42einfachen Antworten geben lassen. Nur dort, wo sich Wahrheit undLiebe ergänzen, wo christliche Wertmaßstäbe und persçnliche Einfühlungund Barmherzigkeit sich paaren, nur da werden die Voraussetzungen<strong>zum</strong> Gedeihen geschaffen. Lei<strong>der</strong> ist dies auch inchristlichen Kreisen nicht immer <strong>der</strong> Fall. Immer wie<strong>der</strong> erfahrenTherapeuten in <strong>der</strong> Sprechstunde von überfor<strong>der</strong>ten Eltern, die dieKin<strong>der</strong> übermäßig schlagen; von engherzigen Vätern, die ihrenKin<strong>der</strong>n keinerlei Freiheit geben; von sensiblen Müttern, die ihreKin<strong>der</strong> durch Klagen, Vorwürfe und kçrperliche Beschwerden ansich binden.Das alles gibt es auch bei an<strong>der</strong>en Menschen, ja noch ganz an<strong>der</strong>eNçte – wenn man nur an die vielen Alkoholiker, die hohen Scheidungsratenin säkularen Familien denkt. Doch beson<strong>der</strong>s tragisch istes, wenn die Bibel dazu herhalten muss, um unangemessene Strafenzu begründen, übermäßige Verbote christlich zu verbrämen undkrankhafte Abhängigkeit durch den Appell an das christliche Pflichtgefühlzu vergeistlichen. Christliche Eltern müssen sich auch bewusstsein, dass ihre Kin<strong>der</strong> aufmerksam darauf achten, ob Sonntags-Wortund Montags-Tat in Einklang miteinan<strong>der</strong> stehen. Kommt es hierzur Dissonanz, so machen sie sich unglaubwürdig und tragen mitdazu bei, dass sie von ihren Kin<strong>der</strong>n in <strong>Glaube</strong>nsfragen nicht mehrernst genommen werden.¾hnliches gilt auch für die Verkündigung. Hier ist es vielleicht nochschwerer, sich in die Predigthçrer mit ihren unterschiedlichen Bedürfnisseneinzufühlen. Und doch gibt es Pfarrer und Prediger, Seelsorgerund Hauskreisleiter, denen es an <strong>der</strong> nçtigen Weisheit und Liebe bei<strong>der</strong> Verkündigung biblischer Wahrheiten fehlt. Gerade dort, wo ethischeo<strong>der</strong> enge geistliche Sichtweisen berührt werden, wo das Verhaltendes Einzelnen mit gçttlicher Strafe verbunden <strong>wird</strong>, kçnnen unnçtigeWunden geschlagen werden. Nicht umsonst hat schon Paulusauf die Nçte <strong>der</strong> «Schwachen im <strong>Glaube</strong>n» hingewiesen, die beson<strong>der</strong>sunter <strong>der</strong> Meinungstreitigkeiten <strong>der</strong> ersten Gemeinden litten. <strong>Wenn</strong>die Verkündigung also Gesetzlichkeit, Heiligungs-Perfektionismuso<strong>der</strong> überschwängliche Gefühle als Grundlage <strong>der</strong> Beziehung zu Gottvermittelt, kann dies bei sensiblen Menschen <strong>Konflikt</strong>e auslçsen. Siekann ¾ngste und Bedrückung wecken, Entmutigung und Zweifel fçr<strong>der</strong>nund schließlich <strong>zum</strong> Gefühl <strong>der</strong> Gottesferne führen, weil manGott nicht so erlebt, wie er verkündigt <strong>wird</strong>.Dabei darf man nie vergessen, dass das verkündigte Wort voneinem Menschen in einer beson<strong>der</strong>en seelischen Verfassung gehçrt<strong>wird</strong>. Die Reaktion des Einzelnen lässt sich deshalb erst dann verstehen,wenn man seinen Lebenskontext kennt.6. Der christliche <strong>Glaube</strong> gibt Richtlinien für die persçnlicheLebensgestaltung und für das Zusammenleben in <strong>der</strong> Gemeinschaft.Diese kçnnen den Bedürfnissen und Trieben des Einzelnenzuwi<strong>der</strong>laufen und zu Spannungsfel<strong>der</strong>n führen.Keine menschliche Gemeinschaft kommt ohne Regeln für das Zusammenlebenaus. Wir brauchen die biblischen Gebote, um wirklicheGemeinschaft zu haben – als Christen, aber auch als Mitmenschen.Die Bibel gibt uns große Freiheit, aber sie setzt auch Grenzen:Die Freiheit des Einzelnen hçrt spätestens dort auf, wo sie die Freiheitdes an<strong>der</strong>en beeinträchtigt, wo sie dem an<strong>der</strong>n Leiden zufügtund an<strong>der</strong>e in die Ecke drängt. In jedem Menschen schlummert dasBçse, <strong>der</strong> Drang, diese Gebote zu durchbrechen und gegen Gott undseine Mitmenschen zu sündigen.Auch in <strong>der</strong> Psychologie wurde erkannt, dass die Menschen sichnicht an die Regeln halten und dadurch die Gemeinschaft gefährden:«Je<strong>der</strong> Einzelne ist virtuell ein Feind <strong>der</strong> Kultur … Die Kultur mussalso gegen den Einzelnen verteidigt werden, und ihre Einrichtungen,Institutionen und Gebote stehen im Dienst dieser Aufgabe … Manhat, meine ich, mit <strong>der</strong> Tatsache zu rechnen, dass bei allen Menschendestruktive, also antisoziale und antikulturelle Tendenzen vorhandensind …» Dieses <strong>ps</strong>ychologische Bekenntnis zur «Erbsünde»und zur Notwendigkeit von Grenzen und Regeln kommt von keinemGeringeren als Sigmund Freud. 2 Und weiter: «Es ist merkwürdig,dass die Menschen, so wenig sie auch in <strong>der</strong> Vereinzelung existierenkçnnen, doch die Opfer, welche ihnen von <strong>der</strong> Kultur zugemutetwerden, um ein Zusammenleben zu ermçglichen, als schwer drückendempfinden.»Hier liegt die Not des sensiblen Menschen, ob er nun religiçs isto<strong>der</strong> nicht. Für den gläubigen Menschen sind es die Regeln <strong>der</strong> Bibelund seines Umfeldes, die ihm die Grenzen setzen, die ihm Spannungenverursachen. Denn die biblischen Gebote geben Richtlinien fürdas Zusammenleben allgemein, für die Beziehungen zu unseren Eltern,zu unseren Nächsten, für unsere Sexualität und zu den Besitztümern<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n.43
44Doch oft ist es nicht die Bibel allein, die Spannungen verursacht.Es sind auch die persçnlichen Ansichten und Bibelauslegungen <strong>der</strong>er,die geistliche Führung geben. Hier entstehen oft noch mehr Fragen:Wie lässt sich Gottes Wille erkennen? Wie nutzt man seine Zeit?Wofür gibt man sein Geld aus? Wie perfekt muss man sein für echteHeiligung? Welchen Einfluss hat das Christsein auf die Beziehungen<strong>zum</strong> an<strong>der</strong>en Geschlecht? Auf die Rolle als Frau? Auf die Rolle alsMann? Was ist erlaubt, und was verboten?Je<strong>der</strong> kennt etwas von <strong>der</strong> Spannung zwischen den christlichenRichtlinien und <strong>der</strong> Wirklichkeit: Wie soll man einem Menschenmit Freundlichkeit begegnen, wenn man verletzt worden ist? Wiesoll man die Eltern ehren, wenn man sich von ihnen falsch erzogenund ungerecht behandelt fühlt? Wie soll man Wi<strong>der</strong>standleisten, wenn die Versuchung unerträgliche innere Spannungenerzeugt? Wie soll man umgehen mit dem Spannungsfeld vonGenuss und Bescheidenheit, von Lust und Verzicht? Wo verletzeich die Nächstenliebe, wenn ich nicht alles tue, was an<strong>der</strong>e vonmir verlangen? Wie gehe ich mit <strong>der</strong> Not um, dass ich zwarvergeben habe, aber das Unrecht, das mir angetan wurde, nichtvergessen kann? Wie soll eine Ehefrau sich verhalten, wenn ihrMann mehr sexuelle Nähe von ihr will, sie sich aber vor kçrperlicherNähe ekelt?Für sensible Menschen kçnnen solche Fragen ernsthafte Krisenund quälende seelische und vegetative Reaktionen auslçsen. Wosie sich auflehnen gegen ihr äußeres Schicksal o<strong>der</strong> die innere<strong>Konflikt</strong>haftigkeit, dort fühlen sie die Bedrückung durch die alseinengend empfundenen Regeln ihres <strong>Glaube</strong>ns in beson<strong>der</strong>emMaße. «Jedes Mal, wenn ich die Musik aus meiner neuen Stereo-Anlage hçren will, frage ich mich wie<strong>der</strong>, ob ich das Geld nicht indie Mission hätte geben sollen! <strong>Wenn</strong> ich nur nicht solche christlichenGebote gelernt hätte! Ich mçchte einfach einmal hemmungslosgenießen kçnnen, ohne ständiges schlechtes Gewissen!Der <strong>Glaube</strong> drückt mich nie<strong>der</strong>!» Die Not des inneren <strong>Konflikt</strong>esist ernst zu nehmen, doch wer den <strong>Glaube</strong>n für solchen Zwiespaltverantwortlich macht, <strong>der</strong> projiziert seine innere Zerrissenheit,sein Leiden am Urkonflikt des Menschen, auf den <strong>Glaube</strong>n. Reifeaber bedeutet etwas an<strong>der</strong>es:7. Seelische und christliche Reife bedeutet, Spannungsfel<strong>der</strong>zwischen Bedürfnissen, unerfüllten Wünschen und Trieben einerseitsund Verantwortung, Regeln und Normen an<strong>der</strong>erseits in sichzu überbrücken und Wege zu einem verantwortlichen Leben zufinden.Haben Sie jemals ein Weizenfeld beim Heranwachsen beobachtet?Wie lange braucht es doch, bis aus den kleinen Kçrnern, die da indie Kälte des Winters gesät werden, feine spitze Triebe sprossen,immer wie<strong>der</strong> zugedeckt von eisigen Schneeschauern. Nach undnach verdichten sie sich zu einem zartgrünen Teppich, strecken sichallmählich, Knoten um Knoten, <strong>der</strong> Sonne entgegen. Der Windwogt darüber, manchmal zärtlich wie ein Streicheln, dann wie<strong>der</strong>furios-gewalttätig, riesige Lçcher nie<strong>der</strong>gedrückter Halme hinterlassend,die sich still ächzend wie<strong>der</strong> aufzurichten suchen. Der Regenpeitscht die aufkeimenden ¾hren, doch gleichzeitig saugen sie dasWasser aus dem Erdreich begierig in sich auf. Die Sonne, die sie amMorgen noch in zartgoldenes Licht taucht, brennt am Mittag auf sienie<strong>der</strong>, und doch gibt sie ihnen auch die Kraft <strong>zum</strong> weiteren Reifen,bis schließlich die Zeit <strong>der</strong> Ernte kommt, wo aus jedem gesätenKeim ein Vielfaches an Kçrnern geworden ist.Reife – das ist kein Instant-Prozess, kein <strong>ps</strong>ychologischer Wochenend-Tripund keine geistliche Sofort-Erfahrung. Reife, das bedeutet,sich selbst besser kennenzulernen, mit seinen Stärken undmit seinen Schwächen. Reifen, das heißt auch, an<strong>der</strong>e Menschenbesser zu verstehen suchen, sie anzunehmen in ihrer Eigenart, ohneimmer gleich einen Angriff auf sich selbst zu vermuten. Reifen bedeutet,sich anzunehmen mit Schwächen und Grenzen, ohne sichdabei min<strong>der</strong>wertig zu fühlen. Reifen bedeutet aber auch, die Bereicheim Leben zu sehen, die sich noch entwickeln kçnnen; die Angstvor dem Versagen und vor <strong>der</strong> Ablehnung zu überwinden und neueSchritte zu wagen.Ein reifer Mensch kann Meinungsverschiedenheiten aushalten,ohne sich dadurch existenziell bedroht zu fühlen. Ja, er kann auchden Menschen mit Freundlichkeit und Anstand begegnen, dienicht gleicher Meinung sind. Er lebt in Bescheidenheit und Zufriedenheitund wi<strong>der</strong>steht bewusst den negativen Tendenzen insich selbst, das Haben vor das Sein zu stellen, die Begehrlichkeitvor die Genügsamkeit.45
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176er von Lastwagen und andern Auto
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185Literaturverzeichnis1. Allport G
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18857. Huffington A. S. (1988): Pab