86suche, ein Instrument zu lernen; ohnmächtig-wütendes Leiden aneiner ehrgeizigen Mutter, die die Tochter zur Klaviervirtuosin erziehenwollte; verzweifelte Selbstabwertung, weil man in <strong>der</strong> Depressionnicht mehr in <strong>der</strong> Lage ist, seine Gefühle in <strong>der</strong> Musik auszudrückenund sich in den Klängen eines Instruments zu verlieren.<strong>Wenn</strong> im Folgenden nun von «krankmachen<strong>der</strong>» Frçmmigkeitund neurotischem Leiden am <strong>Glaube</strong>n die Rede sein <strong>wird</strong>, so sollund kann <strong>der</strong> <strong>Glaube</strong> in keiner Weise abgewertet werden. Vielmehrsoll <strong>der</strong> Leser ein besseres Verständnis bekommen für die enge Verwobenheitdes <strong>Glaube</strong>ns mit dem Erleben eines Menschen im gutenwie im problematischen Sinne. Wir wollen versuchen zu unterscheidenzwischen dem <strong>Glaube</strong>nsinhalt und dem <strong>Glaube</strong>nsstil, dem Sinngehaltdes Wortes und <strong>der</strong> Frçmmigkeit des Menschen, <strong>der</strong> Freiheitdes Einzelnen in Christus und <strong>der</strong> Eingebundenheit in eine Gemeinschaftvon an<strong>der</strong>en Menschen. Eines <strong>wird</strong> deutlich werden, wasschon Paulus in die ewiggültigen Worte gefasst hat: «Wir habenaber diesen Schatz [des <strong>Glaube</strong>ns] in irdenen [zerbrechlichen undunvollkommenen] Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft vonGott sei und nicht von uns.» 10Anmerkungen zu Kapitel 61. James 1902/19822. Burkhardt 1990, S. 16f.3. Glock und Stark 19634. Küng 19875. Eine wertvolle Anleitung findet sich in dem lesenswerten Buch von Crabbund Allen<strong>der</strong>: Dem an<strong>der</strong>n Mut machen.6. nach Alfred Adler7. vgl. Philipper 2,1–68. Schick 19829. Schick, S. 33f.10. 2. Korinther 4,77 Frçmmigkeitund NeuroseDie kleine Natalie mit ihren blonden Locken und den großenblauen Augen ist ein gewissenhaftes und sensiblesKind, ein gutes Mütterchen für ihre Puppen. Und jedenAbend bereitet die 8-jährige Schülerin ihre Schultaschefür den nächsten Tag vor, um am Morgen bereit zu sein für dieSchule. Als sie einmal ein Heft vergessen hatte, war ihr das furchtbarunangenehm, obwohl die Lehrerin sie ganz freundlich ermahnt hatte.<strong>Wenn</strong> die Mutter sie einmal zurechtweisen muss, denkt sie nochtagelang darüber nach und versichert sich immer wie<strong>der</strong>: «Gelt, Mami,du hast mich noch lieb?»Als kleines Kind hatte sie oft unter übermäßiger Angst gelitten;auch jetzt noch hat sie Mühe, abends einzuschlafen. Ihre beidenjüngeren Schwestern sind da ganz an<strong>der</strong>s. Sie sind robuster unddurchsetzungsfähiger, eher dem ruhigen, starken Vater ähnlich. Nataliehingegen gleicht ihrer Mutter, einer sensiblen, musisch hochbegabtenKin<strong>der</strong>gärtnerin. Natalie hat das Vorrecht, in einer Familieaufzuwachsen, in <strong>der</strong> sie viel Liebe und Geborgenheit erhält. IhreEltern sind offene und gebildete Menschen, überzeugte Christen,die mit beiden Beinen in <strong>der</strong> Welt stehen.Während einiger Wochen fiel den Eltern auf, dass Natalie seltsambedrückt, nachdenklich und ängstlicher war. Sie war noch gewissenhafterals sonst, räumte ihr Zimmer makellos auf und gehorchte infast unheimlicher Beflissenheit. Schließlich fragte die Mutter einmalnach dem, was sie beschäftigte. «Mami, ich habe so Angst, dass ichnicht mitgehen kann, wenn Jesus wie<strong>der</strong>kommt! Unser Sonntagsschullehrerhat gesagt, dass wir nur dann bereit sind, wenn wir Jesusum Vergebung für jede Sünde gebeten haben. Und sonst sind wir87
88nicht dabei! Und wenn du einmal sagst, ich solle den Tisch abräumen,und ich gehorche nicht gleich, dann ist das schon wie<strong>der</strong> eineSünde!»Die Eltern redeten schließlich mit dem Sonntagsschullehrer un<strong>der</strong>klärten ihm, welchen Einfluss seine Darstellung <strong>der</strong> Dinge auf Nataliegehabt habe. Und sie versuchten, auch Natalie deutlich zu machen,dass nicht die sklavische Einhaltung aller Gebote zu je<strong>der</strong> Zeitdarüber entscheidet, ob man einmal bei Jesus sei, son<strong>der</strong>n dieGrundhaltung des Herzens.Fall-AnalyseBetrachtet man nur die Episode <strong>der</strong> Sonntagsschulgeschichte, sowäre man versucht, in <strong>der</strong> Tat alle Probleme <strong>der</strong> kleinen Natalie aufdie religiçse Erziehung und eine verzerrte, übergesetzliche Darstellungvon Evangeliumsinhalten in <strong>der</strong> Sonntagsschule zurückzuführen.Man ist versucht zu sagen: Für dieses Kind wurde Frçmmigkeit<strong>zum</strong> Alptraum, <strong>zum</strong> bedrückenden, ja <strong>zum</strong> krankmachenden Ballast.Man fühlt sich unwillkürlich an die «Gebete vor Morgengrauen»in Tilmann Mosers Buch Gottesvergiftung erinnert, <strong>der</strong> in erschüttern<strong>der</strong>Intensität seine Not mit dem Gottesbild seiner Kindheit herausschreit.1An<strong>der</strong>e vermuten die Schuld bei den Eltern: Welche unterschwelligenBotschaften <strong>der</strong> Ablehnung muss dieses Kind erhalten haben,welche Traumata muss es erlebt haben, dass es <strong>der</strong>art unter Verlassenheitsängstenund Autoritäts-Unterwürfigkeit leidet! Doch ichkenne die Eltern persçnlich und weiß, dass sie in überdurchschnittlicherEinfühlung mit ihren Kin<strong>der</strong>n umgehen.We<strong>der</strong> ein «neurotisieren<strong>der</strong>» Einfluss <strong>der</strong> Eltern noch die Tatsache,dass das Kind einen Bezug <strong>zum</strong> <strong>Glaube</strong>n hat, reichen aus, um zuerklären, warum Natalie mit so starker Angst auf die Sonntagsschulgeschichtevon <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kunft Jesu reagierte. Denn an<strong>der</strong>e Kin<strong>der</strong>in <strong>der</strong> gleichen Sonntagsschule nahmen die Sache nicht so ernst,obwohl sie sicher auch dabei sein wollten, wenn Jesus wie<strong>der</strong>käme.Bei Natalie jedoch fiel die Botschaft auf den Boden einer übersensiblen,ängstlichen und übergewissenhaften Grundpersçnlichkeit. Dieuntenstehende Tabelle 7–1 soll darstellen, welche Faktoren im Lebenvon Natalie belastend und welche hilfreich sein kçnnen.Wie würde sich wohl ein sensibles Kind entwickeln, das keinenBezug <strong>zum</strong> <strong>Glaube</strong>n hätte? Wäre es lebenstüchtiger, weniger «neurotisch»,unbeschwerter? Nicht sicher. Oft leiden gerade sensibleMenschen an <strong>der</strong> Frage nach dem Sinn, nach den Ursachen ihrerübermäßigen Sensibilität und daran, dass die Umwelt sie nicht verstehtin ihrer Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Auch ohne<strong>Glaube</strong>n kann es zu Schuldgefühlen und ¾ngsten kommen, die danndurch Berichte über hungernde Kin<strong>der</strong> und drohende Kriege inähnlicher Weise Nahrung erhalten wie durch biblische Geschichten.Mehr noch: Für Menschen ohne <strong>Glaube</strong>n gibt es keinen Halt ineinem Gott, <strong>der</strong> die Hand über ihnen hält, zu dem sie beten kçnnenund dem sie auch in Wi<strong>der</strong>wärtigkeiten vertrauen dürfen.Tabelle 7–1: Hilfreiche und belastende Faktoren im Leben von NatalieGrundpersçnlichkeitAlltag<strong>Glaube</strong>HilfreichFeinfühlig, musisch, tiefe persçnlicheBeziehungen, Treue.Stabile und liebevolle Familie,verständnisvolle Lehrerin, guteSchulfreundin.BelastendÜbergewissenhaft, perfektionistisch,Neigung zu ¾ngsten undSchuldgefühlen.Erkennen von eigener Unvollkommenheit(Sünde), übermäßigesLeiden an Versagen und Ablehnung.Halt im Wissen, von Jesus geliebt Betonung einer gesetzlichen Lehreund geschützt zu sein. Entspannte von Vollkommenheit in <strong>der</strong>Haltung <strong>der</strong> Eltern in <strong>Glaube</strong>nsfragen.Angst, bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kunft JesuSonntagsschule. Fçr<strong>der</strong>ung <strong>der</strong>zurückgelassen zu werden.Frçmmigkeit – ein erstrebenswertes Gut?Frçmmigkeit ist in <strong>der</strong> heutigen Gesellschaft «out». Selbst in christlichenKreisen hat man Mühe mit dem Begriff, <strong>der</strong> allzu oft verbundenist mit Enge und Gesetzlichkeit. Umso wichtiger erscheint esdaher, den Begriff an seine Wurzeln zu verfolgen. Was bedeutet es,wenn Paulus dem Timotheus ans Herz legt: «Aber du,Gottesmensch … Jage aber nach <strong>der</strong> Gerechtigkeit, <strong>der</strong> Frçmmigkeit,dem <strong>Glaube</strong>n, <strong>der</strong> Liebe, <strong>der</strong> Geduld, <strong>der</strong> Sanftmut!» 2 Ein Blickin die ursprüngliche Bedeutung im Griechischen zeigt uns einen89
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18857. Huffington A. S. (1988): Pab