10losigkeit zu versinken. Es kçnnten Beispiele von <strong>der</strong> positiven Unterstützungdurch die christliche Gemeinschaft gegeben werden, von<strong>der</strong> Annahme behin<strong>der</strong>ter und leiden<strong>der</strong> Menschen in kirchlichenJugendgruppen und Hauskreisen. Schon die Psalmen geben uns einentiefen Einblick in die tragende Kraft <strong>der</strong> Gottesbeziehung, auchin Zeiten <strong>ps</strong>ychischer und kçrperlicher Not, «wenn Leib und Seeleverschmachten». Und ich begegne tagtäglich gläubigen Menschen,die in gleicher Weise Halt finden in ihrem <strong>Glaube</strong>n an Gott.Es muss also noch einen an<strong>der</strong>en Faktor geben, <strong>der</strong> es übersensiblenMenschen schwer macht, sich am <strong>Glaube</strong>n zu halten und die Beziehungzu Gott als positiv zu empfinden. Wie erleben Menschen sichselbst und ihre Familie? Wie belastungsfähig sind sie in den vielfältigenEnttäuschungen, die <strong>zum</strong> Leben gehçren? Wie kçnnen sie umgehenmit den Spannungsfel<strong>der</strong>n zwischen ihren inneren Wünschen undTrieben und den Grenzen, die ihnen von außen gesetzt werden? WelcheIdealvorstellungen haben sie von Gott, vom <strong>Glaube</strong>n und vongläubigen Menschen? Mit welcher Grundhaltung gehen sie durchsLeben – mit Angst, Schuld- und Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühlen o<strong>der</strong> mitZuversicht, Vertrauen und einer guten Portion Durchsetzungsvermçgen?Welchen Einfluss haben die Eltern auf sie? Und wie ist es mçglich,dass in ein und <strong>der</strong>selben Familie nur ein Kind die Erziehung alsbedrückend erlebt, während die an<strong>der</strong>n ihren Weg mit den Eltern finden,ohne sich ständig an ihren Erziehungsmustern zu reiben? Welchessind die Unterschiede im Lebensstil <strong>der</strong>jenigen Menschen, die am<strong>Glaube</strong>n leiden, und <strong>der</strong>jenigen, die den <strong>Glaube</strong>n als Stütze empfinden?Um es auf den Punkt zu bringen: Ist es wirklich <strong>der</strong> <strong>Glaube</strong>, <strong>der</strong>ansonsten gesunde, belastungsfähige und zuversichtliche Menschenkrank macht? O<strong>der</strong> sind es kranke, übersensible, «neurotische» Menschen,die an sich selbst, an ihrer Familie und an ihrem <strong>Glaube</strong>n leiden?6 O<strong>der</strong> spielt beides zusammen?Forschung o<strong>der</strong> Betroffenheit?Alle diese Fragen werden selten gestellt in den Büchern und Fachartikeln,die sich mit <strong>der</strong> Frage nach dem «krankmachenden <strong>Glaube</strong>n» beschäftigen.Vielmehr erwecken sie den Anschein wissenschaftlicher Seriosität.Der Begriff <strong>der</strong> «ekklesiogenen Neurose» hat seinen festenPlatz im Vokabular von Therapeuten und Theologen, ohne dass <strong>der</strong>Begriff wissenschaftlich hinterfragt <strong>wird</strong>. So machte ich mich daran,die vorliegende Literatur einmal gründlich durchzusehen.Die Ergebnisse meiner Recherchen haben mich ernüchtert. Hatteich zu Beginn noch geglaubt, die Behauptungen vom «krankmachenden»<strong>Glaube</strong>n stünden <strong>zum</strong>indest in <strong>der</strong> Fachliteratur auf festemwissenschaftlichem Grund, so wurde ich enttäuscht. Vielmehr<strong>wird</strong> man hineingeführt in die Nie<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> menschlichen Neigung,für jedes schwer erklärbare Phänomen eine einfache Erklärungzu finden. Immer wie<strong>der</strong> trifft man auf ein verkürztes «Weil-Darum»-Denken,o<strong>der</strong> um es fachlich auszudrücken, eine Neigung <strong>zum</strong>angelhaft fundierten und verengten Kausalattributionen. In vielenVerçffentlichungen <strong>zum</strong> Thema spürte man das persçnliche Ringendes Autors mit seiner eigenen seelischen Not. Oft wurde die Auseinan<strong>der</strong>setzungmit Eltern und Kirche, ja letztlich mit den Wi<strong>der</strong>sprüchenin sich selbst spürbar. Doch solche Betroffenheit trägt insich die Gefahr, zu verallgemeinern und die Perspektive zu verlieren.Die wissenschaftliche Literatur lässt sich unterteilen in «Betroffenheitsliteratur»und in «Forschungsliteratur». Die Betroffenheitsliteraturgeht von Beispielen aus und verzichtet weitgehend aufkontrollierte Vergleiche mit an<strong>der</strong>en Patienten und Problemkonstellationen.Die Forschungsliteratur hingegen versucht mit klar definiertenInstrumenten (Diagnostik, Fragebogen) eine grçßereGruppe von Versuchspersonen bzw. Patienten zu untersuchen unddaraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Während in <strong>der</strong> Betroffenheitsliteraturnur die Probleme <strong>der</strong> Menschen ausführlich dargestelltwerden, die an ihrem <strong>Glaube</strong>n leiden, versucht die Forschungsliteraturauch mit denjenigen zu sprechen, die zwar ein ähnliches Problemhaben (<strong>zum</strong> Beispiel eine neurotische Depression o<strong>der</strong> einAngstsyndrom), aber nicht in <strong>Konflikt</strong> mit ihrem <strong>Glaube</strong>n kommen.Sie versucht, unvoreingenommen die Beziehung zwischen <strong>Glaube</strong>und Lebensbewältigung, zwischen Religiosität und <strong>ps</strong>ychischer Gesundheitzu untersuchen.Positive Auswirkungen des <strong>Glaube</strong>nsAls Beispiel für eine seriçse wissenschaftliche Forschung sei eineStudie zitiert, die alle Artikel untersuchte, die während 12 Jahren inzwei <strong>der</strong> wichtigsten <strong>ps</strong>ychiatrischen Fachzeitschriften verçffentlicht11
12wurden. 7 Unter den Tausenden von Fachartikeln fanden sich gerade35 Arbeiten, die in irgendeiner Weise eine Beziehung zwischen Religiositätund <strong>ps</strong>ychischer Gesundheit untersuchten.Insgesamt wurden in den 35 Arbeiten 139 wissenschaftliche Beschreibungenvon Religiosität angewendet, jedoch nur in 50 Messungenkonsequent untersucht. Erwartet hatten die Autoren häufigkeinen o<strong>der</strong> einen negativen Einfluss <strong>der</strong> Religiosität auf die <strong>ps</strong>ychischeGesundheit. Doch die Resultate ergaben 36-mal eine positiveBeziehung zwischen <strong>Glaube</strong> und seelischer Gesundheit, achtmaleine negative Korrelation und sechsmal keine Auswirkung auf dieseelische Gesundheit.Vereinfacht lässt sich also sagen: Dort, wo <strong>der</strong> Einfluss des <strong>Glaube</strong>nsauf die <strong>ps</strong>ychische Gesundheit seriçs wissenschaftlich untersuchtwurde, ergab sich viermal häufiger eine positive Beziehungals eine negative.Einen negativen Bezug zwischen <strong>Glaube</strong> und <strong>ps</strong>ychischem Zustandzeigten am ehesten Menschen, die mit <strong>der</strong> Frage nach demLebenssinn und nach ihren ethischen Leitlinien rangen (also im Bereich<strong>der</strong> Sinnfragen). Wie lässt sich das erklären? Während einer<strong>ps</strong>ychischen Krise kann die Frage nach dem Sinn oft quälend werden.Dies ist insbeson<strong>der</strong>e bei denjenigen Menschen <strong>der</strong> Fall, dieäußerlich (extrinsisch) zwar an christlich-ethische Leitlinien glauben,aber nicht mit Überzeugung nach diesen leben und nicht ineine Gemeinschaft eingebettet sind.Die Studie steht im Einklang mit früheren Übersichtsstudien 8 , dieebenfalls ein deutliches Überwiegen positiver Befunde feststellten,wenn es darum ging, den Einfluss <strong>der</strong> Religiosität auf die Gesundheitzu messen. Dabei wurde eine interessante Beobachtung gemacht:Es besteht ein Unterschied zwischen «gesunden» Versuchspersonenund wirklich kranken und leidenden Menschen. 9 Diesogenannten «Gesunden» (oftmals jüngere Universitätsstudenten)litten vielleicht an leichteren ¾ngsten und kurz andauernden depressivenVerstimmungen und neigten eher dazu, Sinn- und <strong>Glaube</strong>nsfragenkonflikthaft zu verarbeiten. Diese Spannung kann manbei einer weiten Begriffsfassung als «neurotisch» bezeichnen. Dochinsgesamt funktionierten sie gut und waren in <strong>der</strong> Lage, ein anspruchsvollesStudium zu meistern. Für viele religiçse Studenten ist<strong>der</strong> <strong>Glaube</strong> ein äußerlich bejahter <strong>Glaube</strong>, <strong>der</strong> aber den Härtetestpersçnlicher Krisen noch kaum zu bestehen hatte.An<strong>der</strong>s bei klinisch kranken «neurotischen» Menschen, die anausgeprägten Depressionen und ¾ngsten litten, die eine Therapieo<strong>der</strong> sogar eine Hospitalisation nçtig machten. Diese Menschen hattensich mit den Nçten von Verzweiflung, seelischem Dunkel, tieferAngst und invalidisieren<strong>der</strong> Schwachheit existenziell auseinan<strong>der</strong>zusetzen.Für sie war <strong>Glaube</strong> nicht einfach ein äußeres Für-wahr-Halten. Sie konnten ihre Not wie<strong>der</strong>finden in den Psalmen Davidsund in den Klagelie<strong>der</strong>n Jeremias. 10 Sie fanden Trost in kirchlichenLie<strong>der</strong>n und in <strong>der</strong> persçnlichen Seelsorge. Sie wussten den Wertchristlicher Gemeinschaft zu schätzen und schçpften daraus immerneue Hoffnung und neue Kraft, auch in ihren Grenzen.Somit ergaben sich folgende Tendenzen:&&&Menschen mit schweren seelischen Nçten machten eher positiveErfahrungen mit dem <strong>Glaube</strong>n.Versuchspersonen, die an leichteren Stçrungen litten, zeigteneher mehr <strong>Konflikt</strong>e mit dem <strong>Glaube</strong>n.Einzelfälle ergeben ein negativeres Bild als ein Gesamtüberblick.Wie kommt es denn nun zu dem offensichtlichen Auseinan<strong>der</strong>klaffenzwischen diesen wissenschaftlichen Befunden und den Aussageneinzelner Patienten und ihrer Psychotherapeuten? Warum <strong>wird</strong> sooft vom «krankmachenden <strong>Glaube</strong>n» geredet, von <strong>der</strong> Einengungdurch Kirchen und religiçse Gemeinschaften?Hier einige erste Hinweise: <strong>Wenn</strong> ¾rzte und Therapeuten mitden Nçten gläubiger Menschen in Berührung kommen, so hçrensie in ihrer Sprechstunde so manches schwere Lebensschicksal.Nicht immer ist es dem gläubigen Menschen gelungen, sein Lebenso zu gestalten, wie er es sich erhofft hätte o<strong>der</strong> wie es den Idealenseiner Gemeinde entsprechen würde. Therapeuten hçren oft auchschwere Erlebnisse aus <strong>der</strong> Kindheit und Jugend. Auch da gilt:Nicht immer ist es gläubigen Eltern gelungen, ihren <strong>Glaube</strong>n in<strong>der</strong> Erziehung so umzusetzen, wie es den Bedürfnissen ihres Kindesentsprochen hätte.Die Menschen, die uns ihre ¾ngste, Zwänge und Depressionenanvertrauen; die uns als schwermütige und skrupulçse Christen erscheinen;die leiden an sich selbst und ihren Hemmungen – dieseMenschen sind nicht nur Betroffene, son<strong>der</strong>n sie sind auch Eltern13
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