Der SchönfelderL<strong>es</strong>erbriefSehr geehrte Redaktion,Neulich beim Einkauf von leckeren Wurstwaren in Ihrem Hofladenhabe ich mir dann anschließend zu Hause nicht nur di<strong>es</strong>e, sondernauch die Gratisbeilage „Schönfelder Nr. 1-2007“ einverleibt.Jedoch schon auf Seite 5 wurden die von einem Stück HausmacherLeberwurst ausgehenden Reize zu meinem durchaus anspruchsvollzu nennenden G<strong>es</strong>chmackszentrum jäh durch einevisuelle Reizwahrnehmung ausgeblendet (Bild rechts unten).Nicht dass Sie jetzt fälschlicherweise den Schluss ziehen, ichsei aufgrund von homoerotischen Neigungen durch die Abbildungvon derart geballter Männlichkeit fasziniert gew<strong>es</strong>en, sowar <strong>es</strong> vielmehr die Ausstattung der abgebildeten Herren inpuncto Krawatte, wodurch ich mich zur Abgabe einer fachlichfundierten Stellungnahme hiermit genötigt sehe.Vorab möchte ich in ergänzender Weise hinzufügen, dass ichmich auf die empirischen Feldstudien mein<strong>es</strong> international hochg<strong>es</strong>chätztenKollegen aus dem Bereich der ModetrendforschungProf<strong>es</strong>sor Carl Campofield beziehe („Signifikante Korrelationenzwischen Krawatte und Primärpersönlichkeit ihr<strong>es</strong> Trägers im postpubertärenpräsenilen Kontext“, Editions Gallimard, Paris 2007).Zunächst zu dem Herren rechts im Bild (siehe unten). Hier wirdsofort deutlich, wenn man die in der Studie verwendeten apperzeptivenReizparameter zu Grunde legt, dass sich die beruflicheTätigkeit d<strong>es</strong> b<strong>es</strong>agten Herren (Integrationsmanager) im Outfitwiderspiegelt: Hellgrauer Busin<strong>es</strong>s-Anzug mit dezent schrägrot g<strong>es</strong>treifter Krawatte lassen auf eine hohe Management- undökotrophologische Kompetenz schließen.Bei dem Herren in der Mitte sieht di<strong>es</strong> etwas anders aus. Zwarlassen die schwarze Hose und der dezent wirkende graue, inden Schulterpartien etwas zu enge Blazer auf rudimentäre Managementqualifikationenschließen; die Krawatte jedoch ist ein„Case“ für sich. Die wild bunte Musterung im emanzenlila Farbton(wahrscheinlich im Selbsterfahrungsworkshophandgebatikt) lassenfolgende Interpretationen zu:- Sozial-berufliche Sozialisation- künstlerische Basisqualifikation(wahrscheinlich Musiker)Vermutet man aufgrund der Krawattologiebei erstgenanntem Herren dieFüße in edel-italienischem filigranenSchuhwerk, so handelt <strong>es</strong> sich bei di<strong>es</strong>em Herren sehr wahrscheinlichum einen Repräsentanten der Turnschuhfraktion.In dem Herren links im Bild erkennt man auf den ersten Blickerst einmal nicht (da krawattenlos), dass <strong>es</strong> sich offensichtlichum einen Vertreter der oberen Führungsetage handelt (solltedenn die Bildunterschrift stimmen). Die defensive Körperhaltung,die etwas latente Platzierung hinter Krawattenträger Nr.2, die sportlich lässige Eleganz mit Jeans und am Kragen offenenkarierten Hemd lassen im Rückgriff auf die oben genannteStudie eindeutig auf ein bewusst<strong>es</strong> Understatement zur Kaschierungd<strong>es</strong> vorhandenen Potentials schließen, quasi der Wolfim Schafspelz r<strong>es</strong>p. der Manager in Räuberzivil.Der modisch etwas obsolete Farbverlaufin weiß-grau-schwarz d<strong>es</strong>Krawattenträgers im nebenstehendenBild provoziert natürlich die Interpretationd<strong>es</strong> wissenschaftlichenBetrachters. Da di<strong>es</strong> an di<strong>es</strong>er Stellezu weit führen würde, verweise ichauf das Kapitel „Reziprok-kausalerD<strong>es</strong>truktivismus der Krawatte alsSynonym d<strong>es</strong> bourgeoisen Establishments“der o.g. Studie.Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen gedient zu habenMit freundlichen GrüßenIhrProf. Dr. Dr. Karl AuhaAnmerkung der Redaktion:Herr Auh hat der Redaktion aus seiner persönlichen historischenKrawattensammlung zwei D<strong>es</strong>ignermodelle (signierte und limitierteAuflage) für die Herren im nebenstehenden Bild zur Verfügungg<strong>es</strong>tellt.20
Der SchönfelderDenglisch oderwarum bis heute in Babel noch kein Turm steht!Uns in der Psychiatrie Tätigen ist bekannt, dass Neologismen(also Wortneuschöpfungen) Symptome von psychischen Erkrankungensind. Im Umgang mit den Klienten ist <strong>es</strong> nicht immereinfach, manchmal auch unmöglich, auf den Bedeutungsgehaltvon solchen Wortneuschöpfungen zu schließen oder die Intentionzu begreifen, die sich dahinter verbirgt.Man tut gut daran, di<strong>es</strong>e neuen Wort- oder Sprachkonstruktionenin der Anwendung den Klienten zu überlassen; <strong>es</strong> ist einindividueller Ausdruck ihrer Erkrankung und vielleicht ihrer Persönlichkeit.Mitarbeiter, die di<strong>es</strong>e Wort- und Sprachkreationenimitieren oder sogar adaptieren, machen sich die – ausschließlichdem Betroffenen zustehende - individuelle Sprachcharakteristikund damit Elemente seiner Persönlichkeit zu eigen.Mein<strong>es</strong> Erachtens ist di<strong>es</strong> ein Vorgang, der die als Qualitätsaspektin der Betreuung geforderte Wertschätzung von Menschenmit psychischen Erkrankungen verhindert. Darüber hinaus wirktaus Sicht d<strong>es</strong> betreffenden Klienten ein solcher Mitarbeiter nichtauthentisch, was nicht gerade zur Entwicklung oder Manif<strong>es</strong>tierungeiner tragfähigen Beziehung beiträgt.Da Sprache ein wichtig<strong>es</strong> Werkzeug ist, das als therapeutisch<strong>es</strong>Medium eing<strong>es</strong>etzt wird. sollten wir darüber hinaus den zu Therapierendenbzw. den von uns zu Betreuenden die Chance geben,dass sie uns auch verstehen. Dass der uns oft zu geläufigeelaborierte Code (auf deutsch: Fachsprache) dabei hinderlichsein kann, sollten wir nicht aus dem Blick verlieren.Vielleicht <strong>geht</strong> <strong>es</strong> einigen unserer Klienten ja so ähnlich wie Ihnen,wenn Sie den Inhalt d<strong>es</strong> folgenden Text<strong>es</strong> zu ergründenversuchen:Heute Abend after Hour beim Cocooning bin ich mittlerweilevollkommen chilled-out. Kein Wunder, war ich doch zum relaxendenWorkout im Fitn<strong>es</strong>sstudio (ein wahr<strong>es</strong> Welln<strong>es</strong>s-Paradi<strong>es</strong>),wo <strong>es</strong> indoor jede Menge Incentiv<strong>es</strong> und Beauti<strong>es</strong> gab;schließlich will man ja auch bodytechnisch nicht zum Couch-Potato mutieren. Die Acc<strong>es</strong>sibility solcher Events bringt natürlichspürbar jede Menge Benefit; übrigens das Fingerfood vomneuen Caterer aus dem Cross-Selling von nebenan war heuteabend wieder supi, ein wahrer Full-Service. Und zum Schlussvorm Schlafengehen noch ein Peeling mit der Anti-Aging-Lotionaus der neuen Shopping-Mall.Der Call ein<strong>es</strong> Freund<strong>es</strong> bringt mich jedoch gleich wieder down.Er war Junior Assistant Account Manager im Blue-Chip-Busin<strong>es</strong>smit reichlich Cashflow und Bonds, mittlerweile aber trotz superSkills ohne Job. Erzählte mir, dass er im Jobcenter war, wo <strong>es</strong>je nach Busin<strong>es</strong>s ein Casemanagement nach Masterplan gibt.Mit viel Glück bei der Quick-Vermittlung bekommt er ein Bridgingmit Key-Account-Betreuung oder er wird zum Jobfloateroder zum Freelancer; möglich wäre auch ein Spin-off. Will dannselbst eine Homepage in einem Webspace anbieten, nachdemer sich in die Hypertext-Markup-Language und zusätzlich in dieCascading Style Sheets eingearbeitethat.Nach Blick in meinen Filofax habenwir uns dann für den nächstenMorgen zum Walking outdoorcommittet, um den Kick-Offund das Streamlining für seinStart-up zu checken und zu daten.Wäre nicht die erste Succ<strong>es</strong>s-Story,mit der ein Turnarounderzielt wird. Fehlt jetztnur noch ausreichend Venture-Capital. Die Outdoor-Location istgerade richtig für den Leverage Effekt. Brauche jetzt nur nochmeine Road Map um just in time zum Briefing d<strong>es</strong> Freund<strong>es</strong> hinzufinden.Habe dann der Office-Managerin gleich gemailt, dassich morgen früh trotzdem on demand bin; sie soll’s auch gleichdem Chief Executive Manager <strong>weiter</strong>sagen.Beim Chatten fällt jetzt mein Blick auf einen Folder, den <strong>es</strong>neulich beim Visit einer Company als Give-Away gab. Der Flyerzeigt cool<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chirr mit Votiv<strong>es</strong> und Circl<strong>es</strong>; die wahren NewWave-Eyecatcher sind jedoch die Chip- und Dip-Schüsseln undandere Homeelements zum richtigen Lif<strong>es</strong>tyle. Kauf kommt jedochnach Check mein<strong>es</strong> Assets nicht in Betracht; mein Portfoliogibt’s z.Z. nicht her.Apropos Lif<strong>es</strong>tyle und Fashion, mir fällt ein, ich brauche ja nochein Paar Retropants, und Sneekers mit cooler Brandvision sindauch noch fällig; das Outfit muss schließlich trendy sein, ohnejedoch overdr<strong>es</strong>sed zu wirken. Sind übrigens Low-Bugdet-Produkte,so dass beim Shopping ein B<strong>es</strong>tseller-Thriller und einFläschchen für die nächste Bottle-Party dann auch noch Platz inmeinem Bodybag hat.Ach übrigens: sorry für mein WordingWolfgang JunkerDie Kölner Endmark AG hatte in 2003 untersucht, ob englische„Claims“ überhaupt verstanden werden. Die meistender Befragten scheiterten daran, die Werb<strong>es</strong>prüche korrektzu übersetzen. Teilnehmer der Studie übersetzten beispielsweiseSlogans wie folgt:„Come in an find out“ (Douglas) =Komm rein und finde wieder heraus„Drive Alive“ (Mitsubishi) = Fahre lebend„Powered by emotion“ (SAT.1) = Kraft durch Freunde(zitiert aus: Spiegel Online, UniSpiegel, 28.07.2004)21