogische Unterstützung,<br />

• Orientierung, Konfliktfähigkeit und Toleranz.<br />

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Benachteiligte K<strong>in</strong>der und Jugendliche <strong>in</strong><br />

schwierigen Lebensphasen brauchen e<strong>in</strong> zuverlässiges<br />

System der Hilfe und Unterstützung.<br />

E<strong>in</strong> an den Bedürfnissen von K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen<br />

und ihren Familien ausgerichtetes<br />

Gesamtsystem von Bildung, Betreuung und<br />

Erziehung erfordert e<strong>in</strong>e systematische und<br />

rechtlich verb<strong>in</strong>dliche partnerschaftliche Zusammenarbeit<br />

der unterschiedlichen Systeme<br />

Jugendhilfe und Schule. Sie brauchen e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

„Kooperationskultur“ mit fest vere<strong>in</strong>barten<br />

Strukturen, um <strong>die</strong> Qualität e<strong>in</strong>er<br />

pädagogischen Arbeit im S<strong>in</strong>ne von Bildung,<br />

Betreuung und Erziehung sichern und entwickeln<br />

zu können. Dabei gilt es, <strong>die</strong> strukturellen<br />

Unterschiede der beiden Systeme Jugendhilfe<br />

( JH) und Schule zu e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>nvollen<br />

Ganzen zu verb<strong>in</strong>den.<br />

Geme<strong>in</strong>samkeiten von JH und Schule<br />

• gleiche Zielgruppe<br />

• Chancengleichheit unabhängig von<br />

Herkunft, Geschlecht, Ethnie<br />

• gesellschaftliche Integration<br />

• Förderung junger Menschen <strong>in</strong> ihrer Entwicklung<br />

zu e<strong>in</strong>er eigenverantwortlichen<br />

und geme<strong>in</strong>schaftsfähigen Persönlichkeit.<br />

Vor <strong>die</strong>sem H<strong>in</strong>tergrund haben Jugendhilfe<br />

und Schule unterschiedliche Schwerpunkte<br />

gesetzt und unterschiedliche Handlungsaufträge<br />

entwickelt.<br />

Jugendhilfe und Schule s<strong>in</strong>d, neben der Familie,<br />

<strong>die</strong> <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en gel<strong>in</strong>genden Lebensweg von<br />

K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen entscheidenden<br />

Institutionen. Sie tragen <strong>die</strong> öffentliche Verantwortung<br />

<strong>für</strong> das Aufwachsen der jungen<br />

Generation.<br />

Gerechtigkeit<br />

K<strong>in</strong>der müssen Gerechtigkeit erfahren! Haben<br />

sie gleiche Chancen auf Zugang zu Bil-<br />

dung und Erziehung? Werden Unterschiede<br />

gemacht aufgrund von Herkunft, von Begabungen<br />

oder Handicaps? Bildung ist e<strong>in</strong>e „soziale<br />

Frage“!<br />

Kultur der Anerkennung<br />

Die „Pädagogik der Anerkennung“ ist zu fördern.<br />

Oftmals werden Bildungsleistungen zu<br />

stark unter dem Gesichtspunkt bewertet, was<br />

der e<strong>in</strong>zelne Jugendliche (noch) nicht kann.<br />

Bildungsförderung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganzheitlichen<br />

Konzept betont h<strong>in</strong>gegen <strong>die</strong> Ressourcen der<br />

K<strong>in</strong>der und entwickelt geme<strong>in</strong>sam mit ihnen<br />

Perspektiven <strong>für</strong> ihren Bildungsweg.<br />

Förderung<br />

Durch e<strong>in</strong>e abgestimmte soziale, emotionale<br />

und kognitive Förderung muss es gel<strong>in</strong>gen,<br />

dass ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d und ke<strong>in</strong> Jugendlicher zurückbleibt.<br />

Die Vielfalt der Begabungen muss dabei<br />

ebenso gesehen werden wie <strong>die</strong> Risiken<br />

und Benachteiligungen, denen viele K<strong>in</strong>der<br />

und Jugendliche ausgesetzt s<strong>in</strong>d. Oberstes Gebot<br />

ist es, soziale Ausgrenzung zu vermeiden<br />

und jedes K<strong>in</strong>d und jeden Jugendlichen <strong>in</strong>dividuell<br />

und optimal zu fördern. Das Scheitern<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des bzw. Jugendlichen auf se<strong>in</strong>em<br />

Bildungsweg ist zugleich e<strong>in</strong> Scheitern <strong>alle</strong>r<br />

Beteiligten, wie Eltern, Jugendhilfe und Schule.<br />

§ 59 Schulgesetz, § 13 KJHG etc.<br />

Demokratie<br />

Partizipation von K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen<br />

und deren Eltern ist als zentrales Gestaltungspr<strong>in</strong>zip<br />

<strong>für</strong> Jugendhilfe und Schule von hohem<br />

Wert. Mitgestaltung schulischer Angebote,<br />

Leitbild der Schule etc. Demokratie und Beteiligung<br />

me<strong>in</strong>t auch Respekt und Wertschätzung,<br />

Fürsorge und Rücksichtnahme, Gerechtigkeit<br />

und Gleichheit. Dies s<strong>in</strong>d nicht<br />

abstrakte Leitsätze oder Projektziele, sondern<br />

fest verankert <strong>in</strong> der Alltagskultur e<strong>in</strong>er jeden<br />

E<strong>in</strong>richtung. So sollen Entscheidungen, <strong>die</strong>


<strong>die</strong> K<strong>in</strong>der und Jugendlichen betreffen, von <strong>alle</strong>n<br />

Akteuren geme<strong>in</strong>sam getroffen werden.<br />

Zeit<br />

• neuer Umgang mit Zeit (Ganztagsangebote)<br />

• Tagesablauf flexibel gestalten<br />

• versäumte Bildungszeit nachholen können<br />

Eltern<br />

Jugendhilfe und Schule müssen immer darauf<br />

achten, dass <strong>die</strong> Eltern sich aktiv <strong>in</strong> das Bildungsgeschehen<br />

und <strong>die</strong> <strong>in</strong>stitutionelle Erziehung<br />

der K<strong>in</strong>der und Jugendlichen e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen.<br />

Dabei ist es auch wichtig, Familien bedarfsorientierte<br />

und verlässliche Angebote zu machen,<br />

z.B. mit flexiblen Öffnungszeiten <strong>in</strong> der Schulzeit<br />

und <strong>in</strong> den Schulferien.<br />

Übergänge<br />

Besondere Bedeutung hat e<strong>in</strong>e gute Kooperation<br />

von Jugendhilfe und Schule immer dann,<br />

wenn bei K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen biografisch<br />

e<strong>in</strong> Übergang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Lebensphase<br />

ansteht. Von großer Bedeutung ist auch der<br />

Übergang nach der Schule <strong>in</strong> <strong>die</strong> Berufsausbildung<br />

und <strong>die</strong> Arbeitswelt.<br />

Qualifikation der Pädagog<strong>in</strong>nen<br />

und Pädagogen<br />

Die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und<br />

Schule braucht professionelle Kompetenz. Bislang<br />

s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Fachkräfte der jeweiligen Systeme<br />

nur <strong>für</strong> das spezifische Aufgabenfeld ausgebildet.<br />

Es ist notwendig, dass <strong>alle</strong>n Pädagog<strong>in</strong>nen<br />

und Pädagogen <strong>in</strong> Aus- und Fortbildung<br />

Kenntnisse der Strukturen und der Pädagogik<br />

beider Bereiche vermittelt werden. Das kann<br />

<strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>aren und Tagungen geschehen, aber<br />

auch durch gegenseitige Hospitationen. Für<br />

<strong>die</strong> Zukunft ist es s<strong>in</strong>nvoll, das erziehungswissenschaftliche<br />

Studium <strong>für</strong> beide Systeme auf<br />

e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Basis zu stellen.<br />

Art der Kooperationen<br />

Das Spektrum von Kooperationsmöglichkeiten<br />

ist breit. (H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong> im Anschluss<br />

vorgestelltes funktionierendes Kooperationsmodell<br />

<strong>in</strong> Rostock)<br />

Regionale Bildungslandschaften auf<br />

kommunaler Ebene<br />

Kooperation auf kommunaler Ebene zwischen<br />

beiden Bereichen ist unverzichtbar. Diese Kooperation<br />

kann <strong>in</strong> unterschiedlichen Formen<br />

erfolgen. Beispiele s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen kommunalem Schulverwaltungsamt<br />

und Jugendamt, beispielsweise <strong>in</strong> Form geme<strong>in</strong>samer<br />

Sitzungen von Schul- und Jugendhilfeausschüssen,<br />

<strong>die</strong> Beratung von Bildungsthemen<br />

und Kooperationsformen im<br />

Jugendhilfeausschuss (<strong>in</strong> dem Schule <strong>in</strong> der<br />

Regel beratend vertreten ist) oder <strong>in</strong>tegrierte<br />

Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung.<br />

Jugendhilfeangebote an der Schule<br />

• Schulsozialarbeit an jeder Schule<br />

• sozialraumorientierte Zusammenarbeit mit<br />

Trägern der Jugendhilfe<br />

• geme<strong>in</strong>same Projekte von Jugendhilfe und<br />

Schule<br />

• geme<strong>in</strong>same stadtteilbezogene Aktionen im<br />

Jugendhaus<br />

• Beteiligung der Schule oder geme<strong>in</strong>same<br />

Fortbildungen <strong>in</strong> Mediation <strong>für</strong> Lehrkräfte<br />

und Fachkräfte der Jugendhilfe<br />

• Kooperationsverträge<br />

• Nachmittagsangebote von JH <strong>in</strong> Ganztagsschule<br />

Sozialraumbezogene Formen<br />

der Kooperation<br />

Kooperationen <strong>in</strong> sozialraumbezogenen Netzwerken<br />

gehen über bilaterale Formen der<br />

Zusammenarbeit h<strong>in</strong>aus und eröffnen Möglichkeiten<br />

der Kooperation mehrerer Schulen,<br />

E<strong>in</strong>richtungen und Trägern der Jugendhilfe so-<br />

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wie anderer Institutionen <strong>in</strong> Bezug auf e<strong>in</strong>en<br />

Stadtteil, e<strong>in</strong>e Stadt oder e<strong>in</strong>en Landkreis. Insbesondere<br />

stadtteilbezogene Kooperationen<br />

ermöglichen e<strong>in</strong>e engere Abstimmung der Angebote<br />

und Dienstleistungen vor Ort.<br />

Durch sozialraumbezogene Formen der Kooperation<br />

können Schulen und E<strong>in</strong>richtungen<br />

und Träger der Jugendhilfe sich wechselseitig<br />

ergänzen und unterstützen, sie können<br />

geme<strong>in</strong>same Arbeitsschwerpunkte und Handlungsfelder<br />

bestimmen und durch <strong>die</strong>se Form<br />

dazu beitragen, <strong>die</strong> Lebenswelten von K<strong>in</strong>dern<br />

und Jugendlichen zu gestalten.<br />

Der Rahmen<br />

Die Verzahnung der Angebote und <strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>die</strong> Gestaltung von Schnittstellen <strong>in</strong> Jugendhilfe<br />

und Schule haben schon begonnen, es<br />

werden jedoch tragende Strukturen benötigt.<br />

• Ganztagsgestaltung<br />

• Schulgesetz<br />

• Stellenbeschreibungen, Konzepte, Schulprogramme<br />

• Empfehlungen<br />

Auf Landesebene s<strong>in</strong>d verb<strong>in</strong>dliche Rahmenvere<strong>in</strong>barungen<br />

notwendig.<br />

Orte der Kommunikation schaffen<br />

Bisher verfügen Jugendhilfe und Schule über<br />

ke<strong>in</strong>e festgelegten Orte organisierter Begegnung,<br />

an denen <strong>die</strong> unterschiedlichen Perspektiven<br />

und Interessen zusammengeführt werden.<br />

Ausgangssituation analysieren<br />

• Kommunale Datenerhebungen im Schul-<br />

und Jugendhilfebereich<br />

• Berichtssysteme etwa <strong>in</strong> den Bereichen<br />

Schulabsentismus, Bildungsbeteiligung<br />

benachteiligter Sozialgruppen (z.B. von<br />

K<strong>in</strong>dern aus Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund),<br />

Zahl der ganztägig betreuten<br />

K<strong>in</strong>der und Jugendlichen <strong>in</strong> Tagese<strong>in</strong>richtungen<br />

und Ganztagsschulen<br />

• HZE Statistiken<br />

• Sachberichte der JH<br />

Geme<strong>in</strong>same Leitbilder entwickeln<br />

Dazu gehört u.a.:<br />

• sich über primäre Vernetzungsbereiche und<br />

-ziele verständigen,<br />

• zielgruppenspezifische Ansätze verwirklichen<br />

(z.B. Benachteiligten- und Begabtenförderung),<br />

• Integration von K<strong>in</strong>dern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund,<br />

• geme<strong>in</strong>same Ansätze der Mädchen- und<br />

Jungenarbeit entwickeln,<br />

• Förderung von K<strong>in</strong>dern mit Lernschwächen<br />

und Verhaltensauffälligkeiten;<br />

Integration beh<strong>in</strong>derter K<strong>in</strong>der,<br />

• <strong>die</strong> Gestaltung umfangreicher E<strong>in</strong>zelhilfen<br />

(Hilfen zur Erziehung, Integration von<br />

K<strong>in</strong>dern mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf <strong>in</strong> <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schulen),<br />

• sowie <strong>die</strong> Entwicklung und Ausgestaltung<br />

konkreter Vernetzungsstrukturen (z.B.<br />

Schulsozialarbeit, Zusammenarbeit mit<br />

sonderpädagogischen Beratungs- und<br />

Förderzentren).<br />

1. Vorstellung e<strong>in</strong>es funktionierenden<br />

Kooperationsmodells der Schule <strong>für</strong><br />

Erziehungsschwierige Rostock – Jugendamt<br />

Rostock<br />

Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e staatliche Schule, e<strong>in</strong>e Förderschule<br />

<strong>die</strong> Schüler mit schweren Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />

im emotionalen und sozialen Bereich<br />

beschult und betreut. Diese K<strong>in</strong>der und Jugendlichen<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Regel normal <strong>in</strong>telligent und<br />

<strong>die</strong> Probleme umfassen nicht nur e<strong>in</strong>en Bereich,<br />

<strong>die</strong> Schule, sondern wirken sich auch auf <strong>alle</strong> anderen<br />

Bereiche aus wie Familie, Peergroup, Freizeitverhalten,<br />

es kann der Schulbesuch gefähr-


det se<strong>in</strong>, es kann e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dswohlgefährdung<br />

vorliegen, es kann e<strong>in</strong>e Suchtproblematik vorliegen,<br />

usw. usw. Deshalb ist e<strong>in</strong>e enge Zusammenarbeit<br />

mit der Jugendhilfe unerlässlich. Wir benötigen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der und Jugendlichen<br />

sowohl sonderpädagogische als auch sozialpädagogische<br />

Unterstützung.<br />

Schon seit Jahren haben wir Kooperationsvere<strong>in</strong>barungen,<br />

immer mit dem Ziel, <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

im S<strong>in</strong>ne der K<strong>in</strong>der zu <strong>in</strong>tensivieren<br />

und <strong>die</strong> vorhandenen Kapazitäten zu<br />

bündeln und effektiver zu arbeiten. Dabei haben<br />

wir e<strong>in</strong> gestuftes System von Hilfen entwickelt,<br />

denn <strong>die</strong> von uns betreuten K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d<br />

oft variabel <strong>in</strong> ihren Verhaltensweisen, deshalb<br />

müssen wir ebenso variable Hilfen anbieten.<br />

Ihnen <strong>die</strong> gesamte Arbeit unserer Schule vorzustellen<br />

führt zu weit, denn wir haben vielfältige,<br />

sehr gestufte Hilfen von dem Bereich Beratung<br />

und Diagnostik ausgehend bis h<strong>in</strong> zu<br />

dem Bereich Lerntherapeutische E<strong>in</strong>richtungen.<br />

Nun zu dem funktionierenden Kooperationskonzept:<br />

Leider standen uns vor e<strong>in</strong>igen Jahren ke<strong>in</strong>e<br />

Sozialpädagogen an der Schule direkt zur Verfügung,<br />

und wir entwickelten e<strong>in</strong> Konzept, Sozialpädagogik<br />

eng an unsere Schule zu b<strong>in</strong>den.<br />

Der Schulvere<strong>in</strong> „Wirbelw<strong>in</strong>d e.V.“ stellte den<br />

Antrag und bekam <strong>die</strong> Genehmigung als freier<br />

Träger der Jugendhilfe zu arbeiten. Dieser Vere<strong>in</strong><br />

stellte Sozialpädagogen e<strong>in</strong>, <strong>die</strong> vor <strong>alle</strong>m <strong>in</strong><br />

den „Schulstationen“ (E<strong>in</strong>richtungen <strong>für</strong><br />

Schulmeider mit dem Ziel, <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der und Jugendlichen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Schule lange Zeit nicht besucht<br />

haben, wieder <strong>in</strong> Schule e<strong>in</strong>zugliedern)<br />

tätig wurden.<br />

Zurzeit ist es so, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schulstation e<strong>in</strong><br />

Lehrer und zwei Sozialpädagogen (als Angestellte<br />

des „Wirbelw<strong>in</strong>d e. V.“) als Team arbei-<br />

ten und sich umfassend mit der Problematik<br />

der betroffenen Schüler beschäftigen, dabei arbeiten<br />

<strong>die</strong> Sozialpädagogen z.T. auf der Basis<br />

von sozialer Gruppenarbeit und auch mit dem<br />

Ziel, Hilfen zur Erziehung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Betroffenen<br />

zu gewährleisten. Intensive Elternarbeit, aufsuchende<br />

Sozialarbeit, sonderpädagogische<br />

Arbeit und Gruppenarbeit ist dabei im Team<br />

möglich. Die enge Verzahnung von Sonder-<br />

und Sozialpädagogik ermöglicht uns, systemisch<br />

zu arbeiten und <strong>die</strong> Maßnahmen direkt<br />

und unmittelbar aufe<strong>in</strong>ander abzustimmen.<br />

Voraussetzung ist e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Konzept,<br />

das sowohl Zugang als auch Arbeitsweise und<br />

auch Abgang der K<strong>in</strong>der und Jugendlichen<br />

verb<strong>in</strong>dlich regelt. Und das liegt <strong>für</strong> jede der<br />

drei Schulstationen vor.<br />

Die gesamte Arbeit der Schulstationen vorzustellen,<br />

ist <strong>für</strong> unsere AG zu umfangreich.<br />

Aus unserer Sicht ist es e<strong>in</strong> sehr gut funktionierendes<br />

Modell der Zusammenarbeit und<br />

der Bündelung der Ressourcen. Ich möchte<br />

nur noch erwähnen, was uns hiermit aus me<strong>in</strong>er<br />

Sicht erstmals gelungen ist:<br />

• Wir haben e<strong>in</strong>en Aufnahmemodus entwickelt,<br />

<strong>in</strong> dem beide Institutionen ( JH u.<br />

Schule) gleichberechtigt s<strong>in</strong>d.<br />

• Wir führen e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Hilfeplangespräch<br />

durch, dabei ist unerheblich von welcher<br />

Institution der Vorschlag zur Aufnahme<br />

kommt.<br />

• Die Aufnahme <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schulstation erfolgt<br />

nur, wenn der Bedarf an Hilfe von beiden<br />

Seiten gesehen wird.<br />

• Es gibt geme<strong>in</strong>same Vere<strong>in</strong>barungen über<br />

das Vorgehen <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Hilfeform, das betrifft<br />

auch <strong>die</strong> Beschreibung von Fortschritten und<br />

<strong>die</strong> eventuell notwendige E<strong>in</strong>leitung weiterer<br />

Hilfe bzw. <strong>die</strong> Beendigung der Hilfe.<br />

• Aus den Erfahrungen heraus, <strong>die</strong> wir bei der<br />

Entwicklung von Schulstationen <strong>in</strong> der Zusammenarbeit<br />

beider Institutionen gemacht<br />

51


52<br />

haben, hat sich e<strong>in</strong>e übergreifende Kooperation<br />

entwickelt; wir werden h<strong>in</strong>zugezogen<br />

bei der Entwicklung weiterer Kooperationsmodelle<br />

wie z.B. Lerntherapeutische E<strong>in</strong>richtungen,<br />

und zusätzlich ist es zur Selbstverständlichkeit<br />

bei den meisten<br />

Jugendamtsmitarbeitern (Bereichssozialarbeitern)<br />

geworden, uns zu Hilfeplangesprächen<br />

e<strong>in</strong>zuladen.<br />

• In der Zusammenarbeit vom Jugendamt<br />

Rostock und dem Förderzentrum <strong>für</strong> Erziehungsschwierige<br />

Rostock ist es zu e<strong>in</strong>er<br />

neuen Qualität gekommen, <strong>die</strong> den Charakter<br />

von Gleichberechtigung hat und erste<br />

Schritte auf dem Weg zur systematischen<br />

Sichtweise e<strong>in</strong>leitet und ämterübergreifend<br />

im S<strong>in</strong>ne des problematischen K<strong>in</strong>des bzw.<br />

Jugendlichen wirkt.


Workshop 2: Land unter <strong>in</strong> den Kollegien<br />

der Förderschulen!? - Zur Fachkräftesituation<br />

<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

Moderation: Roland Zahn, Förderschule<br />

Sietow/Verband bildung und Erziehung M-V<br />

Gabriele Brick, Roland Zahn, Kerst<strong>in</strong> Morawetz (v.l.n.r.)<br />

Zusammenfassender Bericht:<br />

Der Workshop fand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er offenen, freundlichen,<br />

konstruktiven und <strong>in</strong>tensiven Form <strong>in</strong><br />

relativ kle<strong>in</strong>er Runde statt (circa 20 Kollegen).<br />

Frau Morawetz und Frau Brick eröffneten unsere<br />

Beratung mit e<strong>in</strong>em Statement von jeweils<br />

ungefähr 20 M<strong>in</strong>uten. Es kam zu e<strong>in</strong>em regen<br />

Gedankenaustausch und <strong>in</strong>teressanten Diskussionen.<br />

Dabei stellte sich e<strong>in</strong>e unterschiedliche<br />

Zählweise der Anzahl der ausgebildeten<br />

Förderschullehrer zwischen den Gewerkschaften<br />

und dem BM (Bildungsm<strong>in</strong>isterium)<br />

heraus. Die Zahlen schwankten zwischen 50<br />

und 80 Prozent. Wobei <strong>die</strong> Fachlichkeiten <strong>in</strong><br />

den Förderschulen zur <strong>in</strong>dividuellen Lebensbewältigung<br />

(FiL) noch darunter liegen. Im<br />

BM wurden <strong>die</strong> höheren Prozente der Fachlichkeit<br />

statistisch ermittelt (z.B. durch Zertifikate).<br />

Eventuell erwägt man auch Fachlichkeiten<br />

durch Dienstjahre anzuerkennen. Aber<br />

zählt das dann auch bei Bewerbungen um Leitungsstellen,<br />

bei der Erstellung von Gutachten<br />

oder bei Gehaltsgruppen?<br />

E<strong>in</strong> weiteres Problem stellt <strong>die</strong> Altersstruktur<br />

<strong>in</strong> den Kollegien dar. Das BM plant e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>-<br />

stellungskorridor und beabsichtigt eventuell<br />

das LPK <strong>in</strong> unserer Schulartgruppe zu beenden.<br />

Weiter prüft das BM, ob sie sich nicht e<strong>in</strong>en<br />

Großteil der Kosten <strong>für</strong> <strong>die</strong> PmsA vom<br />

Sozialm<strong>in</strong>isterium wiederholen können (Stichwort-Pflege).<br />

E<strong>in</strong> PmsA-Erlass ist <strong>in</strong> Vorbereitung.<br />

Zurzeit gibt es noch ke<strong>in</strong>e Aussagen über<br />

<strong>die</strong> Stundenzuweisung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erzieher.<br />

Möglichkeiten zur Verbesserung der Fachkräftesituation<br />

wurden <strong>in</strong> Weiterbildungsangeboten<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Beschäftigten ohne Lehramt <strong>für</strong><br />

Förderschulen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Werbung von Junglehrern,<br />

<strong>in</strong>sbesondere auf dem flachen Land<br />

gesehen. Rezepte da<strong>für</strong> und vielleicht e<strong>in</strong> Entgegenkommen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> altge<strong>die</strong>nten Kollegen<br />

wurden nicht gefunden. Viele gute Ideen setzen<br />

mehr f<strong>in</strong>anzielle Mittel voraus.<br />

Um lange Wege <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lehrer der Bl<strong>in</strong>denschule<br />

zu vermeiden, wurde der Gedanke von<br />

Außenstellen im Land diskutiert und auch <strong>für</strong><br />

gut befunden.<br />

Wir konnten uns dah<strong>in</strong>gehend e<strong>in</strong>igen, dass<br />

unser Workshopthema „Land unter <strong>in</strong> den<br />

Kollegien der Förderschulen?“ doch noch nicht<br />

ganz so ernst geme<strong>in</strong>t war. Wir sehen aber<br />

dennoch großen und dr<strong>in</strong>genden Handlungsbedarf,<br />

um ausgebildete junge Lehrer zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

Referat: Kerst<strong>in</strong> Morawetz, GEW<br />

1. Geschichtlicher Abriss<br />

• Bis 1989 wurden <strong>in</strong> der damaligen DDR<br />

Förderschulen auch entsprechend des Förderschwerpunktes<br />

e<strong>in</strong>gerichtet, jedoch ke<strong>in</strong>e<br />

FiL (<strong>die</strong>se waren dem Gesundheitswesen als<br />

Förderstätten angegliedert).<br />

• Zum großen Teil wurden Lehrkräfte aus anderen<br />

Schularten akquiriert, <strong>in</strong>sbesondere<br />

Grundschullehrer.<br />

• Viele Lehrkräfte wurden auch über e<strong>in</strong> Fernstudium,<br />

1 oder 2- jähriges Direktstudium, nachqualifiziert<br />

(Magdeburg, H<strong>alle</strong>, Berl<strong>in</strong>, Erfurt).<br />

5


5<br />

• Mit dem Neuaufbau des Wissenschaftsbereiches<br />

<strong>für</strong> Sonder- und Heilpädagogik an<br />

der Universität Rostock im Jahre 1976 ist<br />

<strong>die</strong> Ausbildung von Diplomlehrern <strong>für</strong><br />

Hilfsschulen im 4-jährigen Direktstudium<br />

angeboten worden.<br />

• Nach 1989 unterrichteten an den Förderschulen<br />

Lehrkräfte mit unterschiedlichen<br />

Ausbildungen, <strong>die</strong> der Ausbildungsverordnung<br />

der BRD nicht entsprachen (LA SOS<br />

mit zwei sonderpädagogischen Fachrichtungen).<br />

• Nach 1989 erfolgte der Neuaufbau der FiL.<br />

2. Gegenwärtige Fachkräftesituation:<br />

Angaben des BM Gesamt-MV (Stand<br />

14.09.2006)<br />

1200<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

1093- ca. 80 %<br />

278<br />

LK<br />

Fachlichkeit<br />

LK ohne<br />

Qu- FÖS<br />

295<br />

93<br />

LK<br />

Fachlichkeit<br />

LK ohne<br />

Qu- FÖS<br />

Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmer am Workshop 2<br />

343<br />

32<br />

LK<br />

Fachlichkeit<br />

LK ohne<br />

Qu- FÖS<br />

231<br />

63<br />

LK<br />

Fachlichkeit<br />

LK ohne<br />

Qu- FÖS<br />

224<br />

MV SN HRO HGW NBG<br />

90<br />

LK<br />

Fachlichkeit<br />

LK ohne<br />

Qu- FÖS


3. Fachkräftesituation im H<strong>in</strong>blick auf das<br />

LA SOS (Stand März 2009)<br />

800<br />

700<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

LK- LA SOS<br />

734- ca 52 %<br />

LK andere LÄ<br />

681<br />

175<br />

LK- LA SOS<br />

LK andere LÄ<br />

195<br />

4. Vergleich und <strong>die</strong> daraus resultierende<br />

Diskussion<br />

• Es bestehen unterschiedliche Ausgangslagen<br />

im H<strong>in</strong>blick auf den Begriff „Fachkräfte“.<br />

• Der Ansatz des Aktionsbündnisses ist das<br />

LA SOS, wenn über Fachkräftebedarf gesprochen<br />

wird, da<br />

- besondere sonderpädagogische Aufgaben<br />

durch Sonderpädagogen entsprechend<br />

der KMK- Empfehlungen zu realisieren<br />

und<br />

- <strong>für</strong> <strong>alle</strong> Erlasslagen (z.B. Sonderpädagogische<br />

Förderverordnung, DFK-Verordnung,<br />

Geme<strong>in</strong>samer Unterricht) <strong>die</strong><br />

KMK-Empfehlungen Grundlage s<strong>in</strong>d.<br />

• Zurzeit liegt der Ausbildungsgrad entsprechend<br />

der Angaben der Personalräte bei ca. 52<br />

%, der Angaben des BM zufolge bei ca. 80 %.<br />

297<br />

LK- LA SOS<br />

99<br />

138<br />

210<br />

177<br />

124<br />

MV SN HRO HGW NBG<br />

LK andere LÄ<br />

LK- LA SOS<br />

LK andere LÄ<br />

LK- LA SOS<br />

LK andere LÄ<br />

• Der Ausbildungsgrad ist regional sehr unterschiedlich.<br />

• Besondere Aufmerksamkeit ver<strong>die</strong>nen dabei<br />

<strong>die</strong> Schulämter Schwer<strong>in</strong>, Greifswald und<br />

Neubrandenburg, bei denen der Ausbildungsgrad<br />

unter 50 % liegt (SN- ca. 47 %,<br />

HGW- ca. 39 %, NBG- 41 %).<br />

• Schon seit den 90er-Jahren wurde immer<br />

wieder auf <strong>die</strong>se Situation aufmerksam gemacht<br />

und <strong>die</strong> Hauptforderung lautete:<br />

Weiterbildungsmöglichkeiten <strong>für</strong> unbefristete<br />

Lehrkräfte im Förderschulbereich.<br />

• Dies jedoch wurde lange durch das BM zum<br />

e<strong>in</strong>en nicht erkannt und zum anderen eher<br />

zögerlich verfolgt.<br />

55


56<br />

5. Übersicht zu Aufbaustu<strong>die</strong>ngängen/<br />

Sonderpädagogik (Angaben BM)<br />

• Universität Rostock<br />

- VH/ LB (2001- 2005) - 16<br />

Lehrkräfte mit 4 Anrechnungsstunden<br />

• Universität Hamburg<br />

- Hör- und Sehgeschädigtenpädagogik<br />

(2001- 2003) - 6 Lehrkräfte mit<br />

15 Anrechnungsstunden<br />

- Hörgeschädigtenpädagogik (2006-<br />

2008) - 1 Lehrkraft mit 15 Anrechnungsstunden<br />

- Hörgeschädigtenpädagogik (2007-<br />

2009) - 3 Lehrkräfte mit 15 Anrechnungsstunden<br />

• Weitere Lehrkräfte absolvierten/ absolvieren<br />

das Aufbaustudium an der Universität Rostock<br />

zumeist ohne Anrechnungsstunden.<br />

• Große Anstrengungen wurden und werden<br />

unternommen, um sowohl <strong>für</strong> Lehrkräfte an<br />

FÖS als auch <strong>für</strong> Lehrkräfte anderer Schularten<br />

e<strong>in</strong>e Kompetenzerweiterung <strong>in</strong> sonderpädagogischen<br />

Fachrichtungen zu erreichen.<br />

• Aus der von der Landesagentur <strong>für</strong> Schulentwicklung<br />

zur Verfügung gestellten Übersicht<br />

geht hervor, dass bis 2006 879 LK an<br />

FB- Kursen teilnahmen (LA SOS und andere<br />

LÄ).<br />

6. Fazit<br />

• Weiterbildungen sollten im Rahmen von<br />

Aufbaustu<strong>die</strong>ngängen an der Universität<br />

Rostock unter Gewährung von Anrechnungsstunden<br />

angeboten werden.<br />

• Anreize müssen geschaffen werden, um Referendare<br />

und damit zukünftige Lehrkräfte<br />

verstärkt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Regionen SN, HGW und<br />

NBG zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

• Weitere Fortbildungsangebote zur Kompetenzerweiterung<br />

<strong>für</strong> sonderpädagogische<br />

Förderung (auch <strong>für</strong> LK mit dem LA SOS)<br />

sollten e<strong>in</strong>gerichtet werden.


Referat: Gabriele brick, M<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong><br />

bildung, Wissenschaft und Kultur<br />

Mecklenburg-Vorpommern verfügt über e<strong>in</strong><br />

flächendeckendes Schulnetz, das der spezifischen<br />

Anforderung e<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Besiedlungsdichte<br />

Rechnung tragen muss.<br />

So s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> 330 Grundschulen zum Teil jahrgangsübergreifend<br />

als „kle<strong>in</strong>e Grundschulen<br />

auf dem Lande“ strukturiert. E<strong>in</strong> Netz von 87<br />

Förderschulen garantiert grundsätzlich <strong>die</strong> Erreichbarkeit<br />

der schulischen Angebote.<br />

Im E<strong>in</strong>zelnen s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>s:<br />

• 34 Förderschulen zur <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lebensbewältigung<br />

• 41 allgeme<strong>in</strong>e Förderschulen<br />

• 3 Sprachheilschulen<br />

• 3 Schulen <strong>für</strong> Erziehungsschwierige<br />

• 3 Körperbeh<strong>in</strong>dertenschulen<br />

E<strong>in</strong>e Ausnahme bilden dabei <strong>die</strong> drei Landesschulen,<br />

<strong>die</strong> Schule <strong>für</strong> Bl<strong>in</strong>de und Sehbeh<strong>in</strong>derte<br />

Neukloster, <strong>die</strong> Schule <strong>für</strong> Gehörlose<br />

und Schwerhörige Güstrow und <strong>die</strong> Schule <strong>für</strong><br />

Körperbeh<strong>in</strong>derte Neubrandenburg.<br />

Im Schuljahr 2007/08 wurden über 12 % der<br />

Schüler der entsprechenden Jahrgänge <strong>in</strong> sonderpädagogischen<br />

Angeboten unterrichtet.<br />

Insgesamt waren <strong>die</strong>s 13.776 Schüler, davon<br />

10.644 (78 %) an Förderschulen und 3.131 im<br />

<strong>in</strong>tegrativen Unterricht (22 %). Der <strong>in</strong>tegrative<br />

Unterricht fand dabei <strong>für</strong> 47 % der teilnehmenden<br />

Schüler <strong>in</strong> Grundschulen, <strong>für</strong> 50 % <strong>in</strong><br />

Regionalen Schulen und <strong>für</strong> 3 % <strong>in</strong> Gymnasien<br />

statt.<br />

Die Ausprägung der Teilnahme am <strong>in</strong>tegrativen<br />

Unterricht entspricht <strong>in</strong> etwa dem Bundesdurchschnitt.<br />

Zu berücksichtigen ist jedoch e<strong>in</strong><br />

im Bundesvergleich <strong>in</strong>sgesamt mehr als doppelt<br />

so hoher Anteil von Schülern mit sonderpäda-<br />

gogischem Bedarf an der Gesamtkohorte.<br />

Trotz der aus dem hohen Anteil der sonderpädagogischen<br />

Förderung an der Gesamtunterrichtsversorgung<br />

begründeten Herausforderungen<br />

kann der Nachweis guter Standards<br />

<strong>für</strong> das Land geführt werden. E<strong>in</strong> Vergleich<br />

mit den im Bundesdurchschnitt erreichten<br />

Werten (gemäß KMK-Statistik) macht <strong>die</strong>s<br />

deutlich:<br />

Schüler-Lehrer-<br />

Relation<br />

Bund M-V<br />

Grundschule 19,4 18,0<br />

Förderschulen gesamt 6,4 7,3<br />

Förderschwerpunkt<br />

Lernen<br />

8,0 7,9<br />

Sonstige<br />

Förderschwerpunkte<br />

5,4 6,5<br />

Zu berücksichtigen s<strong>in</strong>d hierbei <strong>die</strong> <strong>für</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

zutreffenden Verschiebungen<br />

bei der Häufigkeit der Inanspruchnahme<br />

der Angebote h<strong>in</strong>sichtlich ihres<br />

Schwerpunktes.<br />

Von den derzeit 1.452 Lehrkräften, <strong>die</strong> <strong>in</strong> den<br />

sonderpädagogischen Angeboten (Schulartgruppe<br />

3 – SAG 3) tätig s<strong>in</strong>d, haben 81,5 %<br />

e<strong>in</strong> abgeschlossenes Lehramt oder e<strong>in</strong> Zertifikat<br />

des Landes<strong>in</strong>stituts <strong>für</strong> Schule und Ausbildung<br />

<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e sonderpädagogische Fachrichtung.<br />

Trotz <strong>die</strong>ses hohen Ausbildungsstandes zeigen<br />

sich zum Teil erhebliche Stadt-Land-Unterschiede.<br />

Größere Städte können auf e<strong>in</strong>en hohen<br />

Ausbildungsstand (bis 100 %) der <strong>in</strong> der<br />

Sonderpädagogik tätigen Lehrer verweisen,<br />

während e<strong>in</strong>zelne Landkreise e<strong>in</strong>en erheblichen<br />

Bedarf an sonderpädagogischen Qualifikationen<br />

erkennen lassen.<br />

57


58<br />

Mit der Ratifizierung der UN-Konvention<br />

über <strong>die</strong> Rechte der Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen<br />

durch <strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

stellen sich auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sonderpädagogik<br />

neue Anforderungen. Ausgehend von den <strong>in</strong>dividuellen<br />

Rechten der Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schüler mit Beh<strong>in</strong>derungen ist e<strong>in</strong>e weitestgehende<br />

Ausrichtung an den Pr<strong>in</strong>zipien der Integration<br />

bzw. Inklusion notwendig. Dies bedeutet:<br />

• <strong>die</strong> Implementierung sonderpädagogischer<br />

Angebote <strong>in</strong> das Regelsystem,<br />

• Veränderungen <strong>in</strong> der Ausbildung der Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

und Lehrer sowie<br />

• wachsende Anforderungen an <strong>die</strong> Fort- und<br />

Weiterbildung.<br />

Fazit:<br />

Die Aussage „Land unter <strong>in</strong> den Kollegien der<br />

Förderschulen“ ist mit Sicherheit unzutreffend.<br />

Das Land verfügt <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der<br />

Schulartgruppe 3 über gute personelle Ausstattungen,<br />

das heißt gut qualifizierte und engagierte<br />

Lehrkräfte. Damit ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> Lösung<br />

der anstehenden Aufgaben e<strong>in</strong>e solide Basis<br />

vorhanden.


Workshop : Anforderungen an <strong>die</strong><br />

Diagnostik - Förderausschuss und<br />

Kompetenzzentren<br />

Moderation: Ines Huhle,<br />

Schulleiter<strong>in</strong> St.-Michael-Schule Rostock<br />

Steffen Petzak, Ines Huhle, Dr. Michael Burgert (v.l.n.r.)<br />

Zusammerfassender Bericht:<br />

Verlauf<br />

1. Referat des Schulleiters der Kl<strong>in</strong>ikschule<br />

Rostock Dr. Burgert:<br />

Es wurden 5 Thesen zu Grenzen und Chancen<br />

sonderpädagogischer Diagnostik benannt.<br />

2. Es erfolgte e<strong>in</strong>e 20-m<strong>in</strong>ütige Diskussion<br />

zum Referat.<br />

3. Referat durch Herrn Petzak, Fachreferent<br />

<strong>für</strong> sonderpädagogische Förderung im BM:<br />

Geplant war e<strong>in</strong>e 20-m<strong>in</strong>ütige Diskussion<br />

zum Referat.<br />

4. In den letzten 15 M<strong>in</strong>uten wurde der Versuch<br />

unternommen, <strong>die</strong> Diskussionsergebnisse<br />

zusammenzufassen.<br />

Ergebnisse des Workshops<br />

Da das Statement von Herrn Steffen Petzak<br />

ke<strong>in</strong>erlei neuen Inhalt und noch weniger Perspektiven<br />

bot, war e<strong>in</strong>e Diskussion nicht möglich.<br />

Die fünf genannten Thesen wurden von<br />

Dr. Michael Burgert h<strong>in</strong>terfragt.<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Ergebnisse waren:<br />

Es werden vom BM zu wenig Stunden <strong>für</strong> Dia-<br />

gnostik und Beratung zur Verfügung gestellt.<br />

Herr Petzak nimmt <strong>die</strong> Idee <strong>in</strong>s BM mit, e<strong>in</strong>e<br />

Arbeitsgruppe zu gründen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches<br />

diagnostisches Verfahren <strong>für</strong> MV entwickelt.<br />

An verschiedenen Standorten wird daran gearbeitet<br />

(Greifswald, Rostock,...).<br />

Referat: Dr. Michael burgert, Schule <strong>für</strong><br />

Kranke Rostock: Multiprofessionalität und<br />

<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äres Zusammenwirken –<br />

Thesen und Anmerkungen zur Zukunft<br />

sonderpädagogischer Diagnostik <strong>in</strong> MV<br />

1. Anamnese<br />

Anamnese ist bekanntlich <strong>die</strong> im Gespräch ermittelte<br />

Vorgeschichte e<strong>in</strong>es Patienten <strong>in</strong> Bezug<br />

auf se<strong>in</strong>e aktuelle Erkrankung.<br />

Also – was ist me<strong>in</strong>e Vorgeschichte: Ich b<strong>in</strong><br />

Schulleiter der Schule <strong>für</strong> Kranke <strong>in</strong> Rostock, <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>ser Funktion auch Mitglied des Förderausschusses<br />

Rostock. Darüber h<strong>in</strong>aus, und <strong>die</strong> Rolle<br />

nehme ich heute hier e<strong>in</strong>, b<strong>in</strong> ich Landesreferent<br />

<strong>für</strong> Pädagogik bei Krankheit im vds. In<br />

<strong>die</strong>sen Rollen sehe ich mich durchaus als sonderpädagogischen<br />

Fachmann, jedoch nicht als<br />

aktiver Diagnostiker. Vielmehr b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong>tensiver<br />

Nutzer sonderpädagogischer Diagnostik.<br />

2. Lern- und Leistungsvoraussetzungen –<br />

oder: <strong>die</strong> Situation der Sonderpädagogik im<br />

Land<br />

Seit knapp e<strong>in</strong>em Jahr sche<strong>in</strong>t sich e<strong>in</strong>e Riesenwelle<br />

aus Veränderungen, Unsicherheiten,<br />

Bedrohungen etc. schemenhaft auf <strong>die</strong> Sonderpädagogik<br />

<strong>in</strong> MV zuzubewegen. Zwei<br />

Schlagwörter seien genannt: Der Bildungsbericht<br />

der Expertenkommission mit der geforderten<br />

Abschaffung von drei Förderschularten<br />

sowie <strong>die</strong> Novelle des Schulgesetzes mit dem<br />

Wegfall der expliziten Nennung der neun unterschiedlichen<br />

Förderschularten im Land. Da<br />

vieles nach wie vor nicht offen diskutiert wird,<br />

machen sich Unsicherheit und Verunsicherung<br />

59


60<br />

breit, entsteht zuweilen e<strong>in</strong> geradezu paranoider<br />

Verfolgungswahn.<br />

Wie stellt sich <strong>die</strong> sonderpädagogische Situation<br />

im Land gegenwärtig dar?<br />

Wir haben <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern ca.<br />

85 Förderschulen und Förderzentren <strong>in</strong> acht<br />

unterschiedlichen fachlichen Ausrichtungen<br />

<strong>in</strong> öffentlicher Hand und freier Trägerschaft.<br />

Dort werden ca. 10.000 (oder 8,7 %) K<strong>in</strong>der<br />

und Jugendliche schulisch betreut. H<strong>in</strong>zu<br />

kommen weitere 2,2 % <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der und Jugendlichen,<br />

<strong>die</strong> mit e<strong>in</strong>em sonderpädagogischen<br />

Förderbedarf im geme<strong>in</strong>samen Unterricht<br />

(GU) gefördert werden.<br />

Zum Vergleich: Im Bundesschnitt besuchen<br />

ca. 4 % <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der und Jugendlichen e<strong>in</strong>e<br />

Förderschule.<br />

Mith<strong>in</strong> ist also zu konstatieren: Mecklenburg-<br />

Vorpommern ist Spitze! Genau <strong>die</strong>ser Tatbestand<br />

bietet Anlass zur Diskussion und vor<br />

<strong>alle</strong>m auch zur Spekulation. Woran liegt es,<br />

dass Mecklenburg-Vorpommern so viele Förderschüler<strong>in</strong>nen<br />

und Förderschüler hat?<br />

Bildungschancen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

nicht gleich verteilt, wie nicht nur <strong>die</strong> OECD<br />

mehrfach hervorgehoben hat. Bildungschancen<br />

haben etwas mit sozialer Herkunft und<br />

sozialem Stand zu tun. Jeder Kollege aus e<strong>in</strong>er<br />

allgeme<strong>in</strong>en Förderschule wird wissen, worauf<br />

ich h<strong>in</strong>aus will. Mecklenburg-Vorpommern ist<br />

aber nicht nur bei den Förderschülerzahlen<br />

spitze. Man stirbt (statistisch betrachtet) im<br />

Land eher – spitze <strong>für</strong> <strong>die</strong> Rentenkassen, man<br />

tr<strong>in</strong>kt im Land mehr – eher nachteilig <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Krankenkassen. Wir haben derzeit mal wieder<br />

<strong>die</strong> höchste Arbeitslosenquote und das ger<strong>in</strong>gste<br />

Pro-Kopf-E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> der Bundesrepublik.<br />

All <strong>die</strong>s lässt sich nicht von Bildungschancen,<br />

von Ursächlichkeiten <strong>für</strong><br />

Bildungsversagen und auch <strong>für</strong> Gefährdungen<br />

im H<strong>in</strong>blick auf drohende Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />

und Beh<strong>in</strong>derungen trennen. Allerd<strong>in</strong>gs erklärt<br />

<strong>die</strong>s <strong>alle</strong><strong>in</strong>e nicht, warum <strong>die</strong> Zahlen <strong>in</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommern so hoch s<strong>in</strong>d.<br />

Und richtig ist auch, dass e<strong>in</strong> vielfältiges, umfassendes<br />

Angebot eben auch <strong>für</strong> entsprechende<br />

Nachfrage sorgt.<br />

Wie wird nun jemand zum Förderschüler<br />

(bzw. Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

) – re<strong>in</strong> formal betrachtet? Die Eltern<br />

stellen (<strong>in</strong> der Praxis auf Empfehlung<br />

oder gar Drängen der Regelschule, der Schulärzte,<br />

der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen etc.) e<strong>in</strong>en<br />

Antrag auf Feststellung des sonderpädagogischen<br />

Förderbedarfs. Dieser Antrag geht<br />

an das zuständige Staatliche Schulamt, <strong>die</strong>ses<br />

reicht den Antrag an den zuständigen Förderausschuss<br />

weiter. Zum Antrag gehören Vorbefunde<br />

und Schulberichte. Bereits bis zu <strong>die</strong>ser<br />

Stelle s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Praxis abstruse Verkürzungen<br />

zu beobachten. Der Förderausschuss<br />

beauftragt dann e<strong>in</strong>e sonderpädagogische<br />

Fachkraft mit der Diagnostik. Das fertig gestellte<br />

Gutachten wird vom Diagnostiker und<br />

vom Förderausschussvorsitzenden unterschrieben<br />

und mit den Eltern besprochen, bevor<br />

es wiederum an das Staatliche Schulamt<br />

geht. Von dort erhalten <strong>die</strong> Erziehungsberechtigten<br />

dann e<strong>in</strong>en entsprechenden Förderbescheid<br />

– so nachzulesen <strong>in</strong> der sonderpädagogischen<br />

Förderverordnung.<br />

Die Praxis ist von erkennbaren Abweichungen,<br />

Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten gekennzeichnet.<br />

Im Folgenden möchte ich thesenhaft<br />

und blitzlichtartig Punkte aufzeigen,<br />

wo me<strong>in</strong>es Erachtens derzeitig Grenzen aber<br />

auch Chancen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>novative Diagnostik<br />

liegen.


3. Grenzen und Chancen sonderpädagogischer<br />

Diagnostik - Fünf Thesen zur<br />

Diskussion<br />

3.1. Diagnostik bedarf e<strong>in</strong>es klaren Konzeptes<br />

zur sonderpädagogischen Zukunft <strong>in</strong> MV<br />

Die gesamte Diskussion, wie e<strong>in</strong>e zukünftige<br />

Diagnostik auszusehen hat, ist streng betrachtet<br />

so lange nicht zu beantworten, so lange es<br />

ke<strong>in</strong>e klaren Aussagen darüber gibt, wie <strong>die</strong><br />

Systeme der sonderpädagogischen Förderung<br />

<strong>in</strong> Zukunft aussehen. Seit knapp e<strong>in</strong>em Jahr<br />

(Ersche<strong>in</strong>en des Bildungsberichtes der Expertenkommission)<br />

ist nun klar, dass <strong>alle</strong>s unklar<br />

ist. Es fehlen Aussagen, vielleicht fehlt auch<br />

der Mut zu solchen Aussagen, ob und wenn ja,<br />

<strong>in</strong> welchem Zeitfenster und vor <strong>alle</strong>m auch wie<br />

<strong>die</strong> Empfehlungen umgesetzt werden sollen.<br />

Welche Förderschularten werden bleiben, welche<br />

werden eventuell <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander aufgehen,<br />

welche werden wegf<strong>alle</strong>n. Welche alternativen,<br />

<strong>in</strong>klusiven Systeme wird es geben?<br />

Fest steht, dass es Veränderungen <strong>in</strong> der sonderpädagogischen<br />

Landschaft geben muss.<br />

Zum e<strong>in</strong>en ist angesichts der zunehmenden<br />

Mehrfach-Bee<strong>in</strong>trächtigungen e<strong>in</strong> sich an s<strong>in</strong>gulären<br />

Störungsbildern orientierendes Förderschulwesen<br />

anachronistisch. Zum anderen<br />

ist <strong>die</strong> Bundesrepublik e<strong>in</strong>gebunden <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationale<br />

Beschlüsse und Bestrebungen, <strong>die</strong><br />

deutlich h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>klusiven Bildung gehen.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d separierende Schulsysteme<br />

<strong>in</strong> ihrer Wirksamkeit stark begrenzt.<br />

Um also über grundlegend veränderte, zukunftsfähige<br />

Formen sonderpädagogischer<br />

Diagnostik sprechen zu können, brauchen wir<br />

e<strong>in</strong>e klare Vorstellung von sonderpädagogischer<br />

Förderung.<br />

3.2. E<strong>in</strong>dimensionale Diagnostiken bieten ke<strong>in</strong>e<br />

Antworten <strong>für</strong> notwendige Förderung<br />

Drei Beispiele, wie sie <strong>in</strong> der Praxis nicht so<br />

selten vorkommen.<br />

Beispiel 1: E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong>/e<strong>in</strong> Schüler bietet e<strong>in</strong><br />

so komplex auffälliges Bild, dass auf dem Antrag<br />

zur Feststellung des sonderpädagogischen<br />

Förderbedarfs gleich drei Kreuze zu f<strong>in</strong>den<br />

s<strong>in</strong>d: Lernen, sozial-emotional, Sprache (alternativ<br />

gerne auch Hören). Die Kreuze werden <strong>in</strong><br />

chronologischer Abfolge unter Berücksichtigung<br />

freier Kapazitäten abgearbeitet.<br />

Beispiel 2: E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong>/e<strong>in</strong> Schüler hat am<br />

Ende der DFK 2 drei abgeschlossene, vollständige<br />

sonderpädagogische Begutachtungen<br />

durchlaufen. Es liegen drei vone<strong>in</strong>ander unabhängige<br />

Gutachten (besser Schlechtachten)<br />

vor: geistige Entwicklung (nicht vorhanden),<br />

Lernen (ja schon deutlich, aber eher verhalten),<br />

sozial-emotional (sehr wohl, aber primär<br />

geistige Entwicklung).<br />

Beispiel 3: Es gibt Auffälligkeiten, <strong>die</strong> s<strong>in</strong>d eher<br />

wahrnehmbar als andere. Deshalb s<strong>in</strong>d sie aber<br />

noch lange nicht primär. Bei e<strong>in</strong>em dysgrammatisch<br />

sprechenden K<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>em IQ von<br />

Mitte 70 von e<strong>in</strong>er Sprachentwicklungsstörung<br />

(Dysgrammatismus) auszugehen, ist<br />

fachlich nicht korrekt. Da jedoch der Förderbedarf<br />

im Bereich Sprache offenkundig sche<strong>in</strong>t<br />

(und <strong>die</strong> Sprachheilschule bei Eltern etc. sehr<br />

angesagt ist), erfolgt e<strong>in</strong>e entsprechende gutachterliche<br />

Empfehlung.<br />

Was ist daraus abzuleiten?<br />

Die bislang gängige Praxis der „E<strong>in</strong>zelbegutachtung“<br />

ist <strong>in</strong> vielen Fällen nicht zukunftstauglich.<br />

Wir benötigen e<strong>in</strong>en multiprofessionelleren<br />

Blick. Es muss e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive<br />

Diskussion, ob <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong>zelne Förder-<br />

61


62<br />

schulen oder Förderzentren <strong>für</strong> <strong>die</strong> Diagnostik<br />

zuständig se<strong>in</strong> sollten, geführt werden. Der<br />

E<strong>in</strong>wand, dass <strong>die</strong> meisten Sonderpädagogen<br />

<strong>in</strong> m<strong>in</strong>destens zwei sonderpädagogischen<br />

Fachrichtungen ausgebildet s<strong>in</strong>d, berührt<br />

me<strong>in</strong>es Erachtens <strong>die</strong> Forderung nach Multiprofessionalität<br />

nicht. Unter Multiprofessionalität<br />

verstehe ich beispielsweise auch das H<strong>in</strong>zuziehen<br />

von Psychologen und Mediz<strong>in</strong>ern.<br />

Und <strong>in</strong> Multiprofessionalität steckt auch das<br />

Wort Professionalität. Klare, fachwissenschaftliche<br />

Def<strong>in</strong>itionen und Abgrenzungen <strong>in</strong> Bezug<br />

auf Bee<strong>in</strong>trächtigungen und Beh<strong>in</strong>derungen<br />

wären durchaus hilfreich. Vor <strong>alle</strong>m jedoch<br />

s<strong>in</strong>d Wikipedia- und Ratgeber-fun<strong>die</strong>rte Ausflüge<br />

<strong>in</strong> andere, z. T. mediz<strong>in</strong>ische Fachgebiete<br />

zu unterlassen. Diagnosen wie ADHS, Autismus,<br />

Persönlichkeitsstörungen, Borderl<strong>in</strong>e,<br />

KISS-Syndrom – haben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sonderpädagogischen<br />

Gutachten nichts zu suchen.<br />

Weiterh<strong>in</strong> ist darüber zu diskutieren, wie offen<br />

der Ausgangspunkt <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Diagnostik se<strong>in</strong><br />

sollte. Ich be<strong>für</strong>chte, e<strong>in</strong> Kreuz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten<br />

Kästchen auf dem Antrag trübt den<br />

diagnostischen Blick.<br />

3.3. Sonderpädagogische Diagnostik ist Grundlage<br />

und immanenter Bestandteil sonderpädagogischer<br />

Förderung<br />

Diagnostik und sonderpädagogische Förderung<br />

s<strong>in</strong>d untrennbar mite<strong>in</strong>ander verbunden und<br />

gehören auch personell verknüpft. Mögliche<br />

Absichten, <strong>die</strong> sonderpädagogische Diagnostik<br />

an <strong>die</strong> Schulämter zu ziehen – <strong>die</strong>se Gerüchte<br />

gibt es ja – s<strong>in</strong>d nicht hilfreich. Die Diagnostik<br />

ist eben nicht nur Statuserhebung, sondern zugleich<br />

Ausgangspunkt <strong>für</strong> e<strong>in</strong>zuleitende Fördermaßnahmen.<br />

Alle<strong>in</strong> aus <strong>die</strong>sem Grund muss<br />

e<strong>in</strong> versierter Diagnostiker auch mit dem Alltagsgeschäft<br />

der Förderung vertraut se<strong>in</strong>. Nur<br />

so wird Professionalität ermöglicht.<br />

Gleiches trifft auch <strong>in</strong> umgekehrte Richtung<br />

zu. Jede sonderpädagogische Förderung be<strong>in</strong>-<br />

haltet auch e<strong>in</strong>e prozessimmanente Diagnostik.<br />

Insbesondere <strong>die</strong>se Kopplung der Diagnostik<br />

an <strong>die</strong> Förderung macht es me<strong>in</strong>es Erachtens<br />

unmöglich, re<strong>in</strong>e Diagnostikteams an <strong>die</strong> Schulämter<br />

anzugliedern. Diagnostik und Förderung<br />

s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e adm<strong>in</strong>istrativen Aufgaben,<br />

sondern benötigen e<strong>in</strong>en engen Praxis-, oder –<br />

noch deutlicher – Alltagsbezug.<br />

3.4. Valide Ergebnisse setzen e<strong>in</strong>heitliche Standards<br />

<strong>in</strong> Diagnostik und Gutachtenerstellung<br />

voraus<br />

Aspekte <strong>die</strong>ser These klangen bereits an anderer<br />

Stelle an. Wir haben weder im Land, noch<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Förderausschussbereichen e<strong>in</strong>heitliche<br />

Gutachtenstandards. So wie sich<br />

Gutachten <strong>in</strong> ihrer äußeren Form unterscheiden,<br />

so different s<strong>in</strong>d sie (leider) auch <strong>in</strong> ihrer<br />

<strong>in</strong>haltlichen Aussagekraft. Um wirklich valide<br />

Ergebnisse, <strong>die</strong> auch Bestand haben, darstellen<br />

zu können und um mit den Gutachten tatsächlich<br />

auch arbeiten zu können, s<strong>in</strong>d Vere<strong>in</strong>heitlichungen<br />

unumgänglich. Wir brauchen<br />

qualitativ hochwertige und rechtssichere Gutachten.<br />

3.5. Diagnostik kostet Geld – der E<strong>in</strong>satz von<br />

Fachkräften und Stunden darf nicht zur Regulation<br />

der Schülerzahlen mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf benutzt werden<br />

Auf e<strong>in</strong>e sonderpädagogische Diagnostizierung<br />

entf<strong>alle</strong>n 0,11 Anrechnungsstunden. Legt<br />

man 40 Unterrichtswochen zu Grunde, wird<br />

e<strong>in</strong>e sonderpädagogische Diagnostizierung<br />

<strong>in</strong>kl. Gutachtenerstellung mit ca. 6,6 Stunden<br />

abgetan. Das hat – vorsichtig formuliert –<br />

nichts mit Wertschätzung wichtiger Aufgabenstellungen<br />

zu tun. Darüber h<strong>in</strong>aus ist festzustellen,<br />

dass <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Förderschulen<br />

und –zentren sich kaum an <strong>die</strong>se Zuweisungen<br />

halten. Wenn sie es täten, hätten wir<br />

vermutlich Bearbeitungszeiten <strong>die</strong> e<strong>in</strong> Schuljahr<br />

deutlich überschreiten.


Es besteht nun <strong>in</strong> der Praxis, <strong>in</strong> den Förderschulen<br />

und Förderzentren folgende Be<strong>für</strong>chtung:<br />

Zieht man <strong>die</strong> Diagnostik an <strong>die</strong> Schulämter<br />

und belässt es bei der gegenwärtigen<br />

Ressourcenausstattung, dann regulieren sich<br />

<strong>die</strong> e<strong>in</strong>gangs beschriebenen hohen Schülerzahlen<br />

<strong>in</strong> den Förderschulen von ganz <strong>alle</strong><strong>in</strong>e. Wo<br />

ke<strong>in</strong> Diagnostiker, da ke<strong>in</strong> Gutachten, da ke<strong>in</strong><br />

Förderbedarf. Vor e<strong>in</strong>er solchen Entwicklung<br />

ist e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich zu warnen. Wir brauchen <strong>für</strong><br />

Diagnostiken im Land e<strong>in</strong>e angemessene Ausstattung.<br />

Vielleicht s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Tat auch Stichtage notwendig,<br />

wie <strong>die</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Bundesländern der<br />

Fall ist. Beispielsweise ist daran zu denken,<br />

dass Anträge bis Mitte Dezember gestellt se<strong>in</strong><br />

müssen. Im Gegenzug muss aber auch <strong>die</strong> Ausstattung<br />

vorhanden se<strong>in</strong>, um <strong>alle</strong> <strong>die</strong>se Anträge<br />

beispielsweise bis zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt Mitte/<br />

Ende Mai zu bearbeiten.<br />

4. Resümee<br />

Wir benötigen angesichts der komplexer werdenden<br />

Auffälligkeiten von K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen<br />

mit vermuteten sonderpädagogischen<br />

Förderbedarfen e<strong>in</strong>e veränderte<br />

Struktur der Diagnostik. Sie muss multiprofessionell<br />

und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är aufgebaut se<strong>in</strong>.<br />

Die Diagnostik sollte von E<strong>in</strong>zelschulen losgelöst<br />

und auf regional verortete/vernetzte<br />

Teams übergehen. Diese Teams sollten/<br />

könnten an <strong>die</strong> regionalen Förderausschüsse<br />

angegliedert werden.<br />

Wir brauchen vergleichbare, auf abgestimmten<br />

Standards beruhende sonderpädagogische<br />

Gutachten, <strong>die</strong> rechtssicher s<strong>in</strong>d. Wir müssen<br />

<strong>die</strong> Zahl der Schlechtachten m<strong>in</strong>imieren.<br />

Die Diagnostiken haben sehr viel stärker als<br />

bislang auf das K<strong>in</strong>d zu schauen und nicht auf<br />

<strong>die</strong> Institution. Es muss <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gutachten<br />

darum gehen, Phänomene, Ursachen und<br />

Schlussfolgerungen <strong>für</strong> das K<strong>in</strong>d zu beschreiben<br />

und nicht zw<strong>in</strong>gend zu schauen, <strong>in</strong> welche<br />

Schule es passt.<br />

Wir müssen noch stärker als bislang <strong>die</strong> Regelschulen<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Pflicht nehmen, vor e<strong>in</strong>er Antragstellung<br />

wirklich <strong>alle</strong> Möglichkeiten der<br />

<strong>in</strong>ternen Förderung auszuschöpfen. Die Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> Grundschulen und Regionalen<br />

Schulen (konkret <strong>die</strong> Klassenstärken) s<strong>in</strong>d<br />

häufig sehr günstig.<br />

Das Prozedere der Diagnostik muss dr<strong>in</strong>gend<br />

verbessert und professionalisiert werden, und<br />

zwar aus den Förderschulen, den Förderausschüssen<br />

heraus, auch um den Verantwortlichen<br />

im M<strong>in</strong>isterium Modelle aus der Praxis<br />

zu präsentieren, <strong>die</strong> funktionieren. Die gegenwärtige<br />

Praxis kann das nicht mehr umfänglich<br />

leisten.<br />

Referat Steffen Petzak, M<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong><br />

bildung, Wissenschaft und Kultur: Anforderungen<br />

an <strong>die</strong> sonderpädagogische Diagnostik<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

werte Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen,<br />

ausgehend von den Aufgaben pädagogischer<br />

und sonderpädagogischer Förderung wende<br />

ich mich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Referat „Anforderungen<br />

an <strong>die</strong> sonderpädagogische Diagnostik auf der<br />

Grundlage fachwissenschaftlicher Literatur“<br />

nach e<strong>in</strong>er kurzen Begriffsklärung der Diagnostik,<br />

den Zielen, Inhalten und Organisationsformen<br />

sonderpädagogischer Diagnostik<br />

zu und möchte der Frage nachgehen, welche<br />

Diagnostik, <strong>in</strong> welcher Form <strong>für</strong> wen förderlich<br />

ist. Ich möchte <strong>die</strong> Situation <strong>in</strong> unserem<br />

Land erläutern und Tendenzen skizzieren.<br />

Fördern ist e<strong>in</strong> Grundpr<strong>in</strong>zip pädagogischen<br />

Handelns und der Ausgangspunkt von Bildung<br />

und Erziehung an der Schule. Die sonderpädagogische<br />

Förderung ist e<strong>in</strong>e notwendige<br />

Ergänzung der allgeme<strong>in</strong>en pädagogischen<br />

Förderung. Jede Schule hat <strong>die</strong> Aufgabe, günstige<br />

Lernbed<strong>in</strong>gungen <strong>für</strong> ihre Schüler zu ge-<br />

6


6<br />

Workshop 3<br />

stalten, um drohendem Leistungsversagen und<br />

anderen Bee<strong>in</strong>trächtigungen entgegenzuwirken.<br />

Mit dem neuen Schulgesetz besteht <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Schulen <strong>in</strong> unserem Land der Auftrag, <strong>alle</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Schüler notwendigen Fördermaßnahmen<br />

festzustellen, <strong>die</strong>se <strong>in</strong> Förderplänen zu<br />

dokumentieren und Eltern <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />

<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e bestmögliche Förderung aufzuzeigen.<br />

Sonderpädagogische Diagnostik wird häufig<br />

als psychologisch-pädagogische Diagnostik<br />

bezeichnet. Seit dem Paradigmenwechsel <strong>in</strong><br />

der Sonderpädagogik <strong>in</strong> den 80er-Jahren des<br />

letzten Jahrhunderts werden häufig auch <strong>die</strong><br />

Begriffe Prozess- und/oder Förderdiagnostik<br />

verwendet, <strong>die</strong> als Gegensatz zur Platzierungs-<br />

oder Selektionsdiagnostik betrachtet werden.<br />

Schuck (2000) me<strong>in</strong>t, „sonderpädagogische<br />

Diagnostik ist pädagogische Diagnostik zur<br />

Begleitung von Bildung, Erziehung und Förderung<br />

unter erschwerten Bed<strong>in</strong>gungen und<br />

als Spezifik im allgeme<strong>in</strong>en Begriff enthalten.“<br />

Mit der Diskussion zur Förderdiagnostik wird<br />

e<strong>in</strong>e Wende <strong>in</strong> der sonderpädagogischen The-<br />

oriediskussion <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung gebracht, <strong>in</strong>dem<br />

<strong>die</strong> grundlegende Blickrichtung auf e<strong>in</strong>e entwicklungsbeschreibende<br />

Diagnostik unter Beachtung<br />

der potentiellen Möglichkeiten des<br />

Schülers erfolgt. Die sonderpädagogische Praxis<br />

folgt <strong>die</strong>sem Paradigmenwechsel nur <strong>in</strong><br />

Ansätzen und sporadisch.<br />

Arnold/Kretzschmann (2002) fassen <strong>die</strong> gängigen<br />

Erwartungen an <strong>die</strong> sonderpädagogische<br />

Diagnostik zusammen: Zum e<strong>in</strong>en möchte<br />

man mit Hilfe diagnostischer Maßnahmen<br />

<strong>die</strong>jenigen Schüler bestimmen können, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en<br />

besonderen Förderbedarf haben. Zum<br />

anderen möchte man aus den förderdiagnostischen<br />

Daten H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gestaltung e<strong>in</strong>er<br />

möglichst optimalen Fördersituation gew<strong>in</strong>nen.<br />

E<strong>in</strong> wesentliches Element der<br />

Entwicklung sonderpädagogischer Diagnostik<br />

muss deshalb <strong>die</strong> Entkopplung der Notwendigkeit<br />

der sonderpädagogischen Förderung<br />

von e<strong>in</strong>er Überweisung an <strong>die</strong> Förderschule<br />

se<strong>in</strong>. Ihre fördernde Funktion erhält <strong>die</strong> Diagnostik<br />

nicht nur, <strong>in</strong>dem sie <strong>die</strong> E<strong>in</strong>heit von


Förderung und Diagnostik herstellt, sondern<br />

auch dadurch, dass sie an <strong>die</strong> Stelle der Auslese<br />

<strong>die</strong> der <strong>in</strong>dividuellen Förderung im <strong>in</strong>tegrativen<br />

Unterricht setzt (Kornmann).<br />

Es geht deshalb vor <strong>alle</strong>m um <strong>die</strong> Überw<strong>in</strong>dung<br />

von sonderpädagogischer Zuweisungsdiagnostik.<br />

Unsere Aufmerksamkeit ist nicht auf<br />

<strong>die</strong> Defizite e<strong>in</strong>es Schülers zu richten, sondern<br />

auf se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuellen Stärken und <strong>die</strong> im<br />

Umfeld liegenden Ressourcen (Knauer).<br />

Die Feststellung von sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf erfordert e<strong>in</strong>e differenzierte <strong>in</strong>dividualisierte<br />

Förderplanung, primär orientiert<br />

an den Lernbedürfnissen und -voraussetzungen<br />

der Schüler und bezogen auf <strong>die</strong> konkreten<br />

Anforderungen des Unterrichts. E<strong>in</strong>e<br />

Feststellung ist <strong>für</strong> jeden Schüler konsequenzreich,<br />

weil sich ihm e<strong>in</strong>erseits das gesamte Potenzial<br />

sonderpädagogischer Fördermöglichkeiten<br />

erschließt, andererseits damit aber unter<br />

Umständen <strong>die</strong> Freiheit <strong>in</strong> der Wahl der Schule<br />

und des Bildungsganges e<strong>in</strong>geschränkt wird<br />

(Wocken, Bleidick).<br />

In e<strong>in</strong>er historischen Betrachtung stellt Hofsäss<br />

fest, dass es wesentliche Par<strong>alle</strong>len <strong>in</strong> der<br />

formalen Struktur des Überweisungsverfahrens<br />

von 1918 an bis <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gegenwart h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

gibt. Von daher ist es nicht verwunderlich,<br />

wenn es deutschlandweit, nicht nur <strong>in</strong> M-V,<br />

Kritik an <strong>die</strong>sem Verfahren gab und gibt und<br />

<strong>die</strong> verschiedensten Bereiche sonderpädagogischer<br />

Diagnostik immer wieder auf dem<br />

Prüfstand stehen. Möchte man wenig Separation,<br />

so darf der Schüler mit se<strong>in</strong>er ungünstigen<br />

Lernsituation nicht aus se<strong>in</strong>en pädagogischen<br />

Bezügen gelöst werden, sondern der<br />

Diagnostiker muss sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> ungünstige<br />

Lernsituation e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und vor Ort diagnostizieren.<br />

Die Diagnostik ist e<strong>in</strong> Bestandteil der beruflichen<br />

Arbeit des Sonderpädagogen. Von pro-<br />

fessionellem Handeln wird allgeme<strong>in</strong> erwartet,<br />

dass es erfolgreich und effektiv ist. Diagnostik<br />

ist <strong>für</strong> mich dann effektiv, wenn es sich durch<br />

e<strong>in</strong>e multiprofessionelle Herangehensweise im<br />

Team, durch e<strong>in</strong>e Komprimierung vorhandener<br />

Ressourcen auf wenige Diagnostiker und<br />

durch e<strong>in</strong>e Abstimmung <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>heitlichkeit<br />

der verwendeten Verfahren auszeichnet. Gegenwärtig<br />

werden deshalb im Rahmen der<br />

Schulaufsicht Überlegungen zur Zentralisierung<br />

und Konzentration sonderpädagogischer<br />

Diagnostik und Beratung angestellt.<br />

Förderdiagnostische Gutachten <strong>die</strong>nen als<br />

Grundlage <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entscheidung über <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

sonderpädagogischer Förderung.<br />

Sie sollten zu e<strong>in</strong>er differenzierten, multifaktorellen<br />

und ganzheitlichen Beurteilung des E<strong>in</strong>zelf<strong>alle</strong>s<br />

beitragen. Es geht nicht vordergründig<br />

darum, Phänomene und Defizite zu beschreiben,<br />

sondern darum, Ursachen zu erhellen, um<br />

<strong>die</strong> Organisation e<strong>in</strong>er Förderung anzustreben.<br />

Dabei sollte e<strong>in</strong> hypothesengeleitetes Vorgehen<br />

Standard se<strong>in</strong>.<br />

Die Schwerpunkte e<strong>in</strong>es Gutachtens werden<br />

durch <strong>die</strong> Beschreibung von Entstehung, Art<br />

und Form des sonderpädagogischen Förderbedarfs;<br />

<strong>die</strong> Dokumentation des diagnostischen<br />

Prozesses sowie <strong>die</strong> Empfehlung über Umfang,<br />

Charakter und Ort der Förderung charakterisiert.<br />

Die Aussagen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> überschaubarer sowie<br />

beleg- und nachvollziehbarer Form zu treffen.<br />

Letztendlich ist e<strong>in</strong> Gutachten als e<strong>in</strong>e<br />

nutzbr<strong>in</strong>gende Informationssammlung anzusehen,<br />

welche <strong>die</strong> positiven Entwicklungs<strong>in</strong>halte<br />

des Schülers aufzeigt und Ansatzpunkte<br />

<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e diagnosegeleitete Förderung bietet.<br />

Hofmann plä<strong>die</strong>rt dabei <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en situationsdiagnostischen<br />

Ansatz, der an <strong>die</strong> Lebensraum-Diagnostik<br />

von Kobi er<strong>in</strong>nert. Diese<br />

Diagnostik f<strong>in</strong>det an dem Ort statt, wo das<br />

65


66<br />

K<strong>in</strong>d versagt. Denkt man das Modell fort,<br />

müsste sich <strong>die</strong> Diagnostik auf e<strong>in</strong>e Analyse<br />

der Unterrichtssituation <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule beschränken und hier mit systemischen<br />

Fördervorschlägen ansetzen (Wocken<br />

2000).<br />

An den Förderzentren und Schulen des<br />

Landes f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>e prozessbegleitende<br />

Diagnostik vor Ort an der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule, e<strong>in</strong>e Diagnostik <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>gruppen<br />

an der Förderschule oder e<strong>in</strong> probeweiser<br />

Unterricht und e<strong>in</strong>e Diagnostik an der Förderschule<br />

e<strong>in</strong>e entsprechende Berücksichtigung.<br />

E<strong>in</strong> durch das Schulamt e<strong>in</strong>gesetztes <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är<br />

arbeitendes Gremium (Förderausschuss)<br />

ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bearbeitung von Anträgen<br />

sowie <strong>die</strong> Koord<strong>in</strong>ation von Maßnahmen zur<br />

Prävention, Diagnostik, Beratung und Förderung<br />

zuständig.<br />

Die Vielzahl von Diagnostiken <strong>in</strong> M-V stellt<br />

uns <strong>die</strong> Fragen nach S<strong>in</strong>nhaftigkeit, Umfang<br />

und Vere<strong>in</strong>heitlichung zukünftiger Diagnostik.<br />

Es besteht <strong>die</strong> Notwendigkeit, <strong>die</strong> Praxis<br />

der Begutachtung auf den Prüfstand zu stellen<br />

und bisher angewandte Methoden und Verfahren<br />

auf aktuell wissenschaftlicher Grundlage<br />

zu h<strong>in</strong>terfragen. Dabei ist <strong>die</strong> Fort- und<br />

Weiterbildung <strong>für</strong> <strong>die</strong> Diagnostiker e<strong>in</strong>e ebenso<br />

wesentliche Voraussetzung zur Sicherung<br />

der angestrebten Qualitätsansprüche, wie <strong>die</strong><br />

Qualifizierung der Schulaufsicht im H<strong>in</strong>blick<br />

auf e<strong>in</strong>e fachliche Beratung der Schulen <strong>in</strong>nerhalb<br />

des Prozesses der Förderdiagnostik.


Workshop : Diagnoseförderklassen -<br />

geeignetes Mittel?<br />

Moderation: Ralph Grothe,<br />

Grundschulverband M-V<br />

Ralph Grothe, Anne Schön<strong>in</strong>g, Margitta Wagner, Prof. Dr.<br />

Katja Koch (v.l.n.r.)<br />

Zusammenfassender Bericht:<br />

In der Arbeitsgruppe 4 wurde anhand des<br />

Modellversuches „Primarstufe“ <strong>die</strong> Diagnoseförderklassen<br />

als e<strong>in</strong> Mittel zur Flexibilisierung<br />

der Schule<strong>in</strong>gangsstufe besprochen.<br />

Professor<strong>in</strong> Dr. Katja Koch von der Universität<br />

Rostock legte anhand ihrer Forschungen<br />

im Modellprojekt „Primarstufe“ Möglichkeiten<br />

und Grenzen der Diagnoseförderklassen dar.<br />

Vor <strong>alle</strong>m <strong>die</strong> Auswahl der K<strong>in</strong>der <strong>für</strong> <strong>die</strong> Diagnoseförderklasse<br />

ersche<strong>in</strong>t diagnostisch<br />

nicht h<strong>in</strong>reichend gesichert.<br />

Anne Schön<strong>in</strong>g und Margitta Wagner vom<br />

Sonderpädagogischen Förderzentrum „Klaus<br />

Störtebeker“ <strong>in</strong> Bergen sprachen über ihre Erfahrungen<br />

mit den Diagnoseförderklassen. In<br />

der Diskussion wurde dann über <strong>die</strong> Chancen<br />

und Möglichkeiten der DFK gesprochen. Für<br />

viele K<strong>in</strong>der ist es e<strong>in</strong>e Hilfe, um den Schulanfang<br />

zu meistern.<br />

Gerade <strong>in</strong> den kle<strong>in</strong>en Lerngruppen haben <strong>die</strong><br />

K<strong>in</strong>der Lernerfolge, <strong>die</strong> sie <strong>in</strong> den großen Klassen<br />

mit weitaus mehr Mühe err<strong>in</strong>gen. Die engagierte<br />

Arbeit der Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>sen Klassen ermöglicht den Schulerfolg <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> K<strong>in</strong>der.<br />

Diagnoseförderklassen wird es noch e<strong>in</strong>ige<br />

Jahre an der Grundschule geben.<br />

Um zu e<strong>in</strong>er flexiblen E<strong>in</strong>gangsstufe als Übergang<br />

von der K<strong>in</strong>dertagesstätte zur Grundschule<br />

ohne Zurückstellung von K<strong>in</strong>dern zu<br />

kommen, müssen folgende Voraussetzungen<br />

erfüllt werden:<br />

• verlässliche Parameter der Unterrichtsversorgung<br />

• Akzeptanz beim Kollegium<br />

• Akzeptanz bei Eltern<br />

• Erfahrungen mit Formen des geöffneten<br />

Unterrichts und B<strong>in</strong>nendifferenzierung<br />

• Bereitschaft zur Teamarbeit<br />

• Fortbildungsbereitschaft<br />

• Netzwerkbildung<br />

Die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e solche Arbeit s<strong>in</strong>d:<br />

• ausreichend Räume<br />

• Ausstattung der Lernumgebung<br />

• e<strong>in</strong> System von Stammgruppen, Kursgruppen<br />

• multiprofessionelle Teams, Doppelbesetzung<br />

• Sozialpädagogen an Grundschulen<br />

• Fortbildung der Lehrkräfte<br />

• Unterrichtsberatung/ Ressourcen <strong>für</strong> den<br />

Entwicklungsprozess<br />

Referat Prof. Dr. Katja Koch, Universität Rostock:<br />

S<strong>in</strong>d Diagnoseförderklassen e<strong>in</strong> geeignetes<br />

Mittel zur Förderung von K<strong>in</strong>dern mit<br />

Lernschwierigkeiten?<br />

Bereits seit den neunziger Jahren wird bundesweit<br />

e<strong>in</strong> Bedarf an Innovationen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Schule<strong>in</strong>gangsphase thematisiert. In zahlreichen<br />

Ländern der Bundesrepublik wurden<br />

und werden Schulversuche zur flexiblen organisatorischen<br />

und unterrichtlichen Gestaltung<br />

<strong>in</strong>sbesondere der ersten zwei Schuljahre<br />

durchgeführt. Mit dem Ziel, K<strong>in</strong>dern mit erkennbaren<br />

Entwicklungsverzögerungen oder<br />

Entwicklungsstörungen e<strong>in</strong> günstiges Lern-<br />

67


68<br />

umfeld zu bieten, bestehen <strong>in</strong> Mecklenburg-<br />

Vorpommern bereits seit 1996 Diagnoseförderklassen<br />

(DFK). Sie s<strong>in</strong>d als e<strong>in</strong>e Erweiterung<br />

der Fördermöglichkeiten <strong>in</strong> der Grundschule<br />

<strong>für</strong> Schüler mit ungünstigen Lernvoraussetzungen<br />

konzipiert. In <strong>die</strong>se Klassen werden<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler aufgenommen, deren<br />

allgeme<strong>in</strong>e Entwicklung - nach Auffassung<br />

von Lehrkräften der aufnehmenden Grundschule<br />

- so stark verzögert ist, dass sie im Anfangsunterricht<br />

vermutlich überfordert wären.<br />

Erklärtes Ziel der besonderen Förderung <strong>in</strong><br />

den DFK, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

anders als z.B. <strong>in</strong> Bayern an Grundschulen angegliedert<br />

s<strong>in</strong>d, ist das Verbleiben der Schüler<br />

an der Regelschule. Dies soll hauptsächlich<br />

durch e<strong>in</strong>e besondere Gestaltung der Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> DFK gewährleistet werden, <strong>die</strong> sich<br />

gegenwärtig durch folgende Elemente charakterisieren<br />

lassen:<br />

• Die Streckung des Lernstoffs der ersten beiden<br />

Schuljahre auf drei Schulbesuchsjahre<br />

soll K<strong>in</strong>dern mit Entwicklungsverzögerungen<br />

vermehrt Zeit zur Aneignung der<br />

grundlegenden Kulturtechniken bieten.<br />

• Die Schülerzahlen <strong>in</strong> den Klassen s<strong>in</strong>d laut<br />

Unterrichtsverordnung auf 12-15 Schüler<br />

begrenzt.<br />

• Die Klassen erhalten zusätzliche Lehrerwochenstunden<br />

zugunsten e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderung von Schülern (<strong>für</strong> <strong>die</strong> DFK 0<br />

s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>s fünf, <strong>für</strong> <strong>die</strong> DFK 1 vier und <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> DFK 2 drei Stunden zusätzlich).<br />

Seit Beg<strong>in</strong>n des Schuljahres 2005/06 f<strong>in</strong>det <strong>in</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommern das Projekt Primarstufe<br />

statt, <strong>in</strong> dessen Rahmen <strong>die</strong> Organisation<br />

der DFK umgestaltet werden soll. Gravierendste<br />

Änderung zur bisherigen Praxis ist<br />

dabei <strong>die</strong> Erprobung e<strong>in</strong>er Strukturveränderung:<br />

Bisher als Ergänzung zu den Klassen 1<br />

und 2 der Allgeme<strong>in</strong>en Förderschulen konzipiert,<br />

sollen <strong>die</strong> DFK nun <strong>die</strong> ersten und zwei-<br />

ten Klassen an Allgeme<strong>in</strong>en Förderschulen<br />

ersetzen. Das Projekt umfasst vier Modellregionen<br />

(Greifswald, Neubrandenburg, Rostock,<br />

Schwer<strong>in</strong>).<br />

Seit dem Schuljahr 2006/07 wird <strong>die</strong>ses Projekt<br />

durch das Institut <strong>für</strong> Sonderpädagogische<br />

Entwicklungsförderung und Rehabilitation<br />

der Universität Rostock wissenschaftlich<br />

begleitet.<br />

Unter Bezugnahme auf den <strong>in</strong>ternationalen<br />

Forschungsstand (ausführlich dargestellt bei<br />

Koch, Hartke, Blumenthal, 2009) ergeben sich<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong>se Begleitung folgende Fragestellungen:<br />

1. Wie stellt sich <strong>die</strong> Lernausgangslage der<br />

Gruppe der K<strong>in</strong>der mit ungünstigen Lernvoraussetzungen<br />

im Detail dar, und welchen<br />

Förderbedarf weisen <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der auf?<br />

2. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen<br />

der Lernausgangslage der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong>klusive<br />

ihrer sozialen und schulischen Umfeldbed<strong>in</strong>gungen<br />

und ihrer Schulleistungsentwicklung?<br />

3. Wie treffsicher s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> derzeitigen E<strong>in</strong>gangs-<br />

bzw. Sichtungsverfahren?<br />

4. Welche K<strong>in</strong>der können erfolgreich <strong>in</strong> DFK,<br />

welche <strong>in</strong> anderen Organisationsformen<br />

gefördert werden? Welche Unterschiede<br />

zeigen sich <strong>in</strong> der Schulleistungsentwicklung<br />

der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> den verschiedenen Beschulungsformen?<br />

5. Wie viele und welche Grundschüler werden<br />

<strong>in</strong>nerhalb der E<strong>in</strong>gangsstufe <strong>in</strong> DFK<br />

oder Förderschulen umgeschult? Aus welchen<br />

Gründen?<br />

6. Wie viele K<strong>in</strong>der werden nach der Beschulung<br />

<strong>in</strong> DFK <strong>in</strong> reguläre Grundschulklassen<br />

und wie viele <strong>in</strong> Förderschulen aufgenommen?<br />

Die Stichprobe <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Untersuchung umfasst<br />

<strong>die</strong> kompletten E<strong>in</strong>schulungsjahrgänge


(Schuljahr 2006/07) der Stadt Rostock und<br />

der Insel Rügen (Untersuchungsgruppe I, Tabelle<br />

1).<br />

Schüler/<strong>in</strong>nen <strong>in</strong><br />

der Grundschule<br />

Schüler/<strong>in</strong>nen <strong>in</strong><br />

DFK<br />

Rostock Rügen Gesamt<br />

1040 465 1505<br />

114 29 143<br />

Gesamt 1154 494 1648<br />

Tabelle 1: Verteilung der Untersuchungsgruppe I (UG I) auf<br />

Schultypen und Regionen<br />

Da <strong>die</strong> Intelligenz neben dem Vorwissen den<br />

stärksten Prädiktor <strong>für</strong> Schulleistung darstellt<br />

(Helmke & We<strong>in</strong>ert, 1997), wurde von <strong>die</strong>ser<br />

Gesamtstichprobe zuerst <strong>die</strong> Gruppe der<br />

Schüler/<strong>in</strong>nen ausgewählt, <strong>die</strong> nach ihren kognitiven<br />

Fähigkeiten (gemessen mit dem KFT)<br />

zum unteren Quartil gehören. Sie bilden <strong>die</strong><br />

Untersuchungsgruppe II und gelten als<br />

schulleistungsgefährdete Schüler/<strong>in</strong>nen (Tabelle<br />

2).<br />

Die Untersuchungsgruppe II setzt sich wie<br />

folgt zusammen:<br />

Rostock<br />

N (%)<br />

Rügen<br />

N (%)<br />

Gesamt<br />

Beschulungsform<br />

GSK DFK<br />

262<br />

(69,7)<br />

96<br />

(76,8)<br />

358<br />

(71,5)<br />

114<br />

(30,3)<br />

29<br />

(23,3)<br />

143<br />

(28,5)<br />

Gesamt<br />

376<br />

125<br />

501<br />

Tabelle 2: Verteilung der Untersuchungsgruppe II (UG II)<br />

nach Beschulungsform und Region<br />

Die Stu<strong>die</strong> ist als Längsschnittstu<strong>die</strong> <strong>für</strong> (m<strong>in</strong>destens)<br />

3 Schuljahre angelegt. In jedem Schuljahr<br />

werden nunmehr jeweils <strong>die</strong> Intelligenz<br />

(Anfang des Schuljahres) sowie <strong>die</strong> Schulleistungen<br />

<strong>in</strong> Lesen (WLLP) und Mathematik<br />

(DEMAT) (Ende des Schuljahres) der gesamten<br />

Stichprobe (Untersuchungsgruppe I) gemessen.<br />

Bei der Gruppe der schulleistungsgefährdeten<br />

K<strong>in</strong>der werden zusätzlich Daten <strong>für</strong><br />

verschiedene Entwicklungsbereiche (z. B. Vorwissen,<br />

Sprache, Konzentration, Verhalten)<br />

sowie ihre sozialen (z.B. soziale Lage, Erziehungsstile<br />

der Eltern) und schulischen Umfeldbed<strong>in</strong>gungen<br />

(z.B. Grad der Differenzierung<br />

im Unterricht) erhoben (genauere<br />

Angaben zum Untersuchungsdesign bei Koch,<br />

Hartke, Blumenthal, 2009).<br />

Nach Auswertung des ersten Untersuchungsjahres<br />

können nunmehr detaillierte Angaben<br />

zur Lernausgangslage der Erstklässler gemacht<br />

werden. Als wesentlichstes Ergebnis kann herausgestellt<br />

werden, dass etwa 12 % der K<strong>in</strong>der<br />

des untersuchten E<strong>in</strong>schulungsjahres (203 von<br />

1648 Schülern) e<strong>in</strong>en umfangreichen besonderen<br />

Förderbedarf aufweisen, der u.a. folgende<br />

Bereiche umfasst: <strong>in</strong>tellektuelle Leistungsfähigkeit,<br />

Gedächtnisleistung, rezeptive sprachliche<br />

Fähigkeiten, auditive und visuelle Wahrnehmung,<br />

pränumerische Fähigkeiten. E<strong>in</strong>e deutliche<br />

Mehrheit (bis 80 %) der förderungsbedürftigen<br />

K<strong>in</strong>der stammt aus so genannten<br />

Armutsfamilien (Nettoäquivalenze<strong>in</strong>kommen<br />

unterhalb 50 % des durchschnittlichen E<strong>in</strong>kommens).<br />

E<strong>in</strong>e ausführliche Ergebnisdarstellung<br />

f<strong>in</strong>det sich im Forschungsbericht zum ersten<br />

Untersuchungsjahr (Koch, Hartke,<br />

Blumenthal, 2009).<br />

69


70<br />

Aussagen können ebenso zur Treffsicherheit<br />

der derzeitigen E<strong>in</strong>gangs- bzw. Sichtungsverfahren<br />

gemacht werden:<br />

Den Ergebnissen der Stu<strong>die</strong> zufolge gibt es<br />

• 26 K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> „falsch positiv“, d.h. nach ihrem<br />

KFT-Wert - sowie weiteren Kennwerten<br />

der Lernausgangslage - <strong>in</strong> der DFK<br />

falsch platziert s<strong>in</strong>d,<br />

• 97 Grundschulk<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> sich von den „guten“,<br />

der nach KFT „richtig“ platzierten<br />

DFK-Schülern <strong>in</strong> der Lernausgangslage<br />

nicht signifikant unterscheiden. Auch sie<br />

s<strong>in</strong>d offenbar falsch platziert,<br />

• 41 Grundschulk<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> sich von der Gesamtgruppe<br />

der 106 „richtig“ platzierten<br />

DFK-Schülern <strong>in</strong> den Werten der genannten<br />

Entwicklungsbereiche nicht signifikant<br />

unterscheiden.<br />

Das praktizierte Aufnahmeverfahren <strong>für</strong> DFK<br />

weist daher <strong>für</strong> den untersuchten E<strong>in</strong>schulungsjahrgang<br />

2006/07 e<strong>in</strong>e relativ hohe Fehlerquote<br />

auf.<br />

Insofern ersche<strong>in</strong>t das gegenwärtige Aufnahmeverfahren<br />

<strong>in</strong> DFK als eher ungenau.<br />

Auch wenn der Förderbedarf der Schüler mit<br />

niedrigen Werten im KFT 1-2 noch weitergehend<br />

untersucht werden muss, lässt sich zum<br />

jetzigen Zeitpunkt festhalten: Neben der<br />

Mehrheit der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> DFK weisen e<strong>in</strong>e erhebliche<br />

Anzahl von Erstklässlern e<strong>in</strong>en besonderen<br />

Förderbedarf auf. Aus Daten über<br />

den Leistungsstand von Schulabgängern aus<br />

deutschen Schulen (9 % ohne Hauptschulabschluss,<br />

etwa 5 % aus Sonderschulen, 15 %<br />

ohne ausreichende Kenntnisse <strong>in</strong> Deutsch und<br />

Mathematik laut PISA-Stu<strong>die</strong>) und aus Erfahrungen<br />

<strong>in</strong> anderen Ländern lässt sich<br />

schließen, dass vermutlich 20 % der Schülerschaft<br />

im Laufe ihrer Schulzeit mehr oder<br />

m<strong>in</strong>der andauernde schulische Förderung<br />

brauchen. Die <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Zwischenbericht vorgelegten<br />

Daten belegen, dass bereits zu Schul-<br />

beg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>e Vielzahl von K<strong>in</strong>dern – ca. 12 %<br />

e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>schulungsjahrgangs – e<strong>in</strong>en komplexen<br />

Förderbedarf aufweisen (106 K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />

DFK und ca. 100 K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Grundschulklassen).<br />

Die Aufgabe, angemessene frühe Hilfen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der zu leisten bzw. zu entwickeln,<br />

stellt e<strong>in</strong>e äußerst anspruchsvolle Herausforderung<br />

<strong>für</strong> Praktiker und Wissenschaftler dar.<br />

Bisher versucht man <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern,<br />

K<strong>in</strong>dern mit erkennbaren Entwicklungsverzögerungen<br />

bzw. Lernproblemen <strong>in</strong><br />

Diagnoseförderklassen e<strong>in</strong> günstiges Lernumfeld<br />

zu bieten. Mehrere Gründe sprechen jedoch<br />

da<strong>für</strong>, über Alternativen zu <strong>die</strong>ser Form<br />

der Förderung <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Gruppe von K<strong>in</strong>dern<br />

nachzudenken:<br />

1. Es bestehen Schwierigkeiten beim frühen<br />

Erkennen der K<strong>in</strong>der mit deutlichen Entwicklungsverzögerungen,<br />

so dass auch längerfristig<br />

– selbst bei e<strong>in</strong>er flächendeckenden<br />

E<strong>in</strong>führung von Diagnoseförderklassen<br />

- entwicklungsauffällige K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der<br />

Grundschule vorkommen.<br />

2. E<strong>in</strong>e Diagnoseförderklasse mit 12 Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schülern e<strong>in</strong>zurichten, setzt<br />

e<strong>in</strong>e Anzahl von etwa 100 Schülern <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>schulungsjahrgang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Schulbezirk voraus. In e<strong>in</strong>em Flächenland<br />

wie Mecklenburg-Vorpommern wird <strong>die</strong>se<br />

Zahl jedoch nicht immer erreicht. Es ist<br />

also auch längerfristig davon auszugehen,<br />

dass K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>em besonderen Förderbedarf<br />

auch <strong>in</strong> regulären Grundschulklassen<br />

<strong>in</strong> der Schule<strong>in</strong>gangsphase vorkommen.<br />

3. Die Wirksamkeit von DFK ist bisher nicht<br />

e<strong>in</strong>deutig nachgewiesen.<br />

4. Als Ergebnis der Stu<strong>die</strong> s<strong>in</strong>d differenzielle<br />

Effekte zu erwarten: zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>zelne<br />

Schüler werden wahrsche<strong>in</strong>lich nicht von<br />

der Beschulung <strong>in</strong> DFK, sondern eher von<br />

den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> regulären Klassen profitieren.


Diese Argumente legen nahe, dass gegenüber<br />

der E<strong>in</strong>richtung von Sonderbeschulungsmaßnahmen<br />

jedweder Art vorrangiges Ziel bleiben<br />

sollte, <strong>die</strong> Unterrichtsqualität und <strong>die</strong> Qualität<br />

der Förderung <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule so zu steigern, dass K<strong>in</strong>der mit Lernproblemen<br />

möglichst adäquat und lange an<br />

Regelschulen gefördert werden. Notwendig ersche<strong>in</strong>t<br />

<strong>in</strong>sbesondere <strong>die</strong> Optimierung der präventiven<br />

Förderung von K<strong>in</strong>dern mit Entwicklungs-<br />

und Lernproblemen!<br />

Literatur<br />

• Helmke, A. & We<strong>in</strong>ert, F. E. (1997). Bed<strong>in</strong>gungsfaktoren<br />

schulischer Leistungen. In F.<br />

E. We<strong>in</strong>ert (Hrsg.), Psychologie des Unterrichts<br />

und der Schule. Enzyklopä<strong>die</strong> der<br />

Psychologie: Pädagogische Psychologie -<br />

Band 3 ( S. 71 - 176). Gött<strong>in</strong>gen: Hogrefe.<br />

• Koch, K., Hartke, B. & Blumenthal, Y.<br />

(2008). Die Lernausgangslage von K<strong>in</strong>dern<br />

mit besonderem Förderbedarf <strong>in</strong> Grundschulklassen<br />

1 und Diagnoseförderklassen.<br />

Erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitstufe<br />

des Projekts „Primarstufe“. Universität<br />

Rostock, Philosophische Fakultät. Onl<strong>in</strong>e<br />

verfügbar unter: http://www.phf.<br />

uni-rostock.de/fes/isoheilp/Primarstufe-<br />

August2008.pdf (Zugriff: 22.3.2009).<br />

• Koch, K., Hartke, B. & Blumenthal, Y. (angenommen).<br />

Zur Lernausgangslage von<br />

K<strong>in</strong>dern mit besonderem Förderbedarf <strong>in</strong><br />

Diagnoseförderklassen und ersten Grundschulklassen<br />

- erste Ergebnisse der Mecklenburg<br />

Längsschnittstu<strong>die</strong>. Zeitschrift <strong>für</strong><br />

Heilpädagogik.<br />

Referat: Anne Schön<strong>in</strong>g, Sonderpädagogisches<br />

Förderzentrum bergen/Rügen<br />

Warum brauchen wir Diagnose-<br />

förderklassen?<br />

• Ergebnisse IGLU und PISA<br />

• 1974 Konferenz der Europäischen<br />

Bildungsm<strong>in</strong>ister fordert flexible<br />

E<strong>in</strong>gangsphase<br />

• 2002 Beschluss der Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz<br />

• UN-Konvention (2008 Ratifizierung)<br />

• Heterogenität der Schulk<strong>in</strong>der<br />

Wo werden Diagnoseförderklassen<br />

benötigt?<br />

• 1 bis 3 Jahre <strong>für</strong> <strong>die</strong> 1./2. Klasse<br />

• seit 1993 Schulversuche <strong>in</strong> der BRD zu<br />

flexibler Schule<strong>in</strong>gangsphase: Brandenburg,<br />

Schleswig-Holste<strong>in</strong>, Baden-Württemberg,<br />

Hessen Niedersachsen, Thür<strong>in</strong>gen, Berl<strong>in</strong><br />

• seit 2005 Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />

Wie kann e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung der Diagnoseförderklassen<br />

vorgenommen werden?<br />

• Jahrgangsmischung<br />

• <strong>in</strong>tegrativer Unterricht<br />

• Leistungsdokumentation<br />

• Rhythmisierung<br />

• Mehrpädagogensystem<br />

• Verzahnung Kita-Schule<br />

• Elternarbeit<br />

Welche Voraussetzungen müssen<br />

geschaffen werden, um Diagnoseförderklassen<br />

e<strong>in</strong>zuführen?<br />

• personelle, räumliche,<br />

sächliche Bed<strong>in</strong>gungen<br />

• verlässliche Parameter der<br />

Unterrichtsversorgung<br />

• Akzeptanz beim Kollegium<br />

• Akzeptanz bei Eltern<br />

71


72<br />

• Erfahrungen mit Formen des geöffneten<br />

Unterrichts und B<strong>in</strong>nendifferenzierung<br />

• Bereitschaft zur Teamarbeit<br />

• Fortbildungsbereitschaft<br />

• Netzwerkbildung<br />

Welche Bed<strong>in</strong>gungen wären beispielhaft,<br />

um Diagnoseförderklassen erfolgreich zu<br />

etablieren?<br />

• ausreichend Räume<br />

• Ausstattung der Lernumgebung<br />

• Stammgruppen, Kursgruppen<br />

• multiprofessionelle Teams,<br />

Doppelbesetzung<br />

• Sozialpädagogen an Grundschulen<br />

• Fortbildungsangebote<br />

• Unterrichtsberatung/Ressourcen<br />

<strong>für</strong> den Entwicklungsprozess<br />

Diskussion<br />

• vorschulische präventive Hilfen<br />

• Fördersysteme <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule (DFK-GU-Sprachheilklasse...)<br />

• entwicklungsfördernde <strong>in</strong>tegrative Grundschule<br />

<strong>für</strong> <strong>alle</strong> Klassen von 1 bis 4<br />

• flexible E<strong>in</strong>gangsstufe Klasse 1 bis 2 als<br />

Übergang von der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Grundschule ohne Zurückstellungen<br />

Referat: Margitta Wagner, sonderpädagogisches<br />

Förderzentrum bergen/Rügen<br />

E<strong>in</strong> Anliegen ab 1993 war es, sonderpädagogische<br />

Kompetenz <strong>in</strong> der Grundschule „anzusiedeln“,<br />

um e<strong>in</strong>er frühzeitigen Segregation<br />

von K<strong>in</strong>dern bereits <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>gangsstufe entgegenzuwirken.<br />

Bereits zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

bewirkt <strong>die</strong> Öffnung der Förderschule e<strong>in</strong>e <strong>in</strong><br />

höherem Maße ausgeprägte Zuwendung der<br />

Grundschullehrer zu K<strong>in</strong>dern mit Lernbee<strong>in</strong>trächtigungen.<br />

Die Sonderschullehrer schärfen<br />

ihren Blick <strong>für</strong> altersentsprechende Anforderungen,<br />

allgeme<strong>in</strong>pädagogische Grundsätze<br />

und Pr<strong>in</strong>zipien sowie Lernbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Grundschule.<br />

Welche K<strong>in</strong>der nahmen wir auf:<br />

1993<br />

• K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> <strong>in</strong> der allg. Entwicklung stark<br />

verzögert s<strong>in</strong>d (Wahrnehmung, Motorik,<br />

Sprache, Handlungssteuerung, Gedächtnis,<br />

Aufmerksamkeit, Motivation)<br />

• Status: es besteht sonderpädagogischer<br />

Förderbedarf, der überwiegend durch das<br />

Vorhandense<strong>in</strong> von Teilleistungsstörungen<br />

gekennzeichnet ist<br />

2000<br />

• K<strong>in</strong>der mit komplexen Entwicklungsverzögerungen<br />

• Ziel: Entwicklungsverzögerungen s<strong>in</strong>d zu<br />

m<strong>in</strong>dern, eventuell zu beseitigen<br />

Warum wurde e<strong>in</strong>e Überarbeitung von 1993<br />

notwendig?<br />

Die Veränderungen der Familienstrukturen,<br />

e<strong>in</strong> vielfältiges Spektrum von Lebensformen<br />

und Erziehungsvorstellungen, verbunden mit<br />

e<strong>in</strong>er erweiterten Mitwirkung der Eltern, das<br />

Zusammenleben mit Menschen aus unter-


Teilnehmer<strong>in</strong>nen und Teilnehmer im Workshop 4<br />

schiedlichen Kulturkreisen, e<strong>in</strong> wachsendes<br />

Bewusstse<strong>in</strong> <strong>für</strong> ökologische Fragen, der E<strong>in</strong>fluss<br />

der Me<strong>die</strong>n – all <strong>die</strong>s stellt <strong>die</strong> Grundschule<br />

ebenso vor neue Aufgaben wie <strong>die</strong><br />

wachsende Bereitschaft, im Rahmen des Möglichen<br />

auch Schüler mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf <strong>in</strong> der Grundschule zu unterrichten.<br />

Grundschule – als erster geme<strong>in</strong>samer Lern-<br />

und Lebensort <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der – unabhängig von<br />

ihrer Herkunft, Sprache, Kultur und Religion<br />

– ist besonders wichtig <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entwicklung<br />

des K<strong>in</strong>des.<br />

Die entwicklungsbed<strong>in</strong>gten Lernvoraussetzungen<br />

der schulpflichtigen K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d sehr<br />

unterschiedlich. Dabei ist <strong>die</strong> Bandbreite <strong>in</strong><br />

den letzten Jahren größer geworden. Mit Zurückstellungen<br />

wurde allgeme<strong>in</strong> <strong>die</strong> Hoffnung<br />

verbunden, dass zurückgestellte K<strong>in</strong>der bei der<br />

(Wieder-) E<strong>in</strong>schulung nach e<strong>in</strong>em Jahr das<br />

Entwicklungsalter von 6 Jahren erreicht haben.<br />

Die Zurückstellungspraxis wurde aufgrund<br />

neuer Erkenntnisse und Realitäten <strong>in</strong> <strong>alle</strong>n<br />

Bundesländern überdacht und diskutiert.<br />

(KMK 6.5.1994)<br />

Seit circa drei Jahren stehen wir wieder an so<br />

e<strong>in</strong>em Scheideweg. Erstmals haben wir <strong>die</strong><br />

Möglichkeit, <strong>die</strong> Lernausgangslage von schulpflichtigen<br />

K<strong>in</strong>dern wissenschaftlich zu ermitteln.<br />

Dazu hat Frau Prof. Koch sich geäußert.<br />

Die ersten Ergebnisse verpflichten uns e<strong>in</strong>fach<br />

dazu, unsere Schule<strong>in</strong>gangsphase <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

zu überdenken.<br />

In Zusammenarbeit mit Frau Sab<strong>in</strong>e Franze<br />

(ehemalige Grundschullehrer<strong>in</strong>, heute ausgebildete<br />

Sonderpädagog<strong>in</strong>) wurden <strong>die</strong> Diagnose-<br />

7


7<br />

förderklassen (DFK) <strong>in</strong>s Leben gerufen. So<br />

überzeugt ich damals von der Notwendigkeit<br />

und Richtigkeit <strong>die</strong>ser Sache e<strong>in</strong>st war, so überzeugt<br />

b<strong>in</strong> ich heute von e<strong>in</strong>er notwendigen Veränderung.<br />

Statement zur Fachtagung<br />

am 28. März 2009<br />

Monika Junghans,<br />

Grundschule bergen/Rügen<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich bedanke mich <strong>für</strong> <strong>die</strong>se sehr gut organisierte<br />

und <strong>in</strong>teressante Begegnung von Politik und<br />

Bildung! Zum ersten Mal konnten auch Lehrer,<br />

<strong>die</strong> an der Basis arbeiten, ihre Me<strong>in</strong>ung<br />

e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen und nicht nur Theoretiker fern von<br />

jeder Praxis.<br />

Me<strong>in</strong> Name ist Monika Junghans, ich arbeite<br />

als DFK-Lehrer<strong>in</strong> an der Grundschule Altstadt<br />

Bergen auf Rügen und ich b<strong>in</strong> Koord<strong>in</strong>ator<strong>in</strong><br />

<strong>für</strong> Diagnoseförderklassen (DFK) an<br />

me<strong>in</strong>er Schule. Seit Jahren bewegen uns Fragen<br />

zur DFK, leider kann sie uns niemand beantworten<br />

oder sollte der Wille fehlen?<br />

In den Förderschulen gibt es ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gangsklassen.<br />

Diese K<strong>in</strong>der werden <strong>in</strong> der DFK beschult.<br />

Wir aber s<strong>in</strong>d Grundschullehrer und<br />

ke<strong>in</strong>e Sonderpädagogen, arbeiten <strong>in</strong> Teilzeit,<br />

haben <strong>für</strong> nur 17 Stunden e<strong>in</strong>en Sonderpädagogen<br />

<strong>für</strong> <strong>alle</strong> 3 DFK-Klassen an der Schule.<br />

Warum stellt man uns zusätzlich ke<strong>in</strong>e PmsA<br />

zur Seite?! Die Sprachheilklassen, <strong>in</strong> denen<br />

Grundschüler „nur“ mit Sprachauffälligkeiten<br />

unterrichtet werden, haben seit Jahren das Privileg<br />

e<strong>in</strong>er PmsA! Wir haben e<strong>in</strong>en immensen<br />

Arbeitsaufwand: Leiter e<strong>in</strong>er Klasse, ständiges<br />

Fördern nach Förderplan im Unterricht, Führen<br />

des Lernbegleiters von acht Seiten <strong>für</strong> jeden<br />

Schüler, zweimal im Schuljahr muss <strong>die</strong>ser mit<br />

den Eltern besprochen werden, Zusammenarbeit<br />

mit Eltern, Jugendamt, Ergotherapeuten,<br />

Familienhelfern, Jugendamt, Psychologen, Logopäden<br />

etc. Und das <strong>alle</strong>s nebenbei! Warum<br />

erhalten wir ke<strong>in</strong>e Anrechnungsstunden <strong>für</strong> <strong>die</strong>se<br />

sehr zeit- und arbeitsaufwändige Arbeit!?


Warum werden <strong>die</strong> Schüler <strong>in</strong> den DFK nach<br />

e<strong>in</strong>em Grundschullehrplan unterrichtet? Nach<br />

den uns neuen verordneten Richtl<strong>in</strong>ien dürfen<br />

<strong>in</strong> unseren Klassen nur K<strong>in</strong>der mit e<strong>in</strong>em IQ<br />

unter 80 e<strong>in</strong>geschult werden! Somit s<strong>in</strong>d unsere<br />

K<strong>in</strong>der ehemalige Förderschulk<strong>in</strong>der, <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> es an den Förderschulen eigene Lehrpläne<br />

gab. Das heißt, dass unsere K<strong>in</strong>der nur <strong>in</strong> den<br />

seltensten Fällen <strong>in</strong> der 3. Klasse e<strong>in</strong>e Grundschule<br />

besuchen werden und wir <strong>die</strong> Lehrpläne<br />

nicht erfüllen können, weil unsere K<strong>in</strong>der es<br />

e<strong>in</strong>fach nicht können. Frau Prof. Koch ist der<br />

Me<strong>in</strong>ung, dass wir ja drei Jahre Zeit dazu hätten.<br />

Unsere K<strong>in</strong>der haben aber mehrfache Bee<strong>in</strong>trächtigungen,<br />

<strong>die</strong> wir auch noch „beheben“<br />

sollen – <strong>die</strong> Praxis sieht eben anders aus als <strong>die</strong><br />

Theorie.<br />

Noch e<strong>in</strong>e kritische Bemerkung. Frau Professor<br />

Koch führte <strong>die</strong> wissenschaftliche Begleitung<br />

des Projektes Primarstufe durch. Leider<br />

aber kennt sie <strong>die</strong> unterschiedliche Herangehensweise<br />

<strong>in</strong> den Bereichen Rostock und Rügen<br />

nicht, d.h. <strong>in</strong> beiden Bereichen werden<br />

unterschiedliche Tests zur Aufnahme <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

DFK durchgeführt. Deshalb konnte sie <strong>in</strong> ihrem<br />

Bericht „zu viele K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> den DFK s<strong>in</strong>d<br />

dort falsch“ vermerken.<br />

Warum gibt es <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitlichen Tests? Gerade <strong>für</strong> <strong>die</strong>ses<br />

Projekt wäre es wichtig gewesen.<br />

Das s<strong>in</strong>d viele kritische Anmerkungen, aber<br />

ich unterrichte sehr gerne <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er DFK-<br />

Klasse und das mit viel Engagement. Ich<br />

könnte mir nichts Anderes vorstellen, liebe <strong>alle</strong><br />

me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der, sie mich auch, wir gehen <strong>alle</strong> jeden<br />

Tag gerne <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schule und freuen uns<br />

geme<strong>in</strong>sam über jeden Fortschritt, den <strong>die</strong><br />

K<strong>in</strong>der erreichen!<br />

Ich weiß, dass Sie me<strong>in</strong>e Anmerkungen und<br />

Bitten nicht erfüllen können, aber vielleicht ist<br />

das e<strong>in</strong> Ansatz zur Diskussion <strong>für</strong> Veränderungen<br />

im S<strong>in</strong>ne der DFK-Kolleg<strong>in</strong>nen und -<br />

Kollegen.<br />

75


76<br />

Workshop 5: Frühe Hilfen <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />

und Grundschulen - aber wie?<br />

Moderation: Dr. Schalwig, vds mv<br />

Dr. Hans Schalwig, Prof. Dr. Bodo Hartke, Christiane Hermes<br />

(v.l.n.r.)<br />

Zusammenfassender Bericht:<br />

Die Arbeitsgruppe wurde von ca. 50 <strong>in</strong>teressierten<br />

Kollegen und Kolleg<strong>in</strong>nen besucht.<br />

Die Ziele der Arbeitsgruppe bestanden im<br />

Folgenden:<br />

• Wie erkennen wir im Frühförderbereich<br />

Risikok<strong>in</strong>der?<br />

• Wie kann besondere und sonderpädagogische<br />

Förderung im Zusammenwirken von<br />

K<strong>in</strong>dertagesstätten und Grundschule<br />

realisiert werden?<br />

• Wie können wir vermeiden, dass aus e<strong>in</strong>em<br />

besonderen pädagogischen Bedarf e<strong>in</strong><br />

sonderpädagogischer Förderbedarf wird?<br />

• Gibt es Notwendigkeiten der Änderung<br />

organisatorischer, adm<strong>in</strong>istrativer und<br />

gesetzlicher Regelungen?<br />

Nach e<strong>in</strong>em kurzen Problemaufriss durch den<br />

Moderator referierte Prof. Dr. Bodo Hartke<br />

(Universität Rostock) zu zwei Themenbereichen:<br />

1. Ergebnisse der Stu<strong>die</strong> zur wissenschaftlichen<br />

Begleitung des Modellversuches Primarstufe<br />

<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern.<br />

2. Modellvorstellungen zum Lernen und<br />

Möglichkeiten des E<strong>in</strong>satzes von „evidenz-<br />

basierenden Förderkonzepten bei deutlichen<br />

schulischen Problemen“.<br />

Die zweite Referent<strong>in</strong>, Frau Hermes (Bildungsm<strong>in</strong>isterium<br />

MV), stellte <strong>die</strong> beabsichtigten<br />

Änderungen des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

vor und kennzeichnete dabei <strong>die</strong> Probleme<br />

<strong>in</strong> der Umsetzung der anvisierten Ziele.<br />

Herr Prof. Hartke stellte auf Grundlage der<br />

Stu<strong>die</strong> fest, dass „…vermutlich 20 % der Schülerschaft<br />

im Laufe ihrer Schulzeit mehr oder<br />

m<strong>in</strong>der andauernde schulische Förderung<br />

braucht“ und „ … bereits zu Schulbeg<strong>in</strong>n …<br />

e<strong>in</strong>e Vielzahl von K<strong>in</strong>dern – ca. 12 % e<strong>in</strong>es<br />

E<strong>in</strong>schulungsjahrganges – e<strong>in</strong>en komplexen<br />

Förderbedarf “ aufweist.<br />

Ausgehend von <strong>die</strong>ser Tatsache und den Modellvorstellungen<br />

zum Lernen kommt Prof.<br />

Hartke zu dem Schluss, dass „evidenzbasierende“<br />

Förderkonzepte im Frühförderbereich<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden könnten. Dies würde den<br />

Übergang zur Grundschule wesentlich erleichtern.<br />

Dazu könnten <strong>die</strong> im Institut <strong>für</strong> Sonderpädagogische<br />

Entwicklungsförderung und<br />

Rehabilitation entwickelten Materialien kurzfristig<br />

genutzt werden.<br />

Frau Hermes verwies <strong>in</strong> ihren Ausführungen<br />

auf <strong>die</strong> Konzeption zur Bildung und Erziehung<br />

von 0 bis 10. Sie unterstrich <strong>die</strong> Notwendigkeit,<br />

dass <strong>alle</strong> am Prozess Beteiligten eng<br />

zusammenarbeiten. Leider gestaltet sich <strong>die</strong>se<br />

Zusammenarbeit recht schwierig, da unterschiedliche<br />

Träger am Gesamtprozess beteiligt<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

In der Diskussion wurden Möglichkeiten diskutiert,<br />

wie <strong>die</strong> Förderung aussehen könnte<br />

und welche Veränderungen notwendig s<strong>in</strong>d,<br />

um <strong>die</strong>sen Prozess e<strong>in</strong>zuleiten. Frau Hermes<br />

verwies auf <strong>die</strong> Notwendigkeit der Veränderung<br />

der Ausbildung von Fachkräften und<br />

neuer Organisationsformen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Frühförderung.<br />

Hier kam aus dem Auditorium, wie


ereits schon im Plenum am Vormittag <strong>die</strong><br />

Frage, warum <strong>die</strong> Vorklassen an Förderschulen<br />

abgeschafft wurden. Diese Form stellte e<strong>in</strong>e effektive<br />

Art der Vorbereitung auf <strong>die</strong> Grundschule<br />

dar. Leider konnte <strong>die</strong>se Frage nicht beantwortet<br />

werden.<br />

Insgesamt wurde <strong>in</strong> der Diskussion deutlich,<br />

dass hier viele Gedanken aus Konzepten vorgestellt<br />

wurden, <strong>die</strong> aber noch nicht umgesetzt<br />

bzw. überhaupt beschlossen s<strong>in</strong>d. Es wurde des<br />

Weiteren festgestellt, dass Veränderungen im<br />

Bereich Bildung sehr lange Zeiträume benötigen<br />

– so können wir <strong>für</strong> <strong>die</strong> vorschulische Bildung<br />

von e<strong>in</strong>em Zeitraum von 6-8 Jahren ausgehen.<br />

Ausgehend von <strong>die</strong>sen mehr theoretischen<br />

bzw. als Annahme formulierten möglichen<br />

Veränderungen konnten leider viele Fragen<br />

nicht beantwortet werden und <strong>die</strong> Frage e<strong>in</strong>es<br />

SPD-Abgeordneten war symptomatisch:<br />

„Wie können wir kurzfristig und effektiv <strong>die</strong><br />

vorschulische Bildung und den Übergang zur<br />

Grundschule sicherstellen?“<br />

E<strong>in</strong>zige aufgezeigte Möglichkeit besteht <strong>in</strong> der<br />

Prüfung, <strong>in</strong>wieweit <strong>die</strong> seitens des Institutes<br />

<strong>für</strong> Sonderpädagogische Entwicklungsförderung<br />

und Rehabilitation entwickelten Materialien<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden können.<br />

Insgesamt ersche<strong>in</strong>t <strong>die</strong> E<strong>in</strong>schätzung zum<br />

deutschen Bildungssystem von Prof. Dr. Dr.<br />

Dr. Fhtenakis von der Freien Universität Bozen<br />

sehr zutreffend zu se<strong>in</strong>, auch <strong>für</strong> das Thema<br />

Verzahnung von vorschulischer und schulischer<br />

Bildung:<br />

„Insgesamt ähnelt unser Bildungswesen e<strong>in</strong>em<br />

Hochhaus. Es ist auf den ersten Blick und von<br />

außen vielleicht e<strong>in</strong> ganz ansehnliches Hochhaus,<br />

das <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> grundlegendes Problem<br />

hat:<br />

Es wurde von vielen verschiedenen Architekten<br />

gebaut. Jeder <strong>die</strong>ser Architekten hat dabei <strong>die</strong><br />

Möglichkeit genutzt, sich selbst zu verwirklichen.<br />

Aber <strong>alle</strong> haben vergessen, aus dem<br />

Hochhaus e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit zu gestalten. So existieren<br />

nun viele Etagen, schöne und bee<strong>in</strong>druckende,<br />

größere und kle<strong>in</strong>ere oder engere.<br />

Überall fehlen aber jedoch Verb<strong>in</strong>dungen,<br />

Treppen und Türen zwischen den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Stockwerken (2008).<br />

Referat Prof. Dr. bodo Hartke, Universität<br />

Rostock:<br />

Weshalb s<strong>in</strong>d vorschulisch erworbene<br />

Kompetenzen mitentscheidend <strong>für</strong> e<strong>in</strong><br />

erfolgreiches frühes schulisches Lernen?<br />

Um mit Ihnen über <strong>die</strong> Bedeutung vorschulischer<br />

Kompetenzen <strong>für</strong> frühe schulische<br />

Lernprozesse (<strong>in</strong>sbesondere beim Schriftspracherwerb<br />

und im Erstmathematikunterricht)<br />

<strong>in</strong>s Gespräch zu kommen, berichte ich Ihnen<br />

zunächst über aktuelle, sonderpädagogisch relevante<br />

Modellvorstellungen über Lernen, um<br />

vor <strong>die</strong>sem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>ige Schlussfolgerungen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> vorschulische Bildungsarbeit<br />

mit K<strong>in</strong>dern mit ungünstigen Lernvoraussetzungen<br />

<strong>für</strong> schulisches Lernen zu ziehen.<br />

Sonderpädagogisch relevante Modellvorstellungen<br />

über Lernen<br />

Was letztlich Lernen ist, wie es abläuft und gel<strong>in</strong>gt<br />

oder missl<strong>in</strong>gt, was den Unterschied zwischen<br />

erfolgreichen und gescheiterten Lernversuchen<br />

ausmacht, ist noch nicht vollständig<br />

erforscht. Aber gerade <strong>die</strong> Neurowissenschaften,<br />

<strong>die</strong> moderne Kognitionspsychologie<br />

und pädagogische Psychologie erzielen vermehrt<br />

Fortschritte und es gel<strong>in</strong>gt ihren Fachvertretern<br />

immer differenzierter Lernprozesse<br />

zu beschreiben und zu erklären. Die aus <strong>die</strong>sen<br />

Wissenschaftsgebieten heraus entwickelten<br />

Kenntnisstände und Modellvorstellungen<br />

können zudem gerade dann hilfreich se<strong>in</strong>,<br />

wenn Lernen nicht gel<strong>in</strong>gt, denn Gründe <strong>für</strong><br />

Lernschwierigkeiten können auf <strong>die</strong>ser Basis<br />

77


78<br />

erkannt und Ansatzpunkte <strong>für</strong> Förderung bestimmt<br />

werden. Insofern liefern gerade <strong>die</strong><br />

Neurowissenschaften, <strong>die</strong> moderne Kognitionspsychologie<br />

und <strong>die</strong> pädagogische Psychologie<br />

<strong>die</strong> entscheidenden Grundlagen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

(sonder-)pädagogische Diagnostik und Förderung.<br />

Welche neuronalen Prozesse laufen im Gehirn<br />

ab, wenn K<strong>in</strong>der im Unterricht Buchstaben-<br />

Lautzuordnungen, neue Begriffe, Zahlwörter<br />

oder Rechenstrategien lernen? Sie nehmen<br />

über S<strong>in</strong>nesorgane neue Informationen auf,<br />

arbeiten mit <strong>die</strong>sen Informationen gedanklich,<br />

verknüpfen sie mit bereits im Gedächtnis vorhandenen<br />

Informationen, prägen sich <strong>die</strong> neuen<br />

Informationen längerfristig e<strong>in</strong> und rufen<br />

sie zum Zweck des Lösens von Übungs- oder<br />

Anwendungsaufgaben ab. Vorhandenes Wissen<br />

wird gedanklich mit neuem Wissen verbunden.<br />

Hierbei f<strong>in</strong>den biochemische Veränderungen<br />

<strong>in</strong> Nervenzellen des Gehirns statt.<br />

Beim Lernen wird e<strong>in</strong> Neuron über se<strong>in</strong>e „E<strong>in</strong>gangskabel“,<br />

<strong>die</strong> Dendriten, aktiviert, e<strong>in</strong> Signal<br />

wird empfangen und über e<strong>in</strong> „Ausgangskabel“<br />

- das Axon - an andere Nervenzellen<br />

weitergegeben. E<strong>in</strong> Axon kann e<strong>in</strong>en Impuls<br />

über Synapsen – e<strong>in</strong>e besondere Struktur zur<br />

Reizübertragung – an mehrere tausend weitere<br />

Zellen übertragen. S<strong>in</strong>d so mite<strong>in</strong>ander<br />

verbundene Zellen gleichzeitig und wiederholt<br />

aktiv, gel<strong>in</strong>gt der Informationsaustausch an<br />

den Synapsen immer besser und es entsteht<br />

e<strong>in</strong> leicht zu aktivierender Zellverbund, e<strong>in</strong> so<br />

genanntes Assembly. Durch optisch oder akustisch<br />

dargebotene Informationen entstehen<br />

solche Netzwerke von Zellen, sie können später<br />

geme<strong>in</strong>sam aktiviert werden. Beim Anblick<br />

e<strong>in</strong>es Buchstabens, e<strong>in</strong>er Ziffer, dem Hören<br />

e<strong>in</strong>es Lautes, dem handelnden Umgang mit<br />

Gegenständen und dem Bilden und Abzählen<br />

von Mengen werden jeweils bestimmte Zellverbünde<br />

aktiviert, „belebt“ und erweitert. So<br />

„feuern“ beim Anblick e<strong>in</strong>es Graphems immer<br />

wieder e<strong>in</strong>e Reihe von Neuronen Übertragungsstoffe<br />

an Synapsen, <strong>die</strong> dann beispielsweise<br />

Neuronen aktivieren, <strong>die</strong> Informationen<br />

über den Klang des mit dem Graphem verknüpften<br />

Phonems frei geben. Der Anblick<br />

e<strong>in</strong>es Tiers aktiviert z.B. Zellverbünde, <strong>die</strong> im<br />

Erleben von dem betreffenden Tier, aber auch<br />

von Tieren überhaupt entstanden und bietet<br />

Anknüpfungspunkte <strong>für</strong> deklaratives Wissen<br />

über Tiere. Reize aktivieren Zellverbünde. Je<br />

öfter e<strong>in</strong> solches Assembly aktiviert wird, desto<br />

kräftiger ist es ausgebildet und desto leichter<br />

ist es erneut zu aktivieren. Damit e<strong>in</strong> neuer<br />

Lern<strong>in</strong>halt – e<strong>in</strong> neuer Buchstabe, e<strong>in</strong> Begriff,<br />

e<strong>in</strong>e Zahl, e<strong>in</strong>e sachkundliche Information –<br />

nachhaltig gelernt wird und schnell präsent ist,<br />

muss er mehrmals e<strong>in</strong> Netzwerk von Neuronen<br />

durchlaufen, denn Kontakte zwischen<br />

Neuronen, <strong>die</strong> nie oder selten geme<strong>in</strong>sam aktiv<br />

s<strong>in</strong>d, bilden sich wieder zurück (Edelmann,<br />

2000).<br />

„Entscheidend <strong>für</strong> absichtsvolles Lernen ist<br />

daher, dass e<strong>in</strong> Inhalt mehrmals gleiche, regelhafte<br />

Erregungsmuster hervorruft. Erst dadurch<br />

eröffnet sich <strong>die</strong> Chance, dass <strong>die</strong> notwendigen<br />

Synapsenverb<strong>in</strong>dungen hergestellt<br />

werden. Im Alltag wird das entweder durch<br />

<strong>die</strong> Unterrichtsmethodik (e<strong>in</strong> Lehrer sorgt<br />

z.B. durch wiederholtes Üben <strong>für</strong> <strong>die</strong> Konsoli<strong>die</strong>rung<br />

des Lernstoffs) oder durch selbst gesteuertes<br />

Lernen erreicht (e<strong>in</strong> Schüler wiederholt<br />

z.B. von sich aus neu zu lernende<br />

Vokabeln). Lernen setzt demzufolge e<strong>in</strong>e ‚regelhafte<br />

Informationszufuhr’ voraus, <strong>die</strong> wiederum<br />

regelhafte Abspeicherungen und dadurch<br />

e<strong>in</strong>en sichtbaren Lerngew<strong>in</strong>n entstehen<br />

lässt (Lauth, Brunste<strong>in</strong> & Grünke, 2004, S.<br />

16). Die <strong>in</strong>dividuelle Struktur und <strong>die</strong> Leichtigkeit<br />

der Aktivierung der neuronalen Netzwerke<br />

im Gehirn be<strong>in</strong>haltet das Können und<br />

Wissen e<strong>in</strong>es Menschen. Wenn Menschen


handeln, denken, reden, lesen und rechnen,<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Vielzahl von neuronalen Netzwerken<br />

und Gehirnregionen aktiviert.<br />

Hoch anschlussfähig zu neurowissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen über Lernen s<strong>in</strong>d Modelle<br />

der Kognitions- und Gedächtnispsychologie.<br />

Aus dem Blickw<strong>in</strong>kel <strong>die</strong>ses Wissenschaftsgebiets<br />

beschreiben <strong>die</strong> Begriffe Lernen und Gedächtnisprozesse<br />

„zwei Seiten e<strong>in</strong>er Medaille“.<br />

Wenn man vom Lernen spricht, me<strong>in</strong>t man<br />

schwerpunktmäßig <strong>die</strong> Prozesse der Aneignung<br />

und bei Gedächtnisprozessen mehr <strong>die</strong><br />

Vorgänge der Speicherung und des Abrufs.<br />

Menschliche Informationsverarbeitung ist e<strong>in</strong>e<br />

andere Bezeichnung <strong>für</strong> Lernen und damit verbundene<br />

Gedächtnisleistungen (Edelmann,<br />

2000, S. 277).<br />

Der Prozess des Lernens und der Speicherung<br />

von Informationen – der Informationsverarbeitung<br />

– wird kognitionspsychologisch mit<br />

dem Drei-Speicher-Modell erklärt.<br />

1. E<strong>in</strong> Reiz – e<strong>in</strong>e Information wird im senso-<br />

Informationen<br />

aus der Umwelt<br />

Sensorisches<br />

Register<br />

Aufmerksamkeit<br />

Kurzzeitgedächtnis<br />

Arbeitsgedächtnis<br />

Abb. 1: Verarbeitung e<strong>in</strong>er Information nach dem Drei-Speicher-Modell<br />

rischen Register (synonym: Ultrakurzzeitgedächtnis,<br />

sensorisches Gedächtnis) <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en<br />

kurzen Moment optisch, akustisch oder<br />

haptisch recht detailgetreu gespeichert.<br />

Diese kurzfristige Speicherung entspricht<br />

meist sehr genau dem vorher mit Auge, Ohr<br />

und/oder Hand/Körper wahrgenommenen<br />

Reiz.<br />

2. Wird <strong>die</strong> ultrakurzfristig (etwa 1 Sekunde)<br />

gespeicherte Information bewusst beachtet<br />

– überdauert sie zunächst etwa 15 Sekunden<br />

im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis. Die<br />

Verweildauer der Information kann durch<br />

e<strong>in</strong> bewusstes Arbeiten mit ihr verlängert<br />

werden. Bei e<strong>in</strong>maliger Darbietung könnten<br />

im Kurzzeitgedächtnis nur etwa sieben e<strong>in</strong>zelne<br />

Informationen gleichzeitig er<strong>in</strong>nert<br />

werden.<br />

3. Damit e<strong>in</strong>e Information langfristig behalten<br />

und somit im Langzeitgedächtnis gespeichert<br />

wird, ist sie mit Hilfe des Arbeitsgedächtnisses<br />

mit vorhandenen Informationen zu<br />

verb<strong>in</strong>den. Wenn also e<strong>in</strong> Schüler e<strong>in</strong>en<br />

Text wiederholt liest, dar<strong>in</strong> Lernwörter un-<br />

Elaboration<br />

Abruf<br />

Langzeitgedächtnis<br />

79


80<br />

terstreicht, liest und schreibt, Lückentexte<br />

ausfüllt, Aufgaben wiederholt rechnet,<br />

Kenntnisse über das Rechnen im Zahlenraum<br />

bis 10 oder im Zahlenraum bis 100<br />

anwendet, e<strong>in</strong>en Lösungsweg <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Aufgaben<br />

wiederholt verwendet oder e<strong>in</strong>e Rechenstrategie,<br />

wie das Verdoppeln und<br />

Halbieren, oft nutzt, speichert er Informationen<br />

im Langzeitgedächtnis ab und übt<br />

gleichzeitig den schnellen Abruf der Information<br />

aus dem Gedächtnis.<br />

Mit Hilfe des Drei-Speicher-Modells lässt<br />

sich <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit neurowissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner isolierter<br />

Lernakt – das Lernen e<strong>in</strong>es neuen Begriffs,<br />

e<strong>in</strong>es Sachzusammenhangs, e<strong>in</strong>es Buchstabens,<br />

e<strong>in</strong>er Zahl oder Rechenstrategie gut erklären<br />

(s. Abb. 1).<br />

E<strong>in</strong> aufmerksam wahrgenommener Reiz (e<strong>in</strong>e<br />

sensorisch registrierte Information aus der<br />

Umwelt) führt zur Aktivierung von Vorwissen<br />

(von Inhalten des Langzeitgedächtnisses) und<br />

dessen Verknüpfung mit der neuen Information<br />

durch Verarbeitungsprozesse im Kurzzeit-<br />

/Arbeitsgedächtnis. Kommt es zu e<strong>in</strong>er wiederholten<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit e<strong>in</strong>er<br />

neuen Information sowie deren Verknüpfung<br />

mit Vorwissen, <strong>in</strong>tegriert <strong>die</strong> lernende Person<br />

<strong>die</strong> neue Information <strong>in</strong> ihr bisheriges Wissenssystem.<br />

Lernen bedarf der absichtsvollen,<br />

wiederholten, aufmerksamen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit e<strong>in</strong>zelnen Lerngegenständen <strong>in</strong> ähnlichen<br />

und deutlich unterschiedlichen Aneignungssituationen.<br />

Ähnlich sollten <strong>die</strong><br />

Situationen se<strong>in</strong>, damit sich <strong>die</strong> erst ger<strong>in</strong>g<br />

vorhandene (neuronale) Gedächtnisspur der<br />

neuen Information weiter ausprägt, unterschiedlich<br />

sollten <strong>die</strong> Lernsituationen se<strong>in</strong>, damit<br />

e<strong>in</strong>e (neuronale) Vernetzung der neuen<br />

Information mit mehreren vorhandenen Gedächtnis<strong>in</strong>halten<br />

stattf<strong>in</strong>det – e<strong>in</strong> Assembly<br />

entsteht. Sowohl e<strong>in</strong> wiederholendes als auch<br />

e<strong>in</strong> anwendendes Üben unterstützen Gedächtnisprozesse<br />

– nachhaltiges Lernen. Aus pädagogisch-psychologischer<br />

Sicht können im Anschluss<br />

an <strong>die</strong>se Erkenntnisse bereits e<strong>in</strong>ige<br />

Schlussfolgerungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gestaltung von<br />

Vermittlungsprozessen bzw. von Unterricht<br />

gezogen werden:<br />

• <strong>die</strong> Aufmerksamkeit des K<strong>in</strong>des muss beim<br />

Lernen auf den Lerngegenstand gerichtet<br />

se<strong>in</strong>,<br />

• es dürfen gleichzeitig nicht zu viele Informationen<br />

angeboten werden, soweit möglich<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>zelne Informationen zu größeren<br />

E<strong>in</strong>heiten zusammenzufassen, um das<br />

Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis nicht zu<br />

überlasten,<br />

• eigenständig vom Schüler praktizierte E<strong>in</strong>prägungs-<br />

und Verarbeitungsstrategien wie<br />

Wiederholen, <strong>in</strong> eigenen Worten zusammenfassen<br />

oder Anwenden unterstützen<br />

Lernen,<br />

• Wiederholen und Üben s<strong>in</strong>d Hilfsmittel gegen<br />

das Vergessen,<br />

• bereits beim Lernen von e<strong>in</strong>zelnen relativ<br />

eng umgrenzten Inhalten ist <strong>die</strong> Verknüpfung<br />

mit späteren Nutzungsmöglichkeiten<br />

vorzubereiten (We<strong>in</strong>ert, 1996, S. 11).<br />

Damit der Zugriff auf das gelernte Wissen gut<br />

gel<strong>in</strong>gt, sollte das Gelernte systematisch geordnet<br />

se<strong>in</strong>. Hierzu <strong>die</strong>nen <strong>in</strong>sbesondere im<br />

Lernprozess zu vermittelnde (Ober-)Begriffe<br />

oder Symbole, mit denen weitere Gedächtnis<strong>in</strong>halte<br />

verknüpft s<strong>in</strong>d und mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Beziehung<br />

gesetzt werden (s. Abb. 2).<br />

Denn Erfolg des Lernens macht sich am abrufbaren<br />

und anwendbaren Wissen fest, an den<br />

Fertigkeiten des K<strong>in</strong>des zum Lesen, Schreiben<br />

und Rechnen und an den Kompetenzen zum<br />

Verstehen und Schreiben von Texten, von Sachzusammenhängen<br />

oder zum Lösen von mathe-


kann<br />

Adler<br />

Sieht aus wie<br />

kann<br />

Elefant<br />

matischen Problemen. Hierbei spielen Fähigkeiten<br />

des schnellen Zugriffs auf Inhalte des<br />

Langzeitgedächtnisses e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle.<br />

Schlussfolgerungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> vorschulische Bildungsarbeit<br />

mit K<strong>in</strong>dern mit ungünstigen Lernvoraussetzungen<br />

<strong>für</strong> schulisches Lernen<br />

Als erste wichtige Ergebnisse der Mecklenburger<br />

Längsschnittstu<strong>die</strong> – <strong>die</strong> gerade <strong>in</strong> MV durchgeführt<br />

wird, ist festzuhalten: Bereits 12 % der K<strong>in</strong>der<br />

e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>schulungsjahrgangs – es wurden<br />

<strong>in</strong>sgesamt über 1600 Schüler <strong>in</strong> Rostock und auf<br />

Rügen untersucht – weisen <strong>in</strong> Vorläuferfähigkeiten<br />

schulischen Lernens, wie dem pränumerischen<br />

Wissen oder der phonologischen Bewusstheit<br />

sowie <strong>in</strong> akustischen und visuellen<br />

Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistungen, rezeptiven<br />

sprachlichen Fähigkeiten, Konzentration<br />

und Verhalten deutliche Entwicklungsrückstände<br />

auf. Sie stammen zu 60 bis 80 % aus Familien, <strong>die</strong><br />

<strong>in</strong> relativer Armut leben. Verschiedene Untersuchungen<br />

zu den Auswirkungen von Entwicklungsrückständen<br />

im pränumerischen und frühen<br />

hat<br />

Ist e<strong>in</strong>e<br />

Sieht aus wie<br />

Ist e<strong>in</strong><br />

Abb. 2: Beispiel <strong>für</strong> e<strong>in</strong> Wissenssytem: Kenntnisse über Tiere<br />

Tier Ist e<strong>in</strong>e Kuh<br />

Ist e<strong>in</strong>e<br />

Katze<br />

Sieht aus wie<br />

hat<br />

Sieht aus wie<br />

kann<br />

Zahlenwissen (Krajewski, 2008) sowie <strong>in</strong> der<br />

phonologischen Bewusstheit und von niedriger<br />

Informationsverarbeitungskapazität im Arbeitsgedächtnis<br />

(Mannhaupt, 2008) belegen dramatische<br />

Leistungsrückstände betroffener K<strong>in</strong>der im<br />

Anfangsunterricht. Und: Diese frühen Leistungsrückstände<br />

im Schule<strong>in</strong>gangsbereich dauern häufig<br />

über mehrere Schuljahre bis zum Ende der<br />

Sekundarstufe I fort.<br />

E<strong>in</strong> wesentlicher Ansatzpunkt zur Vermeidung<br />

von Schulversagen ist <strong>die</strong> vorschulische<br />

Förderung von K<strong>in</strong>dern mit Entwicklungsrückständen<br />

<strong>in</strong> schulleistungsrelevanten Entwicklungsbereichen.<br />

Hierbei geht es zunächst<br />

um <strong>die</strong> Verbesserung des Vorwissens <strong>für</strong> den<br />

Erstleseunterricht – den Schriftspracherwerb<br />

– und den Anfangsunterricht Mathematik.<br />

Insbesondere <strong>die</strong> Anwendung des Bielefelder<br />

Screen<strong>in</strong>g zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwäche<br />

(BISC) ( Jansen, Mannhaupt,<br />

Marx & Skworonek, 1999) und des dazugehörigen<br />

Förderprogramms „Hören, Lauschen,<br />

hat<br />

81


82<br />

Abb. : Beispiel <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung von vorschulischem und schulischem Wissen: Vorschulisches Wortwissen Wörter mit<br />

/m/ (l<strong>in</strong>ks platziert) und schulische Übungen zur Buchstaben-Laut-Zuordnung (rechts platziert)<br />

Abb. : Beispiel <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung von vorschulischem und schulischem Wissen: Frühes Mengen und Zahlenwissen zur<br />

Zahl 5 (l<strong>in</strong>ks unten sowie mittig unter der Zahl 5 platziert) und schulische Übungen am Zahlenstrahl sowie zur Addition<br />

und Subtraktion


Lernen – Sprachspiele <strong>für</strong> Vorschulk<strong>in</strong>der“<br />

von Küspert und Schneider (2008) s<strong>in</strong>d angezeigt.<br />

Empfehlenswert s<strong>in</strong>d im mathematischen<br />

Bereich <strong>die</strong> Programme „Mengen, zählen,<br />

Zahlen“ von Krajewski, Nied<strong>in</strong>g &<br />

Schneider (2007) und „Zahlenzauber“ von<br />

Clausen-Suhr (letzteres steht kurz vor der<br />

Veröffentlichung, siehe vorab Clausen-Suhr,<br />

Schulz & Bricks, 2008). In <strong>die</strong>sen gut <strong>in</strong> den<br />

K<strong>in</strong>dertagesstättenalltag zu <strong>in</strong>tegrierenden<br />

Programmen wird <strong>in</strong> kurzen Zeiträumen (z.B.<br />

bei „Hören, Lauschen, Lernen“ <strong>in</strong>nerhalb von<br />

10 M<strong>in</strong>uten täglich) gezielt – meist spielerisch<br />

– erstes Wissen über Sprache, Laute, Mengen<br />

und Zahlen vermittelt. Hierbei handelt es sich<br />

um das Wissen, das etwa 90 % <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />

bildungsorientierten Familien meist von Eltern<br />

und Spielkameraden bereits beiläufig vermittelt<br />

bekommen – K<strong>in</strong>der aus Armutsfamilien<br />

aber oft nicht aufweisen. Dieses frühe Wissen<br />

ist aus neurowissenschaftlicher Sicht bedeutsam<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Entwicklung komplexer neuronaler<br />

Netzwerke und fun<strong>die</strong>rt aus kognitionspsychologischer<br />

Perspektive später entstehende<br />

Verknüpfungen schulisch vermittelter Informationen<br />

mit dem Langzeitgedächtnis. Bleibt<br />

<strong>die</strong> vorschulische Förderung bei betroffenen<br />

K<strong>in</strong>dern aus, s<strong>in</strong>ken <strong>die</strong> Chancen auf e<strong>in</strong>en erfolgreichen<br />

Schulbesuch deutlich.<br />

K<strong>in</strong>dern, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Sätzen Wörter akustisch unterscheiden<br />

können, und <strong>in</strong> Wörtern Laute<br />

(vorschulisch entstehende Fähigkeiten) gut<br />

heraushören, gel<strong>in</strong>gt <strong>die</strong> entsprechende Phonem-Graphem-Zuordnung<br />

im Erstleseunterricht<br />

besser, als K<strong>in</strong>dern, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge phonologische<br />

Bewusstheit aufweisen (s. Abb. 3).<br />

K<strong>in</strong>dern, <strong>die</strong> beispielsweise Mengen bis zur<br />

Mächtigkeit fünf gut simultan erfassen können<br />

und spielerisch Veränderungen von überschaubaren<br />

Mengen erlebt haben – mit <strong>die</strong>sen im<br />

Spiel operierten – und dabei Zahlwörter ver-<br />

wendeten und zählen lernten (vorschulisch<br />

entstehende Fähigkeiten), gel<strong>in</strong>gen entsprechende<br />

Additions- und Subtraktions- sowie<br />

Zuordnungsaufgaben besser, als K<strong>in</strong>dern, <strong>die</strong><br />

ger<strong>in</strong>ge Vorläuferkompetenzen mathematischer<br />

Kompetenzen aufweisen (s. Abb. 4).<br />

Weist e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d neben Lücken <strong>in</strong> Vorläuferkompetenzen<br />

<strong>für</strong> schulisches Lernen im engeren<br />

S<strong>in</strong>ne (im Vorwissen) zudem Rückstände<br />

<strong>in</strong> schulisch relevanten Entwicklungsbereichen,<br />

wie beispielsweise dem Verhalten bei konzentrierter<br />

Tätigkeit, auf, s<strong>in</strong>ken <strong>die</strong> Chancen auf<br />

Schulerfolge weiter, denn zum Schließen von<br />

Lücken im Vorwissen benötigen K<strong>in</strong>der meist<br />

konzentrierte absichtsvolle Lernhandlungen.<br />

Ohne e<strong>in</strong> gezieltes Wahrnehmen von Reizen<br />

und ohne e<strong>in</strong> bewusstes gedankliches Handeln<br />

mit Informationen im Kurzzeitgedächtnis unter<br />

Verwendung von vorhandenem Wissen f<strong>in</strong>det<br />

meist ke<strong>in</strong> Lernen statt. Deshalb ist vorschulisch<br />

nicht nur (Vor-)Wissen zu fördern,<br />

sondern auch <strong>die</strong> Entwicklung von Personenmerkmalen<br />

wie durch den Willen bestimmte<br />

Selbststeuerung, Konzentration, soziale Kompetenz,<br />

Interesse, Sprache und Gedächtnis.<br />

Literatur<br />

Clausen-Suhr, K.; Schulz, L. & Bricks, P.M.<br />

(2008). Mathematische Bildung im K<strong>in</strong>dergarten.<br />

Ergebnisse e<strong>in</strong>er quasi-experimentellen<br />

Evaluation des Förderprogramms „Zahlenzauber“.<br />

Zeitschrift <strong>für</strong> Heilpädagogik, 59, 341-<br />

349.<br />

Edelmann, W. (2000). Lernpsychologie. We<strong>in</strong>heim:<br />

Beltz.<br />

8


8<br />

Jansen, H., Mannhaupt, G., Marx, H. &<br />

Skworonek, H. (1999). Bielefelder Sreen<strong>in</strong>g zur<br />

Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten<br />

(BISC). Gött<strong>in</strong>gen: Hogrefe.<br />

Krajewski, K. (2008). Vorhersage von Rechenschwäche<br />

<strong>in</strong> der Grundschule. Hamburg:<br />

Kovač.<br />

Krajewski, K.; Nied<strong>in</strong>g, G. & Schneider, W.<br />

(2007). Mengen, zählen, Zahlen: <strong>die</strong> Welt der<br />

Mathematik verstehen, <strong>die</strong> große Förderbox.<br />

Berl<strong>in</strong>: Cornelsen.<br />

Küspert, P. & Schneider, W. (2008). Hören,<br />

Lauschen, Lernen: Sprachspiele <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der im<br />

Vorschulalter. Würzburger Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogramm<br />

zur Vorbereitung auf den Erwerb der Schriftsprache<br />

(6. Aufl.). Gött<strong>in</strong>gen: Vandenhoeck &<br />

Ruprecht.<br />

Lauth, G. W., Grünke, M. & Brunste<strong>in</strong>, J.C.<br />

(2004). Lernstörungen im Überblick: Arten,<br />

Klassifikationen, Verbreitung und Erklärungsperspektiven.<br />

In G. W. Lauth, M. Grünke & J.<br />

C. Brunste<strong>in</strong> (Hrsg.), Interventionen bei Lernstörungen:<br />

Förderung, Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g und Therapie <strong>in</strong><br />

der Praxis (S. 13-23). Gött<strong>in</strong>gen: Hogrefe.<br />

Mannhaupt, G. (2008). Prävention von Lese-<br />

Rechtschreibschwierigkeiten im K<strong>in</strong>dergarten.<br />

In J. Borchert, B. Hartke & P. Jogschies (Hrsg.),<br />

Frühe Förderung entwicklungsauffälliger K<strong>in</strong>der<br />

und Jugendlicher (S. 136-148). Stuttgart: Kohlhammer.<br />

We<strong>in</strong>ert, F.E. (1996). Lerntheorien und Instruktionsmodelle.<br />

In F. E. We<strong>in</strong>ert (Hrsg.),<br />

Psychologie des Lernens und der Instruktion (S.<br />

1-87). Gött<strong>in</strong>gen: Hogrefe.<br />

Referat: Christiane Hermes, M<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong><br />

bildung, Wissenschaft und Kultur<br />

„Positionen des BM zur frühk<strong>in</strong>dlichen<br />

Bildung <strong>in</strong> MV – Bildungskonzeption <strong>für</strong><br />

0- bis 10-jährige K<strong>in</strong>der“<br />

Dieser Workshop beschäftigt sich mit e<strong>in</strong>em<br />

wichtigen Bildungsthema, das vor <strong>alle</strong>m <strong>die</strong><br />

gute organisatorische und <strong>in</strong>haltliche Kooperation<br />

von K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung und Grundschule<br />

berührt. Fast <strong>alle</strong> K<strong>in</strong>der im Alter von<br />

drei bis sechs Jahren besuchen <strong>in</strong> Mecklenburg-<br />

Vorpommern e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung. Bei<br />

den Schule<strong>in</strong>gangsuntersuchungen wurden<br />

dennoch bei vielen K<strong>in</strong>dern Entwicklungsdefizite<br />

festgestellt.<br />

E<strong>in</strong>e Grundvoraussetzung <strong>für</strong> <strong>die</strong> gel<strong>in</strong>gende<br />

Zusammenarbeit beider Bildungsträger zum<br />

Wohle <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der hat Herr Prof. Hartke soeben<br />

e<strong>in</strong>drücklich beschrieben. Das ist <strong>die</strong><br />

Modellvorstellung vom Lernen. Diese ist e<strong>in</strong><br />

Grundkonzept <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erarbeitung der Bildungskonzeption<br />

<strong>für</strong> 0- bis 10-jährige K<strong>in</strong>der<br />

<strong>in</strong> MV, an der wir zurzeit <strong>in</strong>tensiv arbeiten.<br />

E<strong>in</strong>e entsprechende Projektgruppe hat der Bildungsm<strong>in</strong>ister,<br />

Herr Henry Tesch, am 23.<br />

Februar 2008 berufen. Diese Projektgruppe,<br />

<strong>die</strong> aus Vertretern der Wissenschaft, der Träger<br />

und Verbände, des LAGuS/ Landesjugendamtes,<br />

des Sozialm<strong>in</strong>isteriums und aus<br />

Mitarbeitern des Bildungsm<strong>in</strong>isteriums besteht,<br />

wird von Frau Dr. Birgit Mett geleitet.<br />

Es ist klar, dass das Vorwissen der K<strong>in</strong>der<br />

maßgeblich den schulischen Lernerfolg bestimmt.<br />

Darum wurde im geltenden KiföG<br />

MV auch <strong>die</strong> zielgerichtete Vorbereitung auf<br />

<strong>die</strong> Schule als herausgehobener Gegenstand<br />

der frühk<strong>in</strong>dlichen Bildung und Erziehung<br />

postuliert.<br />

Die Förderung von K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

unseres Landes erfüllt e<strong>in</strong>en


eigenständigen alters- und entwicklungsspezifischen<br />

Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag.<br />

So ist es uns wichtig, besonders<br />

Benachteiligungen entgegenzuwirken und zur<br />

Chancengerechtigkeit beim E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Grundschule beizutragen. Dabei ziehen <strong>in</strong> unserem<br />

Land das Sozialm<strong>in</strong>isterium und das<br />

Bildungsm<strong>in</strong>isterium an e<strong>in</strong>em Strang.<br />

Die Expertenkommission „Zur Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>es zukunftsfähigen Bildungssystems <strong>in</strong><br />

MV“ sprach zur frühen Förderung <strong>in</strong> den Kitas,<br />

im Juni 2008, e<strong>in</strong>e klare Empfehlung aus.<br />

Der erprobte Rahmenplan/ Bildungsplan <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Arbeit im letzten K<strong>in</strong>dergartenjahr vor<br />

Schule<strong>in</strong>tritt sollte überarbeitet werden und<br />

dann <strong>die</strong> gesamte Entwicklung der K<strong>in</strong>der von<br />

0 bis 10 Jahren umfassen und <strong>alle</strong> Bildungs<strong>in</strong>stitutionen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong>ses Alter e<strong>in</strong>schließen. Und<br />

das wird mit der Erarbeitung der Bildungskonzeption<br />

<strong>für</strong> 0- bis 10-jährige K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> MV<br />

gel<strong>in</strong>gen.<br />

Im Vordergrund der Bildungsbemühungen im<br />

Elementarbereich steht der:<br />

• Erwerb grundlegender Kompetenzen,<br />

• <strong>die</strong> Entwicklung und Stärkung persönlicher<br />

Ressourcen, <strong>die</strong> das K<strong>in</strong>d motivieren und<br />

darauf vorbereiten, künftige Lebens- und<br />

Lernaufgaben aufzugreifen. (Sie sollen später<br />

verantwortlich am gesellschaftlichen Leben<br />

teilnehmen und e<strong>in</strong> Leben lang lernen<br />

wollen.),<br />

• <strong>die</strong> Anleitung zur Dokumentation von Entwicklungsverläufen<br />

der e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>der<br />

(<strong>in</strong>sbesondere der sprachlichen Entwicklung).<br />

Zudem geht es darum, Hilfestellungen<br />

<strong>für</strong> das frühe Erkennen von besonderen<br />

Problemlagen oder auch <strong>für</strong> den <strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderbedarf von K<strong>in</strong>dern zu geben.<br />

E<strong>in</strong>e enge Zusammenarbeit mit den Eltern<br />

ist uns sehr wichtig.<br />

K<strong>in</strong>der mit Förderbedarf h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />

Sprachentwicklung sollen e<strong>in</strong>e besondere und<br />

gezielte Förderung erhalten. Dabei ist <strong>die</strong><br />

Sprachförderung besonders auf kommunikative<br />

Sprachsituationen auszurichten.<br />

Da das phonologische Bewusstse<strong>in</strong> als <strong>die</strong> unbed<strong>in</strong>gte<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e spätere, hohe<br />

Sprachkompetenz anzusehen ist, wie Herr<br />

Prof. Hartke soeben betonte, müssen wichtige<br />

erste Grundlagen da<strong>für</strong> <strong>in</strong> den Kitas aufgebaut<br />

werden. Wir müssen <strong>die</strong> kont<strong>in</strong>uierliche Begleitung<br />

und Unterstützung im Spracherwerb<br />

<strong>für</strong> <strong>alle</strong> K<strong>in</strong>der, e<strong>in</strong>geschlossen s<strong>in</strong>d also auch<br />

<strong>die</strong> K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> unserem Land, <strong>die</strong> deutsch als<br />

Zweitsprache lernen, ausbauen und qualifizieren.<br />

Die Zusammenführung der bisherigen<br />

Ergebnisse aus den Modellprojekten „Havas 5“<br />

und „Alltags<strong>in</strong>tegrierte Sprachförderung <strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen ...“ mit dem Ziel,<br />

e<strong>in</strong> alltags<strong>in</strong>tegriertes Sprachförderkonzept <strong>für</strong><br />

K<strong>in</strong>der ab vier Jahren <strong>für</strong> MV zu entwickeln,<br />

steht momentan im Mittelpunkt unserer Bemühungen.<br />

Beide Projekte wurden aus Mitteln<br />

des Bildungsm<strong>in</strong>isteriums gefördert. Träger<br />

s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> RAA und <strong>die</strong> Universität Rostock.<br />

Für <strong>die</strong> Erarbeitung der „Bildungskonzeption<br />

0 bis 10“ ist e<strong>in</strong>e enge Zeitschiene vorgegeben<br />

worden. Wir haben <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Frühjahr vier<br />

Regionalkonferenzen mit <strong>in</strong>teressierten Fachkräften<br />

aus den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen und<br />

Grundschulen durchgeführt, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art<br />

Anhörung über den momentanen Stand der<br />

Arbeiten an der Bildungskonzeption zu berichten<br />

und <strong>in</strong> Arbeitsgruppen <strong>die</strong> <strong>in</strong>teressierenden<br />

Fragestellungen und Probleme aus<br />

der Praxis aufzufangen. Die Arbeitsgruppen<br />

beschäftigten sich mit den Themen „ Übergänge“,<br />

„Hort“ und besonders mit dem Thema „Erziehungspartnerschaften/Elternarbeit“.<br />

Die<br />

Resultate der sehr konstruktiv geführten Fachdiskussionen<br />

erachten wir als notwendige und<br />

wichtige Hilfe zur guten Weiterarbeit an der<br />

85


86<br />

Konzeption. Unser Ziel ist es, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er weiteren<br />

Anhörung via Internet den Textentwurf<br />

<strong>in</strong> MV zur Diskussion zu stellen und dann<br />

den <strong>in</strong>teressierten Praktikern im November<br />

<strong>die</strong>ses Jahres <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er landesweiten Fachtagung<br />

<strong>die</strong> Ergebnisse zu präsentieren. Landesweite<br />

Fortbildungen im Frühjahr 2010 sollen anschließend<br />

da<strong>für</strong> Sorge tragen, dass <strong>die</strong> Inhalte<br />

unserer Bildungskonzeption <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der von 0<br />

bis 10 Jahren schnell und wirkungsvoll E<strong>in</strong>gang<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> tägliche Arbeit <strong>in</strong> den<br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen f<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong>e Erprobungsphase<br />

und Evaluation der Ergebnisse<br />

folgen dem selbstverständlich. Wir freuen uns<br />

auf den weiteren Dialog mit Ihnen.<br />

In der vergangenen Woche hat das Kab<strong>in</strong>ett<br />

der Landesverordnung über <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel<br />

zur Umsetzung des § 18 Absatz 3 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

zugestimmt. Hier ist<br />

<strong>die</strong> Verwendung der F<strong>in</strong>anzmittel von jährlich<br />

5 Mio. € ab dem Jahr 2009 verfügt. In <strong>die</strong>sem<br />

F<strong>in</strong>anzrahmen soll auch <strong>die</strong> Gewährung zusätzlicher<br />

zeitlicher Freistellung von Fachkräften<br />

<strong>in</strong> den Kitas ermöglicht werden, um <strong>die</strong><br />

Prozessbegleitung der Entwicklung der K<strong>in</strong>der<br />

erfassen und dokumentieren zu können<br />

sowie z.B. <strong>für</strong> pädagogische Gespräche mit<br />

den Erziehungsberechtigten. Portfolios unterstützen<br />

<strong>die</strong> Kommunikation zwischen den<br />

K<strong>in</strong>dern, den pädagogischen Fachkräften und<br />

den Eltern. Ebenso steht mit <strong>die</strong>ser Gesamtsumme<br />

auch Geld <strong>für</strong> <strong>die</strong> zusätzliche Ausstattung<br />

und pädagogische Ausgestaltung der Bildungs-<br />

und Erziehungsangebote <strong>in</strong> den<br />

E<strong>in</strong>richtungen zur Verfügung, um <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der<br />

<strong>in</strong>dividueller fördern zu können. Zur Sicherung<br />

der Qualitätsentwicklung <strong>in</strong> den Kitas<br />

s<strong>in</strong>d Kosten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Fach- und Praxisberatung<br />

vor Ort ebenso <strong>in</strong>begriffen. Insgesamt hoffen<br />

wir damit, <strong>die</strong> Zeitressourcen der Fachkräfte<br />

eben dah<strong>in</strong>gehend unterstützen zu können,<br />

dass sie <strong>die</strong> nötige Zeit <strong>für</strong> ihre:<br />

• pädagogische Arbeit,<br />

• Zuwendung an das K<strong>in</strong>d,<br />

• Vorbereitung,<br />

• Nachbereitung,<br />

• Elternarbeit<br />

und Konzeptentwicklung <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>richtungen<br />

haben.<br />

Sie sehen, dass wir auf e<strong>in</strong>em guten Weg s<strong>in</strong>d.<br />

Aber noch bleibt viel zu tun. So ist es wichtig,<br />

<strong>die</strong> Chancen zur Vernetzung des Bildungsplanes<br />

und später dann der Bildungskonzeption von 0<br />

bis 10 <strong>in</strong> MV auszuloten und zum Wohle der<br />

K<strong>in</strong>der als wesentliche Voraussetzung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Förderung und Forderung von K<strong>in</strong>dern zu gestalten.<br />

Auch das ist e<strong>in</strong> wesentliches Thema <strong>in</strong><br />

der Gesamtaussage der Bildungskonzeption. Es<br />

werden neue Aspekte <strong>in</strong> der frühk<strong>in</strong>dlichen Bildung<br />

und Erziehung <strong>in</strong> der Ausbildung der<br />

Fachkräfte zu berücksichtigen se<strong>in</strong>. Die Anforderungen<br />

an <strong>die</strong> Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher<br />

werden höher und spezieller werden. Diesen<br />

aktuellen Forderungen an e<strong>in</strong>e bedarfsgerechte<br />

Qualifizierung <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem so wichtigen Beruf<br />

stellt sich z.B. <strong>die</strong> Hochschule Neubrandenburg,<br />

<strong>in</strong>dem sie den Bachelor-Stu<strong>die</strong>ngang Early<br />

Education anbietet, verbunden auch mit neuen<br />

Stu<strong>die</strong>nzugangsbed<strong>in</strong>gungen. Das ermöglicht<br />

z.B. Kolleg<strong>in</strong>nen und Kollegen aus den E<strong>in</strong>richtungen<br />

noch e<strong>in</strong>mal neu e<strong>in</strong>zusteigen oder<br />

berufsbegleitend zu stu<strong>die</strong>ren. Mit der Neugründung<br />

des Pädagogischen Kollegs <strong>in</strong> Rostock<br />

und dem Schulversuch des Sem<strong>in</strong>ars <strong>für</strong><br />

kirchlichen Dienst (SKD) Greifswald wird<br />

auch hier auf <strong>die</strong> Bedarfe und Bedürfnisse aus<br />

den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen nach hoch qualifiziertem<br />

Personal reagiert.<br />

Unsere aktuellen Besuche <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

zeigen, dass sich viele Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

und Erzieher schon längst auf den Weg<br />

gemacht haben. Sie wenden den bisherigen<br />

Rahmenplan <strong>für</strong> das Vorschuljahr auch ent-


wicklungsspezifisch auf <strong>die</strong> Jüngsten erfolgreich<br />

an. Es gibt gute Beispiele, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en fließenden<br />

Übergang von der Kita <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Grundschule sichern. Aber eben nicht überall.<br />

Und das werden wir verändern. Oder sage ich<br />

es mit den Worten von Laotse: „Nur wer se<strong>in</strong><br />

Ziel kennt, f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>en Weg.“<br />

Ich danke <strong>für</strong> Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Statement<br />

Anne Geister, Förderschule Anklam<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich nahm am Workshop 5 teil und stellte folgende<br />

Frage:<br />

Wir sprechen hier über frühe Hilfen <strong>in</strong> Kitas<br />

und Grundschulen – aber wie? Herr Professor<br />

Hartke hat wichtige Lernvoraussetzungen genannt.<br />

Genau <strong>die</strong>se werden <strong>in</strong> Vorklassen mit<br />

sehr gutem Erfolg seit vielen Jahren erworben.<br />

Das ist doch eigentlich e<strong>in</strong> Teil der Antwort.<br />

Besonders <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der ohne Kita-Besuch s<strong>in</strong>d<br />

sie äußerst wichtig. Vielleicht sollte man Eltern<br />

verpflichten können, ihre K<strong>in</strong>der vor der E<strong>in</strong>schulung<br />

entweder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Kita oder e<strong>in</strong>e Vorklasse<br />

zu schicken. Am Vormittag hörten wir<br />

vom Schulleiter aus Ribnitz-Damgarten auch<br />

von den sehr guten Erfahrungen mit Vorklassen.<br />

Deshalb me<strong>in</strong>e Frage: Warum wurden sie<br />

abgeschafft?<br />

Leider erhielt ich ke<strong>in</strong>e Antwort, Frau Hermes<br />

versprach aber mir später zu antworten. Trotzdem<br />

wollte ich Ihnen das unbed<strong>in</strong>gt mitteilen.<br />

Warum wird Positives gestrichen und Neues<br />

erfunden?<br />

Ich danke Ihnen.<br />

Mit freundlichem Gruß<br />

Anne Geister<br />

87


88<br />

Workshop 6: Das neue Schulgesetz:<br />

Mit schülerbezogener Mittelzuweisung<br />

zu mehr Gerechtigkeit?<br />

Moderation: Michael blanck,<br />

Verband bildung und Erziehung<br />

Landesverband Mecklenburg Vorpommern<br />

Volker Schlünz, Michael Blanck, Nils Kleemann (v.l.n.r.)<br />

Zusammenfassender Bericht:<br />

E<strong>in</strong> brisantes Thema, das <strong>in</strong> der Arbeitsgruppe<br />

kontrovers, aber fair diskutiert wurde.<br />

Herr Schlünz als Vertreter des Bildungsm<strong>in</strong>isteriums<br />

stellte heraus, dass mit der schülerbezogenen<br />

Stundenzuweisung mehr Gerechtigkeit<br />

geschaffen und Unterschiede zwischen<br />

den Schulen m<strong>in</strong>imiert werden sollen. Die<br />

Schule erhält e<strong>in</strong> Gesamtbudget und entscheidet<br />

selber, wie Schule organisiert wird. Mehr<br />

Bildungsgerechtigkeit wird durch <strong>die</strong> Ablösung<br />

der Stundentafel durch e<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>gentstundentafel<br />

und e<strong>in</strong>e frühere Stundenzuweisung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Schulen aufgrund des<br />

vorgezogenen Stichtages <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bedarfsfeststellung<br />

auf den 01.05. e<strong>in</strong>es Jahres erwartet.<br />

In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass<br />

das Schulgesetz hohe Ansprüche enthält, <strong>die</strong><br />

von den Schulen erfüllt werden sollen. Es wurde<br />

begrüßt, dass den Schulen mehr Eigenverantwortung<br />

übertragen und damit auch mehr<br />

Freiraum <strong>für</strong> <strong>die</strong> Klassenbildung und Unter-<br />

richtsgestaltung gegeben wird. Bemängelt<br />

wurde aber, dass aus Sicht der Pädagogen <strong>in</strong><br />

der Umsetzung mathematische Berechnungen<br />

gegen pädagogische Grundsätze stehen. So<br />

waren es gerade <strong>die</strong> Themen Gerechtigkeit<br />

und Planungssicherheit <strong>für</strong> Schulen, <strong>die</strong> angesprochen<br />

und h<strong>in</strong>terfragt wurden. Planungssicherheit<br />

wird aus Sicht der Schulen durch <strong>die</strong><br />

neue Stichtagsregelung nicht erreicht, da bis<br />

zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt weder <strong>die</strong> Schüleranmeldungen<br />

noch <strong>die</strong> Diagnostik abgeschlossen<br />

s<strong>in</strong>d. Sie be<strong>für</strong>chten, dass sie nicht e<strong>in</strong>mal<br />

mehr den Grundbedarf laut Stundentafel abdecken<br />

können und sehen daher <strong>die</strong> Unterrichtsversorgung<br />

<strong>für</strong> das Schuljahr 2009/2010<br />

eher gefährdet.<br />

Integration und Förderung lassen sich aus<br />

Sicht der Beteiligten nicht durch Haushaltsneutralität<br />

lösen. Besonders deutlich wird <strong>die</strong>s<br />

bei Betrachtung des Berechnungsfaktors <strong>für</strong><br />

Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

im geme<strong>in</strong>samen Unterricht. Er beträgt<br />

gerade mal 1,0 und steht damit deutlich im<br />

Widerspruch zu den Integrationsabsichten<br />

und bedeutet e<strong>in</strong>e Benachteiligung <strong>für</strong> <strong>die</strong>se<br />

Schüler.<br />

Hier müssen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen h<strong>in</strong>terfragt<br />

und im Gespräch mit dem Bildungsm<strong>in</strong>isterium<br />

geme<strong>in</strong>sam nach Lösungen gesucht werden.<br />

Auf Schulen und <strong>in</strong>sbesondere Schulleitungen<br />

kommen <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Entwicklungsprozess viele<br />

neue Aufgaben und Herausforderungen zu, <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> sie mehr Anerkennung erfahren sollten.<br />

Alle Beteiligten waren sich e<strong>in</strong>ig, dass Gerechtigkeit<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen und Strukturen<br />

braucht, <strong>die</strong> von der Politik geschaffen werden<br />

müssen, damit <strong>die</strong> Schulen <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d,<br />

ihren Bildungsauftrag zu erfüllen.<br />

Grundtenor: Verlierer im Bildungssystem darf<br />

es nicht geben!


Referat nils Kleemann, Montessori-Schule<br />

Greifswald<br />

Das neue Schulgesetz: Mit schülerbezogener<br />

Mittelzuweisung zu mehr Gerechtigkeit?<br />

Die Umstellung von e<strong>in</strong>er klassenbezogenen<br />

Stundenzuweisung zu e<strong>in</strong>er schülerbezogenen<br />

Zuweisung wird schon länger <strong>in</strong> Politik und<br />

Verwaltung diskutiert. In Bezug auf Planungssicherheit<br />

und Vere<strong>in</strong>barkeit kont<strong>in</strong>uierlicher<br />

Klassenbildung an den Schulen kann das Modell<br />

unter bestimmten Faktoren der Schritt <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> richtige Richtung se<strong>in</strong>. Das neue Schulgesetz,<br />

<strong>die</strong> UntVersVO 2009/2010 und <strong>die</strong><br />

KontStTVO M-V geben im Rahmen der<br />

selbstständigen Schule mehr Freiraum <strong>für</strong><br />

Klassenbildung und Unterrichtsgestaltung.<br />

Derzeit bed<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e Reihe von Problemen <strong>in</strong><br />

den allgeme<strong>in</strong> bildenden Schulbereichen und<br />

den Bereichen zur sonderpädagogischen Förderung<br />

zeitnahe Veränderungen <strong>in</strong> unserem<br />

Bundesland. Unter <strong>die</strong>sem Aspekt ist <strong>die</strong> Umsetzung<br />

der schülerbezogenen Zuweisung auf<br />

der Grundlage der Haushaltsneutralität zu<br />

h<strong>in</strong>terfragen:<br />

§ 1 Abs. 1 und 2; § 2 Abs. 1 und 2; § 3 und § 4<br />

Abs. 1 – 9 des neuen Schulgesetzes M-V fordern<br />

das Recht auf Bildung und klären den<br />

Auftrag der Schule. Um <strong>die</strong>sem gesetzlichen<br />

Anspruch Rechnung tragen zu können, müssen<br />

Schulen jedoch bessere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand gegeben werden.<br />

Im Schulgesetz wird <strong>die</strong> neue Form der Mittelzuweisung<br />

mit dem Begriff der „Gerechtigkeit“<br />

verbunden. Der Begriff „Gerechtigkeit“<br />

wird <strong>in</strong> den Lexika mit Blick auf religiöse, politische,<br />

gesellschaftliche oder familiäre Zusammenhänge<br />

unterschiedlich def<strong>in</strong>iert. In me<strong>in</strong>er<br />

Wahrnehmung gehe ich von e<strong>in</strong>em Zusam-<br />

menleben aus, welches den Interessen und<br />

Chancen der Beteiligten gerecht wird.<br />

Am Vormittag stand <strong>die</strong> Integration von K<strong>in</strong>dern<br />

mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

im Mittelpunkt des Vortrags von Herrn Professor<br />

Hartke. Die anschließende Diskussion<br />

zeigte Handlungsbedarf. Es wurde herausgestellt,<br />

dass andere Länder und Bundesländer<br />

mehr zieldifferenzierte Schüler <strong>in</strong>tegrieren.<br />

Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen auf der Grundlage<br />

des SchulG M-V vom 13. Februar 2009 und<br />

der UntVersVO 2009/2010 (staatliche Schulen)<br />

zeigen, dass Schüler mit e<strong>in</strong>em sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf zieldifferenziert<br />

e<strong>in</strong>en Faktor von 2.808 bis 4,025 erhalten,<br />

wenn sie e<strong>in</strong>e Förderschule besuchen.<br />

Nach me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>se Faktoren<br />

zu niedrig, so dass <strong>die</strong> Förderschulen den<br />

Zielen <strong>in</strong> den Paragrafen 1 bis 4 des neuen<br />

Schulgesetzes nicht gerecht werden können<br />

und <strong>die</strong> geforderte Gerechtigkeit nicht erfüllt<br />

wird. Das Bildungsm<strong>in</strong>isterium geht beispielsweise<br />

bei der Klassenbildung an e<strong>in</strong>er Förderschule<br />

von 12 bis 15 Förderschülern aus. Dies<br />

s<strong>in</strong>d jedoch zu viele Schüler, um noch e<strong>in</strong>en<br />

s<strong>in</strong>nvollen Unterricht durchführen zu können.<br />

In F<strong>in</strong>nland, der Schweiz und zukünftig auch<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen deutschen Bundesländern werden<br />

mit <strong>die</strong>ser Bandbreite E<strong>in</strong>gangsklassen <strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong><br />

bildenden Schulen gebildet.<br />

Die K<strong>in</strong>der mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

(zieldifferenziert) <strong>in</strong> M-V erhalten im<br />

Rahmen der Integration <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er GU-Klasse<br />

jedoch nur e<strong>in</strong>en Stunden-Faktor von 1.827.<br />

(Beispiel: zweizügige Grundschule/Klasse 1;<br />

Betrag/Sockel 10,50 geteilt durch zwei; 5,25<br />

geteilt durch 25 = 0,21; 0,21 plus Faktor <strong>für</strong><br />

Grundschüler = 0,806; 0,827 plus Richtwert<br />

<strong>für</strong> geme<strong>in</strong>samen Unterricht beh<strong>in</strong>derter und<br />

89


90<br />

nichtbeh<strong>in</strong>derter Schüler (GU-Klassen) von<br />

1,000 (siehe UntVersVO MV 2009/2010;<br />

Seite 8, 9 und 12).<br />

Folge:<br />

Schüler mit geistiger Beh<strong>in</strong>derung <strong>in</strong> Förderschule:<br />

4,025 Stunden/Faktor<br />

Schüler mit geistiger Beh<strong>in</strong>derung <strong>in</strong> GU-<br />

Klasse: 1,827 Stunden/Faktor<br />

Dieses Beispiel habe ich schon im Rahmen e<strong>in</strong>er<br />

Veranstaltung der Bildungs<strong>in</strong>itiative www.<br />

mv-bildung-ist-zukunft.de verwendet. Die<br />

Aussage bei der Diskussion zur heutigen Veranstaltung<br />

war: „Integration wird nicht als<br />

Sparmodell genutzt!“.<br />

Durch <strong>in</strong>tegrative Modelle werden <strong>in</strong> Zukunft<br />

<strong>in</strong> unserem Bundesland (Beispiele lassen sich<br />

fortsetzen) <strong>in</strong> <strong>alle</strong>n Förderschwerpunkten der<br />

UntVerVO 2009/2010 Seite 9 <strong>in</strong> Bezug auf<br />

<strong>die</strong> Beschulung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Förderschule E<strong>in</strong>sparungen<br />

ermöglicht. Ich betone noch e<strong>in</strong>mal,<br />

nach me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung reicht <strong>die</strong> Ausstattung<br />

der Förderschule nicht aus, um den vom<br />

Gesetzgeber gestellten Auftrag zu erfüllen.<br />

Gern möchte ich hier aber zunächst der Frage<br />

nachgehen, ob nicht <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen der allgeme<strong>in</strong><br />

bildenden Schulen so günstig s<strong>in</strong>d,<br />

dass K<strong>in</strong>der mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

mit dem Anspruch des SchulG M-<br />

V (§ 1 - 4) <strong>in</strong>tegriert werden können.<br />

Hier rechne ich nach der UntVerVO<br />

2009/2010 e<strong>in</strong>e „Gew<strong>in</strong>nerschule“, also e<strong>in</strong>e<br />

Schule, welche nach der Umstellung von e<strong>in</strong>er<br />

klassenbezogenen auf <strong>die</strong> schülerbezogene<br />

Stundenzuweisung mehr Stunden im Grundbedarf<br />

erhält (Beispiel: zweizügige Schule mit<br />

durchschnittlich 25 Schülern).<br />

Der Freiraum <strong>die</strong>ser selbstständigen staatlichen<br />

Schule bedeutet:<br />

In Klasse 1 und 2 wären auf der Grundlage der<br />

UntVersVO 2009/2010 und der KontStT-<br />

VO M-V drei Teilungsstunden möglich. In<br />

Klassenstufe 3 und 4 s<strong>in</strong>d es 3,4 Teilungsstunden.<br />

Sollte beispielsweise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dritten Klasse e<strong>in</strong><br />

Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

<strong>in</strong>tegriert se<strong>in</strong>, s<strong>in</strong>d folgende Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

denkbar:<br />

• drei Stunden beg<strong>in</strong>nender Fremdsprachenunterricht<br />

werden <strong>in</strong> Teilungsstunden genutzt<br />

(Ist <strong>für</strong> den erfolgreichen E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> erste Fremdsprache aus me<strong>in</strong>er Sicht unbed<strong>in</strong>gt<br />

erforderlich),<br />

• 23 Wochenstunden werden im Klassenverband<br />

mit 25 Schülern und e<strong>in</strong>em Lehrer<br />

unterrichtet. Dem K<strong>in</strong>d mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf steht <strong>in</strong> der gesamten<br />

Woche e<strong>in</strong>e Stunde E<strong>in</strong>zelförderung zur<br />

Verfügung.<br />

• Weitere positiv wirkende Faktoren wären<br />

zum Beispiel <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland:<br />

Inklusion – Die Schülerkostensätze je Schüler<br />

an allgeme<strong>in</strong> bildenden Schulen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

F<strong>in</strong>nland etwas höher als 8.000,- € pro Jahr<br />

je Schüler und auch moderatere Lehrerarbeitszeit<br />

(Anwesenheitszeit der Lehrer und<br />

der Umfang von Unterrichtsstunden s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

F<strong>in</strong>nland sehr viel ger<strong>in</strong>ger. Zum Beispiel<br />

haben Grundschullehrer 20 Unterrichtsstunden<br />

oder Sekundarstufenlehrer nur 14<br />

Unterrichtswochenstunden plus weiterer<br />

Lehrerarbeitszeit mit anderen Aufgabenstellungen,<br />

wie z.B. Elterngespräche, Teamsitzungen<br />

usw.). In den Schülerkostensatz von<br />

8.000,- € je Schüler ist <strong>die</strong> Institution der<br />

Schüler<strong>für</strong>sorge, <strong>die</strong> <strong>die</strong> E<strong>in</strong>zelschule unterstützt<br />

(Schulpsychologe, K<strong>in</strong>derkrankenschwester,<br />

Sonderschulpädagogen und Assistenten<br />

an der Schule) nicht e<strong>in</strong>gerechnet.


Im Vergleich zu F<strong>in</strong>nland muss e<strong>in</strong> Schulpsychologe<br />

im Schulamtsbereich Greifswald das<br />

Neunfache an Schülern betreuen.<br />

Nach me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung ist <strong>die</strong>se Form der<br />

Integration unverantwortlich und steht nicht<br />

im E<strong>in</strong>klang mit dem Anspruch der Verordnung<br />

des Bildungsm<strong>in</strong>isteriums vom Mai<br />

2000, welche <strong>die</strong> sächlichen, personellen und<br />

f<strong>in</strong>anziellen Voraussetzungen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>tegrativen<br />

Unterricht e<strong>in</strong>fordert.<br />

Die Montessori-Schule Greifswald <strong>in</strong>tegriert<br />

seit Schulgründung (1994) K<strong>in</strong>der mit geistiger<br />

Beh<strong>in</strong>derung. Diese Form der Integration<br />

von zieldifferenzierten K<strong>in</strong>dern ist <strong>in</strong> Gefahr.<br />

Zum Ende me<strong>in</strong>es Vortrages möchte ich noch<br />

auf e<strong>in</strong>e Forderung der UNESCO – Weltkonferenz<br />

zum Thema „Pädagogik <strong>für</strong> besondere<br />

Bedürfnisse: Zugang und Qualität“ e<strong>in</strong>gehen<br />

(1994).<br />

Ich zitiere aus der Übersetzung der österreichischen<br />

UNESCO – Kommission:<br />

„ … geht davon aus, dass menschliche Unterschiede<br />

normal s<strong>in</strong>d, dass das Lernen daher an<br />

das K<strong>in</strong>d angepasst werden muss und sich<br />

nicht umgekehrt das K<strong>in</strong>d nach vorbestimmten<br />

Annahmen über das Tempo und <strong>die</strong> Art<br />

des Lernprozesses richten soll.“<br />

Neben den Rahmenbed<strong>in</strong>gungen s<strong>in</strong>d bezüglich<br />

der Forderung der UNESCO auch unsere<br />

Schulkultur, <strong>die</strong> Strukturen der Schulen und<br />

<strong>die</strong> Verwaltungsabläufe zu überdenken.<br />

Die Idee der Ganztagsschule kann auf <strong>die</strong>sem<br />

Weg mehr Bildungsgerechtigkeit bewirken<br />

(siehe auch www.ganztaegig-lernen.de). In der<br />

Folge wird <strong>die</strong> Integration (unterscheidet zwischen<br />

K<strong>in</strong>dern mit und ohne Beh<strong>in</strong>derung –<br />

bedeutet: <strong>die</strong> E<strong>in</strong>gliederung der `ausgesonderten´<br />

K<strong>in</strong>der mit Beh<strong>in</strong>derung wird<br />

angestrebt!) von der Inklusion (geht von den<br />

<strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen e<strong>in</strong>es jeden K<strong>in</strong>des<br />

aus und tritt e<strong>in</strong> <strong>für</strong> das Recht <strong>alle</strong>r Schüler<br />

und Schüler<strong>in</strong>nen, unabhängig von ihren Fähigkeiten<br />

oder Bee<strong>in</strong>trächtigungen sowie von<br />

ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen<br />

Herkunft) abgegrenzt. Derzeit geben <strong>die</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

ke<strong>in</strong>e Grundlage <strong>für</strong> <strong>die</strong> Inklusion.<br />

In § 1 bis 4 fordert das neue SchulG<br />

M-V <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs Inklusion. Es ist deshalb <strong>die</strong><br />

noch zu erfüllende Aufgabe der Landesregierung,<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen und Schulstrukturen<br />

zu schaffen, welche <strong>die</strong> Schulen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Lage<br />

versetzen, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Aus- und Fortbildung der<br />

Lehrerschaft ist jedoch auch unabd<strong>in</strong>gbar und<br />

e<strong>in</strong>e weitere noch zu erfüllende Voraussetzung.<br />

Anke Spitzbarth, Evangelische Integrative<br />

Montessori-Schule Schwer<strong>in</strong><br />

Das bisherige Bandbreitenmodell wird zukünftig<br />

durch e<strong>in</strong>e schülerbezogene Stundenzuweisung<br />

abgelöst. Das kl<strong>in</strong>gt erst e<strong>in</strong>mal<br />

hoffnungsvoll und lässt <strong>die</strong> Schlussfolgerung<br />

zu, dass jeder Schüler <strong>die</strong>ses Landes entsprechend<br />

se<strong>in</strong>es Bedarfes versorgt werden kann,<br />

er quasi se<strong>in</strong>e Stunden laut Unterrichtsversorgung<br />

zuzüglich der Stunden <strong>für</strong> besonderen<br />

Förderbedarf <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schultasche <strong>in</strong> <strong>die</strong> gewählte<br />

Schule mitbr<strong>in</strong>gt.<br />

In der Praxis gestaltet sich <strong>die</strong>ses jedoch anders.<br />

Angenommen, e<strong>in</strong> Schüler hat e<strong>in</strong>en festgestellten<br />

Förderbedarf im Bereich geistige<br />

Entwicklung. Besucht <strong>die</strong>ser Schüler e<strong>in</strong>e<br />

Schule zur <strong>in</strong>dividuellen Lebensbewältigung,<br />

beträgt der Faktor zur Berechnung zusätzlicher<br />

Fördermaßnahmen 4,025, entscheiden<br />

sich <strong>die</strong> Eltern <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrative Beschulung,<br />

beträgt der Faktor <strong>für</strong> den gleichen Schüler<br />

nur noch 1,00. Damit ist <strong>die</strong> geme<strong>in</strong>same Be-<br />

91


92<br />

schulung von K<strong>in</strong>dern mit unterschiedlichen<br />

Lernvoraussetzungen und somit e<strong>in</strong>e Chancengleichheit<br />

bereits vom Ansatz her verstellt.<br />

Die Auskunft von Herrn Schlünz vom Bildungsm<strong>in</strong>isterium,<br />

<strong>in</strong> bestimmten Fällen würde<br />

das Staatliche Schulamt <strong>in</strong> Absprache mit<br />

der jeweiligen Schulleitung e<strong>in</strong>er öffentlichen<br />

Schule e<strong>in</strong>e Zusatzf<strong>in</strong>anzierung vornehmen,<br />

beantwortet nicht <strong>die</strong> Grundfrage nach der<br />

Chancengleichheit und auch nicht <strong>die</strong> Frage,<br />

welche Förderung dem oben beschriebenen<br />

K<strong>in</strong>d zusteht, wenn es ke<strong>in</strong>e öffentliche, sondern<br />

e<strong>in</strong>e Privatschule besucht.<br />

Die Evangelische Integrative Montessori-<br />

Schule Schwer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Trägerschaft des Diakoniewerkes<br />

Neues Ufer gGmbH nimmt seit<br />

ihrer Gründung im Jahr 1997 Schüler mit unterschiedlichsten<br />

Lernvoraussetzungen auf.<br />

Wir können im Bereich der Integration also<br />

auf e<strong>in</strong>e mehr als zehnjährige und sehr positive<br />

Erfahrung zurückblicken. E<strong>in</strong>e Aufgabe unserer<br />

Schule sehen wir dar<strong>in</strong>, <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der zum<br />

Zusammenleben mit anderen Menschen und<br />

zur Mitgestaltung von geme<strong>in</strong>samen Aufgaben<br />

und Angelegenheiten zu befähigen.<br />

Wichtig ist uns auch, dass K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> sich <strong>in</strong><br />

ihrer Entwicklung sehr unterscheiden, Gelegenheit<br />

zum geme<strong>in</strong>samen Tun haben, Freunde<br />

f<strong>in</strong>den, lernen sich durchzusetzen, anzupassen<br />

und Konflikte sozialverträglich auszutragen.<br />

Die Idee, dass <strong>alle</strong> K<strong>in</strong>der zur gleichen Zeit<br />

das gleiche Ziel erreichen, wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrativen<br />

Schule ersetzt durch das geme<strong>in</strong>same<br />

Lernen zur gleichen Zeit mit unterschiedlichen<br />

Lernzielen. Das kommt dem K<strong>in</strong>d mit<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>in</strong> der geistigen Entwicklung<br />

genauso zugute wie dem K<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>er<br />

Hochbegabung und entspricht dem Zusammenleben<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er pluralen Gesellschaft.<br />

Unsere Leitidee der geme<strong>in</strong>samen schulischen<br />

Förderung von K<strong>in</strong>dern mit und ohne Bee<strong>in</strong>trächtigung<br />

besteht dar<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit<br />

Lernbee<strong>in</strong>trächtigungen nicht mehr dah<strong>in</strong><br />

transportiert wird, wo <strong>die</strong> entsprechenden<br />

Ressourcen üblicherweise gesammelt werden,<br />

sondern <strong>die</strong> erforderlichen Ressourcen da bereitgestellt<br />

oder dorth<strong>in</strong> verlagert werden, wo<br />

sie gebraucht werden, um e<strong>in</strong>e Aussonderung<br />

<strong>in</strong> Speziale<strong>in</strong>richtungen unnötig zu machen.<br />

Entgegen weit verbreiteter Me<strong>in</strong>ung muss,<br />

wenn <strong>alle</strong> Kostenaspekte berücksichtigt werden,<br />

<strong>die</strong> geme<strong>in</strong>same Beschulung auch nicht<br />

teurer se<strong>in</strong> als <strong>die</strong> Sonderbeschulung, wie<br />

Preuss-Lausitz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vergleichenden Analyse<br />

1 <strong>in</strong> den Bundesländern Berl<strong>in</strong>, Brandenburg<br />

und Schleswig-Holste<strong>in</strong> im Auftrag der Max-<br />

Traeger-Stiftung festgestellt und belegt hat.<br />

1 Preuss-Lausitz: Kosten bei <strong>in</strong>tegrierter und separater<br />

sonderpädagogischer Unterrichtung, Frankfurt a.M.<br />

2000


Workshop 7: Förderschulen abschaffen?“<br />

Zu den Vorschlägen der Expertenkommission<br />

beim bildungsm<strong>in</strong>ister<br />

Moderation: Ra<strong>in</strong>er Sommerfeld, vds MV<br />

Dr. Thomas Stöppler, Ra<strong>in</strong>er Sommerfeld, Enno Bornfleth,<br />

Peters Friedsam (v.l.n.r.)<br />

Zusammenfassender Bericht:<br />

1. Referent: Dr. Thomas Stöppler, vds Baden-<br />

Württemberg<br />

2. Referent: Enno Bornfleth, vds Hamburg<br />

3. Referent: Peter Friedsam, vds Berl<strong>in</strong><br />

Themen der Diskussion waren<br />

• Beantwortung der Fragestellung<br />

• Kompetenzzentren<br />

• Voraussetzungen <strong>für</strong> e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegratives Bildungssystem<br />

• <strong>die</strong> vorschulische Bildung und Erziehung<br />

• <strong>die</strong> Lehrerbildung und Praxisnähe<br />

• Professionalisierung<br />

Resümee des Workshops<br />

• Die Frage des Workshops „Förderschule abschaffen?“<br />

muss erst e<strong>in</strong>mal mit e<strong>in</strong>em ausdrücklichen<br />

„Ne<strong>in</strong>“ beantwortet werden.<br />

dazu Dr. Thomas Stöppler:<br />

Die UN-Konvention ist nicht korrekt <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

deutsche Sprache übersetzt worden (verweist<br />

auf se<strong>in</strong>en Beitrag), dadurch entstehen falsche<br />

Auslegungen. Wir müssen ke<strong>in</strong>e neue Debatte<br />

führen, sondern e<strong>in</strong>e Qualitätsdebatte und <strong>die</strong><br />

betrifft vor <strong>alle</strong>m <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong> bildende Schule.<br />

• Grundsätzlich ist e<strong>in</strong>e Diskussion h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Unterschiede zwischen den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Förderschwerpunkten unprofessionell<br />

und verbietet sich schon aus ethischen<br />

Gründen – ist z.B. e<strong>in</strong> lernbee<strong>in</strong>trächtigtes<br />

K<strong>in</strong>d weniger problematisiert als e<strong>in</strong> körperbeh<strong>in</strong>dertes<br />

K<strong>in</strong>d?!<br />

• Förderschulen abschaffen, bedeutet e<strong>in</strong>e<br />

Überforderung der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule, <strong>die</strong> Grund- und Regionalschule<br />

würden e<strong>in</strong>e Auflösung der Förderschulen<br />

„Lernen“, „Emotionale und soziale Entwicklung“<br />

sowie „Sprache“ nicht verkraften.<br />

• Es ist e<strong>in</strong> Paradigmenwechsel <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong><br />

bildenden Schule notwendig, das bisherige<br />

gegliederte Schulsystem muss verworfen<br />

werden, und e<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives Schulsystem mit<br />

alternativen Förderangeboten muss aufgebaut<br />

werden (mit K<strong>in</strong>dern vom gymnasialen Bereich<br />

bis zum Förderbereich).<br />

dazu Monika Morawetz, Freie Schule Rügen:<br />

Sonderpädagogen, <strong>die</strong> Grundschulen leiten,<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Gew<strong>in</strong>n <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schule und ihre Schüler.<br />

• Wir brauchen beide Entwicklungen:<br />

(1) Sonderpädagogisches Knowhow <strong>in</strong> Förderschulen,<br />

Neuorganisation der Förderschulen<br />

muss von Anfang an <strong>in</strong> den Prozess der<br />

<strong>in</strong>klusiven Entwicklung e<strong>in</strong>bezogen werden.<br />

dazu Prof. Franz Prüß, Universität Greifswald,<br />

Lehrstuhl <strong>für</strong> Schulpädagogik und schulbezogene<br />

bereiche der Sozialpädagogik:<br />

Wir brauchen Professionalität <strong>für</strong> <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der<br />

mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Verkannt<br />

wird auch <strong>die</strong> zweite Aufgabe e<strong>in</strong>es Sonderpädagogen<br />

- er muss zur sozialpädagogischen<br />

Arbeit befähigt se<strong>in</strong>. Viele Lehrer <strong>in</strong><br />

der allgeme<strong>in</strong> bildenden Schule s<strong>in</strong>d Experten<br />

ihrer Fächer, scheitern aber an der Pädagogik.<br />

E<strong>in</strong>stellungen an Förderschulen müssen<br />

9


9<br />

grundsätzlich an das Lehramt <strong>für</strong> Sonderpädagogik<br />

gebunden se<strong>in</strong>.<br />

(2) Qualitativ hoch ausgebildetes Personal an<br />

Regelschulen, <strong>die</strong> <strong>in</strong>dividualisierende Formen<br />

des Unterrichts <strong>in</strong> den Vordergrund stellen.<br />

• Bestehende Förderzentren müssen sich zu<br />

Kompetenzzentren mit flexiblen Unterstützungssystemen<br />

entwickeln, <strong>die</strong><br />

• <strong>in</strong> dicht besiedelten Regionen Fachkompetenz<br />

<strong>in</strong> <strong>alle</strong>n Förderschwerpunkten „unter<br />

e<strong>in</strong>em Dach“ anbieten können und kooperativ<br />

angelegt s<strong>in</strong>d,<br />

• <strong>in</strong> ländlichen Gegenden verschiedene Förderschwerpunkte<br />

anbieten und sich mit benachbarten<br />

Regionen ergänzen.<br />

E<strong>in</strong>e wesentliche Voraussetzung ist <strong>die</strong> Ausbildung<br />

(auch Nachqualifizierung von Lehrkräften<br />

über den zweiten Berufsweg) und E<strong>in</strong>stellung<br />

von ausreichenden Fachkräften mit<br />

dem Lehramt Sonderpädagogik sowie <strong>die</strong> E<strong>in</strong>beziehung<br />

sonderpädagogischen Grundwissens<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Lehrerausbildung. Die Qualität des<br />

Sonderschulstudiums muss erhalten bleiben.<br />

Das Masterstudium muss mit vier Semestern<br />

bestehen bleiben.<br />

Auf KMK-Ebene muss e<strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzieller Ausgleich<br />

zwischen den Ländern geschaffen werden,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Sonderpädagogik <strong>in</strong> entsprechenden<br />

Fachrichtungen anbieten und denen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong>se abgeschafft haben, aber <strong>die</strong>sen Ländern<br />

„fertige Lehrer“ abziehen.<br />

InKLUSIOnSDEbATTE: Diskussion zur Un-<br />

Konvention Art. 2 bezogen auf Organisationsformen<br />

sonderpädagogischer Förderung<br />

und der professionellen Entwicklung und<br />

Ausgestaltung sonderpädagogischer<br />

bildungsangebote<br />

Referat Dr. Thomas Stöppler, vds baden-<br />

Württemberg<br />

Sonderpädagogische Kompetenzzentren<br />

s<strong>in</strong>d Zentren <strong>für</strong> sonderpädagogische<br />

bildungsangebote und sonderpädagogische<br />

beratung!<br />

Zum Begriff ‚Integration‘:<br />

• E<strong>in</strong>e vorherrschende Norm bzw. Situation<br />

wird akzeptiert.<br />

• Der Mensch mit Beh<strong>in</strong>derung wird unterstützt,<br />

um <strong>die</strong>se Norm/<strong>die</strong>se Situation erfolgreich<br />

erfüllen bzw. bewältigen zu können.<br />

• Integration setzt e<strong>in</strong>e Polarisierung von ‚beh<strong>in</strong>dert‘<br />

und ‚nichtbeh<strong>in</strong>dert‘ voraus.<br />

Zum Begriff ‚Inklusion‘:<br />

• Der Rahmen des Systems wird so umfassend<br />

gestaltet, dass jeder Mensch mit e<strong>in</strong>geschlossen<br />

wird.<br />

• Das System stellt <strong>für</strong> besondere Menschen<br />

besondere Bildungsangebote bereit (Erfüllung<br />

e<strong>in</strong>es besonderen Bildungsanspruches).<br />

Bei der Erfüllung des Rechts auf e<strong>in</strong>en ‚Besonderen<br />

Bildungsanspruch‘ ist e<strong>in</strong>e Vielfalt der<br />

Schullandschaft notwendig, <strong>die</strong> ‚nicht diskrim<strong>in</strong>ierend,<br />

sondern <strong>in</strong>klusiv wirksam wird‘<br />

(H<strong>in</strong>z), d.h. e<strong>in</strong>e Schullandschaft der offenen<br />

Türen, <strong>die</strong> über geme<strong>in</strong>same und gegenseitig<br />

befruchtende Bildungsangebote verfügt (auch<br />

<strong>in</strong> außerunterrichtlichen Bereichen).<br />

Inklusion ist im E<strong>in</strong>zelfall ohne Exklusivangebote<br />

nicht erreichbar!<br />

Zur UN-Konvention Artikel 24<br />

Die UN-Konvention fordert den ungeh<strong>in</strong>derten<br />

Zugang von Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen<br />

zu <strong>alle</strong>n Lebensbereichen und damit auch zur<br />

BILDUNG (98% der Menschen mit Beh<strong>in</strong>-


derungen haben weltweit ke<strong>in</strong>en Zugang zur<br />

Bildung). Der Zugang zur BILDUNG darf<br />

nicht wegen der Beh<strong>in</strong>derung verwehrt werden.<br />

Der jeweils spezifische Unterstützungsbedarf<br />

ist zu berücksichtigen!<br />

In der deutschen Arbeitsübersetzung werden<br />

fälschlicherweise Aussagen zur Schulorganisation<br />

gemacht – nicht aber <strong>in</strong> der verb<strong>in</strong>dlichen<br />

englischen Orig<strong>in</strong>alversion:<br />

• Bsp.: ‚primary education ‘ wird mit ‚Grundschule‘<br />

übersetzt<br />

• oder ‚<strong>in</strong>clusive education system‘ wird mit<br />

‚<strong>in</strong>tegrativen Bildungssystem‘ übersetzt.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Der Anspruch von Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen<br />

auf e<strong>in</strong>en lebenslangen Zugang zum<br />

Bildungswesen wird festgeschrieben. Die UN-<br />

Konvention selbst schreibt ke<strong>in</strong> konkretes<br />

Schulsystem – geschweige denn e<strong>in</strong>e besondere<br />

Schulorganisation – vor. In Absatz 3 des<br />

Artikels 24 werden sogar spezielle Bildungsmaßnahmen<br />

<strong>für</strong> Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen<br />

gefordert. Die Vertragsstaaten haben Gestaltungsfreiheit<br />

bei der Umsetzung der Vorgaben<br />

von Artikel 24 der UN-Konvention. Der Bereich<br />

‚Bildung‘ und dessen Organisation unterliegen<br />

ausschließlich der Zuständigkeit der<br />

Länder. Die Entscheidung, wie <strong>die</strong> Vorgaben<br />

des Artikels 24 zu erfüllen s<strong>in</strong>d, obliegt dem<br />

Landesgesetzgeber.<br />

Positionen des Verbandes Sonderpädagogik<br />

e.V., Landesverband Baden-Württemberg<br />

„Der vds begrüßt une<strong>in</strong>geschränkt <strong>die</strong> verabschiedete<br />

UN-Konvention Artikel 24 im englischen<br />

Orig<strong>in</strong>altext. Wir fordern e<strong>in</strong> Höchstmaß<br />

an Aktivität und Teilhabe <strong>für</strong> <strong>alle</strong><br />

Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen im gesellschaftlichen<br />

Leben. Im Mittelpunkt steht der e<strong>in</strong>zelne<br />

Mensch mit se<strong>in</strong>em sonderpädagogischen<br />

Unterstützungsbedarf. Dieser Unterstützungs-<br />

bedarf ist im Bereich Bildung durch e<strong>in</strong>en ER-<br />

WEITERTEN INDIVIDUELLEN BIL-<br />

DUNGS- und BERATUNGSANSPRUCH<br />

gekennzeichnet. Dieser erweiterte Bildungsanspruch<br />

wird abhängig von der Ausgestaltung<br />

der <strong>in</strong>dividuellen Lern- und Entwicklungsbegleitung<br />

an unterschiedlichen Orten realisiert<br />

(Anspruch auf e<strong>in</strong> sonderpädagogisches Bildungsangebot).<br />

Die Realisierung des Anspruchs<br />

auf e<strong>in</strong> sonderpädagogisches Bildungsangebot<br />

endet nicht mit dem Ende der<br />

Schulzeit (‚Lebenslanges Lernen‘) und schließt<br />

auch e<strong>in</strong>deutig Menschen mit schweren Mehrfachbeh<strong>in</strong>derungen<br />

mit e<strong>in</strong>. Vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

der <strong>in</strong>dividuellen Entwicklungspotenziale<br />

e<strong>in</strong>es jeden Menschen muss e<strong>in</strong><br />

Bildungssystem konsequent durchlässig angelegt<br />

se<strong>in</strong>. Übergänge müssen professionell und<br />

kooperativ gestaltet werden. Jeder Staat muss<br />

sonderpädagogische Bildungs-, Beratungs-<br />

und Unterstützungsangebote vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

beh<strong>in</strong>derungsspezifischer Erfordernisse<br />

anbieten und vorhalten.<br />

Zur Realisierung der sonderpädagogischen<br />

Bildungsangebote besteht <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

der E<strong>in</strong>richtung von speziell ausgestalteten<br />

Schulplätzen bzw. Förder- und Bildungsorten.<br />

Bei der E<strong>in</strong>richtung von besonderen Angeboten<br />

ist auf das Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip zu achten.<br />

Sonderpädagogisch fachlich hoch qualifiziertes<br />

Personal muss zur Gestaltung und Realisierung<br />

der <strong>in</strong>dividuellen Lern- und Entwicklungsbegleitung<br />

<strong>in</strong> ausreichendem Maße zur<br />

Verfügung gestellt werden.<br />

Für <strong>alle</strong> sonderpädagogischen Fachrichtungen<br />

müssen ‚Sonderpädagogische Kompetenzzentren‘<br />

vorgehalten werden, <strong>die</strong> auch über<br />

Aufnahmeplätze bzgl. Bildungs- und Förderangebote<br />

verfügen. Hier<strong>für</strong> s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Standorte<br />

der Sonderschulen hervorragend geeignet. Diese<br />

Zentren halten auch Beratungsangebote zu<br />

<strong>alle</strong>n Fragen der sonderpädagogischen Unterstützung<br />

von Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen <strong>in</strong><br />

95


96<br />

der Region vor. Die Eltern bzw. <strong>die</strong> Erziehungsberechtigten<br />

s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> wesentlichsten<br />

Partner im Bereich e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen Bildungswegeplanung.<br />

Sie entscheiden über den<br />

Ort, an dem der <strong>in</strong>dividuelle Bildungsanspruch<br />

e<strong>in</strong>gelöst wird, wesentlich mit.“<br />

In welchen Regionen gibt es sonderpädagogische<br />

Kompetenzzentren? Welche sonderpädagogischen<br />

Bildungsangebote können dort <strong>in</strong> Anspruch<br />

genommen werden? Wie ist das Beratungs-<br />

und Unterstützungsnetzwerk aufgebaut<br />

und mit welchem Konzept arbeitet <strong>die</strong>ses?<br />

H<strong>in</strong>weise: Für e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>der und Jugendliche<br />

gibt es e<strong>in</strong>en ausgewiesenen Bedarf und<br />

<strong>die</strong> Notwendigkeit zur Aufnahme (kurz oder<br />

längerfristig) <strong>in</strong>s Zentrum. Das Zentrum entwickelt<br />

und gestaltet unterschiedliche dezentrale<br />

Lösungen <strong>in</strong> den Regionen. Das Zentrum<br />

unterhält e<strong>in</strong>en professionell arbeitenden sonderpädagogischen<br />

Dienst <strong>für</strong> <strong>die</strong> Begleitung<br />

von Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen im Bereich<br />

Bildung und <strong>in</strong> weiteren Handlungsfeldern.<br />

Fragestellungen zur Qualitätssicherung<br />

Wie und durch welche Organisationen/Institutionen<br />

wird der lebenslange Anspruch <strong>für</strong> Menschen<br />

mit Beh<strong>in</strong>derungen auf sonderpädagogische<br />

Bildungsangebote und sonderpädagogische Unterstützung<br />

realisiert? Wie sieht das Konzept der<br />

Realisierung sonderpädagogischer Bildungs- und<br />

Unterstützungsangebote aus?<br />

H<strong>in</strong>weis: Zur Realisierung <strong>die</strong>ses Anspruchs<br />

gehört / gehören:<br />

a) e<strong>in</strong>e hoch qualitativ arbeitende sonderpädagogische<br />

Frühförderung und Frühberatung<br />

b) umfassende sonderpädagogische Bildungs-<br />

und Unterstützungsangebote<br />

c) e<strong>in</strong>e passgenaue <strong>in</strong>dividuelle berufliche<br />

E<strong>in</strong>gliederung.<br />

Über welche sonderpädagogischen Qualifikationen<br />

verfügt das Personal, und wie wird der Aus-<br />

und Weiterbildungsbedarf gesichert?<br />

H<strong>in</strong>weise: Sonderschullehrer<strong>in</strong>nen und Sonderschullehrer<br />

müssen wissenschaftlich qualifiziert<br />

werden – auch <strong>in</strong> Bereichen e<strong>in</strong>er fun<strong>die</strong>rten<br />

Diagnostik. Weiteres<br />

sonderpädagogisch ausgebildetes Personal<br />

(z.B. Therapeuten, Erzieher) muss zur Verfügung<br />

gestellt werden.<br />

Wie s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> diagnostischen Prozesse angelegt,<br />

und wie wird e<strong>in</strong>e fortlaufende kooperative Prozessdiagnostik<br />

qualitativ gesichert und weiterentwickelt?<br />

H<strong>in</strong>weis: Umfassende Erhebung der Lernausgangslage<br />

unter E<strong>in</strong>bezug systemischer Kontexte<br />

ist Ausgangspunkt jeder Förder- und<br />

Bildungsplanung. Hierbei ist auf e<strong>in</strong>e konsequent<br />

angelegte kooperative Prozessdiagnostik<br />

zu achten!<br />

Wie erfolgt der systematische und regelmäßige<br />

E<strong>in</strong>bezug <strong>alle</strong>r Beteiligten bei sämtlichen Entscheidungen<br />

(auch des Betroffenen!)? Wie wird<br />

das Entscheidungsrecht der Eltern (Erziehungsberechtigten)<br />

bei K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen mit<br />

Beh<strong>in</strong>derungen verantwortlich gesichert?<br />

H<strong>in</strong>weis: Eltern (Erziehungsberechtigte) und<br />

Betroffene s<strong>in</strong>d Experten <strong>in</strong> eigener Sache und<br />

haben das Recht, an <strong>alle</strong>n wesentlichen Entscheidungen<br />

mitzuwirken und <strong>die</strong>se <strong>in</strong> der Regel<br />

auch selbst zu treffen.<br />

Wie wird <strong>die</strong> <strong>in</strong>dividuelle Lern- und Entwicklungsbegleitung<br />

(ILEB) des e<strong>in</strong>zelnen Menschen<br />

mit Beh<strong>in</strong>derung qualitativ gesichert und konsequent<br />

realisiert? Wie wird <strong>die</strong> kont<strong>in</strong>uierliche<br />

sonderpädagogische Unterstützungs- und Bildungsplanung<br />

durchgeführt?<br />

H<strong>in</strong>weis: Die systematisch angelegte Lern-<br />

und Entwicklungsbegleitung ist wesentliches<br />

sonderpädagogisches Arbeits- und Steue-


ungs<strong>in</strong>strument. ILEB ist durch folgende<br />

Qualitätskriterien gekennzeichnet:<br />

• Prozessorientierte Diagnostik<br />

• Kooperative Förderplanung<br />

• Umsetzung <strong>in</strong>dividueller Bildungsangebote<br />

• klares Konzept zur Leistungsbeschreibung<br />

• enge Kooperation <strong>alle</strong>r Beteiligten<br />

• Dokumentation.<br />

Der europaweit größte sonderpädagogische<br />

Fachverband im Bereich Bildung von K<strong>in</strong>dern<br />

und Jugendlichen mit Beh<strong>in</strong>derungen fordert:<br />

SONDERPÄDAGOGISCHE KOMPE-<br />

TENZZENTREN FÜR ALLE SONDER-<br />

PÄDAGOGISCHEN FACHRICHTUNG-<br />

EN SIND UNVERZICHTBARER<br />

BESTANDTEIL EINES INKLUSIVEN<br />

BILDUNGSSYSTEMS! E<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives Bildungssystem<br />

benötigt höchste sonderpädagogische<br />

Professionalität bei der Unterstützung<br />

von Menschen mit Beh<strong>in</strong>derungen auf dem<br />

Weg zur Teilhabe und Aktivität <strong>in</strong> unserer Gesellschaft!<br />

Referat Peter Friedsam, Schulleiter<br />

Förderschule Hamburg:<br />

Von der Förderschule woh<strong>in</strong>?<br />

Seit den frühen siebziger Jahren haben wir <strong>in</strong><br />

der Bundesrepublik Erfahrung mit der schulischen<br />

Integration von Schüler<strong>in</strong>nen und<br />

Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf.<br />

E<strong>in</strong>es der ersten wissenschaftlich begleiteten<br />

Modelle war das „Fläm<strong>in</strong>g-Modell“ <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-<br />

Schöneberg, das zeigte und heute noch zeigt,<br />

dass Integration möglich und s<strong>in</strong>nvoll ist,<br />

wenn, und auf das „Wenn“ kommt es an, <strong>die</strong><br />

Bed<strong>in</strong>gungen hier<strong>für</strong> h<strong>in</strong>reichend s<strong>in</strong>d.<br />

So ausgestattet, wie <strong>die</strong>se Schule war und ist,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> vielen <strong>in</strong>tegrativ arbeitenden Schulen<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> heute nicht mehr.<br />

Nachdem der Nachweis des Gel<strong>in</strong>gens von Integration<br />

heute ernsthaft nicht mehr <strong>in</strong> Frage<br />

gestellt wird, haben e<strong>in</strong>e Fülle von Informationen<br />

aus lokalen (Bundesländer), nationalen<br />

und <strong>in</strong>ternationalen (vergleichenden) Bildungsstu<strong>die</strong>n<br />

neue Argumente <strong>für</strong> den Ausbau<br />

<strong>in</strong>tegrierender Schulsysteme geliefert.<br />

Dieser Workshop soll <strong>die</strong> Frage stellen bzw.<br />

beantworten, ob <strong>die</strong> Förderschulen abzuschaffen<br />

s<strong>in</strong>d. Diese Frage kann nach me<strong>in</strong>er Auffassung<br />

nur s<strong>in</strong>nvoll beantwortet werden, wenn<br />

<strong>die</strong> Alternative zum jetzigen Schulsystem, <strong>die</strong><br />

e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle, <strong>in</strong>dividualisierende und sonderpädagogische<br />

fördernde Alternative nur se<strong>in</strong><br />

kann, erkennbar ist. Dieses bedeutet, dass das<br />

bisherige gegliederte Schulsystem verworfen<br />

und an se<strong>in</strong>e Stelle e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegrierendes bzw. e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>klusives Schulsystem treten müsste.<br />

E<strong>in</strong>e Gesellschaft, <strong>die</strong> immer heterogener wird,<br />

deren Mitglieder vielfältige Lebensentwürfe<br />

haben, <strong>die</strong> durch immer größere Vielfalt im<br />

Zeitalter sich vollziehender Globalisierung gekennzeichnet<br />

ist, muss im System Schule dem<br />

Umgang mit Vielfalt und Differenz e<strong>in</strong>en zen-<br />

97


98<br />

tralen Stellenwert beimessen, will sie <strong>die</strong> Bildungschancen<br />

gerechter verteilen und <strong>die</strong><br />

Leistungspotenziale <strong>alle</strong>r Schüler zur Entfaltung<br />

br<strong>in</strong>gen.<br />

Mit der Frage nach der Leistungsfähigkeit der<br />

Sonderschulen deren Auflösung zu begründen<br />

greift zu kurz. Sie ignoriert <strong>die</strong> Ergebnisse der<br />

zurzeit vorliegenden (vergleichenden) Bildungsstu<strong>die</strong>n.<br />

Danach muss generell bezüglich <strong>alle</strong>r Schulformen<br />

kritisch gefragt werden:<br />

• Warum erreichen wir <strong>in</strong> unserem Schulsystem<br />

vergleichbar ger<strong>in</strong>gere Leistungen?<br />

• Warum halten wir an e<strong>in</strong>em relativ homogenisierten<br />

Schulsystem fest und reduzieren<br />

damit <strong>die</strong> Entwicklungschancen unterschiedlicher<br />

Individuen?<br />

• Wie kann es gel<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> hohe Korrelation<br />

zwischen Schichtzugehörigkeit und Bildungsabschlüssen<br />

zu überw<strong>in</strong>den?<br />

• Wie kann es zu e<strong>in</strong>em Nachteilsausgleich<br />

kommen, welches bildungspolitischen und<br />

pädagogischen Instruments bedarf es da<strong>für</strong>?<br />

• Wie kommt es, dass auf dem Innovations<strong>in</strong>dex<br />

<strong>in</strong> der Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft e<strong>in</strong><br />

Land Nummer e<strong>in</strong>s ist, dessen Schulen bis<br />

zur 8. Klasse ke<strong>in</strong>e Noten geben, <strong>in</strong> dem man<br />

nicht sitzen bleiben kann und das – verglichen<br />

mit uns – unglaublich hohe Schulabschlusszahlen<br />

hat und <strong>für</strong> viele vorbildlich <strong>in</strong><br />

der schulischen Integration Beh<strong>in</strong>derter ist?<br />

E<strong>in</strong>e Auflösung der Sonderschulen und der<br />

Transfer von Schülern und Sonderpädagogen<br />

ohne strukturelle Veränderung des Schulsystems<br />

würde e<strong>in</strong>erseits <strong>die</strong> Grundschule zurzeit<br />

nicht leisten können und zum anderen <strong>die</strong> <strong>in</strong>-<br />

dividuelle Förderung, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf braucht, <strong>in</strong> der<br />

derzeitigen Verfasstheit und Ausstattung nicht<br />

gewährleisten. Ganz zu schweigen von den<br />

Angeboten im pflegerischen, therapeutischen,<br />

aber auch im baulichen Bereich und im Assistenzbereich.<br />

Das Schulsystem <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit ist neu<br />

zu def<strong>in</strong>ieren, soll es sich als <strong>in</strong>tegrierendes<br />

bzw. als <strong>in</strong>klusives System verstehen. E<strong>in</strong> solches<br />

System misst dem Umgang mit Vielfalt<br />

und Differenz e<strong>in</strong>en zentralen Stellenwert bei,<br />

um den Bildungschancen <strong>alle</strong>r gerecht zu werden<br />

und <strong>die</strong> Potenziale <strong>alle</strong>r Schüler zur Entfaltung<br />

zu br<strong>in</strong>gen.<br />

E<strong>in</strong>e solche Schule muss <strong>in</strong>dividualisierende<br />

Unterrichtsformen <strong>in</strong> den Mittelpunkt ihres<br />

pädagogischen Angebotes stellen. Grundlage<br />

der Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung<br />

s<strong>in</strong>d dann <strong>die</strong> Milieus, Lebensstile<br />

und unterschiedlichen Herkünfte der Schüler.<br />

Beh<strong>in</strong>derte Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler haben<br />

hierbei mit besonderen Erschwernissen im<br />

Schulsystem zu rechnen.<br />

Damit <strong>die</strong>se Aussagen nicht nur theoretisch<br />

bleiben, man hat leider allzu oft den E<strong>in</strong>druck,<br />

dass <strong>die</strong> Diskussion zu wenig Rücksicht auf<br />

<strong>die</strong> tatsächlichen Belange des beh<strong>in</strong>derten<br />

K<strong>in</strong>des nimmt, will ich kurz anhand von zwei<br />

Fallbeispielen praktisch aufzeigen, was <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

<strong>in</strong>klusiven Schule geleistet werden muss und<br />

- daraus abgeleitet - welche räumlichen, sächlichen<br />

und personellen Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives<br />

Schulsystem bereitstellen müsste, um<br />

e<strong>in</strong>e optimale Beschulung beh<strong>in</strong>derter K<strong>in</strong>der<br />

zu gewährleisten.<br />

Beispiel I<br />

A., Junge, 17 Jahre alt. Zurzeit 10. Klasse im<br />

Gesamtschulteil e<strong>in</strong>er Schule mit dem Förderschwerpunkt<br />

„körperliche und motorische Entwicklung“.<br />

Diagnosen: Ausgeprägte zentrale Bewegungs-


störung, Spastik, Artikulationsstörung (Sprache<br />

kaum zu verstehen), extrem e<strong>in</strong>geschränkte<br />

Kommunikation, Schul- und Unterrichtsbesuch<br />

nur mit Assistenz möglich; Hilfe beim<br />

Essen, beim Toilettengang und bei nahezu <strong>alle</strong>n<br />

Verrichtungen des Alltags.<br />

Hilfsmittel: Rollstuhl, Laptop, Stehbrett, Unterschenkelorthesen<br />

und Orthesenschuhe.<br />

Physiotherapie, Wassertherapie, Assistenz.<br />

Medikamente: hoch dosiertes Valium und weitere,<br />

um trotz der extrem ausgeprägten Spastik<br />

überhaupt am Unterricht teilnehmen zu können.<br />

Dadurch nur begrenzt aufnahmefähig<br />

und zeitlich nur ger<strong>in</strong>g belastbar. Er benötigt<br />

viele Pausen und Erholungsphasen.<br />

Schullaufbahn: Auf Wunsch der Eltern E<strong>in</strong>schulung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Integrationsschule. Nachdem<br />

es ke<strong>in</strong>en schulischen Erfolg gab, auf Wunsch<br />

der Eltern fünf Jahre später Wechsel auf e<strong>in</strong>e<br />

Schule mit dem Förderschwerpunkt „körperliche<br />

und motorische Entwicklung“ (Aufnahme<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e 5. Klasse).<br />

Fragestellung: Wie kann es gel<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong>en<br />

Schüler, der objektiv so umfassend e<strong>in</strong>geschränkt<br />

ist im Bereich der eigenen Körperfunktionen,<br />

im Bereich von Sprache und Kommunikation,<br />

bei gut durchschnittlicher<br />

Intelligenz, se<strong>in</strong> tatsächliches Leistungspotenzial<br />

im System Schule entfalten zu lassen?<br />

Stärken: gute Intelligenz, großer Wortschatz,<br />

kreativ, ideenreich, kompetentes Sozialverhalten,<br />

gute Integration <strong>in</strong> <strong>die</strong> Lerngruppe, gute<br />

Motivation, förderndes Elternhaus.<br />

Individueller Bedarf/Förderbedarf: Beckenrandaufsicht<br />

beim Schwimmen, Zeitzugabe bei der<br />

Bearbeitung von Aufgaben, Reduzierung der<br />

Aufgabenmenge, entsprechende Aufarbeitung<br />

von Fragestellungen im Alltag, aber auch bei<br />

Klassenarbeiten auf dem Computer, Nachteilsausgleich<br />

Zeit: 50 % <strong>in</strong> Mathematik,<br />

Deutsch und Englisch, technische und personelle<br />

Unterstützung mittels Computer, Schulhelfer,<br />

zweiter Büchersatz, Begleitung auf län-<br />

geren Strecken, vielfältige Hilfe beim<br />

Verrichten habitueller D<strong>in</strong>ge, beispielsweise<br />

beim Essen. Extraraum bei Prüfungen. Organisation<br />

des Tages durch angemessenen Wechsel<br />

von An- und Entspannungsphasen. Ruhige<br />

Lernatmosphäre. Umsetzung von Angeboten<br />

bezüglich Physiotherapie und Snoezelen.<br />

Dehnung des 10. Schuljahres auf zwei Jahre<br />

(reduzierter, <strong>in</strong>dividueller Stundenplan). Verteilung<br />

der Prüfungen am Ende der 10. Klasse<br />

auf zwei Jahre (über Sondergenehmigung<br />

Schulaufsicht).<br />

Diesen <strong>in</strong>dividuellen Bedarf hat <strong>die</strong> Schule<br />

umzusetzen, unabhängig vom Ort der Beschulung.<br />

Hieraus abzuleiten <strong>für</strong> e<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives Schulsystem<br />

wäre: e<strong>in</strong>e hohe Zuweisung an Sonderpädagogikstunden<br />

entsprechend des hohen<br />

<strong>in</strong>dividuellen Bedarfes. Zusätzliche Ausstattung<br />

(Mittel) der Schule (materiell und räumlich).<br />

Zusätzliche Fortbildung <strong>für</strong> <strong>die</strong> unterrichtenden<br />

Lehrer und Assistenten (Transfer<br />

sonderpädagogischen Knowhows). Vorhalten<br />

e<strong>in</strong>es therapeutischen Angebotes bzw. Kooperation<br />

mit entsprechenden Stellen. Das Schaffen<br />

und Gewähren flexibler Instrumente (z.B.<br />

beim Nachteilsausgleich) <strong>für</strong> <strong>die</strong> E<strong>in</strong>zelschule<br />

durch Gesetzgeber und Schulaufsicht.<br />

Kostenneutral ist das nicht möglich.<br />

Förderergebnis: Nach Durchführung der oben<br />

genannten Fördermaßnahmen und Dehnung<br />

des letzten Jahres auf zwei Jahre schafft der<br />

Junge <strong>die</strong> 10. Klasse mit e<strong>in</strong>er Empfehlung <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> gymnasiale Oberstufe. Er wird voraussichtlich<br />

im nächsten Schuljahr das Gymnasium<br />

besuchen. Der Förderbedarf wird dort derselbe<br />

se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive sonderpädagogische<br />

Unterstützung (neben den anderen oben aufgeführten)<br />

bleibt notwendig.<br />

99


100<br />

Beispiel II<br />

B. , Junge, 4. Klasse.<br />

Diagnosen: ADHS, Aortenklappen<strong>in</strong>suffizienz,<br />

verzögerte frühk<strong>in</strong>dliche Entwicklung.<br />

Besonderheiten: In den ersten drei Lebensjahren<br />

<strong>in</strong> drei verschiedenen Pflegefamilien,<br />

seit 2001 bei den derzeitigen Pflegeeltern, <strong>die</strong><br />

sich sehr um mediz<strong>in</strong>ische und therapeutische<br />

sowie schulische Belange kümmern.<br />

Er besucht e<strong>in</strong>e Grundschule mit dem Förderschwerpunkt<br />

„körperliche und motorische<br />

Entwicklung“, da <strong>die</strong>se Klassenfrequenzen von<br />

6 Schülern hat. Er sei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe nicht<br />

schulfähig durch se<strong>in</strong>e ausgeprägte ADHS<br />

und <strong>die</strong> Verhaltensprobleme (der eigentliche<br />

sonderpädagogische Förderbedarf liege im Bereich<br />

“emotionale und soziale Entwicklung“,<br />

zudem bestehen gravierende Lernprobleme<br />

durch <strong>die</strong> umfassenden Wahrnehmungsstörungen).<br />

Fragestellung: Wie kann es gel<strong>in</strong>gen, das Leistungspotenzial<br />

und <strong>die</strong> Selbststeuerung e<strong>in</strong>es<br />

K<strong>in</strong>des positiv zu entwickeln, das hospitalisiert,<br />

phasenweise extrem aggressiv gegen<br />

Menschen und Sachen agiert, das gravierende<br />

Wahrnehmungsstörungen und große Probleme<br />

<strong>in</strong> der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung<br />

hat?<br />

Stärken: kann <strong>in</strong> Ruhephasen Sozialkontakte<br />

herstellen und zeitweise aufrechterhalten.<br />

Aufgrund se<strong>in</strong>er durchschnittlichen kognitiven<br />

Leistungspotenziale wäre e<strong>in</strong> mittlerer<br />

Schulabschluss möglich.<br />

Individueller Bedarf/Förderbedarf: Erhöhung<br />

der Frustrationsschwelle, Überw<strong>in</strong>dung von<br />

Arbeitsverweigerung, Verbesserung von Kommunikation<br />

und Sozialverhalten, Reduzierung<br />

der verbalen Entgleisungen und tätlichen Angriffe<br />

(konsequente systemische Arbeit mit <strong>alle</strong>n<br />

Beteiligten: Pflegeeltern, Jugendamt, Lehrern,<br />

Erziehern, Therapeuten, Zivil<strong>die</strong>nstleistenden).<br />

Reduzierung der Aufgabenmenge: Kle<strong>in</strong>e kurzzeitige<br />

Lernsequenzen, wegen der stark e<strong>in</strong>ge-<br />

schränkten Konzentrationsfähigkeit. Abwechslungsreiche<br />

Entspannungsphasen. Auszeiten<br />

<strong>in</strong> der Lernwerkstatt und <strong>in</strong> der temporären<br />

Lerngruppe, <strong>die</strong> nach e<strong>in</strong>em entwicklungspädagogischen/entwicklungstherapeutischen<br />

Konzept arbeitet. Rückzugsräume anbieten.<br />

Spezielles Angebot (Psychomotorik, Physiotherapie,<br />

psychotherapeutische Elemente und Ergotherapie)<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ADHS-Kle<strong>in</strong>gruppe,<br />

therapeutisches Schwimmen. Bei stark herabgesetzter<br />

auditiver Aufmerksamkeitsspanne,<br />

Kompensation über andere S<strong>in</strong>neskanäle<br />

schaffen. Hilfen zur (Selbst-)Strukturierung<br />

<strong>in</strong> jeder Beziehung, Reduzierung der Aufgabenmenge.<br />

Darbieten von e<strong>in</strong>deutig strukturiertem<br />

Material, zeitlich reduzierter Stundenplan,<br />

um Überforderung zu vermeiden.<br />

Auszeiten organisieren über zusätzliches Personal,<br />

<strong>die</strong> nicht aussondern, Wertschätzung<br />

und emotionale Stützung.<br />

Die hieraus abzuleitenden Instrumente bzw.<br />

<strong>die</strong> zusätzliche Ausstattung <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>in</strong>klusiv arbeitende<br />

allgeme<strong>in</strong> bildende Schule ergeben<br />

sich analog des ersten Fallbeispieles aus dem<br />

<strong>in</strong>dividuellen Förderbedarf.<br />

Diese zwei Fallbeispiele könnten beliebig um<br />

weitere aus <strong>alle</strong>n Bereichen der nach KMK def<strong>in</strong>ierten<br />

Förderschwerpunkte ergänzt werden.<br />

Was, so lautet <strong>die</strong> Frage, <strong>die</strong> sich aus <strong>die</strong>sen<br />

Beispielen ergibt, müsste e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>klusiv arbeitende<br />

Schule bieten können, um <strong>die</strong>sen gravierenden,<br />

vielfältigen und sehr <strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderbedürfnissen gerecht zu werden und<br />

ihre Schüler zum Erfolg zu führen? Die notwendigen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen können wegen der<br />

Kürze der Zeit nur plakativ benannt werden.<br />

Die Schul- und Unterrichtsorganisation müsste<br />

verändert werden (Veränderung bzw. Abschaffung<br />

der Stundentakte, Bieten e<strong>in</strong>er


hythmisierten Tagesstruktur, Lernorganisation<br />

<strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>teams, Anbieten von Tandemstrategien).<br />

Die gesetzlichen Voraussetzungen<br />

müssen geschaffen, Schulaufsichten, Schulleiter<br />

und das pädagogische Personal entsprechend<br />

geschult werden.<br />

Die baulichen Voraussetzungen müssten geschaffen<br />

werden, <strong>die</strong> Freizeitangebote <strong>für</strong> den<br />

Nachmittag ermöglichen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e Logistik <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Essensversorgung <strong>in</strong> Ganztagsschulen bereitstellen,<br />

<strong>die</strong> e<strong>in</strong> beh<strong>in</strong>dertengerechtes Raumangebot<br />

<strong>in</strong> <strong>alle</strong>n Bereichen schaffen und Raumangebote,<br />

<strong>die</strong> das E<strong>in</strong>richten von Bibliotheken,<br />

Lernwerkstätten, Therapie- und Psychomotorikräumen<br />

ermöglichen.<br />

E<strong>in</strong>e ausreichende Versorgung mit Sonderpädagogen<br />

ist unabd<strong>in</strong>gbar. Die alten Zuweisungskriterien,<br />

wie sie heute gelten, bedürfen<br />

dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>er flexibleren Handhabung. E<strong>in</strong>e<br />

(meist viel zu ger<strong>in</strong>ge und im Zuge der Sparpolitik<br />

<strong>in</strong> <strong>alle</strong>n Bundesländern immer wieder<br />

gekürzte) starre Stundenzuweisung ermöglicht<br />

ke<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividualisierenden und professionellen<br />

Umgang im E<strong>in</strong>zelfall. Die Anb<strong>in</strong>dung<br />

an sonderpädagogische Förderzentren oder<br />

sonderpädagogische Abteilungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>klusiven<br />

Schulsystem, <strong>die</strong> auf Grundlage <strong>in</strong>dividueller<br />

Beratung, Diagnostik und Evaluation<br />

von Maßnahmen, <strong>die</strong> Ressourcen bedarfsgerecht<br />

(<strong>die</strong>ses kann immer nur professionell<br />

se<strong>in</strong>, wenn es sich um e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelfallprüfung<br />

handelt) unter E<strong>in</strong>bezug <strong>alle</strong>r betroffenen bzw.<br />

agierenden Personen zuteilt, wäre e<strong>in</strong>e professionelle<br />

Lösung. Der Wissenstransfer von sonderpädagogischem<br />

Grundwissen könnte durch<br />

<strong>die</strong>se Förderzentren/Abteilungen erfolgen,<br />

dass den Kle<strong>in</strong>teams vor Ort das nötige Wissen<br />

im alltäglichen Umgang mit dem beh<strong>in</strong>derten<br />

K<strong>in</strong>d vermittelt.<br />

Das Förderzentrum als Ort der Zuweisung,<br />

Steuerung und Fortbildung könnte zudem Beratungsstelle<br />

und Anlaufstelle <strong>für</strong> Eltern se<strong>in</strong>.<br />

Neben der sonderpädagogischen Diagnostik,<br />

<strong>die</strong> den auf Grund der Beh<strong>in</strong>derung vorliegenden<br />

<strong>in</strong>dividuellen Förderbedarf ermittelt<br />

und den <strong>in</strong>dividuellen Lernentwicklungsplan<br />

um <strong>die</strong>se Aspekte ergänzt, <strong>die</strong> Umsetzung begleitet<br />

und evaluiert, müsste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>klusiven<br />

Schule der Blick auf <strong>alle</strong> K<strong>in</strong>der zu e<strong>in</strong>em neuen<br />

Arbeitsverständnis führen.<br />

In der <strong>in</strong>klusiven Schule ist <strong>die</strong> Erhebung der<br />

<strong>in</strong>dividuellen Lerne<strong>in</strong>gangsvoraussetzungen<br />

<strong>für</strong> <strong>alle</strong> Schüler Standard, ebenso wie <strong>die</strong> Fortschreibung<br />

<strong>in</strong>dividueller Entwicklungsberichte.<br />

Für beh<strong>in</strong>derte Schüler s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>se um<br />

den Bereich der sonderpädagogischen Diagnostik<br />

und Fortschreibung der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Bedarfe zu ergänzen. Eltern und Schüler s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Prozess e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den. Praktische<br />

Vorschläge hierzu gibt es <strong>in</strong> Fülle, beispielsweise<br />

bei Eggert, „Von den Stärken ausgehen“.<br />

Dieses erfordert auch e<strong>in</strong>e andere Sichtweise<br />

auf <strong>die</strong> Erfassung, Beschreibung und Bewertung<br />

von Leistungen bzw. Leistungszuwächsen<br />

<strong>in</strong> der Schule. E<strong>in</strong>e Sichtweise, <strong>die</strong> <strong>in</strong>dividuelle<br />

Leistungsmöglichkeiten, auch partielle Begabungen<br />

stärker fördert und würdigt, eröffnet<br />

<strong>alle</strong>n Schülern Erfolg. E<strong>in</strong> auf Beschreibung<br />

des Zuwachses an <strong>in</strong>dividuellen Kompetenzen<br />

ausgerichtetes Zeugnis, das <strong>die</strong> Stärken gleichermaßen<br />

hervorhebt, dürfte auch bei e<strong>in</strong>em<br />

potenziellen Arbeitgeber nicht auf Ablehnung<br />

stoßen, wie es oft als Gegenargument vorgetragen<br />

wird. Wären Ziffernnoten objektiv, valide<br />

und reliabel, warum testen dann Universitäten,<br />

Arbeitgeber und <strong>alle</strong>n voran <strong>die</strong> Bundesagentur<br />

<strong>für</strong> Arbeit ihre Bewerber mit mehr oder<br />

weniger s<strong>in</strong>nvollen Testverfahren, nach deren<br />

Ergebnis dann e<strong>in</strong>e Chancenzuteilung erfolgt?<br />

Hier wäre e<strong>in</strong> Wechsel, weg von e<strong>in</strong>er nicht objektiven<br />

sozialnormbezogenen Ziffernbenotung,<br />

fällig.<br />

Nachteilsausgleiche, zum Teil heute <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Bundesländern schon rechtlich verankert,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>dividuell festzulegen. Die notwendigen<br />

Voraussetzungen baulicher, säch-<br />

101


102<br />

licher und personeller Art müssten flexibel zur<br />

Verfügung gestellt werden, beispielsweise koord<strong>in</strong>iert<br />

von e<strong>in</strong>em sonderpädagogischen<br />

Förderzentrum aus.<br />

Unterrichtsergänzende Angebote und außerschulische<br />

Maßnahmen (z.B. therapeutische<br />

Angebote) sollten auf das e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>d gepasst<br />

angeboten, koord<strong>in</strong>iert und evaluiert<br />

werden (z.B. <strong>in</strong> regelmäßigen Fall- bzw. Teambesprechungen,<br />

was Aufgabe des Förderzentrums<br />

se<strong>in</strong> könnte). E<strong>in</strong>e Reihe von Bed<strong>in</strong>gungen<br />

als Voraussetzung des Gel<strong>in</strong>gens bei<br />

der Umsetzung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>klusiven pädagogischen<br />

Ansatzes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schule <strong>für</strong> <strong>alle</strong> wäre<br />

h<strong>in</strong>zuzufügen!<br />

Abschließend kann <strong>die</strong> Frage nach e<strong>in</strong>em Systemwechsel<br />

<strong>in</strong> der Beschulung beh<strong>in</strong>derter<br />

K<strong>in</strong>der unter der Voraussetzung bejaht werden,<br />

wenn <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen geschaffen werden,<br />

dass <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule Erfolg haben können. Diese<br />

Bed<strong>in</strong>gungen simplifizierend an <strong>die</strong> (meist zu<br />

ger<strong>in</strong>ge) Ausstattung von Sonderpädagogikstunden<br />

pro K<strong>in</strong>d zu knüpfen, ist nicht erfolgversprechend.<br />

Die Integration beh<strong>in</strong>derter<br />

K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> e<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives Schulsystem erfordert<br />

e<strong>in</strong>en Paradigmenwechsel <strong>in</strong> der allgeme<strong>in</strong> bildenden<br />

Schule, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividualisierende<br />

Schule werden muss und <strong>die</strong> <strong>die</strong> Heterogenität<br />

ihrer Schülerschaft als Bereicherung und<br />

Herausforderung gleichermaßen begreift.<br />

Die erfolgreiche Beschulung beh<strong>in</strong>derter K<strong>in</strong>der<br />

ist nicht an e<strong>in</strong>e Schulform gebunden, sondern<br />

an das Gewähren entsprechender unterstützender<br />

und fördernder Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> der Schul- und Unterrichtsorganisation,<br />

wozu das Angebot e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>dividualisierenden<br />

Unterrichts, Freizeitangebote und unterstützende<br />

Beratungsangebote gleichermaßen gehören.<br />

Dieser Umbau des Schulsystems, so man es<br />

denn will, wird nicht kostenneutral erfolgen<br />

können, soll er erfolgreich se<strong>in</strong>!<br />

Literatur<br />

• He<strong>in</strong>rich-Böll-Stiftung (Hg.): Selbstständig-lernen<br />

– Bildung stärkt Zivilgesellschaft,<br />

We<strong>in</strong>heim Basel 2004<br />

• Helmut Fend: Qualität im Bildungswesen,<br />

We<strong>in</strong>heim/München 1998<br />

• Erw<strong>in</strong> Breitenbach: Förderdiagnostik,<br />

Würzburg 2003<br />

• Dietrich Eggert: Von den Stärken ausgehen,<br />

Individuelle Entwicklungspläne (IEP) <strong>in</strong><br />

der Lernförderungsdiagnostik, Dortmund<br />

2007 (5)<br />

• Wolfgang Mutzeck (Hg.): Förderplanung,<br />

We<strong>in</strong>heim 2000<br />

• Haeberl<strong>in</strong>/Bless/Moser/Klaghofer: Die Integration<br />

von Lernbeh<strong>in</strong>derten, Bern/Stuttgart<br />

1991<br />

• Prof. Dr. Susanne Thurn: „Geme<strong>in</strong>sames<br />

Lernen <strong>in</strong> der Schule - neue Erkenntnisse,<br />

neues Bewusstse<strong>in</strong>, neue Wege“, Vortrag<br />

vom 11.03.2009 im Abgeordnetenhaus Berl<strong>in</strong><br />

auf dem Forum des „Runden Tisches<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsschulen Berl<strong>in</strong>“


Statement<br />

nikola Rebehn, Landesschule <strong>für</strong> Körperbeh<strong>in</strong>derte<br />

neubrandenburg<br />

Förderschulen abzuschaffen, wäre der vierte<br />

Schritt vor dem ersten. Dazu wäre es ja, falls<br />

ich den Begriff Inklusion richtig verstanden<br />

habe, gar nicht das zur Diskussion stehende<br />

Ziel. Vielmehr geht es ja darum, Wege zu suchen,<br />

dass <strong>die</strong> bestehende Vielfalt von Fördermöglichkeiten<br />

wirklich zu mehr Bildungsgerechtigkeit<br />

und mehr Teilhabe <strong>in</strong> der<br />

Gesellschaft führt.<br />

Zunächst müsste sich um <strong>die</strong> Fachkompetenz<br />

an <strong>alle</strong>n Schulen gekümmert werden – im<br />

S<strong>in</strong>ne von<br />

• Diagnostikkompetenz<br />

• Differenzierung im Unterricht<br />

• Erstellen <strong>in</strong>dividueller Förderpläne.<br />

Im Zuge der selbstständigen Schule werden<br />

<strong>die</strong>se Kompetenzen von <strong>alle</strong>n Kollegen verlangt.<br />

S<strong>in</strong>nvoll wäre es, dass <strong>die</strong> Strukturen der<br />

selbstständigen Schule gleich vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

der Entwicklung h<strong>in</strong> zu Inklusion zu<br />

nutzen s<strong>in</strong>d. Aber da<strong>für</strong> müssten auch <strong>alle</strong> Regelschullehrer<br />

e<strong>in</strong>gebunden werden (…). Aber<br />

Inklusion heißt ja, dass sich beide Seiten aufe<strong>in</strong>anderzubewegen.<br />

So, wie geme<strong>in</strong>samer Unterricht momentan<br />

funktioniert, kann man es ja ke<strong>in</strong>em Elternteil<br />

guten Gewissens empfehlen, <strong>die</strong>sen Weg zu<br />

gehen. Die Förderstunden müssen beim K<strong>in</strong>d<br />

bleiben, es geht nicht an, dass <strong>die</strong> GU-Lehrkräfte<br />

den Vertretungsunterricht absichern!<br />

Neben den eigentlichen Unterrichtsstunden –<br />

<strong>die</strong> noch viel zu ger<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d – müssten Beratungszeiten<br />

mit den Regelschullehrern, Fahrwege<br />

etc. im Stundenkont<strong>in</strong>gent angerechnet<br />

werden.<br />

Damit Inklusion funktioniert bzw. gut vorbereitet<br />

werden kann, s<strong>in</strong>d Fortbildungen unabd<strong>in</strong>gbar.<br />

Damit trotzdem Zeit <strong>für</strong> das K<strong>in</strong>d<br />

bleibt, ist es ganz wichtig, dass <strong>die</strong> Bildungsträger<br />

zum Lehrer kommen und nicht umgekehrt.<br />

Dass <strong>die</strong> LISAs e<strong>in</strong>gestampft bzw. zur Unkenntlichkeit<br />

rückgebaut wurden, ist vor <strong>die</strong>sem<br />

H<strong>in</strong>tergrund unhaltbar! E<strong>in</strong>e Zentralisierung<br />

der Lehrerfortbildung <strong>in</strong> Rostock ist der<br />

falsche Weg.<br />

Auch wir Sonderpädagogen müssen uns E<strong>in</strong>iges<br />

an Betriebsbl<strong>in</strong>dheit e<strong>in</strong>gestehen. Förderschulen<br />

stehen unter e<strong>in</strong>em Rechtfertigungsdruck.<br />

Wir können auf Dauer nur<br />

überleben, wenn <strong>alle</strong> unsere Bildungs- und Erziehungsbemühungen<br />

auf e<strong>in</strong>e größtmögliche<br />

Teilhabe an der Gesellschaft der K<strong>in</strong>der mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf abzielen.<br />

Dies muss jede e<strong>in</strong>zelne Schule überprüfen<br />

und sich entsprechend profilieren. Wir s<strong>in</strong>d<br />

dazu <strong>in</strong> der Lage, aber dazu müssen wir Inklusion<br />

auch wollen. Dass <strong>die</strong>se Bemühungen vor<br />

den derzeitigen personellen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

nur teilweise Früchte tragen, steht auf<br />

e<strong>in</strong>em anderen Blatt und muss ebenfalls diskutiert<br />

werden.<br />

10


10<br />

Anhang<br />

Ulf Preuss-Lausitz:<br />

Wie weiter mit den Förderzentren (und<br />

der sonderpädagogischen Förderung)?<br />

Paradigmenwechsel sonderpädagogischer<br />

Förderung nach der Übernahme<br />

der Un-Konvention über <strong>die</strong> Stärkung<br />

der Rechte beh<strong>in</strong>derter am beispiel<br />

Schleswig-Holste<strong>in</strong>.<br />

Vortrag <strong>in</strong> Kiel am 5. März 2009<br />

1. Ausgangslage und Legitimationsprobleme<br />

Mir wurde <strong>die</strong> Aufgabe gestellt, wie ich <strong>die</strong><br />

Perspektive der sonderpädagogischen Förderung<br />

mit ihrer Organisationsstruktur, ihrer<br />

Diagnostik, ihrer Ausstattung und ihrer empirischen<br />

und begrifflich-theoretischen Grundlage<br />

sehe, vor <strong>alle</strong>m <strong>in</strong> ihrem Bezug zu generellen<br />

schulreformerischen Entwicklungen <strong>in</strong><br />

Schleswig-Holste<strong>in</strong>. Dabei soll der Vorschlag<br />

von Klaus Klemm und mir <strong>für</strong> Bremen „übersetzt“<br />

werden.<br />

Das ist e<strong>in</strong>e sehr anspruchsvolle Fragestellung,<br />

und ich kann dazu nur grundlegende H<strong>in</strong>weise<br />

geben – e<strong>in</strong>e detaillierte Ausformulierung<br />

könnte 100 oder 200 Seiten füllen. Zugleich gestehe<br />

ich, dass <strong>die</strong> Frage besonders reizvoll ist,<br />

weil Schleswig-Holste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> mehrfacher<br />

H<strong>in</strong>sicht seit Jahren besonders <strong>in</strong>tegrationsorientiert<br />

ist, und andererseits gerade deshalb<br />

gezeigt werden kann, dass das „Weiter so“,<br />

dass <strong>die</strong> Bundesländer mit ihrem seit 1994 offiziellem<br />

doppelten System von e<strong>in</strong>erseits Integration,<br />

andererseits Aufrechterhaltung der Sonderschulen<br />

(Drave u.a. 2000) <strong>in</strong> Widersprüchen<br />

verwickelt bleiben, <strong>die</strong> <strong>in</strong>nerhalb <strong>die</strong>ses Systems<br />

nicht zu lösen s<strong>in</strong>d. Am Beispiel S-H kann also<br />

beschrieben werden, was passiert, wenn <strong>die</strong> sonderpädagogische<br />

Förderung nicht vollständig <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>e Schulreform <strong>in</strong>sbesondere der<br />

Sekundarstufe e<strong>in</strong>gebunden wird.<br />

Sonderpädagogik ist seit Jahrzehnten durch<br />

verschiedene Legitimationskrisen geprägt, ja,<br />

zugespitzt kann man sagen, dass ihre Geschichte<br />

als Krisengeschichte dargestellt werden<br />

müsste: (a) zum e<strong>in</strong>en waren und s<strong>in</strong>d<br />

ihre Theoriegrundlagen <strong>in</strong> ständigem Wandel<br />

– von der Mediz<strong>in</strong> über <strong>die</strong> Biologie und verschiedene<br />

Psychologien bis h<strong>in</strong> zu pragmatischen<br />

Handlungsansätzen -, zum anderen<br />

werden Begriffe gewechselt, so dass manche<br />

Lehrkräfte gar nicht mehr nachkommen. Der<br />

Debile wurde zum Hilfsschüler, wurde zum<br />

Lernbeh<strong>in</strong>derten, wurde zum Förderschüler<br />

– und war doch fast immer e<strong>in</strong> armer Junge<br />

aus randproletarischen Familien, heute häufig<br />

gern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund, was <strong>in</strong> den<br />

Begriffen gern zugedeckt wird. Die Türschildänderungen<br />

der Sonderschulen, heute umetikettiert<br />

zu „Förderzentren als Kompetenzzentren“,<br />

ändern nichts am Aus- und<br />

Absonderungscharakter, der das Sonderschulwesen<br />

<strong>in</strong>nerhalb des gesamten hochselektiven<br />

Bildungssystems objektiv erfüllt, so<br />

weit dort gesonderter Unterricht stattf<strong>in</strong>det.<br />

Sonderschulunterricht ist gebunden an <strong>die</strong><br />

grundsätzliche Vorstellung des deutschen<br />

Schulsystems, dass homogene Lerngruppen<br />

– leistungshomogen, beh<strong>in</strong>derungshomogen<br />

– lerneffektiver seien.<br />

Die <strong>in</strong>ternationale Unterrichtsforschung wie<br />

<strong>die</strong> large-scale-Forschung belegen jedoch das<br />

Gegenteil, und <strong>in</strong>zwischen wird ja nicht zuletzt<br />

deshalb <strong>in</strong>dividuelle Förderung und <strong>in</strong>nere<br />

Differenzierung zum zentralen Reformansatz<br />

e<strong>in</strong>er Pädagogik der Vielfalt,<br />

bundesweit und auch <strong>in</strong> S-H, und zwar unabhängig<br />

von der Frage der sonderpädagogischen<br />

Förderung. Wenn <strong>die</strong>s so ist, dann wird immer<br />

unklarer, ob es überhaupt noch theoretisch begründete,<br />

also nicht nur pragmatisch begründete,<br />

Grenzen zwischen e<strong>in</strong>er schulischen<br />

allgeme<strong>in</strong>en und e<strong>in</strong>er sonderpädagogischen<br />

besonderen Förderung gibt, zum<strong>in</strong>dest <strong>für</strong>


<strong>die</strong> Bereiche Lernen und emotionale und soziale<br />

Entwicklung/Verhalten. Das zeigt sich übrigens<br />

auch dar<strong>in</strong>, dass es <strong>in</strong> vielen Staaten<br />

zwar „slow learner“ gibt, aber ke<strong>in</strong>e Gruppe der<br />

„Lernbeh<strong>in</strong>derten“ – und entsprechend auch<br />

ke<strong>in</strong>e Sonderschulen.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Legitimationsproblem s<strong>in</strong>d (b) <strong>die</strong><br />

teilweise extrem schwankenden Quoten sonderpädagogischen<br />

Förderbedarfs je nach Förderschwerpunkt<br />

zwischen den Bundesländern<br />

und <strong>in</strong>nerhalb der Bundesländer. Was also „objektiv“<br />

nötig ist, ist strittig und häufig <strong>in</strong>teressengebunden.<br />

Auch <strong>in</strong> Bezug auf den <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich zeigt sich e<strong>in</strong>e große<br />

Variabilität. Ich will das heute nicht diskutieren,<br />

es zeigt jedoch, dass <strong>die</strong> Vorwürfe von zu ger<strong>in</strong>ger<br />

oder zu hoher Ausstattung kaum wissenschaftlich,<br />

sondern nur pragmatisch zu lösen<br />

s<strong>in</strong>d (vgl. dazu Preuss-Lausitz 2008).<br />

Die empirische Wende <strong>in</strong> der Bildungspolitik<br />

hat e<strong>in</strong> weiteres Legitimationsdefizit der<br />

Sonderpädagogik offengelegt: (c) ihren fehlenden<br />

Qualitäts- und Erfolgsnachweis. Die<br />

Sonderpädagogik selbst beg<strong>in</strong>nt erst seit<br />

Kurzem anschlussfähig zu werden an <strong>die</strong> Standards<br />

empirischer Schul- und Unterrichtsforschung.<br />

Sonderschulen – und ihre Schüler –<br />

liegen auch im W<strong>in</strong>dschatten der<br />

Schulpädagogik. Sie werden bei <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleichsstu<strong>die</strong>n wie PISA und IGLU<br />

ausgeklammert, aus vorgeblich methodischen<br />

Gründen – <strong>die</strong> eigentlichen Gründe s<strong>in</strong>d jedoch<br />

das fehlende öffentliche Interesse an deren<br />

Leistungen. Qualität oder Erfolg <strong>in</strong> Sonderpädagogik<br />

und Sonderschulen war und ist<br />

häufig bloße Behauptung und wurde öffentlich<br />

nicht <strong>in</strong> Zweifel gezogen. Dagegen war <strong>die</strong> Integrationsentwicklung<br />

von Anfang an unter<br />

scharfer Beobachtung, häufig mit wissenschaftlicher<br />

Begleitung.<br />

Was wir also <strong>alle</strong>nfalls wissen, s<strong>in</strong>d neben wenigen<br />

E<strong>in</strong>zelstu<strong>die</strong>n <strong>alle</strong>nfalls Abschlussdaten,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> KMK-Statistik und <strong>die</strong> jeweiligen Län-<br />

derstatistiken mitteilen. Danach erwarben <strong>in</strong><br />

Deutschland 2006 gerade mal rd. 2% der Absolventen<br />

von Sonderschulen e<strong>in</strong>e Hochschulzugangsberechtigung,<br />

und 77% schlossen<br />

ihre Schulzeit ohne Hauptschulabschluss<br />

ab, d.h., sie kommen nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> normalen<br />

Ausbildungsgänge, landen im Übergangssystem<br />

und werden meist lebenslänglich<br />

durch <strong>die</strong> Sozialsysteme f<strong>in</strong>anziert. 1 Was solche<br />

Schulerfahrungen und -ergebnisse auf <strong>die</strong><br />

Persönlichkeitsentwicklung, e<strong>in</strong>e selbstständige<br />

Lebensführung und <strong>die</strong> Teilhabe an Politik,<br />

Kultur und öffentlichem Leben bewirken, ist<br />

von Brigitte Schumann als „Beschämung“ herausgearbeitet<br />

worden (Schumann 2007). Die<br />

Literatur der Sonderpädagogen selbst ist dagegen<br />

voll von Behauptungen und Selbsttäuschungen.<br />

Insbesondere <strong>die</strong> Hilfsschule und<br />

spätere Lernbeh<strong>in</strong>dertenschule, <strong>die</strong> ja nur geschaffen<br />

wurde, um <strong>die</strong>sen Schülern mit<br />

kle<strong>in</strong>eren Klassen e<strong>in</strong>e bessere Schul- und Berufsperspektive<br />

zu eröffnen, kann trotz <strong>alle</strong>r<br />

Mühen ihrer Lehrkräfte und <strong>alle</strong>r reformpädagogischer<br />

Innovationen nur ihr Scheitern feststellen;<br />

auch ihre Ernennung zur Förderschule<br />

ändert daran nichts. Alle Argumente gegen <strong>die</strong><br />

Hauptschule – als „ungünstiges Lern- und<br />

Entwicklungsmilieu“, wie Baumert u.a. (2003)<br />

sagen –, treffen noch schärfer auf <strong>die</strong>se Förderschule<br />

zu; sie ist <strong>die</strong> Schule <strong>für</strong> <strong>die</strong> unterste<br />

soziale Schicht, <strong>in</strong> den Städten zugleich <strong>die</strong><br />

Schule <strong>für</strong> ausgesonderte randständige und<br />

bildungsferne E<strong>in</strong>wanderer.<br />

Die Legitimationskrise des ausdifferenzierten<br />

Sonderschulsystems, <strong>die</strong> ja nicht neu ist, hat<br />

1 IN S-H haben 2006 von 1.618 Förderschulabsolventen<br />

1.566 (= 96,8%) nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss<br />

erhalten (KMK 2008, 45). Das KM argumentiert,<br />

<strong>die</strong>jenigen Förderschüler, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen erhalten<br />

könnten, würden rechtzeitig <strong>in</strong> das allgeme<strong>in</strong>e<br />

Schulsystem überwechseln. Wie viele das jährlich s<strong>in</strong>d,<br />

ist <strong>alle</strong>rd<strong>in</strong>gs nicht bekannt.<br />

105


106<br />

sich (d) durch <strong>die</strong> bundesgesetzliche Übernahme<br />

der UN-Konvention über <strong>die</strong> Rechte<br />

Beh<strong>in</strong>derter im Dezember 2008 noch weiter<br />

verschärft. Die UN-Konvention ist nun <strong>in</strong>nerstaatliches<br />

Recht, sie b<strong>in</strong>det damit auch <strong>die</strong><br />

Bundesländer (<strong>die</strong> ihr im Bundesrat zugestimmt<br />

haben). In ihr heißt es <strong>in</strong> Art. 24, der<br />

dem Bildungswesen gewidmet ist, K<strong>in</strong>der mit<br />

Beh<strong>in</strong>derungen sollen ihr Bildungsrecht als „<strong>in</strong>clusive<br />

education at all levels“ wahrnehmen<br />

können, um Diskrim<strong>in</strong>ierung auszuschließen<br />

und gleiche Chancen zu sichern, und zwar ausdrücklich<br />

<strong>in</strong>nerhalb des allgeme<strong>in</strong>en Schulsystems<br />

„gleichberechtigt mit anderen <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft,<br />

<strong>in</strong> der sie leben, mit Zugang zu<br />

e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tegrativen (<strong>in</strong>clusive), hochwertigen<br />

und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen<br />

und weiterführenden Schulen“ (Bundesm<strong>in</strong>isterium<br />

2008). Diese und weitere Formulierungen<br />

stellen das deutsche Sonderschulsystem<br />

grundsätzlich <strong>in</strong>frage. Der Versuch mehrerer<br />

Kultusm<strong>in</strong>isterien, zwar Integration zuzulassen,<br />

aber das Sonderschulsystem als e<strong>in</strong>e Form<br />

von „<strong>in</strong>clusive education“ zu behaupten, stellt<br />

<strong>die</strong> Formulierungen und vor <strong>alle</strong>m <strong>die</strong> Ziele der<br />

UN-Konvention auf den Kopf. Auch hier wird<br />

es wieder Sonderpädagogen geben, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se<br />

Umdef<strong>in</strong>ition legitimieren werden; erste H<strong>in</strong>weise<br />

s<strong>in</strong>d schon erkennbar. Die <strong>in</strong>ternationale<br />

Konferenz der UNESCO <strong>in</strong> Genf über Erziehung<br />

vom November 2008 hat aber nochmals<br />

schriftlich klargestellt, dass „<strong>in</strong>clusive ecucation:<br />

The way of the future“ (so der Konferenztitel)<br />

nichts mit Sonderschulen <strong>für</strong> Beh<strong>in</strong>derte und<br />

Schulversager zu tun hat (vgl. Conclusions<br />

2008).<br />

Dieser deutsche Sonderweg soll also – mit e<strong>in</strong><br />

bisschen Kosmetik – aufrechterhalten bleiben.<br />

Er zeichnet sich spätestens seit 1994 dadurch<br />

aus, dass – länderweise unterschiedlich ausgeprägt<br />

– Integration und Sonderschulen nebene<strong>in</strong>ander<br />

existieren. In e<strong>in</strong>igen Bundesländern<br />

ist schulgesetzlich e<strong>in</strong> Vorrang der<br />

geme<strong>in</strong>samen Erziehung formuliert, z.B. <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong>, Brandenburg und Bremen, <strong>in</strong> anderen<br />

Ländern ist e<strong>in</strong> Elternwahlrecht zwischen<br />

Sonderschule und geme<strong>in</strong>samer Erziehung <strong>für</strong><br />

<strong>alle</strong> Beh<strong>in</strong>derungsbereiche zugelassen, <strong>in</strong> wiederum<br />

anderen ist <strong>die</strong>s nur <strong>für</strong> „zielgleich“ zu<br />

unterrichtende K<strong>in</strong>der mit Förderbedarf erlaubt,<br />

<strong>in</strong> anderen wiederum nur <strong>in</strong> der Grundschule.<br />

Wo Elternwahlrecht besteht, ist es<br />

m<strong>in</strong>destens unter Haushaltsvorbehalt gestellt,<br />

zuweilen auch unter organisatorische,<br />

pädagogische oder bauliche Vorbehalte – ohne<br />

dass <strong>die</strong>se H<strong>in</strong>dernisse beseitigt werden müssen.<br />

Solch e<strong>in</strong>en Haushaltsvorbehalt gibt es<br />

nicht bei der E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> Sonderschulen<br />

oder <strong>in</strong> Gymnasien – hier werden immer<br />

Schulplätze gefunden -, sondern nur <strong>für</strong> geme<strong>in</strong>same<br />

Erziehung. Die UN-Konvention<br />

müsste m<strong>in</strong>destens dazu führen, dass der<br />

Haushaltsvorbehalt wie auch andere als gesetzeswidrig<br />

beseitigt werden müssen. Damit<br />

ist jedoch noch ke<strong>in</strong> <strong>in</strong>klusives Schulsystem<br />

geschaffen – und das Wahlrecht wäre <strong>in</strong> Bezug<br />

auf <strong>die</strong> sozial hoch selektiven und lern<strong>in</strong>effektiven<br />

Sonderschulen Lernen eher politischer<br />

Zynismus. E<strong>in</strong>ige Bundesländer, etwa Baden-<br />

Württemberg und Bayern, haben darüber h<strong>in</strong>aus<br />

schon erklärt, dass <strong>alle</strong>s bleibt wie es ist<br />

und <strong>die</strong> Sonderschulen als Förderzentren im<br />

S<strong>in</strong>ne der UN-Konvention <strong>in</strong>klusiv seien;<br />

brutaler kann man Gesetzesabsichten nicht<br />

umbiegen und Beh<strong>in</strong>dertenrechte sabotieren.<br />

Ich werde schließlich (e, 5.) auf <strong>die</strong> Krise<br />

durch <strong>die</strong> Demografie h<strong>in</strong>weisen. Gerade im<br />

Flächenland S-H wirkt sie sich dramatisch auf<br />

das Förderschulkonzept aus.<br />

Innerhalb der Bundesländer nimmt Schleswig-Holste<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e besonders <strong>in</strong>tegrationsfreundliche<br />

Rolle e<strong>in</strong> und hat e<strong>in</strong> <strong>in</strong>telligentes<br />

F<strong>in</strong>anzierungskonzept. M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Erdsiek-<br />

Rave spricht von „Inklusion und Prävention“<br />

(Erdsiek-Rave 2007, 33). Dennoch und gerade<br />

deshalb werde ich versuchen darzustellen,


dass auch <strong>in</strong> S-H <strong>die</strong> Fortsetzung des bisherigen<br />

Doppelweges – GU und Förderschule –<br />

ke<strong>in</strong>e zureichende beh<strong>in</strong>derten- und lernfördernde<br />

Perspektive enthält. Diese kann nur<br />

durch e<strong>in</strong>en grundsätzlichen Paradigmenwechsel<br />

erreicht werden, und zwar aus demografischen,<br />

pädagogischen, sozialpolitischen<br />

und bürgerrechtlichen Gründen. Es soll gezeigt<br />

werden, dass e<strong>in</strong> „weiter so“ – im S<strong>in</strong>ne<br />

von Integrationsförderung bei Beibehaltung<br />

des zu Förderzentren umdef<strong>in</strong>ierten Sonderschulsystems<br />

– ke<strong>in</strong>en Ausweg aus der Krise<br />

darstellt. Ich werde <strong>für</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong><br />

aber auch e<strong>in</strong>en Vorschlag machen, der sich an<br />

jene anlehnt, den Klaus Klemm und ich <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Stadtgeme<strong>in</strong>de Bremen unter Berücksichtigung<br />

e<strong>in</strong>er weitgehenden Kostenneutralität<br />

(<strong>für</strong> Personalkosten) gemacht haben, und der<br />

teilweise <strong>die</strong> produktiven bisherigen Wege <strong>in</strong><br />

Schleswig-Holste<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>bezieht.<br />

2. Schleswig-Holste<strong>in</strong>: Ist-Analyse der Entwicklung<br />

Im Schuljahr 2007/08 haben 5,56 % <strong>alle</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler (Kl. 1-10) anerkannten<br />

sonderpädagogischen Förderbedarf (Drucksache<br />

16/2212, Tab. 6.2) und liegt damit wieder<br />

– nach ger<strong>in</strong>geren Werten – auf dem Niveau<br />

von 1993 (an anderer Stelle wird vom gleichen<br />

Bildungsm<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong> das gleiche Schuljahr<br />

von 5,2 % gesprochen). In den Bereichen Lernen,<br />

Sprache und Verhalten/emsoz s<strong>in</strong>d es landesweit<br />

rd. 4 % 2 . Dieser Anteil liegt etwas unter<br />

2 Im Gutachten Klemm/Preuss-Lausitz 2008 werden<br />

<strong>für</strong> S-H <strong>für</strong> <strong>alle</strong> Förderbereiche nur 5,2% (Schj.<br />

2005/06) errechnet. Für <strong>die</strong> Förderschwerpunkte LVS<br />

3,8%; vom KM werden an den Verf. <strong>für</strong> 2007/08 <strong>für</strong><br />

LVS 4,1% mitgeteilt. In der KMK-Statistik s<strong>in</strong>d auch<br />

Privatschüler enthalten. Die Daten des KM werden<br />

nicht, wie <strong>für</strong> <strong>die</strong> KMK, als Individualdatei, sondern<br />

über <strong>die</strong> Förderzentren erhoben. Warum S-H zweierlei<br />

– und vone<strong>in</strong>ander abweichende – Statistiken führt, ist<br />

dadurch nicht erklärt.<br />

dem Bundesdurchschnitt (5,8 %), der vor <strong>alle</strong>m<br />

wegen der neuen Bundesländer so hoch ist.<br />

Darunter s<strong>in</strong>d zu zwei Dritteln Jungen, besonders<br />

<strong>in</strong> den Förderbereichen Lernen und Verhalten<br />

bzw. emotionale und soziale Entwicklung;<br />

der Jungenanteil ist <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahrzehnten weiter gestiegen. Der Ausländeranteil<br />

ist doppelt so hoch wie <strong>in</strong> den Grundschulen,<br />

aber <strong>in</strong>sgesamt (bei rd. 8%) landesweit ger<strong>in</strong>g<br />

– <strong>in</strong> S-H ist sonderpädagogische Förderung<br />

überwiegend ke<strong>in</strong> besonderes Migrantenk<strong>in</strong>derthema.<br />

Aber es ist vor <strong>alle</strong>m e<strong>in</strong> Thema armer,<br />

sozial randständiger und bildungsferner Familien<br />

und ihrer K<strong>in</strong>der; <strong>in</strong>clusive education ist<br />

damit zugleich Sozialpolitik und der Versuch,<br />

der randständigen Unterschicht e<strong>in</strong>e gesellschaftliche<br />

Perspektive zu eröffnen.<br />

Diese Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit „special<br />

educational needs“, wie <strong>die</strong> <strong>in</strong>ternationale Bezeichnung<br />

lautet (SEN), werden <strong>in</strong> Sonderschulen<br />

und im GU unterrichtet. Erstaunlicherweise<br />

machen KM und Statistisches<br />

Landesamt extrem unterschiedliche Angaben<br />

über <strong>die</strong> Zahl der Sonderschulen (Förderzentren).<br />

Während das KM <strong>für</strong> das Schj. 2007/08<br />

122 Förderzentren nennt, darunter 28 Schulen<br />

<strong>für</strong> geistig Beh<strong>in</strong>derte und 87 Sonderschulen<br />

<strong>für</strong> den Bereich Lernen, stellt das Stat.<br />

Landesamt 141 öffentliche (und weitere 13<br />

private) Förderzentren fest 3 .<br />

Außerdem gibt es nach Auskunft des KM gegenwärtig<br />

4 Förderzentren ohne Schüler, e<strong>in</strong><br />

landesweites im Bereich Sehen, e<strong>in</strong>es im Bereich<br />

Lernen (Rendsburg), zwei im Bereich<br />

Sprache (Kiel, Rendsburg); zwei frühere Förderzentren<br />

ohne Schüler im Bereich Lernen<br />

(Segeberg) s<strong>in</strong>d aufgelöst worden. Selbst wenn<br />

3 In der Drucksache 16/2216 wird <strong>die</strong> Zahl der Schulen<br />

nicht dargestellt, sondern nur <strong>die</strong> Zahl von Klassen.<br />

Über Schulschließungen lässt sich daher dort nichts<br />

entnehmen. Auch <strong>die</strong> KMK führt nur <strong>die</strong> Zahl der<br />

Klassen, nicht der Schulen auf.<br />

107


108<br />

es, wie berichtet wird, Schulkonferenzbeschlüsse<br />

zur E<strong>in</strong>richtung weiterer Förderzentren<br />

ohne Schüler gibt, ist nicht erkennbar, dass<br />

damit e<strong>in</strong>e generelle Auflösung der kognitiv<br />

wie sozial <strong>in</strong>effektiven Sonderschulen Lernen<br />

auf der Tagesordnung steht, und <strong>die</strong> Behauptung<br />

der M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>, „Förderzentren s<strong>in</strong>d nicht<br />

mehr gleichbedeutend mit e<strong>in</strong>er gesonderten<br />

Schulform; manchmal gibt es dort gar ke<strong>in</strong>e<br />

Schüler mehr“ (SZ v. 26. 1. 09), ist angesichts<br />

der ger<strong>in</strong>gen Zahlen doch eher beschönigend.<br />

Seit Tent, Haeberl<strong>in</strong>, Bless, Wocken, Hildeschmidt/Sander<br />

u.a. ist bekannt, dass <strong>die</strong><br />

Sonderschule <strong>für</strong> Lernbeh<strong>in</strong>derte, also das sog.<br />

Förderzentrum Lernen (mit Unterricht) e<strong>in</strong><br />

ebensolches ungünstiges Lern- und Entwicklungsmilieu<br />

darstellt, wie <strong>die</strong>s Baumert <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Hauptschule festgestellt hat, und je länger und<br />

früher K<strong>in</strong>der dort unterrichtet werden, desto<br />

ungünstiger erfolgt ihre <strong>in</strong>tellektuelle und soziale<br />

Entwicklung. Wocken hat <strong>die</strong>s auf e<strong>in</strong>e<br />

mehr oder weniger naheliegende „reduktionistische<br />

Didaktik“ zurückgeführt, aber es ist<br />

auch klar, dass der Anregungsgehalt e<strong>in</strong>er homogen<br />

lernschwachen Gruppe ger<strong>in</strong>g ist – und<br />

das Aggressions- und Frustrationspotenzial<br />

hoch (zuletzt Wocken 2007, zusammenfassend<br />

Haeberl<strong>in</strong> 1990, Bless 1995, Hildeschmidt/Sander<br />

1996, Tent 1990).<br />

In den Sonderschulen Lernen werden <strong>in</strong> S-H<br />

im Landesschnitt nur 67 K<strong>in</strong>der pro Schule<br />

unterrichtet – <strong>in</strong> manchen Landkreisen liegt<br />

der Durchschnitt unter oder um 50 K<strong>in</strong>der.<br />

So halten z.B. <strong>die</strong> Kreise Ratzeburg (RZ) und<br />

Segeberg (SE) je sieben Sonderschulen Lernen<br />

mit e<strong>in</strong>em Gesamtdurchschnitt von nur<br />

46 K<strong>in</strong>dern pro Schule vor – e<strong>in</strong>e vor <strong>alle</strong>m <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Schulträger extrem teure Angelegenheit,<br />

schon <strong>alle</strong><strong>in</strong> wegen der Betriebskosten kle<strong>in</strong>er<br />

Sonderschulen. Im Kreis Segeberg habe ich<br />

vor rd. 10 Jahren e<strong>in</strong>en Teil me<strong>in</strong>er vergleichenden<br />

F<strong>in</strong>anzstu<strong>die</strong> über <strong>die</strong> Schülerkosten<br />

im geme<strong>in</strong>samen Unterricht und <strong>in</strong> Sonder-<br />

schulen durchgeführt und konnte zeigen, dass<br />

GU gerade <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schulträger (<strong>für</strong> Sonderschulen<br />

Lernen s<strong>in</strong>d das <strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>den)<br />

deutlich kostengünstiger ist. Offenkundig s<strong>in</strong>d<br />

<strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Kreis gegenteiligen<br />

Interessen an der Aufrechterhaltung „ihrer“<br />

Sonderschule gefolgt – und das KM hat daran<br />

nichts geändert.<br />

Auffällig ist zugleich, dass der Anteil der Schüler<br />

mit dem Etikett „geistige Beh<strong>in</strong>derung“<br />

bzw. verwaltungsneudeutsch „Förderschwerpunkt<br />

geistige Entwicklung“ mit 1,02% im<br />

Jahr 2005/06 im Vergleich zu den neunziger<br />

Jahren stark gestiegen ist und deutlich über<br />

vergleichbaren anderen westlichen Bundesländern<br />

liegt (z.B. Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz: 0,65%,<br />

Baden-Württemberg 0,73%). Der Anstieg wie<br />

<strong>die</strong> Varianz der Quoten lässt sich weder mediz<strong>in</strong>isch<br />

noch mit dem Migrantenanteil erklären<br />

(der <strong>in</strong> S-H ger<strong>in</strong>g ist): Es kann zwei<br />

Gründe geben: Zum e<strong>in</strong>en kann <strong>die</strong> Zuweisungsart<br />

an <strong>die</strong> Kreise <strong>für</strong> <strong>die</strong> Personalressourcen<br />

im Bereich Lernen/Sprache, <strong>die</strong> nicht auf<br />

<strong>in</strong>dividueller Feststellung beruhen, dazu führen,<br />

dass <strong>für</strong> zusätzliche Mittel <strong>in</strong> den Förderbereich<br />

geistige Beh<strong>in</strong>derung, <strong>die</strong> auf <strong>in</strong>dividueller<br />

Feststellungsdiagnostik beruht,<br />

ausgewichen wird. Zum anderen kann es se<strong>in</strong>,<br />

wie <strong>die</strong>s bei Gesprächen <strong>in</strong> Bremen deutlich<br />

wurde, dass Lehrer an Klassen <strong>für</strong> geistig Beh<strong>in</strong>derte<br />

e<strong>in</strong> Interesse daran haben, auch K<strong>in</strong>der<br />

aufzunehmen, <strong>die</strong> als Grenzfälle zur Lernschwäche<br />

angesehen werden, um „Zugpferde“<br />

<strong>in</strong> der Kle<strong>in</strong>klasse zu haben. Entsprechend<br />

wird beraten und diagnostiziert.<br />

Integrativ werden <strong>in</strong> S-H im Schj. 2005/06<br />

rd. 32% unterrichtet (KMK 2008), im Schj.<br />

2007/08 41,5% (Drucksache 16/2212, Tab.<br />

6.2), im laufenden Schj. 44% (pers. Mitteilung<br />

KM). Das ist der höchste Anteil <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Flächenland,<br />

und <strong>in</strong> Bezug auf 2005/06 liegen<br />

nur Bremen mit knapp 45% darüber. (Berl<strong>in</strong><br />

rd. 33,6%, Brandenburg 28,2%; das PISA-ge-


lobte Sachsen mit nur 11,4%; berechnet aus<br />

KMK 2008 <strong>für</strong> Schj. 2005/06, <strong>in</strong> Klemm/<br />

Preuss-Lausitz 2008, Tab. 2).<br />

Klugerweise erfolgt <strong>die</strong> Zuweisung <strong>alle</strong>r Stellen<br />

<strong>für</strong> sonderpädagogische Förderung (FöZ<br />

und GU) nicht durchweg nach <strong>in</strong>dividueller<br />

Feststellungsdiagnostik, sondern <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bereiche<br />

Lernen und Sprache zu 70% nach der<br />

gesamten Schülerzahl e<strong>in</strong>es Landkreises, zu<br />

30% nach spezifischen sozialen Faktoren. Damit<br />

wird jedoch nur <strong>die</strong> politisch vorgegebene<br />

Stellenzahl s<strong>in</strong>nvoll verteilt. Wie hoch der<br />

Stellenanteil <strong>in</strong>sgesamt se<strong>in</strong> müsste, wird dadurch<br />

nicht festgelegt – das machen Parlament<br />

und Exekutive <strong>in</strong> eigener Entscheidung. Beide<br />

können sich daher auch nicht wehren gegen<br />

den Vorwurf, zu wenig Förderung <strong>in</strong> Form von<br />

Sonderpädagogik-Stellen zur Verfügung zu<br />

stellen. Ich werde e<strong>in</strong>en Vorschlag machen, wie<br />

wenigstens e<strong>in</strong>e transparente und vor <strong>alle</strong>m<br />

dauerhafte Lösung <strong>die</strong>ses Dilemmas aussehen<br />

könnte.<br />

Zur Ist-Situation gehört auch <strong>die</strong> demografische<br />

Entwicklung. Während <strong>in</strong> S-H vor 40<br />

Jahren (1965) noch 44.700 K<strong>in</strong>der geboren<br />

wurden, waren es 1985 nur noch 23.100 (Rösner<br />

2008, 18). Bis 1992 stiegen <strong>die</strong> Geburten<br />

– generationsbed<strong>in</strong>gt – wieder auf 28.750, um<br />

im Jahr 2001 auf 25.700, also um weitere<br />

10,7% zu f<strong>alle</strong>n (Stat. Landesamt 2008). Es ist<br />

klar, dass ger<strong>in</strong>ge Geburtenraten (um 1,4), <strong>die</strong><br />

Abwanderung junger Frauen und Männer bei<br />

gleichzeitiger ger<strong>in</strong>ger Zuwanderung und der<br />

dargestellte Rückgang der Geburtenkohorten<br />

dazu führen, dass auch künftig von weiterem<br />

Rückgang der Geburten – und damit der<br />

Schüler – auszugehen ist. Zwischen 2006/07<br />

und 2017/18 nimmt <strong>die</strong> Zahl <strong>alle</strong>r Schüler<br />

um rd. 17% ab (Drucksache 16/2212, Tab.<br />

1.1). Im Vergleich zu 2006 werden im Jahr<br />

2025 <strong>die</strong> Geburten nach der amtlichen Prognose,<br />

außer <strong>in</strong> Flensburg (+2%), landesweit<br />

um weitere 13% (auf rd. 20.670) zurückgehen,<br />

<strong>in</strong> manchen ländlichen Gebieten, etwa <strong>in</strong> Ostholste<strong>in</strong>,<br />

um 23%. Selbst <strong>für</strong> <strong>die</strong> ansonsten<br />

wachsenden Städte wie Lübeck und Kiel wird<br />

e<strong>in</strong> Geburtenrückgang von 8% prognostiziert<br />

(Stat. Landesamt 2008). Das hat nicht nur<br />

dramatische Folgen <strong>für</strong> <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>en Schulen,<br />

sondern auch <strong>für</strong> den Gesamtbedarf an<br />

sonderpädagogische Förderung – und vor<br />

<strong>alle</strong>m <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sonderschulen bzw. Förderschulen.<br />

Bei e<strong>in</strong>er Integrationsquote von 40% würden<br />

dann <strong>in</strong> den Förderschulen nicht mehr 10.200,<br />

sondern nunmehr rd. 8.500 Schüler se<strong>in</strong>. Das<br />

KM selbst will aber e<strong>in</strong>e Steigerung des GU „<strong>in</strong><br />

den nächsten Jahren“ auf 50% oder gar, wie<br />

e<strong>in</strong>e Presseerklärung des KM <strong>in</strong>terpretieren<br />

lässt, auf 85 % 4 - das schließt e<strong>in</strong>en weiteren<br />

deutlichen Rückgang e<strong>in</strong>. Da aber durch <strong>die</strong><br />

UN-Konvention nun e<strong>in</strong> une<strong>in</strong>geschränktes<br />

Elternrecht auf geme<strong>in</strong>same Erziehung zugesichert<br />

werden muss, und zwar <strong>für</strong> <strong>alle</strong> Beh<strong>in</strong>derungsbereiche,<br />

ist auch auf der Grundlage<br />

der Elternwünsche mit e<strong>in</strong>er weiteren<br />

Steigerung des GU zu rechnen. Mit anderen<br />

Worten: Demografie plus Ausbau der Beh<strong>in</strong>dertenrechte<br />

spitzen <strong>die</strong> Krise getrennten<br />

Sonderschulunterrichts weiter zu. Entweder<br />

müssten <strong>in</strong> 10 oder 15 Jahren <strong>die</strong> Sonderschulen/Förderzentren<br />

noch kle<strong>in</strong>er werden und<br />

<strong>die</strong> relativen Schülerkosten <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Zwergschulen<br />

explo<strong>die</strong>ren, zu Lasten der Schulträger;<br />

oder <strong>die</strong> Förderzentren würden zu Sammelzentren<br />

<strong>für</strong> mehrere Geme<strong>in</strong>den oder<br />

ganze Kreise, was immer weitere Schulwege<br />

zur Folge hätte – mit <strong>alle</strong>n negativen Folgen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Eltern, <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der und <strong>die</strong> Kostenträger<br />

der Beförderung (zu den allgeme<strong>in</strong>en Folgen<br />

4 Kieler Nachrichten v. 21. 2. 2009. KM Erdsiek-Rave<br />

plant <strong>für</strong> S-H, dass „<strong>in</strong>nerhalb der nächsten zehn Jahre<br />

<strong>die</strong> Quote der Schüler mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf den europäischen Durchschnittswert<br />

erreichen“ – der 85% Integration ausmacht.<br />

109


110<br />

der Demografie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sonderpädagogik vgl.<br />

Preuss-Lausitz 2007).<br />

Alternativ ist <strong>die</strong> E<strong>in</strong>richtung von (relativ<br />

wohnortnahen) Sonderklassen <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Regelschulen. Auch <strong>die</strong>ser Weg ist zwar<br />

pragmatisch, verkürzt <strong>die</strong> Schulwege, führt jedoch<br />

nicht zu besseren Schulleistungen, wie<br />

e<strong>in</strong>e umfangreiche norwegische Stu<strong>die</strong> zeigt:<br />

In Norwegen gibt es <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong>e Sonderschulen,<br />

sondern e<strong>in</strong>erseits Sonderklassen<br />

<strong>in</strong> Regelschulen, andererseits vollständig <strong>in</strong>tegrativen<br />

Unterricht (mit <strong>alle</strong>n Beh<strong>in</strong>derungsbereichen).<br />

Myklebust untersuchte den schulischen<br />

bzw. Ausbildungserfolg im<br />

Sek-II-Bereich zwischen dem 17. und dem 23.<br />

Lebensjahr <strong>in</strong> zwei Kohorten bei 760 und 460<br />

Schülern <strong>alle</strong>r Beh<strong>in</strong>derungen und Schweregrade,<br />

und zwar e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> Sonderklassen,<br />

andererseits <strong>in</strong> Regelklassen (auch der beruflichen<br />

Bildung). Im Ergebnis kommt Myklebust<br />

zu dem Ergebnis, dass auch bei Kontrolle<br />

von Geschlecht, sozialem Familienh<strong>in</strong>tergrund<br />

und Schweregrad der Beh<strong>in</strong>derung <strong>die</strong> Sonderklasse<br />

als Lernort durchweg schlechtere Leistungen<br />

bewirkt als <strong>in</strong>tegrative Klassen. In Sonderklassen<br />

erreichten 35% der SEN <strong>die</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>en Leistungsziele, <strong>in</strong> Integrationsklassen<br />

60%. „Those, receiv<strong>in</strong>g support exclusively<br />

with<strong>in</strong> ord<strong>in</strong>ary classes were successful<br />

to a much greater extent than the rest of the<br />

students“(Myklebust 2006, 78). Übertragen<br />

auf deutsche Verhältnisse bedeutet <strong>die</strong>s, dass<br />

von sog. Außenklassen <strong>in</strong> Regelschulen <strong>in</strong> Bezug<br />

auf Leistungsziele ke<strong>in</strong>e besseren Erfolge<br />

als im <strong>in</strong>tegrativen Unterricht zu erwarten<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Das Land hat sich nicht ohne Grund, auf der<br />

Basis der demografischen Argumentation im<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsschulgutachten von Ernst<br />

Rösner (2004, vgl. Rösner 2008), <strong>für</strong> <strong>die</strong> Umstellung<br />

ihrer Sekundarschulen auf Regional-<br />

und Geme<strong>in</strong>schaftsschulen entschieden. Die<br />

demografische Argumentation ist auch <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Sonderpädagogik relevant. Schulforschung,<br />

UN-Konvention, Sozialpolitik und das Menschenrecht<br />

auf e<strong>in</strong> Aufwachsen und Lernen<br />

geme<strong>in</strong>sam mit den gleichaltrigen Freunden<br />

sprechen außerdem <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Umsteuerung,<br />

auch e<strong>in</strong>e Umsteuerung weg vom Vorhalten<br />

zweier – zusammen extrem teurer – Systeme.<br />

Nur der Verzicht auf <strong>die</strong> Sonderschulen und<br />

<strong>die</strong> volle Integration ihrer potenziellen Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler und der Sonderpädagogen<br />

(und des weiteren Hilfepersonals) <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Grund- und Sekundarschulen kann e<strong>in</strong>e kognitiv<br />

und sozial wirksame Beschulung langfristig<br />

sichern.<br />

Vorschlag zur <strong>in</strong>tegrativen Landesentwicklung<br />

sonderpädagogischer Förderung:<br />

Ich lehne mich an <strong>die</strong> im Bremer Gutachten<br />

entwickelten Vorschläge an und modifiziere<br />

sie <strong>für</strong> den Flächenstaat S-H. Dabei lasse ich<br />

mich von folgenden Überlegungen leiten:<br />

1. Ich schließe mich der Position der M<strong>in</strong>ister<strong>in</strong><br />

Erdsiek-Rave an und gehe <strong>für</strong> das Land<br />

von e<strong>in</strong>em sonderpädagogischen Förderbedarf<br />

über <strong>alle</strong> Förderbereiche von über das<br />

ganze Schuljahr gerechnet 5% <strong>alle</strong>r Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler aus (vgl. Erdsiek-Rave<br />

2007, 32). Für LVS nehme ich 3,5%, <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

übrigen Förderbereiche 1,5% an. Im Unterschied<br />

zur bisherigen Regelung, <strong>die</strong> sich bislang<br />

nur auf <strong>die</strong> Förderbereiche Lernen und<br />

Verhalten /emsoz bezieht, soll <strong>die</strong>ser Bezug<br />

auf <strong>die</strong> gesamte Schülerzahl auch <strong>die</strong> übrigen<br />

Förderschwerpunkte e<strong>in</strong>beziehen.<br />

Die Formulierung „über das ganze Schuljahr<br />

gerechnet“ bedeutet, dass <strong>die</strong>se Förderressourcen<br />

nur e<strong>in</strong>e Planzahl darstellen; konkret sollen<br />

sie <strong>in</strong> den allgeme<strong>in</strong>en Schulen so flexibel<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden können, dass deutlich mehr<br />

K<strong>in</strong>der davon profitieren, ähnlich wie <strong>in</strong> F<strong>in</strong>nland<br />

(dort nutzen rd. 20% bei e<strong>in</strong>em über das<br />

ganze Jahr umgerechneten Anteil von 6% <strong>die</strong><br />

Förderressource). Das geht nur, wenn <strong>die</strong> Mit-


tel <strong>in</strong> den allgeme<strong>in</strong>en Schulen verfügbar s<strong>in</strong>d<br />

und dort unabhängig von der Feststellungsdiagnostik<br />

auch <strong>für</strong> kürzere Zeit als e<strong>in</strong>em<br />

vollen Schuljahr, also situationsabhängig, der<br />

Schule zur Verfügung stehen.<br />

2. Pro Schule sollte es def<strong>in</strong>ierte soziale Kriterien<br />

<strong>für</strong> e<strong>in</strong>en Abzug oder e<strong>in</strong>e zusätzliche<br />

Ausstattung geben. Solche Kriterien liegen<br />

z.B. im Hartz-IV-Bezug oder <strong>in</strong> der Wohnstruktur.<br />

Für Bremen und Hamburg liegen<br />

solche Kriterien pro Schule<strong>in</strong>zugsgebiet vor.<br />

3. Für <strong>die</strong> Sekundarstufe II muss e<strong>in</strong>e gesonderte<br />

und zusätzliche Berechnung vorgenommen<br />

werden, da hier <strong>die</strong> meisten der SEN das<br />

allgeme<strong>in</strong>e Schulwesen verlassen haben und <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Beruflichen Bildung lernen und<br />

unterstützt werden. Auch <strong>die</strong> beruflichen<br />

Schulen sollten sich <strong>in</strong>tegrativ auf den Weg<br />

machen können. Dazu braucht es Ausstattung,<br />

Fortbildung und curriculare Überlegungen.<br />

4. Der Umfang der Sonderpädagogik-Stellen<br />

pro SEN wird nicht, wie gegenwärtig, faktisch<br />

durch das Insgesamt der Sonderpädagogikstellen<br />

im Landeshaushalt bestimmt und ist<br />

damit ständig veränderbar, sondern politischgesellschaftlich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em transparenten öffentlichen<br />

Verfahren ausgehandelt. Ich selbst<br />

schlage planerisch e<strong>in</strong>en Durchschnitt von 4 h<br />

Jahres-Lehrerstunden über <strong>alle</strong> Förderbereiche<br />

vor 5 (<strong>die</strong> differenziert werden können je<br />

5 Für Bremen haben Klemm/Preuss-Lausitz e<strong>in</strong>e<br />

Steigerung von gegenwärtig im Schnitt 2,7 h (im<br />

Bereich LVS) auf 3,5 h <strong>in</strong> 2015 und ihre F<strong>in</strong>anzierung<br />

aus der „demografischen Rendite“ vorgeschlagen.<br />

Langfristig ist auch dort rechnerisch 4 h pro SEN<br />

anzustreben. - In der Drucksache 16/2212 des Landes<br />

S-H werden <strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderzentren Lernen 2,91 h pro<br />

Schüler, <strong>für</strong> <strong>die</strong> übrigen Förderzentren 4,52 (Schj.<br />

2006/07) angegeben. Es wird ke<strong>in</strong> Gesamtwert genannt<br />

(Tab. 8.2). Der Vorschlag 4 h über <strong>alle</strong> Förderbereiche<br />

dürfte aber <strong>in</strong> etwa der gegenwärtigen Realität<br />

entsprechen.<br />

nach Förderschwerpunktgruppen). Weitere<br />

Ressourcen im Bereich Betreuung (<strong>für</strong> geistig<br />

und körperlich Beh<strong>in</strong>derte) kommen h<strong>in</strong>zu.<br />

5. Der allgeme<strong>in</strong>e Rückgang der Schülerzahlen<br />

sollte, als „demografische Rendite“, dazu<br />

benutzt werden, <strong>in</strong>sbesondere <strong>die</strong> Ausstattung<br />

im Förderbereich Lernen und Verhalten bzw.<br />

emotionale und soziale Entwicklung zu verbessern,<br />

d.h. den Faktor pro Schüler zu erhöhen.<br />

6. Jede allgeme<strong>in</strong>e Schule erhält von der<br />

kreislichen Schulaufsicht e<strong>in</strong>e basale Ausstattung<br />

sonderpädagogischer Kompetenz<br />

nach ihrer Schülerzahl. Diese Sonderpädagogen<br />

s<strong>in</strong>d Teil des Stellenplans der Schule<br />

und Teil des Kollegiums. Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sog.<br />

Unterstützungs-Center angesiedelt, das der<br />

Schulleitung zugeordnet ist. Dem UC werden<br />

ggf. weitere Förderbereiche (zur Sprachförderung<br />

von Migrantenk<strong>in</strong>dern, <strong>für</strong> LRS,<br />

zur Talentförderung, <strong>für</strong> Nachhilfe <strong>in</strong> der<br />

Ganztagsschule usw.) zugeordnet. Die Leitung<br />

der UC könnten auch ehemalige Sonderschulleiter<br />

– bei gleicher Bezahlung – übernehmen;<br />

sie sollte Teil der Steuerungsgruppe<br />

der Schule se<strong>in</strong>. Das UC sollte, soweit vorhanden,<br />

auch <strong>in</strong> Kooperation mit Sozialarbeitern<br />

oder Erziehern des Ganztagsbetriebs arbeiten<br />

und <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zusammenarbeit mit der Jugend-<br />

und Familienhilfe zuständig se<strong>in</strong>. Es erstellt<br />

im Auftrag der Schulleitung den jährlichen<br />

Rechenschaftsbericht der <strong>in</strong>nerschulischen<br />

sonderpädagogischen Förderung. Das UC<br />

sollte wenigstens zwei angenehm gestaltete<br />

Räume haben, e<strong>in</strong>en als Büro-, Beratungs- und<br />

Diagnostikraum, e<strong>in</strong>en als Time-Out-Raum<br />

<strong>für</strong> Krisenmanagement im Unterricht.<br />

111


112<br />

Um <strong>die</strong>sen Vorschlag an zwei Beispielen zu verdeutlichen:<br />

E<strong>in</strong>e dreizügige Grundschule 6 Grünes Meer<br />

hat im Schnitt 22 K<strong>in</strong>der pro Klasse <strong>in</strong> 4 Jahrgängen<br />

7 . Das s<strong>in</strong>d 264 Schüler. Die Basisausstattung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderbereiche LVS wird mit<br />

3,5 % (und 3,5 h) festgelegt. 3,5 % von 264 s<strong>in</strong>d<br />

9,24 (K<strong>in</strong>der) x 3,5 h = 32,34 h 8 . In <strong>die</strong>ser<br />

Grundschule kommen sonderpädagogische<br />

Zusatz-Ressourcen h<strong>in</strong>zu, wenn K<strong>in</strong>der mit<br />

geistigen, körperlichen oder S<strong>in</strong>nesbeh<strong>in</strong>derungen<br />

<strong>in</strong>tegriert werden (hier wird angenommen:<br />

mit e<strong>in</strong>em Faktor 5 h pro Schüler) 9 . Z.B.<br />

jährlich aufgrund <strong>in</strong>dividueller Feststellung 2<br />

K<strong>in</strong>der geistige Entwicklung (à 5 h, 8x5 = 40 h).<br />

Für LVS gibt es ke<strong>in</strong>e Feststellungsdiagnostik,<br />

aber auch ke<strong>in</strong>e Möglichkeit mehr, e<strong>in</strong>e Überweisung<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sonderschule vorzunehmen,<br />

sondern es wird Förderdiagnostik praktiziert<br />

und regelmäßig kooperativ <strong>in</strong> Förderplänen<br />

fortgeschrieben. Die Sonderpädagogen sollten<br />

<strong>die</strong> Fachkompetenz Lernen und Verhalten beherrschen<br />

oder sich aneignen.<br />

Diese basale der Schule zustehende Ausstattung<br />

muss nicht über das ganze Jahr <strong>für</strong> bestimmte<br />

K<strong>in</strong>der oder <strong>in</strong> bestimmten Klassen<br />

6 Rechnet sich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kle<strong>in</strong>e Grundschule auf dem<br />

Land <strong>die</strong> Ausstattung wegen der ger<strong>in</strong>gen Zügigkeit<br />

nicht, könnte sie von e<strong>in</strong>er benachbarten Grundschule<br />

mitversorgt werden, d.h. ihre Schüler werden dort <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Ausstattung mit gerechnet.<br />

7 Durchschnittsfrequenz <strong>in</strong> Grundschulen von S-H<br />

2006/07: 21,8 (Drucksache 16/2212, Tab. 8.1).<br />

8 Bei gleicher Frequenz ergibt sich <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e zweizügige<br />

Grundschule 21,56 h.<br />

9 Die hier nur rechnerischen Faktoren <strong>die</strong>nen der<br />

Orientierung der E<strong>in</strong>zelschule und dem Schulamt. Das<br />

jeweilige Schulamt kann natürlich auf- und abrunden<br />

(z.B. um e<strong>in</strong>e Basis-VZ-Stelle <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zweizügigen<br />

Grundschule zu generieren), <strong>die</strong>s hängt auch ab vom<br />

absoluten Umfang der K<strong>in</strong>der mit S<strong>in</strong>nes-, Körper-<br />

und geistigen Beh<strong>in</strong>derungen.<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden – das wird <strong>in</strong>nerhalb der<br />

Schule nach Bedarf geklärt. Da <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der<br />

vier Jahre <strong>in</strong> der Grundschule bleiben, ist damit<br />

über mehrere Jahre <strong>die</strong> zusätzliche Ausstattung<br />

geklärt.<br />

E<strong>in</strong>e vierzügige Geme<strong>in</strong>schafts- oder Gesamtschule<br />

Holstentor (Kl. 5-10) mit im<br />

Schnitt 24 Schülern pro Klasse 10 hat 576<br />

Schüler. Nach obigem Modell ergeben sich<br />

3,5% von 576 = 20,16 Schüler x 3,5 h = 70,56<br />

h als Basisausstattung; das s<strong>in</strong>d etwa 2 2/3<br />

VZ-Stellen. Darunter sollte auf jeden Fall e<strong>in</strong><br />

Mann mit der Kompetenz Verhalten/emsoz<br />

se<strong>in</strong>. Weitere jährlich zuzuweisende Zusatz-<br />

Ressourcen ergeben sich entsprechend den<br />

weiteren Integrationsschülern. Z.B. im Schnitt<br />

jährlich 1 K<strong>in</strong>d geistige Entwicklung und 1<br />

K<strong>in</strong>d körperliche und motorische Entwicklung<br />

(je à 5 h = 12x5 = 60h).<br />

7. Die Förderzentren Lernen, Verhalten<br />

(emsoz) und Sprache des Kreises nehmen<br />

ke<strong>in</strong>e neuen Schüler auf und laufen aus. Die<br />

Schulträger sollten selbst entscheiden, ab<br />

wann sie sie ganz schließen und ob sie noch<br />

bestehende Klassen übergangsweise e<strong>in</strong>zelnen<br />

Regelschulen zuordnen. Und selbstverständlich<br />

sollten Konjunkturmittel nur <strong>in</strong> Schulgebäude<br />

<strong>in</strong>vestiert werden, <strong>die</strong> <strong>in</strong>tegrativ arbeiten<br />

werden – und deshalb auch besondere Räume<br />

<strong>für</strong> das UC, ggf. auch <strong>für</strong> Gesundheitsräume<br />

und Entspannung brauchen.<br />

8. Die Förderzentren <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schüler/<strong>in</strong>nen<br />

mit geistigen, körperlichen und S<strong>in</strong>nesbeh<strong>in</strong>derungen<br />

werden <strong>in</strong> Analogie zum Förderzentrum<br />

Sehen als Kompetenzzentren<br />

ohne eigenen Unterricht dezentral organisiert,<br />

der Schulträger bleibt bzw. würde das<br />

Land. Zu empfehlen s<strong>in</strong>d <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der mit geis-<br />

10 Durchschnittsfrequenz <strong>in</strong> Integrierten Gesamtschulen<br />

2006/07: 24,3, <strong>in</strong> Realschulen, 23,6, <strong>in</strong> Hauptschulen<br />

20,3 (Drucksache 16/2212, Tab 8.1.).


tiger Beh<strong>in</strong>derung 5-10 solcher regionaler<br />

Kompetenzzentren, <strong>für</strong> Sehen und Hören je<br />

e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> den 5 Planungsräumen, wobei es s<strong>in</strong>nvoll<br />

ist, dass <strong>die</strong>se verschiedenen Kompetenzzentren<br />

jeweils <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus angesiedelt s<strong>in</strong>d,<br />

schon wegen der Beratung und Hilfeplanung<br />

bei Mehrfachbeh<strong>in</strong>derungen. Der Begriff<br />

„Förderzentrum“ sollte nur noch <strong>für</strong> solche<br />

E<strong>in</strong>richtungen – ohne Unterricht – Verwendung<br />

f<strong>in</strong>den. Sonderschulen s<strong>in</strong>d Sonderschulen<br />

und sollten ehrlicherweise auch Sonderschulen<br />

genannt werden.<br />

9. Viele der Schüler/<strong>in</strong>nen, denen der Förderschwerpunkt<br />

Lernen oder Sprache, aber auch<br />

geistige Beh<strong>in</strong>derung zugeordnet ist, haben zugleich<br />

Förderbedarf im Bereich Verhalten<br />

bzw. soziale und emotionale Entwicklung.<br />

Überhaupt ist <strong>die</strong> Frage, wie mit schwierigen<br />

K<strong>in</strong>dern umzugehen ist, e<strong>in</strong>e zentrale – und<br />

wachsende – allgeme<strong>in</strong>e schulische Herausforderung<br />

(vgl. Preuss-Lausitz 2004, 2005).<br />

Ich empfehle daher, zusätzlich <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen Bereich,<br />

der auch <strong>die</strong> Schulpsychologie, <strong>die</strong> Gesundheits-,<br />

Jugend- und Familienhilfe direkt<br />

tangiert, multiprofessionelle regionale Beratungs-<br />

und Unterstützungse<strong>in</strong>richtungen<br />

(ohne eigenen Unterricht) nach dem Hamburger<br />

REBUS-Modell e<strong>in</strong>zurichten (Köbberl<strong>in</strong>g/Reichert<br />

2004) und dabei <strong>die</strong> Erfahrungen<br />

aus den Frankfurter und Hannoveraner<br />

ambulanten Beratungse<strong>in</strong>richtungen nach Reiser/Willmann<br />

2004, 2008) zu nutzen. Das<br />

gel<strong>in</strong>gt nur, wenn <strong>die</strong> Schulaufsicht mit den<br />

Kommunen und den Kreisen, der Sozial-<br />

und Jugendhilfe und nicht zuletzt den Ausbildungse<strong>in</strong>richtungen<br />

zusammenarbeitet.<br />

Insgesamt ist von e<strong>in</strong>er systemischen Hilfeplanung<br />

bei <strong>alle</strong>n Akteuren auszugehen.<br />

10. Die Fachkommunikation und <strong>die</strong> fachliche<br />

Fortbildung ist e<strong>in</strong> wichtiges Element<br />

sonderpädagogischer wie allgeme<strong>in</strong>pädagogischer<br />

Identität. Sie muss bei <strong>in</strong>klusiver För-<br />

derung neu organisiert werden. Ich empfehle,<br />

sie <strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dlichen regionalen Fachkonferenzen<br />

zu organisieren, an denen teilzunehmen<br />

verpflichtender Teil der Arbeitszeit wäre.<br />

Es wäre durchaus s<strong>in</strong>nvoll, förderbereichsspezifisch<br />

jährliche landesweite Fortbildungskongresse<br />

durchzuführen.<br />

11. Die Legitimationskrise der sonderpädagogischen<br />

Förderung kann nur überwunden werden,<br />

wenn transparent, nach geme<strong>in</strong>sam erarbeiteten<br />

Standards bzw. Kriterien, regelmäßig<br />

Rechenschaft über Erfolge, Misserfolge und<br />

weitere Herausforderungen abgelegt wird, pro<br />

Schule, pro Kreis und auf Landesebene. Das<br />

KM sollte jährlich solche Berichte auf Landesebene<br />

über <strong>die</strong> Entwicklung der sonderpädagogischen<br />

Förderung, der Entwicklung der Integration<br />

und der Qualifikationsentwicklung<br />

der Schüler, <strong>die</strong> Fortbildung der Lehrkräfte<br />

vorlegen – nicht nur <strong>in</strong> Zahlen, sondern auch<br />

nach <strong>in</strong>haltlichen Aspekten. Sie könnte so auch<br />

<strong>die</strong> ohneh<strong>in</strong> nötige künftige Berichterstattung<br />

zur Umsetzung der UN-Konvention vorbereiten.<br />

Diese Jahresberichte könnten sowohl fachlich<br />

auf den eben genannten Fachkonferenzen<br />

als auch im Bildungsausschuss des Parlaments<br />

diskutiert werden.<br />

12. Nicht zuletzt: Die Neuorganisation der<br />

sonderpädagogischen Förderung kann <strong>für</strong> sich<br />

wenig bewirken, wenn sie nicht e<strong>in</strong>gebettet ist<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere und <strong>in</strong> <strong>die</strong> äußere<br />

Schulreform. Was guter Unterricht unter Bed<strong>in</strong>gungen<br />

von Heterogenität bedeutet, haben<br />

uns sowohl der GU (Meijer 2001, 2003) als<br />

auch <strong>die</strong> Schulforschung der letzten 20 Jahre<br />

(Meyer 2004) relativ genau gezeigt, auch, wie<br />

<strong>in</strong>nere Differenzierung, gutes Schul- und Klassenklima,<br />

Schulzufriedenheit <strong>alle</strong>r Akteure –<br />

auch der Lehrkräfte – und wie Chancengleichheit<br />

besser erreicht werden kann: differenzierte<br />

Leistungsansprüche, vielfältige Sozialformen,<br />

zahlreiche Me<strong>die</strong>n, <strong>in</strong>dividualisierende und<br />

11


11<br />

zugleich kooperative Übungs- und Bewertungsformen,<br />

Lernen mit <strong>alle</strong>n S<strong>in</strong>nen, Lernen<br />

durch Handeln und geplante Wahlmöglichkeiten<br />

beim Lernprozess. Das s<strong>in</strong>d Themen<br />

der <strong>in</strong>neren Schulreform. Die äußere – vor<br />

<strong>alle</strong>m der Weg weg von den Hauptschulen h<strong>in</strong><br />

zu Geme<strong>in</strong>schaftsschulen (Rösner 2008,<br />

Preuss-Lausitz 2008) und <strong>die</strong> gegenwärtige<br />

Tendenz, Sonderpädagogik- und Integrations-<br />

Fragen nicht mit der allgeme<strong>in</strong>en Schulentwicklung,<br />

<strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> der Sekundarstufe,<br />

zu verb<strong>in</strong>den, wie das z.B. <strong>in</strong> Hamburg oder <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong>, aber auch bei der Geme<strong>in</strong>schaftsschulentwicklung<br />

<strong>in</strong> S-H zu be<strong>für</strong>chten ist, führt<br />

objektiv zur Aufrechterhaltung der schulischen<br />

Selektion. Wenn jeder sich wieder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Getto e<strong>in</strong>richtet – <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> den renovierten<br />

Förderzentren, <strong>die</strong> anderen <strong>in</strong> den neuen Sekundarschulen<br />

– dann haben wir <strong>die</strong> Fortsetzung<br />

hundertjähriger Absonderung. Aber <strong>die</strong><br />

Schule <strong>für</strong> <strong>alle</strong> und <strong>die</strong> Forderung nach Chancengleichheit<br />

<strong>für</strong> benachteiligte Gruppen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er sozial gerechteren Gesellschaft, auch solcher<br />

mit Beh<strong>in</strong>derungen, verlangen e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen<br />

Reformweg. Die Schule <strong>für</strong> <strong>alle</strong> ist<br />

nur mit der konsequenten geme<strong>in</strong>samen Erziehung<br />

<strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der mit zusätzlichem Unterstützungsbedarf<br />

zu erreichen – vom K<strong>in</strong>dergarten<br />

bis zur Berufsausbildung. Daran sollten<br />

<strong>alle</strong> Akteure, <strong>die</strong> mit K<strong>in</strong>dern und mit Bildung<br />

zu tun haben, mitwirken.<br />

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– Ausweg aus der Schulkrise? Konzepte,<br />

Erfahrungen, Problemlösungen.<br />

We<strong>in</strong>heim und Basel 2008<br />

• Reiser, H. / Willmann, M. / Urban, M.: Integrierte<br />

schulische Erziehungshilfe. In:<br />

Gasteiger-Klicpera, B. / Julius, H. / Klicpera,<br />

Chr. (Hrsg.): Sonderpädagogik der sozialen<br />

und emotionalen Entwicklung. Handbuch<br />

Sonderpädagogik Band 3, Gött<strong>in</strong>gen<br />

u.a. 2008, 651-669.<br />

• Rösner, E.: Die E<strong>in</strong>führung von Geme<strong>in</strong>schaftsschulen<br />

<strong>in</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong>. Gutachten<br />

des Instituts <strong>für</strong> Schulentwicklungsforschung<br />

Dortmund. Münster u.a. 2008.<br />

• Schumann, B.: Ich schäme mich ja so!“ Die<br />

Sonderschule <strong>für</strong> Lernbeh<strong>in</strong>derte als „Schonraumf<strong>alle</strong>“.<br />

Bad Heilbrunn 2007<br />

• Statistisches Landesamt: Stat. Bericht A I 8<br />

/2007 S: Bevölkerungsentwicklung <strong>in</strong> den<br />

Kreisen und kreisfreien Städten Schleswig-<br />

Holste<strong>in</strong>s bis 2025, 22. 11. 2007.<br />

• Statistisches Landesamt: Stat. Bericht B I 1<br />

– j/07 S, Teil 1: Die allgeme<strong>in</strong>bildenden<br />

Schulen <strong>in</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong>, 12. 6. 2007.<br />

• UNESCO: Conclusions and Recommendations<br />

of the 48th Session of the <strong>in</strong>ternational<br />

Conference on Education (ICE), paper 48/5,<br />

Genf 2008.<br />

115


116<br />

M<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong> bildung, Wissenschaft und<br />

Kultur: Schriftlich nachgereichter beitrag mit<br />

Auszügen aus Dokumenten zum bildungsbericht<br />

der Expertenkommission und zur<br />

frühk<strong>in</strong>dlichen bildung<br />

Fast <strong>alle</strong> K<strong>in</strong>der im Alter von drei bis sechs<br />

Jahren besuchen <strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern<br />

e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung. Bei<br />

den Schule<strong>in</strong>gangsuntersuchungen werden<br />

dennoch bei vielen K<strong>in</strong>dern Entwicklungsdefizite<br />

festgestellt (Schwer<strong>in</strong>, dpa/mv).<br />

Aktuelle Erfahrungen aus Besuchen <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

zeigen, dass sich viele Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

und Erzieher schon längst auf den<br />

Weg gemacht haben. Sie wenden den bisherigen<br />

Rahmenplan <strong>für</strong> das Vorschuljahr auch auf <strong>die</strong><br />

jüngsten Jahrgänge altersgemäß an. Es gibt beispielhafte<br />

Kooperationen, um e<strong>in</strong>en fließenden<br />

Übergang vom K<strong>in</strong>dergarten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Grundschule<br />

zu sichern. Aber eben nicht überall.<br />

Oft tragen nicht nur <strong>die</strong> Eltern <strong>die</strong> pädagogische<br />

Arbeit mit, auch zu anderen regionalen<br />

E<strong>in</strong>richtungen bestehen enge Kontakte.<br />

Die dramatische demografische Entwicklung<br />

des Landes (Bevölkerungsrückgang von 1991<br />

bis Ende 2005 um ca. 217.000 E<strong>in</strong>wohner,<br />

darunter vor <strong>alle</strong>m gut qualifizierte Frauen)<br />

wirkt sich – durch <strong>die</strong> Kopplung des Länderf<strong>in</strong>anzausgleichs<br />

an <strong>die</strong> E<strong>in</strong>wohnerzahl – nicht<br />

nur <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzieller H<strong>in</strong>sicht aus: Die Abwanderung<br />

hat Auswirkungen auf <strong>die</strong> Sozialstruktur<br />

und damit auch auf das Bildungsverhalten.<br />

Die Zahl jener Elternhäuser, <strong>in</strong> denen <strong>die</strong> Heranwachsenden<br />

wenig Unterstützung bei ihrer<br />

Kompetenzentwicklung erfahren, wird steigen<br />

– umso bedeutsamer werden Bildungs<strong>in</strong>stitutionen<br />

wie K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen und<br />

Schule. Vor <strong>die</strong>sem H<strong>in</strong>tergrund widmete sich<br />

<strong>die</strong> Expertenkommission u. a. Fragen der Bildungsbeteiligung<br />

sowie der Qualitätsentwick-<br />

lung und Effizienzsteigerung <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Bildungsstufen.<br />

Sowohl <strong>die</strong> Staatskanzlei als auch das F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium<br />

haben zudem darauf verwiesen,<br />

dass bei e<strong>in</strong>er Umsetzung der Empfehlungen<br />

sowohl auf <strong>die</strong> Haushaltslage als auch auf das<br />

Konnexitätspr<strong>in</strong>zip zu achten ist.<br />

a) Auszüge aus dem Bericht der Expertenkommission<br />

sowie der Stellungnahme der<br />

Landesregierung zum Bericht der Expertenkommission<br />

a) a) Bericht der Expertenkommission<br />

(Drs. 5/1669, S. 101-111) vom 17.07.2008<br />

4.1 Empfehlungen zum Bildungsauftrag <strong>in</strong> der<br />

Frühpädagogik<br />

4.1.1 Ausgleich sozialer Benachteiligung und<br />

e<strong>in</strong>e nachhaltige Bildungsstrategie<br />

Die Expertenkommission empfiehlt, dass das<br />

Land auf der Grundlage sozialräumlicher, sozioökonomischer<br />

und weiterer Kriterien (z. B.<br />

Migrationsh<strong>in</strong>tergrund) zusätzliche Mittel zur<br />

<strong>in</strong>dividuellen Förderung von K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung bereitstellt. Die F<strong>in</strong>anzmittel<br />

s<strong>in</strong>d im KiföG M-V zu def<strong>in</strong>ieren. Sie<br />

sollen <strong>in</strong> begründeten Fällen zur Verbesserung<br />

der Betreuungsrelation, abweichend vom Durchschnitt,<br />

genutzt werden.<br />

4.1.2 Rechtsanspruch<br />

Für <strong>alle</strong> K<strong>in</strong>der ist e<strong>in</strong> Rechtsanspruch auf e<strong>in</strong>en<br />

Ganztagsplatz im K<strong>in</strong>dergarten abzusichern. Die<br />

Plätze <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dergärten und Vorschule<strong>in</strong>richtungen<br />

s<strong>in</strong>d bedarfsabhängig vorzuhalten. Das<br />

gilt auch <strong>für</strong> ihre Öffnungszeiten.<br />

4.1.3 Ke<strong>in</strong>e Reduktion der Ressourcen aufgrund<br />

des demografischen Wandels<br />

Der mit der demografischen Entwicklung zu<br />

erwartende Geburtenrückgang darf nicht dazu


führen, dass <strong>die</strong> Mittelzuweisung pro K<strong>in</strong>d im<br />

frühpädagogischen Bereich abgesenkt wird.<br />

Erschließbare Effizienzreserven sollen im System<br />

Frühpädagogik verbleiben und <strong>für</strong> <strong>die</strong> Verbesserung<br />

der <strong>in</strong>dividuellen Förderung, zum<br />

Ausgleich von Benachteiligungen und zur Qualitätsentwicklung<br />

der Arbeit, <strong>in</strong>sbesondere der<br />

Aus- und Weiterbildung, e<strong>in</strong>gesetzt werden.<br />

4.1.4 Investition <strong>in</strong> Bildung<br />

Die Expertenkommission sieht aufgrund der<br />

großen bildungspolitischen Herausforderungen<br />

e<strong>in</strong>erseits und der begrenzten F<strong>in</strong>anzmittel<br />

des Landes andererseits ke<strong>in</strong>e Priorität<br />

bei der Absenkung der Elternbeiträge <strong>für</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen.<br />

Sie fordert das Land<br />

auf, se<strong>in</strong>e Pläne zur Reduzierung der Elternbeiträge<br />

zu überdenken oder zum<strong>in</strong>dest zielgenauere<br />

Projekte zu verfolgen.<br />

4.2 Empfehlungen zur Qualitätsentwicklung<br />

4.2.1 Rahmenplan/Bildungsplan<br />

E<strong>in</strong> weiter zu entwickelnder Rahmenplan/Bildungsplan<br />

soll <strong>die</strong> gesamte Entwicklung der K<strong>in</strong>der<br />

von 0 bis 10 Jahren umfassen und somit <strong>die</strong><br />

Bildungs<strong>in</strong>stitutionen Krippe, K<strong>in</strong>dergarten,<br />

Tagespflege, Hort und Grundschule e<strong>in</strong>schließen.<br />

Der Rahmenplan/ Bildungsplan ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Volltextfassung und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gekürzten Zusammenfassung<br />

(Praxisleitfaden) zu erstellen.<br />

In den Rahmenplan/Bildungsplan müssen <strong>die</strong><br />

grundlegenden Elemente <strong>für</strong> Bildung, Erziehung<br />

und Betreuung aufgenommen werden.<br />

Die Regelungen des KiföG M-V s<strong>in</strong>d entsprechend<br />

zu ergänzen. Die Beschlüsse der Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz<br />

und der Jugend- und<br />

Familienm<strong>in</strong>isterkonferenz s<strong>in</strong>d zu beachten.<br />

4.2.2 Gender: geschlechtergerechte Pädagogik<br />

<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

Kurzfristig ist es wichtig, männliche Erzieher<br />

<strong>für</strong> den Beruf zu gew<strong>in</strong>nen, weil Jungen sich<br />

von Männern geschlechtstypisch angenommen<br />

fühlen. Männer können auf Machtrituale von<br />

Jungen so e<strong>in</strong>gehen, dass <strong>die</strong>se sich nicht beschämt<br />

fühlen. K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> das geschlechtsstereotype<br />

Verhalten partiell aufgeben, s<strong>in</strong>d zu<br />

unterstützen, d. h., sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrer <strong>in</strong>dividuellen<br />

Geschlechterrollenf<strong>in</strong>dung zu stärken.<br />

Da<strong>für</strong> muss <strong>die</strong> Abweichung nicht generell als<br />

etwas Irritierendes abgelehnt, sondern als etwas<br />

Kreatives, <strong>die</strong> Individualität Förderndes<br />

unterstützt werden. In den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

soll verstärkt auf Bewegung und Expressivität<br />

(Musik, Tanz, Theater ...) Wert gelegt<br />

werden.<br />

4.2.3 Sprachförderung<br />

K<strong>in</strong>der mit Förderbedarf h<strong>in</strong>sichtlich ihrer<br />

Sprachentwicklung sollen e<strong>in</strong>e besondere und<br />

gezielte Förderung erhalten. Sprachförderung<br />

ist vor <strong>alle</strong>m auf kommunikative Sprachsituationen<br />

und auf das Entwickeln von Interesse und<br />

Freude am sprachlichen Ausdruck zu orientieren.<br />

Die Förderung sollte möglichst unter Beteiligung<br />

e<strong>in</strong>es dem K<strong>in</strong>d vertrauten Erziehers<br />

und der Erziehungsberechtigten erfolgen. Wie<br />

<strong>alle</strong> anderen Bildungsmaßnahmen ist auch<br />

Sprachförderung kompetenzorientiert zu gestalten.<br />

Die Sprachförderung ist im KiföG<br />

M-V verb<strong>in</strong>dlich zu regeln.<br />

4.2.4 Förderung von Selbstbewusstse<strong>in</strong>, Selbstwirksamkeit<br />

u. Widerstandsfähigkeit (Resilienz)<br />

Im Rahmenplan ist festzulegen, dass es <strong>in</strong> jeder<br />

E<strong>in</strong>richtung darum gehen soll, den K<strong>in</strong>dern<br />

Selbstvertrauen und Selbstbewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em wertschätzenden Erziehungs- und Bildungsklima<br />

zu vermitteln, <strong>die</strong> Folgen von K<strong>in</strong>derarmut<br />

durch Förderung von Selbstbewusstse<strong>in</strong><br />

und Widerstandsfähigkeit zu<br />

reduzieren und Chancengleichheit/Chancengerechtigkeit<br />

zu sichern,<br />

• <strong>die</strong> Erziehungs- und Bildungskompetenz<br />

der Erziehungsberechtigten durch Infor-<br />

117


118<br />

mations-, Beratungs-, Bildungs- und Kooperationsangebote<br />

zu stärken,<br />

• geme<strong>in</strong>wesenorientierte Aktivitäten durch<br />

Bildungsangebote <strong>für</strong> Erziehungsberechtigte<br />

zu fördern,<br />

• <strong>die</strong> Hausbesuche der Erzieher als Unterstützungsangebote<br />

<strong>für</strong> Erziehungsberechtigte<br />

zu gestalten, um <strong>die</strong> geme<strong>in</strong>same Verantwortung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Erziehung und Bildung<br />

der K<strong>in</strong>der zu festigen und Erziehungsberechtigte<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Partizipation zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

4.2.5 Fachliche Vor- und Nachbereitung der<br />

Bildungsarbeit<br />

Auf Grund von fachlichen Expertisen benötigen<br />

<strong>die</strong> Erzieher e<strong>in</strong>e angemessene Zeit <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Vor- und Nachbereitung der Bildungsarbeit<br />

sowie <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausbildung von Praktikanten.<br />

E<strong>in</strong>e entsprechende Regelung ist im KiföG M-<br />

V festzuschreiben.<br />

4.2.6 Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten<br />

Die Arbeit <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen ist geprägt<br />

durch e<strong>in</strong>e gleichberechtigte Partnerschaft<br />

zwischen den Erziehern und den<br />

Erziehungsberechtigten. Dieser Grundsatz ist<br />

<strong>in</strong> den Rahmenplan aufzunehmen.<br />

4.2.7 Weiterentwicklung der Bildungsangebote<br />

<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen und Grundschulen<br />

Um K<strong>in</strong>der wirksam und <strong>in</strong>dividuell fördern<br />

zu können und mehr Chancengleichheit/<br />

Chancengerechtigkeit zu ermöglichen, sollen<br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen und Grundschulen<br />

geme<strong>in</strong>sam und gut mit den Erziehungsberechtigten<br />

zusammenarbeiten. Auf <strong>die</strong>se Weise<br />

soll e<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>uität <strong>in</strong> der Erziehung und<br />

Bildung <strong>in</strong> Elternhaus, Schule und<br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung gewährleistet werden.<br />

Elternabende <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

s<strong>in</strong>d verstärkt dazu zu nutzen, um – Anre-<br />

gungen und Wünsche der Eltern aufgreifend<br />

– Bildungsangebote (thematische Elternabende)<br />

<strong>für</strong> Erziehungsberechtigte durchzuführen<br />

oder zu organisieren. Dabei s<strong>in</strong>d sozialräumliche<br />

Angebote und Besonderheiten<br />

e<strong>in</strong>zubeziehen. Die K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

und <strong>die</strong> Grundschulen können sich auf <strong>die</strong>sem<br />

Weg zu geme<strong>in</strong>samen, <strong>in</strong>formellen „Kommunikations-<br />

und Bildungshäusern“ entwickeln.<br />

In das KiföG M-V und <strong>in</strong> das SchulG M-V<br />

s<strong>in</strong>d entsprechende Regelungen aufzunehmen.<br />

Die Kostenaufteilung hier<strong>für</strong> muss zwischen<br />

dem Land und den Geme<strong>in</strong>den geregelt werden.<br />

4.2.8 Beschäftigungsumfang <strong>für</strong> Erzieher<br />

Die Qualität von Bildungs- und Erziehungsprozessen<br />

ist wesentlich durch personelle<br />

Kont<strong>in</strong>uität bee<strong>in</strong>flusst. Aus pädagogischer<br />

Sicht ist somit e<strong>in</strong>e Vollbeschäftigung der Erzieher<br />

<strong>in</strong> Ganztagsangeboten s<strong>in</strong>nvoll. Angesichts<br />

der demografischen Entwicklung und<br />

des damit verbundenen Rückgangs der Anzahl<br />

an K<strong>in</strong>dern wird <strong>die</strong>s jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Regionen<br />

nicht erreichbar se<strong>in</strong>. Arbeitsverträge<br />

sollen daher e<strong>in</strong>e Arbeitszeit von 4 Stunden<br />

täglich nicht unterschreiten.<br />

4.2.9 Vergütung der Erzieher<br />

Die Vergütung des Fachpersonals soll sich<br />

derzeit gemäß Gesetz an Tarifen orientieren.<br />

Da <strong>die</strong>se höchst unterschiedlich ausf<strong>alle</strong>n können,<br />

sche<strong>in</strong>t <strong>die</strong> Festlegung e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>destlohnes<br />

s<strong>in</strong>nvoll. Die Landesregierung wird gebeten,<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es M<strong>in</strong>destlohnes zu<br />

prüfen. Die Zuweisung der F<strong>in</strong>anzmittel an<br />

<strong>die</strong> Träger der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen soll<br />

<strong>in</strong> jedem Fall an <strong>die</strong> E<strong>in</strong>haltung der jeweiligen<br />

Tariflöhne gebunden werden.


4.2.10 Integrative Erziehung, Bildung und<br />

Betreuung<br />

K<strong>in</strong>der mit besonderen Bedürfnissen, seien es<br />

beh<strong>in</strong>derte oder von Beh<strong>in</strong>derung bedrohte<br />

K<strong>in</strong>der, K<strong>in</strong>der mit Entwicklungsrückständen<br />

oder mit Verhaltensauffälligkeiten sowie K<strong>in</strong>der<br />

mit außergewöhnlichen Belastungen <strong>in</strong> der<br />

Familie oder im familiären Umfeld s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>tegrativ<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> E<strong>in</strong>richtungen aufzunehmen und<br />

geme<strong>in</strong>sam mit <strong>alle</strong>n anderen K<strong>in</strong>dern zu fördern.<br />

In der Aus-, Fort- und Weiterbildung <strong>für</strong><br />

Erzieher ist e<strong>in</strong> Qualifizierungsangebot <strong>für</strong> <strong>in</strong>tegrative<br />

Erziehung vorzusehen. Im KiföG M-<br />

V, § 2, Abs. 6, Satz 1, ist das Wort „<strong>in</strong>tegrativ“<br />

zu streichen.<br />

4.2.11 Umgang mit Fremdheit und Fremden<br />

In den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen soll künftig<br />

verstärkt <strong>die</strong> <strong>in</strong>terkulturelle Kompetenz der<br />

K<strong>in</strong>der gefördert werden. Der Umgang mit<br />

Fremdheit ist als Bereicherung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Entwicklungsförderung zu nutzen und mit<br />

Anerkennung und Wertschätzung zu verb<strong>in</strong>den.<br />

Fremdheit bzw. Unterschiedlichkeit<br />

me<strong>in</strong>t <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Zusammenhang nicht nur<br />

Migration, sondern auch unterschiedliche Lebensformen<br />

oder Lebensstile. Fremde <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />

S<strong>in</strong>ne können nicht nur Angehörige anderer<br />

Ethnien se<strong>in</strong>, sondern z. B. auch Angehörige<br />

anderer Religionsgeme<strong>in</strong>schaften, anderer sozialer<br />

Lagen, des anderen Geschlechts oder <strong>in</strong><br />

anderen Familienformen Lebende.<br />

4.3 Empfehlungen zur <strong>in</strong>dividuellen Förderung<br />

4.3.1 E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Kompetenzfeststellungsverfahrens<br />

Mit dem Ziel, e<strong>in</strong>en möglichen <strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderbedarf rechtzeitig vor Beg<strong>in</strong>n der E<strong>in</strong>schulung<br />

festzustellen und im Bedarfsfall e<strong>in</strong>e<br />

entsprechende Förderung der K<strong>in</strong>der zur Vorbereitung<br />

auf <strong>die</strong> Schule sicherstellen zu können,<br />

wird ähnlich wie <strong>in</strong> anderen Bundesländern<br />

(z. B. Baden-Württemberg, Hamburg) <strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung<br />

e<strong>in</strong>es Kompetenzfeststellungsverfahrens<br />

vor Beg<strong>in</strong>n des letzten Jahres vor der E<strong>in</strong>schulung<br />

empfohlen. Mit der<br />

Kompetenzfeststellung sollen <strong>die</strong> Vorläuferfähigkeiten<br />

der K<strong>in</strong>der im mathematischen und<br />

sprachlichen Bereich erfasst werden, um<br />

sicherzustellen, dass möglichst <strong>alle</strong> K<strong>in</strong>der h<strong>in</strong>reichende<br />

Fähigkeiten erworben haben, um am<br />

Schulunterricht der Grundschule erfolgreich<br />

teilnehmen zu können.<br />

Im E<strong>in</strong>zelnen soll vorgesehen werden:<br />

1. Diejenigen K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dertagesstätte<br />

betreut und gefördert werden,<br />

werden von ihren Erziehungsberechtigten<br />

zu e<strong>in</strong>em festgelegten Term<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Schule<br />

vorgestellt. In e<strong>in</strong>em Kompetenzfeststellungsverfahren<br />

werden <strong>die</strong> Vorläuferfähigkeiten<br />

der K<strong>in</strong>der im mathematischen<br />

und sprachlichen Bereich erfasst. Stellt sich<br />

dabei heraus, dass <strong>die</strong> Kompetenzentwicklung<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

nicht ausreichen wird, um erfolgreich<br />

am Schulunterricht teilzunehmen,<br />

wird den Erziehungsberechtigten dr<strong>in</strong>gend<br />

nahegelegt, ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> dem Jahr vor Beg<strong>in</strong>n<br />

der Schulpflicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung<br />

fördern zu lassen. Die Inanspruchnahme<br />

der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung<br />

ist <strong>für</strong> <strong>die</strong>se K<strong>in</strong>der gebührenfrei, da <strong>für</strong> sie<br />

bisher e<strong>in</strong> solches – weitgehend staatlich f<strong>in</strong>anziertes<br />

– Förderangebot nicht <strong>in</strong> Anspruch<br />

genommen wurde.<br />

2. Für <strong>die</strong> Implementierung des Kompetenzfeststellungsverfahrens<br />

und <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e gezielte<br />

Förderung s<strong>in</strong>d Weiterbildungsmodule <strong>für</strong><br />

Mitarbeiter der K<strong>in</strong>dertagesstätten und <strong>für</strong><br />

Grundschulkräfte zu entwickeln.<br />

3. Die Schule<strong>in</strong>gangsuntersuchung, <strong>die</strong> sich<br />

auf den Gesundheitszustand des e<strong>in</strong>zuschulenden<br />

K<strong>in</strong>des bezieht, kann entf<strong>alle</strong>n,<br />

wenn <strong>die</strong> Erziehungsberechtigten e<strong>in</strong>en Be-<br />

119


120<br />

scheid über <strong>die</strong> fast zeitgleiche Früherkennungsuntersuchung<br />

(U 9) vorlegen.<br />

4. Die gegebenenfalls frei werdenden schulärztlichen<br />

Kapazitäten sollen <strong>für</strong> Beratungsangebote<br />

der Schulärzte im Rahmen<br />

der Gesundheitserziehung <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

und Grundschulen, aber<br />

auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Beratung von Erziehungsberechtigten<br />

genutzt werden.<br />

5. In das KiföG M-V ist aufzunehmen, dass<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>richtungen verpflichtet s<strong>in</strong>d, dem<br />

örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe<br />

( Jugendamt) rechtzeitig mitzuteilen, welche<br />

K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> <strong>die</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten besuchen,<br />

e<strong>in</strong>zuschulen s<strong>in</strong>d.<br />

6. Entsprechende rechtliche Regelungen s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> das KiföG M-V sowie ggf. <strong>in</strong> das SchulG<br />

M-V aufzunehmen.<br />

7. Im KiföG M-V § 16 ist e<strong>in</strong> neuer Abs. 2 mit<br />

folgendem Wortlaut e<strong>in</strong>zufügen: (2) In <strong>die</strong><br />

Leistungsverträge nach Abs. 1 aufzunehmen,<br />

ist <strong>die</strong> Sicherung von Kompetenzfeststellungen<br />

h<strong>in</strong>sichtlich der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderbedarfe der K<strong>in</strong>der zur Vorbereitung<br />

auf <strong>die</strong> Schule. Die Kompetenzfeststellungen<br />

s<strong>in</strong>d Teil der Schule<strong>in</strong>gangsuntersuchung.<br />

Sie erfolgen i. d. R. <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagesstätten.<br />

Für <strong>die</strong>jenigen K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> noch<br />

ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung besucht haben<br />

und deren Erziehungsberechtigten aufgrund<br />

der Kompetenzfeststellung nahe gelegt<br />

wird, zur Förderung <strong>in</strong>dividueller<br />

Kompetenzen, e<strong>in</strong> Jahr vor Aufnahme <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Schule, e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung zu besuchen,<br />

ist <strong>die</strong> Inanspruchnahme der<br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung gebührenfrei. Die<br />

Kosten s<strong>in</strong>d vom Land zu übernehmen.<br />

8. Entsprechende rechtliche Regelungen sollen<br />

<strong>in</strong> das KiföG M-V und ggf. <strong>in</strong> das SchulG M-<br />

V aufgenommen werden. Die Schulpflichtverordnung<br />

– SchPflVO M-V ist zu ändern.<br />

4.3.2 Individuelle Förderung – regelmäßige<br />

Kompetenzfeststellungen und das Portfolio des<br />

K<strong>in</strong>des<br />

Auf der Grundlage der Kompetenzbereiche<br />

des Rahmenplanes soll beim E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den<br />

K<strong>in</strong>dergarten e<strong>in</strong> Kompetenzfeststellungsverfahren<br />

e<strong>in</strong>geführt werden. Das Verfahren <strong>die</strong>nt<br />

der Ermittlung der <strong>in</strong>dividuellen Kompetenzentwicklung<br />

und des <strong>in</strong>dividuellen Förderbedarfs<br />

jedes K<strong>in</strong>des. Der Feststellung des<br />

sprachlichen Niveaus ist dabei e<strong>in</strong>e besondere<br />

Aufmerksamkeit zu widmen. Für jedes K<strong>in</strong>d<br />

ist e<strong>in</strong> Portfolio zu führen, <strong>in</strong> dem <strong>die</strong> Förderpläne<br />

und –maßnahmen sowie <strong>die</strong> Ergebnisse<br />

der Förderung zu h<strong>in</strong>terlegen s<strong>in</strong>d.<br />

4.3.3 Übergänge<br />

Um <strong>die</strong> zum Teil bereits bestehende Zusammenarbeit<br />

zwischen den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

und den Grundschulen qualitativ zu<br />

verbessern und flächendeckend sicherzustellen,<br />

wird e<strong>in</strong>e verpflichtende, <strong>in</strong>tensive Kooperation<br />

der beiden E<strong>in</strong>richtungen <strong>für</strong> notwendig erachtet.<br />

Diese im KiföG M-V <strong>in</strong> Ansätzen geregelte<br />

und im Schulgesetz noch zu regelnde<br />

Zusammenarbeit soll durch grundlegende im<br />

Rahmenplan/Bildungsplan ausgewiesene Maßnahmen<br />

erfolgen. Im Rahmenplan/Bildungsplan<br />

sollen <strong>die</strong> mit Übergängen <strong>in</strong>sgesamt verbundenen<br />

Identitätsrisiken konzeptionell<br />

bearbeitet werden.<br />

4.4 Empfehlungen zur Aus-, Fort- und<br />

Weiterbildung der Erzieher<br />

4.4.1 Ausbildung der Erzieher an Fachschulen<br />

Auf <strong>die</strong> Fachschulausbildung mit dem Ausbildungsziel<br />

„Staatlich anerkannte Erzieher<strong>in</strong>“<br />

kann das Land <strong>in</strong> absehbarer Zeit nicht verzichten.<br />

Die Ausbildung soll durch Spezialisierung<br />

<strong>in</strong> bildungs- und jugendhilfebezogenen<br />

Bereichen und durch Modularisierung<br />

modernisiert sowie auf maximal dreie<strong>in</strong>halb


Jahre verkürzt werden. Hierdurch frei werdende<br />

Ausbildungskapazitäten s<strong>in</strong>d <strong>für</strong> Weiterbildung<br />

zu nutzen. Die Kooperation zwischen<br />

den Beruflichen Schulen und der<br />

Hochschule Neubrandenburg, Stu<strong>die</strong>ngang<br />

„Early Education“, ist sicherzustellen. Um e<strong>in</strong>e<br />

hohe Qualität <strong>in</strong> der Ausbildung der Erzieher<br />

zu gewährleisten, sollen langfristig zertifizierte<br />

Ausbildungs-K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen –<br />

analog zum Schulbereich – geschaffen werden.<br />

Integrierte Ausbildungsmodelle von<br />

Fachschule und Hochschule s<strong>in</strong>d zu entwickeln.<br />

4.4.2 Ausbildung der Erzieher an der Hochschule<br />

E<strong>in</strong>e schrittweise Ausbildung der Erzieher <strong>für</strong><br />

K<strong>in</strong>dertagesstätten an den Hochschulen ist<br />

<strong>in</strong>sbesondere mit Blick auf e<strong>in</strong>e verbesserte<br />

Qualität der Bildungsarbeit wünschenswert.<br />

Die Expertenkommission hält es <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />

Zusammenhang <strong>für</strong> erforderlich, den Stu<strong>die</strong>ngang<br />

„Early Education“ an der Hochschule<br />

Neubrandenburg künftig angemessen auszustatten.<br />

Das Land soll spätestens im Rahmen<br />

der nächsten Zielvere<strong>in</strong>barungsverhandlungen<br />

gegenüber der Hochschule e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

M<strong>in</strong>destausstattung sicherstellen. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus ist zu prüfen, ob und wie bei der Neuordnung<br />

der Lehrerbildung zusätzlich e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tegriertes<br />

Studium der Elementar- und Primarpädagogik<br />

gewährleistet werden kann. Die<br />

Kooperation zwischen der Universität Rostock<br />

und der Hochschule Neubrandenburg ist sicherzustellen<br />

und könnte bei erfolgreicher<br />

Umsetzung des Modellversuchs „Promotionen<br />

an Fachhochschulen“ (s. auch Empfehlung<br />

6.1.4 Promotionsrecht an Fachhochschulen)<br />

auch zu e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Graduiertenkolleg<br />

führen.<br />

4.4.3 Fort- und Weiterbildung der Erzieher und<br />

der Tagespflegepersonen<br />

Die formale Qualifikation der Erzieher ist <strong>in</strong><br />

jeder K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung zu gewährleisten.<br />

Alle Erzieher und Tagespflegepersonen müssen<br />

regelmäßig an Fort- und Weiterbildungen<br />

teilnehmen. Hier<strong>für</strong> s<strong>in</strong>d Standards und Curricula<br />

zu entwickeln, <strong>die</strong> sich am Rahmenplan<br />

des Landes orientieren. Die Betriebserlaubnis<br />

jeder K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung ist auch an <strong>die</strong><br />

Nachweise über <strong>die</strong> Qualifikation des Personals<br />

sowie über <strong>die</strong> Teilnahme an Fort- und<br />

Weiterbildung zu b<strong>in</strong>den.<br />

4.4.4 Qualifikation der Tagespflegepersonen<br />

Da <strong>die</strong> Tagespflege e<strong>in</strong>e Form der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung<br />

ist, sollen Tagespflegepersonen<br />

Qualifikationen nachweisen, <strong>die</strong> denen von Erziehern<br />

entsprechen oder mit <strong>die</strong>sen vergleichbar<br />

s<strong>in</strong>d. Den Tagespflegepersonen s<strong>in</strong>d da<strong>für</strong> geeignete<br />

Qualifizierungsprogramme anzubieten.<br />

Die gemäß KiföG M-V vorgeschriebenen<br />

Individualverhandlungen s<strong>in</strong>d unter Berücksichtigung<br />

der nachgewiesenen Qualifikationen<br />

auch hier anzuwenden.<br />

4.5 Empfehlungen zur Qualitätssicherung<br />

4.5.1 Portfolio der Fachkräfte/Selbstevaluation<br />

Zur Qualitätssicherung der Arbeit der Erzieher<br />

sowie zur Ermittlung der Bildungsergebnisse<br />

sollen Instrumente der Selbstevaluation<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden. Es wird empfohlen,<br />

e<strong>in</strong>en Modellversuch zur Erprobung von Portfolios<br />

<strong>für</strong> Fachkräfte als Element der Selbstevaluation<br />

durchzuführen.<br />

4.5.2 Qualitätsmanagement/Fremdevaluation<br />

Die Expertenkommission empfiehlt, im KiföG<br />

vorzusehen, dass <strong>die</strong> gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Weiterbildungsmaßnahmen sowie e<strong>in</strong><br />

System des Qualitätsmanagements notwendige<br />

Bestandteile der pädagogischen Konzepte<br />

der E<strong>in</strong>richtungen s<strong>in</strong>d. Über <strong>die</strong> Leistungsverträge<br />

ist sicherzustellen, dass <strong>die</strong> Qualitätskriterien<br />

des Rahmenplans/Bildungsplans e<strong>in</strong>-<br />

121


122<br />

gehalten werden. Dies ist regelmäßig zu<br />

überprüfen.<br />

a) b) Stellungnahme der Landesregierung vom<br />

24.04.09 (Drs. 5/2528, S. 5 f.)<br />

4.1.1: Bund und Länder sehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gerechten<br />

Zugang zu Bildung – unabhängig von<br />

der sozialen Herkunft – e<strong>in</strong> Leitpr<strong>in</strong>zip verantwortlicher<br />

Bildungspolitik. In Anbetracht<br />

der zunehmenden Zahl der K<strong>in</strong>der aus bedürftigen<br />

bzw. bildungsfernen Familien ist <strong>die</strong><br />

Landesregierung der Auffassung, dass <strong>für</strong> den<br />

Ausgleich sozialer Benachteiligungen erheblicher<br />

Handlungsbedarf besteht.<br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen mit besonderer Bedarfslage<br />

s<strong>in</strong>d personell zu unterstützen und<br />

durch ergänzende Angebote zu flankieren. Die<br />

Maßnahmen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> bestimmten Zeitabständen<br />

zu evaluieren, um <strong>die</strong> Nachhaltigkeit und<br />

Effizienz des Verfahrens sicherstellen bzw. optimieren<br />

zu können. Zur Bedarfsfeststellung<br />

s<strong>in</strong>d ausgewählte soziale Kriterien zu erarbeiten.<br />

Im Zusammenhang mit der Novellierung<br />

des KiföG M-V prüft <strong>die</strong> Landesregierung<br />

derzeit, welche Instrumente geeignet s<strong>in</strong>d, um<br />

<strong>die</strong> <strong>in</strong>dividuelle Förderung <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der zu gewährleisten.<br />

Dabei ist zu beachten, dass nach dem KiföG<br />

M-V bereits <strong>die</strong> Möglichkeit besteht, der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderung von K<strong>in</strong>dern Rechnung<br />

zu tragen. Das betrifft <strong>in</strong>sbesondere <strong>die</strong> Ausgestaltung<br />

der Betreuungsschlüssel (§ 10 Abs.<br />

5) und <strong>die</strong> Verteilung der Landes- und Kreismittel<br />

(§ 19).<br />

4.1.2: Für <strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es generellen<br />

Rechtsanspruchs auf e<strong>in</strong>en Ganztagsplatz <strong>für</strong><br />

3-bis 6-Jährige ist <strong>die</strong> Frage von Bedeutung, ob<br />

e<strong>in</strong> ursächlicher Zusammenhang zwischen der<br />

Ausweitung des Rechtsanspruchs und der<br />

Verbesserung der Entwicklungschancen <strong>alle</strong>r<br />

K<strong>in</strong>der besteht. Damit verbunden ist auch <strong>die</strong><br />

Klärung der Frage, wie viel <strong>in</strong>stitutionelle Unterstützung<br />

e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d tatsächlich braucht, um<br />

sich optimal zu entfalten.<br />

Vor dem H<strong>in</strong>tergrund, dass bereits jetzt ca.<br />

97 % <strong>alle</strong>r K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dergarten bzw.<br />

e<strong>in</strong>e Tagespflege nutzen, wird vorgeschlagen<br />

zu prüfen, ob nicht e<strong>in</strong>e frühere Förderung –<br />

beg<strong>in</strong>nend <strong>in</strong> der Krippe oder Tagespflege –<br />

zielführender ist (kont<strong>in</strong>uierliche Förderung<br />

und Durchlässigkeit der Maßnahmen).<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Empfehlung, bedarfsgerechte<br />

Öffnungszeiten vorzuhalten, vertritt <strong>die</strong> Landesregierung<br />

<strong>die</strong> Auffassung, dass bereits das<br />

bestehende Gesetz <strong>die</strong> Möglichkeit dazu bietet.<br />

Darüber h<strong>in</strong>ausgehender Bedarf der Personensorgeberechtigten<br />

ist durch entsprechende<br />

Angebote (z. B. Tagespflege) zu<br />

ergänzen, wobei <strong>in</strong>sbesondere das K<strong>in</strong>deswohl<br />

gewährleistet se<strong>in</strong> muss.<br />

4.1.3: Die Landesregierung weist darauf h<strong>in</strong>,<br />

dass e<strong>in</strong> Automatismus zwischen dem demografischen<br />

Wandel e<strong>in</strong>erseits und der Forderung,<br />

<strong>die</strong> Ressourcen nicht zu reduzieren,<br />

nicht gesehen wird. Vielmehr ist zu berücksichtigen,<br />

dass <strong>die</strong> Betreuungszahlen im Bereich<br />

der K<strong>in</strong>dertagesförderung vorerst nicht<br />

rückläufig s<strong>in</strong>d. Dies ist vor <strong>alle</strong>m auf <strong>die</strong><br />

jüngsten bundespolitischen Maßnahmen (Elterngeld,<br />

Absetzbarkeit der Betreuungskosten<br />

etc.) zurückzuführen. Darüber h<strong>in</strong>aus ist zu<br />

vermuten, dass <strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung des Rechtsanspruches<br />

ab dem K<strong>in</strong>dergartenjahr 2013/2014<br />

<strong>für</strong> K<strong>in</strong>der ab dem ersten Lebensjahr dazu<br />

führen wird, dass <strong>die</strong> Betreuungsquote im Bereich<br />

der Altersgruppe unter 3 Jahren leicht<br />

zunehmen wird. Sofern es sich abzeichnen<br />

sollte, dass <strong>die</strong> K<strong>in</strong>derzahlen und <strong>die</strong> Inanspruchnahme<br />

von Angeboten der K<strong>in</strong>dertagesförderung<br />

tatsächlich zurückgehen, ist<br />

über den E<strong>in</strong>satz der bisher <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Aufgabenbereich<br />

verwendeten F<strong>in</strong>anzmittel politisch<br />

zu entscheiden. E<strong>in</strong>e Weiterentwicklung


und Verbesserung qualitativer Standards kann<br />

nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass <strong>die</strong>se<br />

auch f<strong>in</strong>anziell untersetzt werden. ...<br />

4.1.4: Die Landesregierung vertritt <strong>die</strong> Auffassung,<br />

dass bei Investitionen <strong>in</strong> Bildung genau<br />

zu ermitteln ist, welche Maßnahmen wann<br />

und wo zielführend e<strong>in</strong>- bzw. umgesetzt werden<br />

können. Dabei s<strong>in</strong>d bestehende Investitionen<br />

(auch durch wissenschaftliche Praxisanalysen)<br />

auf ihre Effizienz h<strong>in</strong> zu untersuchen.<br />

Bei der Novellierung des KiföG M-V werden<br />

<strong>die</strong>se und weitere Fragen und Sachverhalte geprüft.<br />

b) Frühe Förderung <strong>in</strong> der KITA<br />

Bildungskonzeption <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der im Alter von<br />

0 bis 10 Jahren<br />

So wurden am 13. Februar 2008 durch den<br />

Bildungsm<strong>in</strong>ister Herrn Tesch Mitglieder <strong>für</strong><br />

e<strong>in</strong>e Projektgruppe berufen, <strong>die</strong> sich mit der<br />

Weiterentwicklung des bisher existierenden<br />

Rahmenplans h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er frühk<strong>in</strong>dlichen Bildungskonzeption<br />

<strong>für</strong> K<strong>in</strong>der im Alter von 0<br />

bis 10 Jahren befasst. Diese Projektgruppe, <strong>die</strong><br />

aus Vertretern der Wissenschaft, der Träger<br />

und Verbände, des LAGuS/Landesjugendamtes,<br />

des Sozialm<strong>in</strong>isteriums und aus Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

me<strong>in</strong>er Abteilung besteht, wird<br />

von Frau Dr. Mett, Referat 202, geleitet.<br />

Im Vordergrund der Bildungsbemühungen im<br />

Elementarbereich steht:<br />

• der Erwerb grundlegender Kompetenzen<br />

und<br />

• <strong>die</strong> Entwicklung und Stärkung persönlicher<br />

Ressourcen, <strong>die</strong> das K<strong>in</strong>d motivieren und<br />

darauf vorbereiten, künftige Lebens- und<br />

Lernaufgaben aufzugreifen und zu bewältigen,<br />

verantwortlich am gesellschaftlichen<br />

Leben teilzuhaben und e<strong>in</strong> Leben lang zu<br />

lernen.<br />

• <strong>die</strong> Anleitung zur Dokumentation von Entwicklungsverläufen<br />

der e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>der<br />

(<strong>in</strong>sbesondere <strong>die</strong> sprachliche Entwicklung).<br />

Zudem geht es darum, Hilfestellungen <strong>für</strong><br />

das frühe Erkennen von besonderen Problemlagen<br />

oder auch <strong>für</strong> den <strong>in</strong>dividuellen<br />

Förderbedarf von K<strong>in</strong>dern zu geben. Demokratie-,<br />

Gesundheits- und Umwelterziehung<br />

s<strong>in</strong>d ebenfalls als durchgängige Pr<strong>in</strong>zipien<br />

aufzugreifen etc.<br />

Gliederung der Bildungskonzeption<br />

0 bis 10:<br />

1. Leitgedanken/Rechtliche E<strong>in</strong>ordnung<br />

2. Ziele aus Sicht der Beteiligten (Eltern und<br />

K<strong>in</strong>der, pädagogische Fachkräfte,...)<br />

3. Formen der Arbeit im Übergang (mit den<br />

Eltern, im Hort, ...)<br />

4. Anforderungen an <strong>die</strong> Fachkräfte<br />

5. Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

6. Qualitätskriterien... (<strong>für</strong> den entsprechenden<br />

Bereich)<br />

7. Praxisbeispiele<br />

Zeitschiene:<br />

Februar/März 2009: 4 Regionalkonferenzen<br />

Juni–September 2009: Anhörung via Internet<br />

November 2009: Landesweite Fachtagung<br />

Frühjahr 2010: Landesweite Fortbildungen<br />

c) Landesverordnung über <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel<br />

nach § 18 Absatz 3 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

vom 30. März 2009 (F<strong>in</strong>L-<br />

VOKiföG M-V)<br />

Das Kab<strong>in</strong>ett hat <strong>die</strong>ser F<strong>in</strong>LVOKiföG M-V<br />

zugestimmt.<br />

§ 1 Verwendung der F<strong>in</strong>anzmittel<br />

(1) Die F<strong>in</strong>anzmittel nach § 18 Absatz 3 des<br />

K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes <strong>in</strong> Höhe von<br />

jährlich 5 Mio. Euro werden ab dem Jahr 2009<br />

e<strong>in</strong>gesetzt <strong>für</strong>:<br />

12


12<br />

1. <strong>die</strong> Gewährung der zusätzlichen zeitlichen<br />

Freistellung von Fachkräften <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Erfüllung<br />

der Aufgaben nach § 2 und Maßgabe des §<br />

10 Absatz 5 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

wahrnehmen, <strong>in</strong> Höhe von jährlich<br />

1,5 Mio. Euro,<br />

2. <strong>die</strong> zusätzliche Ausstattung und pädagogische<br />

Ausgestaltung der Bildungs- und<br />

Erziehungsangebote <strong>in</strong> Höhe von jährlich<br />

1, 7 Mio. Euro,<br />

3. e<strong>in</strong>e anteilige F<strong>in</strong>anzierung der Kosten der<br />

Fach- und Praxisberatung nach § 14 Absatz<br />

3 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes <strong>in</strong><br />

Höhe von jährlich 1,5 Mio Euro und<br />

4. Modellprojekte <strong>in</strong> Höhe von jährlich<br />

300 000 Euro.<br />

(2) Die F<strong>in</strong>anzmittel nach § 18 Absatz 3 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

<strong>in</strong> Höhe von 6 Mio.<br />

Euro im Jahr 2008 werden e<strong>in</strong>gesetzt <strong>für</strong>:<br />

1. <strong>die</strong> Ausstattung und Ausgestaltung der Bildungs-<br />

und Erziehungsangebote im Umfang<br />

von 4,2 Mio. Euro,<br />

2. e<strong>in</strong>e anteilige F<strong>in</strong>anzierung der Kosten der<br />

Fach- und Praxisberatung nach § 14 Absatz<br />

3 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes <strong>in</strong><br />

Höhe von 1,5 Mio Euro und<br />

3. Modellprojekte von 300 000 Euro.<br />

(3) Die F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1 Nummer<br />

1 und 2 sowie Absatz 2 Nummer 1 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

den Leistungsverträgen oder <strong>in</strong> den vergleichbaren<br />

Vere<strong>in</strong>barungen nach § 16 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

gesondert auszuweisen.<br />

§ 2 Verwendung der F<strong>in</strong>anzmittel gemäß § 1 Absatz<br />

1 Nummer 1<br />

Die F<strong>in</strong>anzmittel werden von den Trägern der<br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> zusätzliche<br />

Freistellung e<strong>in</strong>er verantwortlichen Fachkraft<br />

von der unmittelbaren Arbeit mit K<strong>in</strong>dern vor<br />

dem Schule<strong>in</strong>tritt im Umfang von e<strong>in</strong>er bis zu<br />

zwei Arbeitsstunden pro Woche zur Wahrnehmung<br />

folgender Aufgaben e<strong>in</strong>gesetzt:<br />

1. <strong>die</strong> Erfassung und Dokumentation der<br />

Entwicklung sowie <strong>die</strong> gezielte <strong>in</strong>dividuelle<br />

Förderung der K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Bezug<br />

auf <strong>die</strong> Sprachentwicklung,<br />

2. <strong>die</strong> Gestaltung des Übergangs vom K<strong>in</strong>dergarten<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Schule,<br />

3. <strong>die</strong> gezielte Zusammenarbeit mit den Personensorgeberechtigten<br />

und den Lehrkräften<br />

der Schulen, <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>geschult<br />

werden,<br />

4. <strong>die</strong> Beratung der Personensorgeberechtigten<br />

bei der Wahrnehmung ihrer Rechte<br />

sowie der Erfüllung ihrer Bildungs- und<br />

Erziehungspflichten und<br />

5. <strong>die</strong> notwendige Weiterbildung zur Umsetzung<br />

der vom M<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong> Bildung,<br />

Wissenschaft und Kultur herausgegebenen<br />

frühk<strong>in</strong>dlichen Bildungskonzeption, deren<br />

E<strong>in</strong>führung schrittweise bis zum 1. September<br />

2011 im E<strong>in</strong>vernehmen mit den jeweiligen<br />

Dach- oder Spitzenverbänden der<br />

Träger erfolgt und ab dem genannten Datum<br />

landesweit e<strong>in</strong>heitlich den Rahmen <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> pädagogische Arbeit <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

bildet.<br />

§ 3 Verwendung der F<strong>in</strong>anzmittel gemäß § 1 Absatz<br />

1 Nummer 2 und Absatz 2 Nummer 1<br />

Die F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1 Nummer 2<br />

und Absatz 2 Nummer 1 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere <strong>für</strong>:<br />

1. zusätzliche Spiel- und Lernmaterialien, <strong>die</strong><br />

zur Umsetzung der frühk<strong>in</strong>dlichen Bildungskonzeption<br />

des Landes notwendig<br />

und angemessen s<strong>in</strong>d,<br />

2. Aufwendungen <strong>für</strong> zusätzliche Lerngebote,


<strong>in</strong>sbesondere <strong>für</strong> <strong>alle</strong> K<strong>in</strong>der im Alter vom<br />

vollendeten 3. Lebensjahr bis zum Schule<strong>in</strong>tritt,<br />

mit dem Ziel, der Teilnahme <strong>die</strong>ser<br />

K<strong>in</strong>der an <strong>alle</strong>n Angeboten der K<strong>in</strong>dertagesförderung<br />

und<br />

3. <strong>die</strong> Realisierung geme<strong>in</strong>samer Aktivitäten<br />

mit Schulen, mit denen e<strong>in</strong>e Kooperationsvere<strong>in</strong>barung<br />

abgeschlossenen wurde,<br />

e<strong>in</strong>zusetzen.<br />

§ 4 Verwendung der F<strong>in</strong>anzmittel<br />

gemäß § 1 Absatz 1 Nummer 3 und Absatz 2<br />

Nummer 2<br />

Die F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1 Nummer<br />

3 und Absatz 2 Nummer 2 s<strong>in</strong>d gemäß § 14<br />

Absatz 3 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

anteilig <strong>für</strong>:<br />

1. <strong>die</strong> Personalkosten <strong>für</strong> Fach- und Praxisberatung<br />

und<br />

2. auch <strong>für</strong> Honorarkosten externer Fach- und<br />

Praxisberatung<br />

e<strong>in</strong>zusetzen.<br />

§ 5 Verwendung der F<strong>in</strong>anzmittel<br />

gemäß § 1 Absatz 1 Nummer 4 und Absatz 2<br />

Nummer 3<br />

Die F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1 Nummer<br />

4 und Absatz 2 Nummer 3 werden vom M<strong>in</strong>isterium<br />

<strong>für</strong> Bildung, Wissenschaft und Kultur<br />

<strong>in</strong>sbesondere <strong>für</strong> Modellprojekte mit<br />

folgendem Schwerpunkt e<strong>in</strong>gesetzt:<br />

1. <strong>die</strong> wissenschaftliche Weiterentwicklung<br />

und Evaluation e<strong>in</strong>er frühk<strong>in</strong>dlichen Bildungskonzeption<br />

des Landes, <strong>die</strong> im Zeitraum<br />

vom 1. September 2009 bis zum 31.<br />

August 2011 schrittweise verb<strong>in</strong>dlich e<strong>in</strong>geführt<br />

wird,<br />

2. <strong>die</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>die</strong>ser frühk<strong>in</strong>dlichen Bildungskonzeption,<br />

3. <strong>die</strong> wissenschaftliche Erarbeitung von Verfahren<br />

zur Feststellung der <strong>in</strong>dividuellen<br />

Entwicklung, <strong>in</strong>sbesondere von Verfahren<br />

e<strong>in</strong>er alltags<strong>in</strong>tegrierten Sprachstandserhebung<br />

und -messung sowie von Anleitungen<br />

zur gezielten <strong>in</strong>dividuellen Förderung der<br />

K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen und<br />

deren Erprobung,<br />

4. <strong>die</strong> Initiierung und Begleitung von Qualitätsentwicklungsprozessen<br />

e<strong>in</strong>schließlich<br />

der Zertifizierung von Qualitätsstandards,<br />

5. <strong>die</strong> Verbesserung der Gestaltung des Übergangs<br />

vom K<strong>in</strong>dergarten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schule und<br />

der Kooperation von K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

mit e<strong>in</strong>er Schule,<br />

6. <strong>die</strong> Entwicklung von Maßnahmen und<br />

Konzepten, <strong>die</strong> geeignet s<strong>in</strong>d, Benachteiligungen<br />

von K<strong>in</strong>dern entgegenzuwirken und<br />

deren Erprobung sowie<br />

7. <strong>die</strong> Beteiligung des Landes an Bundesmodellprojekten<br />

im Bereich der K<strong>in</strong>dertagesförderung,<br />

<strong>in</strong>sbesondere der vorschulischen<br />

Bildung.<br />

§ 6 Vergabe der F<strong>in</strong>anzmittel<br />

(1) Das M<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong> Bildung, Wissenschaft<br />

und Kultur weist den örtlichen Trägern<br />

der öffentlichen Jugendhilfe ab dem Jahr 2009<br />

<strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1 Nummer 1<br />

bis 3 nach der Anzahl der belegten Plätze <strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen und Tagespflege am<br />

Stichtag 1. April des jeweiligen Vorjahres <strong>in</strong><br />

drei Teilbeträgen am 1. Januar, am 1. April und<br />

am 1. September des laufenden Jahres zu.<br />

(2) Die Auszahlung der F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1<br />

Absatz 2 Nummer 1 erfolgt im Jahr 2008 auf<br />

der Grundlage der Anzahl der im Zuständigkeitsbereich<br />

des örtlichen Trägers der öffentlichen<br />

Jugendhilfe lebenden K<strong>in</strong>der, <strong>die</strong> <strong>in</strong> den<br />

jeweils letzten elf Jahren zuvor geboren worden<br />

s<strong>in</strong>d. Maßgeblich <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anzahl der K<strong>in</strong>der<br />

ist <strong>die</strong> vom Statistischen Landesamt zum<br />

31. Dezember des vorvergangenen Jahres erhobene<br />

Statistik nach Alter und Geschlecht <strong>in</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommern.<br />

125


126<br />

(3) Die Auszahlung der F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1<br />

Absatz 2 Nummer 2 erfolgt im Jahr 2008 im<br />

Verhältnis der Anzahl der <strong>in</strong> den Zuständigkeitsbereichen<br />

der örtlichen Träger der öffentlichen<br />

Jugendhilfe belegten Plätze <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

und Tagespflege.<br />

Maßgebend <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anzahl der belegten Plätze<br />

ist der Durchschnitt der Meldungen zur Platzbelegung<br />

am 1. April und am 1. Oktober des<br />

Vorjahres.<br />

(4) Das M<strong>in</strong>isterium <strong>für</strong> Bildung, Wissenschaft<br />

und Kultur vergibt <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel<br />

nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und Absatz 2<br />

Nummer 3 auf Antrag der Projektträger, sofern<br />

e<strong>in</strong> erhebliches Landes<strong>in</strong>teresse an der<br />

Durchführung der Modellprojekte besteht.<br />

§ 7 Weiterleitung der F<strong>in</strong>anzmittel<br />

(1) Ab dem Jahr 2009 leiten <strong>die</strong> örtlichen Träger<br />

der öffentlichen Jugendhilfe <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel<br />

umgehend wie folgt weiter:<br />

1. <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1 Nummer<br />

1 an <strong>die</strong> Träger der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

auf der Grundlage der Anzahl<br />

der K<strong>in</strong>der im Jahr vor dem Schule<strong>in</strong>tritt,<br />

<strong>die</strong> an der zielgerichteten Vorbereitung auf<br />

<strong>die</strong> Schule gemäß § 3 Absatz 2 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

am Stichtag 1.<br />

Oktober des Vorjahres teilnahmen.<br />

2. <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1 Nummer<br />

2 an <strong>die</strong> Träger der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

auf der Grundlage der Anzahl<br />

der belegten Plätze <strong>in</strong> den trägereigenen<br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen am Stichtag 1.<br />

Oktober des Vorjahres.<br />

3. <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1 Nummer<br />

3 an <strong>die</strong> Träger der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

oder ihre jeweiligen Dach- oder<br />

Spitzenverbände, sofern der zuständige<br />

örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe<br />

<strong>die</strong> Aufgabe nach § 14 Absatz 3 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

nicht selbst<br />

wahrnimmt. Auszahlungsgrundlage ist <strong>die</strong><br />

Anzahl der belegten Plätze <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

und Tagespflege am<br />

Stichtag 1. Oktober des Vorjahres.<br />

(2) Im Jahr 2008 leiten <strong>die</strong> örtlichen Träger<br />

der öffentlichen Jugendhilfe <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel<br />

umgehend wie folgt weiter:<br />

1. <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 2 Nummer<br />

1 an <strong>die</strong> Träger von K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

<strong>in</strong> ihrem Zuständigkeitsbereich,<br />

<strong>die</strong> K<strong>in</strong>der zielgerichtet auf <strong>die</strong> Schule vorbereiten.<br />

Die Auszahlung erfolgt auf der<br />

Grundlage der konkreten Anzahl der K<strong>in</strong>der,<br />

<strong>die</strong> tatsächlich an der zielgerichteten<br />

Vorbereitung auf <strong>die</strong> Schule teilnahmen.<br />

2. <strong>die</strong> F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 2 Nummer<br />

2 an <strong>die</strong> Träger der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

oder ihre jeweiligen Dach- oder<br />

Spitzenverbände, sofern der zuständige<br />

örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe<br />

<strong>die</strong> Aufgabe nach § 14 Absatz 3 des K<strong>in</strong>dertagesförderungsgesetzes<br />

nicht selbst<br />

wahrnimmt. Die Auszahlung erfolgt auf<br />

der Grundlage der Anzahl der <strong>in</strong> den Zuständigkeitsbereichen<br />

der örtlichen Träger<br />

der öffentlichen Jugendhilfe belegten Plätze<br />

<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen und Tagespflege.<br />

Maßgebend <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anzahl der belegten<br />

Plätze ist der Durchschnitt der Meldungen<br />

zur Platzbelegung am 1. April und<br />

am 1. Oktober des Vorjahres.<br />

§ 8 Voraussetzungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zuweisung der F<strong>in</strong>anzmittel<br />

an <strong>die</strong> Träger der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

(1) Träger von K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen, <strong>die</strong><br />

bis zum 31. August 2011 nicht den Nachweis<br />

erbracht haben, dass <strong>die</strong> jeweils verb<strong>in</strong>dliche<br />

frühk<strong>in</strong>dliche Bildungskonzeption des Landes<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> trägereigene Konzeption aufgenommen<br />

wurde und <strong>in</strong> der täglichen Bildungs- und Er-


ziehungsarbeit <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

angewandt wird, haben von <strong>die</strong>sem<br />

Zeitpunkt an ke<strong>in</strong>en Anspruch auf weitere<br />

Zuweisung der F<strong>in</strong>anzmittel nach § 1 Absatz 1<br />

Nummer 1 und 2.<br />

d) Sprachförderung <strong>in</strong> der frühk<strong>in</strong>dlichen<br />

Bildung und Erziehung <strong>in</strong> MV<br />

Innerhalb der Bildungskonzeption 0 bis 10 erfährt<br />

der Bildungs- und Erziehungsbereich<br />

„Kommunikation, Sprechen und Sprache“<br />

e<strong>in</strong>e Schwerpunktsetzung.<br />

Es soll e<strong>in</strong> Basiskonzept <strong>für</strong> <strong>die</strong> Sprachförderung<br />

entworfen werden, das <strong>die</strong> kont<strong>in</strong>uierliche<br />

Begleitung und Unterstützung im<br />

Spracherwerb mit Angeboten aus dem<br />

elementarpädagogischen Bildungskanon verb<strong>in</strong>det.<br />

Ziel soll es se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> <strong>in</strong>haltliche und<br />

organisatorische Arbeit der vom Land geförderten<br />

Projekte, HAVAS und „Alltags<strong>in</strong>tegrierte<br />

Sprachförderung <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen…“<br />

zu bündeln und <strong>in</strong> Kooperation der<br />

Projektträger RAA und Universität Rostock,<br />

Institut <strong>für</strong> Sonderpädagogische Entwicklungsförderung<br />

und Rehabilitation<br />

(ISER), e<strong>in</strong> Sprachförderungskonzept zu entwickeln,<br />

welches auf <strong>die</strong> besonderen Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> MV zugeschnitten ist.<br />

Die Koord<strong>in</strong>ierung und Kooperation der bestehenden<br />

Modellprojekte HAVAS 5 und „Alltags<strong>in</strong>tegrierte<br />

Sprachförderung <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

/ Sprachliche Förderung von<br />

K<strong>in</strong>dern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund“ ist angelaufen,<br />

erste Arbeitsgespräche haben stattgefunden.<br />

E<strong>in</strong>e Übertragung der Konzepte auch auf K<strong>in</strong>der<br />

ohne Migrationsh<strong>in</strong>tergrund schon ab dem<br />

4. Lebensjahr (1. E<strong>in</strong>satz), 2. E<strong>in</strong>satz im 5. Lebensjahr<br />

soll möglich se<strong>in</strong>.<br />

Erste Überlegungen zum Konzept:<br />

• Konzeptionsentwicklung durch beide<br />

Partner,<br />

• ½ Jahr Überarbeitungszeit,<br />

• Modellprojekt soll 3 Jahre laufen (2010 –<br />

2013),<br />

• Ergebnisse 2011,<br />

• Ergebnisse werden durch das BM publiziert<br />

(BM ist Hrsg.),<br />

• Präsentation des theoretischen Teils der<br />

Konzeption im Bildungsserver von MV,<br />

• anschließend Herausgabe der praktischen<br />

Materialien <strong>in</strong> Fortbildungen<br />

e) Bildungsplan <strong>für</strong> <strong>die</strong> pädagogische Arbeit<br />

mit Fünfjährigen <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

des Landes Mecklenburg-Vorpommern<br />

2004<br />

Allgeme<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong>zuschätzen, dass der gültige<br />

Bildungsplan e<strong>in</strong>e hohe Qualität aufweist. Er<br />

stellt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher e<strong>in</strong>e<br />

anspruchsvolle Grundlage <strong>für</strong> <strong>die</strong> zielgerichtete<br />

Förderung von fünfjährigen K<strong>in</strong>dern dar.<br />

Der vorliegende Bildungsplan, der mit den bildungspolitischen<br />

Zielsetzungen konform geht,<br />

trifft klare Aussagen<br />

• zu Bildungszielen, <strong>in</strong> denen <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der<br />

gefördert werden sollen,<br />

• zu Inhalten, denen <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der begegnen<br />

sollen, sowie <strong>in</strong> Ansätzen<br />

• zu Formen der pädagogischen Arbeit.<br />

Vernetzung Bildungsplan <strong>für</strong> Fünfjährige – Rahmenplan<br />

Grundschule<br />

Diese Vernetzung des Elementarbereiches mit<br />

dem Primarbereich ist e<strong>in</strong>e wesentliche Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Förderung und Forderung von<br />

K<strong>in</strong>dern.<br />

Zum e<strong>in</strong>en sollte <strong>die</strong> Vernetzung organisatorisch<br />

und personell (z. B. gegenseitige Besuche<br />

und Beratungen, geme<strong>in</strong>same Fortbildungen,<br />

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128<br />

geme<strong>in</strong>same Planungen) und zum anderen <strong>in</strong>haltlich<br />

(z. B. Abstimmung der Curricula) realisiert<br />

werden.<br />

Das Anknüpfen an <strong>die</strong> vorhandenen Kompetenzen<br />

(Vorerfahrungen) ist e<strong>in</strong> wesentlicher<br />

Grundsatz <strong>in</strong> <strong>alle</strong>n Fächern der Grundschule.<br />

Dieser Grundsatz wird <strong>in</strong> den neuen Rahmenplänen<br />

der Grundschule <strong>in</strong> jedem Fach ausdrücklich<br />

formuliert.<br />

Dabei ist <strong>in</strong>sbesondere e<strong>in</strong>e Abstimmung h<strong>in</strong>sichtlich<br />

der Persönlichkeitsentwicklung (Entwicklung<br />

der personalen, sozialen, kognitiven,<br />

körperlichen Fähigkeiten, motorischen Fertigkeiten,<br />

alltagspraktischen Kenntnissen und<br />

Fähigkeiten) <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

und dem übergreifenden Bildungsziel <strong>in</strong> der<br />

Grundschule – der Entwicklung von<br />

Handlungskompetenz (Sachkompetenz, Methodenkompetenz,<br />

personale und soziale<br />

Kompetenz) – zu erzielen.<br />

Die OECD schlägt <strong>für</strong> den gesamten Bildungsbereich<br />

vor, den Begriff der Leistung durch das<br />

Konzept der Kompetenz zu ersetzen.<br />

E<strong>in</strong>e Bildungskonzeption <strong>für</strong> K<strong>in</strong>der im Alter<br />

von 0 bis 10 Jahren kann <strong>die</strong>se Vernetzung<br />

herstellen.<br />

Der neue Bildungsplan <strong>für</strong> <strong>die</strong> pädagogische<br />

Arbeit mit Fünfjährigen wird <strong>in</strong> <strong>die</strong> Bildungskonzeption<br />

0 bis 10 e<strong>in</strong>fließen.<br />

f ) Portfolio - Reflektieren und Steuern des<br />

Lernprozesses<br />

Das Reflektieren und Steuern e<strong>in</strong>es Lernprozesses<br />

stellt <strong>für</strong> K<strong>in</strong>dergartenk<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e große<br />

Herausforderung dar, <strong>die</strong> noch der Unterstützung<br />

und Hilfestellung der K<strong>in</strong>dergartenpädagog<strong>in</strong><br />

und der Eltern bedarf.<br />

Portfolios bieten K<strong>in</strong>dern zahlreiche Gelegenheiten,<br />

über ihre Arbeiten zu kommunizieren<br />

und zu reflektieren, und vielen K<strong>in</strong>dern<br />

macht es auch Spaß, über ihre Arbeiten und<br />

das eigene Tun zu sprechen. Für manche K<strong>in</strong>-<br />

der jedoch ist das Sprechen über ihre Erfahrungen<br />

noch sehr befremdend, <strong>die</strong>s hängt auch<br />

noch mit der kognitiven Reife und der sprachlichen<br />

Ausdrucksfähigkeit der jungen K<strong>in</strong>der<br />

zusammen und kann durch <strong>die</strong> Portfolioarbeit<br />

gefördert werden.<br />

Portfolioarbeit <strong>die</strong>nt der Fachkraft zur genauen,<br />

differenzierten Begleitung der allseitigen<br />

Entwicklung des K<strong>in</strong>des; es hilft bei<br />

der Diagnose und der E<strong>in</strong>leitung von Fördermaßnahmen.<br />

Im Zuge der Portfolioarbeit haben sich vielfältige<br />

Fragen entwickelt, welche es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

nächsten Schritt zu beantworten gilt.<br />

• E<strong>in</strong> wichtiger Punkt ist hier vor <strong>alle</strong>m <strong>die</strong><br />

Betonung des spielerischen Lernens. Wie<br />

können K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihren Lern- und Entwicklungsschritten<br />

begleitet werden, ohne dass<br />

es zu e<strong>in</strong>er Verschulung des K<strong>in</strong>dergartens<br />

kommt?<br />

• Wie sieht es mit der Privatsphäre des K<strong>in</strong>des<br />

aus? Müssen <strong>alle</strong> Details der k<strong>in</strong>dlichen<br />

Entwicklung <strong>in</strong> der „Öffentlichkeit“ ausgetragen<br />

und behandelt werden? Inwieweit<br />

wollen <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der ihren Eltern über ihre<br />

Lernerfahrungen im K<strong>in</strong>dergarten berichten?<br />

Wie soll e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dergartenpädagog<strong>in</strong> mit 5-9<br />

Stunden Vorbereitungszeit pro Woche <strong>die</strong>se<br />

zusätzlichen Arbeitsstunden e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, ohne<br />

<strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>e Planung der K<strong>in</strong>dergartenarbeit<br />

zu vernachlässigen? Wie viel Zeit braucht<br />

Portfolioarbeit mit <strong>alle</strong>n K<strong>in</strong>dern an den K<strong>in</strong>dergartenvormittagen?<br />

Durch <strong>die</strong> angestrebte Zusammenarbeit werden<br />

<strong>die</strong> Eltern ermutigt, den <strong>in</strong>dividuellen<br />

Lernprozessen ihrer K<strong>in</strong>der mehr Beachtung<br />

zu schenken und <strong>in</strong> weiterer Folge <strong>die</strong> Entwicklung<br />

der gesamten k<strong>in</strong>dlichen Persönlich-


keit zu unterstützen und zu beobachten. Dadurch<br />

s<strong>in</strong>d Eltern verstärkt <strong>in</strong> <strong>die</strong> Lernprozesse<br />

ihrer K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>gebunden, und <strong>die</strong> Entwicklungsschritte<br />

der K<strong>in</strong>der können besser analysiert<br />

und im Gesamtzusammenhang betrachtet<br />

werden.<br />

g) Ausbildung von Fachkräften, Fort- und<br />

Weiterbildung<br />

Die Reformation der Erzieher/-<strong>in</strong>nenausbildung<br />

<strong>in</strong> MV verfolgt folgende Ziele<br />

neueste Inhalte, z.B.<br />

• Berücksichtigung neuer Aspekte <strong>in</strong> der<br />

frühk<strong>in</strong>dlichen Bildung und Erziehung<br />

• Berücksichtigung neuer/veränderter<br />

Anforderungen an <strong>die</strong> Kompetenzen der<br />

Erzieher bei der Erarbeitung des Curriculums,<br />

<strong>die</strong> sich aus der Bildungskonzeption<br />

ergeben<br />

hohe Qualität, z.B.<br />

• rechtzeitige Fortbildungsangebote <strong>für</strong><br />

Berufsschullehrer zur Bildungskonzeption<br />

kurzfristige Umsetzung, z.B.<br />

• Verkürzung der Ausbildungszeit von<br />

derzeit 5 auf dann 4 Jahre ohne Qualitätsabstriche<br />

• veränderte Zugangsbed<strong>in</strong>gungen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Fachschulausbildung/Quere<strong>in</strong>steiger, um<br />

den hohen Bedarf an gut ausgebildeten<br />

pädagogischen Fachkräften decken zu können<br />

h) Akademisierung der Ausbildung –<br />

Hochschule Neubrandenburg: Verstetigung<br />

des Bachelor-Stu<strong>die</strong>nganges Early Education<br />

Die Stu<strong>die</strong>renden e<strong>in</strong>es Stu<strong>die</strong>nganges werden<br />

auf <strong>die</strong> Arbeit mit K<strong>in</strong>dern und deren Eltern <strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen vorbereitet. Umfangreiche<br />

Praktika <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

und <strong>in</strong> der Grund- bzw. Förderschule s<strong>in</strong>d obligatorisch<br />

<strong>in</strong> das Studium <strong>in</strong>tegriert. Das Ziel<br />

des Modellstu<strong>die</strong>nganges besteht <strong>in</strong> der Herausbildung<br />

e<strong>in</strong>er umfassenden beruflichen<br />

Handlungskompetenz der Stu<strong>die</strong>renden, um<br />

selbstständig und zielgerichtet Erziehungs-, Bildungs-<br />

und Betreuungsaufgaben <strong>für</strong> 0- bis 10jährige<br />

K<strong>in</strong>der übernehmen zu können.<br />

Besonders <strong>die</strong> Befähigung zur Bildungsarbeit,<br />

um K<strong>in</strong>der gezielt zu fördern und ihnen e<strong>in</strong>en<br />

besseren schulischen E<strong>in</strong>stieg zu ermöglichen<br />

und damit Chancengleichheit zu sichern, bedarf<br />

der <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären wissenschaftlichen<br />

Qualifikation von Elementar- und Vorschulpädagogen/-<strong>in</strong>nen.<br />

Der Modellstu<strong>die</strong>ngang soll weiterh<strong>in</strong> durch<br />

<strong>die</strong> wissenschaftliche und berufspraktische<br />

Qualifizierung von Pädagogen/-<strong>in</strong>nen den<br />

Führungskräftenachwuchs <strong>für</strong> <strong>die</strong> Leitung von<br />

K<strong>in</strong>dertagesstätten ausreichend sicherstellen.<br />

Nach erfolgreicher Akkreditierung 2006 und<br />

nach Abschluss der Modellphase 2008 ist <strong>die</strong><br />

Weiterentwicklung des Stu<strong>die</strong>ngangs durch<br />

e<strong>in</strong> Masterstu<strong>die</strong>nangebot und <strong>die</strong> konzeptionelle<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>es nebenberuflichen<br />

Weiterbildungsstudiums vorgesehen.<br />

Der Stu<strong>die</strong>ngang „Early Education“ ist modular<br />

aufgebaut und schließt nach sechs Semestern<br />

mit dem Grad Bachelor of Arts (BA) ab.<br />

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Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion M-V, Lennéstr. 1, 19053 Schwer<strong>in</strong><br />

V.i.S.d.P.: Dr. Tordis Batscheider<br />

Satz: Pressestelle der SPD-Landtagsfraktion M-V<br />

bildnachweis: Archiv der SPD-Landtagsfraktion M-V<br />

Grafiken: Autoren der Beiträge (mit freundlicher Genehmigung)<br />

Fertigung: Altstadt-Druck GmbH, Rostock<br />

1. Auflage, Februar 2010<br />

1 1


Sie möchten mit uns sprechen? Gern!<br />

Die Ansprechpartner/<strong>in</strong>nen zum Thema Sonderpädagogische Förderung <strong>in</strong><br />

der SPD-Landtagsfraktion.<br />

Mathias Brodkorb<br />

Bildungspolitischer<br />

Sprecher der SPD-<br />

Landtagsfraktion M-V<br />

Jörg Heydorn<br />

Sozialpolitischer<br />

Sprecher der SPD-<br />

Landtagsfraktion M-V<br />

Kontakt über:<br />

mart<strong>in</strong>a.truemper@spd.landtag-mv.de<br />

Telefon: 0385 / 525-2305<br />

britta.stuedemann@spd.landtag-mv.de<br />

Telefon: 0385 / 525-2350

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