Recht & GesellschaftEIN SCHRITI IN EINE ANDERE REPUBLIKDer Große lauschundSpähangriffIIse BechtholdMit BegriHen wie "elektronischeAufklärung", "bemannteWanze", "audiovisuelleÜberwachung" istein und dasselbe gemeint:Der Schutz der verfassungsgesetzlichgarantiertenPrivatspähre sollgelockert werden - demStaat sollen "Einbrüche"mit nachrichtendienstlichenMitteln gestattet werden.In Österreich wurde diesbisher nur von "Expertlnnender Inneren Sicherheit"diskutiert. Dieser Artikelaus der BundesrepublikDeutschland zeigt dieGefahren dieses modernenSpitzelwesens auf.Kaum ein anderes Thema beherrscht die öffentlicheDiskussion in der BundesrepublikDeutschland zur Zeit mehr als das der "InnerenSicherheit" und hierbei vorrangig derGroße Lauschangriff, der zum (AII-)Heilmittelder Kriminalitätsbekämpfung hochstilisiertwird. Worum geht es dabei?Es geht darum, daß zur Strafverfolgungprivate, intime Gespräche aus Wohnungen,Arztpraxen, Redaktionssruben, Priesterzimmern,Drogenberatungsstellen, Anwaltskanzleienusw. heimlich abgehört werdendürfen. Indem in Wohnungen eingebrochenwird oder eine sonstige Gelegenheit genutztwird, in die Privat- oder Geschäftsräumeheimlich einzudringen, schafft man die technischenVoraussetzungen dafür, sogenannteWanzen anzubringen.Dies ist aber nur die eine Seite dieses Instrumentes,denn zugleich werden technischeVorrichtungen angebracht, um nebendem Ton auch das Bild erfassen zu können,also zugleich wird eine optische Überwachungermöglicht. Nicht nur den Tonfall derStimme des Ehemannes, der abends seinerFrau eine Straftat beichtet, auch seine Mimikund die Reaktion seiner Frau könnenfestgehalten werden.Ich setze mich deshalb seit langem .dafürein, daß man hier nicht nur von Lauschangriffreden soll, da dies nur die halbe Wahrheitmeint, sondern von "Lausch- undSpähangriff" .Den "Kleinen Lauschangriff" gibt es bereitsseit dem Inkrafttreten des "Gesetzeszur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandelsund andere Erscheinungsformen derorganisierten Kriminalität" (OrgKG) im September1992. Er bedeutet, daß beim Abhören/Ablichtenein Polizeibeamter als "VerdeckterErmittler" im Raume anwesend ist;deshalb spricht man insoweit auch von ;,bemannterWanze". Diese Person muß sichden Zugang zum Intimbereich einer Wohnungerschleichen, um heimliche Observationenvornehmen zu können. Dies geschiehtdadurch, daß diese sich durch eineLegende Vertrauen jener Personen erschleichenmuß, z.B. sich als Kommilitone, alsFreund, als Handwerker, Parteigenosse usw.um die Person bemüht, ohne seinen Beamtenstatusund seinen Ausspähauftrag verratenzu dürfen. Diese in dem neuen § 100cdeutsche Strafpro;eßordnung (dStPO) nor-mierte Regelung ist besonders bedenklichdadurch, daß in Absatz 4 der Vorschrift derKleine Lauschangriff auch gegenüber völligUnbeschuldigten, nämlich "gegen anderePersonen" zulässig ist, wenn anzunehmenist, "daß diese Maßnahmen zur Erforschungdes Sachverhalts oder zur Ermittlung desAufenthaltsortes des Täters geeignet sind".Aufgrund dieses Gesetzes muß man bereitsheute damit rechnen, daß jedes in dereigenen Wohnung gesprochene Wort undMienenspiel notiert wird - von einem "gutenFreund ", der hier kein Helfer, sondernermittelnder Polizist ist: Was genügt den Befürworterndes Großen Lausch- und Spähangriffsdaran nicht?Sinn und Ziel des Großen Lausch- undSpähangriffs ist es, ohne daß ein VerdeckterErmittler eingeschleust zu werden braucht,an die in intimen Räumen geäußerten Lebensvorgängeheranzukommen; also die"unbemannte Wanze" wird gefordert.Um auftauchende Ängste zu zerstreuen,wird dieser Einsatz "elektronisches Hilfsmittel"(so Innenminister Kanther), "elektroniseheAufklärung" (so Zachert, Chef des Bundeskriminalamtes)oder "akustische Raumüberwachung"usw. genannt. Expressis verbiswird dem Ausdruck "Großer Lauschangriff"angelastet, daß er Abwehrreaktionen hervorruft(so der ehemalige Generalbundesanwaltvon Stahl, Spiegel 40/93).Nein, das Gegenteil ist der Fall: Der Ausdrucktrifft das, was die betroffene Personund alle ihre sogenannten "Kontaktpersonen"hinnehmen müssen, nämlich belauschtund ausgespäht zu werden. Es ist absurd,diesen Sachverhalt durch technisches Vokabularverschleiern zu wollen. Wer so etwasfür das geltende Recht fordert, muß sagen,worum es geht.Der Große Lausch- und Spähangriff mußsich am deutsches Grundgesetz (GG) messenlassen. In Artikel 13 Abs. 1 GG heißt esklar und umfassend: "Die Wohnung ist unverletzlich".In den beiden folgenden Absätzenwerden für Hausdurchsuchungen (Abs.2) und zur Gefahrenabwehr (Abs. 3) Ausnahmenzugelassen. Hierdurch wird etwa eineAbhörmaßnahme gegen Geiselnehmer, dieMenschen in ihrer Gewalt haben, ohne weitereszulässig. Entsprechend ist auch derGroße Lauschangriff längst polizeiliche Praxisin derartigen Situationen und sogar seiteiniger Zeit ausdrücklich per Gesetz in deneinzelnen Bundesländern der BRD geregelt.Dies ist für die öffentliche Diskussion sehrwichtig, weil häufig die Kampagne mit Fällengeführt wird, die direkt mit geltendemPolizei<strong>recht</strong> zu lösen sind. Abwegig anzunehmen,jemand würde dem Einsatzkommandoverbieten wollen, akustisch und optischeine Wohnung zu durchforsten, in derein Täter Kinder in Schach hält. Die entsprechendenPolizeinormen ähneln sichsehr, so daß als Beispiel § 23 PolG BadenWürttemberg zitiert werde~ soll: "Der Poli:zeivollzugsdienst kann personenbezogeneDaten in oder aus Wohnungen durch denSeite 18JURIDIKUMNr 3/94
verdeckten Einsatz technischer Mittel ... erheben,wenn dies zur Abwehr einer unmittelbarbevorstehenden Gefahr für den Bestandoder die Sicherheit des Bundes oderLandes oder für Leben, Gesundheit oderFreiheit einer Person erforderlich ist".Dieses präventiv-polizeiliche Instrumentist bei Gefahr im Verzug (und das ist der Regelfall der Praxis) ohne Einschaltung desAmtsgerichts einsetzbar.Das Neue - noch nie in irgendeiner deutschenVerfahrensordnung Vorgesehene - ambeabsichtigten Großen Lauschangriff istnun, daß dieser als Methode des Strafverfahrenseingeführt werden soll. Hier gelten alsogerade nicht Gesichtspunkte der Prävention,der Gefahrenabwehr, sondern der Repression.Das Strafverfahren dient der Einzelfallge<strong>recht</strong>igkeit.Hier kommt - und da bestehtEinigkeit zwischen den Befürwortern undden Gegnern dieses Mittels - der Grund<strong>recht</strong>sschutzdes Art. 13 Abs. 1 GG in seinerkurzen, eindeutigen Form zur Anwendung.Das Bundesverfassungsgericht stelltehierzu fest: Dem einzelnen muß um der freienund selbstverantwortlichen Entfaltungseiner Persönlichkeit willen ein "Innenraum"verbleiben, in dem er sich selbst besitztund "in den er sich zurückziehen kann,zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, indem man in Ruhe gelassen wird und einRecht auf Einsamkeit genießt" (BVerGE 27,1 ff). Der Bundesgerichtshof hat ohne wennund aber eben dieses Recht in etlichen Entscheidungenbetont. So heißt es: "Nach Ansichtdes Senats berührte die Aufzeichnungdes ,Raumgesprächs' den unantastbaren Bereichder privaten Lebensgestaltung, der unterdem absoluten Schutz des Grund<strong>recht</strong>saus Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 GG stehtund auf den daher die öffentliche Gewaltnicht einwirken darf ... Selbst überwiegendeInteressen der Allgemeinheit können einenEingriff in den geschützten Kernbereich privaterLebensgestaltung nicht <strong>recht</strong>fertigen"(BGHSt 31,296).Hier wird auf den wichtigen Gesichtspunkthingewiesen, daß das Verfassungs<strong>recht</strong>unter Geltung des Grundgesetzes sogenante"Ewigkeits<strong>recht</strong>e" kennt, die nichtdurch welche parlamentarischen Mehrheitenauch immer, beeinträchtigt werden dürfen,da sonst die Menschenwürde angegriffenwird. Und hierzu gehört der private Freiraum:"Mit der Menschenwürde läßt es sichnicht vereinbaren, wenn der Staat das Rechtfür sich in Anspruch nehmen könnte, die imengsten Familienkreis geführten Gesprächezu kontrollieren ... Die Möglichkeit, Empfindungen,Gefühle, Ansichten oder Eindrückevon Erlebnissen zum Ausdruck zubringen, ohne der Angst ausgesetzt zu sein,daß staatliche Behörden die Unterhaltungüberwachen, wäre dann unerträglich behindert.Auch für den sonstigen vertrauensvollenGedankenaustausch zwischen den Ehepartnernwürde dies zutreffen. Dies würdeeine schwere Beeinträchtigung der menschlichenWürde bedeuten" (BGH a.a.O.).Nr 3/94Solche Gerichtsentscheidungen, diedurch zahlreiche Beispiele vermehrt werdenkönnten, müssen, da sie exakt die gültigeVerfassungslage widerspiegeln, herausgestelltwerden.Es ist erschreckend zu beobachten, wieimmer mehr nur noch Fragen der Praktikabilitätund populistische Forderungen imMittelpunkt stehen, und die entscheidendeFrage, ob der Große Lausch-und Spähangriffüberhaupt verfassungskonform sein kann,nicht behandelt oder als lästig zur Nebensacheerklärt wird. Dadurch, daß über Art. 79Abs. 3 GG der oben genannte Kernbereichdes Grund<strong>recht</strong>s auf freie Entfaltung derPersönlichkeit im Schutz unverletzlicherWohnung garantiert ist, gibt es nach meinerÜberzeugung keine <strong>recht</strong>liche Handhabe,diesen Grundsatz aufzukündigen.Bezeichnend, welche Wege beschrittenwerden, um dieses verfassungs<strong>recht</strong>licheHindernis zu umgehen: So hat etwa derBayerische Staatsminister des Innern Dr.Edmund Stoiber (inzwischen Ministerpräsident)am 21.4.1993 einen Antrag an die GemeinsameVerfassungskommission gestellt,nachdem die Ergänzung des Art. 13 Abs. 3GG zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalitätbaldmöglichst behandelt werdensollte mit dem Ziel, einfach die (wie obendargestellt notwendige) weite Fassung fürpolizeiliche Gefahrenabwehr auch für Strafverfahrengelten zu lassen. Es wurde auf den"mißglückten" Wortlaut von Art. 13 Abs. 1GG hingewiesen: Das, was Bundesverfassungsgerichtund Bundesgerichtshof als unveränderbarenKernbereich unseres <strong>recht</strong>sstaatlichenSchutzes darstellen, wird alsmißglückte Fassung bezeichnet!Die Einführung des Großen Lausch- undSpähangriffs würde auch gegen das Prinzipunseres tradierten Strafverfahrens verstoßen,daß der Würde des Menschen entsprechendim Mittelpunkt des Prozesses "der Menschals Subjekt" steht. Er darf nicht zum Objektstaatlicher Maßnahmen degradiert werden,sondern darf nur in einem fairen, offenenVerfahren überführt oder freigesprochenwerden. Das hat überhaupt nichts mit "weieherWelle" gegen Kriminelle zu tun, dennauch in einem fairen Prozeß kann es (etwaJURIDIKUMRecht & Gesellschaftbei rassistischen Gewalttätern) durchaus zuangemessen harter Bestrafung kommen. Esgeht vielmehr um die Rechtskultur, in welcherPosition eine Person, die einer Straftatbeschuldigt wird, die staatlichen Maßnahmenhinnehmen muß. Jedes zum-Objektmacheneiner beschuldigten Person widersprichtseiner unveräußerlichen Würde.Auch unter diesem Gesichtspunkt kann dasInstitut des Großen Lausch- und Spähangriffsnur abgelehnt werden, denn es zeichnetdiese Maßnahme ja gerade aus, daß sieheimlich erfolgt. Es wäre ja auch schlichtsinnlos, jemanden davon zu benachrichtigen,daß in seinem Bade- und Schlafzimmerelektronische Apparate Tag und Nacht Bilderund Töne übermitteln, um an Geheimnisseheranzukommen.Bereits jetzt sind - noch vermehrt seit1992 durch das OrgKG - erhebliche Einschränkungenvon diesem Grundsatz wirksam:Weder bei der Rasterfahndung, nochbei der Schleppnetzfahndung oder beimEinsatz von Verdeckten Ermittlern oder VLeuten ist die beschuldigte Person nochSubjekt des Verfahrens, vielmehr Objekttechnischer oder sonstiger Beobachtung undBewertung. Aber bei Einsatz der elektronischenMittel in ihrem Intimbereich würdedas Subjekt-Sein praktisch beendet sein.Ebenso selbstverständlich war es dembisherigen Strafverfahren, daß nur gegenVerdächtige ermittelt werden durfte. Esgehört zu einem freiheitlichen Rechtsstaatdazu, daß sich der gesetzestreue Menschden Staat auf Distanz halten kann. Auf Verdachtgegen irgendeine Person gezielt Ermittlungeneinzusezten, die sogar bis in seineengsten Familienkreise führen, widersprichtdem an das Grundgesetz orientiertenStrafverfahren.Auch insoweit würde das beabsichtigteInstrument gegen diese gute Tradition sprechen,die gerade wegen der fürchterlichenMißachtung in zwei Un<strong>recht</strong>ssystemen inDeutschland in diesem Jahrhundert bewahrtwerden muß. Der Große Lausch- undSpähangriff erfaßt nämlich nicht (wie etwabei einer gerichtlich angeordneten Hausdurchsuchung)nur zufällig und unbeabsichtigtauch weitere Personen als jene, gegendie sich der konkrete Verdacht richtet. Ganzgezielt und gewollt werden die Observationenauch eingesetzt gegen Personen, die irgendwiein Kontakt mit der beschuldigtenPerson stehen könnten - also etwa Abhörungeines Zahnarztes, weil der Freundseiner Sprechstundenhilfe beschuldigt wirdund man hofft, sie plaudert in der Praxis'mal darüber, wo ihr Kumpel am Wochendehinzufahren gedenkt, was er wo gerade unternimmtusw. Auch die Mieterin brauchtgar nichts verschuldet zu haben, aber überihre Wohnung kommt man vielleicht an Informationenüber ihre Vermieterin und derenSohn heran usw., usw.Was bereits beim sogenannten KleinenLauschangriff seit 1992 Gesetz ist, soll alsonun auch für den "Großen Bruder" gelten.Seite 19