Risiko Ges.m.b.H.ristischen Sprachspiel mitspielen wollen,"streng" so tun müssen, als ob Rechtsanwendungauf exakte und objektive Weisemöglich wäre.Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall,wenn das Gesetz keinen zahlenmäßig festgesetztenund leicht meßbaren Grenzwert vorgibt,sondern lediglich von "Gefährdung","unzumutbarer Belästigung" oder "Standder Technik" spricht. Könnten technischeRegelwerke (z.B. ÖNORMEN oder dieRichtlinien des Österreichischen Arbeitsringesfür Lärmbekämpfung) hier auch bei derAuslegung behilflich sein, so darf man siekeinesfalls als verbindliche Festlegungenbehandeln. In der Praxis werden die Früchtedes "heilige Normungseifers" (16) dennochleider allzu häufig für viel verbindlicher gehaltenals die zu vollziehenden Gesetze.Die Suche nach Grenzwerten für dasTechnik-, Planungs- und Umwelt<strong>recht</strong>, diesich rasch zur Sucht nach Grenzwerten entwickelt,zeigt die Tragik zweier Sehnsüchte:Da ist zum einen die Sehnsucht des Rechtsnach Eindeutigkeit der <strong>recht</strong>lichen Beurteilungund zum anderen die Sehnsucht derTechnik nach Eindeutigkeit der technischenMachbarkeit. Verzweigungen, Vagheiten,Mehrschichtigkeit und soziale Komplexität(kurz gesagt: alles, was menschlichemLeben eigen ist) sind die Feindinnen dieserSehnsüchte. Sie verunreinigen geradezu dieReinheit des Rechts oder der Technik. Juristischeund technische Lösungen sind sichdarin ähnlich, daß Ungelöstes und Unlösbaressolange ausgegrenzt wird (durch Interpretation,durch "technischen Fortschritt"),bis keine Zweifel mehr bleiben, sondern nurmehr die "reine Lösung" (das heißt: derGrenzwert).Und auf diese Weise wird die Strengedes juristischen Sprach spiels zum Gefangnis.IV. Im GefängnisDie fast ausschließliche Orientierung amtechnischen Aspekt von Umweltproblemenführt im Umwelt<strong>recht</strong> zu einem Interpretationsklima,das es der Behörde, den Antragstellerinnensowie den Nachbarinnen undsonstigen Parteien nicht leicht macht, sichan der Gesetzesauslegung zu beteiligen. Siealle finden sich in die Rolle der Laien verwiesen.Ihre Verfahrensbeiträge müssen allesamtso ausgerichtet sein, daß sie dem - faktischen- Auslegungsmonopol der jeweiligenSachverständigen entsprechen und nachgeordnetwerden. Sie werden als Ballast auf derSuche nach dem Grenzwert mitgeschleppt,manchmal freilich nur ungern, da ohnehinbereits feststeht, daß Laien (vermeintlich)keine sachdienlichen Angaben zum "Standder Technik" oder zur "Gefahr" machenkönnen.Die "Laien" reagieren unterschiedlich:Die Behörden schreiben die Gutachten ab(und nennen sie "Bescheid" und "Auflagen");die Unternehmerinnen beteuern, alleGrenzwerte genau einzuhalten (obwohl sieeigentlich an die Nützlichkeit oder an denGewinn ihres Vorhabens denken); die Nachbarinnenbezweifeln diese Grenzwerte unddie Schlüssigkeit der Gutachten (obwohl ihneneigentlich das geplante Vorhaben als solchesunbehaglich vorkommt).... im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ...Das Grenzwert-Suchen folgt indes einerunausweichlichen Eigendynamik: Es ist"Gegenstand des Beweises durch Sachverständigeauf dem Gebiet der gewerblichenTechnik und auf dem Gebiet des Gesundheitswesens.Den Sachverständigen obliegtes, aufgrund ihres Fachwissens ein Urteil(Gutachten) über diese Fragen abzugeben"(17). Die Sachverständigen sind Beweismittel(§§46 und 52 AVG). In der Praxis desUmwelt<strong>recht</strong>s spielen sie zweifellos eineweit wichtigere Rolle. Sie sind der Behördenämlich nicht nur bei der Feststellung desmaßgebenden Sachverhaltes behilflich, sondernsie liefern - so will es die Hausordnungdes Gefängnisses - auch gleich seine Interpretationmit. Wer, wenn schon nicht die jeweiligenSachverständigen für "gewerblicheTechnik" (?!) und "Gesundheitswesen",sollte denn die Grenzwerte kennen? Dahersind die Sachverständigen zwar nicht bloß -im Rechtssinne verstanden - Beweismittel,doch Mittel sind sie allemal.Worin besteht eigentlich der Zweck, demdiese Mittel dienen? Eine nähere Betrachtungder Praxis des Umwelt<strong>recht</strong>s erweist,daß Sachverständige nicht nur herangezogenwerden, um der Behörde bei der Vorbereitungihrer Entscheidungsgrundlagen zu helfen.Sachverständigengutachten werdenauch dazu verwendet, die behördliche Entscheidungzu legitimieren, soll heißen: gegenWidersprüche zu immunisieren. Werwagt es, den Gutachten von Sachverständigenzu widersprechen? Und selbst wennman es wagt, auf welche Weise kiinnte manwidersprechen? Nach der ständigen Rechtsprechungdes VwGH können Parteien einSachverständigengutachten nur dann erfolgversprechendkritisieren, wenn sie "auf gleicherfachlicher Ebene" argumentieren (lH).Um dies zu können, müssen sich die Parteiender Problemsicht, den Denkmustern unddem Sprachspiel der Sachverständigen anpassenund unterordnen. Überspitzt gesprochen:Wer sich der Ideologie der Sachverständigennicht unterwirft, verliert sein Mitsprache<strong>recht</strong>!Das ist demütigend und trägtwenig zur Konfliktvermeidung bei. Gewiß,das Recht schützt die Verfahrensparteien vorden unhöflichen Sachverständigen: Bezeichnetein Sachverständiger eine Partei als"lächerlich", liegt Befangenheit vor(l"). Dochwer schützt die Parteien vor der Demütigungdurch das "fachliche Niveau"?(2t1)Das Auslegungsmonopol und die Definitionsmachtder Sachverständigen wärenleichter zu ertragen, wenn ihr GrenzwertWeltbild erfolgreich angewendet werdenkönnte, um alle Umweltprobleme zu lösen.Die Sachverständigen wären dann eben"Philosophen-Könige" im Sinne der Staatskonzeptionvon Plato, die kraft ihres besserenWissens herrschen. Doch besitzen Sachverständigewirklich ein solches "besseresWissen "? Ulrich Beck hält das Konzept derGrenzwerte für einen "faulen Zauber", füreine Verbrämung der "Ahnungslosigkeit"der Wissenschaft (21). Das Umwelt<strong>recht</strong> verhilftdieser Ahnungslosigkeit - vielleichtnicht immer absichtlich, dafür aber unausweichlich- zur Rechtsverbindlichkeit. Waszur "Entscheidung" über einen Umweltkonfliktbenötigt wird, wird gelegentlich auch(16) So die treffelIde Charakterisiel'll1lg bei H atsdlek,Die Bedelltllllg des NorJne1lwesetis im österreichischellReCht, ÖVB/1936, 156 (203)(17) So zuletzt z.B. VwGH 15.9. 1992, 91/04/0315 =ZjVB 1993/5//336(18) Eil1weJ/dltllgell der Pat1eien, die dem "fachlichenNiveau" der Sachverstiindigellglttachtell nicht ge<strong>recht</strong>werdetI, miissen VOll der Behörde "icht beriitksichtigtwerdeJl. Vgl. z.B. VwGH 15. 3.1976,1602/75 = ZjVBSeite 321976/2/233; 24.5.1976, 796/74 = ZjVB 1976/4/999;16.12.1976, 1231/75=ZjVB 1977/3/1164;20.12.1976, 139/76 = ZjVB 1977/3/1174; 21. 9. 1977,1035/77 = ZjVB 1978///272; 27.9.1983,82/11/0130= ZjVB 1984/3/1023; 18.11.1986,86/07//824 = ZfVB 1987/4/1824(19) VwGH 27. 4. 1982, 81/07/0209 = ZjVBJ 983/3//441.' Der Sadlverstiilldige fiir Wasserba utechtlikbezeichllet eine Pdl1ei als "Iiicherlidlel/ Fischereibe-JURIDIKUM<strong>recht</strong>igtell". Die Behb'rde I/elltlt dies " <strong>recht</strong>lich l1icht korrekt",aber sie stiit;:,t ihre Entscheidltng auf das Gutachtet/.Der VwGH hebt den Bescheid wegen Verlet;:,ul1gvotlVetjahrensvorsdtrijten auf(20) Zur " Etlteigtltmg" des Dmkens mittels tedmokratischerEIl/scheidul1gsprozesse siehe Richardsoll/Shermall/Gismolldi,Will1lillg Back the Word>. COlljrOlltitlgexpelts ill al1 e!lvirollmetltal public hearillg (1993)(21) Beck, RisikogesellschaJt (1986) 85 fNr 3/94
"herbeigegutachtet". Über Unsicherheitenhilft man sich durch unverständliche Gutachtenssprache(Spezialität von technischenSachverständigen) oder bloße Behauptungen(Spezialität von medizinischen Sachverständigen)hinweg(Z2'.Wehe jedoch, wenn Sachverständige eswagen, zu zweifeln! Zweifelnde Sachverständigenwerden rasch als zweifelhafte Sachverständigeabgestempelt. Hingegen werdendie verzweifelnden Sachverständigen zurzweifelsfreien Begutachtung ermahnt. Werden Grenzwert nicht erkennen kann und"menschliche Unzulänglichkeit" eingesteht,wird konsequent als "Spielverderber" nichtmehr zur sachverständigen Begutachtungherangezogen. Solche Sachverständige verlierenihre Funktion als Mittel. Sie taugennicht einmal mehr als Beweismittel, denn siekönnen nichts mehr beweisen außer ihre"menschliche Unzulänglichkeit".V. Grenzwert undKulturschockNoch am Ende der Sechzigerjahre wurden"Gefahr" und "Risiko" für meßbar gehalten,und es wurde den staatlichen Behörden geraten,die Frage" Wie sicher ist sicher genug?"mit Hilfe der Ingenieur- und Naturwissenschaftenzu beantworten (l.lJ. Über dieprobabilistische Risikoanalyse sagte einer ihrer"Gurus": "The ultimate goal in the useof these methods should be to provide ameasureof risk of an activity that can beused in the regulatory process to provide as- .surance that an activity is acceptably safe. '«2.'Groß angelegte Studien über die richtige"Risikozahl ", den richtigen Grenzwert, folgtendieser Verheißung und prägten den Umgangmit dem Risiko großtechnischer Anlagenund Projekte(25'.Die Verheißung hat sich nicht erfüllt.Zunächst ist der technokratische Umgangmit dem Risiko an seine eigenen, technischenGrenzen gestoßen (z.B. Bhopal,Tschernobyl, Seveso). Vor allem aber ist dertechnokratische Umgang mit dem Risiko andemokratische und soziale Grenzen gestoßen(in Österreich z.B. Zwentendorf,Hainburg).Vor fast zehn Jahren erstattete der damaligeBundeskanzler, Dr. Sinowatz, dem Nationalrateinen Bericht über den Polizeieinsatzin der Hainburger Au und kündigte dieSuche nach einem neuen Grenzwert an:(22) Zur PhänomeNologie vgl. z.B. Zmkl, Die Zumutung.Über unerwünschte Wirkungen von Amtssachverständigen,in: Zmkl (Hg.), Umwelt- [md SozialverträglichkeitvonProjekten und Maßnahmm (1991) 84(23) Bahnbrech81ld z.B. Starr, Social B81lefit Ver:rusTechnological Risk, Sci81lce 1969 (Band 165) 1232(24) Rasmussm, The Application of Probabilistic RiskAssessment Techniques to Energy Techtlologies, AJlJlUalReview of Ellergy 1981 (Band 6) 123(25) Vgl. z.B. Gesellschaft für Reaktorsicherheit, "DeutscheRisikostudie Kemkraftwerke. Eine Unter:rztthzl1Ig zudem durch Stölfälle in Kemkraftwerk81l verUl:rachtenNr 3/94"Wir wollen tradierte Entscheidungsprozesseverändern und trachten, daß jenes Maß ansozialer Verträglichkeit erreicht werden kann,das eine Wiederholung der Vorgänge desvergangenen Dezember ausschließt" (2(".Auch wenn man den gesetzwidrigen Baubeginnfür das Donaukraftwerk Hainburg imJahr 1984 nicht allein auf ein Versagen deringenieur- und naturwissenschaftlichenGrenzwertgläubigkeit zurückführen kann, someinte man damals zweifellos, daß es ausreicht,wenn ein großtechnisches Projektden technischen Grenzwerten entspricht. Vielhat man indes in den vergangenen zehn Jahrennicht gefunden, auf der Suche nach demsozialen Grenzwert, also dem richtigen "Maßan sozialer Verträglichkeit". Als soziale Problemewerden Umweltprobleme nämlichnoch immer kaum erkannt, geschweige dennbehandelt.In der Risikoforschung wird seit einigerZeit versucht, zum sozialen Kern von Umweltproblemenvorzustoßen (27). "Wie fair istsicher genug?" lautet die Fragestellung derCultural Theory (2H), die davon ausgeht, daß"Gefahr", "Risiko" und "Stand der Technik"nichts Objektives sind, sondern das Ergebnisvon <strong>gesellschaft</strong>lichen Darstelllll1gs-,Lern- und Konsensprozessen: "Risk is acollective construct"(29,. Solange sich das Technik-,Planungs- und Umwelt<strong>recht</strong> der radikalenEinsicht verschließen, daß "Grenzwerte"nicht die angemessene Reaktion auf die vielfacheUnzufriedenheit mit der juristischenKonfljktregelung sind, werden die Rufenach weniger Umweltgesetzen (von der einenSeite) oder nach mehr Umweltgesetzen(von der anderen Seite) nicht verhallen.Das grenzwertlose Recht wird, unbelehrbarund unbeirrbar, zum wertlosen Recht.Der "Kulturschock" der Verdrossenheitmit Politik, Wirtschaft und Technik ist nurfür jene ein Zeichen des rien ne va plus, diein erster Linie im Ausgrenzen von anderenWeltbildern einen Wert erblicken. DasScheitern des Grenzwert-Konzepts war nichtdie Folge "menschlicher Unzulänglichkeit",sondern ein deutliches Lebenszeichenmenschlicher Zulänglichkeit.Ich danke Verena Madner und lVlaria Zenkl fürihre Anregungen und Bemerkullgell zu einer friiherellFassung dieses Textes.Univ.-Doz. Dr. Benjamin Davy ist im Studienjahr1994/95 "Joseph A. Schumpeter-Fellow" an derHarvard University (Cambridge USA).Risiko" (1980, 2. Auflage)(26) Wimer Zeitung, 24.1.1985 (meiue Heroolhebung)(27) Vgl. zur Eutwickluug z.B. die -untet:rchiedlichenBeiträge iu Bethmatlll (Hg.), Risiko und Gesellschaft(1993)(28) Rayuer!Cautor, How Fair Js Safe El10ughP TheCultura! Approach to Societa! Techllology Choice, RiskAnalysis 1987 (Baud 7) 3(29) Bahubrechend Douglas/Wildavsky, Risk (md Cu/ture. An Essay Oll the Selectiou of TechllOlogical audErlVironmelltal Daugers (1982)JURIDIKUMRisiko Ges.m.b.H.* Die Anleitung zuumweltfreundlichemProduzieren* Für Wirtschaftstreibendemit Interesse aneiner Umweltzeichenvergabe* Alle Informationenin einem Band124 Seiten, broschiertöS 258,- inkl. MWSt.Weitere Literatur zumThema Umwelt<strong>recht</strong>U mweltinformationsgesetz(UIG)Schober/LopauaKurzkommentar,72 Seiten,öS 248,- inkl. MWSt.mweltförderungsgesetzTrimmelTextausgabe mitumfangreichen Anmerkungen,134 Seiten, öS 228,- inkl.MW t.Edition Juristische LiteraturRennweg 12a, A-I037 WienTel.: (0222) 797 89IDW 295Fax: 797 89/455ÖSTERREICHISCHESTAATSDRUCKEREISeite 33