54tägliche Aufgaben und einfache Wünsche und Bedürfnisse werdenendlos hinterfragt und kçnnen im sensiblen Menschen oft Spannungenerzeugen, die kçrperlich fühlbar werden. Es kommt zu einerübermäßigen Zçgerlichkeit, Unschlüssigkeit und ängstlich bedachterAbsicherung, die für Außenstehende schwer verständlich ist. Engdamit verbunden sind ständige Zweifel, ob man von den an<strong>der</strong>nakzeptiert werde (Annahme und Zugehçrigkeit) und ob man etwasrichtig mache (Selbstvertrauen o<strong>der</strong> Angst vor Versagen). Das überempfindlicheGewissen <strong>der</strong> Sensiblen ist schließlich ein ausweglosesLabyrinth <strong>der</strong> Abhängigkeit von Mitmenschen und Leitfiguren, vonRegeln und Idealen, die auch als «Über-Ich» bezeich<strong>net</strong> werden.Diese Unsicherheit führt dann auch zu Hemmungen im Umgangmit sich selbst und an<strong>der</strong>en Menschen. Die Hemmungen sensiblerMenschen gehen weit hinaus über natürliche Scham und gesellschaftlichenAnstand. Banalste Dinge werden zur unüberwindbarenMauer. Der Stadtneurotiker Woody Allen kann nicht mehr ins Kino,wenn er auch nur eine Minute zu spät kommt (und seine Freundinist wütend, weil er ihr die Schuld zuschiebt). An<strong>der</strong>e haben Hemmungenwegen ihrer äußeren Erscheinung: Sie lassen sich nichtgerne fotografieren, sie zeigen sich nicht gerne in <strong>der</strong> Badehose,o<strong>der</strong> sie verfallen (als häufiges Extrem) in eine unsinnige Magersucht,um die vermeintlichen Polster zu verlieren. Viele begabteKomponisten und Wissenschaftler mussten wegen ihrer Hemmungendazu überredet werden, ihre Werke zu verçffentlichen. Und oftsind es die gleichen Hemmungen, die es auch dem durchschnittlichenMenschen schwermachen, sein Bestes zu geben und seine Gabenfür die Gemeinschaft einzubringen.Kontaktstçrung und GefühlsschwankungenEine dritte Gemeinsamkeit neurotisch-sensibler Menschen bestehtin <strong>der</strong> Kontaktstçrung. Es fällt ihnen nicht nur schwer, auf an<strong>der</strong>ezuzugehen. Sie finden auch nicht das richtige Maß, den richtigenTon, die richtige Einfühlung, um eine tiefere Beziehung mit an<strong>der</strong>nMenschen aufzubauen. Haben Sie sich schon einmal überlegt, warumSie mit den einen Leuten so guten Kontakt haben und zu an<strong>der</strong>neinfach «keinen Draht finden»? Vieles trägt dazu bei, von <strong>der</strong>äußeren Erscheinung bis zu den gemeinsamen Werten, dem gegen-seitigen Interesse, <strong>der</strong> Stimme, dem Lachen, <strong>der</strong> Ernsthaftigkeit,dem Augenaufschlag o<strong>der</strong> den Stirnfalten. Jede Begegnung ist einsubtiler Balanceakt von Nähe und Distanz, den wir mit einem innerenSensorium wahrnehmen. Übersensible Menschen leiden oft aninneren ¾ngsten, Zweifeln und überhçhten Erwartungen, die es ihnenschwermachen, sich unbefangen auf das Gegenüber einzulassenund einen tragenden Kontakt aufzubauen.Ein weiteres gemeinsames Problem sind die häufigen Gefühlsschwankungenund die leichte Kränkbarkeit sensibler Menschen.Ein Windhauch kann sie aus dem emotionalen Gleichgewicht bringen.Je<strong>der</strong> Persçnlichkeitstyp hat seine eigene Gefühlspalette. Nichtimmer haben wir es nur mit gehemmten, zurückgezogenen, depressivenund misstrauischen Menschen zu tun, die still vor sich hinleiden, aber die Umgebung nicht behelligen. Depressiv-unbeholfenerRückzug kann mit distanzloser Anhänglichkeit ohne Rücksichtauf die Grenzen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n einhergehen. Oft ist es kaum verständlich,wie eine ängstlich-gehemmte Frau nicht nur mürrisch-gereizt,son<strong>der</strong>n sogar in verletzen<strong>der</strong> Weise aggressiv gegen ihre Nächstenwerden kann. Die Betroffenen leiden selbst unter diesen Schwankungen.Spricht man mit ihnen über die Gründe, so merkt man,dass sich dahinter aber nicht krude Bçsartigkeit verbirgt, son<strong>der</strong>ndie Angst: «<strong>Wenn</strong> ich mich nicht wehre, dann nimmt man michnicht ernst und überfor<strong>der</strong>t mich! Ich probiere ja so, mich zusammenzureißen,aber ich habe keine Kraft mehr!» Für die Angehçrigenkçnnen solche Verstimmungen aber zur schweren Belastung werden,die oft <strong>zum</strong> Rückzug, ja nicht selten zur Scheidung führen.Die ständige innere Anspannung kostet Kraft und führt zu einervermin<strong>der</strong>ten Leistungsfähigkeit. Die krampfhaften Versuche, sichemotional zu kontrollieren, die ständig wachsame Absicherung gegenVersagen und Ablehnung, das unaufhçrliche Entwirren innerer<strong>Konflikt</strong>knäuel, die angestrengte Abgleichung zwischen den eigenenWünschen und den Gewissens-Skrupeln – all dies nimmt sensiblenMenschen die Kraft <strong>zum</strong> Leben. Ihre <strong>ps</strong>ychischen und vegetativenBeschwerden zwingen sie notgedrungen, sich mit sich selbst zu beschäftigen.Jede zusätzliche Leistung <strong>wird</strong> zur Last, die sensible Menschenan ihre Grenzen führt. Sie kçnnen sich nicht entspannt aufeine Aufgabe konzentrieren, in klaren Zügen denken und dann gezieltund zügig handeln. Sie werden unflexibel, voller Angst vor je<strong>der</strong>Unvorhergesehenheit. Die Arbeit <strong>wird</strong> zur permanenten Überforde-55
56rung. Häufig führt die Leistungsschwäche <strong>zum</strong> beruflichen Abstieg.Viele Menschen, die an ¾ngsten und Depressionen leiden, brauchenihre Freizeit ausschließlich dafür, sich für den nächsten Arbeitstag zuerholen.Schließlich finden wir als sechstes gemeinsames Symptom übersensiblerMenschen eine Fülle von vegetativen Beschwerden, die oftmalsauch als <strong>ps</strong>ychosomatische Symptome bezeich<strong>net</strong> werden. «Ofthabe ich am Morgen noch gar keine Angst», erzählt eine Frau, «dochmit den ersten Nachrichten kriege ich so eine Verkrampfung in denSchultern, die sich allmählich um meinen ganzen Kopf legt wie einesuperenge Le<strong>der</strong>haut. Meine Fingerspitzen werden ganz kalt, undüber meinem Herzen empfinde ich einen schmerzhaften Druck.Ich fühle mich dann so schwach, dass ich nicht wage, nach draußenzu gehen.»Es gibt kein Organsystem, das nicht mitreagieren kçnnte. Betroffensind alle unwillkürlichen Funktionen, von <strong>der</strong> Produktion <strong>der</strong>Magensäure bis hin <strong>zum</strong> Blutdruck, von <strong>der</strong> Atemmuskulatur biszur Durchblutung <strong>der</strong> Füße. Ganz allgemein stehen Menschen mit¾ngsten und Depressionen unter erhçhtem Stress, <strong>der</strong> sich auch imHormonspiegel messen lässt. Dadurch ist oft auch <strong>der</strong> Schlaf beeinträchtigt.Unsere Sprache ist reich an Bil<strong>der</strong>n für den kçrperlichenAusdruck menschlicher Gefühle: Es kriecht einem etwas über dieLeber, o<strong>der</strong> es liegt einem etwas auf dem Magen. Man zerbrichtsich den Kopf, o<strong>der</strong> etwas schnürt einem die Kehle zu. Man bekommtkalte Füße, o<strong>der</strong> das Blut stockt einem in den A<strong>der</strong>n.Bei sensiblen Menschen entwickelt sich ein Kreislauf von Angstund vegetativen Beschwerden, die sich gegenseitig aufschaukelnkçnnen.Doch gehen wir mit dieser reinen Beschreibung von Symptomennicht zu wenig weit? Muss nicht auch etwas gesagt werden über gemeinsameUrsachen? Gibt es nicht vorgeburtliche Traumen, frühkindlicheVerletzungen, einengende Familienstrukuren, subtile undoffene Gewalt in <strong>der</strong> Schule, sexuellen Missbrauch, mangelnde Liebeund Wertschätzung, die neurotischen Menschen gemeinsam sind?Viele neurotische Menschen erleben ihre Symptome im Zusammenhangmit schmerzlichen Lebenserfahrungen. Wir sind jedochweit davon entfernt, in diesem Bereich einen gemeinsamen Nennerzu finden. Vieles deutet darauf hin, dass sensible Menschen ihreUmgebung schon in <strong>der</strong> Kindheit an<strong>der</strong>s erleben und daraus dieGründe für ihre späteren Schwierigkeiten ableiten.Welche Faktoren begünstigen eine spätereneurotische Erkrankung?Eine sorgfältige und detaillierte Untersuchung neurotischer Stçrungenwurde von Prof. H. Schepank unter dem Titel Verläufe – seelischeGesundheit und <strong>ps</strong>ychogene Erkrankungen heute verçffentlicht. Darinkommt er zu folgen<strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> Ursachen für neurotische Erkrankungen:1130 Prozent Erbfaktoren25 Prozent Frühkindliche Entwicklung15 Prozent Erfahrungen zwischen fünf bis zwanzig Jahren25 Prozent Spätere Lebenserfahrungen(life events, social support)5 Prozent An<strong>der</strong>esWie sehr die äußeren Lebensumstände mitspielen, zeigte <strong>der</strong> Unterschiedin <strong>der</strong> Entwicklung von neurotischen Stçrungen bei Menschen,die 1935, 1945 und 1955 in Deutschland geboren wurden:So wiesen diejenigen, die gleich nach dem Zweiten Weltkrieg ineine entbehrungsreiche, harte Zeit hineingeboren wurden, einedeutlich erhçhte Sensibilität («Vulnerabilität»), aber keine erhçhteKrankheitsrate auf. Sowohl die 1935 als auch die 1955 Geborenenhatten es in <strong>der</strong> frühen Kindheit offenbar leichter. Dennoch litten siestatistisch gesehen im Erwachsenenalter gleich häufig an neurotischenStçrungen.Schließlich wurde auch untersucht, ob Menschen aus <strong>der</strong> sozialenUnterschicht vermehrt an neurotischen Stçrungen erkranken. Hierergaben sich keine eindeutigen Befunde. Insgesamt geht man abereher davon aus, dass die <strong>ps</strong>ychische Begrenzung oftmals dazu führt,dass ein Mensch sich mit einfacheren Aufgaben zufriedengebenmuss. Schepank führt als Gründe an: «Gemeinsame geringere Frustrationstoleranz,erbliche Intelligenzfaktoren, reduzierte Mçglichkeiten<strong>der</strong> Bewältigung, geringere Angsttoleranz, konstitutionelleFaktoren bei dem Einsatz bestimmter Abwehrmechanismen etc.»57
- Seite 1 und 2: Samuel PfeiferWenn der Glaube zum K
- Seite 3: 5InhaltBibliografische Information
- Seite 6 und 7: 10losigkeit zu versinken. Es kçnnt
- Seite 9 und 10: 16Kontakt zu einem Mädchen suchte:
- Seite 11: 20&&für diejenigen, die Mühe habe
- Seite 14 und 15: 26vielfältigsten Mçglichkeiten de
- Seite 16 und 17: 30nen wir ihn Matthias, war das zwe
- Seite 18 und 19: 34zeugung eines engen, überstrenge
- Seite 21 und 22: 40Probleme betrachtet, seien dies d
- Seite 23 und 24: 44Doch oft ist es nicht die Bibel a
- Seite 25 und 26: 494Derneurotische Menschund sein Er
- Seite 27: 52Den leidenden Menschen existenzie
- Seite 31 und 32: 60Nur 16 von 46 untersuchten Patien
- Seite 33 und 34: 64Lebenserfahrungen und Lernschritt
- Seite 35 und 36: 68&&&&&&Verschiebung (auf ein ander
- Seite 37 und 38: 72Mittelschüler litt er wiederholt
- Seite 39 und 40: 76hung zu Jesus Christus. Warum ver
- Seite 41 und 42: 80Positive Aspekte des GlaubensWas
- Seite 43 und 44: 84ist, Psalmen und Bibelverse auswe
- Seite 45 und 46: 88nicht dabei! Und wenn du einmal s
- Seite 47 und 48: 92ausgeprägten christlichen Glaube
- Seite 49 und 50: 96stehen sich in schmerzlicher Span
- Seite 51 und 52: 100Die in Tabelle 8-1 beschriebenen
- Seite 53 und 54: 104liche Kraft, Kinder in rascher F
- Seite 55 und 56: 108meinde-¾lteste eine Autorität
- Seite 57 und 58: 112zugleich verantwortlich ausleben
- Seite 59 und 60: 116Angst, Depression und Sexualitä
- Seite 61 und 62: 120fung seines Glaubens erlebt. In
- Seite 63 und 64: 124Von manchen Therapeuten wird die
- Seite 65 und 66: 1289. Von den Vertretern des «ekkl
- Seite 67 und 68: 132duation und Objektbeziehung). Ve
- Seite 69 und 70: 136Abbildung 10-2: Die neurotische
- Seite 71 und 72: 140tut weh. Oft bedarf es einer tie
- Seite 73 und 74: 144schrieben, das die Eigenschaften
- Seite 75 und 76: 148zuletzt auch Seelsorger und enga
- Seite 77 und 78: 152kasten-Onkel werden, der sagt, w
- Seite 79 und 80:
15712 Konsequenzenfür Verkündigun
- Seite 81 und 82:
160verharren!» - «Die andern soll
- Seite 83 und 84:
164giert warnte der Apostel Paulus
- Seite 85 und 86:
1681. Die Grenzen der Vergangenheit
- Seite 87 und 88:
172einzugestehen, zu sich zu stehen
- Seite 89 und 90:
176er von Lastwagen und andern Auto
- Seite 91 und 92:
180spottet Allah und sagt, dass der
- Seite 93 und 94:
185Literaturverzeichnis1. Allport G
- Seite 95 und 96:
18857. Huffington A. S. (1988): Pab