20Der geistige GratisparkSkulpturen im DialogKATHARINA ISSLER IM GESPRÄCH MIT FLORIN GRANWEHRWenn man im Friedhof Enzenbühl, vom unteren Eingang herkommend, den Weg zur Rechten dem Waldrand nach einschlägt,trifft man nach einer kurzen Strecke auf eine ungewöhnlicheAusstellung. Grabsteine und Grabmäler vonaufgehobenen Gräbern sind hier entlang des Weges versammelt,thematisch geordnet und zueinander gruppiert. EinfacheSteinkreuze, verschnörkelte Urnen, menschliche Figurenaus Stein erhalten in der Gegenüberstellung neue Bezügeund eine andere Aufmerksamkeit der Betrachter.Anfang der 1980er Jahre entwickelte der Plastiker und ZeichnerFlorin Granwehr eine ähnliche und doch ganz andereIdee. Granwehr, in St. Gallen geboren und aufgewachsen,wohnt seit vielen Jahren im Quartier; sein Atelier liegt an derSüdstrasse, etwas abseits und versteckt in einer alten Häusergruppeam Fusse des Burghölzlihügels. Er erzählt, wie er1973 in Berlin einen Friedhof besucht habe, wo links undrechts der Gräber Bänke gestanden hätten; die Besucher hättensich dort gemütlich niedergelassen und gepicknickt. Dasei es ihm durch den Kopf gegangen: So etwas könnte manauch in Zürich machen. «Wie wäre so ein Zvieri mit demZwingli und dem Waldmann?», schreibt er 1991.Granwehr plante eine Versammlung der verschiedenstenSkulpturen, die von ihrem ursprünglichen Standort in derStadt entfernt und an einem passenden Ort zusammengetragenworden wären. So hätten dreidimensionale Arbeiten mitwenig Bezug zu ihrer alten Umgebung elegant entsorgtwerden können. Auf Plätzen und in Parkanlagen wäre dringendbenötigter Raum geschaffen worden für neue, zeitgenössischeWerke. Ausserdem hätten Plastiken, die seit solanger Zeit zum städtischen Inventar gehören, dass sie kaumjemand mehr wahrnimmt, in der Gegenüberstellung mitanderen Werken eine neue Aktualität erlangt.KI Du hast dir ja nicht Grabsteine vorgestellt bei deinem Projekt.FG Nein, Skulpturen.KI Aus der ganzen Stadt?FG Nein, aus dem Seefeld langt eigentlich, wenn man sie konsequentwegnimmt.KI Hättest du denn grundsätzlich alles abgeräumt?FG Das wäre lustig, wie ein Freilichtmuseum... aber ich selberhätte ja nicht ausgewählt, ich verstand mich nur als Ideengeber,die Auswahl hätte ein paritätisches Komitee getroffen.Als idealer Ort schwebte Granwehr die Wiese zwischen Villa Egli,Le Corbusier-Haus und der ehemaligen G59-Seilbahnstationvor. Sein Projekt eines Skulpturenfriedhofes nannte er den«geistigen Gratispark». Hier hätte sich Alfred Escher vomBahnhofplatz mit vielen «Liegenden», «Stehenden» und«Schreitenden» getroffen.FG Es hätte verrückte Konfrontationen gegeben – historisch,formal, ideell – mit Sachen, die nicht zusammengehören; tolleVerfremdungen. Werke aus den verschiedensten Epochen, inQuartiermagazin Kreis 8 <strong>227</strong>/2013
<strong>Kunst</strong> 3den verschiedensten Massstäben kämen da zusammen; Grossplastikenneben Plastiken in Menschengrösse, Aktfigurenneben abstrakten Skulpturen. Alles ganz sauber installiert, mitschönen Wegen dazwischen und genug Platz.Florin Granwehr stellte sein Konzept sowohl Künstlerkollegenals auch der Stadt vor; der «geistige Gratispark» stiessallerdings nicht auf offene Ohren. Die Idee arbeitete aber inverschiedenen Köpfen weiter. 1999 setzte ein Künstlerkollektivum Jan Morgenthaler mit dem Projekt «Zürich Transit»Granwehrs Idee, Skulpturen von ihren für die Ewigkeitgebauten Sockeln zu holen, auf andere Art um: Die bronzenenHerren Zwingli und Waldmann wurden zusammen mitPestalozzi und Escher einen Sommer lang auf die Reisegeschickt. Die Gegenüberstellung – ein wichtiger Teil vonGranwehrs Konzept – blieb den Denkmälern aber verwehrt(oder erspart).Hier schliesst sich der Kreis zur Grabmalsammlung imFriedhof Enzenbühl und zum Friedhof in Berlin, welcher dieInspiration zum «geistigen Gratispark» brachte: Ist es Zufall,dass die beiden Werke von Granwehr, die sich in <strong>Riesbach</strong>finden, auf dem Friedhof Enzenbühl stehen?Florin Granwehr, * 1942, studierte <strong>Kunst</strong>geschichte und bildete sich amSchweizerischen Institut für <strong>Kunst</strong>wissenschaft SIK zum Gemälde- undPlastikrestaurator aus. Ab 1967 entstanden seine dreidimensionalen Werke.Seit einigen Jahren ist er vornehmlich zeichnerisch tätig.www.floringranwehr.chBuchhinweis: Transit, ein flüchtiger Sommer in Zürich. Die reisenden Denkmäler;herausgegeben von Jan Morgenthaler und Eva Schu macher. Verlag Kontrast 199921KI Wenn du dir vorstellst, deine eigenen Werke würden auch im«geistigen Gratispark» aufgestellt...FG Da hätte ich schon mitgemacht, das hätte dazugehört.KI Granwehr mit Hermann Haller, die anfangen zu reden miteinander?FG Zum Beispiel.Oben Seite 20: Urnenversammlung im Friedhof EnzenbühlUnten: Florin Granwehr, Grabmal für den Neurochirurgen Hugo Krayenbühl; Eisen (1985)Fotos Katharina IsslerVon Florin Granwehr existieren noch weitere Projekte für dieStadt Zürich, die nie zur Ausführung gelangten. Unter anderemein Viktualienmarkt auf Pontons im Wasser entlang desLimmatquais: Die Stände werden von der Schiffswerft herdurch Lastschiffe beliefert, die Leute flanieren über die Pontonsund lassen sich zwischen den Ständen in schwimmendenCafés und Beizen nieder. Oder eine Pyramide über derLimmat, zwischen Bauschänzli und Frauenbadi einerseitsund Helmhaus/Riviera andererseits, deren Kanten von denAuslegern von vier riesigen Pneukranen auf beiden Flussseitengebildet werden. Die Pyramide verändert mehrmals amTag ihren Winkel, wird in regelmässigem Rhythmus flacheroder steiler. Sein Projekt für den Platz vor dem Opernhaushat er zum Wettbewerb gar nicht eingereicht, sondern nur fürsich selber entwickelt; ein Modell in seinem Atelier zeigt alsoffenes architektonisches Element eine weitläufige Chromstahlstrukturauf einem inselartigen Sockel, der mit Stufen inverschiedenen Höhen zum Sitzen einlädt und vielen LeutenPlatz bietet. Die schrägen Flächen der Struktur reflektierendas Licht von Sonne und Mond.Neben den Arbeiten, die nur als Projekt existieren, gibt es anden verschiedensten öffentlichen Orten der Stadt Zürichausgeführte Grossskulpturen von Florin Granwehr zu sehenund zu erfahren: auf dem Gelände der Uni Irchel, bei derSchifflände an der Bachstrasse in Wollishofen, vor demSchwesternhochhaus an der Plattenstrasse, um einige wichtigeArbeiten zu nennen.Quartiermagazin Kreis 8 <strong>227</strong>/2013