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Wenn der Glaube zum Konflikt wird - seminare-ps.net

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18Neurose und ReligiositätNun gibt es aber auch gläubige Menschen, die an seelischen undvegetativen Problemen leiden, die primär nichts mit ihrem <strong>Glaube</strong>nzu tun haben. Erst <strong>der</strong> Versuch, sie aus biblischer Sicht zu verstehen,führt zu einer christlichen Prägung in <strong>der</strong> Verarbeitung. «Was willmir Gott durch meine Magenkrämpfe sagen?» – «Welche Schuld <strong>der</strong>Vorfahren lässt mich schlaflos werden?» – «Bin ich sexuell deshalb soverkrampft, weil ich vor <strong>der</strong> Ehe schon einmal mit einem Freundgeschlafen habe?»Dennoch ziehen manche Therapeuten den Schluss: Weil einMensch in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist, darumist er seelisch erkrankt. Weil er die Regeln und die Enge seiner Gemeindenicht ertragen konnte, darum leidet er an ¾ngsten undHemmungen. Diesem vereinfachten «Weil-Darum»-Denken vonBetroffenen und Therapeuten muss ich aus <strong>der</strong> klinischen Erfahrungdeutlich wi<strong>der</strong>sprechen.Als Beispiel mçchte ich das Erleben einer Frau aus jüdisch-orthodoxerTradition anführen. In einer Zeit <strong>der</strong> Depression empfand siedie vielen Regeln zur Einhaltung <strong>der</strong> Speisegebote und des Sabbatsals zunehmende Belastung. Es wäre einfach gewesen zu sagen: «WerfenSie doch alle ihre Gesetze über Bord und leben Sie ein befreitesLeben! Ihre Probleme kommen von <strong>der</strong> Gesetzlichkeit <strong>der</strong> jüdischenLehre!» Doch als sie sich wie<strong>der</strong> erholt hatte, sagte sie mir: «Jetztkann ich mich wie<strong>der</strong> auf das Laubhüttenfest freuen. Ich habe wie<strong>der</strong>die Kraft, alle Vorbereitungen zu treffen. Ich freue mich auf dieGäste, die mit uns feiern werden, und darauf, meinen Kin<strong>der</strong>n etwasvon <strong>der</strong> Schçnheit und Freude unseres jüdischen <strong>Glaube</strong>ns weiterzugeben.»In ihrem Fall war es also nicht die Gesetzlichkeit, son<strong>der</strong>ndie Erschçpfung in <strong>der</strong> Depression, die ihr das Einhalten <strong>der</strong> Gesetzezur Bürde machte.Schon aus diesen wenigen Beispielen <strong>wird</strong> klar: Die Depression,¾ngste und Zweifel sensibler (o<strong>der</strong> neurotischer) Menschen bleibennicht ohne Auswirkungen auf ihr <strong>Glaube</strong>nsleben, doch gilt es dieHintergründe näher auszuleuchten.<strong>Wenn</strong> ich im Folgenden die Begriffe «Neurose» und «Religiosität»verwende, so bedürfen diese einer Erläuterung. Denn beide Begriffesind nicht unumstritten. Beide beschreiben wichtige Bereichemenschlichen Erlebens und Verhaltens, im innerseelischen und imzwischenmenschlichen Bereich. Und <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Religiosität gehtnoch darüber hinaus: Er beschreibt auch eine geistliche Dimensiondes menschlichen Daseins.Auf den folgenden Seiten habe ich es mir nun zur Aufgabe gestellt,ClichØs zu hinterfragen und Begriffe zu klären. Ich mçchteversuchen, die Komplexität <strong>der</strong> Problematik didaktisch aufzuglie<strong>der</strong>nund den Leser anzuregen zu einem multidimensionalen Denken.Und schließlich soll auch <strong>der</strong> Versuch unternommen werden,Hinweise zur Begleitung und Therapie von Menschen zu geben, <strong>der</strong>enPersçnlichkeitsproblematik sich im <strong>Glaube</strong>nsbereich ausdrückt.Ich habe bewusst versucht, verständlich zu schreiben. Naturgemäßwerden manche Kapitel aber etwas anspruchsvoller sein. Insbeson<strong>der</strong>ebei <strong>der</strong> Übersicht über die Literatur zur Thematik ist einewissenschaftliche Bearbeitung unerlässlich.Eine StreitschriftIch verstehe dieses Buch aber auch als eine Streitschrift und entschuldigemich nicht dafür. Denn das unqualifizierte Reden von<strong>der</strong> «ekklesiogenen Neurose» hat vielen Menschen in ihrer Not Unrechtgetan, die Ursachenzuschreibung verlagert und umfassendeHilfe verhin<strong>der</strong>t. Ich erhebe meine Stimme für diejenigen, die sichselbst nicht zu wehren wagen:&&&&für die ungezählten neurotischen Menschen, die ihre Nçte zuTherapeuten gebracht haben und sich von diesen in ihrem <strong>Glaube</strong>nnicht verstanden fühlten, ja abgelehnt wurden.für diejenigen, denen man Steine statt Brot gab, humanistischeTherapiekonzepte <strong>der</strong> Selbstverwirklichung ohne Bezug zu ihrem<strong>Glaube</strong>n; für diejenigen, die durch diese Gespräche tiefer hineingerietenin ihre Zweifel und fixiert wurden auf vermeintliche religiçseUrsachen ihrer ¾ngste und Depressionen.für diejenigen, denen Seelsorger rasche und vorschnelle Antwortenaus ihrem reichen Bibelzitatenschatz gaben, ohne sie in ihremLeiden ernst zu nehmen; die einseitige Seelsorgestrategien anwendeten,ohne praktische Hilfe zu geben.für diejenigen, die beschwert sind von den gesetzlichen Regelnund Auflagen, die ihnen in ihren Gemeinden gemacht werden.19

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