62Abbildung 5–1: Ein Modell <strong>der</strong> Entstehung neurotischer Musterzentrale Stellung ein. Wie wir schon im letzten Kapitel gesehen haben,entsteht sie aus dem komplexen Zusammenspiel von Vererbung,Erziehung und Lebenserfahrungen.auch diejenigen kçrperlichen Behin<strong>der</strong>ungen, die einem Menschendas Leben erschweren kçnnen. Ich denke da an das Mädchen mitdem Sprachfehler, das in <strong>der</strong> Schule ständig ausgelacht <strong>wird</strong>. O<strong>der</strong>an den Jungen, <strong>der</strong> nach einem Fahrradunfall hinkt und nicht amTurnen teilnehmen kann. Wie viel Entmutigung, wie viel Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühlekçnnen aus solchen Behin<strong>der</strong>ungen entstehen!Oft haben diese Kin<strong>der</strong> schlechtere Startbedingungen für das Leben.Hierher gehçren auch diejenigen Kin<strong>der</strong>, die als sogenannte «POS-Kin<strong>der</strong>» 3 unter erhçhter Ablenkbarkeit, Aktivität und Reizbarkeitleiden. Sie for<strong>der</strong>n ständige Erziehungsaktionen von Lehrern undEltern heraus und machen oft entmutigende und erniedrigende Erfahrungen.Damit ergibt sich auch schon die Beziehung zwischen <strong>der</strong> Anlageund dem Umfeld. Ich habe ganz bewusst den weiten Begriff «PsychosozialesUmfeld» gewählt. Dieses umfasst viel mehr als nur dasElternhaus. Dazu gehçren die Freunde, die Schulkameraden, dieLehrer, die Nachbarn – kurz: alle, die für das Erleben des heranwachsendenKindes eine wichtige Rolle spielen. In <strong>der</strong> englischenLiteratur werden sie als die «significant others» und als «peers»(Gleichaltrige) bezeich<strong>net</strong>. Da ist die dominierende ältere Schwestermit ihren beleidigenden Sticheleien o<strong>der</strong> <strong>der</strong> brutale Nachbarsjunge,<strong>der</strong> das kleine Mädchen in einem Schuppen sexuell belästigt undbedroht, es niemandem zu sagen. Da ist die parteiische Lehrerin,die immer die an<strong>der</strong>n bevorzugt, während <strong>der</strong> wichtigtuerischeKlassenprimus freche Faxen macht. Aber da ist auch die gütigeGroßmutter, die stundenlang Geschichten erzählen kann, o<strong>der</strong> diefreundliche Nachbarin mit ihrer Keksdose und den aufmunterndenWorten.Da sind die Action-Serien im Fernsehen mit all den brutalen Bil<strong>der</strong>n,die ein Kind bis in den Schlaf verfolgen kçnnen, die besorgtenWarnungen vor dem Ozonloch und die Geschichten in <strong>der</strong> Sonntagsschule.Gerade sensible Kin<strong>der</strong> verarbeiten alle diese Eindrückemit beson<strong>der</strong>er Intensität, während ihre robusteren Altersgenossenviel leichter darüber hinweggehen kçnnen und ihren eigenen Wegfinden.63In <strong>der</strong> Abbildung wurden diese Einflüsse etwas an<strong>der</strong>s gruppiert. Dasind einmal die Anlagefaktoren: Darunter verstehen wir nicht nurdie Gene, die die Persçnlichkeit maßgeblich beeinflussen 2 , son<strong>der</strong>n
64Lebenserfahrungen und LernschritteWährend man in <strong>der</strong> analytischen Tiefen<strong>ps</strong>ychologie von <strong>der</strong> allesdominierenden frühkindlichen Phase spricht, zeigt es sich zunehmend,dass auch Erfahrungen und Lernschritte in <strong>der</strong> späterenKindheit, in <strong>der</strong> Jugend und im Erwachsenenalter einen wesentlichenEinfluss auf die Entwicklung einer späteren Vulnerabilität haben.Liebesenttäuschungen und Schwierigkeiten in <strong>der</strong> Berufsausbildung,die Ablçsung von den Eltern und die ersten Erfahrungen ineiner Partnerschaft, all das gehçrt zur normalen Entwicklung einesjungen Menschen. Doch da sind auch unvorhergesehene und traumatischeErlebnisse, die die Einstellung <strong>zum</strong> Leben entscheidendverän<strong>der</strong>n kçnnen: <strong>der</strong> plçtzliche Tod eines geliebten Menschen,eine lebensbedrohende Krankheit, ein unverschuldeter Unfall, unerwarteteKündigung <strong>der</strong> Arbeit o<strong>der</strong> eine Vergewaltigung.Für sensible Menschen sind es aber auch viel weniger einschneidendeLebenserfahrungen, die zur Entwicklung einer vulnerablenPersçnlichkeit beitragen kçnnen: unerfüllte Wünsche, Beziehungsschwierigkeiten,Ablehnung und Missgunst durch Arbeitskollegen,seelische Ausbeutung durch einen Lebenspartner und die allmählicheVerän<strong>der</strong>ung des Kçrperbildes durch das Herauswachsen aus<strong>der</strong> Jugendkultur. Dabei darf man nie vergessen, dass sensible Menschenbei diesem Lernprozess nicht nur die Leidenden und Erduldendensind. Vielmehr kçnnen sie durch ihre innere Haltung unddie äußeren Reaktionen die Erfahrungen wesentlich mit beeinflussen.Aus seinen Erfahrungen baut sich je<strong>der</strong> Mensch eine grundlegendeWeltanschauung, eine Lebensphilosophie auf, kurze Sätzeund Grundprinzipien, die sein Leben leiten. Hier einige Beispiele:&&&&&«Um glücklich zu sein, muss ich überall beliebt sein.»«Ich habe meine Meinungen und brauche nicht ständig die Zustimmung<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n. Trotzdem kann man gut miteinan<strong>der</strong> auskommen.»«Um mich wertvoll zu fühlen, darf ich bei <strong>der</strong> Arbeit nie einen Fehlermachen.» – «Probleme gehçren <strong>zum</strong> Leben; packen wir’s an!»«Ich weiß, dass ich nicht perfekt bin. Ich kann noch viel von an<strong>der</strong>nlernen.»«<strong>Wenn</strong> mich jemand kritisiert, dann mag er mich als Menschnicht.»Beachten Sie die Unterschiede! Welche Sätze werden wohl eher geeig<strong>net</strong>sein, das Leben zu meistern? ¾hnliche Sätze lassen sich auchfür den gläubigen Menschen formulieren:&&&«Ich fühle mich nur von Gott geliebt, wenn ich spüre, dass michdie Leute in <strong>der</strong> Gemeinde gern haben.»«Auch als Christen sind wir unterschiedlich. Ich mçchte an<strong>der</strong>eermutigen, auch wenn ich nichts dafür zurückbekomme.»«Als wirklich geheiligter Christ darf ich mir keine Fehler erlauben!»Je unflexibler die Leitsätze, desto anfälliger ist ein Mensch auf Enttäuschungenund Kränkungen, die sich tief in seine Seele fressen. Er<strong>wird</strong> verletzlich. Erreicht diese Verletzlichkeit einen gewissen Grad,so kann man von einer neurotischen Vulnerabilität sprechen.Drei Elemente <strong>der</strong> neurotischen «Verletzlichkeit»Gesunde Menschen gestehen sich Unvollkommenheiten ein undkçnnen sich auch an neue, schwierige Situationen anpassen. Menschenmit einer neurotischen Vulnerabilität hingegen leiden untereinem brüchigen Selbstwertgefühl, das sie in den Stürmen des Lebensanfällig macht, in «Seenot» zu geraten.Eigentlich ist die neurotische Verletzlichkeit mehr als eine gewçhnlicheSensibilität. Eine nähere Betrachtung <strong>der</strong> neurotischen«Verwundbarkeit» zeigt uns drei Elemente, nämlich im Bereich1. verzerrter Gedanken und Wahrnehmungen (kognitive Verzerrungen),2. einer erhçhten Angstneigung,3. einer kçrperlichen Sensibilität und vegetativen Labilität.1. KOGNITIVE VERZERRUNGEN 4 : Wie wir schon gesehen haben,sind die Denkmuster neurotischer Menschen nicht flexibel an dieWirklichkeit angepasst. Man kçnnte sie auch als «dysfunktionaleAbwehrmechanismen» bezeichnen. Sie stellen zu hohe Erwartungenan sich selbst und an<strong>der</strong>e. Sie machen ihr Glück davon abhängig,was an<strong>der</strong>e über sie sagen und denken und wie sich an<strong>der</strong>e ihnen65
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185Literaturverzeichnis1. Allport G
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