Sektionsmitteilung Sommer 2008 - Alpenverein Sektion Erlangen
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34<br />
KLETTERANLAGE<br />
Der „Erlanger Turm“<br />
Die Geschichte des fränkischen Kletterns<br />
beginnt etwa um 1880 mit der<br />
systematischen Besteigung freistehender<br />
Türme. Ja, bis in die 20er Jahre<br />
des letzten Jahrhunderts waren sie das<br />
alleinige Ziel der damaligen Kletterer,<br />
von Kletterinnen ist leider nichts überliefert.<br />
Und die Ersten auf den Türmen<br />
benannten die Objekte ihrer Begierde<br />
gerne nach ihrer Heimatstadt.<br />
Als dann um 1910 alle Türme bestiegen<br />
waren, hatten die Nürnberger ihren<br />
Turm bei Würgau und die Fürther<br />
ihren Turm im Trubachtal, nur <strong>Erlangen</strong><br />
ging leer aus. Zwar krabbelte bereits<br />
1890 der in <strong>Erlangen</strong> studierende<br />
Dresdner Fritz Brosin mit Kommilitonen<br />
auf den Student im Pegnitztal und<br />
die Brosinnadel im Lehenhammertal,<br />
doch er hatte andere Namensvorstellungen.<br />
Müssen also <strong>Erlangen</strong>s Kletterinnen<br />
und Kletterer für immer auf einen „Erlanger<br />
Turm“ verzichten? Eigentlich<br />
ja, denn die Grundsteinlegung der<br />
Türme erfolgte immerhin schon vor<br />
rund 200 Millionen Jahren. Und Mutter<br />
Natur war die letzten 100.000<br />
Jahre beschäftigt, die Türme entsprechend<br />
den Vorgaben des himmlischen<br />
Designers zu gestalten. Eine unvorstellbare<br />
Wartezeit für unsere auf die<br />
unmittelbare Erfüllung ihrer Wünsche<br />
pochende Gesellschaft. Die Lösung:<br />
Nürnberger Turm; 1909, Nordriss, Hartlehner<br />
mit Gefährten vom TC Nebelstoaner Nürnberg<br />
ein künstlicher Turm muss her. Und eine<br />
konsequente, äußerst kletterfreundliche<br />
Lösung: denn was dem himmlischen<br />
Designer so an kleinen Gemeinheiten<br />
eingefallen ist, wie längere Zustiege,<br />
brüchiges Gestein, Nässe, lockere Graspolster<br />
oder gar noch Wanderfalken,<br />
wird einfach weggelassen.<br />
Nach einer im Vergleich zu 200 Millionen<br />
Jahren kaum ins Gewicht fallende<br />
Planungs- und Bauzeit von gerade<br />
mal einem Jahr kann voraussichtlich<br />
im <strong>Sommer</strong> <strong>2008</strong> endlich auch die<br />
Erstbesteigung des „Erlanger Turms“<br />
stattfinden. Dabei wird es einen kleinen<br />
aber feinen Unterschied zu früheren<br />
Erstbesteigungen geben. Farbige<br />
Plastikgriffe und Tritte zeigen<br />
schon von weitem den Routenverlauf,<br />
alle Sicherungspunkte sind vorbereitet.<br />
Vorbei ist die verzweifelte Suche nach<br />
versteckten Griffen oder die bange<br />
Frage ob der mühsam in einen Riss geschlagene<br />
Haken im Falle eines Falles<br />
auch hält. Allenfalls ein sich aus unerfindlichen<br />
Gründen drehender künstlicher<br />
Griff entspräche noch den Unwägbarkeiten<br />
der Natur. Erreichen und<br />
festhalten muss man die Griffe aber<br />
nach wie vor. Darin liegt nun einmal<br />
der Sinn und die Kunst des Kletterns.<br />
Apropos Umlenkhaken, entsprechend<br />
den Fränkischen Kletterkonzepten ist<br />
die Turmspitze Zone 1: sie darf nicht<br />
betreten werden. Dies hat ausnahmsweise<br />
nichts mit einer besonders bemerkenswerten<br />
Turmkopfflora zu tun,<br />
Fürther Turm; 1910, O-Kante<br />
Kerner und F. Engelhard<br />
sondern ist allein durch bautechnische<br />
Maßnahmen begründet. Also nix mit<br />
Gipfelstunde und romantischem Sonnenuntergang<br />
auf dem „Erlanger Turm“<br />
beim Blick über die Erlanger Dächerlandschaft.<br />
Für die Wände gilt eine<br />
modifzierte Zone 2. „Zone 2“: Klettern<br />
nur auf bestehenden Routen bis<br />
zum Umlenkhaken, keine Neutouren.<br />
„Modifiziert“: wenn irgendwann die<br />
bestehenden Routen langweilig geworden<br />
sind, werden Routenschrauberinnen<br />
und Routenschrauber (Gender<br />
Mainstreaming), das sind die Fachleute<br />
für Erschließung künstlicher Kletterwände,<br />
innerhalb kürzester Zeit<br />
völlig neue Kletterwege kreieren. Ein<br />
echtes Novum im Vergleich zu den abgekletterten<br />
fränkischen Originalen.<br />
Zone 2 gilt auch für die Umgebung:<br />
auf Büsche/Bäume, sofern vorhanden,<br />
und über Zäune gibt es keine Kletterrouten,<br />
Zustieg und Lagern nur auf<br />
ausgewiesenen Flächen. Dass am<br />
„Erlanger Turm“ der Müll nicht einfach<br />
liegen gelassen sondern ordnungsgemäß<br />
entsorgt wird oder man nicht<br />
einfach in Büschen, siehe oben, verschwindet,<br />
wenn der Weg zur Toilette<br />
auch etwas weit zu sein scheint, ist eigentlich<br />
selbstverständlich. Denn nur<br />
wenn wir alle umsichtig mit unserem<br />
künstlichen Felsen umgehen, können<br />
wir uns lange am „<strong>Erlangen</strong> Turm“ erfreuen.<br />
Der „Erlanger Turm“ liegt mitten im<br />
Stadtgebiet, ideal für die Jugendarbeit<br />
Erlanger Turm zum Zeitpunkt der Drucklegung<br />
dieses Heftes noch unbestiegen