<strong>Kunst</strong> 3Altbekannte Unbekannte im BodmergutAuf den Spuren eines Bildhauersymposiums vor 43 JahrenREGINE MÄTZLER, TExT UND FOTOS14Esther Gisler: FigurPaul Sieber. PyramideRolf Flachsmann: FigurIm Herbst 1971 nahm Esther Gisler,damals Lehrerin für dreidimensionalesGestalten am Werkseminar, uns Studierendemit zum Freizeitzentrum im damaligenBodmergut, um die Resultate des«Ersten Zürcher Bildhauersymposiums»anzuschauen, an dem sie zusammen mitsieben andern jungen Bildhauern beteiligtwar. Wir bestaunten die acht ganzunterschiedlichen Plastiken aus Cristallina-Marmor,die alle an diesem Ortwährend der Wintermonate 1970/71 entstandenwaren.Die Idee eines Symposiums stammte ausDeutschland und hatte schon einige ZeitZürcher Künstlern vorgeschwebt. Dassein solches möglich wurde, lag vor alleman der Initiative des Architekten undpensionierten Leiters der <strong>Kunst</strong>gewerbeschuleHans Fischli. Er hatte die achtKünstlerInnen nach drei Kriterien ausgewählt:Sie sollten noch jung, noch nichtprominent und arbeitsam sein. Es gelangFischli, für das Unternehmen von verschiedenenSponsoren zinslose Darlehenaufzutreiben, die im Falle eines Verkaufsder Werke zurückerstattet werden sollten.Dieses Geld ermöglichte den acht Beteiligtenim August 1970, ins hinterste Maggiatalzu fahren und im Marmorsteinbruchvon Peccia geeignete Steinblöcke auszuwählen.Sobald diese Blöcke beim Freizeitzentrumankamen, wurde zu Hammerund Meissel gegriffen. «Und jetzt klopfenund kompressern also die acht jungenBildhauer bereits seit einem Monatan ihren glitzrig-weiss bis grauen, stahlhartenQuadern aus Marmor», schreibtdie Zürichsee-Zeitung am 13. November1970. Im folgenden Frühling wurden dieArbeiten fertig und den Sommer über aufdem Gelände ausgestellt. Zwei Jahre späterkaufte die Stadt Zürich alle acht Werkean. Somit konnten die Darlehen zurückerstattetwerden. Unterdessen waren dieNeubauten für die Töchterschule, dasFreie Gymnasium und das GZ fertiggeworden und die Skulpturen wurden aufdem Gelände definitiv verteilt, wo siesich noch heute befinden. Weitere solcheSymposien fanden nicht statt. Die Zeitdafür war anscheinend vorbei.Seit damals stehen die Skulpturen hier.Wer nimmt sie noch wahr? Da sie nichtbeschriftet sind, weiss kaum einer, derda täglich ein- und ausgeht, von wem siesind. Fündig wurde ich im Buch von BernadetteFülscher «Die <strong>Kunst</strong> im öffentlichenRaum der Stadt Zürich» (siehe S.28). Jedoch führt sie für die Entstehungszeitder acht Werke Jahreszahlen auf, diemeiner Erinnerung widersprechen. Ichrecherchierte im Schweizerischen Institutfür <strong>Kunst</strong>wissenschaft weiter undfand in den entsprechenden Künstler-Mappen die Bestätigung, dass diesesSymposium wirklich 1970/71 stattgefundenhatte. Wie erinnern sich wohl dieverschiedenen Künstler an die damaligeAktion?Ich meldete mich bei Esther Gisler undbat sie, mit mir durch das Gelände zugehen. Zu meiner Freude war sie sofortbereit dazu. Zuerst tranken wir im «Escoffier»einen Kaffee. Esther reichte mirden oben erwähnten Zeitungsartikel. Aufden Abbildungen sieht man sie und ihreKollegen an der Arbeit und in einerBaracke sitzend, wo sie jeweils Pausemachten und sich wieder aufwärmenQuartiermagazin Kreis 8 <strong>227</strong>/2013
<strong>Kunst</strong> 3konnten. Auch Hans Fischli sitzt mit amTisch. Es scheint eine angeregte Diskussionim Gang zu sein. Ja, dieser Austauschsei wichtig gewesen, erzählteEsther. Sie hätten sich gegenseitig geholfen,die Arbeiten besprochen und Lösungendiskutiert. Dadurch sei unter ihneneine Gemeinschaft gewachsen und auchder Wunsch, dass diese acht Werke beieinanderbleiben sollten.Wir überquerten die Feldeggstrasse undkamen zuerst zum Eingang der EB Zürich.Hier steht die Figur von Rolf Flachsmannin einem flachen Wasserbecken, so dasssich ihre aufrechten, gegeneinandergekrümmten, stelenartigen Formen imWasser spiegeln und sich verdoppeln. ImWeitergehen begegneten wir auf der Wiesebeim Kirchgemeindehaus dem«Schwan» von Beat Kohlbrenner. Estherblieb verblüfft stehen. «Das ist ja einesehr schöne Figur, spannend im ungleichenGleichgewicht. Auch ist sie gut platziertals raumschaffende Schranke aufdieser Grünfläche.» Ich erinnerte mich,dass dieses Werk in zwei Kritiken derdamaligen Presse am wenigsten Lob erntete.War es nicht opportun, der jüngstevon allen zu sein und einen Schwan darzustellen?Umgeben von Föhren undEschen steht die über drei Meter hoheStele von Paul Sieber auf dem zentralenPlatz. Sie ist als einzige aus dem härteren,grauen Marmor gehauen, dem CristallinaColombo. Esther erzählte, dass Paul sehrzäh arbeitete und auf die Mithilfe derandern verzichtete. Oft habe er erst zuarbeiten begonnen, wenn die andernschon Feierabend machten. Vier und vierübereinander stehende, sich eng aneinanderdrängende menschliche Figurengrenzen sich gegen die Umgebung ab. ImVerzeichnis von Fülscher trägt die Skulpturden Titel «Salvador Allende». DerPlatz vor dem Eingang zum Kirchgemeindehauswird begrenzt durch die liegende,kubische Skulptur von Marcel Leuba. Inihrer geschliffenen Oberfläche kommtdie dunkle Maserung des hellen Cristallina-Marmorsbesonders schön zurGeltung. Ein rosarotes Moped ist vor ihrabgestellt. Esther und ich probierten inGedanken andere Platzierungen für dieSkulptur aus, die ihr mehr Dynamik liessen.In der Ecke des GZ-Spielplatzesthront gut sichtbar der sonnenartigstrahlende «Lichtquader» von JohannesPeter Staub auf einem schmalen, hohenSockel. Ganz im Gegenteil dazu ist dieFigur von Gregor, bei den Abfallcontainernneben dem Gemeinschaftszentrumhalb unter dem Gesträuch versteckt,dunkel geworden und so sehr getarnt,dass sie fast übersehen wird. Gregor sagtemir einst, als ich ihn im Atelier besuchte,das Behauen von Steinen sei darumriskant, weil beim Öffnen des SteinsKräfte frei würden, die Millionen vonJahren eingeschlossen waren. Gregor warbei seiner janusartigen Figur auch vorsichtigvorgegangen, hat den Stein nichtallzu tief, sondern reliefartig mit poetischanmutenden Symbolen undZeichen bearbeitet. Unterdessen ist Gregorgestorben, wie Marcel Leuba auch.Oben auf dem Platz zwischen KME undFreiem Gymasium trafen wir auf dieSkulptur von Willy Wimpfheimer, ein zueiner Welle gebogener, rechteckiger Stab,der dem Stein viel Stabilität zutraut. Esist hier schon abzusehen, dass Wimpfheimerspäter Metall zu seinem bevorzugtenWerkstoff machen würde.Gegenüber vor dem Eingang ins Freigymisteht die etwas geduckte Skulptur vonEsther Gisler. Kantige vertikale Einschnitteantworten einer weich gespanntenOberfläche. Esther wirkte überraschtund fast etwas erleichtert, denn die Figurgefiel ihr besser, als sie erwartet hatte.Auch dass sie unterdessen viel Patinaangesetzt hat, störte Esther weniger alsmich. Die verschiedenen Winkel warenihr damals ein Anliegen. Esther zogParallelen zu ihrer heutigen Arbeit. Siebegann mir davon zu erzählen und raschverflog die Zeit. Es wurde mir bewusst,wie vieles ich damals im Unterricht vonihr für meine spätere Arbeit mitbekommenhabe.Beat Kohlbrenner: SchwanMarcel Leuba: SkulpturGregor: SkulpturJohannes Peter Staub: LichtquaderWilly Wimpfheimer: Figur15Quartiermagazin Kreis 8 <strong>227</strong>/2013