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Auftrag_277_150dpi.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten

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ISSN 1866-0843HEFT <strong>277</strong> – MÄRZ 201050. JAHRGANG• Friedensbotschaftdes Papstes• 12. SeminarAkademie Korn• Südafrikavor der WM• BundeskanzlerKohl und dieBundeswehr (I)• SeminarFunktionsträger 2010• Afghanistan alskirchlicheHerausforderung


INHALTEDITORIAL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3SEITE DES BUNDESVORSITZENDEN . . . . . . 4SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKFriedensbotschaft Benedikt XVI. . . . . . . . . 5Widerstand gegen Reformen in USAvon Klaus Liebetanz . . . . . . . . . . . . . 10Katastrophale Menschenrechtslage in Ost-Kongovon Klaus Liebetanz . . . . . . . . . . . . . 11„Was will Deutschland am Hindukusch?“Stellungnahme zu VENRO-Papiervon Klaus Liebetanz . . . . . . . . . . . . . 14Zur Proliferationsproblematikvon Werner Bös . . . . . . . . . . . . . . . . 16GESELLSCHAFT NAH UND FERNHoffen und Bangen für AfghanistanPosition der evangelischen Kirchevon Gerhard Arnold . . . . . . . . . . . . . 24Verbessertes Afghanistan-Konzeptder Bundesregierungvon Klaus Liebetanz . . . . . . . . . . . . . 26Nikoseli Afrika!von Andreas Rauch . . . . . . . . . . . . . . 28<strong>Gemeinschaft</strong> Sant‘Egidio – ein Vorbild?von Klaus Liebetanz . . . . . . . . . . . . . 33BILD DES SOLDATENInternationaler <strong>Soldaten</strong>gottesdienst Kölnvon Bertram Bastian . . . . . . . . . . . . . 36Beitrag zum Frieden ist Bewahrung der Schöpfungvon Rüdiger Attermeyer . . . . . . . . . . . 37Renovabis würdigt Engagementvon Thomas Schumann . . . . . . . . . . . 38Seminar für Funktionsträgervon Bertram Bastian . . . . . . . . . . . . . 38RELIGION UND GESELLSCHAFTHerbstvollversammlung des Landeskomiteein Bayernvon Reinhard Kießner . . . . . . . . . . . . 39Mitgliederversammlung der KADvon Bertram Bastian . . . . . . . . . . . . . 40Mit Werten führenVeranstaltung des BKU mit der GKS Bonnvon Bertram Bastian . . . . . . . . . . . . . 41AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010 • 50. JAHRGANGKIRCHE UNTER SOLDATEN12. SEMINAR AKADEMIE KORN . . . . . . . . . . . 54Kann der Glaube an Jesus Christus für den<strong>Soldaten</strong> hilfreich sein im täglichen Dienstvon Bertram Bastian . . . . . . . . . . . . . 55Gelebter Glaube und Zeugnis von Jesus Christuswährend der kommunistischen Zeitvon Jan Pacner . . . . . . . . . . . . . . . 58Gedanken zur Ethik des <strong>Soldaten</strong>berufesvon GenLt Wolfgang Korte . . . . . . . . . . 60GKS - Hilfen für ein Leben aus dem Glaubenvon Rüdiger Attermeyer . . . . . . . . . . . 63PERSONALIAIn memoriam: FlA a.D. Dr. Werner Pfeiffervon Paul Schulz . . . . . . . . . . . . . . . 66AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKSGKS-KREIS HAMMELBURGAdvent – Licht – Weg . . . . . . . . . . . . . . 67Star-Ballett als Ministranten . . . . . . . . . . . 67GKS-KREIS UND STANDORT BONNAdventliche Besinnung . . . . . . . . . . . . . 68Mensch als Mittelpunkt der Gesellschaft . . . . 68GKS-KREIS KÖLN-WAHNAdventswochenende . . . . . . . . . . . . . . . 69Neujahrsempfang . . . . . . . . . . . . . . . . 69GKS-KREIS UNNAHelfen oder Wegsehen . . . . . . . . . . . . . . 70GKS-KREIS MÜNCHENTreffpunkt „Julia“ . . . . . . . . . . . . . . . . 71BEREICH WESTLetzte Bereichskonferenz NRW . . . . . . . . . 71Fusionswochenende . . . . . . . . . . . . . . . 72INTERNATIONALER SACHAUSSCHUSSVorbereitung der AMI Konferenz . . . . . . . . 73KURZ BERICHTET: . . . . . . . . 13, 23, 35, 38, 42, 73BUCHBESPRECHUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . 74TERMINE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75IMPRESSUM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76BLICK IN DIE GESCHICHTE50 Jahre Bundeswehr: Helmut Kohl (I.Teil):Der sechste Bundeskanzler und die Bundeswehrvon Dieter Kilian . . . . . . . . . . . . . . . 43UNSER TITELBILD: Übergabe der Dokumentation der bisherigen 11 Seminare der Akademie Korn an Militärbischof Mixa und anden Schirmherrn der Akademie, GenLt Wolfgang Korte (v.l.n.r.: Oberstlt a.D. Paul Schulz, der Autor des Buches, GenLt WolfgangKorte, Bischof Mixa, Oberst a.D. Karl-Jürgen Klein, Leiter der Akademie, Oberstlt i.G. Rüdiger Attermeyer, Bundesvorsitzender GKS2


AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010 • 50. JAHRGANGeditorial:Liebe Leserschaft,zu Beginn des neuen Jahres sorgte die damaligeVorsitzende des Rates der EvangelischenKirchen Deutschlands (EKD) für gewisse Aufregung.Einmal postulierte sie, dass nichts inAfghanistan gut sei und zum anderen gab sie derPresse zu verstehen, dass sie von Papst Benediktin Sachen Ökumene „nichts erwarte“. LandesbischöfinMargot Käßmann wurde von vielenSeiten in Sachen Afghanistan widersprochen, inSachen Ökumene nur von Walter Kardinal Kaspergerügt, dem Präsidenten des Päpstlichen Rateszur Förderung der Einheit der Christen.Bischöfin Käßmann verdrängt einerseits vollkommen,dass über 3.000 Schulen gebaut wordensind, in denen auch Mädchen unterrichtetwerden. Man erinnere sich an die Zeit vor demEingreifen der internationalen <strong>Gemeinschaft</strong>,als die Taliban Mädchen nicht zur Schule gehenließen und unter der Burkha versteckten. Ein hoherProzentsatz der Menschen in Afghanistan hatZugang zu sauberem Trinkwasser, eine Tatsache,die ein im Überfluss lebender Mitteleuropäer garnicht würdigen kann. Das alles soll nicht gutsein? Die damalige Vorsitzende der EKD mussteerleben, dass in einer exponierten Position leichteinzelne Teile einer Predigt oder eines Interviewszu Gesamtpositionen werden, die komplexe Dingein einer verkürzten Sicht darstellen, die zumWiderspruch auffordern.Dass andererseits die Ökumene auf einem gutenWeg ist, zeigen die intensiven Vorbereitungenzum zweiten ökumenischen Kirchentag. Hier sollgemeinsam Flagge gezeigt werden, es wird aberauch deutlich werden, dass die römisch-katholischeKirche als Weltkirche in Ökumene nichtnur die evangelischen / protestantischen / lutherischen/ reformierten / unierten Glaubensbrüderkennt, sondern auch die in Sakramentsgemeinschaftverbundenen Orthodoxen Kirchen. Die Öffnungzur anglikanischen Kirche war zwar nichtso spektakulär wie die Hinwendung zur Piusbruderschaft,aber all dies zeigt überdeutlich, dassBenedikt XVI. der Berufung als pontifex maximusmehr als nachkommt. Dazu braucht man keineBeurteilung, die sich auf den deutschsprachigenRaum beschränkt.In diesem AUFTRAG werden wir neben derDokumentation des 12. Seminars der AkademieKorn unter anderem zur Afghanistan Problematikberichten und werden einen evangelischen Theologenzu Wort kommen lassen, denn Ökumene, die<strong>Gemeinschaft</strong> in Vielfalt, braucht verschiedeneMeinungen, damit die eigene Meinung überprüftwerden kann. Nur wer auf festem Boden steht,kann in einem Dialog mit Andersgläubigen seinenGlauben überzeugend darstellen. Somit bleibt dieeigene Glaubensschulung immer die Grundlagefür den interreligiösen Dialog, der in gegenseitigemRespekt erfolgen sollte. Dazu hilft auch daskleine Büchlein „Perlenschnur und Rosenkranz“,welches ich Ihnen in der Buchbesprechung vorstellenwerde. Viel Spaß bei der Lektüre des Heftes!Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien einschönes Fest der Auferstehung unseres Herrn sowieein gnadenreiches Pfingstfest3


SEITE DES BUNDESVORSITZENDENuf dem Weg sein“ – ein oft benutztes Bild,„Ain der Heiligen Schrift ebenso wie im Alltag.Auch die GKS ist auf dem Weg und wenn es auf demWeg klare Orientierungsmarken gibt, ist es leichtKurs zu halten.Wir haben „ethischeWegmarken“ und deshalbist eine Stellungnahmezur aufgeflammten Afghanistandiskussionnichtschwer. Unsere Position wirdseit Jahren klar vertreten undhat den politischen Raumlängst erreicht. Der Einsatzmilitärischer Kräfte muss füruns immer in ein schlüssigesGesamtkonzept eingebundensein, das militärische undnichtmilitärische Möglichkeitenabgestuft berücksichtigt.Nur dadurch bleibt sichergestellt,dass der Einsatzmilitärischer Gewalt die „ultimaratio“, das letzte Mittelbleibt. Im Jahr 2008 habenwir diese Position an alle Abgeordnetendes DeutschenBundestages versandt, dieAntworten zeigten uns, dasswir damit nicht allein dastehen.Der unmittelbar vor uns liegende Wegabschnittwird für die GKS von besonderer Bedeutungsein. Es gilt am 12. Juni in Fulda die Neufassungder Ordnung bei einer außerordentlichen Bundeskonferenzzu verabschieden. Diese Ordnung soll dieZukunftsfähigkeit der GKS sicherstellen und mussals allgemein getragene Grundlage für das weitereWirken insgesamt verstanden werden. GKS-Kreiseund Bereiche tragen die Arbeit in der Fläche, dieSachausschüsse sind die „Werkstätten“, die unsereinhaltlichen Positionen (siehe oben!) erarbeiten undauch fortschreiben. Diese beiden Ausprägungen innerhalbderselben <strong>Gemeinschaft</strong> näher zusammenzu bringen, ist eine der anstehenden Aufgaben undDie GKS auf dem Wegdiese Einheit in der <strong>Gemeinschaft</strong> muss sich auch inder künftigen Ordnung widerspiegeln. Ich sehe unsin diesem Verständnis nicht auf verlorenem Posten,sondern auf gutem Weg, jedoch noch nicht am Ziel!Wichtig ist daher jetzt, imVorfeld der außerordentlichenBundeskonferenz dieAuswirkungen der einzelnenVeränderungsschrittein aller Breite und mit dergebotenen Sorgfalt zu bewerten,um dann zu einemausgewogenen Ergebnis zugelangen.Ich habe keinen Zweifel,dass dies gelingen wird,erwarte aber einen steilenund damit anstrengendenWegabschnitt. Dabei sindzwei Wegmarken wichtig:Erstens brauchen wirdie neue Ordnung und wirbrauchen sie jetzt. Zweitensist es ebenso wichtig,geschlossen anzukommenund nicht Einzelne zu verlieren.Dafür muss sich jederzurücknehmen und vorbehaltlosin die <strong>Gemeinschaft</strong>einbringen. Das gemeinsame inhaltliche Verständnisder <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong>ist mit dem „Leitershofener Programm“ bereits beschrieben,dies gilt es nun in der Ordnung widerzuspiegelnund weiter mit Leben zu füllen, jeder aufseinem Platz.Die Zeit bis zur außerordentlichen Bundeskonferenzwird nicht nur geprägt sein von deren Vorbereitungin den Gremien, sondern auch durch dieösterliche Bußzeit, das Osterfest sowie das Pfingstfest.Ich wünsche uns, dass diese kirchlichen Festefür jeden von uns auch ganz persönliche Orientierungsmarkensind,Rüdiger AttermeyerBundesvorsitzender4 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKWeltfriedenstag 2010WILLST DU DEN FRIEDEN FÖRDERN,SO BEWAHRE DIE SCHÖPFUNGBOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT PAPST BENEDIKT XVI.ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES 1. JANUAR 2010Zu Beginn des Neuen Jahres1. möchte ich allen christlichen<strong>Gemeinschaft</strong>en, den Verantwortlichender Nationen und den Menschenguten Willens in aller Welt ausganzem Herzen den Frieden wünschen.Für den 43. Weltfriedenstaghabe ich das Motto gewählt: Willstdu den Frieden fördern, so bewahredie Schöpfung. Der Achtung vor derSchöpfung kommt große Bedeutungzu, auch deshalb, weil „die Schöpfungder Anfang und die Grundlage allerWerke Gottes“ 1 ist und sich ihr Schutzfür das friedliche Zusammenleben derMenschheit heute als wesentlich erweist.Aufgrund der Grausamkeit desMenschen gegen den Menschen gibtes in der Tat zahlreiche Gefährdungen,die den Frieden und die authentischeganzheitliche Entwicklung desMenschen bedrohen, wie Kriege, internationaleund regionale Konflikte,Terrorakte und Menschenrechtsverletzungen.Nicht weniger besorgniserregendsind jedoch jene Gefahren,die vom nachlässigen – wenn nichtsogar missbräuchlichen – Umgangmit der Erde und den Gütern der Naturherrühren, die uns Gott geschenkthat. Darum ist es für die Menschheitunerlässlich, „jenen Bund zwischenMensch und Umwelt zu erneuern undzu stärken, der ein Spiegel der SchöpferliebeGottes sein soll – des Gottes,in dem wir unseren Ursprung habenund zu dem wir unterwegs sind“. 2In der Enzyklika Caritas in veritatehabe ich unterstrichen,2.dass die ganzheitliche Entwicklungdes Menschen in enger Verbindungmit den Pflichten steht, die sich ausder Beziehung des Menschen zu Um-1 Katechismus der Katholischen Kirche,198.2 BENEDIKT XVI., Botschaft zum Weltfriedenstag2008, 7.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010welt und Natur ergeben. Die Umweltmuss als eine Gabe Gottes analle verstanden werden, und ihr Gebrauchbringt eine Verantwortung gegenüberder ganzen Menschheit mitsich, insbesondere gegenüber denArmen und gegenüber den zukünftigenGenerationen. Ich habe zudemdarauf hingewiesen, dass in den Gewissender Menschen das Verantwortungsbewusstseinabzunehmen droht,wenn die Natur und allem voran derMensch einfach als Produkt des Zufallsoder des Evolutionsdeterminismusangesehen werden. 3 Wenn wir inder Schöpfung hingegen eine GabeGottes an die Menschheit sehen, sohilft uns das, die Berufung und denWert des Menschen zu verstehen. Mitdem Psalmisten können wir in derTat voll Staunen ausrufen: „Seh’ ichden Himmel, das Werk deiner Finger,Mond und Sterne, die du befestigt:Was ist der Mensch, dass du an ihndenkst, des Menschen Kind, dass dudich seiner annimmst?“ (Ps 8, 4-5).Die Betrachtung der Schönheit derSchöpfung spornt dazu an, die Liebedes Schöpfers zu erkennen, jene Liebe,welche „die Sonne und die übrigenSterne bewegt“. 4Vor zwanzig Jahren hat Papst3. Johannes Paul II. die Botschaftzum Weltfriedenstag dem Thema Friedemit Gott, dem Schöpfer, Friede mitder ganzen Schöpfung gewidmet unddamit die Aufmerksamkeit auf die Beziehunggelenkt, die wir als GeschöpfeGottes mit all dem haben, was unsumgibt. „In unseren Tagen bemerktman“, schrieb er, „ein wachsendesBewusstsein dafür, dass der Weltfriede... auch durch den Mangel ander gebührenden Achtung gegenüber3 Vgl. Nr. 48.4 DANTE ALIGHIERI, Göttliche Komödie,Paradies, XXXIII, 145.der Natur ... bedroht ist“. Und er fügtehinzu, dass das Umweltbewusstsein„nicht geschwächt werden darf,sondern vielmehr gefördert werdenmuss, so dass es sich entwickelt undreift und in Programmen und konkretenInitiativen einen angemessenenAusdruck findet“. 5 Schon anderemeiner Vorgänger haben auf dieBeziehung zwischen dem Menschenund der Umwelt verwiesen. Im Jahre1971 zum Beispiel, anlässlich des 80.Jahrestages der Enzyklika Rerum Novarumvon Papst Leo XIII., hat PapstPaul VI. hervorgehoben, dass dieMenschen „die Natur so unbedachtausgeschlachtet haben, dass Gefahrbesteht, sie zu zerstören, und dassder in solchem Missbrauch liegendeSchaden wieder auf sie selbst zurückfällt“.Und er führte weiter aus: „Abernicht nur die Umwelt des Menschenwird für diesen stets feindlicher, wiezum Beispiel Umweltverschmutzungund Abfälle, neue Krankheiten, totaleVernichtungsgewalt. Der Mensch hatauch die menschliche Gesellschaftselbst nicht mehr im Griff, so dass erfür seine Zukunft Lebensbedingungenherbeiführen kann, die für ihn ganzund gar unerträglich sind. Es handeltsich um die Soziale Frage, die so weiteDimensionen hat, dass sie die gesamteMenschheitsfamilie erfasst“. 6Auch wenn die Kirche es vermeidet,sich zu spezifischen fachli-4.chen Lösungen zu äußern, so bemühtsie sich als „Expertin in Menschlichkeit“,mit aller Kraft die Aufmerksamkeitauf die Beziehung zwischendem Schöpfer, dem Menschen undder Schöpfung zu lenken. Papst JohannesPaul II. hat 1990 von einer„Umweltkrise“ gesprochen, und un-5 Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 1.6 Apostolisches Schreiben Octogesimaadveniens, 21.5


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKter dem Hinweis, dass diese in ersterLinie ethischer Natur sei, hob er „diedringende moralische Notwendigkeiteiner neuen Solidarität“ 7 hervor. DieserAufruf ist heute angesichts der zunehmendenZeichen einer Krise nochdringlicher, und es wäre unverantwortlich,dieser Krise keine ernsthafteBeachtung zu schenken. Wie könnteman gleichgültig bleiben angesichtsvon Phänomenen wie dem globalenKlimawandel, der Desertifikation, derAbnahme und dem Verlust der Produktivitätvon großen landwirtschaftlichenGebieten, der Verschmutzungvon Flüssen und Grundwasser, demVerlust der Biodiversität, der Zunahmevon außergewöhnlichen Naturereignissenund der Abholzung in tropischenGebieten. Wie könnte mandas wachsende Phänomen der sogenannten„Umweltflüchtlinge« übergehen:Menschen, die aufgrund derUmweltschäden ihre Wohngebiete –oft auch ihr Hab und Gut – verlassenmüssen und danach den Gefahrenund der ungewissen Zukunft einerzwangsmäßigen Umsiedlung ausgesetztsind? Wie könnte man untätigbleiben angesichts der schon bestehendenund der drohenden Konflikteum den Zugang zu den natürlichenRessourcen? All diese Fragen habeneinen weitreichenden Einfluss aufdie Umsetzung der Menschenrechte,wie zum Beispiel das Recht auf Leben,auf Nahrung, Gesundheit undEntwicklung.Es darf jedoch nicht vergessen5. werden, dass die Umweltkrisenicht unabhängig von anderen Fragenbewertet werden kann, die mitihr verknüpft sind, da sie eng mit demEntwicklungsbegriff selbst und mitder Sicht des Menschen und seinerBeziehung zu seinen Mitmenschenund zur Schöpfung zusammenhängt.Daher ist es sinnvoll, eine tiefgehendeund weitblickende Prüfung desEntwicklungsmodells vorzunehmensowie über den Sinn der Wirtschaftund über ihre Ziele nachzudenken,um Missstände und Verzerrungen zukorrigieren. Das verlangen der ökologischeZustand des Planeten sowieauch und vor allem die kulturelle undmoralische Krise des Menschen, de-7 Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 10.ren Symptome schon seit längerer Zeitin allen Teilen der Welt offensichtlichsind .8 Die Menschheit brauchteine tiefe kulturelle Erneuerung; siemuss jene Werte wiederentdecken,die ein festes Fundament darstellen,auf dem eine bessere Zukunft für alleaufgebaut werden kann. Die Krisensituationen,die sie heute erlebt – seies im Bereich der Wirtschaft, in derNahrungsmittelversorgung, der Umweltoder der Gesellschaft –, sind imGrunde genommen auch moralischeKrisen, die alle miteinander verknüpftsind. Sie machen eine Neuplanungdes gemeinsamen Wegs der Menschennotwendig. Sie erfordern insbesondereeine durch Maßhalten und Solidaritätgekennzeichnete Lebensweise mitneuen Regeln und Formen des Einsatzes,die zuversichtlich und mutig diepositiven Erfahrungen aufgreifen unddie negativen entschieden zurückweisen.Nur so kann die derzeitige KriseGelegenheit zur Unterscheidung undzu einem neuen Planen werden.Stimmt es etwa nicht, dass am6. Ursprung dessen, was wir in einemkosmischen Sinn „Natur“ nennen,ein „Plan der Liebe und derWahrheit“ steht? Die Welt „ist nichtdas Ergebnis irgendeiner Notwendigkeit,eines blinden Schicksalsoder des Zufalls. ... Sie geht aus demfreien Willen Gottes hervor, der dieGeschöpfe an seinem Sein, seinerWeisheit und Güte teilhaben lassenwollte“. 9 Das Buch Genesis stellt unsauf seinen ersten Seiten das weiseProjekt des Kosmos vor Augen, daseine Frucht der Gedanken Gottes istund an dessen Spitze Mann und Fraustehen, die als Abbild des Schöpfersund ihm ähnlich geschaffen wurden,damit sie „die Erde bevölkern“ undüber diese als von Gott selbst eingesetzte„Verwalter“ „herrschen“ (vgl.Gen 1, 28). Die von der HeiligenSchrift beschriebene Harmonie zwischenGott, der Menschheit und derSchöpfung wurde durch die SündeAdams und Evas zerbrochen, durchdie Sünde des Mannes und der Frau,die die Stelle Gottes einnehmen wolltenund sich weigerten, sich als sei-8 Vgl. BENEDIKT XVI., Enzyklika Caritasin veritate, 32.9 Katechismus der Katholischen Kirche,295.ne Geschöpfe zu sehen. Konsequenzdessen ist, dass auch die Aufgabe,über die Erde zu „herrschen“, sie zu„bebauen“ und zu „hüten“, Schadengenommen hat und es zu einem Konfliktzwischen ihnen und der übrigenSchöpfung gekommen ist (vgl. Gen3, 17-19). Der Mensch hat sich vomEgoismus beherrschen lassen und dieBedeutung von Gottes Gebot aus demBlick verloren, und in seiner Beziehungzur Schöpfung hat er sich wie einAusbeuter verhalten, der über sie eineabsolute Dominanz ausüben will. Diewahre Bedeutung des anfänglichenGebots Gottes bestand aber, wie esdas Buch Genesis deutlich zeigt, nichtbloß in einer Übertragung von Autorität,sondern vielmehr in einer Berufungzur Verantwortung. Übrigens erkanntedie Weisheit der Antike, dassdie Natur uns nicht wie „ein Haufenvon zufällig verstreutem Abfall“ 10 zurVerfügung steht, während uns die biblischeOffenbarung verstehen ließ,dass die Natur eine Gabe des Schöpfersist, der ihr eine innere Ordnunggegeben hat, damit der Mensch darindie notwendigen Orientierungen findenkann, um sie „zu bebauen und zuhüten“ (vgl. Gen 2, 15). 11 Alles, wasexistiert, gehört Gott, der es den Menschenanvertraut hat, aber nicht zuihrer willkürlichen Verfügung. Wennder Mensch nicht seine Rolle als MitarbeiterGottes erfüllen, sondern dieStelle Gottes einnehmen will, ruft erdadurch schließlich die Auflehnungder Natur hervor, die von ihm „mehrtyrannisiert als verwaltet wird“. 12 DerMensch hat also die Pflicht, in verantwortlicherWeise über die Naturzu herrschen, sie zu hüten und zubebauen. 13Leider muss man feststellen, dass7. eine große Zahl von Personen inverschiedenen Ländern und Regionender Erde aufgrund der Nachlässigkeitoder Verweigerung vieler,verantwortungsbewusst mit der Natur10 HERAKLIT VON EPHESUS (ca. 535- 475 v. Chr.), Fragment 22B124, in: H.Diels – W. Kranz, Die Fragmente derVorsokratiker, Weidmann, Berlin 19526.11 Vgl. BENEDIKT XVI., Enzyklika Caritasin veritate, 48.12 JOHANNES PAUL II., Enzyklika Centesimusannus, 37.13 Vgl. BENEDIKT XVI., Enzyklika Caritasin veritate, 50.6 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


umzugehen, wachsende Schwierigkeitenerfährt. Das Zweite VatikanischeÖkumenische Konzil hat daran erinnert,dass „Gott die Erde und was sieenthält zum Gebrauch für alle Menschenund Völker bestimmt hat“. 14Das Schöpfungserbe gehört somit dergesamten Menschheit. Dagegen bringtdas derzeitige Tempo der Ausbeutungdie Verfügbarkeit einiger natürlicherRessourcen nicht nur für die gegenwärtige,sondern vor allem für die zukünftigenGenerationen in Gefahr. 15Es ist dann nicht schwer festzustellen,dass die Umweltschäden oft einErgebnis des Fehlens weitblickenderpolitischer Programme oder auch derVerfolgung kurzsichtiger wirtschaftlicherInteressen sind, die sich leiderzu einer ernsten Bedrohung fürdie Schöpfung entwickeln. Um diesemPhänomen auf der Grundlageder Tatsache, dass „jede wirtschaftlicheEntscheidung eine moralischeKonsequenz“ 16 hat, zu begegnen, istes auch nötig, dass die wirtschaftlichenAktivitäten um so mehr auf dieUmwelt Rücksicht nehmen. Wennman sich der natürlichen Ressourcenbedient, muss man sich um ihre Bewahrungkümmern, indem man auchdie Kosten – was die Umwelt und denSozialbereich betrifft – veranschlagtund als eine wesentliche Position derKosten der wirtschaftlichen Aktivitätselbst bewertet. Es kommt der internationalen<strong>Gemeinschaft</strong> und dennationalen Regierungen zu, rechteSignale zu setzen, um effektiv jenenModalitäten der Nutzung der Umweltentgegenzutreten, die sich als umweltschädigenderweisen. Um die Umweltzu schützen und die Ressourcen unddas Klima zu bewahren, muss man einerseitsunter Beachtung von – auchunter rechtlichem und wirtschaftlichemGesichtspunkt – recht definiertenNormen handeln, und andererseitsdie Solidarität im Blick haben, die denen,die in den ärmsten Gebieten derErde leben, wie auch den zukünftigenGenerationen geschuldet ist.14 Pastoralkonstitution Gaudium et spes,69.15 Vgl. JOHANNES PAUL II., EnzyklikaSollicitudo rei socialis, 34.16 BENEDIKT XVI., Enzyklika Caritas inveritate, 37.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010In der Tat scheint es an der Zeit,8. zu einer aufrichtigen Generationenübergreifenden Solidarität zu gelangen.Die Kosten, die sich aus demGebrauch der allgemeinen Umweltressourcenergeben, dürfen nicht zuLasten der zukünftigen Generationengehen: „Erben unserer Väter und Beschenkteunserer Mitbürger, sind wirallen verpflichtet, und jene könnenuns nicht gleichgültig sein, die nachuns den Kreis der Menschheitsfamilieweiten. Die Solidarität aller, die etwasWirkliches ist, bringt für uns nicht nurVorteile mit sich, sondern auch Pflichten.Es handelt sich um eine Verantwortung,die die gegenwärtigen fürdie zu-künftigen Generationen übernehmenmüssen und die auch eineVerantwortung der einzelnen Staatenund der internationalen <strong>Gemeinschaft</strong>ist“. 17 Der Gebrauch natürlicher Ressourcenmüsste dergestalt sein, dassdie unmittelbaren Vorteile nicht negativeFolgen für die Menschen undandere Lebewesen in Gegenwart undZukunft mit sich bringen; dass derSchutz des Privateigentums nicht denuniversalen Bestimmungszweck derGüter beeinträchtigt; 18 dass der Eingriffdes Menschen nicht die Fruchtbarkeitder Erde gefährdet – zumWohl der Welt heute und morgen. Nebeneiner aufrichtigen Generationenübergreifenden Solidarität muss diedringende moralische Notwendigkeiteiner erneuerten Solidarität innerhalbeiner Generation, besonders in denBeziehungen zwischen den Entwicklungsländernund den hochindustrialisiertenStaaten, betont werden: „Dieinternationale <strong>Gemeinschaft</strong> hat dieunumgängliche Aufgabe, die institutionellenWege zu finden, um derAusbeutung der nicht erneuerbarenRessourcen Einhalt zu gebieten, unddas auch unter Einbeziehung der armenLänder, um mit ihnen gemeinsamdie Zukunft zu planen“. 19 Die ökologischeKrise zeigt die Dringlichkeiteiner Solidarität auf, die sich überRaum und Zeit erstreckt. Es ist in17 PÄPSTLICHER RAT FÜR GERECH-TIGKEIT UND FRIEDEN, Kompendiumder Soziallehre der Kirche, 467;vgl. PAUL VI., Enzyklika Populorumprogressio, 17.18 Vgl. JOHANNES PAUL II., EnzyklikaCentesimus annus, 30-31.43.19 BENEDIKT XVI., Enzyklika Caritas inveritate, 49.SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKder Tat wichtig, unter den Ursachender aktuellen ökologischen Krise diehistorische Verantwortung der Industrieländerzuzugeben. Aber die Entwicklungsländerund besonders dieSchwellenländer sind dennoch nichtvon der eigenen Verantwortung gegenüberder Schöpfung befreit, weildie Verpflichtung, Schritt für Schrittwirksame umweltpolitische Maßnahmenzu ergreifen, allen zukommt. Dieskönnte leichter verwirklicht werden,wenn es weniger eigennützige Rechnungenbei den Hilfeleistungen sowiein der Weitergabe von Wissen undsauberen Technologien gäbe.Zweifellos besteht einer der9. grundlegenden Kernpunkte, dievon der internationalen <strong>Gemeinschaft</strong>anzugehen sind, darin, für die energetischenRessourcen gemeinsameund vertretbare Strategien zu finden,um dem Energiebedarf der gegenwärtigenund der zukünftigen GenerationenGenüge zu leisten. Zu diesemZweck müssen die technologisch fortgeschrittenenGesellschaften bereitsein, Verhaltensweisen zu fördern, dievon einem Maßhalten geprägt sind,indem sie den eigenen Energiebedarfreduzieren und die Nutzungsbedingungenverbessern. Zugleich ist esnotwendig, die Erforschung und Anwendungvon umwelt-verträglicherenEnergien und die „weltweite Neuverteilungder Energiereserven“ zu fördern,„so dass auch die Länder, dieüber keine eigenen Quellen verfügen,dort Zugang erhalten können“. 20 Dieökologische Krise bietet daher diehistorische Gelegenheit, eine kollektiveAntwort zu erarbeiten, die daraufabzielt, das Modell globaler Entwicklungin eine Richtung zu lenken, dieder Schöpfung und einer ganzheitlichenEntwicklung des Menschen größerenRespekt zollt, weil es sich anden typischen Werten der Nächstenliebein der Wahrheit orientiert. Icherhoffe deshalb die Annahme einesEntwicklungsmodells, das auf derZentralität der menschlichen Persongegründet ist, auf der Förderung desgemeinsamen Wohls und der Teilhabedaran, auf der Verantwortlichkeit,auf dem Bewusstsein der notwendigenÄnderung des Lebensstils und auf der20 Ebd.7


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKKlugheit, jener Tugend, welche dieheute auszuführenden Handlungenanzeigt mit Rücksicht darauf, wasmorgen geschehen kann. 21Um die Menschheit zu einer10. nachhaltigen Bewirtschaftungder Umwelt und der Ressourcender Erde zu führen, ist der einzelnedazu berufen, seine Intelligenzim Bereich der wissenschaftlichenForschung und Technologie sowie inder Anwendung der daraus resultierendenEntdeckungen einzusetzen.Die „neue Solidarität“, die Papst JohannesPaul II. in der Weltfriedensbotschaftvon 1990 22 anmahnte, unddie „weltweite Solidarität“, die ichselbst in der Weltfriedensbotschaftvon 2009 23 in Erinnerung gerufenhabe, erweisen sich als grundlegendeHaltungen, um den Einsatz für dieErhaltung der Schöpfung durch einSystem des Gebrauchs der Ressourcender Erde, welches auf internationalerEbene besser koordiniert wird,zu lenken. Dies gilt vor allem für dieaugenblickliche Situation, in der inimmer deutlicherer Weise die starkeWechselbeziehung zum Vorscheinkommt, die zwischen der Bekämpfungvon Umweltschäden und der Förderungder ganzheitlichen Entwicklungdes Menschen besteht. Es handeltsich um eine unabdingbare Dynamik,insofern „die volle Entwicklung nur ineiner solidarischen Entwicklung derMenschheit geschehen“ 24 kann. Mitden vielen wissenschaftlichen Möglichkeitenund den potentiellen innovativenProzessen, die es heute gibt,können befriedigende Lösungen geliefertwerden, welche die Beziehungzwischen Mensch und Umwelt harmonischgestalten. Zum Beispiel istes nötig, die Forschungen zu fördern,die darauf abzielen, die wirksamstenModalitäten zur Nutzung der großenKapazität der Solarenergie zu ermitteln.Ebenso ist die Aufmerksamkeitauf die mittlerweile weltweite Problematikdes Wassers und auf das globalehydrogeologische System zu richten,dessen Kreislauf von primärer Be-21 Vgl. HL. THOMAS VON AQUIN, S. Th.II-II, q. 49, 5.22 Vgl. Nr. 9.23 Vgl. Nr. 8.24 PAUL VI., Enzyklika Populorum progressio,43.deutung für das Leben auf der Erdeist und dessen Stabilität durch klimatischeVeränderungen stark bedrohtwird. Gleichermaßen sind geeigneteStrategien der ländlichen Entwicklungzu suchen, welche die Kleinbauernund ihre Familien in den Mittelpunktstellen. Es ist auch nötig, geeigneteMaßnahmen zur Bewirtschaftungder Wälder wie auch zur Abfallentsorgungbereitzustellen und die vorhandenenSynergien zwischen den Maßnahmengegen den Klimawandel undder Armutsbekämpfung zur Geltungzu bringen. Hierzu sind engagiertenationale Maßnahmen notwendig, unddiese sind durch einen unerlässlicheninternationalen Einsatz zu ergänzen,der vor allem mittel- und langfristigbedeutende Vorteile mit sich bringenwird. Insgesamt ist es erforderlich,die Logik des bloßen Konsums hintersich zu lassen, um landwirtschaftlicheund industrielle Produktionsformenzu fördern, die die Schöpfungsordnungachten und den primären Bedürfnissenaller Rechnung tragen.Die ökologische Frage ist nicht nur imHinblick auf die fürchterlichen Perspektivenanzugehen, die sich durchdie Umweltschäden am Horizont abzeichnen.Sie muss vor allem von derSuche nach einer echten Solidaritätin weltweitem Umfang getragen sein,die durch die Werte der Liebe, derGerechtigkeit und des Gemeinwohlsinspiriert wird. Im Übrigen habe ichbereits daran erinnert, dass „die Technikniemals nur Technik ist. Sie zeigtden Menschen und sein Streben nachEntwicklung, sie ist Ausdruck derSpannung des menschlichen Geistesbei der schrittweisen Überwindunggewisser materieller Bedingtheiten.Die Technik fügt sich daher in den<strong>Auftrag</strong> ein, „die Erde zu bebauenund zu hüten“ (vgl. Gen 2, 15), denGott dem Menschen erteilt hat, undmuss darauf ausgerichtet sein, jenenBund zwischen Mensch und Umweltzu stärken, der Spiegel der schöpferischenLiebe Gottes sein soll“. 25Es zeigt sich immer deutlicher,dass das Thema der11.Umweltverschmutzung das Verhalteneines jeden von uns sowie die heutegängigen Lebensstile und Modelle des25 BENEDIKT XVI., Enzyklika Caritas inveritate, 69.Konsums und der Produktion, die oftaus sozialer Sicht, aus Umweltschutzgründenund sogar aus wirtschaftlichenÜberlegungen untragbar sind,zur Rechenschaft ruft. Es ist mittlerweileunerlässlich, dass es zu einemtatsächlichen Umdenken kommt, dasalle zur Annahme neuer Lebensweisenführt, „in denen die Suche nachdem Wahren, Schönen und Guten unddie Verbundenheit mit den anderenfür ein gemeinsames Wachstum jeneElemente sind, die die Entscheidungenfür Konsum, Sparen und Investitionenbestimmen“. 26 Es muss immermehr dazu erzogen werden, denFrieden durch weitsichtige Optionenauf persönlicher, familiärer, gemeinschaftlicherund politischer Ebene zufördern. Wir alle sind für den Schutzund die Bewahrung der Schöpfungverantwortlich. Diese Verantwortungkennt keine Einschränkungen. ImSinne des Subsidiaritätsprinzips istes bedeutsam, dass sich jeder auf derihm entsprechenden Ebene dafür einsetzt,dass das Übergewicht der Partikularinteressenüberwunden wird.Eine Aufgabe der Sensibilisierungund der Schulung kommt besondersden verschiedenen Einrichtungen derZivilgesellschaft und den Nicht-Regierungs-Organisationenzu, die sichentschieden und großzügig für dieVerbreitung einer ökologischen Verantwortungeinsetzen. Diese müssteimmer mehr in der Achtung der„Humanökologie“ verankert sein. Essei auch an die Verantwortung derMedien in diesem Bereich erinnert,die positive Beispiele als Anregungvorstellen können. Der Einsatz fürdie Umwelt erfordert also eine weiteund globale Sicht der Welt; eine gemeinsameund verantwortungsvolleAnstrengung, um von einer auf dasselbstsüchtige nationalistische Interessekonzentrierten Denkweise zu einerVision zu gelangen, die stets dieBedürfnisse aller Völker in den Blicknimmt. Wir können gegenüber dem,was um uns geschieht, nicht gleichgültigbleiben; denn die Schädigungirgendeines Teils des Planeten würdeauf alle zurückfallen. Die Beziehungenzwischen den Personen, dengesellschaftlichen Gruppen und denStaaten, sowie jene zwischen Mensch26 JOHANNES PAUL II., Enzyklika Centesimusannus, 36.8 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKund Umwelt, müssen sich den Stilder Achtung und der „Liebe in derWahrheit“ aneignen. In diesem weitenZusammenhang ist es um so wünschenswerter,dass die Bemühungender internationalen Staatengemeinschaftumgesetzt und erwidert werden,welche auf eine fortschreitendeAbrüstung und auf eine Welt ohneAtomwaffen abzielen, die schon alleindurch ihr Vorhandensein das Lebendes Planeten und den Prozessder ganzheitlichen Entwicklung derMenschheit in Gegenwart und Zukunftbedrohen.Die Kirche trägt Verantwortungfür die Schöpfung und12.ist sich bewusst, dass sie diese auchauf politischer Ebene ausüben muss,um die Erde, das Wasser und dieLuft als Gaben Gottes, des Schöpfers,für alle zu bewahren und vorallem um den Menschen vor der Gefahrder Selbstzerstörung zu schützen.Die Schädigung der Natur hängtnämlich eng mit der Kultur zusammen,die das Zusammenleben derMenschen prägt; denn „wenn in derGesellschaft die „Humanökologie“ respektiertwird, profitiert davon auchdie Umweltökologie“. 27 Man kann vonden jungen Menschen nicht verlangen,dass sie vor der Umwelt Achtunghaben sollen, wenn ihnen in der Familieund in der Gesellschaft nichtgeholfen wird, vor sich selbst Achtungzu haben: Das Buch der Naturist einmalig sowohl bezüglich der Umweltwie der persönlichen, familiärenund gesellschaftlichen Ethik. 28 DiePflichten gegenüber der Umwelt leitensich von den Pflichten gegenüberder Person an sich und in ihren Beziehungenzu den anderen ab. Ich ermutigedaher gerne zu einer Erziehung zueinem Umweltbewusstsein, das, wieich in der Enzyklika Caritas in veritategeschrieben habe, eine authentische„Humanökologie“ einschließtund folglich mit erneuerter Überzeugungsowohl die Unantastbarkeit desmenschlichen Lebens in jeder Phaseund jeder Lage wie auch die Würdedes Menschen und die unerlässlicheAufgabe der Familie, in der zurNächstenliebe und zur Schonung der27 BENEDIKT XVI., Enzyklika Caritas inveritate, 51.28 Vgl. ebd., 15.51.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Natur erzogen wird, bekräftigt. 29 Dasmenschliche Erbe der Gesellschaftmuss bewahrt werden. Dieser Schatzvon Werten hat seinen Ursprung undseinen Rahmen im natürlichen Sittengesetz,das der Achtung vor demMenschen und vor der Schöpfung zugrundeliegt.Es darf schließlich nicht die13. vielsagende Tatsache vergessenwerden, dass sehr viele MenschenRuhe und Frieden finden und sich erneuertund gestärkt fühlen, wenn siein enger Berührung mit der Schönheitund mit der Harmonie der Natursind. Es besteht daher eine Art gegenseitigerAustausch: Wenn wir fürdie Schöpfung sorgen, erfahren wir,dass Gott durch die Natur auch füruns sorgt. Andererseits führt eine korrekteSicht der Beziehung zwischenMensch und Umwelt nicht dazu, dieNatur zu verabsolutieren oder sie fürwichtiger als den Menschen selbst zuhalten. Wenn das Lehramt der Kirchegegenüber einer Sicht der Umwelt,die vom Öko- und vom Biozentrismusgeprägt ist, Befremden äußert,so tut sie dies, weil eine solche Sichtden Seins- und Wertunterschied zwischender menschlichen Person undden übrigen Lebewesen eliminiert.Damit wird de facto die höhere Identitätund Rolle des Menschen verneintund einer egalitären Sicht der »Würde“aller Lebewesen Vorschub geleistet.Das öffnet einem neuen Pantheismusmit neuheidnischen Akzenten,die das Heil des Menschen allein voneiner rein naturalistisch verstandenenNatur herleiten, die Türen. Die Kirchelädt hingegen dazu ein, die Frageauf sachliche Weise anzugehen, in derAchtung der „Grammatik“, die derSchöpfer seinem Werk eingeschriebenhat, indem er dem Menschen die Rolleeines Hüters und verantwortungsvollenVerwalters der Schöpfung übertragenhat. Diese Rolle darf der Menschgewiss nicht missbrauchen, aber auchnicht von sich weisen. Denn die gegenteiligePosition der Verabsolutierungder Technik und der menschlichenMacht wird letztendlich nichtnur zu einem schweren Angriff auf29 Vgl. ebd., 28.51.61; JOHANNES PAULII., Enzyklika Centesimus annus, 38.39.die Natur, sondern auch auf die Würdedes Menschen selbst.14. 30Willst du den Frieden fördern,so bewahre die Schöpfung.Das Streben nach Frieden seitensaller Menschen guten Willenswird gewiss dadurch erleichtert, dasssie gemeinsam die untrennbare Beziehungzwischen Gott, den Menschenund der ganzen Schöpfung anerkennen.Von der göttlichen Offenbarunggeleitet und im Einklang mit der Traditionder Kirche leisten die Christendazu ihren Beitrag. Sie sehen denKosmos und seine Wunder im Lichtdes Schöpfungswerks des Vaters unddes Erlösungswerks Christi, der mitseinem Tod und seiner Auferstehung„alles im Himmel und auf Erden“ (Kol1, 20) mit Gott versöhnt hat. Der gekreuzigteund auferstandene Christushat der Menschheit die Gabe seinesheiligmachenden Geistes geschenkt,der den Lauf der Geschichte leitetin Erwartung des Tages, an dem mitder Wiederkunft des Herrn in Herrlichkeit„ein neuer Himmel und eineneue Erde“ (2 Petr 3, 13) hervortretenwerden, in denen für immer die Gerechtigkeitund der Friede wohnen.Natur und Umwelt zu schützen, umeine Welt des Friedens aufzubauen,ist daher Pflicht eines jeden Menschen.Es ist eine dringende Herausforderung,die mit einem erneuertenund von Allen mitgetragenen Einsatzangegangen werden muss; es ist einewillkommene Gelegenheit, um denzukünftigen Generationen die Perspektiveeiner besseren Zukunft füralle zu geben. Dessen mögen sich dieVerantwortlichen der Nationen bewusstsein und allen auf jeder Ebene,denen das Los der Menschheitam Herzen liegt: Die Bewahrung derSchöpfung und die Verwirklichungdes Friedens sind eng miteinanderverbunden! Darum lade ich alle Gläubigenein, mit Eifer zu Gott, dem allmächtigenSchöpfer und barmherzigenVater, zu beten, damit im Herzenjedes Menschen dieser nachdrücklicheAppell Widerhall finde, angenommenund gelebt werde: Willst duden Frieden fördern, so bewahre dieSchöpfung.Aus dem Vatikan,am 8. Dezember 200930 Vgl. BENEDIKT XVI., EnzyklikaCaritas in veritate, 70.9


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKWiderstand gegen Reformen in den USAObamas christliche ZieleVON KLAUS LIEBETANZBei der feierlichen Einsetzung vonBarack Obama als 44. Präsidentder Vereinigten Staaten am 20. Januar2009 haben viele seinen Absichtenzugejubelt:– Reduzierung der Armut in denUSA– angemessene Sozialversicherungfür alle Bürger (ca. 50 Mio. Amerikanerhaben keine Gesundheitsversicherung)– Verzicht auf einseitige weltweiteAktionen– Lösung des Nahost-Konfliktesdurch Bildung eines unabhängigenPalestinenserstaates, (einesder Kernprobleme beim Kampfgegen den islamischen Terror)– Kampf gegen die Erderwärmung.Mit Zustimmung ist auch seineRede in der Kairoer Universität aufgenommenworden, in der er der muslimischenWelt die Hand reichte. Heuteist der Jubel abgeebbt und es beginntein zähes Ringen im amerikanischenRepräsentantenhaus und imKongress. Obama ist bei den Mühenin der Arbeitsebene angelangt, sogaroffener Hass und Feindschaft schlägtihm teilweise entgegen.Widerstand gegen die GesundheitsreformEs geht bei alldem um die Angstvor Umverteilung; die Angst, dass dieRegierung Obama dieses uramerikanischeSelbstverständnis aufkündigt,nach dem jeder alles erreichen kann,aber auch ganz und gar allein für sichverantwortlich ist. „Es gab in Amerikanie eine erfolgreiche soziale Bewegung,es gibt darum kein Gefühl dafür,was ein moderner Wohlfahrtsstaat bedeutenkann“, sagt der deutsche PolitologeManfred Henningsen 1 , der seit40 Jahren in Obamas GeburtsstaatHawaii lebt und lehrt, „und daher1 Manfred Henningsen, geb. 1938, seit1970 Professor für Politikwissenschaftan der Universität Hawaii, Autor von„Der Mythos Amerika“, Eichborn Verlag2009rührt dieses Denken, dass jede Solidaritätunamerikanisch sei.“Das alles macht Obamas Gegnerwütend. Sie zweifeln seine Geburtsurkundean, zeichnen ihn mit Stammeskostümund einem Knochen, derdurch die Nasenflügel geführt ist. Obamaist die perfekte Zielscheibe fürdie extreme Rechte. Hinzu kommt ObamasZiel, jene zu schützen, die nachdem Verständnis der weißen Rechtenkeinen Schutz verdienen, weil sie„faul und schwarz“ seien. Manche seinerGegner vergleichen ihn mit AdolfHitler. Konservative protestantischeKirchen der Weißen gehören auch zuObamas Gegnern. Sie bilden eine geschlosseneGesellschaft mit den Wohlhabenden.Sie realisieren nicht, dasssie die Sache Jesu Christi mit Füßentreten, wie seinerzeit die Apartheitskirchenin Süd Afrika.Widerstand gegen die dialogbereiteAußenpolitikObama hat ein neues Klima inder internationalen Politik geschaffen.Multilaterale Diplomatie ist wiederins Zentrum gerückt. Dialog undVerhandlungen werden als vorrangigeMittel angesehen, um selbst diekompliziertesten internationalen Konfliktezu lösen. Der heimliche Chefder Republikaner, der Radio-ModeratorLimbaugh kommentierte dieAuszeichnung Barack Obamas mitdem Friedessnobelpreis mit folgendenWorten: „Diesen Preis zu gewinnenist eine größere Peinlichkeit, alsdie Olympischen Spiele zu verlieren.“Die Welt wolle die USA entmannen,so Limbaugh, sie „liebt geschwächte,kastrierte Vereinigte Staaten“. Was diekonservative Wähler George W. Bushübel nahmen, war nicht das Kriegsführenan und für sich, sondern daserfolglose Kriegführen. Es war schonbemerkenswert, dass George W. Bushwiedergewählt wurde, nachdem er unterVorspiegelung falscher Tatsacheneinen Angriffskrieg gegen den Irakgeführt hat.Widerstand gegen die Friedenspolitikin NahostBei keinem anderen Thema erzielendie Rechten größere Wirkungals mit ihrer Kritik an Obamas Israel-Politik:329 US-Abgeordnete unterzeichneteneinen Brief, der dieRegierung zur „engen und persönlichenZusammenarbeit mit Israel“verpflichten soll. Dass Obama einseitigeVorleistungen von der israelischenRegierung, wie einen Siedlungsstopp,forderte, halten sie füreinen Sündenfall.Barack Obama vertrautauf Jesus ChristusNach Aussage von Jim Wallis,einem wichtigen geistlichen Beraterdes Präsidenten, auf dem DeutschenEvangelischen Kirchentag in Bremenist Obama ein in Jesus Christus verankerterPolitiker. Das gibt ihm seineRuhe, Selbstsicherheit und Ausstrahlung.In Prag sagte Obama: „Wirmüssen die Stimmen ignorieren, diesagen, die Welt könne sich nicht ändern.Wir müssen insistieren: Yes,we can!“ (Vgl. dazu die Aussage vonPapst Johannes Paul II vor jugendlichenPilgern in Rom:„Fürchtet Euchnicht und gebt niemals auf. Der Friedeist möglich!“).Zurzeit trifft der Präsident derVereinigten Staaten bei der seit Jahrenüberfälligen Gesundheitsreform(50 Mio. Amerikaner sind ohne Gesundheitsversicherung)auf den erbittertenWiderstand der Konservativen,Wohlhabenden und Mächtigen in derWirtschaft, die ihre Privilegien verteidigen.Erst am Heiligabend 2009 hatteObama den ersten innenpolitischenErfolg mit dem Abstimmungsergebnis60:40 im Senat für die Gesundheitsreform.Der Gesetzestext muss jetztnoch im Repräsentantenhaus finalisiertwerden, was ein weiteres hartesRingen bedeuten wird. Des weiterenist eine starke Lobby der teilweiseveralteten amerikanischen Schwerindustriegegen dringend notwendi-10 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKge Zugeständnisse in der Klimafrage,obwohl Amerika zusammen mitChina zu den größten Verschmutzernder Umwelt gehört (zusammen ca.40 % des weltweiten CO 2Ausstoßes).Schließlich wollen konservative Sicherheitspolitikerdem Präsidenteneine weitgehende militärische Lösungin Afghanistan aufzwingen. Es ist zuhoffen, dass der Präsident standhaftbleibt und seine christlich inspiriertePolitik Erfolg hat. ❏Katastrophale Menschenrechtslage im Ost-KongoDrei Jahre nach den WahlenVON KLAUS LIEBETANZDrei Jahre nach den Wahlen im Kongo, zu deren Absicherung die Bundeswehr eingesetzt wurde, ist dieMenschenrechtssituation im Ost-Kongo katastrophal. Auch 2009 wurden Zehntausende Frauen und Kindervon einzelnen Rebellengruppen, besonders der FDLR (Forces démocratique pour la Libération du Ruanda)1 vergewaltigt. Diese unmenschlichen Maßnahmen werden als Mittel der Kriegsführung und Unterdrückungder Bevölkerung genutzt. Auch die offiziellen, aus verschiedenen Rebellenorganisationen gebildete, unter- odernichtbezahlte Kongolesischen Streitkräfte sind an brutalen Übergriffen gegenüber der Zivilbevölkerung beteiligt.Die Sicherheitssektorreform der Europäischen Union EUSEC und der UNO-Truppe MONUC im Ost-Kongo hatnicht die geplante Wirkung gezeigt.Kongolesische Menschenrechtler berichtenAm110.12.09 fand in der katholischenAkademie Berlin eineDiskussionsrunde mit drei kongolesischenMenschenrechtsaktivistenüber das o.a. Thema statt. Die Veranstaltungwurde durch das „ÖkumenischeNetz Zentralafrika“ (ÖNZ)organisiert. Das ÖNZ wird unterstütztund finanziert von seinen Mitgliederorganisationen:Brot für die Welt,Diakonie/Menschenrechte, Misereor,Pax Christi, Vereinigte EvangelischeMission. Die Moderation hatte JulianeKippenberg von Human RightsWatch (HRW).Kizito Mushizi, Direktor von RadioMaendeleo, der größten unabhängigenRundfunk anstalt im Ostender DR Kongo und Vorsitzender derVereinigung der Nationalen Presse.Er berichtete anhand von Beispielenüber die Willkür der Justiz in der DRKongo. Morde an unliebsamen Journalistenund Bedrohungen gegenüberder Presse werden kaum verfolgt. Esgibt nur wenige Richter. Diese werdenschlecht bezahlt. Das öffnet derKorruption Tür und Tor. Korrupte Angehörigeder Streitkräfte unterstützensich gegenseitig und bedienen sich1 Größtenteils ehemalige Hutumilizen,die in die Demokratische Republik(DR) Kongo flohenAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010krimineller Elemente aus den jeweiligenStadtvierteln um unliebsameKritiker auszuschalten.Floribert Chebeya, Vorsitzenderder Menschenrechtsorganisation„Voix des sans Voix“ (Stimme derStimmlosen). Er hat viele Berichteund Recherchen zu ökonomischenund sozialen Rechten sowie regionaleAnalysen veröffentlicht. Im März2009 wurde er von der kongolesischenRegierung verhaftet und erstauf Druck einer internationalen Kampagnefreigelassen. Nach seiner Auffassungfehlt der Regierung in der DRKongo der Wille, die Menschenrechtedurchzusetzen, obwohl diese in derVerfassung garantiert sind. Es gab vorder Wahl 2006 viele Versprechungenbzgl. der Einhaltung der Menschenrechte.Nach der Wahl wurden dieseVersprechungen nicht eingehalten.Das Phänomen der politischen Korruptionist in der DR Kongo weit verbreitet.Die Rechtsinstitutionen desLandes werden von einflussreichenKräften erpresst. Die Polizei handelthäufig nicht im <strong>Auftrag</strong> des Volkes,sondern steht eher im Dienst von bestimmtenGruppierungen. Die Polizeiist daher nicht unabhängig, wennMenschenrechtler auf bestimmte Unregelmäßigkeitenaufmerksam macht,wie z.B. bei der ungesetzmäßigen Nutzungvon Bodenschätzen (Arbeitsbedingungen,Umweltauflagen werdennicht beachtet, es werden keine Steuerngezahlt). In diesem Zusammenhanggibt es willkürliche Verhaftungund Einschüchterungen von Journalistendurch die Sicherheitskräfte.Andererseits gibt es immer wieder offizielleBerichte über Unregelmäßigkeiten;aber es geschieht in der Folgenichts, um die Mängel abzustellen.Jean Mutombo ist Beauftragterder Vereinigten Evangelischen Mission(VEM) in der DR Kongo. Die VEMhat ihren Sitz in Deutschland in Wuppertal.Gleichzeitig ist Mutombo Vertreterder „Kirche Christo Kongo“, einZusammenschluss von ca. 50 evangelischenKirchen in der DR Kongo. Erhat Berichte zu illegalem Abbau vonRohstoffen in der Region der GroßenSeen veröffentlicht und engagiert sichgegen sexuelle Gewalt und gegen militärischeÜbergriffe auf die Bevölkerung.Er berichtete über die Friedensarbeitdieser Kirchen, die auchökumenisch mit der katholischen Kirchezusammenarbeiten. Sie schützenvergewaltigte Frauen und bringensie bei Bedarf in Krankenhäuserunter. Sie überprüfen Minenverträgebzgl. des Arbeits- und Umweltschutzesund prüfen Umsiedelungen infolgeder Ausbeutung von Bodenschätzen.Zwei Tage zuvor – so berichteteMutombo – wurden zwei Pastoren in11


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKAusübung ihrer Menschenrechtsarbeitumgebracht. Die VEM setzt einenTeil des Friedensfonds des BMZmit ihren Partnerorganisationen vorOrt um. Mutombo hält eine Justizreformin der DR Kongo für dringendgeboten. Ohne Gerechtigkeit wird eskeinen Frieden geben. Ferner ging erauf die miserable Situation der Straßenkinderein. Sie werden bei Straffälligkeitin die gleichen unzumutbarenafrikanischen Gefängnisse wie dieErwachsenen geworfen. Das bedeutetfür die Kinder und Jugendlichen indiesen meist überfüllten Gefängnisseein zusätzliches Martyrium. Notwendigseien mehr Rechte für Kinder.Das Problem mit der FDLR 2Die FDLR sind ruandische Hutu-Milizen im Ost-Kongo auf dem Gebietder DR Kongo. Sie waren nachdem Völkermord an den ruandischenTutsi in die DR Kongo geflohen. Siewurden anfangs von Präsident Mobutumit Waffen unterstützt und habensich im Laufe der letzten 15 Jahre gutorganisiert und verfügen über ein weitverzweigtes Netz von Unterstützernin Frankreich, Deutschland und denUSA. Die FDLR ist im Ost-Kongo einStaat im Staate. Sie drangsalieren diekongolesische Bevölkerung, ernten wosie nicht gesät haben und benutzensexuelle Gewalt als Mittel der Unterdrückungund Vertreibung.Erster Versuch in 2009 dieFDLR zu entwaffnenVom 22. Januar bis 25. Februar2009 gab es eine überraschende,gemeinsame Militäroperation der offiziellenkongolesischen StreitkräfteFARDC (Forces Armées de la RépubliqueDémocratique du Congo) undder Ruandischen Streitkräfte gegendie Stellungen der FDLR im Nord-Kivu.Zuvor hatte sich der Machthaber inRuanda General Paul Kagame, seinenehemaligen Verbündeten und GefolgsmannLaurant Nkunda angeblich inRuanda unter Hausarrest gestellt. GeneralNkunda hatte die CNDR (Congrèsnational pour la Défence du Peuple),eine ruandaphone Rebellengruppein Ost-Kongo straff organisiert undbefehligt. Kagame zog seinen alten2 Die folgenden Abschnitte beziehen sichgrößtenteils auf Informationen aus denvier ÖNZ-Newslettern von 2009Verbündeten zurück, weil in einemUN-Bericht Beweise vorlagen, dasser die CNDR militärisch unterstützte.In Folge dieses Berichtes drohtennämlich mehrere europäische Staatenihre Entwicklungshilfe zu streichen,von der die Hälfte des Haushalts inRuanda abhängt. In einem Deal zwischenPräsident Kabila und Kagamewurde daher die CNDR der offiziellenKongoarmee unterstellt. Das geschahaber nur pro forma, da die CNDRnicht wie die anderen Rebellengruppierungenmit anderen Truppenteilenverwürfelt wurde, sondern größtenteilsihre alte militärische Strukturbehielt. Kagame setzte an Stelle vonNkunda nur einen anderen Gefolgsmannein, Jean-Bosco Ntaganda, derwegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechendurch den InternationalenStrafgerichtshof unter Anklage steht.Die „gemeinsame“ Militäroperationvon FARDC und ruandischen Streitkräftenwar nur von mäßigem Erfolg,weil die Ruander nicht energisch genuggegen die FDLR vorgingen. Augenzeugenbeobachteten sogar, wiesie mit den ruandischen Landsleutenfraternisierten. Die FDLR konnteder FARDC geschickt ausweichen,um nach Abschluss der Operation dieZivilbevölkerung zu drangsalieren.Nach Aussagen von Teilnehmern derTagung liegt die Zurückhaltung derKagame-Truppe gegenüber der FDLRan dem Umstand, dass auf dem Gebietder FDLR zahlreiche Bodenschätze,wie Coltan, Gold und Diamanten abgebautwerden, die teilweise über Ruandaam kongolesischen Staat vorbeiexportiert werden. Nur so ist zu erklären,dass Ruanda, das selbst kaum Bodenschätzehat, zum Hauptexporteurvon wertvollen Rohstoffen wurde. Kagamespielt nicht nur in diesem Fallein Doppelspiel.Der zweite Versuch in 2009 dieFDLR zu entwaffnenDa Präsident Kabila sein Wahlversprechenvon 2006, im Ost-Kongofür Sicherheit zu sorgen, im Blickauf die kommenden Kommunalwahleneinhalten wollte, startete die offiziellekongolesische Armee FARDCzusammen mit der MONUC (UnitedNations Mission in the DR Congo) im1. Halbjahr 2009 eine weitere Militäroperationgegen die FDLR, ohne offizielleBeteiligung der ruandischenStreitkräfte. Auch dieser militärischenOperation war wenig Erfolg beschieden,da die FDLR-Streitkräfte imunwegsamen Gelände (meist Urwald)geschickt ausweichen konnten. Den1.200 entwaffneten FDLR-<strong>Soldaten</strong>standen nach Angabe des UNHCRam Ende der Operation ca. 800.000interne Vertriebene, Hunderte von getötetenZivilisten und unzählige Vergewaltigungengegenüber. Die enormenKollateralschäden an den unbeteiligtenZivilisten standen in keinemVerhältnis zum geringen Erfolg dieserMilitärmission.Die unrühmliche Rolle derFARDC im Ost-KongoDie offiziellen kongolesischenStreitkräfte im Ost-Kongo sind zu großenTeilen durch Verwürfelung vonverschiedenen Rebellenbewegungen,die aufgegeben haben, entstanden.Ihre Ausbildung, Rechtstaatlichkeit,Bezahlung und Versorgung ist sehrgering. Der deutsche Vertreter bei derMONUC, Botschafter Conze erklärte2006 noch bei einer Veranstaltung inBerlin, dass von Seiten der EuropäischenUnion sichergestellt sei, dassjeder FARDC-Soldat zehn USD proMonat erhält. Das ist ein Hohn, weilauch im Ost-Kongo Weltmarktpreisegelten. Kein Wunder, dass diese finanziellauf sich gestellte Truppe aufeigene Rechnung plündert und vergewaltigt.In einem Report vom Juli2009 beschreibt HRW die <strong>Soldaten</strong>der FARDC als vorrangige Akteureder sexuellen Gewalt im Ostkongo.65% der Opfer sind Kinder.Die machtpolitische Rolleder USA im KongoTrotz neuerer amerikanischer Bestrebungenauch partnerschaftlicheund humanitäre Perspektiven stärkerzu fokussieren (Vgl. die Grundsatzredevon Barack Obama im Juli 2009in Accra (Ghana) über Good Governance-Strukturen),bleiben einseitigewirtschaftliche Interessen an den RohstoffenAfrikas bestehen. Im Zweifelwerden Wirtschafts- und Machtinteressenden Menschenrechtsfragen vorgezogen,wie bei der Nichtverhinderungdes Völkermordes 1994 in Ruanda,wo die demokratische Clinton-Administration den Vormarsch der12 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKvon ihnen militärisch aufgerüstetenanglophonen Tutsi nicht durch einenWaffenstillstand und Aufstockungder UN-Blauhelm-Mission, wie vonGeneral Dallaire gefordert, aufhaltenwollten (Quelle: der CDU-BundestagsabgeordneteGraf Waldburg-Zeil,seinerzeit Vorsitzender des Bundestagsausschussesfür wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung).Letztendliches strategisches Ziel derUSA war die Kontrolle des frankophonenKongos durch von ihnen militärischunterstützte anglophone Uganderund Ruander, was wenige Jahre späterdurch General Kagame und UgandasPräsident Museweni geschah und zurAblösung des Frankreich freundlichenMobutu führte. Diese Hintergründewerden von einigen deutschen Politikernund Angehörigen der Friedensbewegung,die für Paul Kagame wegenseiner effektiven Entwicklungspolitikeingenommen sind, nicht erkannt oderbewusst nicht wahrgenommen.Barack Obama wird nicht vonheute auf morgen die auf die Interessender Vereinigten Staaten ausgerichteteAußenpolitik verändern können(vgl. „Widerstand gegen Reformen inden USA Obamas christliche Ziele“in AUFTRAG <strong>277</strong>, Seite 10). DieTendenz der deutschen Afrikapolitikist es bedauerlicherweise, sich nichteinzumischen und Afrika den Franzosenund Engländern zu überlassen.Es bleibt zu hoffen, dass BundesaußenministerWesterwelle eine selbstbewusstereAfrikapolitik durchführt.DSchlussfolgerungenie Bundesrepublik Deutschlandhat sich 2005 beim UN-Gipfelverpflichtet, die Grundsätze der „Responsibilityto Protect“ (R2P) zu beachten.Sie muss daher daran interessiertsein, dass die gravierenden und systematischenMenschenrechtsverletzungen,besonders gegen Frauen undKinder im Ostkongo unterbleiben. DesWeiteren beteiligt sich Deutschlandmit ca. 100 Mio. USD an den jährlichenKosten der MONUC und leistet65 Mio. Euro an Entwicklungshilfe inder DR Kongo. Letztendlich hat sichdie deutsche Bundeswehr 2006 mit einemgrößeren Kontingent an der nichtungefährlichen Absicherung der demokratischenWahl in der DR Kongobeteiligt.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Vorrang für Maßnahmen derzivilen KonfliktbearbeitungEine rein militärische Lösungzur Lösung der FDLR-Problematikscheint nicht angemessen und Erfolgversprechend zu sein. Nach Auffassungvon ÖNZ wäre es effizienter, dieMasse der FDLR’ler durch substanziellezivile Angebote (Ausbildung,Arbeitsplätze und ein gesichertes Einkommenvon mindestens 18 Monaten)aus der Illegalität heraus zu lösen.Dabei müssten auch ihre Familieneinbezogen werden. Hierzu müsstedie Bundesregierung eine gemeinsameeuropäische Lösung anstreben,zumal die genozidäre Hutu-Melizen,FDLR, die ehemaligen VerbündetenFrankreichs waren. Es ist auch mitWiderstand aus Ruanda zu rechnen,da die FDLR, wie oben beschrieben,zum erheblichen wirtschaftlichen VorteilRuandas beitragen.Die Drahtzieher der FDLR inDeutschland, Frankreich und Amerikamüssten zu Verantwortung gezogenwerden. In Deutschland ist bereits derChef der FDLR, Ignace Murwanashyaka,der in Mannheim zusammen mitseiner deutschen Frau lebt, in 2009verhaftet worden und muss sich vorGericht verantworten. In diesem Zusammenhangkönnte sich auch einepolitische Lösung abzeichnen. AlsVermittler wäre die römische FriedensgemeindeSant’Egidio eine guteAdresse, wie seinerzeit beim nachhaltigenFrieden in Mosambik.Dringende Professionalisierungder FARDC in Ost-KongoGrundvoraussetzung für die Überwindungder systematischen sexuellenGewalt in der Kivu-Region ist aucheine Professionalisierung der FARDC.Hierzu ist eine verstärkte Erziehungdieser Truppenteile im Ostkongo zurRechtstaatlichkeit und zur Bestrafungvon <strong>Soldaten</strong>, die sich schwererMenschenrechtsverletzungen schuldigmachen. Das gleiche gilt auch fürunterlassene Dienstaufsichtspflichtund unterlassenen Verfolgung solcherStraftaten gegen die Menschlichkeit.Voraussetzung dafür ist eine regelmäßige,kontrollierte und angemesseneBezahlung der <strong>Soldaten</strong>, angemesseneUnterkunft in Kasernen, die auch dieFamilien der <strong>Soldaten</strong> beherbergen.Die Blauhelmmission der MONUCkann im Bereich der Sicherheitssektorreformaktive Unterstützung leisten,ebenso die EU – Projekte EUSECund EUPOL. Zentrales Anliegen allerReformen sollte es sein, den Schutzder Zivilbevölkerung voranzustellenund schnelle Eingreifmechanismenaufzubauen, um Menschenrechtsverletzungenvorzubeugen und geschehenejuristisch zu bestrafen. Dazukönnte die Errichtung einer FARDC-Einheit für die interne Aufklärung vonFällen sexueller Gewalt dienen.Die Tatsache, dass der Generalstabschefder kongolesischen Streitkräfte,Olenga, perfekt Deutsch sprichtund mit einer Deutschen verheiratetist, sollte bei den deutschen Bemühungenum eine rechtstaatlich orientierteReform der kongolesischenStreitkräfte eine positive Rolle spielen.❏KurznachrichtenIslamrat verteidigtKruzifixein deutschen GerichtenDer Vorsitzende des Islamrates,Ali Kizilkaya,hat sich für einen Verbleibvon Kreuzen in deutschenGerichtssälen ausgesprochen.Die „weit über einJahrtausend gewachseneabendländische Tradition“verdiene „allemal so viel Respekt,dass man ihre Symboleachtet“, sagte Kizilkaya derTageszeitung „Die Welt“. Erzeigte sich überzeugt, dassein Kreuz an der Wand „keinenRichter davon abhält,nach Maßgabe des deutschenRechtes zu urteilen“.(KNA)13


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK„Was will Deutschland am Hindukusch?“Erwiderung auf das Positionspapier 7/2009 des Verbandes Entwicklungspolitik DeutscherNichtregierungsorganisationen e.V. (VENRO)VON KLAUS LIEBETANZNeben berechtigter Kritik haben die VENRO-Funktionäre eine Reihe von Halbwahrheiten in ihre Argumentationübernommen. Major a. D. Klaus Liebetanz, Mitglied des Sachausschuss „Sicherheit und Frieden“der <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong> (GKS) setzt sich im Folgenden kritisch mit dem Positionspapierauseinander. Seine Kritik ist deshalb bemerkenswert, da er als Mitarbeiter im Arbeitsstab Humanitäre Hilfe desAuswärtigen Amtes (AS HH) an der Gestaltung des „Koordinationsausschuss Humanitäre Hilfe“ mitgearbeitet,ca. 500 Verwendungsnachweise der deutschen Hilfsorganisationen geprüft und für vier große deutsche Hilfsorganisationendas individuelle Taschenbuch für den Auslandseinsatz erstellt hat. Er ist langjähriges Mitglied derPlattform Zivile Konfliktbearbeitung und hat von 2005 bis 2009 im <strong>Auftrag</strong> des Auswärtigen Amtes Ergebnisprüfungenvor Ort von Projekten der deutschen humanitären Hilfe weltweit durchgeführt. Somit kommt mit ihmein Praktiker zu Wort. Den vollständigen Text des Papiers kann man auf der Webseite www.venro.de nachlesen.Ansätze der Kritik1. Die „Unabhängigkeit“von Hilfsorganisationen„In Afghanistan sind deutscheHilfsorganisationen nicht erst seitSeptember 2001, sondern teilweiseseit über 30 Jahren tätig und konntenin enger Kooperation mit afghanischenAkteuren auch unter schwierigstenUmständen Hilfe leisten.“(Pos. Papier S. 4, Abs. 3)Dabei wird verschwiegen, dassdie Hilfsorganisationen an der Schreckensherrschaftder Taliban, insbesonderegegen Frauen, nichts geänderthaben. Außerdem haben siedem Talibansystem Kosten im Gesundheitswesenerspart, welche dasRegime an anderer Stelle für seineZwecke ausgeben konnte. Mary B.Anderson hat in ihrer Veröffentlichung„Do Not Harm – How Aid CanSupport Peace – War“ (Der Einflussder humanitären Hilfe auf Krieg undFrieden) anhand von 14 Feldstudiennachgewiesen, dass Hilfsorganisationendurch wohlgemeinte Hilfslieferungenzum Erstarken von Bürgerkriegsparteienund damit zur Verlängerungdes Krieges beitragen können.Außerdem können so Unrechtsregimestabilisiert werden. Hilfsorganisationenhandeln nirgendwo imluftleeren Raum. In Krisengebietensind sie immer hoch politisch, obwohlihre Akteure das nicht wahrhaben wollen.2. „Unzulässige“Vermischung von zivilerund militärischer Hilfe„Hilfsorganisationen warnen seitLangem vor den negativen Folgen derVermischung von ziviler und militärischerHilfe, wie sie in Afghanistanbeispielsweise in Form der „ProvincialReconstruction Teams“ (PRT) praktiziertwird.“ (Pos. Papier S.6, Abs. 3)Mit dieser Aussage unterstreichendie Verfasser des Papiers, dass siesich nicht mit den Prinzipien der VereintenNationen, insbesondere nichtmit der „Agenda for Peace“ und dem„Brahimireport“, auseinandergesetzthaben.„Agenda for Peace“ – Eine VN-Handlungsanweisung für denFriedenIn der Erklärung des Sicherheitsratsvom 31. Januar 1992 (kurz nachEnde des Kalten Krieges) wurde derGeneralsekretär der Vereinten NationenBoutros-Ghali beauftragt, bis zum1. Juli 1992 eine entsprechende Empfehlungauszuarbeiten. Dabei sollte erprüfen, inwieweit die Fähigkeiten undKapazitäten der Vereinten Nationenim Rahmen der VN-Charta zur vorbeugendenDiplomatie zur Friedensschaffung(peace-making) und zurFriedenssicherung (peace-keeping)gestärkt und effizienter gestaltet werdenkönnen. Am 17. Juni 1992 legteBoutros Ghali – nach gründlicherRücksprache mit den Vertretern derwichtigsten Staaten und verschiedenengroßen internationalen Organisationen– der Generalversammlung die„Agenda für den Frieden“ vor.Friedenskonsolidierung in derKonfliktfolgezeit (post-conflictpeace-building)Boutros Ghali hat die „Friedenskonsolidierungin der Konfliktfolgezeit“als neuen Begriff in die Agendafor Peace aufgenommen und in denZiffern 55-59 beschrieben. Sie hatsich im Laufe der Zeit als eine erfolgreicheForm der Konfliktpräventionerwiesen (Mittelamerika, Hinterindien,Balkan etc.) und stellt in derRegel eine Zusammenarbeit von militärischerStabilisierung und zivilemWiederaufbau (humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit,Aufbaustaatlicher Einrichtungen wie rechtstaatlichePolizei und ein entsprechendesGerichtswesen, Menschenrechtsarbeitund der Aufbau der Zivilgesellschaft)dar.Forderung nach einem schlüssigenGesamtkonzeptDer „Friedenskonsolidierung inder Konfliktfolgezeit“ muss ein in sichschlüssiges Gesamtkonzept zu Grundeliegen, das den zivilen Mitteln, wierechtstaatlicher Polizeiaufbau, wirksameEntwicklungszusammenarbeitund die Förderung rechtstaatlicherStrukturen mindestens den gleichenNachdruck verleiht wie den militäri-14 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKschen Mitteln, was die <strong>Gemeinschaft</strong><strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong> (GKS) in ihrerErklärung zu Friedenseinsätzen deutscher<strong>Soldaten</strong> „Der Friede ist möglich!“bereits 2004 gefordert hat underst mit der Kanzlerrede von AngelaMerkel vom 8.09.2009 zugesagt wurde,einschließlich der schrittweisenÜbergabe der Verantwortung an dieAfghanen (Ownership). Damit wurdeeine entscheidende Wende zu einerzielführenden Sicherheitspolitikeingeleitet.Ergebnisse des Brahimi-ReportsIm Jahr 2000 hat sich eine hochrangigeKommission unter Leitungdes ehemaligen algerischen AußenministersLakhdar Brahimi mit derAuswertung von Friedensmissionenim Rahmen der Agenda for Peace im<strong>Auftrag</strong> des VN-Generalsekretärs beschäftigt.In diesem Brahimi-Reportwurde festgestellt, dass bei einigenVN-Friedensmissionen die Blauhelmtruppenunzureichend mandatiert undausgerüstet waren (z. B. in der VN-Schutzzone Srebrenica oder beim Völkermordin Ruanda). Dieser Berichtgibt also keine Empfehlung, Blauhelmebesser durch Polizisten oder garFriedensfachkräfte zu ersetzen, wiees Teile der Friedenbewegung fordern.Des Weiteren wurde in diesembemerkenswerten Bericht darauf hingewiesen,dass bei einigen VN-Friedensmissionendie Mittel für den zivilenWiederaufbau im Verhältnis zuden Militärausgaben zu schwach unddeshalb diese Missionen nicht nachhaltigwaren.Die deutsche Form der„Provincial ReconstructionTeams“ (PRT)Das deutsche PRT ist keine militärischeEinrichtung, sondern eineressortübergreifende Koordinierungsstelle.Der Leiter/in des PRT ist ein(e) Beamter/in des Auswärtigen Amtes.Der Vertreter des Bundesministeriumsfür wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung (BMZ) und dieMitarbeiter der GTZ koordinieren dieEntwicklungszusammenarbeit nachden Grundsätzen der Entwicklungshilfe.(Offiziere erhalten bislang keineausreichende Ausbildung in der professionellenEntwicklungszusammenarbeit.)Die irreführenden AussagenAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010von VENRO über das deutsche PRTkönnen nicht mit Ahnungslosigkeitentschuldigt werden. Sie sind scheinbarbewusst so gewählt worden, umder Bundesregierung zu unterstellen,sie militarisiere die Entwicklungshilfein Afghanistan.3. Inkonsequenz der VEN-RO-Funktionäre„Für die Hilfsorganisationen bedeutendie genannten Tendenzen zurzivil-militärischen Zusammenarbeitund zur Unterordnung der Entwicklungshilfeunter politisch-militärischeZielsetzungen eine deutlicheErschwerung und Einschränkung ihrerArbeit. Sie schaden dem Ansehenund der Glaubwürdigkeit der NROals unabhängige und unparteilichehumanitäre Akteure.“ (Pos. PapierS. 6, Abs. 6)Es ist kein Geheimnis, dass sowohldas Auswärtige Amt als auchdas BMZ als Bundesministerienübergeordnete politische Ziele der jeweiligenBundesregierung zum NutzenDeutschlands verfolgen. JedeOrganisation, die um staatliche Hilfenachsucht, weis doch, dass der Geberdamit auch einen politischen Zweckverfolgt, der in der Regel nicht zubeanstanden ist, wie z. B. die Förderungdes Friedens in der Welt, sowie es die Präambel des Grundgesetzesvorsieht. Humanitäre Hilfe ist inbestimmten Fällen ein anerkannterdiplomatischer Türöffner. Es gehörtschon eine ziemliche Chuzpe dazu,sich über die politischen Absichtender jeweiligen Bundesregierung zubeklagen und gleichzeitig erheblicheGeldsummen bei derselben Regierungzu beantragen. Wer wirklichunabhängig sein will, muss auf staatlicheMittel verzichten. Hier sind dieFunktionäre von VENRO inkonsequent,weil sie genau wissen, dassdie deutschen „humanitären Großorganisationenauf dem Markt derBarmherzigkeit“ ohne die jährlichenca. 500 Mio. Euro (AA, BMZ, EU)erheblich schrumpfen würden. Hierliegt auch der wahre Grund für ihrePolemik gegenüber der Bundeswehr.Sie fürchten einen neuen Konkurrentenbeim Kampf um dieselben Geldtöpfe,nur sagen sie das nicht offen,sondern versuchen es ideologisch zubegründen. Hinzu kommt ein verschwommenerfundamentalistischerPazifismus.4. Zweierlei Maß derVENRO-Funktionärebeim Einsatzrisiko„Die Bundeswehr betreibt zudemin fragwürdiger Weise selbst Hilfsprojekte,um die „Herzen und Köpfe“ derafghanischen Zivilbevölkerung für dieinternationalen Interventionen zu gewinnenund den Schutz insbesondereder eigenen <strong>Soldaten</strong> zu erhöhen.“(Pos. Papier S. 6, Abs. 4)Der Verfasser des Beitrags hat beiseinen zahlreichen weltweiten Ergebnisprüfungenbei humanitären Projektendie Erfahrung gemacht, dassdie deutschen großen Hilfsorganisationenin gefährlichen Krisengebietenvermehrt internationale „humanitäreLegionäre“ aus aller HerrenLänder einsetzen und deutschesPersonal schonen. Gelegentlich findetman die deutschen Mitarbeiterin den weniger gefährdeten Hauptstädten.Einige Hilfsorganisationenverlassen sich ganz auf ihre lokalenPartner und verzichten auf eine Kontrollevor Ort, eine ideale Anleitungzur Korruption. Wenn nun die Verfasserdes Papiers sich zuhause über die„Force Protection-Maßnahmen“ dererheblich gefährdeten deutschen <strong>Soldaten</strong>vor Ort beklagen, ist das mehrals beschämend.Worum geht es bei der „ForceProtection“? Der Deutsche Bundestagstellt für seine Parlamentsarmee,die nur im <strong>Auftrag</strong> des DeutschenBundestages in Auslandseinsätzentätig wird, Haushaltsmittel in geringemUmfang zur Verfügung, damit dieBundeswehr kleine humanitäre Projektevor Ort durchführen kann, umdas Wohlwollen der sie unmittelbarumgebenden Zivilbevölkerung zu gewinnen,damit von dieser Seite keinezusätzliche Gefahr für die eingesetztendeutschen <strong>Soldaten</strong> droht. Diese„Quick Impact-Projekte“ haben mitEntwicklungshilfe nichts zu tun. Diesewird ausschließlich durch das BMZinitiiert und koordiniert.5. VENRO wirft dem BMZund der GTZ mangelndeProfessionalität vor„Die Entwicklungszusammenarbeitmuss sich konsequent nach dem15


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKBedarf ausrichten; die bestehendeUnterordnung unter militärische undpolitische Prioritäten ist zu beenden.“(Pos. Papier S. 8, Abs. 5)Mit dieser Aussage werfen dieVerfasser des Papiers dem Bundesministeriumfür wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung unprofessionelleEntwicklungszusammenarbeitvor, ohne dafür Beweisezu liefern. Das sollte vom BMZ nichtunbeantwortet bleiben. Gleichzeitigrichtet sich die Kritik gegen die weltweitanerkannte „Deutsche Gesellschaftfür Technische Zusammenarbeit“(GTZ) mit ihren über 10.000deutschen und ausländischen wissenschaftlichenMitarbeitern. Die GTZ istdie professionelle Durchführungsorganisationdes BMZ, auf deren jahrzehntelangenErfahrungen das Entwicklungsministeriumzurückgreifenkann. Der GTZ mangelnde Professionalitätvorzuwerfen grenzt an Überheblichkeit,zumal die von VENROvertretenen deutschen entwicklungspolitischenNichtregierungsorganisationennicht in der Lage sind, großflächigEntwicklungshilfe zu betreiben,sondern maximal örtliche Missständeabzustellen.Abschließende BemerkungenDer vorliegende Beitrag richtetsich nicht gegen die überwiegendhervorragende Arbeit der deutschenHilfsorganisationen zum Wohle derbetroffenen Menschen, die der Autorin zahlreichen Artikeln als vorbildlichherausgestellt hat. Der Beitragrichtet sich gegen die anscheinendideologisch motivierte Wortwahl desPositionspapiers, welches die Wirklichkeitnicht darstellt.Sowohl das Auswärtige Amt alsauch das Bundesministerium für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklungsollten sich mit den öffentlichenÄußerungen von VENRO ingeeigneter Weise auseinandersetzen.Eine Äußerung der betroffenen Stellenwird zu gegebener Zeit veröffentlichtwerden.Ob den betroffenen Organisationendurch diese Äußerungen desVENRO- Positionspapiers 7/2009Schaden entsteht, müssen die Organisationenselbst entscheiden. Unbeantwortetsollten die Vorwürfe allerdingsnicht bleiben. ❏Sachausschuss Sicherheit und FriedenEntwicklungen bei der Weiterverbreitung von nuklearer (Waffen-)Technologien(12.gekürzte Fortschreibung – Zeitraum November 09 bis Februar 10)VON WERNER BÖSDie Redaktion wird auch weiterhin über das Monitoring der Proliferationsproblematik des Sachausschusses„Sicherheit und Frieden“ berichten. Wie gewohnt, verzichten wir auf die detaillierte Wiedergabe derchronologischen Ereignisse und werden uns auf die Bewertungen des Autors stützen. An der chronologischenEntwicklung interessierte Leser könne diese bei der Redaktion AUFTRAG per e-mail abrufen (redaktionauftrag@kath-soldaten.de).Zu den Wahlen im Iran, zur Problematik der atomaren Abrüstung und zum neuenChef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Yukiya Amano kann eine gesonderte Bewertung vonWerner Bös bei der Redaktion angefordert werden.Iran:Die Erfolgschancen der Annäherungspolitikvon US-PräsidentObama im Atomstreit mit Iran schwinden.Der scheidende Direktor der InternationalenAtomenergiebehördeIAEA, Mohamed El Baradei appellierteim November 2009 eindringlichan Teheran doch noch einzulenken.Er wandte sich ungewöhnlich direktan die iranische Führung: „Sie müssensich in kreative Diplomatie einbringen.Sie müssen verstehen, dassSie zum ersten Mal eine echte Verpflichtungeines amerikanischen Präsidentenhaben, sich vollständig aufVerhandlungen einzulassen auf derGrundlage gegenseitigen Respektsund ohne Bedingungen.“ El Baradeiforderte Iran auf, den von ihm vorgelegtenKompromiss zu akzeptieren,dem zufolge Iran einen Großteil seinesniedrig angereicherten Urans insAusland bringen soll, um dafür Brennelementefür einen Forschungsreaktorin Teheran zu erhalten. „Wir habendie erste Gelegenheit seit langem,von Konfrontation zu Kooperation zukommen“ sagte der IAEA-Chef, derEnde November nach 12 Jahren ausdem Amt schied.Schon damals wurden die Chancenfür ein Abkommen gering eingeschätzt.Der Gegenvorschlag des Iran,das Uran nicht auszuführen und erstgegen fertige Brennelemente im Inlandzu tauschen, wurde kritisiert,weil keine Sicherheit gewonnen werdenkonnte. Er wurde nicht als letztesWort des Iran gewertet. Die internationaleVerhandlungsgruppe vereinbarteim Dezember bei einem Treffen,die Lageentwicklung abschließendzu bewerten und über weitere Schrittezu beraten und setzte Iran damiteine letzte Frist. Nach internationalemDruck schien sich der iranische Präsidentkompromissbereit zu zeigen,als er zu Beginn Februar allgemeinerklärte, sein Land sei bereit, einenVertrag zum Uranaustausch mit den16 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKNuklearmächten abzuschließen. IransAußenminister Mottaki präzisierte aufder 46. Münchner Sicherheitskonferenzdie Einlassung seines Präsidenteninsoweit, als der Iran hinsichtlichdes Uranaustausches stets selber entscheidenwill, z.B. zu welchem Zeitpunkt,welche Menge, an welchen Ortetc. Damit degradierte er das ganzescheinbare Entgegenkommen zu einemneuerlichen Scheinangebot, umdrohende Sanktionen zu vermeidenoder zumindest zu verzögern.Falls der Westen noch über denKurs Irans im Atomstreit gerätselt habensollte, dann hat Mahmud Ahmadinedschadmit seinen ErklärungenHilfestellung gegeben: Anfang Dezember2009 zehn neue Urananreicherungsanlagenbauen zu wollenund Anfang Februar 2010 Uran auf20 % im Iran anzureichern sowie beiden Feierlichkeiten zum 31. Revolutionstagam 11.02.2010, als er Iraneinen „Atomstaat“ nannte. In Teheranverglich der Präsident die Gegnermit lästigen Mücken, prahlte mitden Errungenschaften seines Landesund machte deutlich, dass Iran demWesten nicht traut. Dies könnte erklären,warum das Mullah-Regimeauf alle Vermittlungsvorschläge sowidersprüchlich reagierte und warumTeheran es mit einer Einigung, wennüberhaupt, nicht eilig hat und sogarmit einer Eiszeit droht.Die Verhandlungsstrategie ist einMusterbeispiel an Zeitlupen-Diplomatie.Seit Wiederaufnahme der umstrittenenUrananreicherung vor dreiJahren warf Ahmadinedschad derStaatengemeinschaft immer wiederBrosamen hin, wenn es ungemütlichwurde, und wendete so den großenKrach gerade noch ab. Je häufiger dieWeltöffentlichkeit bei diesem KatzundMausspiel ausgetrickst wurde,desto mehr verbreitete sich die Überzeugung,dass die Atombombe das eigentlicheZiel der Iraner sei. Nur eineechte und offene Zusammenarbeit mitder IAEA könnte das Land von demVerdacht reinwaschen, dass es an derEntwicklung eben dieser Bombe arbeitet.Auch wenn man die Weigerungeiner großen und stolzen Nation zurAnnahme eines empfundenen Diktatsverstehen kann, es gilt nicht, einDiktat anzunehmen, sondern ein Kooperationsangebot.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Aber die Atompolitik ist für dieHerrscher in Teheran nicht allein einMittel ihrer Außenpolitik. Es ist einesder höchsten Ziele des Programms,die Bevölkerung auf die islamistischeStaatsführung einzuschwören. Und jestärker der Druck von außen auf Iranwird, desto leichter wird es, die Oppositionellenals Landesverräter undAgenten des Westens abzustempeln.Die Atombombe soll die herrschendenEliten an der Macht halten.Innenpolitisch herrscht – für denWesten fatalerweise – im Atomstreitkein ernsthafter Druck, Kompromisseeinzugehen. Der Westen schaut zunehmendgenervt, zu, weil ihm andereszurzeit nicht möglich ist. So könnensich Ahmadinedschad und seineHardliner als Verteidiger der Ehreund der nukleartechnischen Errungenschaftenprofilieren. Besondersverführerisch dürfte für den Präsidentendie Chance sein, die seit derumstrittenen Wahl aufgebrochene innenpolitischeKluft zu überbrücken:Das Atomprogramm erfüllt selbst seineGegner mit Stolz. An dieser Stellekann der Westen den Hebel vonDruck und Drohung bestimmt nichtansetzen. Ahmadinedschad sagt, dieFeinde hätten ihre Möglichkeiten ausgeschöpft,doch die iranische Nationstehe kraftvoll da. Nein, Iran glaubtnicht an Verhandlungen.Teheran zeigt sich unbeeindrucktvon der Drohung mit neuen Sanktionenwie einem Lieferembargo für Ölprodukte.Bereits jetzt muss der ErdölproduzentIran 40 % seines Benzinbedarfsund anderer Ölprodukte importieren.Iran und seine Bevölkerungsitzen seit Jahren Strafmaßnahmenaus. Vorerst scheint Teheran auf dieBedeutung der Vorgespräche zu setzen,die neue Kommunikationskanälezu den USA eröffnet haben und weigertsich unverändert, die Atomfragewieder in der Sechserrunde zu behandeln.Teherans Theokraten sitzen amlängeren Hebel: Die amerikanischenAnnäherungsversuche, einschließlicheines redlichen Kompromissangebotsder Urananreicherung im Ausland,haben keine Wirkung gezeigt. Im Gegenteil– das Regime kündigte denenergischen weiteren Ausbau seinerAtomanlagen an.In dieses Bild passt die Nachrichtvom Sitz der IAEA in Wien, dass sichder Iran um die Lieferung von Uranaus Kasachstan bemüht. Demnachsoll der Abschluss einer Vereinbarungüber die Einfuhr von 1350 Tonnen„gereinigten Urans“ unmittelbar bevorstehen.Gemeint ist der sogenannte„Yellowcake“, ein pulverförmigesProdukt, das schon am Abbauort ausnatürlichem Uranerz gewonnen wird.Weil die Lieferung von Uran wegender vom UN-Sicherheitsrat gegen Iranverhängten Sanktionen illegal wäre,soll ein überhöhter Preis von 450 MillionenDollar angeboten worden sein.Dass Iran versucht, Uran für sein Nuklearprogrammzu importieren, wirdschon seit einiger Zeit vermutet. DerAbbau von Erzvorkommen an zwei Ortenim eigenen Land reicht dafür nichtaus, und der Vorrat an Yellowcake, derschon in den siebziger Jahren, nochwährend der Herrschaft des Schah inSüdafrika gekauft wurde, soll weitgehendzu Uranhexafluorid (UF 6)verarbeitetworden sein. Zur Anreicherungvon Uran wird das gasförmige UF 6inKaskaden mit einer Vielzahl von Zentrifugeneingespeist. Der iranische Vorratan UF 6beläuft sich angeblich aufmehr als 300 Tonnen – was für einegrößere Anzahl von Nuklearwaffenausreichen würde. Aufgrund des „SafeguardsAgreement“ mit der IAEAwäre Iran verpflichtet, der WienerBehörde den Import von uranhaltigemMaterial zu melden. Die drei vonUN-Sicherheitsrat beschlossenen Resolutionen,in denen das Regime imIran aufgefordert wurde, alle mit derAnreicherung von Uran verbundenenAktivitäten einzustellen, verbietenanderen Ländern den Export vonMaterialien, die bei der AnreicherungVerwendung finden könnten.Die kasachische Regierung erklärt,das Land beachte alle Vorschriftender IAEA; „deshalb kann voneinem Uranverkauf außerhalb desIAEA-Regimes keine Rede sein“. Kasachstangehört nach Kanada undAustralien zu den drei größten Uranproduzentender Welt.Iran provoziert. Der Westen reagiert.Mit starken Worten. Was bleibtihm übrig? Nach Jahren des Taktierensund Täuschens, nach einer langenZeit der auch vom Westen verpasstenChancen, droht der Konfliktauf eine Entscheidung zuzutreiben.Die US-Außenministerin beharrt, sie17


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKdenke nicht daran, die militärischeOption vom Tisch zunehmen. Der israelischePremier Benjamin Netanjahuwill seine Kampfjets noch nichtzu einem gezielten Bombardement deriranischen Nuklearanlagen losschicken,aber die Pläne liegen fertig inden Schubladen der Militärs. Netanjahuwird eine iranische Atomwaffenie akzeptieren. Diesmal würden sichdie Juden „nicht als Opferlämmer zurSchlachtbank führen lassen“.Die Bewertung des iranischenVerhaltens gab den Ausschlag dafür,dass Strafverschärfungen als unumgänglicherachtet werden. Im Februarstartete der UN-Sicherheitsrat unterfranzösischem Vorsitz eine Initiative,die eine vierte Sanktionsrunde gegenTeheran zum Ziel hat. Wenn dieVereinten Nationen zu keinem abgestimmtenVerhalten kommen sollten,will Deutschland unter „willigenPartnern“ Verbündete für Sanktionensuchen und dürfte bei den westlichenMächten ein offenes Ohr finden.Schlagstöcke, Tränengas undSchauprozesse, Wahlfälschung, vollstreckteTodesstrafen und Schnüffelaktionenim Internet. Das ist dasHandwerkszeug des Regimes in Teheran.Oppositionsführer Mir HosseinMussawi hat Recht mit seinerForderung nach sofortiger Aufgabeder Politik der Einschüchterung Andersdenkender.Doch was tun? Vor dieser Fragestand die iranische Opposition.Ihre Anhänger waren wieder mehrfachmassiv auf die Straße gegangen,nachdem sie von Knüppelgarden am04.11.09 bei einer Demonstration zum30. Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft und am 07.12.09, dem „Tagder Studenten“, verprügelt wordenwaren. Seither sind die Universitätennicht mehr zur Ruhe gekommen.Ein weiterer Funke wurde der Tod vonGroßayatollah Montazeri, der als ranghöchsterGeistlicher dem iranischenRevolutionsführer Chamenei die Stirngeboten und die Wiederwahl Ahmadinedschadsals gefälscht abgelehnt hat.Bei der Beerdigung Groß-AyatollahMontazeri, vor sowie zum Aschura-Fest nach Weihnachten 2009 formiertdie Opposition sich wieder. Zehntausendenutzten die Trauerfeier in derheiligen Stadt und den Aschura-Tagim ganzen Land, um gegen den erzkonservativenPräsidenten Ahmadinedschadund den Geistlichen FührerChamenei zu protestieren. Erneutbot das Regime umfangreich Sicherheitskräfteund zahlreiche Polizistenauf, angeblich um Zusammenstößezwischen Anhängern der Oppositionund des Präsidenten zu verhindern.Zum ersten Mal seit Beginn derProteste hatten sich die Demonstrantenmassiv gegen die Prügelorgien derMilizen gewehrt. Die Demonstrantensteckten Autos und Motorräder derSicherheitskräfte an. Sie entwandenden Sicherheitskräften Waffen undSchutzwesten. Diese Entwicklunglässt die Hoffnung auf eine sanfteRevolution endgültig gegen Null sinken,zumal die Reaktionen der Mächtigenimmer panischer wirken. So, alsdie iranische Staatsmacht nach denDemonstrationen des Aschura-Festeszurück schlägt, indem sie ihre Anhängermobilisiert und Zehntausende regierungstreuerIraner in Teheran undanderen Städten zu Massenkundgebungenauf die Straße bringt. Diesebeschuldigten die Führer der Opposition,Unruhen in der IslamischenRepublik zu schüren und machtensie für das Blutvergießen der vergangenenTage verantwortlich undforderten ihre Bestrafung mit demTod. In Sprechchören bekundeten sieihre Unterstützung für den OberstenFührer Ayatollah Ali Chamenei undtrugen Bilder von ihm. Diese Kundgebungenwurden vom Staatsfernsehenumfangreich direkt übertragen.Die Botschaft der Herrschenden andas Volk war: Wir sind die überwältigendeMehrheit und haben alles unterKontrolle! Der Druck auf die Oppositionwird durch Terrordrohungenund Schüren von Angst erhöht. In derKraftprobe zwischen der iranischenOpposition und dem Regierungslagerwerden die Demonstranten als „Mohareb“(Feinde Gottes) bezeichnet:Kritik am und Widerstand gegenüberdem geistlichen Oberhaupt ist im Iranein Tabu – sich Chamenei zu widersetzenwird damit gleichgesetzt, sich Gottzu widersetzen. Das ist ein Straftatbestand,auf dem die Todesstrafe steht.Ende Januar wurde die Hinrichtungzweier iranischer Oppositionellervon der internationalen <strong>Gemeinschaft</strong>scharf verurteilt. Die beiden Dissidentenwaren nach den Massenprotestender vergangenen Monate hingerichtetworden. Neun weitere Demonstrantenwurden zum Tode verurteilt. Der Vorsitzendedes Wächterrates, AyatollahAhmad Dschannati, verteidigte dieHinrichtungen: „Wir dürfen mit denFeinden Gottes nicht nachsichtig sein,sonst steht uns eine schreckliche Zukunftbevor“.Die Intelligenz, die Künstler sowiedie Jugend und damit die Zukunfthat Chamenei verloren. Die Basaris,die Geschäftsleute in den Städten,werden unruhig. Wegen der Protesteverkaufen sie nichts mehr. Die Aufteilungder staatlichen Ressourcen undder zur Privatisierung anstehendenFirmen unter die Revolutionswächterund andere Stützen der Regierung löstihren weiteren Ärger aus. Ebenso dieTatsache, dass die Macht im Staat zunehmendin die Hände militärischerund paramilitärischer Einheiten übergeht.Das Umschwenken der Basarisaber hat vor 30 Jahren endgültig denSturz des Schah besiegelt. Die Oppositionist heute damit so vielschichtigwie jene, die mit Chomeini gegen denSchah auf die Straße gegangen war.Nach wie vor wollen Hardliner inder Justiz und im Parlament Mussawiverhaften lassen. Da sich die Oppositionsbewegunginzwischen aber verselbständigthat und nicht mehr nureinem Führer folgt, würde sich für dasRegime hinsichtlich der Proteste vermutlichnichts Wesentliches ändern,es würde der Opposition aber einenMärtyrer liefern und die Proteste nurweiter anfeuern. So erklärte Mussawiauf Todesforderungen aus den Reihender Herrschenden zum Jahreswechsel,er sei „zum Märtyrertum“ bereit.Es werde aber auch dann nicht gelingen,die Opposition „mit Verhaftungen,Gewalt und Drohungen“ zumSchweigen zu bringen.Im Herbst 2009 hatten die Demonstrantennoch angstvoll von einemTermin, zu dem sie auf die Straße gehenkonnten, zum nächsten geblickt.Das war im Auftaktjahr vor der Revolutionnicht anders gewesen. Auchda lagen zwischen einzelnen Kundgebungender Opposition Monate, bissich der Rhythmus beschleunigte. DieProteste orientierten sich zwar weiteran festen Terminen. Die nächsten Terminewären dann logischerweise dervierzigste Tag nach Montazeris Tod18 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKund der Beginn der Revolutionsfeierlichkeitenam 1. Februar 2010 gewesen,die aber ungenutzt blieben. Dieneue Unerschrockenheit der Oppositionund die Unversöhnlichkeit derletzten Proteste legen den Schlussnahe, dass die Demonstranten immerweniger auf äußere Anlässe angewiesensind.Die Demonstranten des Aschura-Festes verstanden sich, auch wenn sienicht religiös sind, als in der TraditionHusseins stehend, der sein Lebenin der Hoffnung für eine gerechteGesellschaft gelassen hatte. So dietraditionelle Lesart der Schiiten. Andiesem Tag betrauern die Schiitenim Iran den Märtyrertod ihres drittenImams Hussein im Jahr 680 inder Schlacht von Kerbela gegen dieSunniten. Der Sohn Alis und EnkelMohammeds führte eine Reformbewegungan und wurde von der Armeedes Omayyaden-Kalifen Yazid getötet,weil er eine gerechte Gesellschaft mitgleichen Chancen für alle schaffenwollte, gegen das Machtmonopol einerkleinen Gruppe. Den Demonstrantenhielt das Regime entgegen, dass seitder Ausrufung der Islamischen Republik1979 das Gute bereits herrscheund der Staat schon in der NachfolgeHusseins stehe.Das glauben immer weniger unddie Einschüchterung der Staatsmachtfunktioniert nicht mehr. Demonstrantengehen offensiv gegen Sicherheitskräftevor und skandieren Losungengegen Ahmadinedschad undden Geistlichen Führer Chamenei.Die Konfrontation hat sich verhärtet,zu einem Dialog ist keine derbeiden Seiten mehr bereit. Seit demTod Montazeris sind Menschen aufdie Straße gegangen, die zuvor zuHause geblieben waren. Noch immerstellt die Mittelschicht die Mehrheitder Demonstranten. Begonnen hattees mit der jungen Generation, ältereFrauen und Männer schlossen sich ihnenan. Drei Generationen demonstrierenbereits. Zudem spitzt sich diewirtschaftliche Lage zu. Keiner investiertmehr, und hält dieser Trendan, werden sich zunehmend die Arbeitslosenaus der Unterschicht demProtest anschließen. Der dürfte dannimmer weniger freundlich ausfallen.Iran ist im Inneren in Gefahr auseinanderzu brechen, ohne dass jemandAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010in Sicht wäre, der eine friedliche Lösungherbeiführen könnte.Die Häupter der Opposition sindnoch voll aktiv. Doch sie verfügenüber keine effektive Organisation imUntergrund, mit der sich der Wunschnach Veränderung anders gestaltenließe als in gelegentlichen Ausbrüchender Unzufriedenheit. Sowohleine geschlossene Strategie als auchTaktik fehlen den Oppositionellen inTeheran. Das ist ihre Schwäche, dennzu größerem koordinierten Vorgehenhaben sie wegen der Repressionnicht die Möglichkeit. Gleichzeitig istgerade dies ihre Stärke. Denn eineeffiziente Geheimpolizei mit einemweitgespannten Agentennetz wie dieiranische kann zwar konspirative Zirkelzerschlagen, nicht aber eine unstrukturierteMassenbewegung, dienur durch die Gesinnung von Millionenbesteht.Der ehemalige Reform-PräsidentMohammed Chatami warnt davor,dass die Brutalisierung des Regimeszu einer unkontrollierbaren Radikalisierungder Gegenbewegung führenwerde. Ex-Präsident HaschemiRafsandschani, einer der stärkstenGegner des amtierenden StaatschefsMahmud Ahmadinedschad, hat seitMitte Juli 2009, als er sich die Forderungender Opposition teilweisezu eigen machte, demonstrativ nichtmehr das große Freitagsgebet in derTeheraner Universität angeführt. AlsBedingung für eine neue Beteiligungdaran fordert er die Freilassung derpolitischen Gefangenen, Entschädigungenfür die während der UnruhenVerletzten, Versöhnung mit den hohenKlerikern, die vom Regime beleidigtworden seien, und Öffnung derStaatsmedien für andere Meinungen.Nichts davon ist geschehen, imGegenteil. Die bereits bisher drakonischeKontrolle des Internets istdurch eine neugeschaffene Instanzverstärkt worden. Das Internet unddie damit verbundenen Möglichkeitenzur freien Meinungsäußerung undInformation werden für die iranischeFührung mehr und mehr zur Bedrohung.Gleichzeitig wird der Geheimdienstder Revolutionswächter organisatorischausgebaut. Die Bekanntgabevon Todesurteilen oder andererhohen Strafen wird in der Öffentlichkeitin erster Linie als Abschreckunggegen neue Demonstrationenverstanden.Der Tod von Groß-Ayatollah Montazerivor Weihnachten 2009 kam zurUnzeit. Mit Montazeri verlor die iranischeReformbewegung ihren geistlichenFührer, der seine Autoritätnicht zuletzt daraus bezog, dass erals Theologe weitaus höheres Ansehengenoss als RevolutionsführerAli Chamenei. Sein Tod ist auch einSchlag für den Klerus, der im politischenLeben der Islamischen Republikimmer weiter an Einfluss verliert,einerseits durch die weltlichenMachteliten und andererseits durcheine immer radikalere Abwendungvieler junger Iraner vom religiösenSystem. Und er schwächt die Reformer,die ohnehin unter Druck stehendurch die Repressalien der RegierungAhmadinedschad.Chomeini hatte Montazeri einstals „Frucht meines Lebens“ bezeichnet.Während der iranischen Revolution1979 und in den ersten Jahren derIslamischen Republik war GroßayatollahHussein-Ali Montazeri einerder engsten Mitstreiter des Revolutionsführers.1985 wurde der 1922 imzentraliranischen Nadschafabad geboreneGeistliche auch offiziell zumNachfolger Chomeinis ernannt. Aberals er kurz vor dessen Tod die Massenhinrichtungenvon Oppositionellenoffen kritisierte, fiel Montazeriin Ungnade. An seiner Stelle wurdeAli Chamenei, fast eine Generationjünger und ein Geistlicher niedrigenRanges, der neue und heutige Führerder Islamischen Republik. Montazerientwickelte sich immer mehr zumKritiker des Regimes und wurde diegeistliche Führungsfigur der Reformbewegung.Übers Internet verbreiteteer seine Botschaften und Rechtsauslegungen.Zuletzt im Sommer 2009, alser die umstrittenen Präsidentenwahlenin einer Fatwa für unrechtmäßigerklärte. Die Regierung von PräsidentMahmud Ahmadinedschad habe keineLegitimität, schrieb Montazeri.Der Großayatollah, der währendund nach der Revolution durchaus einHardliner gewesen war, entwickeltesich zum Vordenker eines aufgeklärtenIslam, verurteilte die direkte Einmischungdes Klerus in die Politikund wollte ihm – der iranischen Traditionentsprechend – nur noch eine19


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKberatende und überwachende Funktionzubilligen. Er plädierte für dieMeinungs- und Religionsfreiheit, einschließlichder Freiheit, die Religionzu wechseln. Die Menschenrechtemüssten Grundlage jeder Rechtsordnungsein. Auch die iranische Frauenbewegung,die die rechtliche Gleichstellungder Frauen fordert, konntesich auf die Rechtsauslegung Montazerisberufen.Nach dessen Tod ist der GroßayatollahJussuf Sanei zum wichtigstenVerbündeten der iranischen Oppositionin der klerikalen Hierarchiegeworden. Dieser sagte einmal, dieIslamische Republik sei vom Islamso weit entfernt wie der Mond von derErde. Schon am Tage nach MontazerisBeisetzung rotteten sich tausendregimetreue Bassidsch-Milizionärevor seinem Haus in Ghom zusammen,verprügelten seine Mitarbeiterund hängten Plakate des GeistlichenFührers Ali Chamenei auf. Der72-jährige Sanei hat bisher nicht dasPrestige Montazeris, der zu den Mitbegründerndes Gottesstaates gehörte.In der Politik war Sanei nur einmalaktiv, als Chomeini seinen Schülerzum Mitglied des Wächterrates, desgeistlichen Verfassungsgerichtes, ernannte.Acht Jahre später verließ erdieses Amt und war wieder wie vorherTheologe in Ghom. Er gehört zur Eliteder eineinhalb Dutzend Groß-Ayatollahsder schiitischen Welt, die für ihreAnhänger „Quelle der Nachahmung“sind. Seine Entscheidungen (Fatwas)sind für viele Gläubige verbindlich.Gerade weil Sanei nicht politisch tätigist, hat seine Haltung ein moralischesGewicht, das dem Regime zumÄrgernis wird. Zur Wiederwahl PräsidentAhmadinedschads betonte Sanei,dieser sei nicht legitimer Staatschefund es sei unrechtmäßig, mit seinerRegierung zusammenzuarbeiten. AlsProtestierende verhaftet und misshandeltwurden, sagte der Ayatollah,Geständnisse im Gefängnis seien ungültigund wer sich ihrer bediene, begeheeine schwere Sünde. „Mit Terror,Töten, Folter und Einkerkerung lässtsich die Lage im Land nicht ändern“,warnte er nach Montazeris Beisetzung.Alles Radikale widerstrebt demAyatollah. Selbstmordanschläge verurteilter als Terrorismus, den derGlaube verbiete. Atomwaffen tötennach seiner Definition unschuldigeMenschen, weshalb der Islam denBesitz nuklearer Waffen untersagt.Sanei vertritt die These, Frauen seienim Islam völlig gleichberechtigt.Entgegen der Praxis in der IslamischenRepublik kann eine Frau seinerAnsicht nach auch Richter oderStaatschef werden. Als Bester seinesStudienjahrgangs in Ghom wurde dergebürtige Isfahaner bereits mit 25 JahrenHodschat-ul-Islam, ein Rang, denGrößen wie Expräsident Rafsandschaninie erreichten.Ahmadinedschad kommt die gewisseRatlosigkeit der Oppositionnicht zugute. Im Parlament hat ergroße Schwierigkeiten, denn konservativeWidersacher fordern eine Untersuchungüber Milliarden, die ausseinem Budget verschwunden sind.Vielfach werden die Gehälter nichtgezahlt. Täglich steigen die Preiseund die Unzufriedenheit.Die gravierendste Folge der Ausschaltungder Opposition ist eineSpaltung der Gesellschaft. Jeder, dersich intellektuell oder materiell leistenkann, wendet sich vom Regimeab. In den Kollektivtaxis in Teheranwird vom „Umsturz“ phantasiert – einWort, das noch vor Monaten niemandgebraucht hätte. Die Oppositionsbewegungwird ihre Arbeit fortsetzenund ist bereit, einen hohen Preis dafürzu bezahlen. Weder das brutaleEingreifen auf der Straße, noch gutinszenierte Fernseh-Zeremonien könnenverschleiern, dass die Herrschercliquein einer tiefen Krise steckt undkaum noch Vertrauen bei der Bevölkerunggenießt. Die Proteste reißennicht ab, die die Herrschenden immerwieder mit harter Hand niederschlagen.Die Unruhen werden sich, so siehtes aus, nicht legen, auch wenn die Behördenihre Machtmittel bis zum Äußersteneinsetzen. Vielleicht könnenPolizei und Revolutionsgarden sie aufkurze Sicht eindämmen. Das löst abernicht das Grundproblem: Die Gesellschaftist jung und modern, sie hatdie Nase gestrichen voll vom dumpfenGestern. Die iranische Diktaturhat es auch mit Drohungen und Gewaltanwendungnicht geschafft, einerkomplexen und wachsenden Gesellschaftvon 71 Millionen Menschen,die Internet, Mobiltelefone, Satellitenschüsselnund Twitter nutzen, eineMaulkorb anzulegen.Man sollte sich hüten, das schnelleEnde des Mullahregimes mit seinenRevolutionswächtern vorauszusagen.Es stützt sich noch immer auf das Militärund auf die Polizei, doch PräsidentAhmadinedschad war noch nie sostark herausgefordert wie heute. DieRegierung steht unter Druck. Wennsie zögert, den latenten Aufstand gewaltsamniederzuschlagen, dann nichtaus Zurückhaltung sondern aus Kalkül:Sie will sich ihrer Sache sichersein und nicht noch mehr Märtyrerschaffen. Doch die Gefahr besteht inder zunehmenden Militarisierung desRegimes. Chamenei hat seine Machtschließlich auf den Machtzuwachsder Revolutionsgarden und der Milizengegründet. Ist es schon zu spät,um die Regierung und die Oppositionzu versöhnen? Dies erscheint tatsächlichimmer schwieriger. Dazu müsstedas geistliche Oberhaupt große Zugeständnissemachen. Ist er dazu nochin der Lage? Oder ist er nicht schonselbst Geisel der Geheimdienste undder fundamentalistischen Milizen, dieer selbst geschaffen hat?Das iranische Regime hat längstdie wenigen Garantien fallen gelassen,die die Verfassung des Landes mitden islamischen Geboten in Einklangzu bringen versuchte. Und es hat damitden vergeblichen Anspruch beiseitegeschoben, die Menschen überzeugenzu wollen. Die Büchsenspannerder Theokratie terrorisieren undunterdrücken, sie versuchen verzweifelteProteste im Keim zu ersticken.Sie haben Menschen erniedrigt – allesin der schlechten Tradition der Polizeistaaten.Die geistliche und weltlicheFührung Irans geht in ihrem Aktder Machterhaltung noch weit brutalervor als das von der Revolution imJahr 1979 gestürzte Schah-Regime.Das Regime treibt die Re-Ideologisierungder Gesellschaft mit Hilfeder Bassidschi-Milizen voran. DieMilizangehörigen sind sich ihrer Bedeutungbewusst, stellen sie doch dieSpeerspitze dar einer Kampagne gegendas, was als schädlicher Einflussdes Westens gesehen wird. Der vonAyatollah Ali Chamenei geforderte„sanfte Kampf“ des Regimes beginntjetzt schon bei den Schulanfängern.Um zukünftige Protestbewegungen20 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010wie die Grüne Bewegung zu verhindern,will man die islamische Bewegungvon ganz unten stärken. Dazusoll es auch an jeder Grundschuleein Bassidschi-Büro geben – nachdem Vorbild von Mittelschulen undUniversitäten. Dort sollen sich Schülertreffen, die sich für die Bassidschiinteressieren. Auch Freizeitprogrammewerden genutzt, um Schüler in dierichtige Richtung zu lenken. Zudemsoll jede Schule einen Mullah für diereligiös-ideologische Erziehung bekommen.Die Bassidschi-Milizen wurdenvon Revolutionsführer Ayatollah Khomeinivor 31 Jahren ins Leben gerufen.Bei den Demonstrationen z.B. inTeheran lösen ihre blutigen GewaltexzesseEmpörung und Entsetzen aus.Das veranlasste den regimekritischenGroßayatollah Ali Montazeri in dergeistlichen Hochburg Ghom damalsim November 2009 erneut zu einemscharfen Statement, wonach Gewaltgegen friedliche Demonstranten „eineschwere Sünde gegen des Islam unddie Gesetze der Scharia“ sei. Auchin ihrem privaten Umfeld spüren dieBassidschi, dass ihr Ansehen starkgelitten hat. Trotz des Imageproblemssollen die Bassidschi keine Nachwuchssorgenhaben. In Zeiten hoherArbeitslosigkeit und schwieriger Aufnahmeprüfungenfür die Universitätenkönnten für manche Iraner nicht ideologischeGründe sondern ganz praktischeVorteile Anlass sein, den Milzenbeizutreten. Auch wer Beamter werdenwill hat es leichter. Das gilt erstrecht für politische Top-Positionen.Offenbar um die Milizen besserkontrollieren zu können, hat man dieTruppen noch fester an die Revolutionswächter(Pasdaran) gebunden. BisJuni 2009 lag ein loser Verbund vor;jetzt sind die Bassidschi Teil der Bodentruppender Pasdaran.Wenn es denn in der tief gespalteneniranischen Gesellschaft ein nationalesEinheitselement gibt, dannhat sie sich bedauerlicherweise in derNuklearfrage herauskristallisiert. Fürdas Atomprogramm (nicht unbedingtfür die Atombombe) treten selbst dieIntellektuellen ein, die dem Westenam freundlichsten gesinnt sind undden Knüppel-Mullahs am kritischstengegenüberstehen. Nicht einmalsie können sich dem Sog des Patriotismusentziehen. Und so ist es aucheines der höchsten Ziele des Atomprogramms,die in die Unzufriedenheitabdriftende Nation auf die gegenwärtigeislamische Staatsführungeinzuschwören. Und je mehr der äußereDruck auf das Land wächst, destoleichter wird es, die Oppositionellenals Landesverräter und als Agentendes Westens abzustempeln. Die Atomfragekönnte so die islamische Elitean der Macht halten.DNordkoreaer Zwischenfall (Seegefecht AnfangNovember 2009 im GelbenMeer zwischen Schiffen der nord- undsüdkoreanischen Marine) kam umsoüberraschender, als sich die Spannungenzwischen beiden Ländern davorein wenig entschärft hatten. Nordkoreahatte sich seit August etwas aufdas Nachbarland zubewegt. Auch denUSA gegenüber zeigte sich das Regimein Pjöngjang vor dem Zwischenfallwieder mit Blick auf den Streit umsein Atomwaffenprogramm für bilateraleGespräche bereit, wenn es auchweiterhin die Sechser-Runde ablehnte.Das Gefecht könnte von Nordkoreaprovoziert worden sein und derZeitpunkt dafür bewusst gewählt, dadoch Präsident Obama in den Tagendanach nach Seoul reiste und somitseine volle Aufmerksamkeit gewonnenwerden konnte. Die neuerlichenSpannungen führten den Menschenin der Region das latent bestehendeEskalationsrisiko in Korea drastischvor Augen.Im Jahr 2009, noch wenige Monatevor dem Jahreswechsel hatteNordkorea mit neuen Atom- und Raketentestssowie dem Wiederaufbaudes Atomreaktors in Yongbyon dieinternationale Staatengemeinschaftherausgefordert und damit folgerichtigSanktionen der Internationalen<strong>Gemeinschaft</strong> ausgelöst. Von denGesprächen der Sechser-Gruppe ausNordkorea, Südkorea, China, Japan,Russland und den Vereinigten Staatenzog Pjöngjang sich zurück undbegründete die Entwicklung eigenerAtomwaffen mit dem Willen, dieUSA von einem Krieg gegen Nordkoreaabschrecken zu wollen. In einervon den amtlichen Medien verbreitetenNeujahrsbotschaft 2010 hießes dann doch recht überraschend,die Beendigung des feindlichen Verhältnisseszu den USA sei entscheidendfür Frieden und Stabilität aufder koreanischen Halbinsel und imübrigen Asien; Nordkorea wünschebessere Beziehungen zu Amerika.Pjöngjang sei weiter bereit, „auf derkoreanischen Halbinsel ein dauerhaftesFriedenssystem“ zu etablierenund sie „mit Dialog und Verhandlungenatomwaffenfrei zu machen“. Mitdieser Botschaft gibt Nordkorea malwieder Hoffnungen auf eine Wiederaufnahmeder Sechser-Gespräche zurBeendigung des Atomprogramms Auftrieb.Dann könnte auch das projektierteVerbindungsbüro der USA inNordkorea eingerichtet werden undden Dialog stärken.Das kommunistische Nordkoreahat Anfang Dezember 2009 überraschendeine Währungsreform eingeleitet.Angesichts der Inflation verfolgtesie das Ziel, das Geld aufzuwertenund für dessen störungsfreie Zirkulationzu sorgen. Außerdem dientedie Umstellung auch dazu, denaus der Not geborenen kleinteiligenSchwarzmarkthandel vieler Nordkoreanerim Land zu unterdrücken. ZweiStellen des Won wurden gestrichen,so dass es für 1000 alte Won jetzt einenneuen Schein über 10 Won gibt.Im nordkoreanischen Alltag istnach der Währungsreform die Verwendungausländischer Währungenwie Dollar, Euro und dem chinesischenYuan verboten. AusländischeWährungen waren bisher in einigennordkoreanischen Geschäften undRestaurants akzeptiert worden. Mitdiesem Erlass wird allen Personenund Organisationen mit Ausnahmevon Banken verboten, ausländischeWährungen zu besitzen. Zunächst warunklar, wie sich die Märkte und derprivate Handel in Zukunft entwickelnwürden. Würde man überhaupt nochimportierte Waren kaufen können?Würde es einen Schwarzmarkt geben?Die Nordkoreaner sind findigund clever, sie werden sicher eineLösung finden, so wurde erwartet.Bislang durfte jeder Koreaner Dollaroder Euro besitzen. Wer Verwandteoder Bekannte im Ausland hatte –viele Nordkoreaner leben in China –ließ sich Waren schicken. Dann gabes Tupperparties in den Wohnungenvon Pjöngjang. Man verkaufte für ei-21


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKnen Dollar Nylonstrümpfe, die man inChina für 50 Cent eingekauft hatte.Das durchschnittliche Monatsgehaltlag vor der Währungsreform vomDezember 2009 bei etwa 5000 Wonim Monat. Das entsprach umgerechneteinem Euro oder etwas mehr als 1,7Dollar. Ein Kilo Tomaten kostete imWinter bislang bis zu 5000 Won, einganzes Monatsgehalt. Trotzdem gibtes wenig offene Zeichen einer Hungersnot.Viele Menschen arbeiten nebenbeiund verschaffen sich weitereEinkommen. Um die Bevölkerung sattzu bekommen, fehlen 600.000 TonnenGetreide. Hinterhofgärten und sogarHäuserdächer werden als Anbauflächenfür Gemüse zur Selbstversorgunggenutzt.Die Folgen der Währungsreformwaren chaotisch; eine galoppierendeInflation wurde ausgelöst. Am 1.Januar2010 kostete der US-DL noch98 Won, am 4. Februar bereits 530Won. Die Lebensmittel-Preise sinddrastisch gestiegen: statt 20 Won Ende2009 kostete Anfang Februar ein KiloReis 600 Won, der Preis hatte sichverdreißigfacht. Die schlechte Versorgungslagehatte in mehreren Städtenzu Unruhen geführt. Daraufhin wurdenHandelsbeschränkungen wiedergelockert und als Konsequenz hat derDirektor für Finanzen bei der herrschendenkommunistischen Partei,Pak Nam Gi, seinen Posten räumenmüssen. Pak war für die Umsetzungder Währungsunion zuständig gewesen.AndereIm Wettlauf um Milliardenaufträgeaus Indiens zivilem Nuklearprogrammhat sich Russland einen entscheidendenVorteil gegenüber denUSA verschafft. Moskau garantiertIndien die fortdauernde Lieferung vonUran selbst für den Fall einer Beendigungder atomaren Zusammenarbeitder beiden Staaten. Im Gegenzugkauft Indien mindestens vier russischeAtomreaktoren und gewährt dieOption auf weitere Lieferungen. Dasist der Kern eines Nuklearabkommensvom Dezember 2009, das Indiens MinisterpräsidentMonmohan Singh undRusslands Präsident Dmitrij Medwedjewin Moskau unterzeichneten.Nur zwei Wochen vorher war einähnlicher Pakt zwischen Indien undden USA in letzter Minute gescheitert,weil Präsident Barack Obama die vonSingh geforderten weit reichendenLiefergarantien nicht geben wollte.Die USA wollten sich in diesem Falldas Recht vorbehalten, bereits geliefertesUran und Nukleartechnologiezurückfordern zu können. Russlandverzichtete auf dieses Recht und gehtsogar noch ein Stück weiter. Russlanderlaubt Indien die Wiederaufbereitungausgebrannter Brennstäbe inallen russischen Reaktoren sowie dieAnreicherung des gelieferten Uransim Rahmen bestimmter Grenzen.Für Indien ist die Liefersicherheitvon großer Bedeutung, da es selbst nurüber geringe Uranvorkommen verfügt.Medwedjews Zusicherungen sind politischheikel, da die Atommacht Indienden Atomwaffensperrvertrag nichtunterzeichnet hat. Dass Indien nachJahrzehnten der Isolation seit demJahr 2009 trotzdem mit Uran undziviler Nukleartechnologie beliefertwerden darf, verdankt es den USA.George W. Bush hatte mit Singh 2005ein entsprechendes Abkommen ausgehandeltund dafür auch grünes Lichtvon den 45 Nuklearmaterial-Exportländernbekommen. Doch US-Kraftwerkskonzernewie General Electricund Westinghouse können bisher vondem Deal nicht profitieren. Es fehltnämlich noch ein Zusatzabkommenzwischen Washington und Neu-Delhiüber Regeln für die Lieferung undWiederaufarbeitung amerikanischenUrans.Umso ärgerlicher ist es für dieUS-Konzerne, dass jetzt Russland indie Bresche springt. Das <strong>Auftrag</strong>svolumenbeziffert Rosatom auf „mehrereDutzend Milliarden Dollar“. Denkbarsei der Bau von zwölf Reaktoren. DerVertrag sieht zunächst vier Reaktorenvor, hält allerdings die Option fürweitere offen. Möglicherweise wirddavon auch Siemens profitieren. DerMünchner Elektrokonzern strebt einBündnis mit Rosatom zum weltweitenBau neuer Atomkraftwerke an. Zurzeitallerdings stocken die Verhandlungenvon Siemens mit den Russen.Weil sich Siemens früherer PartnerAreva aus Frankreich querstellt, derauch schon einen Milliardenvertragin der Tasche hat.Die ins Hintertreffen geratenenUS-Konzerne verstärken derweil ihreLobbyarbeit, um nicht den Anschlusszu verlieren. Hochrangige Delegationenverhandeln mit staatlichen undprivaten indischen Energiekonzernenüber Kooperationsverträge. Doch erstwenn das Zusatzabkommen zum Nuklearvertragmit den USA besiegelt ist,dürfen sie in Indien Atomkraftwerkebauen. Indien will seine Nuklearkapazitätvon zurzeit 4,1 Gigawatt auf60 Gigawatt im Jahr 2030 steigernund dazu rund 100 Milliarden Dollarinvestieren.Aufsehen erregten um die JahreswendeBerichte der InternationalenAtomenergiebehörde (IAEA) über einenVerkauf großer Mengen Uran vonKasachstan an Iran. „Frei erfunden“dementierte der Iran die Vorwürfe.Kasachstan erklärte, die Beschuldigungenseien „haltlose Unterstellungen,die das Ansehen unseres Landesbeschädigen sollen“. Kasachstan haltesich streng an die internationalenRegeln zur Nichtweiterverbreitungvon Atomwaffen. Man erwarte vonder IAEA, dass sie ihre Behauptungenprüfe. Kurz vor Jahresende 2009hatte ein IAEA-Mitgliedsland Nachrichtenagentureneinen Report zugespielt,nach dem Teheran in Kasachstan1.350 Tonnen gereinigtes Uran,sogenannten Yellowcake, für 450 MillionenDollar kaufen will. Dies wäreein klarer Bruch der UN-Sanktionen,die Iran zur Aufgabe seiner Anreicherungsplänezwingen sollen.Kasachstan setzt jedenfalls aufUran. Das staatliche AtomunternehmenKazatomprom erklärte, Kasachstanhabe 2009 rund 13.900 TonnenUran gefördert, mehr als Kanada,mehr als Australien. Kasachstan, sodas Unternehmen, sei nun der größteUran-Förderer der Welt. In der Tatbesitzt das Land nach Angaben derWorld Nuclear Organisation 15 Prozentdes globalen Uran-Vorkommensund war zu Sowjetzeiten einer derHauptlieferanten für Uran. Nach demZerfall der Sowjetunion hatte die neuezentralasiatische Republik 1.410 nukleareSprengköpfe geerbt, bekamaber viel Anerkennung, als sie allemilitärischen Atomambitionen aufgabund 1994 den letzten Sprengkopfzur Zerstörung an Russland übergab.Zugleich stieg die Uran-Förderungauf das Zwanzigfache, von795 Tonnen im Jahr 1997 auf knapp14.000 im vergangenen Jahr. In 2010,22 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKso verspricht Kazatomprom, will es18.000 Tonnen fördern. Der Kampfum die knapper werdenden und begrenztenÖl- und Gasreserven hat eineRenaissance der Atomkraft ausgelöst.Weltweit werden Hunderte neuerAtomkraftwerke geplant, in Chinaund Indien, Amerika und der Ukraine,der Arabischen Welt. Inzwischenist der Preis für Uran stark gefallen.Sollte es tatsächlich einen Deal zudem oben erwähnten Preis geben,dann hat Teheran Kasachstan dreimalmehr als marktübliche Zahlung angeboten.„Der Preis ist so hoch, weilder Verkauf geheim ist und der Iransich verpflichtet hat, Geheimhaltungüber jene Stellen zu bewahren, diedas Material liefern“, sagt der IAEA-Bericht. Diese Stellen könnten kriminelleBeamte in der kasachischenRegierung sein.Im November 2009 hatte bereitsRachat Alijew, der Schwiegersohnund Erzfeind von Präsident NursultanNasarbajew, erklärt, er habe Beweisefür „Geheimverhandlungen“ zwischenTeheran und Astana.Zum Jahreswechsel 2009/10 läutetenauch die Vereinigten ArabischenEmirate die Atomkraft-Äraam Golf ein und vergaben einen Großauftragfür die ersten Atomkraftwerkeüber rund 40 Milliarden Dollar nachKorea. Damit handelt es sich um daszurzeit größte zivile Atomprojekt weltweitund um die ersten Kernkraftwerkeüberhaupt in der Golfregion.Ein Konsortium unter Führung desStaatskonzerns Kepco setzte sich imBieterverfahren gegen Konkurrentenaus Frankreich, den USA und Japandurch. Der Bau der vier Meiler soll2012 beginnen und bis 2020 fertigsein. Die Emirate sind zwar der drittgrößteÖlexporteur der Welt, wollen jedochihren Elektrizitätsbedarf künftigauch mit Kernkraft decken. Vor allemAbu Dhabi treibt das Projekt voran.Der Strombedarf der Vereinigten ArabischenEmirate wird von derzeit rund15.000 Megawatt pro Jahr bis 2020 aufetwa 40.000 Megawatt steigen. Dievier Atomkraftwerke sollen jeweils1.400 Megawatt Strom erzeugen. DerBau der Meiler in den Emiraten giltals Startschuss für weitere Atomprojekteam Golf: Staaten wie Katar, Saudi-Arabienoder Oman haben bereitsdurchblicken lassen, dass sie ähnlichePläne hegen. Die Errichtung vonNuklearkraftwerken in der an Öl- undGasreserven reichen Region ist dabeinur auf den ersten Blick widersinnig.Bislang verfeuerten die Golfstaaten inihren Kraftwerken Gas. Dieses wirdaber als Handelsgut immer wertvoller,sodass die Stromerzeugung mitAtomkraft wirtschaftlich Sinn macht.Politisch ist die Lieferung atomarerTechnik in Spannungsgebiete wie dieGolfregion umstritten. Anders als derIran wollen die Emirate das für denBetrieb der Atomanlagen benötigteUran allerdings importieren. ❏Kurznachrichten„Klare Beweise für die Bemühungen Papst Pius XII. “Akten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, die bisher im Vatikanischen Geheimarchiv lagerten, werdendemnächst, gebührenfrei abrufbar, ins Internet gestellt. Angaben der Stiftung „Pave the Way“ zufolgereagiert der Heilige Stuhl mit diesem Schritt auf eine Reihe von entsprechenden Anfragen, darunter auchvon der Stiftung selbst.Der Präsident der Stiftung, der US-amerikanische jüdische Unternehmer Gary L. Krupp, sagte gegenüberZENIT, dass die Akten zugleich auf der Internetseite von „Pave the Way“ wie auf der des Vatikan eingesehenwerden könnten. Das Projekt sei Teil des Gesamtanliegens der Stiftung, die Hindernisse auf demWeg zur Verständigung zwischen den Religionen beseitigen möchte, um die Zusammenarbeit zu fördernund den Missbrauch von Religion für persönliche Ziele zu beenden.Gary L. Krupp bedankte sich im Namen seiner Stiftung beim Kardinalstaatssekretär sowie beim vatikanischenVerlagshaus Liberia Editrice Vaticana, für das der Einrichtung entgegen gebrachte Vertrauen. DieDigitalisierung von rund 9.000 Dokumentenseiten werde voraussichtlich noch mehrere Wochen dauern. Sobalddiese Arbeit abgeschlossen sei, werde dies im Internet angekündigt. Der Stiftungspräsident hofft nunauf eine rege Auseinandersetzung, Kommentare, Anregungen und Kritik sowie Übersetzungen der Aktenins Englische, um einem noch breiteren Historikerkreis die Forschung zu ermöglichen und zu erleichtern.„Bei unserer Erforschung dokumentierter Beweise entdeckten wir, dass Pius XII. insgeheim mehr Judenals alle anderen religiösen und politischen Führer seiner Zeit zusammen rettete. Er tat dies unerkanntdort, wo niemand wusste, dass es Pius XII. war, der heimlich handelte um sie zu retten. Gemäß der jüdischenTradition ist dies die höchste Form der Nächstenliebe“, sagte Krupp. Es sei Zeit, dass dieser Papstfür seine lebensrettenden Bemühungen geachtet werde. „Ich glaube, Papst Pius XII. sollte als Gerechterunter den Völkern in Yad Vashem in Jerusalem anerkannt werden.“(Jesús Colina und Michaela Koller / ZENIT)AUFTRAG <strong>277</strong>• MÄRZ 201023


GESELLSCHAFT NAH UND FERNHoffen und Bangen für AfghanistanKirchliche Positionen und die Sehnsucht nach gerechtem FriedenVON GERHARD ARNOLD 1Der 4.September 2009 hat Deutschland tief aufgewühlt. Der deutsche Kommandeur in Kunduz, OberstKlein, forderte einen nächtlichen Luftangriff auf zwei entführte Tanklastwagen und die beteiligten Talibanan. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundeswehr wurde in einem Auslandseinsatz durch einen problematischenBefehl eines deutschen Offiziers eine größere Anzahl unbeteiligter afghanischer Landesbewohnergetötet und etliche verletzt. Die genauen Zahlen werden wohl nie ermittelt werden können. Das war nicht dieBundeswehr, wie sie in den Vorstellungen sehr vieler Bürger/innen Gestalt angenommen hatte, eine sympathischeund im Grunde eine sehr friedliche international tätige Hilfstruppe in Uniform, Brunnenbauer in oliv. Nichtnur Parlament, Regierung und Öffentlichkeit, auch die christlichen Kirchen waren zu Reaktionen herausgefordert,allerdings mit Erschwernissen.Afghanistan – ein Landohne einheimische ChristenFür die beiden großen Kirchen inDeutschland, die Römisch-Katholischeund die Evangelische Kirche,vertreten durch die EKD, sind weitgespannteinternationale kirchlicheBeziehungen selbstverständlich. AberAfghanistan gehört zu den ganz wenigenLändern der Erde, in denen keineeinheimischen Christen leben. Diedeutschen Kirchen haben also keinerleikirchliche Beziehungen dorthinund können deshalb auch keine ökumenischeVerantwortung für Christenin diesem Land wahrnehmen, alsderen Sprachrohr oder Anwältin. Allerdingsist die große HilfsorganisationCaritas International mit etlichenProjekten im Land am Hindukuschaktiv, mit deutschen und einheimischenProjektbetreuern in einem eigenenBüro in der Hauptstadt Kabul.Dadurch können über unabhängigekirchliche Informationskanäle Lageberichte,Analysen und Projektberichteauch an die kirchliche Hierarchienach Deutschland gelangen. DasDiakonische Werk der evangelischenKirche betreibt derzeit nur zwei befristeteNothilfeprojekte.Neue evangelische Zuständigkeitenseit Ende 2008Nur wenige evangelische Christ/innen dürften wissen, dass die EvangelischeKirche in Deutschland (EKD)ihre Zuständigkeiten für ihr Friedensengagementseit Oktober 2008 neu1 Gerhard Arnold ist evangelischer Theologeund friedensethischer PublizistRenke Brahms, Friedensbeauftragterbeim Rat der Evangelischen KirchenDeutschlands (Quelle: BremischeEvangelische Kirche)geordnet hat. Auch für Mitgliederder katholischen Kirche, die in derÖkumene und in Friedensfragen engagiertsind, dürfte die Neuregelungvon Interesse sein. Erstmals in ihrerGeschichte wurde vom Rat der EKD,dem obersten kirchlichen Entscheidungsorgan,die Funktion eines eigenenFriedensbeauftragten geschaffen.Der theologische Leiter der BremischenEvangelischen Kirche, RenkeBrahms , wurde mit dieser Tätigkeitbeauftragt. Seine Aufgabe ist es u.a.,auf dem Boden der neuen Friedensdenkschriftder EKD vom Oktober2007 zu Friedensfragen bei BedarfStellung zu nehmen und die kirchlicheHaltung zu erläutern. Neben ihmsollte der neue evangelische MilitärbischofDr. Martin Dutzmann, im HauptberufLeiter der Lippischen Landeskirche(Sitz in Detmold), neben seinerallgemeinen seelsorgerlichen Aufgabefür die deutschen Soldatinnenund <strong>Soldaten</strong> speziell für die Bundeswehreinsätzeim Ausland zuständigsein und sie bei Bedarf auch durchöffentliche Stellungnahmen begleiten.Diese Neuregelung soll auch derEntlastung des Rats der EKD dienen.Afghanistan als große kirchlicheHerausforderungIm Folgenden soll zunächst diePosition der evangelischen Kirchezu verschiedenen Aspekten des deutschenAfghanistan-Engagementsdeutlich gemacht, dann die Gemeinsamkeitenmit den katholischen Bischöfengeschildert werden.Im August 2008 begannen die Talibanin dem bis dahin noch als relativruhig geschilderten Norden des Landes,deutsche Konvois und Patrouillenverschärft anzugreifen und ihnenerhebliche Verluste zuzufügen. Dassorgte nicht nur für große Irritationenin der deutschen Öffentlichkeit, dienicht glauben wollte, dass die Bundeswehrsich inzwischen in einemKampfeinsatz befindet.Der evangelische MilitärbischofMartin Dutzmann reiste Ende Mai2009 erstmals nach Afghanistan, umsich in Gesprächen an verschiedenenStationierungsorten ein eigenes Bildvon der Lage der Soldatinnen und Soldatinnen,ihren Aufgaben und Nöten,24 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


GESELLSCHAFT NAH UND FERNzu machen. Als Seelsorger hat er sichvon Anfang an mit den posttraumatischenBelastungsstörungen (PTBS)der Afghanistan-Heimkehrer befasst.Bereits in einer Presseerklärung derEKD vom 08./09. März des Jahreshat er von der deutschen Öffentlichkeitgefordert, dieses Problem mehrzu diskutieren. Die <strong>Soldaten</strong> seien janicht auf eigenen Wunsch in Afghanistan.Deshalb könne man nicht voneinem ‚normalen‘ Berufsrisiko sprechen,wenn Bundeswehr-Angehörigetraumatisiert oder körperlich versehrtzurückkehrten.In seinem Kurzbericht an dieEKD-Synode vom September 2009schreibt er ungeschminkt über seineEindrücke: „<strong>Soldaten</strong> bemängelten,dass die politisch Verantwortlichendie Ziele des Einsatzes nicht präzisegenug bestimmt hätten und dass nichtzu erkennen sei, wann und wie dermilitärische Einsatz beendet werdenkönnte. Irritierend war ein Gesprächmit Vertretern ziviler Hilfsorganisationen,die am Aufbau Afghanistansbeteiligt sind. Nicht nur ich hatte denEindruck, dass die Arbeit dieser zivilenKräfte viel zu wenig koordiniertist. Unsere Soldatinnen und <strong>Soldaten</strong>riskieren in den Einsätzen, in die derDeutsche Bundestag sie geschickt hat,ihre Partnerschaften, ihre körperlicheund seelische Gesundheit, ja ihr Leben.“(S.2 des Berichtes)Der Militärbischof resumiertdann: „In der öffentlichen Diskussionüber das militärische Engagement derBundesrepublik Deutschland kommtbisher die Rolle der zivilen Akteuredeutlich zu kurz. Eine militärischeIntervention hat aber nur dann Sinn,wenn sie mit zivilem Engagement verbundenwird.“( Er beruft sich dabeiauf die Friedensdenkschrift der EKDvon 2007, in der der Vorrang zivilerKonfliktlösung vor dem Gebrauch militärischerZwangsmittel unmissverständlichbetont wird).Nach dem folgenreichen Luftangriffauf zwei von den Taliban entführteTanklaster hat der Militärbischofeine Vorverurteilung des betroffenenOberst Klein abgelehnt, aber aucheine rasche Untersuchung des Vorfallsgefordert. Er sagte am 6. November2009, im Gebiet der Bundeswehrherrsche Ausnahmezustand. KriegerischeAuseinandersetzungen seienAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010immer unübersichtlich, dabei passiertenauch Fehler. Das sei jedochkeine Entschuldigung für ein Fehlverhalten.Er sagte weiter, dass nachder Friedensdenkschrift der EKD derEinsatz „rechtserhaltender Gewalt“nur in ganz engen Grenzen möglichsei. „Dazu gehört unter anderem, dassder Gewaltgebrauch an ein Gesamtkonzeptgebunden ist.” An einem solchenstimmigen und umsetzbaren Gesamtkonzeptfür den zivilen Aufbau imLande fehle es aber weiterhin. Einenschnellen, überhasteten Abzug derBundeswehr lehnte er ab.Der Friedensbeauftragte der EKDDer Friedensbeauftragte derEKD, Renke Brahms, erläuterte ineinem ausführlichen Beitrag im RheinischenMerkur vom 17. September2009 seine grundsätzliche Positionzu Afghanistan. „Dieser Krieg istaussichtslos“ lautet der Titel; er gibtden Grundtenor des Aufsatzes wieder.Er zählt die vielen Misserfolge imLand auf, das gescheiterte BemühenFrieden zu schaffen, die vielen zivilenOpfer der militärischen Einsätzeund demzufolge den Ansehensverlustder ausländischen Truppen. DieZentralregierung habe keine Stabilitätim Land geschaffen. Die Bedrohungder deutschen <strong>Soldaten</strong> habe zugenommen.Der Friedensbeauftragteschreibt: „Die Strategie, Fortschrittim Land, Demokratie und Menschenrechtedurch Schutztruppen zu etablierenund dem Terrorismus den Nährbodenzu entziehen, greift offensichtlichnicht.“ Nach seiner Überzeugung„müssen die Kriegsgegner als Partnerfür Waffenstillstandsverhandlungenanerkannt und für Friedensgesprächegewonnen werden. Das schließtSicherheitsgarantien für alle Konfliktparteienein. In den Überlegungenkommt bisher die Rolle zivilgesellschaftlicherAkteure, auch der Religionsgemeinschaften,viel zu kurz. Eswäre vornehmste Aufgabe der deutschenPolitik, auf die Vereinbarung einesderartigen Stufenplans zu drängenund sich für eine legitime afghanischeRegierung und einen schrittweisenRückzug der Truppen einzusetzen.“So wenig seine kritische Sicht derafghanischen Krisenlage zu bemängelnist, so problematisch sind seineeigenen Vorschläge. Er verfügt alsFriedensbeauftragter über keine bessereInformationslage als andere Analystenund Sachverständige und keinbesseres Urteilsvermögen als andereFachleute. Die Frage, wie ziviler Aufbauverstärkt werden kann ohne mehrmilitärische Präsenz in der Fläche istgerade unter den deutschen Hilfsorganisationenumstritten. Er fragt nicht,ob das Erstarken der Taliban in denletzten Jahren nicht auch eine Folgevon viel zu wenig internationaler Militär-und Polizeipräsenz im Land gewesenist, ein Manko, auf das Generäleschon seit Jahren hinweisen. DerRückzug vieler Hilfsorganisationenaus zivilen Projekten hängt durchwegsmit der fehlenden Sicherheitzusammen. Wer jetzt einen baldigenTruppenabzug fordert, von einem sofortigenganz zu schweigen, arbeitetden Taliban in die Hände.Die Stellungnahme der EKDvom 25. Januar 2010Im Blick auf die bevorstehendeinternationale Afghanistan-Konferenzin London am 28. Januar 2010, aberauch zur Beendigung der Kontroverseum die EKD-Ratsvorsitzende BischöfinMargot Käßmann hat die EKDdrei Tage zuvor „ein evangelischesWort zu Krieg und Frieden in Afghanistan“veröffentlicht. Die Verfasserwollen auf der Basis der EKD-Friedensdenkschrifteinige Gesichtspunktein der aktuellen Afghanistan-Diskussiongeltend machen. Die beidenLeitgedanken der Denkschrift werdenzitiert: „Christinnen und Christen lebenaus Gottes Frieden und sollen fürgerechten Frieden sorgen.“ Die Erklärungwendet sich an Bundestag undBundesregierung mit der Bitte, sichfür sieben aufgezählte Gesichtspunkteauch international einzusetzen.Die Erklärung fordert unter Ziff.2: „Das politische Konzept für Afghanistanhat neben der zivilen aucheine militärische Seite. Sie ist vonvornherein unter dem Gesichtspunktzu betrachten, wie der Aufbau der Zivilgesellschaftgeschützt und gefördertwerden kann. Wir werben dafür,dass nicht die militärische Logik dasDenken, Planen und Organisieren fürAfghanistan beherrscht.“Die Bilanz des bisherigen zivilenAufbaus, der „erste Erfolge zuverzeichnen“ habe, bleibe insgesamt25


GESELLSCHAFT NAH UND FERNzwiespältig. Die Arbeit der Nichtregierungsorganisationenmüsse quantitativund qualitativ verbessert werden.Besonders zu beachten sei „die öffentlicheOrdnung, die Sicherheit der Bevölkerungdurch polizeilichen Schutzund ein funktionierendes Rechtssystem,den Aufbau einer Wirtschaft, dieIntegration von Bevölkerungsgruppen,die von den Taliban abhängig sind,und die Anbahnung von Gesprächenmit den Taliban selbst, die Gewährleistungder Basisinfrastruktur.“Diese Erklärung versucht, dieÜberspitzungen während der Käßmann-Kontroversezurückzunehmen.Aber es fällt doch auf, dass die politischenForderungen an Bundesregierungund Bundestag nichts enthalten,was nicht teilweise schon seitJahren öffentlich diskutiert wird. DerWunsch, auch mit den Taliban sollennun Gespräche geführt werden,folgt dem neuesten Trend. Versöhnlichbleibt der Abschluss des Textes, dieBekundung von Respekt und Dankbarkeitfür alle Mitwirkenden am Aufbauin Afghanistan und die Fürbittefür Bundestag und Bundesregierung.Beträchtliche Übereinstimmungmit der katholischen KircheZwischen der evangelischen undder römisch-katholischen Kirche gibtes bereits seit langem große Übereinstimmungenin der Friedenslehre. DerGrundgedanke des gerechten Friedensverbindet beide. Für schwersteinnerstaatliche Konflikte mit furchtbarenhumanitären Notlagen sehenbeide Kirchen die Möglichkeit einermilitärischen Intervention vor, gebundenan strenge Kriterien. Es ist deshalbnicht überraschend, dass beideKirchen auch in der Beurteilung desAfghanistan-Konflikts eine ähnlicheSichtweise vertreten. Deutlich erkennbarwird dies bei den vielfachenöffentlichen Äußerungen der beidenMilitärbischöfe.Evangelischerseits wurde von einemschnellen Abzug der Bundeswehraus Afghanistan abgeraten. Der katholischeMilitärbischof Walter Mixaäußerte sich ähnlich. Am 22. Oktoberletzten Jahres, auf der Gesamtkonferenzder Militärseelsorge, sagte er,ein schneller Rückzug der Bundeswehrwäre ein Fehler. Die von den<strong>Soldaten</strong> geleistete Aufbauarbeit würdein Frage gestellt werden und dasSterben der deutschen <strong>Soldaten</strong> wärenach menschlichen Maßstäben umsonstgewesen.Vermutlich in Reaktion auf dieKäßmann-Kontroverse in der evangelischenKirche hat Bischof Mixaam 5. Januar 2010 eine ausführlicheErklärung zur aktuellen Afghanistan-Diskussion abgegeben. Darin hat erauf die wichtigsten Grundsätze katholischerFriedenslehre hingewiesen.Demnach ist der Einsatz kriegerischerMittel immer ein Übel, nachpäpstlicher Überzeugung „eine Niederlageder Menschheit“ und nur untersehr engen Bedingungen vertretbar.Kriegerische Handlungen müssender Abwehr eines dauerhaftenund schweren Schadens für eine Nationoder Völkergemeinschaft dienen,aber nur dann, wenn andere Mittelnicht wirksam sind. Im Blick auf denBundeswehreinsatz schreibt er, dasser ursprünglich nicht zur Kriegsführunggedacht gewesen sei, „sondernzur Stabilisierung des Landes im Rahmeneiner umfassenden Aufbauhilfe.“Davon könne gegenwärtig nicht mehrdie Rede sein.Bischof Mixa bringt damit dasgleiche Unbehagen über die veränderteEinsatzweise der Bundeswehr zumAusdruck wie die evangelische Seite.Der Trierer Bischof Joseph Ackermannist Vorsitzender der DeutschenKommission Justitia et Pax. Genausowie die EKD lehnt er den Rückgriffauf die alte Lehre vom gerechtenKrieg ab. Krieg sei immer ein Übel.In seinem Interview mit der FrankfurterRundschau am 05. Januar 2010sagte er zu den ökumenischen Übereinstimmungenin der Friedensfragesehr treffend: „Die Unterschiede fallennicht wirklich ins Gewicht. Dasschließt nicht aus, dass man bei derDiskussion um die richtige Friedenspolitikgelegentlich zu unterschiedlichenSchlüssen kommt. Meiner Beobachtungnach verlaufen die Diskussionsliniendabei nicht zwischen denKirchen sondern durch die Kirchenselbst.“ ❏Verbessertes Afghanistan-Konzept der BundesregierungVON KLAUS LIEBETANZWie bei ihrer programmatischen Rede am 8.09.2009 angekündigt, hat Bundeskanzlerin Merkel am 27.Januar 2010 ein deutlich verbessertes Afghanistan-Konzept im Deutschen Bundestag vorgelegt. Diesgeschah in enger Vorbereitung mit den Bundesministern des Äußeren, des Inneren, der Verteidigungund für Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Angela Merkel hat die Verantwortung für ein schlüssiges Gesamtkonzeptder deutschen Afghanistan-Politik übernommen, so wie es ihre Richtlinienkompetenz vorsieht (siehe auch„Friede ist möglich“ von <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong>, November 2004). Im folgenden Beitrag werdendie wesentlichen Aussagen ihres „Fünf-Punkte-Plans“ wiedergegeben und am Schluss kommentiert.Merkels „Fünf-Punkte-Plan“1. Verstärkte Ausbildung derafghanischen ArmeeDie Planung der Bundeswehrsieht vor, statt derzeit 280 in Zukunft1.400 deutsche <strong>Soldaten</strong> in dieAusbildung der afghanischen Streitkräfteeinzubeziehen. Dazu sollenca. 500 <strong>Soldaten</strong> und Soldatinnenzusätzlich nach Afghanistan entsandtwerden. Der Rest der Ausbilderwird durch Umschichtung derAufgaben im bestehenden Kontingentgewonnen. Die Ausbildung derAfghanen soll überwiegend nichtmehr in Camps sondern in einer Art„Training on the Job“ durchgeführt26 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


GESELLSCHAFT NAH UND FERNwerden. Deutsche <strong>Soldaten</strong> sollengemeinsam mit ihren afghanischenKameraden für den Schutz der Bevölkerungin der Nordregion sorgen.2. Erhöhung der Zahldeutscher PolizeiausbilderDie Zahl der deutschen Polizeiausbilderwird im bilateralen Ausbildungsprojektvon derzeit 123 auf200 im Jahr 2010 aufgestockt. Damitkann etwa ein Drittel der neuenafghanischen Polizeikräfte ausgebildetwerden, die laut Aufwuchsplanvorgesehen sind. Hinzu kommt dieAusbildung von afghanischen Polizeitrainern.Zusätzlich wird die Polizeiinfrastrukturweiter ausgebaut.Die Zahl der deutschen Berater beiEUPOL in Afghanistan wird von 45auf 60 Polizeiexperten erhöht.3. Deutsche EntwicklungsinitiativeDie Bundesregierung plant mitSchwerpunkt in der Nordregion bis2013 jährlich 430 Mio. Euro in denzivilen Wiederaufbau zu investieren.Das ist sechsmal so viel, wiedie rot-grüne Regierung für 2005vorgesehen hatte. Mit der substanziellangehobenen Entwicklungshilfesollen folgende konkrete Zieleerreicht werden:– ca. 3 Mio. Menschen sollen mehrEinkommen und Beschäftigunghaben, d.h. drei Viertel der Bevölkerungim Schwerpunktgebietder deutschen Verantwortung,– Ausbau weiterer 700 km Straße,die ganzjährig zu befahrensein sollen,– Zusätzlich ist geplant, neueSchulen zu bauen und entsprechendeLehrer und Lehrerinnenauszubilden, so dass ca. 500.000weitere Schüler und Schülerinnenein Schulausbildung erhalten.4. Beteiligung am internationalenReintegrationsfondsDeutschland wird sich in denkommenden fünf Jahren mit jährlich10 Mio. Euro am internationalenReintegrationsfonds beteiligen. Zieldieser Maßnahme ist es, regierungsfeindlicheKämpfer, die zurzeit auswirtschaftlichen Gründen bei denAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Taliban kämpfen, zu motivieren, dieWaffen niederzulegen und die Gesetzezu respektieren.5. Vereinbarung gemeinsamerZiele mit der afghanischenRegierungDie Bundesregierung fordert beider Afghanistankonferenz in Londonvon der afghanischen Regierunggemeinsam vereinbarte Zieleund überprüfbare Zwischenschritte(benchmarks). In den Jahren bisEnde 2011 sollen insgesamt 300.000afghanische Sicherheitskräfte (<strong>Soldaten</strong>und Polizisten) ausgebildetsein. Ferner wird von der afghanischenRegierung ein glaubwürdigerEntwicklungsplan erwartet, der dieBereitschaft zu strukturellen Reformenfür eine gute Regierungsführungerkennen lässt. Dazu gehörenauch überprüfbare Maßnahmen zurKorruptionsbekämpfung.Die Bundesregierung unterstütztdas Ziel der afghanischen Regierung,bis 2014 die Verantwortungfür die Sicherheit in Afghanistan zuübernehmen. Ein endgültiges, definitivesAbzugsdatum der deutschenTruppen nannte die Kanzlerin nicht.Die Zeit für einen Abzug sei erst gekommen,wenn alle Ziele erreichtseien und es Stabilität in Afghanistangebe. „Ein Abzug wäre keineÜbergabe in Verantwortung, sonderneine Aufgabe in Verantwortungslosigkeit“,führte Merkel aus. Sie hältsich an den Grundsatz: Vorausplanenheißt nicht vorausdisponieren.Abschließender Kommentar1. zielführende SicherheitsundFriedenspolitikMit der massiven Aufstockungder deutschen Entwicklungszusammenarbeitauf nahezu jährlich einehalbe Milliarde Euro (sechsmal mehrals bei Rot-Grün) und der geplantenVerdoppelung der deutschen Polizeiausbilderin Afghanistan hatdie christlich-liberale Bundesregierungeine entscheidende Wende inRichtung zielführender SicherheitsundFriedenspolitik eingeleitet. Mitdem neuen ganzheitlichen Konzeptder Bundesregierung wird erstmalsin Afghanistan der Forderung der„Agenda for Peace“ der VereintenNationen voll entsprochen.2. Vergeudete Zeit durchHalbherzigkeitIn den letzten neun Jahren desdeutschen Afghanistan-Einsatzeswurde durch Halbherzigkeit auf zivilemGebiet (Polizei- und ziviler Wiederaufbau)viel Zeit verloren. Diedeutschen <strong>Soldaten</strong> wurden überwiegendals Lückenbüßer für mangelndesziviles Engagement benutzt. Obwohldie rot-grüne Bundesregierung einenehrgeizigen Aktionsplan „Zivile Krisenprävention,Konfliktlösung undFriedenskonsolidierung“ verabschiedeteund der Zivilen Konfliktbearbeitungverbal Vorrang einräumte, bliebdas Verhältnis von zivilen zu militärischenMitteln beim deutschen Afghanistaneinsatzvier zu eins und damitnicht zielführend für einen Friedensprozess.Anspruch und Wirklichkeitklafften bei Rot-Grün weit auseinander.Das konnte auch der allgemeinanerkannte Sicherheitsexperte derGrünen, Winfried Nachtwei, nichtverhindern. Es ist eine Ironie der Politik,dass ausgerechnet mit dem Eintrittder FDP, der angeblichen „Parteider sozialen Kälte“, in die Bundesregierung,sich das Schicksal der geschundenenafghanischen Bevölkerungin der Nordregion zum Besserenwandeln wird.3. Gemeinsame militärischeOperationen erhöhen dieGlaubwürdigkeitGemeinsame militärische Operationenmit den afghanischen Kameraden– wie sie bereits in Afghanistanpraktiziert werden - erhöhen dieGlaubwürdigkeit des deutschen militärischenEinsatzes. Jeder Soldat, derzum Unteroffizier ausgebildet wird,lernt schon in der „Inneren Führung“,dass Führen ohne Vorbild auf Dauervöllig wirkungslos ist. Wie viel mehrgilt das für Offiziere. In Afghanistantrennt sich die Spreu vom Weizen. DerBeruf des <strong>Soldaten</strong> ist eben kein Berufwie jeder andere4. Londoner Afghanistan-Konferenz bestätigt das neuedeutsche Afghanistan-KonzeptDas neue deutsche Konzept zueiner erfolgreichen Friedenskonsolidierungin Afghanistan bliebe bruchstückhaft,wenn die in Afghanistanbeteiligte internationale Gemein-27


GESELLSCHAFT NAH UND FERNschaft, vor allem die großen NATO-Staaten, nicht auf die gleichen Zielehinarbeiten würden. Die Afghanistan-Konferenzvom 28. Januar inLondon hat mit der Beteiligung vonrund 70 Ländern eine „neue Phaseauf dem Weg zu völliger afghanischerEigenverantwortung“ eingeleitet undden Afghanistan-Kurs der Bundesregierungbestätigt. Das „Zehn-Seiten-Schlussdokument“der LondonerKonferenz enthielt folgende wesentlichenErgebnisse:– Aufstockung der afghanischen Sicherheitskräftebis Oktober 2011auf insgesamt 300.000 Personen(171.000 <strong>Soldaten</strong> und 134.000Polizisten),– Die afghanische Regierung (HamidKarsai) beabsichtigt bis Ende2014 die Verantwortung für dieSicherheit im ganzen Lande zuübernehmen.– Die internationale <strong>Gemeinschaft</strong>unterstützt finanziell einen substantiellenIntegrationsfonds derafghanischen Regierung für aussteigewilligeTalibananhänger,– Alle Provinzen Afghanistans sollenbis Ende 2012 unter die Leitungder Nationalen AfghanischenSicherheitskräfte gestelltwerden.– Die Korruption und der Drogenhandelsollen in einem nachvollziehbarenNationalplan nachhaltigmit internationaler Unterstützungbekämpft werden,– Ca. 12.000 Verwaltungsbeamtesollen für die Provinzebene mitinternationaler Hilfe ausgebildetwerden.– Der afghanische Wiederaufbaufondsund das afghanische Programmfür die Justizverwaltungsoll in den nächsten zwei Jahrenfinanziell verdoppelt werden.– Bis Mitte April soll in Kabul eineFolgekonferenz stattfinden, aufder konkrete Ziele und Zwischenschritte(benchmarks) zusammenmit der afghanischen Regierungund den internationalen Gebernvereinbart werden.5. Überwachen durch ein konsequentesMonitoringDie Absicht der Bundesregierungzusammen mit den internationalenPartnern eine verlässliche Übergangsstrategiefür die Verantwort in Afghanistanzu entwickeln ist richtig,zielführend und wahrscheinlich dereinzige Weg aus der Sackgasse in Afghanistan.Es wäre aber sicher blauäugig,eine politische Absichtserklärungbereits für die Durchführungzu halten. Daher wird es notwendigund angeraten sein, dass der DeutscheBundestag als <strong>Auftrag</strong>geber inden nächsten fünf Jahren den angestrebtenund oben beschriebenenFriedensprozess in Afghanistan miteinem konsequenten Monitoring begleitetund dokumentiert. ❏Nikoseli Afrika!Südafrika vor der FußballweltmeisterschaftVON ANDREAS M. RAUCH 1Nach dem friedvollen Wechsel von einer Politik der Apartheid zu einer rechtsstaatlichen, pluralistischen Demokratiefür alle Südafrikaner 1994 gilt Südafrika unangefochten als Hoffungsträger Afrikas. Keine Person verkörpertdiese politische Hoffnung für ganz Afrika mehr wie der Friedensnobelpreisträger und Alt-StaatspräsidentSüdafrikas Nelson Mandela. Bis heute kommt ihm in Südafrika und weltweit hohe Anerkennung zu. Das verdeutlichten2008 die Feierlichkeiten zu seinem 90. Geburtstag. Davon losgelöst ist die deutsche Wahrnehmung vonSüdafrika selektiv. Vielen Deutschen blieben die ersten freien Wahlen in Südafrika 1994, die weltweit große Resonanzfanden, als politischer Markstein im Gedächtnis. An der Weltwirtschaft Interessierte nahmen positiv wahr, dassMandelas Nachfolger Thabo Mbeki sich dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlt. Sicherlich spieltdabei die starke Präsenz von deutschen Firmen in Südafrika eine Rolle – vor allem in der Autostadt Port Elisabeth mitBMW und Mercedes. Die von vielen befürchtete Verstaatlichung von Schlüsselunternehmen in Südafrika nach derMachtübernahme der Regierung durch den ANC 1994 blieb aus. Viele deutsche und britische Unternehmen konntenweiter wirtschaften und gute Erträge einfahren. Diese positive Entwicklung ist bis Anfang 2008 im Grundsatz geblieben.Doch dann tauchten politische Probleme in Südafrika auf, die weltweit Negativ-Schlagzeilen machten. Zudemzeichnen sich 2010 auch in Südafrika Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab.Vom ‚Musterknaben‘ zum ‚Sorgenkind‘Angesichts der sich 2010 abzeichnendenpolitischen und wirt-1 Prof. Dr. Andreas M. Rauch war Forschungsstipendiatam Human SciencesResearch Council in Pretoria 1989/90und lehrte an der christlichen UniversitätPotchefstroom 1994-1999; heute istschaftlichen Problemlagen in Südafrikasollte nicht verdrängt werden, dasses seit vielen Jahren sechs Konfliktlagenin Südafrika gibt:er Lehrbeauftragter für InternationalePolitik an den Universitäten Duisburg/Essen und Nürnberg-Erlangen und istim Schuldienst tätig.– Korruption und Parteistreitigkeitendes ANC– Problem Wanderarbeiter– Kriminalität und Gewaltbereitschaft– Umweltzerstörung und Umweltverschmutzung28 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


GESELLSCHAFT NAH UND FERN– Fehlende Sinn- und Lebensorientierung:das Beispiel Abtreibung– Sicherheitsmängel.These dieses Beitrages ist, dassalle sechs Konfliktebenen schon inder Ära der Apartheid und auch unterPräsident Mandela latent vorhandenwaren. Aufgrund der politischenSpannungen um den neuen ANC-Führer und Präsidenten SüdafrikasZuma und aufgrund einer Verschärfungder internationalen Konfliktlagenund der Weltwirtschaft kommtSüdafrika unter politischen Druckund die sechs Konfliktebenen werdenwirkungsmächtiger.Hinzu kommt eine ausschnitthafte,deutsche Wahrnehmung vomsüdlichen Afrika. Die Medien berichtenüber Afrika nur bei dramatischenEreignissen, wie den politischenZuspitzungen in Zimbabweum Präsident Mugabe und der dortigenCholera-Epidemie. Viele Wahrnehmungenvon Deutschen reduzierensich auf zwei- oder dreiwöchigenReisen im südlichen Afrika, die oftnur in isoliert gelegenen Safari-Unterkünftenund bestens von der südafrikanischenAlltagswirklichkeit abgeschirmtenHotelghettos gesammeltwerden. Die Masse der Deutschenkennt weder den tagtäglichen Überlebenskampfder Menschen in Afrikanoch in Südafrika. Dies stellt sichetwa in Großbritannien anders dar:die Medienpräsenz und der persönlicheKontakt mit Afrikanern – nichtzuletzt durch die hohe Zahl von Gastarbeiternaus Commonwealth-Staaten– ist dort eine ganz andere.Korruption und Parteistreitigkeitendes ANCParteistreitigkeiten und Richtungskämpfeinnerhalb des ANC hat esimmer gegeben. Erinnert sei nur andie unglückliche Rolle von Mandelaseinstiger Ehefrau Winnie, der langjährigenFührerin der Frauen-Liga desANC. Winnie Mandela konnte nachgewiesenwerden, dass sie westlicheHilfsgelder für ihre Privathäuser inSoweto abgezweigt hatte.In so weit stellte es nichts Neuesdar, dass das ANC-Mitglied JacobZuma der Korruption beschuldigt wurde.Korruption stellt sich als Grundübelin nahezu allen afrikanischenStaaten dar, welches teilweise nochAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010aus der Kolonialzeit stammt. Heutewissen wir aus Veröffentlichungen desKapstädter Instituts für Sicherheitsstudien,dass das Apartheid-Regimein Südafrika ebenfalls korrupt war,jedoch in einem anderen Verständnisals jenes von der persönlichen Bereicherungdurch Einzelne. So sind inden vergangenen vier Jahren geheimeFonds der Apartheid-Regierung ineinem Umfang von 3,5 Mrd Franken(Wert 2005) bekannt und nachgewiesenworden. Aufgrund der weltweitenSanktionspolitik gegen das damaligeApartheid-Regime wurden Wegegesucht und gefunden, um auf demSchwarzmarkt Öl, Waffen und technischesGerät zu erwerben – auch zurnuklearen Rüstung.Im Falle Zumas ging es aber nuroberflächlich um den Vorwurf der Korruption,sondern um einen Richtungskampfzwischen Zuma und ThaboMbeki. Während Mbeki für ein Wirtschaftssystemim Sinne einer SozialerMarktwirtschaft à la Ludwig Erhardstand, welches sich zudem seit fastfünfzehn Jahren bewährte, verkörpertZuma den eher sozialistisch orientiertenZweig des ANC mit seinen Vorstellungeneiner Staats- und Planwirtschaft.Parteiintern kann sich Zumaim Dezember 2007 als Vorsitzenderdes ANC gegen Mbeki durchsetzen.Die Entscheidung der Staatsanwaltschaftvon Pietermaritzburg vom Dezember2007, Zuma strafrechtlich wegenKorruption, Geldwäsche, Betrugund Erpressung zu verfolgen, stelltsich politisch nur als eine Etappenentscheidungdar. Mbeki steht in Verdacht,hinter dem Korruptionsverfahrengegen Zuma zu stehen oder politischauf dieses Verfahren Einflussgenommen zu haben.Im September 2008 erklärte einGericht in Pietermaritzburg die Entscheidungvom Dezember 2007 wegenVerfahrensfehlern für „null undnichtig“. Auf politischer Ebene gerätSüdafrikas Wirtschaft immer mehr ineine Schieflage, da es als Lieferantvon Rohstoffen und Automobilzulieferervom US-Absatzmarkt abhängigist. Als diese im Zuge der weltweitenBanken- und Finanzkrise, die immerstärker zu einer Krise der Automobilwirtschaftaufwächst, zu massivenEinbrüchen in Südafrikas Wirtschaftführt, werden politische Rufe nacheiner staatlich gelenkten WirtschaftSüdafrikas lauter und Mbeki gerät inwachsendem Maße unter politischenDruck. Schließlich muss Mbeki, dessenMandat als Staatspräsident eigentlichnoch bis Mitte 2009 laufen sollte,zugunsten von Zuma im September2008 aufgeben. Insgesamt gesehenhaben sich seither planwirtschaftlicheEntscheidungen der südafrikanischenRegierung gehäuft, etwa beidem Ausbau des Wohnungsbaus unddes Gesundheitswesens.Problem WanderarbeiterWanderarbeiter haben im südlichenAfrika eine lange Traditionund ihr Einsatz in Südafrika warstets mit Problemen verknüpft. Schonum 1860 erachteten es die Behördender damaligen Vorgängerstaaten Südafrikasfür notwendig, den Zuflussschwarzer Wanderarbeiter gesetzlichzu regeln. Während die Wanderarbeitbei den Männern zu Beginn landwirtschaftlichenBeschäftigungen galtund deshalb saisonal blieb, gab es abca. 1890 eine vermehrte Nachfragenach körperlich starken und tüchtigenSchwarzen aus Südafrikas Industriefür einfache Arbeiten. Aus denGebieten des heutigen Namibia undSimbabwe sowie aus Botsuana, Lesothound Mozambik strömten schwarzeWanderarbeiter in Südafrikas Minenund Fabriken. Die Wanderarbeiternahmen vor allem Arbeiten wahr, diesüdafrikanische Schwarze nicht machenwollten – und dies blieb so bisetwa 1994. Seit Anfang der achtzigerJahre sank die Rentabilität der Grubendrastisch, vor allem der Goldminen.Unter der neuen ANC-geführtenRegierung Südafrikas bestand einePräferenz für einheimische Arbeitskräftein Südafrika, auch wenn diesenicht immer so leistungsstark wiedie Wanderarbeiter waren. Diese Entwicklungsei in Zahlen beispielhaft anLesotho verdeutlicht: 1976 hatte fastjeder männliche Bürger Lesothos inder Altersgruppe von 20-54 Jahreneine Anstellung in den Gruben Südafrikas,während es 1986 nur noch 38Prozent und im Jahr 2000 nur noch 15Prozent waren.Hinzu kommt, dass die Wanderarbeiteroftmals unter schlechterenArbeitsbedingungen wie ihre südafrikanischenKollegen arbeiten, was29


GESELLSCHAFT NAH UND FERNzu Erkrankungen der Atemorgane –etwa der Bildung von Staublungen-, zu Hörschäden und Verletzungenaller Art führt. Die von ihren Frauengetrennt lebenden Schwarzen führenoftmals homosexuelle Beziehungenunter Bergarbeitern, was inzwischenwissenschaftlich gut dokumentiert ist.Da die Löhne der schwarzen Wanderarbeiterkaum finanzielle Spielräumezulassen, werden von den Wanderarbeiternin Südafrika kaum heterosexuelleBeziehungen gepflegt oder garneue Familien gegründet. Aus der medizinischenAIDS-Forschung wissenwir heute, dass schwarze Wanderarbeiterin ganz Afrika eine der Hauptursachenfür die rasche und breitflächigeVerbreitung des HIV-Virusin Afrika darstellen und zahlreicheErkrankungen wie Tuberkulose undMeningitis auf eine HIV-Infektionzurück zuführen sind.Unter Südafrikas schwarzer Bevölkerunggibt es nach wie vor einenhohen Prozentsatz von Menschen, diearbeitslos sind oder nur gelegentlicheine Beschäftigung finden. Dieserschwarze Bevölkerungsteil wird alshochgradig frustriert eingestuft undgilt als ursächlich für den Hass, denviele schwarze Südafrikaner auf dieWanderarbeiter in Südafrika entwickeln.Es kommt vielfach zu Streitereienund Schlägereien, mitunter zuregelrechten Hetzjagden gegen Wanderarbeiter,zu (Raub-) Überfällenund Morden, da in den Augen vielerSchwarzer Südafrikas die Wanderarbeiterden Südafrikanern die Arbeitwegnehmen. Gerade im Jahr 2008ließ sich eine Welle der Gewalt gegenWanderarbeiter in Südafrika beobachten.Kriminalität undGewaltbereitschaftGewalt und Kriminalität stellenin Südafrika ein großes gesellschaftspolitischesProblem dar. Angesichtsder Fußball-Weltmeisterschaft2010 in Südafrika scheint diese Problemlageseinen Ruf weltweit zu ruinieren.Der halbstaatliche SozialwissenschaftlicheForschungsrat (HSRC)in Pretoria belegt aufgrund dieser Situationeine allgemein negative Stimmungim Land. Tatsächlich führt Südafrikadie Liste jener Länder, in denenKriminalitätsstatistiken geführtwerden, seit Jahren an. 2008 wurdenin Südafrika durchschnittlich fünfzigMenschen am Tag ermordet. Und dassind nur die Fälle, die polizeilich angezeigtwerden. Die Dunkelziffer, besondersin schwarzen Townships, indenen Menschen ohne Meldung beieiner Behörde völlig illegal leben,dürfte tatsächlich um ein vielfacheshöher sein.Die Dramatik der südafrikanischenKriminalitätsstatistik liegt auchdarin begründet, dass die Südafrikanerauf sämtlichen Verbrechensgebieten,die mit Gewalt zu tun haben,weltweit führend sind: Mord,versuchter Mord, Totschlag, schwereKörperverletzung, versuchte schwereKörperverletzung, Raubüberfälle undVergewaltigung. Besonders hinsichtlichVergewaltigungen wird eine hoheDunkelziffer angenommen, wobei diegemeldeten Fälle sich vor allem aufdie schwarze Bevölkerung Südafrikasbeziehen. Von vielen schwarzenFrauen gibt es Berichte, dass Vergewaltigungenmit Schlägen einher gehen,die oft zu Körperverletzungenführen, vollzogen von ihren an- oderbetrunkenen Ehemännern. Hinzu tretenMeldungen über Folterungen undden Einsatz tödlicher Gewalt durchPolizeibeamte, wie Amnesty internationalbeispielsweise für die Jahre2007 und 2008 berichtet. Folterund Gewalt durch Polizisten reichtdabei auf eine seit langem bestehendePraxis aus den Tagen der Apartheidzurück.Dabei haben sich die absolutenZahlen der KriminalitätsstatistikSüdafrikas insgesamt verbessert. Sofiel 2007 die Mordrate um 2 Prozentund versuchter Mord um 18 Prozent,schwere Körperverletzung um 15 Prozentund versuchte Körperverletzungum 10 Prozent. Als ursachlich hierfürgilt das Zero-Toleranz-Konzeptder New Yorker Polizei, welches inSüdafrika seit einigen Jahren Anwendungfindet, also kleine Straftatenmit hohen Strafmaßnahmen zuahnden. Kapstadt und Johannesburgsind nachwievor Brennpunkte desVerbrechens, doch hat sich gerade inJohannesburg die Lage entspannt: inzwischenkönnen auch Weiße wiederweitgehend gefahrenlos in die Innenstadtvon Johannesburg fahren, wenngleichStadtteile wie Hillbrow leidernoch immer aufgrund des Drogenhandelsmitunter lebensgefährlich sind.Umweltzerstörung undUmweltverschmutzungSüdafrikas Umweltbilanz stellt sichals katastrophal dar. Seit dem Beginneines strukturierten Bergbaueszur Förderung von Edelmetallen,Kohle und Eisen zu Ende des 19.Jahrhunderts und einer zunehmendenAnsiedelung von Industrien in Südafrikawurde auf die Umwelt keineRücksicht genommen. Die ausgestoßenenSchadstoffe und der Raubbauan der Natur erschienen den weißenBewohnern Südafrikas angesichts derGröße und Weite des Landes zu gering.Außerdem war der Wille übermächtig,möglichst rasch an die Lebensverhältnissein den USA undWesteuropa aufzuschließen. Schließlichist zu berücksichtigen, dass auchin der westlichen Welt erst seit denachtziger Jahren – etwa durch „Global2000“, einen Bericht an den damaligenUS-Präsidenten Jimmy Carter– eine Sensibilität für Umweltfragenentstand.Und als es eigentlich Zeit war,konkrete Strategien in der Umweltpolitikfür Südafrika umzusetzen, hattedas Land mit den großen gesellschaftspolitischenHerausforderungeneines Wechsels von der Apartheidzur Demokratie zu kämpfen. Unglücklicherweiseließ sich in den vergangenendreißig Jahren in Südafrika einrasantes Wachstum der schwarzenBevölkerung vor allem in städtischenSlums beobachten, in denen es wedereine funktionierende Wasser- undEnergieversorgung noch eine organisierteAbfallwirtschaft gibt. Selbstin städtischen Quartieren, wo Wellblechhüttendurch Steinhäuser ersetztwurden, trat in den drei letztgenannten Punkten keine wirklicheVerbesserung ein. Nur die urbaneStromversorgung scheint in Südafrikairgendwie zu funktionieren, seisie nun legal erworben oder illegalabgezapft. Leider häufen sich in Städtenwie Pretoria und Johannesburgnunmehr auch der umherliegendeMüll in öffentlichen Anlagen wie etwaParks und Sportstadien, was auch mitder mangelnden Sensibilisierung derschwarzen Bevölkerung für eine geordneteAbfallbeseitigung zu tun hat.30 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


GESELLSCHAFT NAH UND FERNHinzu kommen Fehler in SüdafrikasLandwirtschaft, die zu 85 %der Viehwirtschaft dient. Durch eineneinseitigen Anbau – etwa von Zitrusfrüchten-,durch den Entzug von Wasserund die starke Nutzung von Weideflächenfür Viehhaltung wird einenachhaltige Landwirtschaft erschwertund Gottes Schöpfung nicht nachhaltiggenug bewahrt. Dabei macht derAgrarbereich nur noch 2,7 % der südafrikanischenWirtschaft aus; 30,9 %werden durch die Industrie und 66,4% durch den Dienstleistungssektorbestritten (Stat. Jahrbuch 2006).AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Fehlende Sinn- und Lebensorientierung:das Beispiel AbtreibungDer Standpunkt der katholischenKirche in Fragen der Abtreibungwurde auch bei der Afrika-Reise vonPapst Benedikt XVI. im Frühjahr2009 wiederholt thematisiert: Sexualitätgehört ausschließlich in einemonogam geführte Ehe, ansonsten istden Menschen Enthaltsamkeit auferlegt.Doch viele afrikanische Ärzte sehensich mit einem Alltag ganz andererArt konfrontiert: Frauen kommenmit schweren Blutungen, Infektionenund Verletzungen innerer Organeins Krankenhaus. Sie behaupten,gestürzt zu sein oder einen Unfall zuhaben. Doch für die Mediziner istdie Ursache meist klar: Die Frauenhaben versucht, illegal abzutreiben.Sogenannte Hinterhof-Abtreibungensind ein weit verbreitetes Phänomenin Afrika, vor allem in südafrikanischenTownships, in der Mangel anmedizinischer Versorgung herrscht.Schlecht oder gar nicht ausgebildeteLaien-Mediziner nehmen gegenGeld Schwangerschaftsabbrüche vor.Unter miserablen hygienischen Bedingungenund mit haarsträubendenHilfsmitteln wie etwa Schießpulver,Bleichmittel, Stricknadeln oder Kleiderbügeln.„Wir waren bei einer Patientin,die bei jemanden abgetriebenhat, der überhaupt nicht qualifiziertist“, erzählt ein Klinikarzt, der wegender Brisanz des Themas anonymbleiben möchte. „Die Gebärmutterwar durchlöchert – die Verletzungengingen bis in den Darm. Wir mussteneine umfassende Operation einleiten.Das ist eine übliche Komplikation.Blutungen sind am häufigsten. ManchePatientinnen bluten so stark, dasssie sterben.“Abtreibungen sind in (Süd-) Afrikaeines der Haupttodesursachen vonFrauen – und das Thema AIDS undAbtreibung sind insgesamt ein gesellschaftlichesTabu. Etwa 100 Afrikanerinnensterben täglich an denFolgen der nicht fachgerecht durchgeführtenSchwangerschaftsabbrüche.Im südostafrikanischen Malawi gehenlaut offiziellen Angaben über 30Prozent aller Fälle von Müttersterblichkeitauf solch illegale Abtreibungenzurück. Für Seodi White von derFrauenorganisation „Women in Law inSouthern Africa“ ließen sich die vielenTodesfälle von Frauen vermeiden:„Wenn man Abtreibungen legalisiert,treibt man die Frauen doch in denUntergrund. Man treibt sie dazu, unsichereund gesundheitsschädigendeAbtreibungen vorzunehmen.“ Dochdie katholische Kirche kann diesePosition nicht unterstützen, da jederMensch Gottes Ebenbild und daher imbesonderem Maße schützenswert ist.Das zentrale Problem des ThemasAbtreibung in Afrika ist, dass vieleFrauen nicht wissen, wie sie verhütenkönnen. Und afrikanische Frauenlassen sich oft schon in jungen Jahrenauf Sexualität ein, weil der kirchlicheEinfluss oft zu schwach ist. Oft sindes Frauen aus armen Verhältnissen,die sich zu einer illegalen Abtreibungentschließen. Sie sind häufignur schlecht darüber informiert, wiesie eine Schwangerschaft verhindernkönnen. Hinzu kommt, dass wirksameVerhütungsmittel nicht ausreichendverfügbar oder zu teuer sind.„Werden die Frauen dann schwanger,wissen sie nicht, wie sie ein weiteresFamilienmitglied ernähren sollen. Beijungen Frauen kommt hinzu, dassSchwangerschaften kulturell und sozialnicht akzeptiert sind in unseremLand, wenn die Frauen nicht verheiratetsind.“ In Südafrika gibt es bereitserste Schritte hin zu einer Liberalisierung.Südafrika hat vor zehn Jahrensein Abtreibungsrecht liberalisiert.Hier können Frauen bis zur zwanzigstenSchwangerschaftswoche legalabtreiben, wenn sie erklären, dass siekörperlich, wirtschaftlich oder sozialnicht in der Lage sind, ein Kind zubekommen. Zwar ist seither die Zahlder Abtreibungen nicht gesunken.Die Todesfälle infolge von Schwangerschaftsabbrüchengingen aber um90 Prozent zurück.Bestehen bleiben auch in (Süd-) Afrika die aus Europa bekanntenProbleme der Säkularisierung unddes Wertewandels. Der Einfluss derKirchen geht vor allem in den südafrikanischenStädten dramatisch zurück;viele Frauen sind gar nicht mehrchristlich sozialisiert, christliche Werteverlieren für viele Afrikaner an Bedeutungs-und Gestaltungskraft undder Ruf der Kirche erreicht viele Afrikanernicht mehr. Kirchenräumewerden oftmals nur noch zu denkmalgeschütztenMuseumsräumen aus der„Apartheid-Ära“ – so etwa in Pretoria,Johannesburg und Bloemfontein.Stattdessen nehmen Glücksspiel undProstitution in beängstigenden Umfangin den Städten zu.SicherheitsmängelSüdafrika gehörte in den achtzigerJahren zu den Staaten in der Welt,in der moderne Informationstechnologieeinen raschen Einzug gehaltenhatte: der Einsatz von Computern inStaat und Wirtschaft in Südafrika warfrüh zur Norm geworden – weitausfrüher als in Westeuropa. Und auchnoch im Jahr 2010 sind sämtlicheNeuerungen der IT-Branche in Südafrikaerhältlich. Aber auch der weitverbreitete Ausfall von Computern,Schwierigkeiten beim beschaffen vonErsatzteilen und das Verschwindenvon Emails sowie das Reparieren vonComputern bereiten wachsende Probleme.Im Zweifelsfall ist immer miteinem Ausfall der IT-Technologie inSüdafrika zur rechnen – mit allenSchwierigkeiten, die dieser für eineFußballweltmeisterschaft mit sichbringen kann.Hinzu kommt ein allgemeinerTrend zur Privatisierung von Sicherheit.Wer sich hervorragende IT-Technikermit westlichen Kontakten leistenkann, der hat eher Zugang zum„world wide web“. Und wer hervorragendausgebildete Sicherheitskräfte,am besten mit Kampfsporterfahrungoder militärischer Ausbildung, zu beschäftigenvermag, dessen Überlebenschancensind im „New SouthAfrica“ weitaus besser gesichert alsjenes seiner Mitmenschen. Das hängtzum einen damit zusammen, dass31


GESELLSCHAFT NAH UND FERNviele qualifizierte, meist hellhäutigePolizisten aus dem Polizeidienstgedrängt, oftmals gemobbt, werden,weshalb vielfach die „Expertise“ wiein früheren Zeiten nicht mehr vorhandenist. Meist sind es junge, bestensausgebildete, hellhäutige Kräfte,die Südafrika dringend bräuchte, dieaber aufgrund der Bevorzugung derdunkelhäutigen Bevölkerung keineChance gegeben wird: südafrikanischeFirmen müssen in der Verwaltung60 Prozent dunkelhäutige Menschenbeschäftigen.Hinzu treten wirtschaftlicheProbleme allgemeiner Art. Wie diedeutsche Wirtschaft auch stellt sichSüdafrikas Wirtschaft exportorientiertdar. Doch dieser Export ist aufgrundder weltweiten Finanz- undWirtschaftskrise stark eingebrochen;auch Deutschland hat seinen bislangersten Platz an China abgegeben. Einzigder nahezu verdoppelte Goldpreissorgt für sprudelnde Einnahmen, diejedoch bei der Masse der knapp 50Millionen Südafrikaner - davon rund6 Millionen Hellhäutigen und 46Millionen Dunkelhäutigen Südafrikanern- und der geschätzten rundfünf dunkelhäutigen illegalen, nichtregistrierten Millionen Zuwanderern- etwa aus Botswana und Mozambique- versickern, ohne Breitenwirkung zuerzielen. Das macht sich am Kurs desRand deutlich, dessen Wert gegenüberder DM/Euro auf 20 Prozent von demim Jahr 1994 sank.Südafrika vor derFußballweltmeisterschafty suitcase is lost“ – das ist„Meine der ersten Erfahrungen,die Besucher in Südafrika heutemachen. Doch der verlorene undmeist später wiedergefundene Kofferist mehr als nur eine persönlicheNegativerfahrung: es steht fürein permanentes Missmanagementder ANC-Regierung, mangelndem Organisationstalentund einer unzureichendenVorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaft.Andererseitssind die Sportstadien, etwa das vonSoweto, frisch saniert und in einemmehr als vorzeigbaren Zustand. Nichtdie Sportstätten sind das Problem inSüdafrika, sondern das gesellschaftlicheund soziale Umfeld drum herum,wenngleich sich hier Verbesserungenergeben haben. Etwa durch regelmäßigeund strenge Geschwindigkeitskontrollenwerden nicht nur Unfällevermieden, sondern auch das Rechtsbewusstseinin der südafrikanischenBevölkerung verschärft.Diese Gesamtmisere lässt sichdurch zahlreiche Beispiele des Alltagesuntermauern. Was den Straßenbauangeht, so lebt Südafrika vielfach vonder Substanz. Gerade an den oft nurnotdürftig reparierten Schlaglöchernund zahlreichen, abgesperrten Straßenabschnittenauf den Autobahnenum Johannesburg, Sandton und Pretoriawird Südafrikas Mangelwirtschaftdeutlich. In kleinen und mittelgroßenStädten wie Potchefstroom, Klerksdorp,Bloemfontein oder Kimberlyfunktionieren regelmäßig ein Teil derStraßenlaternen nicht.Aber auch dunkelhäutigen Südafrikanernaus Westeuropa und denCommonwealth-Staaten, die nachJahren der Immigration wieder nachSüdafrika zurückkehren, fallen dieUnterschiede zum „reichen“ Südafrikaihrer Erinnerung und SüdafrikasWirklichkeit auf. So sind nichtisolierendeEinglasfenster nach wievor Standard, während in Westeuropaumweltfreundliche Doppelglas-Vakuumfenster die Regel sind undAußenmauern in der Regel ganz oderteilweise isoliert werden. Der HausundSanitätsbau, vor allem hinsichtlicheiner umfassenden Wärmeisolation,kommt nur unzureichend daher:viele in den letzten fünfzehn Jahrenerbaute Häuser sehen nach wenigenJahren aus, als hätten sie ein vielfachesExistenzalter hinter sich.SNikoseli Afrika – Gott schütze Afrikaüdafrika stellt sich heute insgesamtgesehen als ein Schwellenlanddar, in dem Strukturen und Problemeeines Industrie- wie eines Entwicklungslandesenthalten sind. Ineinem größeren Maßstab hat dieseMerkmale Südafrika mit China gemeinsam.So sind die Regionen Durban,Pietermaritzburg, Johannesburgund Pretoria, Kapstadt und Port Elisabethausgestaltet wie in einem westlichenIndustrieland. Große Teile derKapprovinz, der Provinz Nord-Westund der Provinz Natal bewegen sichjedoch auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.Wer die Jahresberichte der StiftungEntwicklung und Frieden dervergangenen fünf Jahre durcharbeitet,erkennt rasch, dass Südafrika unabhängigvon den erwähnten Konfliktenvon weiteren Problemebenen betroffenist. Südafrikas Demokratie stelltsich angesichts der Übermacht desANC und fehlender parteilicher Konkurrentenals wenig gefestigt dar. ImMenschenrechtsbereich und der InnerenSicherheit gibt es offenkundigeMängel. Die Bildungs- und Wohnungsbaupolitikzeitigt bis heute nichtjene Erfolge, die Mandela und Mbekieinst als Ziele verkündeten. Andererseitsführt der Machtwechsel 1994in allen Politik- und Gesellschaftsbereichenzu einer Normalisierungder Lage: viele, durch die Politik derApartheid hervorgerufene Spannungenlösten sich auf und Alltag kehrtein Südafrika ein. Die vom Erzbischofvon Kapstadt, Desmond Tutu geführteWahrheits- und Versöhnungskommissionhalf, Wunden zu schließen.Vom ehemaligen US-PräsidentenRonald Reagan ist die launige Bemerkungüberliefert: „Wenn morgenAfrika im Meer versinkt, würde dieskeinem auffallen.“ Der afrikanischeKontinent insgesamt erwirtschaftet bisheute nur rund zwei Prozent des Weltbruttosozialproduktes,wovon Südafrikarund die Hälfte beiträgt. Aberinternationale Politik bemisst sicheben nicht an volkswirtschaftlichenParametern allein, sondern auch anden Grundsätzen der Charta der VereintenNationen.Zu den Grundsätzen der Chartader Vereinten gehört auch die Wahrungdes anthropologischen und kulturellenErbes der Menschheit, und indiesem Zusammenhang spielt Afrikaeine besondere Rolle: vom afrikanischenKontinent aus fand die Besiedelungder Erde statt. In Ost- und Südafrikawurden die ältesten menschlichenFossilien in archäologischenAusgrabungen aufgespürt, etwa ineiner Höhle nahe Sterkfontein in Südafrika,die auf etwa 4 Millionen Jahregeschätzt werden. Das Transvaal Museumin Pretoria und das Nationalmuseumin Bloemfontein geben über dieEntwicklung des Menschen in AfrikaAuskunft. Aber auch andere wichtigeMuseen haben sich in das „NewSouth Africa“ gerettet, so etwa der32 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


GESELLSCHAFT NAH UND FERNbewährte Typ des Hausmuseums wiez.B. „Melrose House“ oder das „PaulKruger House“ in Pretoria. Das teilweiseaus der Kolonialzeit stammende,mit seinen Vogelkäfigen und exotischenVögeln einmalige Schwimmbadam „Caledonian Sports Ground“in Pretoria hat es leider nicht in dieneue Zeit geschafft: Vögel, Vogelkästenund das Schwimmbad aus denfünfziger Jahren mussten einem volumenösenNeubau weichen und nurder denkmalgeschützte Kiosk durftestehen bleiben. Und auch einige besondersschöne Kirchen und Kapellenwie die „St. Andrews Church“ in Pretoriabestehen weiterhin, auch wennsie meistens geschlossen sind.Auch die WissenschaftslandschaftSüdafrika durchlief einenTransformationsprozess. Universitätenwie die von Potchefstroom und Bophutatswanawurden zur Nord-West-Universität fusioniert. Viele Studiengänge,etwa „Deutsch als Fremdsprache“oder „Afrikaanse Literatur“entfielen, weil es zu wenig Studentengab. Andere Einrichtungen wie dasHuman Sciences Research Council,also die nationale Forschungsstättefür Sozialwissenschaften in Pretoria,wurden eher noch gestärkt. Ein ProblemSüdafrikas ist aber, dass vieleHochschulabsolventen nicht in Südafrikableiben, sondern in andere Staatendes Commonwealth auswandern.Anfang Februar 2008 bereisteBundespräsident Horst Köhler dasöstliche und südliche Afrika, welchesaufgrund einer bis heute andauerndenchristlichen Mission vonvielen Katholiken und Protestantenbewohnt wird. Religion ist in Afrikaganz im Unterschied zu Europa keinThema, da es dort Entwicklungen vonSäkularisierung, Wertewandel undKonfessionalisierung wie in Europanicht gibt: die Menschen wissen umdie Existenz Gottes und versuchenmit ihrem irdischen Leben Gott gerechtzu werden. Auch Südafrika wirdgeprägt von christlichen Religionsgemeinschaftenund Kirchen wie kaumsonst wo auf der Welt.Bundespräsident Horst Köhler,langjähriger Direktor der Weltbankund mit entwicklungspolitischen sowieweltwirtschaftlichen Fragestellungenbestens betraut, wies bei seinemBesuch in Afrika auf die Enzyklika„Progressio Populorum“ von PapstPaul VI. hin, in dem Entwicklung alsneuer Name für Frieden bezeichnetwird. Köhler betonte, dass im Sinnedes Friedensverständnisses von PaulVI. noch viel in Afrika zu tun sei unddas Bewusstsein hierfür unter denDeutschen sensibilisiert und wachgehalten werden sollte. Köhler hobdie religiösen Wurzeln Afrikas hervorund erwähnte die Buren in Südafrika,die in Transvaal und im Oranje-Free-State die Bevölkerung missioniertenund in Potchefstroom die Bibel in Afrikaansübersetzten. BundespräsidentKöhler rief zur Hilfe für Afrika auf,verstanden als Hilfe von Christen fürChristen, und ganz im Sinne der Ermutigungund Hoffnung vermittelndenNationalhymne von Südafrika: „NikoseliAfrika – Gott schütze Afrika!“. ❏<strong>Gemeinschaft</strong> Sant’Egidio – ein Vorbild?VON KLAUS LIEBETANZAls Prof. Andrea Riccardi, dem Gründungsmitglied von Sant’Egidio am 21. Mai 2009 der internationaleKarlspreis in Aachen verliehen wurde, stellte sich für viele Katholiken in Deutschland die Frage: „Wasist das überhaupt für eine christliche <strong>Gemeinschaft</strong>, Sant’Egidio in Rom? Insider der internationalen <strong>Gemeinschaft</strong>wussten allerdings schon lange, dass Sant’Egidio die erfolgreichste Nichtregierungsorganisation inSachen Frieden ist. Der Historiker und Schriftsteller Golo Mann hat Sant’Egidio die „kleine UNO von Trastevere“genannt. Im Folgenden wird die Entwicklung und das Handeln von Sant’Egidio beschrieben und die Fragegestellt, ob diese <strong>Gemeinschaft</strong> ein Vorbild sein kann (Für weiterführende Informationen über die <strong>Gemeinschaft</strong>Sant‘Egidio siehe auch www.santegidio.de)AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Die Entwicklung der <strong>Gemeinschaft</strong> Sant’Egidiobildete sich im römischenVirgilio-Gymna-1968sium eine Gruppe von ca. zwanzigSchülern, die mit dem traditionellenChristentum nicht zufrieden waren,sondern einen anderen Weg zur gesellschaftlichenVeränderung suchten,als die linksgerichteten Studentender 68er Jahre. Hauptinitiator warder spätere Kirchenhistoriker AndreaRiccardi, der gerade 18 Jahre altwar. Die Schüler setzten sich mit demEvangelium auseinander und beschäftigtensich mit den Leben des Hl. Benediktund des Hl. Franz von Assisi.Sie entschlossen sich für die Betreuungvon verwahrlosten Kindern inden Barackenstädten am römischenStadtrand (zumeist Roma) und organisiertenspäter auch ärztliche Hilfe.1970 dehnte sich die <strong>Gemeinschaft</strong>auf römische Universitäten aus.Auf der Suche nach einem Zentrumfand man im alten Stadtteil Trastevere(ca. 5 km ostwärts vom Vatikan) einen„stadteigenen“ leeren ehemaligenKarmelitinnenkonvent mit der kleinenKirche Sant’Egidio, den man der <strong>Gemeinschaft</strong>zur Verfügung stellte. Dortfanden dann die täglichen Abendandachtender Mitglieder mit einer starkbyzantinischen Prägung (meditativerGesang) und einer Laienpredigt statt.Seit 1980 bildeten sichSant’Egidio-<strong>Gemeinschaft</strong>en in ElSalvator, Guatemala, Mexico, Bolivien,Kuba, Argentinien und in denUSA. Diese Ausbreitung geschah imWesentlichen durch ehemalige Studentenvon römischen Universitäten,die Sant’Egidio kennengelernt hatten.33


GESELLSCHAFT NAH UND FERNSpäter kamen <strong>Gemeinschaft</strong>en in derElfenbeinküste, Mosambik, Russlandund der Ukraine dazu.Ab 1987 wurden die alljährlicheninterreligiösen Nachfolgetreffenvon Assisi (von Johannes PaulII initiiert) durch die <strong>Gemeinschaft</strong>Sant’Egidio organisiert und durchgeführt.Es folgten Treffen in Bari,Mailand, Florenz, Venedig, Brüssel,Warschau und Malta. Vom 6. bis 8.September 2009 fand das Treffen derReligionen und Kulturen im Geistevon Assisi in Krakau statt, siebzigJahre nach dem Ausbruch des zweitenWeltkriegs. Dem Friedensgebetgeht jeweils ein Kongress voraus, indem über konkrete Möglichkeiten fürden Frieden beraten wird. Die Treffenwurden zum wichtigen Knotenpunktfür das inzwischen weltweiteNetzwerk von Beziehungen, vor allemzu den verschieden Kirchen, zur islamischenWelt und zum Judentum.Im Mittelpunkt dieser interreligiösenTreffen mit Christen verschiedenerKonfession, mit Moslems, JudenBuddhisten, Taoisten, Hindus, Konfuzianerund verschiedne anderenReligionen und Kulturen steht immerdie gemeinsame Aussage: Religionkann niemals der Grund füreinen Krieg sein!1992 wurde in Rom nach Vermittlungdurch die <strong>Gemeinschaft</strong>Sant’Egidio der Friedensvertragzwischen den seit fünfzehn Jahrenverfeindeten BürgerkriegsparteienMosambiks unterzeichnet. Ende derNeunziger Jahre wurde Friede zwischenden Bürgerkriegsparteien inGuatemala durch eine weitere Vermittlungvon Sant’Egidio geschlossen,der heute immer noch anhält.Heute hat die <strong>Gemeinschaft</strong> inRom 20.000 aktive Mitglieder undunterhält dort ca. 400 Suppenküchenfür Arme und Bedürftige, darunterauch viele Asylsuchende. Darüberhinaus werden auch kostenlosMedikamente unter ärztlicher Beratungausgegeben und sozialrechtlicheBeratung durchgeführt. Weltweitwerden derzeit 60.000 Mitgliedergezählt. Die größten Zuwachsratengibt es in Afrika. Sant’Egidio führtdort das erfolgreiche AntidrogenundAidsprojekt DREAM (Drug ResourceEnhancement against AIDSand Malnutrition) durch. Das besonderean diesem Programm ist, dassneben der Ausgabe von antiretroviralenMedikamenten auch ein persönlichkeitsaufbauendesProgrammsteht, in der die heilende WirkungJesu Christi eine tiefe Wirkung hat.Personen, die ganz am Boden waren,erfahren eine totale Veränderung undschöpfen neuen Lebensmut. DieseFrauen und Männer sind anschließenddie erfolgreichsten Vermittlerdes DREAM-Projekt.Das Geheimnis von Sant’EgidioLiebe und Freundschaftfür die ArmenDie <strong>Gemeinschaft</strong> Sant’Egidiozeichnete sich von Anfang an durcheine „zuvorkommende Liebe zu denArmen und Bedürftigen aus, gemäßden Worten Jesu „Was ihr für einenmeiner geringsten Brüder getan habt,das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)„In ihrer Begegnung mit den Armenfindet sich keinerlei Bevormundungoder Herablassung, sondern Achtung,Aufmerksamkeit und Offenheit für einenstets einmaligen Austausch füreine geschwisterliche Freundschaft“(aus der Laudatio für Andrea Riccardivon Michel Camdessus, ehem. Generalsekretärdes Internationalen Währungsfonds).Ausrichtung am EvangeliumDie Praxis orientierte Auslegungdes Evangeliums durch Laien gehörtzu den wesentlichen Standarts der<strong>Gemeinschaft</strong> Sant’Egidio neben demtäglichen gemeinsamen Gebet. „DasGebet ist diese unterscheidende Dimension,in deren Abwesenheit unserHandeln zur Aufgeregtheit und dasChristentum zu einer Ideologie verkäme“(Camdessus).Verantwortung für die WeltSant’Egidio ist eine Frucht des 2.Vatikanischen Konzils, das die Weltverantwortungdes Laien in der Konstitution„Gaudium et Spes“besondersherausgestellt hat. Gern wird in der<strong>Gemeinschaft</strong> der folgende bekannteSatz des evangelischen TheologenKarl Barth zitiert: „Ein modernerChrist ist ein Mensch, der in der einenHand die Bibel und in der anderen dieZeitung hat.“ Zusammengefasst kannman Sant’Egidio mit drei Worten aufeinen Nenner bringen „Bibel, Mystikund Politik“, so der gleichnamigeBuchtitel von Hanspeter Oschwald imHerder-Verlag.<strong>Gemeinschaft</strong> Sant’Egidio als Vorbild1. Die GKS als GebetsgemeinschaftDie <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong><strong>Soldaten</strong> muss eine Gebetsgemeinschaftsein, so wie es einer ihrer Gründerväter,Oberst Dr. Helmut Korn,gefordert hat. Jesus Christus ist dasHaupt der <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong><strong>Soldaten</strong>. Durch Jesus Christus sindalle Mitglieder der <strong>Gemeinschaft</strong> miteinanderverbunden. Ohne Ihn könnensie nichts positives bewirken,gemäß dem Wort Jesu: „Ich bin derWeinstock, ihr seid die Reben. Wer inmir bleibt und in wem ich bleibe, derbringt reiche Frucht; denn getrenntvon mir könnt ihr nichts vollbringen“(Joh 15,5). Die räumliche Trennungder einzelnen GKS-Mitglieder dürftekein entscheidendes Hindernis füreine Gebetsgemeinschaft sein.2. Einsatz für Friedenund GerechtigkeitDie <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong><strong>Soldaten</strong> fühlt sich in besonderer Weisedem folgenden Satz aus der Konstitution„Gaudium et Spes“ Nr. 79 verpflichtet:„Wer als Soldat im Dienstedes Vaterlandes steht, betrachte sichals Diener der Sicherheit und Freiheitder Völker. In dem er diese Aufgaberecht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigungdes Friedens bei.“Dieser, für christliche <strong>Soldaten</strong>entscheidende Satz aus dem II. VatikanischenKonzil muss Maßstab undLeitlinie für alles soldatische Handelnwerden. Die Forderung stellteine Wende im Selbstverständnis des<strong>Soldaten</strong> dar, weil es nicht mehr ausschließlichum die Interessen der eigenenNation geht, sondern auch umdas Wohl der Bevölkerung im Einsatzland.Frieden und Sicherheit sind offensichtlichfür betroffene Menschen,besonders Frauen, Kinder und ältereMenschen in Krisengebieten vongrößter Bedeutung und das höchstehumanitäre Gut. Beim Lernen vonSant’Egidio geht es nicht darum, dassdeutsche Streitkräfte zu einer humanitärenHilfsorganisation mutieren, dieSuppenküchen unterhält und Medikamentean Hilfsbedürftige verteilt. Die34 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


GESELLSCHAFT NAH UND FERNGKS muss das Alleinstellungsmerkmalheutiger Streitkräfte herausarbeitenund bestärken. Dieses bestehtdarin, zusammen mit lokalen Sicherheitskräftendie Voraussetzungen dafürzu schaffen, dass in einem ausgewogenenGesamtkonzept der nachhaltigeProzess zu Frieden und Gerechtigkeiteingeleitet werden kann, beidem die einheimische Bevölkerungdie wesentliche Verantwortung trägt.Zivile humanitäre und entwicklungspolitischeHilfsorganisationen,die ohne jeden Zweifel weltweit nachweislichgroße humanitäre Erfolgeund Fortschritte erzielt haben, tragenin Krisengebieten mit fundamentalistischenGlaubensfanatikern und anarchistischenRebellengruppen zurVerschlimmbesserung und Verlängerungder üblen Gesamtsituation bei,wenn sie auf sich allein gestellt sind,wie Mary B. Anderson in „Do NotHarm“ nachgewiesen hat (Vgl. auch„Chancen und Grenzen der ZivilenKonfliktbearbeitung“ im AUFTRAG276 S. 8ff). Die „Friedenskonsolidierungin der Konfliktfolgephase“ (postconflictpeace-building) der Agendafor Peace (Ziffer 55ff.) hat im 21.Jahrhundert eine wichtige Brückenfunktionfür weltweite Entwicklungzu Frieden und Gerechtigkeit (sieheMittelamerika, Süd-Ost-Asien, Balkanect.). Die <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong><strong>Soldaten</strong> muss bei ihrer Lobby-Arbeit im Deutschen Bundestag undbei der Bundesregierung ständig daraufdringen, dass das Gesamtkonzepteines Friedenseinsatzes zielführendist und <strong>Soldaten</strong> nicht als Lückenbüßereiner verfehlten Politik missbrauchtwerden.3. Einsatz für diegeschundene BevölkerungDie <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong><strong>Soldaten</strong> sollte ihren gesamten Einflussgeltend machen, damit die Lageder geschundenen Bevölkerung in denEinsatzgebieten der Bundeswehr zumBesseren geführt wird. Es ist nichthinzunehmen, dass deutsche <strong>Soldaten</strong>in einen nicht ungefährlichen Einsatzwie z.B. in die DR Kongo gesandt werden,um die dortigen demokratischenWahlen abzusichern und anschließendTeile des Landes (Ost-Kongo)bis heute noch in einer katastrophalenMenschenrechtslage verbleiben.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Es genügt auch nicht, dass Hilfsorganisationenmit staatlicher, finanziellerUnterstützung einen Teil derOpfer, meist Frauen und Kinder medizinischbehandeln. Die Bundesregierungmuss zusammen mit der EuropäischenUnion darauf dringen, dass dieschweren, systematischen Menschenrechtsverletzungenim Ost-Kongo imRahmen der „Responsibility to Protect(R2P)“ überhaupt verhindert werden.Dazu bedarf es keines erneutenmilitärischen Einsatzes, es genügenfinanzielle Mittel für folgende Zwecke:a. Die reguläre kongolesischenStreitkräfte (FARDC) im Ost-Kongomüssen angemessen bezahltund ihre Familien menschenwürdiguntergebracht werden, damitdiese Truppenteile nicht plünderndund vergewaltigend durchdas Land ziehen.b. Die FDLR (ehemalige Hutumilizen,die mittlerweile kongolesischeFrauen haben) müssen mitnachhaltigen Angeboten in dieZivilgesellschaft integriert werden.Ein entsprechender Vermittlungsversuchvon Sant’Egidio istu.a. wegen mangelnder finanziellerMittel gescheitert (siehe „katastrophaleMenschenrechtslageim Ost-Kongo, Seite ).Die <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong><strong>Soldaten</strong> wäre auf Grund ihre Unabhängigkeit,Glaubwürdigkeit und Uneigennützigkeitin besonderer Weisegeeignet, Fürsprache im Parlamentund bei der Bundesregierung für diegeschundenen Menschen zu leisten,besonders wenn die genannten Institutionenerwarten, dass die deutschen<strong>Soldaten</strong> bei ihren Auslandseinsätzenihr Leben aufs Spiel setzen. ❏KurznachrichtenMilitärischer Einsatz ist oft letztes MittelDer Hildesheimer Bischof Norbert Trelle hält den Einsatz militärischerMittel unter bestimmten Voraussetzungen für gerechtfertigt.Der Mensch habe den <strong>Auftrag</strong>, die Welt vom Terrorismuszu befreien; wenn dabei alle friedlichen Mittel versagten,bleibe oft als letztes Mittel nur der militärische Einsatz, sagte derDiözesanbischof am 4. Februar in Hildesheim. Militärische Gewalt,etwa in Afghanistan, dürfe jedoch nur eingesetzt werden, „umdadurch zivile Hilfsmaßnahmen wirksam werden zu lassen undLebensräume zu öffnen, in denen Menschen wieder in Sicherheitund Gerechtigkeit miteinander leben und arbeiten können“, soder Bischof. Er äußerte sich beim Friedensgottesdienst unter demMotto „Wenn Du Frieden willst, bewahre die Schöpfung“, an demrund 500 <strong>Soldaten</strong> und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr sowieAngehörige von Polizei und Bundespolizei teilnahmen.Weiter sagte Trelle, wo die Umwelt zerstört werde, komme esoft zu Kriegen um die Existenzgrundlagen der Menschen. Dahersei mit dem militärischen Einsatz in Afghanistan zu Recht auchein ziviler Hilfseinsatz verbunden. Denn wo Menschen bedrohtund ihrer Existenzgrundlagen beraubt würden, dürfe man nichttatenlos zuschauen, unterstrich der Bischof. Ausdrücklich zollteTrelle den <strong>Soldaten</strong>, die bei einem „gerechtfertigten militärischenEinsatz Leib und Leben“ einsetzen, Dank, Respekt und Anerkennung.Sie seien die Hüter der Ordnung, des Rechts, der Sicherheit,des Friedens und der Freiheit in Deutschland und jenseitsder deutschen Grenzen. Damit leisteten sie den Menschen einenwichtigen Dienst, betonte Trelle.(KNA)35


BILD DES SOLDATENInternationaler <strong>Soldaten</strong>gottesdienst im Hohen Dom zu KölnVON BERTRAM BASTIANAm Donnerstag, den 21. Januar2010 fand der Internationale <strong>Soldaten</strong>gottesdienstim Hohen Dom zuder Fürbitten in verschieden Sprachen,vorgetragen durch Schüler derSprachenschule Hürth (Bild 2). DieBild 1: Soldatinnen und <strong>Soldaten</strong>unterstützen als Messdienerdie Feier des Internationalen<strong>Soldaten</strong>gottesdienstes im HohenDom zu KölnKöln statt. Eingeladen hatte der LeitendeKatholische Militärdekan Mainz(mit vorläufigem Dienstsitz Koblenz),Bild 2: Teilnehmer der Sprachenschule Hürth aus vielen Nationen nehmenan dem Gottesdienst teil und tragen die einzelnen Fürbitten später imGottesdienst in ihrer Landessprache vormusikalische Umrahmung der Feiergeschah nicht nur durch eine Abordnungder Militärmusik, sondern auchdurch den Männerchor Köln-Wahnunter der Leitung von HptFw MarkusBild 3: Der Männerchor Köln-Wahn unter der Leitung von HptFw MarkusWolters (nicht im Bild) trug mehrere Lieder vorMsgr Rainer Schnettker, zusammenmit dem Erzbischof von Köln, JoachimKardinal Meisner. <strong>Soldaten</strong> allerTeilstreitkräfte sowie Angehörige derBundespolizei unterstützten die HeiligeMesse durch Messdiener (Bild 1)sowie durch das Vortragen der Lesung(in Deutsch und Englisch) undWolters (Bild 3). In seiner Predigt gingKardinal Meisner auf den Umgang desMenschen mit der Schöpfung ein, sowie das diesjährige Wort des Papsteszum Weltfriedenstag vorgegeben hatte(Rede Benedikt XVI. auf Seite 5).Eindringlich führte der Kölner Erzbischofaus, dass die Schöpfung ebensoBild 4: Nach zwölf Jahren inden Diensten der KatholischenMilitärseelsorge kehrt MilitärdekanGregor Ottersbach (rechts) in dieErzdiözese Köln zurück. Links imBild der Kölner Erzbischof JoachimKardinal Meisner.ein Werk Gottes ist, wie der Mensch.Somit sollte der Mensch als EbenbildGottes mit dieser Schöpfung auch respektvollumgehen. Er forderte alle auf,„für die Bewahrung dieser Weltwirklichkeiteinzutreten, dann für unsereNachbarn und Freunde, dann für unsereGesellschaft und dann für unsereMitwelt“. In seinen Schlusssegenschloss er nicht nur alle Soldatinnenund <strong>Soldaten</strong> sowie Angehörige der36 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


BILD DES SOLDATENBundespolizei im In- und Ausland ein,sondern bat auch um den Segen fürdiejenigen, die auf der Domplatte ihreMeinung kundtaten.Während für einige der Gäste einEmpfang im Maternus Haus stattfand,hatten die übrigen Teilnehmer des Gottesdienstesdie Möglichkeit mit einemBus eine Stadtrundfahrt vorzunehmenoder zu Fuß die Altstadt um den Dom zuerkunden. Auf der Domplatte bestanddie Möglichkeit, bei einer Suppe mitden Bürgerinnen und Bürgern ins Gesprächzu kommen. Eine Handvoll Demonstrantenmachte mit Transparentenund durch Trommeln auf sich aufmerksam,wobei diese Gruppe nicht wahrhabenmöchte, dass die Rechte, welchesie selbstverständlich in Anspruch nehmenwie Rede- und Versammlungsfreiheitvon den Taliban dem afghanischenVolk vorenthaltet wurden.Vor dem Empfang im MaternusHaus, bat Msgr. Rainer Schnettker umdie Grußworte. Für die Militärkurie bedanktesich der Militärgeneralvikar,Apostolischer Protonotar Walter Wakenhut,für die Bereitschaft des Kardinals,mit den Soldatinnen und <strong>Soldaten</strong>diesen wichtigen Gottesdienstzu feiern. Er überbrachte die Grüßedes Militärbischofs Walter Mixa undverabschiedete in diesem Rahmen MilitärdekanGregor Ottersbach, der nach12 Jahren in der Militärseelsorge zurückins Erzbistum Köln ging (Bild 4).Für den Verteidigungsminister sprachder Inspekteur Heer, GenLt Hans-OttoBudde, der Militärseelsorge den Dankfür den Dienst an den <strong>Soldaten</strong>, geradeauch im Auslandseinsatz, aus. DerBundesvorsitzende der GKS, OTL i.G.Rüdiger Attermeyer beschloss die Reiheder Grußworte. Seine Rede ist imAnschluss abgedruckt.Rede des BundesvorsitzendenBeitrag zum Frieden ist Bewahrung der SchöpfungAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010VON RÜDIGER ATTERMEYERPapst Benedikt XVI. hat für den43. Weltfriedenstages im Jahr2010 als Thema vorgegeben:„Wenndu den Frieden willst, bewahre dieSchöpfung“Damit werden wir alle angesprochen,die zunehmende Umweltkrisewird uns alle betreffen und wir allehaben Einfluss auf die weitere Entwicklung.Der globale Klimawandelmit den Auswirkungen Abschmelzender Polkappen und Ausdehnung derWüsten ist da nur ein Aspekt. Diefortschreitende Abholzung der tropischenRegenwälder und unwiederbringlicheVerluste in der Artenvielfaltsind weitere Beispiele,ich könnte gar nicht alle nennen.Als Auswirkungen dieser Entwicklungenin unserer Umwelt könntensich für die Menschen unmittelbareine wachsende Anzahl von Umweltflüchtlingenund Konflikte um denZugang zu den natürlichen Ressourcen,z.B. Wasser, ergeben. Wenn manaber diese Auswirkungen betrachtet,dann wird klar, dass wir Menschenfür die Voraussetzungen des Friedensauch selbst Verantwortung übernehmenmüssen. Hier ist unser eigenesHandeln erforderlich, jeder an seinemPlatz.Ich sehe uns in Deutschland geradeinmitten einer sicherheitspolitischenDebatte um den Afghanistaneinsatzder Bundeswehr, die auf breiteresInteresse in der Gesellschaft alsin der Vergangenheit trifft. Die beidengroßen christlichen Kirchen inDeutschland bringen sich dabei aktivein. Diese breite Diskussion hatuns viele Jahre gefehlt, das war nurein Thema für Spezialisten – mithinauch für <strong>Soldaten</strong>. In der öffentlichenDebatte wird jetzt der Wunsch nacheinem baldigen Rückzug der <strong>Soldaten</strong>aus Afghanistan geäußert und dasStichwort „Vernetzte Sicherheit“ wirdfür manchen in der Öffentlichkeiterstmalig mit Inhalt gefüllt. Alleinschon durch das Eingreifen und dasgegenwärtige Engagement sind allebeteiligten Nationen eine Verpflichtunggegenüber dem afghanischenVolk eingegangen. Ein Rückzug ohnewirkliche Veränderung des alten Zustandesist daher nicht verantwortbar.Die Möglichkeit zu einem vertretbarenRückzug der Streitkräfte wirdvom Erreichen bestimmter Ziele gesteuertund weniger von einem Zeitplan.In der gegenwärtigen Diskussionkristallisiert sich heraus, dassein Erreichen von Verbesserungenin den Lebensbedingungen für dieAfghanen auf der Basis von Stabilitätund Sicherheit nicht mit militärischenMitteln allein möglich ist.Die GKS hat sich bereits mehrfachzu diesem Thema geäußert: bereitsim November 2004 wurde in der Erklärung„Friede ist möglich“ für jedenEinsatz ein schlüssiges Gesamtkonzeptgefordert, das alle, zivile wiemilitärische Möglichkeiten, abgestuftund abgestimmt einsetzt. Nurunter diesen Rahmenbedingungenerscheint der Einsatz militärischerKräfte ethisch begründbar, weil nurin einem solchen Gesamtkonzept sichergestelltwerden kann, dass militärischeGewalt die „ultima ratio“,das letzte Mittel bleibt.Im Jahr 2008 haben wir diesePosition als Kriterien für Auslandseinsätzeunter der Überschrift „Verantwortungübernehmen – moralischhandeln“ an alle Abgeordneten desDeutschen Bundestages versandt.Wenn sich jetzt der Eine oder die Anderebei der politischen Arbeit daranerinnert und diese Saat aufgeht, würdeuns das sicher freuen. Ein wirklicherErfolg wäre aber, wenn durchkonsequentes Handeln nach dieserDebatte die Lebensbedingungen derMenschen in Afghanistan nachhaltigverbessert würden.Und wenn wir diese unsere Aufgaberecht erfüllen, dann leisten wirim Sinne des Leitgedankens zumdiesjährigen Weltfriedenstag unserenspezifischen Beitrag zum Friedenund damit auch zur Bewahrungder Schöpfung. ❏37


BILD DES SOLDATENRenovabis würdigt EngagementDer Hauptgeschäftsführervon Renovabis, Pater DietgerDemuth (rechts) unterhält sich mitOStFw Peter Weber (links), demVorsitzenden des SachausschussesV „Soziales Engagement“ desKatholikenrates beim KatholischenMilitärbischofOberstabsfeldwebel Peter Weber(im Bild links) vom Katholikenratbeim Katholischen Militärbischof, dermit seinen Kameraden für benachteiligteZivilisten in Albanien, Bosnienund andernorts als ehrenamtlicherPartner und Helfer präsent war, hatdieser Tage am bundesweiten Partnerschaftstreffender Osteuropa-SolidaritätsaktionRenovabis in Freisingteilgenommen. Beim Jahrestreffen derRenovabis-Partner begegnete er aufdem Domberg rund 130 Gleichgesinntenund sammelte neue Kraft fürseine Einsatzfreude und die Bewusstseinarbeitfür ein zusammenwachsendesEuropa.Er unterhielt sich auch mit PaterDietger Demuth (rechts im Bild), demHauptgeschäftsführer von Renovabis.Der Pater hat bei dem Treffen zusammenmit Partnern aus einzelnen derinsgesamt 29 Renovabis aufgetragenenLändern den Schwerpunkt derInlandsarbeit übers Jahr, bei Renovabis-Pfingstaktionund aus Anlass desZweiten Ökumenischen Kirchentages2010 in München vermittelt: Unterdem Motto „Alle sollen eins sein –Miteinander handeln im Osten Europas!“soll nämlich das christlicheGlaubenszeugnis und damit das gemeinsamesoziale Handeln im Ostendurch Menschen, die dort zuhausesind, aber auch von uns Nachbarnhier im Westen in den Blick genommenund bestärkt werden.„Genau in dieser Weise engagiertsich Peter Weber seit vielen Jahren“,lobte Demuth.(Text und Bild:Pressedienst Renovabis)Seminar für Funktionsträger der GKSVom 18. bis 20. Juni 2010 findetin Mülheim/Ruhr unter der Leitungdes Haushaltsbeauftragten OSt-Fw a.D. Johann A. Schacherl das Seminarfür Funktionsträger des GKSstatt. Dieses Seminar findet im 2 jährigenRhythmus statt und soll die neuenFunktionsträger in unserer <strong>Gemeinschaft</strong>in die Tricks und Kniffeeinweisen, die für die alten Fahrensleuteschon das tägliche Brot gewordensind. Aus diesem Grund ist der„Mix“ der Teilnehmer zwischen ganzJungen, schon länger im Amte Befindlichenund ganz alte Hasen einegeradezu hervorragende Mischung.Kreisvorsitzende, die schon ein Jahrund länger im Amt sind, erfahren hier,warum die Sachen so sind, die älterengeben ihre Erfahrungen mit dengesetzlich geregelten Haushalten weiterund die ganz jungen nehmen sonebenbei die Erfahrungen auf, ohnedass sie die gleichen Fehler ebenfallsmachen müssen.Das Programm ist vielfältig undschlägt einen Bogen von den rechtlichenGrundlagen der Militärseelsorgein Deutschland bis hin zu denhaushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen,die von den Funktionsträgernder GKS zu beachten sind. Indiesem Seminarabschnitt stellt derIT-Beauftragte der GKS, OStFw a.D.Hubert Berners das von ihm entwikkelteProgramm vor, welches er aufgrundseiner eigenen Erfahrungenals Kreisvorsitzender so gestaltet hat.Der Bundesvorstand bringt sich indieses Seminar ein und so wird auchder Bundesvorsitzende sicherlich etwasüber die neue Ordnung der GKSsagen, die – so ist es geplant – eineWoche vorher auf einem außerordentlichenBundeskonferenz inFulda verabschiedetwird.Anmeldeschluss zu diesem Seminarist der Donnerstag, 15. April2010 beim Haushaltsbeauftragten.Das dazu erstellte Formblatt kannbeim örtlichen GKS-Kreis oderdurch eine E-Mail an die Redaktion(redaktion-auftrag@kath-soldaten.de)angefordert werden. Es wird dann alsbeschreibbare Word-Datei dem Anfragendenzugesandt werden. (BB)Kurznachrichten:Papst Benedikt XVI. fordertSchutz und Sicherheit für IrakDer Irak und besonders Christenund andere religiöse Minderheitenim Irak brauchen den Schutzder internationalen <strong>Gemeinschaft</strong>.Dazu rief Papst Benedikt XVI. inseinem Appell am gestrigen Sonntagauf. Er forderte konkreten Einsatz,damit den Irakern eine Zukunftder Versöhnung und der Gerechtigkeitgegeben werde. „Mittiefer Trauer“ habe er von den tragischenNachrichten über die Ermordungvon Christen in der StadtMossul erfahren, erklärte Papst BenediktXVI. Mit lebhafter Sorge beobachteer die weitere Eskalationder Gewalt im Irak, bezeugte er vorden Pilgern auf dem Petersplatz.Der Papst beklagte, dass es erneutim Irak zum Schaden von wehrlosenMenschen verschiedener Religionszugehörigkeitgekommen sei.Der Papst rief die christlichen Gemeindendes Irak dazu auf, nichtmüde zu werden, „Sauerteig desGuten für das Vaterland zu sein,zu dem ihr seit Jahrhunderten alsvollwertiger Teil gehört“.(ZENIT)38 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ Z20100


Bericht aus der Vollversammlung des„Landeskomitee der Katholiken in Bayern“VON REINHARD KIESSNERRELGION UND GESELLSCHAFTDas Landeskomitee der Katholiken in Bayern ist der Zusammenschluss der Diözesanräte der bayerischenBistümer und der auf Landesebene tätigen kirchlich anerkannten Organisationen und Einrichtungen. Alskirchlicher Verband stellt die GKS einen Delegierten im Landeskomitee. Zur Zeit OStFw Reinhard KießnerKreisvorsitzender München und stellv. Vorsitzender im Bereich Süd der GKS. Durch die Teilnahme als Delegiertein den verschiedensten Ebenen der Laienorganisationen der Katholischen Kirche werden die Ziele derGKS verfolgt, sich in allen Bereichen des Meinungsbildungsprozesses hinsichtlich „Gerechtigkeit und Frieden“einzubringen.Im Landeskomitee dem höchstenGremium auf bayerischer Landesebeneging es in der Herbstvollversammlungum das Leben auf demLand. Auch die Bundeswehr zieht sichimmer mehr aus der ländlichen Regionenzurück und deshalb sollten dieAspekte der einstimmig beschlossenenVeröffentlichung länderübergreifendfür künftige StationierungskonzepteBerücksichtigung finden.Offenheit für neue Menschen, die zudieser <strong>Gemeinschaft</strong> gehören wollen,auch Fremde.1. Ein besonderes Markenzeichendieser <strong>Gemeinschaft</strong> sollte die Wertschätzungder Familien sein. DieseIn Bayern auf dem Land wohnen undarbeiten – künftig Traum oder Albtraum?Die ländlichen Räume haben ihreStärken: Sie bieten überschaubareLebensräume, ein stabiles sozialesUmfeld, qualifizierte Arbeitsplätzeund besitzen hohen Freizeit- und Erholungswert.Werden, Wachsen undVergehen lassen sich dort unmittelbarerleben – ein wichtiger Bestandteilmenschlicher, auch religiöser Erfahrung.Aber diesen Stärken stehenProbleme gegenüber: Manche Gebietesind gekennzeichnet von Abgelegenheit,Strukturschwäche, hoherArbeitslosigkeit, niedrigen Einkommen,einer ungünstigen Altersstruktursowie hohen Sterbe- und Abwanderungsverlusten.Der ländliche Raumist also kein homogenes Gebilde, dennochsieht das Landeskomitee der Katholikenin Bayern für die ländlichenGebiete folgende gemeinsamen Herausforderungen:Unsere Dörfer zeichnen sich ausdurch die erfahrbare <strong>Gemeinschaft</strong>von Menschen. Dabei sollte <strong>Gemeinschaft</strong>mehr sein als die Summe vonMenschen. Sie lebt vom Miteinander,vom Einsatz aller mit ihren je eigenenTalenten. Sie lebt von der Anerkennung,der Wertschätzung und derAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010OStFw Reinhard Kießner während der Beratungen in der Herbstvollversammlungdes Landeskomitees Bayern (Foto: Thomas Jablowsky)wird eher gelingen, wenn sich dasganze Dorf als „eine Familie“ begreift,wenn die Generationen einander alsBereicherung sehen. Die demografischeEntwicklung wird sich in dennächsten Jahrzehnten auf die ländlichenRäume Bayerns zwar unterschiedlich,in jedem Fall aber gravierendauswirken. So werden erheblicheVeränderungen unserer Kommunenund unserer Pfarrgemeinden notwendig,die Staat und Kirche rechtzeitigin die Wege leiten müssen, wenn wir„die Kirche im Dorf lassen wollen“.2. Die Kirche darf sich mit ihrempastoralen Angebot nicht aus denDörfern zurückziehen. Sie muss sichweiterhin vor Ort für die Menscheneinsetzen. Dazu gehört, dass sie dieVerantwortung der Laien in der Kircheam Ort ernst nimmt und unterstützt.3. Die Land- und Forstwirtschaftin all ihren Formen hat auch künftigeine wichtige Funktion. Die Bedeutungeiner multifunktionalen Landbewirtschaftungfür alle, wie Ernährungssicherung,Landschaftspflege,Naturschutz und dezentrale Energiegewinnung,wird zunehmend deutlich.Derzeit befinden sich viele landwirtschaftlicheBetriebe in existenziellenSchwierigkeiten. Sie brauchen unsereSolidarität und Wertschätzung.4. Der Klimawandel wird das Lebenauf dem Land verändern, zumBeispiel die Land- und Forstwirtschaftsowie den Tourismus. Die absehbareErschöpfung der Vorräte an fossilenEnergieträgern stellt die bisherigePraxis des Pendelns in Frage und verlangteher nach einem funktionierendenNetz an öffentlichen Verkehrsmit-39


RELGION UND GESELLSCHAFTteln. Unnötige Verkehrsströme könnendurch eine gut ausgebaute Telekommunikationsstrukturvermieden werden.Gleichzeitig braucht es mehr Arbeitsplätzeund innovative Arbeitsformenauf dem Land.5. Bildungskonzepte für ländlicheRäume sollten sich am Grundsatz„Kurze Beine, kurze Wege“ orientieren,damit Kinder vor Ort lernenkönnen. Dieses Ziel gilt prinzipiellauch für Einrichtungen und Angeboteder beruflichen Aus- und Weiterbildung,der verbandlichen und offenenJugendarbeit sowie der Erwachsenenbildung.Zudem müssen verstärktHochschul- und Forschungseinrichtungenim ländlichen Raum angesiedeltwerden.6. Die Globalisierung erfasst alleLebensbereiche und hat die Tendenz,regionale und lokale Besonderheitenzu nivellieren. Deshalb müssenregionale Kultur und Wirtschaft gestärktund erhalten werden. DetaillierteÜberlegungen zu einzelnen Sachgebietenhat das Landeskomitee ineinem Diskussionspapier zusammengestelltund ruft alle, die an der Entwicklungdes ländlichen Raumes teilhabenkönnen, auf, diese Herausforderungengemeinsam zu meistern, damites attraktiv bleibt, in Bayern aufdem Land zu leben und zu lernen, zuwohnen und zu arbeiten.Von der Vollversammlung desLandeskomitees der Katholiken inBayern am 14. November 2009 einstimmigbeschlossen.Mitgliederversammlung derKatholischen Akademikerarbeit DeutschlandsJugendpastoral – der Weg in KölnBild 1: StadtjugendpfarrerDr. Dominik Meiering hielt denFestvortragAm Samstag, den 14. November2009 fand die Jahresvollversammlungder Katholischen AkademikerarbeitDeutschlands (KAD) imArminenhaus in Bonn statt. Zuvorfeierten die Teilnehmer eine HeiligeMesse in der Kapelle des Elisabethkrankenhausesmit dem Festredner,Pfarrer Dr. Dominik Meiering(Bild 1). Er ist Stadtjugendseelsorgerin Köln und trug zu seiner Arbeit vorunter dem Thema: „Jugendpastoral– der Weg in Köln“. Die KirchengemeindeSt. Severin hat der Jugend derStadt Köln die Kirche St. Johann Baptistzur Verfügung gestellt. Bekanntwurde diese Kirche über die Stadtgrenzenvon Köln, als beim U-BahnBau in der Domstadt der Kirchenturmabsackte und umzustürzen drohte.Nach der Renovierung wurde die Kircheumgestaltet und beherbergt jetztein Café und die Kirche. Die Kirchefür den Raum zum Glauben und dasCafé als Raum zum Leben. So wie derGlaube das Leben braucht, brauchtdas Leben den Glauben. Hier entstanddas neue Angebot der KatholischenKirche für Jugendliche unterdem Namen „CRUX – Glauben.Katholisch.Leben“ mit einem an dasAndreaskreuz angelehnten Kreuz alsZeichen. Das Kreuz ist ausgestrecktzwischen rechts und links, zwischenoben und unten und will Jugendlichemiteinander und mit Gott in Verbindungbringen. Die Angebote sindfür alle offen, es werden aber auchangebotsorientierte Programme fürbestimmte Zielgruppen angeboten.Wer über diese erfolgreiche Jugendarbeitnäheres erfahren möchte, kanndies auf der Internetseite www.cruxkoeln.detun.Die anschließende Vollversammlungder KAD begann mit dem Berichtdes Präsidenten. Der Schwerpunktder Arbeit lag in der VorbereitungBild 2: Der neu gewählte PräsidentMinDir a.D. Dr. Wolfgang Burr,links und der Alt-Präsident Dr.Wolfgang Löhr während derVollversammlungund Durchführung der SalzburgerHochschulwochen im August 2009.Dabei wurde wiederum deutlich, dassdie KAD noch nicht den Bekanntheitsgradhat, der wünschenswertwäre. Hier sind noch Handlungsfelderbei den Mitgliedsverbänden, damiteine bessere Abstimmung auchund gerade bei den Vollversammlungdes Zentralkomitees der DeutschenKatholiken (ZdK) die Interessen stärkergebündelt und mit mehr Stimmenvorgetragen werden können. Der Be-40 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


RELGION UND GESELLSCHAFTricht der Vizepräsidentin und SchatzmeisterinElke Peters wurde mit Interessezur Kenntnis genommen. DieKassenprüfung ergab eine gute undnachvollziehbare Buchführung undendete mit dem Vorschlag, den Vorstandzu entlasten, was die Vollversammlungohne Gegenstimme tat. Inden anschließenden Neuwahlen zumPräsidium wurde Dr. Wolfgang Löhrzum Alt-Präsidenten gewählt, alsPräsident wurde Dr. Wolfgang Burr(Bild 2) und als Vizepräsidenten HubertusWübken und Elke Peters gewählt.Die Beisitzer Heinrich Sudmannund Bertram Bastian wurdenbestätigt, Mechtild Kerckhoff wurdeneu gewählt. Als Schriftführer stehtdem Präsidium wiederum RichardWeiskorn zur Verfügung.(BB)Mit Werten führenVON BERTRAM BASTIANUnter diesem Motto veranstaltete der Bund <strong>Katholischer</strong> Unternehmer (BKU), gemeinsam mit der <strong>Gemeinschaft</strong><strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong> (GKS), der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg (IHK) und demKatholischen Bildungswerk eine Abendveranstaltung am Montag den 30. November 2009 ab 18:45 Uhrim Gangolfsaal des Münster-Carré. Was können Bundeswehr, Wirtschaft und Kirche in der Frage der Personalführungund der Förderung von verantwortungsbereiten Nachwuchskräften voneinander lernen? Drei profilierteFührungspersönlichkeiten aus diesen Bereichen stellten sich der Diskussion.Nach der Begrüßung durch denVorsitzenden der DiözesangruppeBonn des BKU Ansgar Rother (Bild 1)sprach für die GKSderen BundesvorsitzenderOberstlti.G. Rüdiger Attermeyer(Bild 2)ein Grußwort undstellte den Rednerdes Impulsvortrages,BrigGen JosefBlotz vor. Dieserist als Generalder Infanterie undKommandeur derInfanterieschulein Hammelburg mit dem Thema derNachwuchsgewinnung und Förderungdes Führungsnachwuchses tagtäglichmit der Fragestellungbeschäftigt.Zu Beginn seinesVortrages schilderteder General,wie ihn in Hadamarim Westerwald derdortige, damaligeSchul- und Jugendpfarrerbeeindruckthabe. Jener PfarrerFaxel hat währendder NS-Zeit ggendie in HadamarBild 1Bild 2stattfindenden Euthanasiemorde gekämpftund ist deswegen auch verhaftetund unter Beobachtung gestelltworden. Hier lernte er für die Menschenwürdeeinzutreten, sagte derGeneral. In seinem Vortrag trug Brig-Gen Blotz (Bild3) drei Prinzipienvor, die aus seinerSicht das WertefundamentdesDienstes als Soldatausmachten.Als erstes Prinzipstellte er dieGrundsätze derInneren Führungals die UnternehmenskulturderBundeswehr vor,er schilderte die Entstehung und dengeschichtlichen Hintergrund, warumdie Bundeswehr sich diesen Wertenverschrieben hatund wie die Armeediesen hohenAnspruch erfüllt.Als zweites führteGeneral Blotzdas Gewissen anund untermauerteseine These mitZitaten des GeneraloberstLudwigBeck, aber auchdes ehemaligenVerteidigungsministersund Bundeskanzlers HelmutSchmidt. Er brachte es mit dem Zitatdes Clemens Kardinal Galen auf denPunkt: „Man muss Gott mehr gehorchenals den Menschen“. Drittens istFühren untrennbar verbunden mit denBild 3Geführten. Damit kommt die werteorientierteMenschenführung ins Spiel,führte Josef Blotz aus. „Wer Menschenwürdeverteidigt, muss Menschenwürdig behandeln“ brachte erdieses dritte Prinzip den Zuhörernnahe.Nach diesen „offiziellen“ Prinzipienfügte General Blotz seinem Vortragnoch drei private Statements an.Das erste ist die Tatsache, dass er sichseinen Beruf nicht vorstellen könne,ohne diese Wertebindung und Gewissenserforschungund das man dazustehe. Für das Dilemma des <strong>Soldaten</strong>,in dem dieser potenziell sich befände,zitierte der Vortragende „Gaudiumet Spes, Ziff 79: Wer als Soldat imDienst des Vaterlandes steht, betrachtesich als Diener der Sicherheit undAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 201041


RELGION UND GESELLSCHAFTBild 4 Bild 5Freiheit der Völker. Indem er dieseAufgabe recht (ich interpretiere dieses„recht“ eben als im Sinne deroben beschriebenen Werteorientierung)erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigungdes Friedens bei.“ Sein drittesStatement war die Bekenntnis zu denLeitbildern des Hl. Martin als „milesprotector“ und des Hauptmanns vonKarpanaum, der wegen seines Glaubensvon Jesus selbst gelobt wurde,weil sein Glaube beispielhaft war. GeneralBlotz schloss seinen Vortrag mitdiesen Beispielen, weil die Geschichtehier deutlich mache, dass man alsSoldat sowohl christlich handeln alsauch glauben könne.Für die Kirche gab der Leiter derMissionsprokur der Salesianer DonBoscos in Bonn, Bruder Jean PaulMuller (Bild 4, rechts) sein Statementab. Er betonte, dass gerade bei derBeschäftigung mit den sogenanntenProblemkindern (eine Hauptaufgabeseines Ordens) eine feste Grundlagein Führung und Wertevorstellungen,die gelebt würden, den Grundstock füreinen Ausbildungserfolg darstellten.Auch bei den Salesianern, die sich anden Brennpunkten der Probleme dieserWelt befänden, sei die Frage vonVerwundung oder gar Tod ein ständigerBegleiter. Hier helfe nur der festeGlaube und das eigene Wertegerüst,betonte der Vertreter der kirchlichenOrganisationen.Der Geschäftsführer der FassbenderTenten GmbH & Co KG ChristianFassbender (Bild 4, links) antwortetefür die Wirtschaft. Er stellte dabei sowohldie Firmenphilosophie als auchdie Leitwerte für das Verhalten vor.Beide grundlegende Formulierungenwerden den Neuanfängern bei Beginndes Arbeitsverhältnisses in Form einerkleinen Scheckkarte überreicht,damit jeder Mitarbeiter und Mitarbeiterinsich überall daran erinnernkann, worauf die Führung Wert legt.Gerade in einem wirtschaftlichen Unternehmensei Führung wichtig, damitalle an einem Strang und in derselbenRichtung ziehen würden, betonteChristian Fassbender. Befehl undGehorsam würden so durch Kommunikationersetzt, erklärte er den anwesendenGästen.Die anschließende Diskussionwurde vom stellvertretenden Leiterder Abteilung Aus- und Weiterbildungder IHK Dario Thomas (Bild 5)geleitet. Die Fragen berührten alleAusbildungsbereiche, sowohl die derBundeswehr, wobei die Einsätze imBild 5Vordergrund standen, als auch dieder Salesianer, die mehr als die Armeeweltweit operierten. Interessantfür die ca. einhundert interessiertenGäste (Bild 6) war die Tatsache, dassbei der Firma Fassbender Tenten imSchwerpunkt des Interesses die jungenLeute standen, die sich bei derAusbildung nicht im Vordergrund befanden.Gerade diese jungen Menschenhätten eine besondere Antennefür die Philosophie des Unternehmensund das Vorleben der Werte, betonteder Geschäftsführer auf eine Frageaus dem Publikum.Im Schlusswort sprach der Leiterdes Katholischen BildungswerkesBonn Dr. Josef Herberger noch dasDilemma von Kontrolle und Vertrauenan. Nur Kontrolle sei motivationstötend,unbegrenztes Vertrauen sei dieEinladung zum Missbrauch. Mit derAnregung das Verhältnis der beidenBegriffe in der Gesamtschau der Wertevorstellungenzu besprechen, ludendie Veranstalter zu einem kleinen Imbissmit Umtrunk in den Räumlichkeitendes Münster-Carré ein. ❏Redaktionsschluss fürAUFTRAG 278Freitag, 16. April 201042 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


BLICK IN DIE GESCHICHTEZeitgeschichte − 50 Jahre BundeswehrDr. Helmut Kohl,der sechste Bundeskanzlerund die Bundeswehr– Vater der militärischen Multinationalität –Teil IVON DIETER KILIANAm 3. April 1930 wurde HelmutJosef Michael Kohl alsjüngstes von drei Kindern 1 desFinanzbeamten Johann (Hans) Kohl(1887-1975) und dessen Frau Cäcilie(1890-1979; geb. Schnur) in Ludwigshafenam Rhein geboren. Vater Hansstammte aus der kleinen unterfränkischenGemeinde Greußenheim, 15 kmnordwestlich von Würzburg; der Berufvon Großvater Kaspar ist mit „Ackerer“(Bauer) angegeben. Hans verließden väterlichen Hof und wurde am 19.Oktober 1906 als Zweijährig-Feiwilligerzur 4. Kompanie des 23. Infanterieregimentsnach Landau in der Pfalzunter Oberst Rudolf Dänner eingezogen.2 Doch das Leben als Infanteristschien ihm nicht behagt zu haben,denn im September 1908 wechselte erzur I. Abteilung des 12. bayerischenFeldartillerieregiments3 und dientein der 3. Batterie. Regimentskommandeurwar zunächst Oberst Hopf,dann Oberstleutnant Burkhardt undab 1912 Oberst Hugo Müller.Die I. Abteilung (Abt) unter MajorStephan Schneider hatte drei Batterien(Bttr) 4 und eine Leichte Mu-ments- und Brigadeübungen abwechselndin der Pfalz und in Unterfrankenund das Scharfschießen auf denTruppenübungsplätzen Hammelburg,Lager Lechfeld und ab 1912 auchin Grafenwöhr statt. Das Regiment(Rgt) gehörte mit dem 5. Feldartillerieregiment(FArtRgt) „König AlfonsXIII. von Spanien“ zur 3. bayerischenBild 1: Parade des 12. bayerischen Felsartillerieregiments 1913 in Landau.1 Hildegard (1922-2003; verh. Getrey);Walter (1926-1944) und Helmut.2 Angaben zum militärischen Werdeganggem. Personalbogen 26106 des BayerischenHauptstaatsarchivs – Kriegsarchiv.3 Aufgestellt am 1. Oktober 1901. Kommandeure:OTL Gebhard(1901/02),Oberst Straßner (1902-06), Oberst Hopf(1906-09), OTL Burkhardt (1909-1912),Oberst Müller (1912-1916), OTL Pfeiffer(1916-18).4 Jede Bttr: 4 Offz, 1 Wachtmeister, 1Vize-Wachtmstr., 1 Fähnrich, 17 Uffz,2 Trompeter und 120 Mannschaften(„Gemeine“).AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010nitionskolonne (LMK). In jeder Bttrgab es 4 bespannte, d.h. von Pferdengezogene Geschütze (7,7 cm FeldkanoneM 96 n.A. – neuer Art – unddie 10,5 cm leichte Feldhaubitze98/09), 4 Munitionswagen und einenBeobachtungswagen; 5 alle waren6-spännig. Hinter jedem Geschützritten 7 und hinter jedem Munitionswagenund dem Beobachtungswagenjeweils 6 Kanoniere. Jede Batteriehatte 126 Pferde. Die Batteriechefsund der Chef der LMK waren Hauptleute.Die Friedensausbildung fandauf zwei Exerzierplätzen bei Landau(Ebenberg und Insheim), die Regi-5 Die Geschützausstattung war unterschiedlich:6 Geschütze, 2 Munitionswagenund 1 Beobachtungswagen(= sog. „hoher Etat“), 6 bespannteGeschütze (= „mittlerer Etat“) und 4 bespannteGeschütze (= „niederer Etat“).Feldartillerie Brigade, dem stärkstenArtillerie-Großverband Bayerns. DieLandauer Truppen unterstanden der3. Königlich Bayerischen Infanteriedivision.6 Hans Kohl nahm als jungerSoldat mit seinem Regiment vermutlichan den Kaisermanövern 1908 in6 Bis 1916: Generalleutnant Otto Rittervon Breitkopf; 1916-17: GeneralleutnantRitter von Wenninger (+ 1917);1917: General Ritter von Huller; 1917-1918: General Karl Ritter von Schoch(1863-1940).43


BLICK IN DIE GESCHICHTEElsass-Lothringen und 1909 im RaumBad Mergentheim teil. Die Artilleristen,besonders die reitenden, wurdenvon den Infanteristen als „Quetschkosaken“bezeichnet. Dies führte in denLandauer Gasthäusern nahezu täglichzu wilden Schlägereien, weshalb dieBatteriechefs der Morgenmeldung derWachtmeister stets mit Bangen entgegensahen.Am 1. Dezember 1908wurde Hans Kohl zum Unteroffizier,1913 zum Sergeant und im Januar1914 zum Vize-Wachtmeister befördert.Im August 1914 wurde er – unterVersetzung zur II. Abteilung seinesRegiments – zum Offizierstellvertreterernannt; sein Abteilungskommandeurwar Major Hermann Dietl.Als am 31. Juli um 17 Uhr derVorbefehl mit dem Stichwort „DrohendeKriegsgefahr“ eintraf, befand ersich mit dem Regiment zum Schießenauf dem Truppenübungsplatz Hammelburg.Einen Tag später folgte gegen18 Uhr der Befehl zur Mobilmachung.In aller Eile verlegte die Truppenach Landau zurück. Dort mussteder Ansturm von Freiwilligen gestopptwerden, da es für sie keine Unterkunftund kaum Verpflegung gab. Hans Kohlwar mit Mobilmachung als Sektionsführerder Leichten Munitionskolonnein der II. Abteilung 7 des bayerischenReserve-Feldartillerieregiments Nr. 6eingeplant und wurde zum Feldwebel-Leutnant 8 befördert. Am 9. Oktoberverlegte seine Abteilung unter MajorKarl Wurm erneut nach Hammelburg,wo das neue Regiment 9 erstmals übte.Schwierigkeiten gab es durch den verspätetenZugang der 1.832 Pferde, diedas Regiment benötigte. Nach kurzerAusbildung und Scharfschießen verlegteder Verband im Rahmen der 6.Königlich Bayerischen Reserve-Infanterie-Division10 unter dem General7 Das Regt hatte 3 Abt mit je 3 Battr und1 LMK. Eine LMK bestand aus 3 Offz,14 Uffz und 158 Mannschaften, sowie198 Pferden. Der Fahrzeugbestand:21 Munitions-, 5 Beobachtungs-, 1Küchen- und 1 Futterwagen.8 Zwischen 1877 und 1919 der untersterOffi zierdienstgrad.9 RgtKdr waren: 1914/15: Oberst MaximilianObermayer; 1915-1917: OTL Dr.Emil Beckh; 1918: OTL Karl von Malaisé;Maj. Ludwig Volk, OTL HermannDietl und OTL Friedreich.10 Im August 1914 aufgestellt. DivKdrwaren: 1914: Frhr. von Speidel, GenLtStreck († Nov 1914), Gen d. Inf GrafBothmer (Dez 1914), GenLt z.D. (zurder Kavallerie Maximilian Frhr. vonSpeidel. (1856-1943) am 20. Oktoberin den Bereitstellungsraum bei Lillean die Westfront. 11 Im Verlauf des ErstenWeltkrieges kämpfte Hans Kohlan verschiedenen Abschnitten derWestfront. Er nahm an den Herbst-Schlachten 1914 in Lothringen ebensoteil wie an der ersten Ypern-Schlachtim November. Dort war das Grabenvon Unterständen wegen des hohenGrundwassers nicht möglich, undso mussten Geschütze und Munitionmit Wällen aus Sandsäcken geschütztwerden. Unteroffizier Kaiser von der3. Batterie schrieb die sarkastischenVerse:„Das Haar wächst uns zur Mähne,die Seife wird uns fremd,wir putzen keine Zähne, wir wechselnnie das Hemd. … .Das Einzige, was noch trocken,sind Kehle und Humor.Doch dieser Heroismus, hat keinengroßen Reiz.Es zieht der Rheumatismus fürsVaterland ins Kreuz.“ 12Besonders aber belastete eineRattenplage. Im Oktober 1916 wurdeKohl Gasschutzoffizier seiner Abteilung.13 Er erlebte den Stellungskriegvor Verdun, die Schlachten ander Somme und in Flandern, sowie erneutjene um Ypern. Sieben Jahrzehntespäter reichten sich Sohn Helmutund der französische Staatspräsidentüber den Gräbern die Hand. Im Februar1917 wurden die drei LMK ausdem Regiment herausgelöst 14 und alsArmeetruppe dem VI. preußischenReserve-Korps unter dem General derInfanterie Konrad Ernst von Goßler(1848-1933) zugeordnet; Hans KohlDisposition) von Scanzoni (Jan 1915bis Jan 1917), GenMaj Paul Ritter vonKöberle (bis Juni 1918) und danachGenMaj Georg Meyer. In dieser Divisiondiente auch der Gefreite Adolf Hitler alsMeldegänger der 1. Kp des ResInfRgt16 unter Oberst Julius List († 1914).11 Das Unterstellungsverhältnis wechseltewiederholt, so z.B. im Okt 1914 zur 4.KavDiv des Heeres-Kavalleriekorps 1;im Oktober 1918 wurde es aufgelöst.12 Beckh, Emil Das Reserve-Feldartillerie-RegimentNr. 6 im Weltkrieg1914/1918, S. 85.13 Gasangriffe gegen das Rgt erfolgtenz.B. am 8./9.Jan 1916 und am19.07.1916; eigener Gaseinsatz z.B.am 16./17.07.1917 (gem. Beckh, Emila.a.O., S. 148, 162, 235 u. 279 .14 Beckh, Emil a.a.O., S. 193.übernahm die LMK Nr. 35. Bei seinenEinsätzen hat er sich wiederholt alshervorragender Frontsoldat mit überdurchschnittlichenLeistungen bewährt.1912 war ihm die Prinzregent-Luitpold-Medaille verliehen worden,und bereits im Dezember 1914 wurdeer – vermutlich im Kampf um die flandrischenOrte Wijtschate und Mesen(südlich Ypern) gegen die 4. britischeDivision – mit dem (Preußischen) EisernenKreuz 2. Klasse und 1917 mitdem bayerischen Militär-Verdienstkreuz1. Klasse 15 ausgezeichnet. SeinRegiment hatte ihn offenbar auch zumEK 1 – es galt im Gegensatz zur „vaterländischen“(= bayerischen) als„fremde“ Auszeichnung – vorgeschlagen.Allerdings wurde 1942 auf AnfrageKohls geantwortet, es lägen darüberkeinerlei Unterlagen mehr vor undein Vorschlag wäre vom Reichwehr-Gruppenkommando 4 am 29.11.1919abschlägig beschieden worden; 16 imFrieden werden Bedeutung und Leistungder Logistik schnell vergessen.Dabei wird die Tapferkeit der <strong>Soldaten</strong>der Munitionskolonnen in vielen Regimentsgeschichtenlobend erwähnt:„Ohne Rücksicht auf das feindlicheFeuer sind ihre Mun(itions)-Wagen bisin die Batteriestellungen vorgefahrenund haben die dringend erforderlicheMunition gebracht.“ 17Der Munitionsverbrauch der Artilleriewar beträchtlich: der einerFeldkanone lag 1917 pro Jahr bei168.323 Granaten und 6.170 Gasgranatenund der einer leichten Feldhaubitzebei 77.911 Granaten und 1.387Gasgranaten. 18 Die LMK übernahmendie Munition zumeist direkt von denMunitionszügen. Ab Mitte November1918 marschierte der Verband vonHans Kohl, er war inzwischen Chefeiner Munitionskolonne – in den Frie-15 1866 durch König Ludwig II. gestiftet;bis 1905 gab es nur das MVK. Von 1905bis 1913 gab es – neben Großkreuz,Großkomtur, Komtur und Ritterkreuz– eine 1. und 2. und später noch die 3.Klasse.16 Bescheid München vom 22.06.1942 andas WBK Ludwigshafen.17 Kollmann, Walter Kgl. Bayer. 5. FArtRgtKönig-Alfons XI. von Spanien, S. 25,und Beckh, Emil Das Reserve-Feldartillerie-RegimentNr. 6 im Weltkrieg, S.94.18 Angaben gem. Geschichte des ehem.Königlichen bayerischen 12. FArtRgt,S. 77 f.44 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


BLICK IN DIE GESCHICHTEdensstandort Landau zurück, wo erim Januar 1919 zu seiner Stammeinheit,dem 12. bayrischen Feldartillerieregimentunter OberstleutnantEduard Pfeiffer, zurückversetzt undbis Juli Führer der SicherheitskompanieWürzburg wurde. Mitte 1919wurde er durch die Abwicklungsstellenach 13 Jahren aus dem aktivenDienst entlassen. Eine Beförderungzum Leutnant ist gemäß Personalbogenbis Kriegsende nicht nachzuweisen;offenbar erfolgte diese – wie auchdie zum Oberleutnant der Reserve –erst nach dem Krieg.In Landau lernte Hans Kohl Cäcilie,die Tochter des Lehrers JosefSchnur (+ 1930) kennen. Er nahmsie zur Frau und schulte zum Steuersekretärin der bayerischen Finanzverwaltungum.ie Erzählungen meines Va-über den Ersten Welt-„Dterskrieg sind mir im Gedächtnis haftengeblieben“, 19 erinnert sich HelmutKohl. Im Herbst 1938, während derSudetenkrise, wurde Hans Kohl nurfür ein paar Tage eingezogen. Dochkaum ein Jahr später, am 31. August1939, dem Tag vor Ausbruch des 2.Weltkrieges, folgte seine dritte Einberufung:obwohl bereits 52 Jahrealt, musste der fronterfahrene Familienvaternun auch am Zweiten Weltkriegteilnehmen. Als Oberleutnantder Reserve kämpfte er zunächst mitder 13. Kompanie des Infanterieregiments485 20 im Polenfeldzug .21 DasRegiment gehörte zur 263. Infanteriedivisionunter Generalleutnant FranzKarl (1888-1964; Ritterkreuz); dieWeintrauben im Divisionswappenweisen auf ihre rheinische Herkunfthin. Im Winter 1939/40 war HansKohl kurzzeitig Kommandant einespolnischen Fleckens namens Zirats 22 .Dann ging es an die Westfront: Weihnachten1939 verbrachte er in einemBereitstellungsraum in der Eifel. Am12. Januar 1940 wurde er in den Stab19 Vernet, Daniel in: Appel, Reinhard(Hrsg.): Helmut Kohl im Spiegel seinerMacht, S. 48.20 Das Regiment war im September 1939im Wehrkreis XII (Koblenz) aufgestelltworden.21 siehe: Kohl, Helmut: Erinnerungen1930-1982, S. 32.22 Die geografi sche Lage dieses Dorfes warnicht zu ermitteln.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010des Infanterie-Ersatzbataillons 485versetzt und blieb dort bis zum 15.August. Während des Westfeldzugesdiente er zunächst im Infanterie-Ersatz-Regiment263 unter Oberst GüntherPlehn, dessen Stab ab Juli 1941als Besatzungstruppe nach Commercyin Lothringen, südlich von Verdun,verlegt wurde. Ende Mai 1942 wurdeKohl, inzwischen zum Hauptmannbefördert, als Fürsorgeoffizier zumLandesschützen-Ersatz-Bataillon 12versetzt. Dieser Verband – im März1940 in Wiesbaden aufgestellt – unterstandab August 1940 der 172.Division unter Generalleutnant KurtFischer (1877-†) und stellte die Sicherungstruppeim westpreußischenGotenhafen (Gdingen). Wegen einesHerzleidens wurde Hans Kohl imWinter 1943/44 aus der Wehrmachtentlassen, jedoch 1945 in den letztenKriegswochen als Chef einer Volkssturmkompaniedes WehrersatzbezirksMannheim in Friesenheim einviertes Mal reaktiviert. Die Einheit– ihr <strong>Auftrag</strong> bestand in allgemeinenSicherungsaufgaben in unmittelbarerHeimatgegend – kam allerdings nichtmehr zum Einsatz. Hans Kohl hatteseine „<strong>Soldaten</strong>“ mit der Feststellung,der Krieg sei aus, nach Hausegeschickt und damit selbst demobilisiert.Diese Handlung zeugt von großemMut, denn selbst als das Ende desKrieges erkennbar war, haben nichtwenige – von Standgerichten abgeurteilt– ähnlich aufrechte Handlungenmit dem Leben bezahlt.Wahrscheinlich aus eigener Erfahrunghatte Vater Hans seinem SohnWalter (1926-1944) geraten, Reserveoffizierzu werden. Und so meldetesich dieser 1943 mit siebzehn Jahrenzur Luftwaffe und wurde zum Fallschirmjäger-Regiment9 versetzt, daszunächst unter Führung von HauptmannBodo Göttsche im Januar 1944in Reims aufgestellt worden war. DasRegiment – der 3. Fallschirmjäger-Division unter Generalmajor WalterBarenthin (1888-1959) unterstellt –wurde nach nur kurzer Grundausbildungzunächst zur Sicherung des dortigenHafens in den Raum Brest verlegt,aber von dort am 7. Juni 1944,einen Tag nach dem „D-Day“, derLandung der Alliierten in der Normandie(„Operation Overlord“), an dieInvasionsfront um St. Lo ins Zentrumdes alliierten Ringens um die Ausdehnungdes Brückenkopfes geworfen.Nach schweren Abwehrkämpfenim Rahmen des II. Fallschirmkorpsunter Generalleutnant Eugen Meindl(1892-1951; Eichenlaub) gegen diein Stärke und Ausrüstung weit überlegenenalliierten Landungstruppen,die zudem Lufthoheit besaßen, wurdedas kampfunerfahrene RegimentSchritt für Schritt zurückgedrängt undacht Wochen später im Kessel vonFalaise fast vollständig aufgerieben.Walter Kohl zählte zu den wenigen,die – wenngleich schwer verwundet –noch herauskamen. Doch was sich alsGlück erwies, kehrte sich wenig späterins Gegenteil: Nach seiner Genesungim September 1944 kam WalterKohl mit dem Dienstgrad Fallschirmjägerin den Stab der II. Abteilung seinesFallschirmjägerregiments unterOberst Hellmut Hoffmann zunächst andie deutsch-holländische Grenze, wodas Regiment neu aufgestellt wordenwar. Wenige Wochen danach – am 19.November 1944 – fiel er in Haltern amSee,15 km südwestlich von Münster,nur ein halbes Jahr vor Kriegsendebei einem Tieffliegerangriff. Ein britischerBomber – von der Flak abgeschossen– hatte beim Absturz einenStarkstrommast umgerissen, der denjungen <strong>Soldaten</strong> erschlug. HelmutKohl war vierzehn, als er erfuhr, dasssein Bruder mit nur achtzehn Jahrengefallen war.„Der Tod meines Bruders verursachtebei mir einen tiefen Schock“ 23 ,schreibt er. Kohls Familie gehörte zuden vielen, die einen beträchtlichenBlutzoll in den beiden großen Kriegendes 20. Jahrhunderts gezahlt haben.Onkel Walter, der Bruder vonHelmut Kohls Mutter Cäcilie, warals Student im Ersten Weltkrieg gefallen.Einer der beiden Brüder vonKohls erster Frau Hannelore starb alsSoldat an den Folgen der Ruhr. Vordiesem persönlichen Hintergrund istdie Haltung Kohls zu verstehen, nichtan Siegesfeiern der Alliierten in derNormandie teilzunehmen, hätte ihndies doch wieder unmittelbar mit demSchicksal seines Bruders in Berührunggebracht.Im Spätherbst 1944 wurde HelmutKohl als Hitlerjunge in ein sog. „Wehr-23 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1930-1982, S. 37.45


BLICK IN DIE GESCHICHTEertüchtigungslager“ nach Berchtesgadenverschickt und mit 14 Jahren zumLuftwaffenhelfer ausgebildet. NebenSchulunterricht stand auch vormilitärischeAusbildung auf dem Lehrplan.Einen Monat vor Kriegsende– an seinem 15. Geburtstag, dem 3.April 1945 – wurden die Jungen dortvom Reichsjugendführer Arthur Axmann(1913-1996) vereidigt. Am 25.April 1945 wurde Berchtesgaden vonüber 300 alliierten Lancaster-Flugzeugenangegriffen. Kohl überlebteden Bombenhagel. Zusammen mit einigenanderen Jungen verließ er dasin Auflösung befindliche Lager undschlug sich zu Fuß in mehreren Wochenüber 400 km nach Ludwigshafenin die Heimat durch – eine beachtlicheLeistung. Glück hatten sie obendrein,dass sie nicht einer fanatischenStreife in die Hände gefallen waren.Bereits am 5. Mai 1945 hatte die 7.US-Armee unter General George S.Patton (1885-1945) das zerbombteLudwigshafen eingenommen. Als dieJungen zu Hause ankamen, war derKrieg endgültig vorüber.Zunächst begann der Fünfzehnjährigeeine landwirtschaftliche Lehre,kehrte aber nach wenigen Monatenauf die Schulbank zurück. Noch währendder Schulzeit trat er in die CDUein und war einer der Mitbegründerder Jungen Union in Rheinland-Pfalz.1950 bestand Kohl die Reifeprüfungin Ludwigshafen und nahm danachim Wintersemester 1950/51 sein Studiumin Frankfurt mit SchwerpunktRechtswissenschaft und Geschichteauf. 1958 promovierte er mit demThema „Die politische Entwicklungin der Pfalz und das Wiedererstehender Parteien nach 1945“ zum Dr. phil.Als die Bundeswehr 1955 gegründetwurde, war Kohl bereits im 25. Lebensjahrund gehörte damit zu densog. „weißen Jahrgängen“, die wegenihres fortgeschrittenen Alters nichtmehr zum Wehrdienst herangezogenwurden. Kohl hat die Aufstellung derBundeswehr begrüßt und unterstützt,doch er sagt dies nicht eindeutig, sondernumschreibt sie mit den Worten,er habe den „außen- und innenpolitischenKurs Konrad Adenauers … alsStudent voller Sympathie“ 24 begleitet.Bei der grundsätzlichen Frage nach24 Kohl, Helmut, a.a.O., S. 85.einer Wiederbewaffnung bleibt Kohlunklar und stellt einschränkend fest,„die Notwendigkeit eines Wehrbeitragesbereitete unserer Partei auch inder Pfalz einige Probleme, ...“In der Familie von Kohls erster FrauHannelore (1933-2001; geb. Renner)gab es keine militärische Tradition.Schwiegermutter Irene Renner(1897-1980; geb. Merling) 25 stammteaus einer Bremer Anwaltsfamilieund Schwiegervater Wilhelm Renner(1890-1952), ein Elektroingenieur,aus einer Bauernfamilie in der Pfalz.Während des Ersten Weltkrieges hatteer als Ingenieur bei der Fliegertruppein der Erprobungsabteilung fürFunk- und Funktelegraphie gearbeitetund war im Zweiten Weltkrieg alsKonstruktionsingenieur Betriebsdirektorder Hugo Schneider AG (HA-SAG), einem großen Rüstungsunternehmen,das u.a. Panzerfäuste produzierte,„unabkömmlich“ (u.k.) gestellt.Hannelore Kohl erlebte als Elfjährigein ihrem sächsischen Wohnort Döbelnim letzten Kriegswinter 1944/1945beim Bahnhofsdienst, den sie jedezweite Woche leisten musste, Leidund Schrecken des Krieges. Das jungeMädchen half beim Bergen von Totenund bei der Versorgung der Verwundeten,die per Bahn von der Front eintrafen.Mutter Irene wurde in einem Werkam Fliesband kriegsdienstverpflichtet.Später floh sie mit ihrer Tochterin den Westen.zog Kohl als Ministerpräsidentin die Mainzer1969Staatskanzlei; seine Eltern erlebtendies noch. Kohls Bundesland Rheinland-Pfalz– im Falle eines Krieges inder rückwärtigen Kampfzone gelegen– wies eine hohe Dichte deutscherund alliierter <strong>Soldaten</strong> auf. Letzterespielten eine bedeutende Rolle bei derEntwicklung des Landes, waren dochüber lange Jahre bis zu 69.000 USundca. 30.000 französische <strong>Soldaten</strong>,viele mit ihren Familien, dort stationiert.Rheinland-Pfalz war der wichtigstePfeiler der NATO-Luftverteidi-25 Sie hatte zwei Brüder und eineSchwester Ilse (1895-1996), die unterdem Künstlernamen Ilse Marwenkaals Operettenstar in Berlin auftrat.1933 wanderte sie in die USA aus undheiratete einen amerikanischen Offizier;beide sind in Arlington begraben.gung in Mitteleuropa und beherbergtezahlreiche Logistikeinrichtungen.Kohl nannte sein Bundesland einmalden „Flugzeugträger der NATO“. GroßeGarnisonen wie Koblenz und Trier,Flugplätze und Truppenübungsplätzewie Ramstein und Baumholder gehörtendazu. Koblenz – mit dem Stab desIII. Korps und später des Heeresführungskommandos,dem Zentrum InnereFührung, dem Bundeswehr-Zentralkrankenhaus,die Panzerbrigaden14 (alt) und 15 und zahlreichen Korpstruppen– war bis Ende der 1980erJahre die größte Garnisonsstadt Europas.Baumholder war der größteUS-Standort in Deutschland und Trierzeitweise nach Paris die größte Garnisonfranzösischer Truppen. In derLandeshauptstadt Mainz lag der territorialeStab des WehrbereichskommandosIV mit insgesamt sieben VBK,davon den drei in Rheinland Pfalzstationierten VBK 41 (Koblenz), 42(Trier) und 45 (Neustadt a.d.W.), sowiedem Heimatschutzkommando 16(ab 1981 Heimatschutzbrigade 54) inZweibrücken. Kohl erlebte in seinerAmtszeit als Ministerpräsident insgesamtfünf Befehlshaber. 26Trotz der sieben Jahre als Landesvaterfindet die Bundeswehr imersten Band von Kohls Erinnerungender Jahre 1930 bis 1982 keine direkteErwähnung. Nur auf einer Fotografieaus dem Jahre 1973 ist HelmutKohl im Manöver bei französischenStreitkräften zu sehen. 27 Kohl war alsMinisterpräsident wiederholt auchzu Gast bei in seinem Bundeslandstationierten US-Truppen; von einerTeilnahme an Veranstaltungen derBundeswehr hingegen wie Empfängen,Biwaks und Bällen, wird nichtsberichtet. Erwähnung findet nur dassseine Frau Hannelore, wohl auch wegenihrer exzellenten Sprachkenntnisse,in diesen Jahren gute Kontaktezu den amerikanischen und französischen<strong>Soldaten</strong> und deren Familienpflegte. 28 Allerdings betonte Kohl26 Die Generalmajore Christian Schaeder1964-1969; Karl-Theodor Molinari1969-1970; Günther Reischle 1970-1971; Achim Oster 1971-1973 undErnst-Ulrich Hantel 1973-1976.27 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1930-1982, S. 396.28 Kujacinski, Dona & Kohl, Peter:Hannelore Kohl Ihr Leben, S. 116.So verzeichnet z.B. die Chronik des46 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


BLICK IN DIE GESCHICHTEbeim ersten Besuch der Bundeswehrals Kanzler 1982 in Koblenz, er wäremit den Problemen der Streitkräfteschon als Ministerpräsident vertrautgewesen. So hatte er am 13. August1975 das WehrbereichskommandoIV unter Generalmajor Ernst-UlrichHantel (1916-2003) und dabei aucheine Wehrübung mit Reservisten besucht.Ein Jahr später, am 11. Juni1976, informierte er in Begleitungdes CDU-Abgeordneten Dr. ManfredWörner (1934-1994) und des Generalsder Kampftruppen, GeneralmajorFritz Birnstiel (* 1918), an derKampftruppenschule II in Munsterunter Brigadegeneral Hans-JoachimMack (1928-2008).Am 1. Oktober 1982 wurde HelmutKohl nach sechs Jahren alsOppositionsführer im Zuge eineskonstruktiven Misstrauensvotums –„durch Genschers fliegenden Wechselunverhofft zur Macht gekommen“,schrieb der „Spiegel“ 29 – durch denBundestag zum sechsten Kanzler derBundesrepublik Deutschland gewählt.Am Tag nach der Wahl seinesVaters zum Kanzler trat sein ältesterSohn Walter (* 1963) seinen Dienstals Soldat auf Zeit (SaZ 2) in der Bundeswehran. Später folgte auch derjüngere Bruder. Nach Peter Kiesingerwar es das zweite Mal, dass die Söhneeines Bundeskanzlers Wehrdienstleisteten und sogar Reserveoffizierewurden. Zu dieser Zeit der NATO-Nachrüstung war dies auch ein persönlichesSignal. Walter Kohl dientein der 2. Kompanie des Jägerbataillons542 30 in der Saarpfalz-Kaserneim saarländischen Bexbach und verbrachte,soweit nicht auf Lehrgängen,seine gesamte Dienstzeit in dieserEinheit – zuerst als Rekrut, späterals Gruppenführer und StellvertretenderZugführer. Kompaniechef warenzunächst Hauptmann SiegfriedWolf (* 1951; später Oberst) und abApril 1983 Oberleutnant Norbert Falkowski,und als Kompaniefeldwebeldie Hauptfeldwebel Karl-Heinz Solibieda(* 1947; bis April 1984) undJagdbombergeschwaders 33 in Büchelzwar Besuche der rheinlandpfälzischenMinisterpräsidenten Dr. Vogel (1978)und Dr. Wagner (1989), aber keinen vonDr. Kohl.29 Spiegel Nr. 50/82 v. 13.12.1982, S. 28 f.30 Das Bataillon wurde 1996 aufgelöst.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Klaus Louia (* 1947). Kommandeurdes Jägerbataillons war OberstleutnantKarl-Christoph von Stünzner-Karbe (* 1939; später Oberst) undKommandeur der vorgesetzten Heimatschutzbrigade54 in Trier OberstBild 2: Helmut Kohl besucht als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz am13. August 1975 das Wehrbereichskommando IV unter GeneralmajorErnst-Ulrich Hantel (1916-2003). Während einer Gefechtsübung mitReservisten lässt er sich ins Manövergelände einweisen; links HorstTeltschik, seit 1972 Referent in der Mainzer Staatskanzlei. Seitdem zähltTeltschik zum engsten Beraterkreis von Kohl, war maßgeblich an dendeutsch-deutschen Verhandlungen der Wendezeit und der DeutschenWiedervereinigung beteiligt; T. leitete von 1999 bis 2008 die MünchnerSicherheitskonferenz.Eberhard Wetter (* 1932; später Brigadegeneral).Walter Kohl war einumgänglicher und engagierter Soldat,der rasch Vertrauen und Anerkennungseiner Kameraden gewannund deshalb zum Vertrauensmann gewähltwurde. Seine Prominenz brachteihm allerdings Nachteile: So berichteteer – zu Recht wenig begeistert– von seiner Abschlussprüfungals Reserveoffizier im Herbst 1984 ander Kampftruppenschule 1 in Hammelburgunter Brigadegeneral GerhardOhm (1924-1990) als Schulkommandeur:„Normalerweise war es inHammelburg so, dass ein Reserveoffiziersanwärtervon ein oder zwei Offizierengeprüft wurde. In meinem Fallwar das anders. Ich hatte die zweifelhafteEhre, nicht nur von fünf Stabsoffizieren,sondern auch noch gleich inGegenwart von zwei Generälen geprüftzu werden. Es waren wieder einmal unglaublichverschärfte … unfaire Prüfungsbedingungen.“31Dass die Anforderungen tatsächlicherhöht wurden, erscheint fraglich,aber Walter Kohl empfand diesso. Bei diesem Andrang höherer Offizierehandelte es sich um Servilitätgepaart mit Neugier. Die ElternKohl bemühten sich, das öffentlicheInteresse vom Dienst ihres Ältestenfernzuhalten. Daher besuchten sieihn zwar nicht im Standort, nahmenaber aus der Distanz großen Anteil anseinem Dienst. So empfing der Kanzlerim März 1984 die Offiziere undUnteroffiziere der 2. Kompanie desBataillons 542 – einschließlich desFähnrichs Kohl – im Kanzleramt, alsdieses im Rahmen einer Weiterbildungdie Bundeshauptstadt besuchte– eine große Auszeichnung. Am 30.September 1984 wurde Walter Kohlals Fähnrich entlassen und ein Jahrspäter zum Leutnant der Reserve befördert.In einem Interview sagte erJahre später: „Mein Name hat mich oftfast erdrückt.“ Auch Peter (* 1965),31 Kujacinski, Dona & Kohl, Peter a.a.O.,S. 193 f.47


BLICK IN DIE GESCHICHTEder zweite Sohn, ging zur Bundeswehrund verpflichtete sich als Reserveoffizieranwärter(ROA) und Soldat aufZeit für zwei Jahre. In der Traditionseines gefallenen Onkels Waltermeldete er sich zu den Fallschirmjägern.Kohls Fahrer Eckhard Seeber(* 1938), der von 1956 bis 1960 alsStabsunteroffizier in der 1. Luftlandedivisiongedient hatte, dürfte diesenEntschluss auch beeinflusst haben.„Ecki hatte seinen Beruf bei Offizierender Bundeswehr gelernt“. 32Am 1. Juli 1985 trat Peter Kohlseinen Dienst im Fallschirmjägerbataillon263 unter Oberstleutnant PeterMorscheid (bis März 1987) in derGraf-Werder-Kaserne in Saarlouis 33an. Der Verband gehörte zur Luftlande-Brigade26 „Saarland“ unter BrigadegeneralFridolin („Fritz“) Eckert(1935-2004). Zunächst durchlief erdie Grundausbildung in der 5. Kompanieunter Hauptmann John Müllerund Hauptfeldwebel Kaiser als Kompaniefeldwebel.Nach der Vollausbildungin der 2. Kompanie unter OberleutnantViktor Schicker und HauptfeldwebelGerhard Sterzenbach wurdeer zu seiner Stammeinheit, der 3.Kompanie, unter Hauptmann ArminBirk und Hauptfeldwebel WolfgangLeiser versetzt. In dieser Zeit absolvierteer den ROA- und den Fallschirmspringerlehrgangin Altenstadt,wo er das Fallschirmspringerabzeichenin Bronze erwarb. Am Ende seinerDienstzeit hatte er mehr als 25Sprünge und trug das Springerabzeichenin Silber. Im April 1987 übernahmOberstleutnant Hans-HeinrichDieter (* 1947; später Generalleutnant)das Bataillon. Ein Vierteljahrspäter, am 30. Juni 1987, schied PeterKohl als Leutnant der Reserve aus.Auch an der Dienstzeit ihres zweitenSohnes nahmen die Eltern nur ausder Distanz Anteil, um Medienrummelvon ihm fernzuhalten. Doch amWochenende erzählten – wie überall– die Söhne ihren Eltern über ihre Erlebnisse„beim Bund“: „Meine Söhnewussten eine Menge über Mängel beider praktischen Bundeswehrausbil-32 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1930-1982, S. 168.33 Das Bataillon wurde 1982 aufgestellt;seit 1994 ist es in Zweibrücken stationiert.Ab November 1985 bis Juli 1998gehörte das Bataillon zur multinationalenAllied Mobile Brigade (AMF (L).dung zu berichten, und ich brachtealles jeweils in der darauffolgendenKabinettssitzung zur Sprache“. 34Somit gelangten Informationenaus der Truppe – auch wenn es nurAusschnitte und individuelle Erfahrungenwaren – verzugslos und „unfrisiert“durch Zwischenebenen direktin die Kabinettssitzungen. „Es mussManfred Wörner schon sehr gefuchsthaben, wenn ich manchmal mit Berichtenüber Unzulänglichkeiten imHeer und bei der Luftwaffe ankamund erzählte, was die <strong>Soldaten</strong> bedrückte:…“ 35Mutter Hannelore Kohl erlebtedie insgesamt vier Jahre Bundeswehrzeitihrer beiden Söhne mit all denBelastungen, die die meisten Müttervon Wehrpflichtigen kennen – vomWaschen und Bügeln der Uniformenbis zum Lernen der Dienstgradabzeichen.1987 verlieh ihr die amerikanische„First Lady“ Nancy Reagan inWashington den „International ServiceAward“, eine Auszeichnung der„United Services Organisation“ undwürdigte damit deren Engagement für34 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990, S. 240 f.35 Ebenda.die Familien der in Deutschland stationiertenUS-<strong>Soldaten</strong>. In ihrer Dankesredeerwähnte Hannelore Kohlihre Erfahrungen „als Mutter von zweiSöhnen, die in der Bundeswehr gedienthaben.“Bild 3: Ministerpräsident Kohl zu Besuch bei der Panzertruppenschulein Munster 1976; rechts von ihm der damalige Verteidigungsexperteder CDU Dr. Manfred Wörner, Brigadegeneral Hans-Joachim Mack,der Schulkommandeur, und Generalmajor Fritz Birnstiel, General derKampftruppen im HeeresamtNach seiner ersten Wahl bekannteKohl sich in seiner Regierungserklärungam 13. Oktober 1982uneingeschränkt in der außenpolitischenKontinuität seines VorgängersSchmidt stehend zum NATO-Nachrüstungsbeschluss,bei gleichzeitigerErneuerung der Grundlagen der deutschenAußen- und Sicherheitspolitik.Mit dem Bündnis als einen Kernpunktdeutscher Staatsräson wollte er seineBemühungen als „eine Politik für dieFreiheit, ¼ für den Frieden in Europaund weltweit, … für das Selbstbestimmungsrechtdes ganzen deutschenVolkes, … für die Einigung Europasund … für die Menschenrechte undgegen Hunger und Not“ gestalten.Frieden schaffen ohne Waffen nannteer einen „verständlichen Wunsch, einenschönen Traum“, aber es wäre vorallem „eine lebensgefährliche Illusion“.Frieden schaffen nur durch Waffenwäre tödliche Verblendung. DieAufgabe unserer Zeit hingegen wäre48 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


BLICK IN DIE GESCHICHTE„Frieden schaffen mit immer wenigerWaffen.“ Dieses Ziel wurde erreicht.In seiner Rede auf dem Parteitag derCDU in Hamburg am 1. Oktober 1990sagte er dazu in der Rückschau: „Voracht Jahren, nach Übernahme der Regierungsverantwortung,habe ich meineAußen- und Sicherheitspolitik unterdas Motto gestellt: Frieden schaffenmit weniger Waffen. Heute können wirganz einfach sagen: Wir haben Wortgehalten.“Zur Bundeswehr fand Kohl Worte,die lange nicht mehr gehört wordenwaren: „Der Dienst in der Bundeswehrist Friedensdienst und damitein Ehrendienst. … Die allgemeineWehrpflicht ist für unsere Verteidigungunerlässlich. … Wir werden dafür sorgenmüssen, dass die Lasten für dieLandesverteidigung gerechter verteiltwerden.“Nur wenige Monate später, am 6.März 1983, kam es zu vorgezogenenNeuwahlen, bei denen CDU/ CSUzwar die absolute Mehrheit verfehlten,aber mit fast 49 Prozent ein herausragendesWahlergebnis einfuhren.Es war ein Votum für den außen- undsicherheitspolitischen Kurs HelmutKohls und zugleich eine nachträglicheBestätigung der EntscheidungHelmut Schmidts.Am 29. März 1983 wurde Kohl zum2. Mal, und nach der gewonnenenWahl 1987 zum 11. DeutschenBundestag am 11. März zum drittenMale Kanzler. Am 17. Januar 1991– nach den ersten gesamtdeutschenWahlen zum 12. Bundestag im Dezember1990 – wurde er zum viertenMal gewählt – zum ersten Kanzler desvereinten Deutschlands. Schließlichfolgte am 15. November 1994 einfünftes Mal: nach den Wahlen zum13. Bundestag. In den fünf KabinettenKohl dienten – einschließlich desKanzlers – insgesamt 57 Minister (davon10 Damen); 14 von ihnen habenals Soldat in Wehrmacht, Bundeswehrbzw. NVA Dienst geleistet.Kohls 16-jährige Amtszeit kann inzwei, beinahe gleich lange Abschnitteunterteilt werden. Der erstestand noch im Zeichen des KaltenKrieges, des NATO-Doppelbeschlussesund der Ost-West-Konfrontation,der zweite ab Ende 1989 im ZeichenAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010der Wiedervereinigung, der NeuordnungOsteuropas und der beginnendenethnischen Konflikte auf demBalkan. Für die Bundeswehr brachtendiese Jahre einschneidende Veränderungen.Erstens wurden – nochbehutsam – die Weichen für die erstenAuslandseinsätze der Bundeswehrgestellt. Während des 2. Golfkrieges1991 stand das gerade wiedervereinteDeutschland militärisch noch abseits;Genscher, oberster Gestalterdeutscher Außenpolitik, zahlte lieber.Doch dann folgten Kambodscha, Somaliaund der Balkan. Mit der Wiedervereinigungstand die Bundeswehrvor der einmaligen Aufgabe derÜbernahme der Nationalen Volksarmee.Drittens schließlich folgte derstrukturelle Übergang in die militärischeMultinationalität des Heeres 36und parallel vollzog sich ein massiverAbbau der Truppenstärke; dieBundeswehr halbierte sich nahezu.Am 22. Januar 1988 wurde in Parisdie Schaffung einer deutsch-französischenBrigade konkretisiert und dieEinrichtung eines gemeinsamen Verteidigungsratesbeschlossen. 37 Späterwurden weitere Großverbände desHeeres in multinationale Strukturender NATO eingegliedert. Obwohl alledrei Zäsuren beispiellos waren, wurdensie von Politik und Militär weitgehenderfolgreich gemeistert. Dabeiwar die Stimmung der Truppe indieser Zeit des Umbruchs diffus. Derneue <strong>Auftrag</strong> nach dem Zusammenbruchdes kommunistischen Osteuropasund die deutsche Enthaltsamkeitam 2. Golfkrieg 1990/91, rührtenam Selbstbewusstsein der Armee.Das damalige Motto der Bundeswehr„wir produzieren Sicherheit“ galt überNacht nicht mehr, und neue Aufgabenwaren noch nicht gefunden.„Kohl und Waigel (= Finanzministerim Kabinett Kohl) kennen dieBundeswehr vornehmlich aus derenParadefunktion bei Staatsbesuchen“,38urteilt Helmut Schmidt. Gestütztwird dieses negative – gleichwohlüberzogene – Urteil auch dadurch,36 Bei Luftwaffe und Marine bestand sieseit langem.37 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990, S. 608. Die Bildung einergemeinsamen Brigade war bereits am13.11.1987 beschlossen worden.38 Schmidt, Helmut: Handeln für Deutschland,S. 168.dass es in der Bibliografie HelmutKohls 39 – im Gegensatz zu seinemVorgänger – nahezu keine Veröffentlichungenüber das Thema Sicherheitspolitikgibt. Andererseits gabes in der Ära Kohl, wie bereits angedeutet,– fundamentale Veränderungenim deutschen Militärwesen – sowohlin den politischen Grundzügenals auch bei der Bundeswehr, die derKanzler maßgeblich beeinflusst hatte.Als Sohn eines ehemaligen <strong>Soldaten</strong>,war Kohl – wie Adenauer – als konservativerPolitiker per se ein Befürworterdes Militärs.„Zur Bundeswehr habe ich auchein emotional begründetes Verhältnis.Mein Vater war Offizier im Ersten Weltkrieg.… In unserer Familie herrschteeine soldatenfreundliche Atmosphäre,auch von Seiten meiner Mutter. … Mitgroßer Sympathie habe ich die Arbeitder Bundeswehr begleitet und ihrenmilitärpolitischen <strong>Auftrag</strong> nachhaltiggefördert. Ob Wehrpflichtige oderGeneräle – mit <strong>Soldaten</strong> aus allenDiensträngen habe ich viele Gesprächegeführt.“ 40Dies wird ohne Abstriche auchvon den befragten Gruppenleiternim Kanzleramt bestätigt: Seine „Einstellung… gegenüber den <strong>Soldaten</strong>und ihren Familien war im höchstenMaße von Verantwortung und Fürsorgegeprägt“, schrieb einer von ihnen.Doch diese positive Beziehungzur Bundeswehr wird dem Leser vonKohls „Erinnerungen“ nicht deutlich.Im ersten Band, der die Jahre1930 bis 1982 beschreibt, wird dieBundeswehr nur einmal erwähnt, obgleichin diesem langen Zeitraum dieGründung der Armee und Kohls Zeitals Ministerpräsident und Oppositionsführerfällt. Im 2. Band seiner Erinnerungenvon 1982 bis1990 41 ist derBundeswehr unter dem Titel „Lieblingskind“das 33. Kapitel gewidmet.Darin skizziert er die Geschichte derBundeswehr; sie liest sich wie dienüchterne, distanzierte Abhandlungdes Historikers Kohl: „Die Entscheidunggegen Wehrdienst … kann immernur die Gewissensentscheidung39 hrsg. durch die Konrad-Adenauer-Stiftung.40 Kohl, Helmut Mein Tagebuch 1998-2000, S. 27.41 Kohl, Helmut Erinnerungen 1982-1990,S. 396 ff.49


BLICK IN DIE GESCHICHTEdes Einzelnen sein. Sie kann nicht zurMaxime für die Politik unseres Staateserhoben werden. Niemand von uns hatdas Recht, unserer Republik … aufzuerlegen,waffenlos zu sein.“ 42Zwar betont er: „Auf unsere <strong>Soldaten</strong>können wir stolz sein“, doch imText wird diese Zuneigung nicht deutlich.Zwar spricht Kohl sehr häufigvon „unserer Bundeswehr“ und nenntden Wehrdienst „Ehrendienst“, docheine emotionale Seite zum Militärklingt nicht an. Kein Wort von Begegnungenmit <strong>Soldaten</strong>, keine Detailsseiner zahlreichen Besuche, keineAnekdote. Nur die Namen der Verteidigungsministerwerden genannt.<strong>Soldaten</strong> hingegen bleiben in diesemKapitel unerwähnt, und nur die Namendreier Generale der Bundeswehrtauchen auf: Neben General Dr. GünterKießling (1925-2009), dem unterder Überschrift „Kein Sicherheitsrisiko“ein eigenes Kapitel gewidmetist, 43 sind es die Generale Bastian,„ein Wortführer der ‚Friedensbewegung‘“und Steinhoff im Zusammenhangmit der Gedenkfeier in Bitburg.Generalleutnant Schönbohm 44 wirderst im Band der Jahre 1990-1994lobend erwähnt: „Zusammen mit GeneralleutnantJörg Schönbohm, demspäteren brandenburgischen Innenminister,und seinen Mitarbeitern gelangdem Minister (= Stoltenberg) eine Meisterleistung“.45 (= Auflösung/ EingliederungNVA)Die Gründung des deutsch-niederländischenKorps wird im Bandder Jahre 1990-1994 ebenso genannt,wie – im Kapitel 36 46 – die erstenAuslandseinsätze der Bundeswehr.Kohl hatte keinerlei Berührungsängstemit der Armee. Er schoss miteinem Leopard-Panzer im scharfenSchuss und gehörte zu jenen Politikern,die stets die <strong>Soldaten</strong>-Crew desLuftwaffen-Airbusses der Flugbereitschaftpersönlich begrüßten; selbst ölverschmierteHände, wie jene des Me-42 a.a.O., S. 398.43 a.a.O., S. 235-239.44 Schönbohm trat erst nach seiner aktivenZeit als Offi zier der CDU bei. Kohl warauch privat zu Gast im Hause Schönbohmim brandenburgischen Kleinmachnow,wo beide im Garten „untereiner riesigen alten Eiche“ saßen.45 Kohl, Helmut Erinnerungen 1990-1994,S. 414.46 a.a.O., S. 564 ff.chanikers Stephan Albrecht von derInstandsetzungsstaffel des Aufklärungsgeschwaders51 „Immelmann“drückte er bei einem Zwischenstoppin Bremgarten Anfang der 1990erJahre. Doch so jovial er im Umgangmit jungen <strong>Soldaten</strong> war, – so schiener – von den Generalen Naumannund von Kirchbach abgesehen – hohen<strong>Soldaten</strong> eher distanziert gegenüberzu stehen. Dieser Eindruck wirdvon vielen Betroffenen jedoch nichtgeteilt. So wurden die Inspekteurezu Antritts- und Abschiedsbesuchenempfangen und konnten dabei in denetwa halbstündigen Gesprächen unmittelbaraus ihrer Sicht vortragen.Auch hatte er wiederholt einen größerenKreis von Generalen und Admiralen– auch Divisionskommandeure– in seinen Bonner Bungalow eingeladen,und diese informellen Treffenzogen sich – gefördert durch Wein ausKohlschen Beständen – bisweilen tiefin die Nacht hin. Von den NachfolgernSchröder und Merkel sind solcheBegegnungen weder überliefert nochvorstellbar. Vielleicht fiel gerade ausdiesem persönlichen Kennen KohlsUrteil über die Generalität verhaltenaus: „Jetzt hören Sie doch wirklich auf,diese Schimäre eines Komplotts vonGenerälen an die Wand zu malen! Ichkann Ihnen nur sagen: Meine Erfahrungmit Generälen der Bundeswehrbesteht nicht darin, dass sie besonderseckig sind, sondern ich wünschte mir,dass manche mehr Ecken und Kantenhätten, um das einmal bildlich auszudrücken“.47Als im Oktober 1988 VerteidigungsministerRupert Scholz –im Rahmen eines offiziellen Besuchesvon Bundeskanzler Kohl – als ersterdeutscher Verteidigungsministerdie Sowjetunion besuchte, bestanddie kleine Delegation von Scholz nuraus Generalleutnant Schönbohm, demLeiter des Planungsstabes und GeneralmajorKlaus Naumann, dem Leiterder Abteilung Militärpolitik im Ministerium(Fü S III), sowie dem Pressesprecherund dem Adjutanten. GeneralinspekteurWellershoff flog nichtmit. Den von ihm geschätzten damaligenGeneralmajor Naumann band47 Kohl, Helmut: 9. Sitzung des DeutschenBundestages am 15.12.1994 (BulletinNr. 117/S. 1061 vom 17.12.1994).Kohl bereits als StabsabteilungsleiterFü S III in enge politische Zirkel ein,wie z.B. beim Treffen des Kanzlers mitdem stellvertretenden US-AußenministerEagleburger am Nachmittagdes 30. Januars 1990 48 , als über US-Vorschläge zur Truppenreduzierungfür die Wiener „Verhandlungen überkonventionelle Streitkräfte in Europa“(VKSE) diskutiert wurde. In derFrage der Teilnahme eines deutschenRegierungschefs alliierten Siegesfeiernstellte Kohl fest: „Es ist für dendeutschen Bundeskanzler kein Grundzum Feiern, wenn andere ihren Sieg ineiner Schlacht begehen, in der ZehntausendeDeutsche elend umgekommensind.“ 49Kohl hätte – wie erwähnt – auchaus persönlichen Gründen „niemalsan den Jahrestagen der Landung alliierterTruppen in der Normandieteilgenommen.“ 50 Diese Haltungschmälert jedoch weder sein Eintretenfür eine verstärkte militärischeZusammenarbeit noch sein Bemühenum Aussöhnung mit den ehemaligenKriegsgegnern – im Gegenteil.Insgesamt vier Verteidigungsminister– Wörner, Scholz, Stoltenbergund Rühe – waren in den fünf KabinettenKohls zwischen 1982 und 1998vertreten. Wörners Tragik liegt in seinemVerhalten in der sog. „Kießling-Affäre“, die eigentlich „Wörner-Affäreheißen müsste. Als er nach fastsechs Jahren im Amt am 1. Juli 1988als erster Deutscher Generalsekretärder NATO wurde, folgte ihm der Juristund politische Seiteneinsteiger Prof.Rupert Scholz (* 1937). Eine glücklicheWahl war es nicht: mit dem militärfernenDr. Hans Apel und demfarb- und oft hilflos scheinenden Dr.Franz Josef Jung gehört Scholz zuden drei schwächsten Verteidigungs-48 An der Besprechung mit Eagleburgerund dem stellvertretenden SicherheitsberaterGates nahmen deutscherseitsnur acht Personen teil: neben demKanzler und General Naumann, dieMinister Genscher und Stoltenberg,die Ministerialdirektoren Teltschik undHolik, sowie der Leiter des Kanzlerbürosund der Referatsleiter 212. Siehe:Dokumente zur DeutschlandpolitikDeutsche Einheit Sonderedition ausden Akten des Bundeskanzleramtes1989/90, S. 739.49 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990, S. 289.50 Ebenda. Keiner seiner Vorgänger war zueinem 6. Juni eingeladen worden.50 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


BLICK IN DIE GESCHICHTEministern. Doch bereits nach einerWoche im Amt hielt sich Scholz füreinen militärischen „Fachmann“ –sprich: war beratungsresistent. Der„Spiegel“ schrieb „mit politischemInstinkt wäre er nicht gerade gesegnet“.Scholz selbst sagte zu seinerWahl: „Kohl hat mich … gefragt, obich mir vorstellen könnte, dies zu machen.…, er würde gerne jemanden haben,der bereit wäre, unabhängig und… unbefangen mögliche neue Konzeptionenin der Sicherheitspolitik zuentwickeln. … Ich habe die Zeit aufder Hardthöhe, … in einer sehr, sehrguten, … in einer sehr dankbaren Erinnerung.“51Nach dem Tod von Franz JosefStrauß kam es zu einer Kabinettsumbildung.Scholz übergab nach nur elfMonaten im April 1989 die BefehlsundKommandogewalt an Dr. GerhardStoltenberg, den letzten Verteidigungsminister,der noch Soldat inder Wehrmacht gewesen war. Dochder Kanzler hielt ihn nicht, als er dreiJahre später im Frühjahr 1992 wegeneiner Lieferung von 15 Panzernan die Türkei unter Druck geriet. 52Nachfolger Rühe war mit sechseinhalbJahren der bisher dienstältesteVerteidigungsminister. Zwar selbstkein Vorbild für zeitgemäße Menschenführung,besaß er aber innerparteilichenEinfluss.Fünf Generalinspekteure standenwährend der Amtszeit Kohls ander militärischen Spitze der Bundeswehr:Brandt, Altenburg, Wellershoff,Naumann und Bagger. Der SPD-naheJürgen Brandt blieb nach dem RegierungswechselSchmidt-Kohl nurwenige Monate bis zu seiner PensionierungEnde März 1983 auf Posten.Auch Hartmut Bagger, der letzteGeneralinspekteur unter Kohl,wurde nach dem Regierungswechsel1998 nicht sofort ausgewechselt.Kohls Wertschätzung für Altenburg51 Interview mit Werner Siebeck im„Alpha-Forum“ des Bayerischen Rundfunksam 20.03.199852 Bereits 1991 geriet Stoltenberg inBedrängnis, als er Panzer aus NVA-Beständenan den israelischen GeheimdienstMossad liefern wollte. Die Aktionder als „landwirtschaftliche Geräte“getarnten Fahrzeuge wurde gestoppt.Die Lieferung der Panzer an die Türkeihingegen hatte der Haushaltsausschussausdrücklich untersagt und die Mitteldafür gesperrt.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010und Naumann kam auch dadurchzum Ausdruck, dass beide nach ihrerDienstzeit in der Bundeswehr zuVorsitzenden des Militärausschussesder NATO berufen wurden.Horst Teltschik (* 1940; s.a. Abb.S. 47), der wichtigste außenpolitischeBerater Kohls und Leiter der Abteilung2 im Kanzleramt bis 1991, 53 hattevon 1960 bis 1962 als Zeitsoldat(SaZ 2), zuletzt als Leutnant, beimdamaligen Panzerbataillon 54 54 unterOberstleutnant Weidemann in derPommernkaserne im nordhessischenWolfhagen gedient. Die Gruppe 23im Kanzleramt, die Teltschik unterstand,wurde zunächst von Kapitän53 Nach dem Ausscheiden Teltschiks wurdeMinDir Joachim Bitterlich (* 1948)dessen Nachfolger und blieb dies bis1998. Danach war Bitterlich Botschafterbei der NATO (1998/99) und in Madrid.2002 wurde er mit nur 54 Jahren in deneinstweiligen Ruhestand versetzt.54 1981 in PzBtl 64 umbenannt.z.S. Ulrich Weißer (* 1938), dannvon Oberst i.G. Wilfried Scheffer (*1939; später Brigadegeneral), Kapitänz.S. Rudolf Lange (* 1941; späterKonteradmiral) und den OberstenBild 4: Eine Seite aus dem Gästebuch dokumentiert den Besuch vonBundeskanzler Helmut Kohl beim Zentrum Innere Führung 1982 in Koblenz;links Verteidigungsminister Manfred Wörner, rechts Brigadegeneral DieterClauß, der Kdr ZINFü.i.G. Dieter Schuster (* 1946; späterBrigadegeneral) und Gertmann Sude(* 1949; später Generalmajor) geleitet.Nur wenige Wochen nach seinerAmtsübernahme stand für den neuenBundeskanzler, begleitet von VerteidigungsministerDr. Manfred Wörnerund Heeresinspekteur MeinhardGlanz (1924-2005; Freitod), der ersteTruppenbesuch auf dem Programm.Am 29. November 1982 reiste er insnahe Koblenz, wo er das Zentrum fürInnere Führung unter SchulkommandeurBrigadegeneral Dieter Clauß(* 1934; später General) und Truppenteileder Panzerbrigade 15 unterOberst Werner von Scheven (*1937; später Generalleutnant) in derFritsch-Kaserne besuchte. <strong>Soldaten</strong>51


BLICK IN DIE GESCHICHTEder Panzerbataillone 153 und 154(Westerburg) führten dem Kanzler aufdem Standortübungsplatz Gefechtsausschnittevor. Später sprach Kohlmit einzelnen <strong>Soldaten</strong> und fragtenach ihren beruflichen Wünschen.Dann überreichte General Glanz demKanzler das schwarze Barett der Panzertruppe.Am 1. Juli 1983 traf BundeskanzlerKohl anlässlich einer Veranstaltungin Freiburg beim Aufklärungsgeschwader51 „Immelmann“ unterOberst Manfred Purucker in Bremgartenein und nutzte seinen kurzenAufenthalt zum Gespräch mit einigen<strong>Soldaten</strong>. Im September 1983 besuchteder Kanzler die Heeresübung„Wehrhafte Löwen“ des III. Korpsunter Generalleutnant Mack. An demManöver nahmen etwa 42.500 <strong>Soldaten</strong>teil, darunter 3.500 Angehörigeder 1. Brigade der 3. (US) Panzerdivisionund ein belgischer Verband.Übungstruppe Blau war die 5. Panzerdivision(Diez), Übungstruppe Rot die2. Panzergrenadierdivision (Kassel),und der Leitungs- und Schiedsrichterdienstwurde von der 12. Panzerdivision(Veitshöchheim) gestellt. DieLuftwaffe beteiligte sich im Rahmender NATO-Übung „Cold Fire“. DieOperationen fanden überwiegend inNordhessen statt. Kohl besichtigte u..das Panzergrenadierbataillon 52 ausRotenburg (Fulda) unter OberstleutnantConrad. Einen Monat später, am19. Oktober 1983, stattete BundeskanzlerHelmut Kohl dem Marinefliegergeschwader(MGF) 1 im schleswigholsteinischenJagel einen Besuchab. Er wurde durch VerteidigungsministerWörner, Vizeadmiral AnsgarBethge (1924-2008), den Inspekteurder Marine und Vizeadmiral GünterFromm (* 1924), den Befehlshaberder Flotte begleitet und vom Kommodore,Kapitän zur See Klaus Wewetzer,begrüßt. 1992 besuchte Kohl dasGeschwader ein zweites Mal, aber nurfür einen Zwischenstopp.In der im Parlament, Medien undÖffentlichkeit erbittert geführtenNachrüstungsdebatte, deren Gegnermit Geld aus Ost-Berlin massiv unterstütztwurden, blieb Kanzler Kohlstandhaft. Dabei hätte er es sich leichtmachen und die Verantwortung aufdie Entscheidung Schmidts abwälzenkönnen. Am 21. November 1983 diskutierteder Bundestag darüber undsprach sich einen Tag später mit deutlicherMehrheit für die Nachrüstungaus. Zu Recht stellt Kohl fest, dass esim Falle einer Ablehnung nicht zurWiedervereinigung gekommen wäre. 55Kein Regierungschef hat öfter alsKohl die zweijährig stattfindendenBesprechungen der Spitzenmilitärsbesucht: Auf insgesamt fünf Kommandeurtagungender Bundeswehr(1984 in Travemünde, 1988 in Würzburg,1991 in Bonn, 1992 in Leipzigund 1997 in Berlin) war Kanzler Kohlals Ehrengast. Auch dies belegt seinInteresse und seine Wertschätzungfür die Bundeswehr. Erstmals nahmer am 15. Februar 1984 – gerade voneiner Moskau-Reise zurückgekehrt– als Gast an der 27. Kommandeurtagungder Bundeswehr unter GeneralinspekteurAltenburg im Kurhotel„Maritim“ in Travemünde teil.Zu Beginn seiner Rede nahm er ausaktuellem Anlass zu den „Ereignissen,die uns alle, nicht zuletzt michselbst, aber auch Sie in der Bundeswehr… sehr bewegt haben“, Stellung– dem „Fall Kießling“. Die Affäre umden angeblich homosexuellen Generalund die dilettantische und unfaireBehandlung seitens des Ministers undseines Umfeldes hatten die Tagespolitikder ersten Wochen des Jahres 1984überschattet. Vor den Kommandeurenstellt Kohl fest, dass Wörner „pflichtgemäßgehandelt“ und alles versuchthätte, um die PersönlichkeitsrechteDr. Kießlings zu schützen. Ein Wortdes Bedauerns gegenüber Kießling,der an der Tagung nicht teilnahm,fiel hingegen nicht. 56 Im zweiten Teilseiner Rede skizzierte der Kanzlerseine Sicherheitspolitik vor dem Hintergrunddes NATO-Nachrüstungsbeschlusses.In seinen Erinnerungen schreibtKohl, dass auch er „… den Beteuerungendes Generals nicht glaubte.“57Diese Aussage erstaunt, weil erKießling nicht persönlich kannte.Überdies wirft dies ein bezeichnendesLicht auf die Stellung der Bundes-55 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990, S. 201 f.56 Kohl hat Kießling auch später zu keinemGespräch empfangen.57 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990Kapitel „Kein Sicherheitsrisiko“, S. 236 f.wehr im Staat, wenn der Regierungschefeinen seiner drei ranghöchstenOffiziere nicht persönlich kennt. 58„Er hatte auch nichts getan, um diesemMangel abzuhelfen“, schreibtKießling. 59Doch dann wandte sich das Blatt:„Was als ‚Fall Kießling‘ begonnenhatte, war … zum ‚Fall Wörner‘ geworden.“60 Als im Frühjahr offenkundiggeworden war, dass die Vorwürfegegen Kießling haltlos waren, stellteKohl in einer Pressekonferenz am 1.Februar – zwei Wochen vor der Kommandeurtagung– klar, dass Fehlergemacht wurden. „Richtig ist, dasses eine Fehlentscheidung war, denVier-Sterne-General … in den einstweiligenRuhestand zu versetzen. …General Kießling hat bittere Wochendurchmachen müssen, aber auch fürManfred Wörner war dies eine Zeit, andie er lange in seinem Leben zurückdenkenwird.“ 61Wörner bot mehrfach seinenRücktritt an. Doch der Kanzler behieltseinen Verteidigungsministergegen den eindringlichen Rat seinerengsten Mitarbeiter, seiner Parteifreunde62 und gegen die öffentlicheMeinung im Amt: „Damals im parlamentarischenUntersuchungsausschusswurde der Bundeskanzler aufgefordert,dieses Rücktrittsgesuch zupräsentieren -… : Er wusste nichtsanderes zu sagen, als er habe diesesRücktrittsgesuch in den Papierkorbgeworfen. So dürfte kein Disziplinarvorgesetzter… mit seiner Verantwortungumgehen.“ 63In seinen „Erinnerungen“ argumentiertKohl politisch: „Ich war derÜberzeugung, dass ein derart qualifizierter,engagierter und kenntnisrei-58 Bei Kohls Amtsübernahme 1982 gabes in der Bundeswehr drei Vier-Sterne-Generale: Generalinspekteur Altenburg,Dr. Kießling und General Chalupa, denOberbefehlshaber der Alliierten StreitkräfteMitteleuropa.59 Kießling, Günter: Versäumter Widerspruch,S. 135.60 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990, S. 237.61 a.a.O., S. 238.62 Auch der bayerische MinisterpräsidentStrauß hatte Wörners Ablösung empfohlen.63 General a.D. Dr. Kießling am15.09.2008 in einem Interview mitDeutschlandradio Kultur.52 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


BLICK IN DIE GESCHICHTEcher Minister die Chance haben musste,erneut Vertrauen zu erwerben.“ 64Dieses Lob basiert darauf, dassWörner „einen guten Job“ gemachthabe. Dagegen aber stehen eklatanteFehler, die er in diesem Fall selbstzu verantworten bzw. geduldet hat.Wahrscheinlich hatte Kohl bei dieserEntscheidung auch bündnispolitischeAspekte berücksichtigt. Esliegt eine große Tragik darin, dassdie Erfolgsbilanz 65 Wörners – nebenHelmut Schmidt der bisher profiliertesteVerteidigungsminister – durchdiese Affäre getrübt bleibt.Am 6. April 1984 besichtigteKohl die Übung „Highway 84“ derLuftwaffe bei Ahlhorn, an der u.a.auch das dort stationierte Hubschraubertransportgeschwader(HTG) 64 66unter seinem neuen Kommodore64 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990, S. 239.65 Eine – Wörners Fähigkeiten lobende– Beurteilung liefert Generalmajora.D. Jürgen Reichardt in seinem 2008erschienenen Buch „Hardthöhe Bonn –Im Strudel einer Affäre“.66 Das Geschwader war der einzige reinrassigeHubschraubertransportverbandder Luftwaffe. Es wurde 1966 in Dienstgestellt und 1994 aufgelöst.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Oberst Jörg Rappke teilnahm. In Anwesenheitu.a. des Inspekteurs derLuftwaffe Eberhard Eimler (* 1930)wurde dem Kanzler in einem 75-minütigemProgramm das Nutzungsspektrumdes Autobahn-Notlandeplatzes(NLP) II/7 auf der A 29 vorgestellt.Sechs Jahre später statteteHelmut Kohl dem Geschwader unter22. September 1984: Vor der Gefallenengedenkstätte für die Toten derSchlachten um Verdun, als das Heeresmusikkorps 10 der Bundeswehrdie „Marseillaise“ intonierte, griff Mitterrand nach der Hand von BundeskanzlerHelmut Kohl. Schweigend standen der französische Sozialist undder deutsche Christdemokrat vor einem mit den Nationalfahnen beiderLänder bedeckten Katafalk auf dem weiten Platz vor dem Beinhaus vonDouaumont und demonstrierten Hand in Hand die Versöhnung dereinstigen „Erbfeinde”.Oberst Hans-Otto Elger einen Kurzbesuchab: Am 24.Aril 1990 trug ersich in das Gästebuch ein.Am 22. September 1984 gedachtenKohl und Mitterrand bei Verdunauf den <strong>Soldaten</strong>friedhöfen inConsenvoye und auf dem Hügel vonDouaumont der Gefallenen beiderVölker. In der gemeinsamen Erklärunghieß es: „Europa ist unsere gemeinsamekulturelle Heimat, und wirsind Erben einer großen europäischenTradition. … Wir haben uns versöhnt.Wir haben uns verständigt. Wir sindFreunde geworden.“Der Schriftsteller Ernst Jünger(1895-1998), der vor Verdun in„Stahlgewittern“ gekämpft hatte, gehörteebenso zu den Ehrengästen wieHannelore Kohl, ihr Sohn Walter undder 89-jährige Leutnant a.D. FritzLeibrandt aus Hamburg vom kaiserlichenPionierbataillon 29. Als aufder Anhöhe von Douaumont, vor demriesigen Beinhaus, in dem Überrestevon 130.000 Gefallenen liegen, imNebelregen das Heeresmusikkorps10 aus Ulm unter der Leitung vonMajor Simon Dach und ein französischesMusikkorps die beiden Nationalhymnenspielten und danach das„Lied vom guten Kameraden“ unddas französische Pendant, „Sonnerieaux morts“ intonierten, ergriffMitterrand Kohls Hand – eine Gestedie Versöhnung der einstigen „Erbfeinde“.Helmuts Kohls Vater Hanshatte Anfang des 20. Jahrhundertshier gekämpft, und ein Vierteljahrhundertspäter, am 14. Juni 1940,wurde am gleichen Ort der UnteroffizierFrancois Mitterrand von einemGeschosssplitter verwundet unddann gefangen genommen, nachdemer sich durch große Tapferkeit ausgezeichnethatte.Ebenso großen Symbolgehalt hatteeine gemeinsame deutsch-französische36-Stunden-Übung, die vorder Gedenkfeier östlich von Verdundurchgeführt wurde und an der 1.200<strong>Soldaten</strong>, u.a. der Panzerbrigade 34aus Koblenz unter BrigadegeneralKlaus Vollmer (* 1930) mit etwa 80Kettenfahrzeugen beteiligt waren.Dem Manöver folgte ein gemeinsamerAppell auf dem benachbartenFlugplatz von Étain. Zur Hauptverkehrszeitrollten deutsche Panzernach Verdun, und deutsche Tornado-Flugzeuge flogen Angriffe.Literaturverzeichnis:folgt in Teil 2Dank:Besonderer Dank gilt denHerren Rudi Meiszies, Pressereferentder Pressestelle WBK II,Archivoberrat Dr. Saupe vom BayerischenHauptstaatsarchiv, Oberstleutnanta.D. Joachim Schick, GeneralmajorGertmann Sude und Oberst a.D.Siegfried Wolf sowie der S1-Abteilungder LLBrig 26.Bildnachweis:BPA, PrSt WBK II (ehem. IV)Mainz, PzTrSch Munster, ZInFüKoblenz.53


KIRCHE UNTER SOLDATEN12. Seminar der GKS-Akademie Oberst Helmut KornProgrammauszugMontag, 9. November 200915: 00 Uhr Begrüßung, Einführung in dasSeminar, sowie Zielsetzung undOrganisation Vorstellungdes Bonifatiushauses16:00 Uhr Internationale <strong>Soldaten</strong>wallfahrtnach Lourdes – Wiege für 60 JahreFrieden in EuropaMilitärdekan Msgr. Johann Meyer,Geistlicher Beirat der GKS aufBundesebene und DeutscherPilgerleiter Lourdes19:00 Uhr Aus dem Glauben leben,Gottes Angebot an jeden MenschenGabriele Kuby, Soziologin undBuchautorindanach gesellige Runde zumKennenlernenDienstag, 10. November 20098:30 Uhr Hl. Messe in der Kapelle desBonifatiushauses9:30 Uhr Oberst Dr. Helmut Korn – Soldatund Christ – ein Leben aus demGlaubenBrigGen a.D. Friedhelm Koch11:15 Uhr Gelebter Glaube und Zeugnis vonJesus Christus während derkommunistischen ZeitMilPfr Cpt Mgr Jan Pacner,Dozent an der Verteidigungsakademiein Brünn15:30 Uhr Führung durch den Dom Fulda,anschl. Empfang beim Oberbürgermeisterder Stadt Fulda imStadtschloss19:00 Uhr Die Akademie Oberst Helmut Korn imÜberblick von 1987 bis 2008Oberstlt a.D. Paul Schulz, EhrenbundesvorsitzenderGKS, bis 2005Leiter der Akademie Oberst HelmutKorn, Chefredakteur AUFTRAGbis 2008danachTreffen zum GedankenaustauschMittwoch, 11. November 20097:30 Uhr Hl. Messe in der Kapelle desBonifatiushauses9:15 Uhr Frauen und Männer in der Bibel –was sie uns heute im soldatischenDienst zu sagen habenDr. Andreas Ruffing, Leiter derKirchlichen Arbeitsstelle Männerseelsorge11:15 Uhr Arbeitsgruppen zum Thema:mein persönlicher Glaube / meinpersönliches Glaubensbekenntnis alsSoldat / Soldatin15:00 Uhr Grußwort des Schirmherrn derAkademie Oberst Helmut KornGenLt Wolfgang Korte, Director JointWarfare Centre, Stavanger, Norwegen15:45 Uhr Die GKS – ein katholischer Verbandin der Bundeswehr – Hilfe für einLeben aus dem GlaubenOberstlt i.G. Rüdiger Attermeyer,Bundesvorsitzender GKS16:30 Uhr Der Glaube im Leben eines <strong>Soldaten</strong>aus Sicht des Katholischen Militärbischofsfür die Deutsche BundeswehrMilitärbischof und DiözesanbischofAugsburg, Dr. Walter Mixa18:00 Uhr Vesper in der Kapelle des Bonifatiushauses19:15 Uhr Empfang durch den KatholischenMilitärbischof Dr. Walter MixaDonnerstag, 12. November 20097:30 Uhr Eucharistiefeier in der Kapelle desBonifatiushauses9:30 Uhr Exkursion über Homberg (Efze)nach Fritzlar19:00 Uhr nach Rückkehr Abendessen imBonifatiushaus, Möglichkeit desGesprächsFreitag, 13. November 20097:30 Uhr Eucharistiefeier zum Abschluss desSeminars mit Reisesegen9:15 Uhr Auswertung der Woche, Impulse fürdas 13. Seminar11:00 Uhr Schlusswort und Verabschiedung54 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


KIRCHE UNTER SOLDATEN12. Seminar der GKS-Akademie Oberst Helmut KornKann der persönliche Glaube an Jesus Christusfür den <strong>Soldaten</strong> hilfreich seinim täglichen Dienst – auch im Einsatz?VON BERTRAM BASTIANMit diesem Titel führte die GKS vom Montag, den 09. bis Freitag, den 13. November 2009 das 12. Seminarder Akademie Oberst Helmut Korn im Bonifatiushaus in Fulda durch. Gemäß dem Leitsatz derGKS „im Glauben verwurzelt“ wurde in dieser Woche den Teilnehmern die Möglichkeit gegeben, diepersönliche Glaubenserfahrung in die Gespräche mit den Referentinnen und Referenten einzubringen. In unmittelbaremZusammenhang mit Fragen nach dem Glauben steht die Frage: Kann Glaube ohne Vertrauen gelebtwerden? Somit wurde während des Seminars die Entstehung von Glauben und Vertrauen aber auch ihreGefährdungen untersucht, diskutiert und dargelegt.Am Anfang des Seminars stand der Vortrag des DeutschenPilgerleiters und Geistlichen Beirats der GKSauf Bundesebene Militärdekan Msgr. Johann Meyer überdie Lourdes Wallfahrten, von den Anfängen bis zur Gegenwart.Während der Referent seine zahlreichen Eindrückeschilderte, liefen in einer Diashow Bilder der vergangenenLourdeswallfahrten im Plenum. Diese wechselndenoptischen Eindrücke, verbunden mit den persönlichenErlebnissen in und außerhalb des heiligen Bereiches, ergabeneine beeindruckende Schilderung der Internationalen<strong>Soldaten</strong>wallfahrt Lourdes. Mit diesem Vortrag wurdeein gelungener Einstieg in die persönliche Glaubensfragepraktiziert: Die schon in Lourdes waren, erinnerten sichan ihre Erlebnisse, die noch nicht in Lourdes dabei waren,sahen und hörten diese Glaubenszeugnisse.Montagabend ist traditionell eine offene Akademieveranstaltungzusammen mit dem Bonifatiushaus, sodass auch Bürgerinnen und Bürger aus Fulda den Vortragder Soziologin und Buchautorin Gabriele Kuby (Bild 1)folgen konnten. Unter dem Titel „Aus dem Glauben leben,Gottes Angebot an jeden Menschen“ schilderte die Referentinihren persönlichen Lebensweg auf der Suche nachGott. Ansatzpunkt sei die Frage, ob der Mensch ein weiterentwickeltesTier sei oder ein gottähnliches Geschöpf.Durch die Freiheit des Einzelnen zwischen gut und bösezu unterscheiden, zwischen Anpassung und Widerstandsei es leicht zu erkennen, das dies alles im Widerspruchzu den Tieren stehe, führte die Rednerin aus. Solche Entscheidungenführten dazu, dass es keinen neutralen Menschengäbe, sagte Gabriele Kuby, alles habe ein plus oderein minus. Letztendlich betrachtet müsse sich jeder aufseiner Suche nach der Wahrheit entscheiden, ob für odergegen Jesus Christus. Trotzdem bliebe es immer eine Einzelentscheidungdes Menschen, angelehnt an das Wortdes damaligen Kardinals Ratzinger, dass es so viele Wegezu Gott gäbe, wie es Menschen gäbe. Gesellschaftlich betrachtet,habe eine ungeheure Werteverschiebung stattgefundenseit der sogenannten 68er Revolution. Das Bösewürde mundgerecht dargeboten als das Gute, erläuterte dieAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Bild 1: von links: Gabriele Kuby, Soziologinund Buchautorin, Gunter Geiger, Direktor desBonifatiushauses, Oberst a.D. Karl-Jürgen Klein, Leiterder Akademie KornRednerin ihre These. Der Zeitgeist und damit der Relativismuswürden die Bemühungen untergraben, ein gottgefälligesLeben zu führen, welches nicht so bequem sei wiedie Anpassung an die Beliebigkeit, sagte Kuby, bevor siedie Vielfalt des Glaubens darstellte, der die echte Alternativezur Beliebigkeit sei. Sie habe zwar die Schätze derKirche gefunden, aber in einer zerrissenen Kirche, schlossdie Rednerin mit diesem Hinweis auf die ökumenischenBemühungen des Papstes. Nach einer kurzen Fragerundestellte die Buchautorin dem Publikum noch ihre Werkevor, bevor in der geselligen Runde Gabriele Kuby denTeilnehmern des Seminars noch weiter für Diskussionenzur Verfügung stand.Dienstagmorgen nach der Hl. Messe trug BrigGen a.D.Friedhelm Koch zum Leben von Oberst Dr. HelmutKorn vor. Ausgangspunkt war sein Vortrag bei den Feier-55


KIRCHE UNTER SOLDATENBild 2: Militärpfarrer Magister Captain Jan Pacner,Dozent an der Verteidigungsakadmie in Brno (Brünn)bei seinem Vortraglichkeiten zum 25. Todestag von Helmut Korn, die 2008in Fulda stattgefunden haben (abgedruckt in AUFTRAG271, Seite 12 ff und im Buch „Als Soldat und Christ demFrieden verpflichtet“ auf den Seiten 36 bis 53). Da es keinewesentlichen neuen Erkenntnisse gäbe, beschränke ersich auf die wesentlichen Fakten und reichere seinen jetzigenVortrag mit Erlebnissen an, die er mit Oberst Kornhatte. So wurde dieser Teil des Seminars für die Zuhörerzu einem lebendigen Zeugnis eines gelebten Glaubens alsSoldat und Christ.Danach schloss sich der Vortrag von Militärpfarrer JanPacner 1 aus Tschechien (Bild 2) unter dem Titel „GelebterGlaube und Zeugnis von Jesus Christus während derkommunistischen Zeit“ an. Der Vortrag ist im Folgendenabgedruckt. Während der Aussprache nach seinem Vortraggab Jan Pacner Einblicke in die Militärseelsorge derheutigen Zeit in Tschechien. So wisse er nicht, welcherReligionsgemeinschaft die <strong>Soldaten</strong> angehörten, da einederartige Abfrage in der Armee nie getätigt wurde. DieMilitärpfarrer seien Berufssoldaten für eine Zeit von achtJahren, die aber verlängert werden könnte und tragen Uniformund Dienstgrade, was bei ihm zu sehen sei. Die seelsorgerischeTätigkeit sei stark auf persönliche Gesprächezugeschnitten. Da eine allgemeine Religionserziehung inTschechien nicht üblich sei, gäbe es auch Vorbehalte gegenüberden Pfarrern, die am normalen Dienst teilnähmen.Diese Vorbehalte seien historisch zu sehen: Frühergab es den Politruk (Politoffizier) jetzt eben den Pfarrer.Eine Familienseelsorge gäbe es nur, wenn es die Familieausdrücklich wünschen würde. Eine offensive Werbung imSinne einer Missionierung sei verboten. Eine Laienarbeitwerde erst aufgebaut, ebenso die Ökumene, wobei es hier –wie überall – stark auf die handelnden Personen ankäme.Nachmittags wurde der Fuldaer Dom besichtigt, bevorder Oberbürgermeister im Stadtschloss zu einem kleinenEmpfang einlud. Am Abend stellte Oberstlt a.D. PaulSchulz die Geschichte der Akademie Helmut Korn vor(Bild 3). Von den ersten Überlegungen einer katholischenAkademie bis zum 11. Seminar im Jahr 2007 gab er einenÜberblick über Themen und Zielsetzungen der verschiedenenVeranstaltungen. Er verwies auf das Buch „Als Soldatund Christ dem Frieden verpflichtet“, in dem die Seminareder Akademie Helmut Korn zusammengefasst wurdenund dessen erstes Exemplar dem Militärbischof vor demEmpfang übergeben würde (siehe auch Titelbild).Mittwochmorgen hielt Dr. Andreas Ruffing, Leiter derKirchlichen Arbeitsstelle Männerseelsorge der DeutschenBischofskonferenz, den Vortrag „Männer und FrauenBild 3: Die zwei Ehrenbundesvorsitzenden derGKS: links Oberstlt a.D Paul Schulz, erster Leiter derAkademie Helmut Korn, daneben Oberst a.D. Karl-Jürgen Klein, jetziger Leiter der Akademie Korn1 Magister Jan Pacner ist Dozent an der Verteidigungsakademiein Brno (Brünn) und bekleidet den Rang eines Hauptmanns(Captain)Bild 4: Der Leiter der Kirchlichen ArbeitsstelleMännerseelsorge der Deutschen BischofskonferenzDr. Andreas Ruffing bei seinem Vortragin der Bibel – was sie uns heute im soldatischen Dienst zusagen haben“. Dr. Ruffing (Bild 4) nahm drei Männer alsBeispiele aus der Bibel: Abraham, David und Jeremia. Die56 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


KIRCHE UNTER SOLDATENBild 5: Der Schirmherr der Akademie Korn,Generalleutnant Wolfgang Korte bei seinem Grußwortwährend des SeminarsVerheißung an Abraham, sein Vertrauen in Gott und seinVerhalten in der Grenzsituation als Gott ihn aufforderte,seinen Sohn zu opfern. Daraus kristallisierte der Rednerdie Fragen heraus, die uns heute beschäftigen würden:Welche Lebensziele treiben mich an? Was bin ich bereit,dafür zu investieren? Wie verhalte ich mich, wenn ich anmeine Grenzen stoße? Hier gäbe es nur die individuellenAntworten des Einzelnen in seiner Freiheit, verbundenmit der Verantwortung für diese Entscheidung. Leichtermache es auf alle Fälle, ein Gottvertrauen zu besitzen, wieAbraham es gezeigt habe. Am Beispiel David zeigte derReferent den kometenhaften Aufstieg vom Hirtenjungenzum König, die Versuchung als Mächtiger, den Machtmissbrauchaber auch die Misserfolge, als sich sein Sohn gegenihn wendet, das Versagen des Tempelbaues. Daraus leiteteDr. Ruffing die Fragen ab: Wie geht es mir im dienstlichenAlltag zwischen Erfolg und Misserfolg? Was ist fürden Einzelnen „gerechtes Herrschen“? Wenn man Verantwortungträgt, sucht man dann den Rat anderer, wendetman sich an Gott? Hier stehe David nur in Teilbereichenals positives Vorbild da, es zeige aber auch, dass man vorÜberheblichkeit und Fehlern nie sicher sein könne. Zumgerechten Herrschen machte der Redner einen Vorschlagvon Augustinus, der nach einer Aufzählung von Beispielenmit den Worten endet „Gute ermutigen, Böse ertragen und– ach – alle lieben“. Am Beispiel Jeremia zeigte der Vortragendeeinen Menschen, der als unbequemer Mahner ineiner chaotischen Zeit an seinem <strong>Auftrag</strong> fast verzweifelt,der mit sich, seinem Umfeld und mit seinem Gott „nichtklar kommt“, aber dennoch seine Hoffnung auf Gott setzt.An diesem Beispiel Jeremia machte der Leiter der KirchlichenArbeitsstelle für Männerseelsorge folgende Fragenfest: Ändert sich das Gottesbild, wenn sich die Lebenssituationverändert? Wie geht man mit Enttäuschungen, mitÜberforderungen um? In welchen Situationen spüre ichAggression und Zorn? Als Schlussfolgerungen zitierte derRedner Jürgen Rennert, der sagte: Jeremia sein, heißt sichAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010nicht einzuschmeicheln, aus zu harren, ja zu sagen zumJoch der eigenen und fremden Geschichte, heißt GottesVernunft anzuerkennen und zu verteidigen.Anhand dieser drei Beispiele machte Dr. Ruffing nachhaltigklar, dass die biblischen Menschengeschichten immerauch Gottgeschichten sind, die gegen das Gottvergessenund die Gottgewöhnung gerichtet sind. Er beendeteseinen Vortrag mit dem Zitat von Dietrich Bonhoeffer: „Ichglaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraftgeben wird, wie wir brauchen. Aber er gibt sie unsnicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondernallein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsstealle Angst vor der Zukunft überwunden sein. “Nach seinem Vortrag wurden in Kleingruppen Beispielebesprochen, wie man selbst in Grenzsituationen gekommenist und wie man sie bewältigte. Hier bestand die Möglichkeitim persönlichen Gespräch sein eigenes Gottverständnisdarzulegen und darüber zu reden. Es wurden deshalbauch keine Zusammenfassungen im Plenum vorgenommen.Am Nachmittag sprach der Schirmherr der AkademieGenLt Wolfgang Korte (Bild 5) zu den Teilnehmern.Sein Grußwort war ein Bekenntnis zum christlichen Glaubengerade als Soldat und ist aus diesem Grund als eigenerVortrag im Wortlaut abgedruckt (Seite 60 ff).Nach einer kleinen Pause stellte der Bundesvorsitzendeder GKS im Vortrag „Die <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong><strong>Soldaten</strong> (GKS) – ein katholischer Verband in der Bundeswehr– Hilfen für ein Leben aus dem Glauben“ denVerband vor (siehe Vortrag Seite 63 ff).Zum Schluss der Vortragsreihe an diesem Tag trug derKatholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehrund Augsburger Diözesanbischof Dr. Walter Mixa vor. SeinThema „Der Glaube eines <strong>Soldaten</strong> aus Sicht des katholischenMilitärbischofs“ gliederte er in die AbschnitteSoldat im Neuen Testament, Vorbildcharakter des <strong>Soldaten</strong>,Glauben des <strong>Soldaten</strong> und schloss mit Bemerkungenzum Geschenk von Lourdes. Im Neuen Testament stündenichts gegen die <strong>Soldaten</strong>, führte Bischof Mixa aus. DerGlaube des Hauptmanns von Karphanaum wird beispielhaftdargestellt bis hin zum <strong>Soldaten</strong> unterm Kreuz, dersagte: „Dies ist wahrhaftig Gottes Sohn“. Somit könne niemanddie Bibel gegen die <strong>Soldaten</strong> ins Feld führen. DieHeiligen Sebastian und St. Martin seien große Vorbilder,an denen sich die Gläubigen – nicht nur die <strong>Soldaten</strong> –orientieren könnten. Ein bewusstes Leben aus dem Glaubenhabe trotzdem noch Höhen und Tiefen, Stärken undSchwächen, aber im Glauben zu leben gäbe Kraft, die Tiefenzu bestehen und Klugheit in Höhen nicht übermütig zuwerden. So seien die Kardinaltugenden immer wieder gefragt,führte der Bischof aus, und gäben damit eine idealeRichtschnur für das tägliche Leben ab. Dieses Leben imund aus dem Glauben solle aber ruhig nach außen gezeigtwerden. „Raus aus dem Plüschsessel, ran an die Buletten“forderte der Bischof seine gläubigen <strong>Soldaten</strong> auf, ihrenGlauben zu zeigen, denn Glaube sei auf <strong>Gemeinschaft</strong>ausgelegt aber nicht auf Vereinsmeierei. Für die Schönheitund Weisheit der katholischen Kirche stünde auchdas Geschenk Lourdes, in dem die <strong>Soldaten</strong> als Vorbilderim Glauben aufträten. In der anschließenden Fragerun-57


KIRCHE UNTER SOLDATENde nahm Bischof Mixa zu der Zusammenarbeit der zivilenGemeinde mit den Militärpfarrämtern Stellung. <strong>Soldaten</strong>sollten ruhig in Uniform in der Gemeindekirche am Gottesdienstteilnehmen, sagte der Bischof auf eine entsprechendFrage, dann würden automatisch die Zivilgemeindensich mit der Problematik der <strong>Soldaten</strong> beschäftigen.Zur besseren Vorbereitung auf die Auslandseinsätze seiimmer mehr interkulturelle Kompetenz notwendig, deshalbsei die Gründung einer Zentrums für ethische Bildung inden Streitkräften am Institut für Theologie und Friedenin Hamburg geplant.Nach einer Vesper in der Kapelle des Bonifatiushauseslud der Militärbischof zu einem Empfang ein. Bevores zur allgemeinen Stärkung ging, überreichte der BundesvorsitzendeRüdiger Attermeyer dem MilitärbischofDr. Mixa das erste Exemplar des Buches „Als Soldat undChrist dem Frieden verpflichtet“, eine Zusammenfassungder ersten elf Seminare der Akademie und der Feierlichkeitenanlässlich des 25. Todestages von Oberst Korn imJahre 2008. Das zweite Buch erhielt der Schirmherr derAkademie aus den Händen des Bundesvorsitzenden (sieheTitelbild).Der Donnerstag stand im Zeichen der Exkursionüber Homberg (Efze) nach Fritzlar, in deren Verlauf auchdie Vorträge in Diskussionen nachbereitet wurden. AmFreitag wurde nach der Feier der Eucharistie das Seminarausgewertet, beurteilt und letzte Fragen beantwortet.Impulse für das 13. Seminar im Jahr 2011 wurden vomAkademieleiter Oberst a.D. Dipl.-Ing. Karl-Jürgen Kleinaufgenommen. ❏Gelebter Glaube und Zeugnis von Jesus Christuswährend der kommunistischen ZeitIch muss zugeben, dass es für mich nicht einfach war,diesen Vortrag vorzubereiten. Die Hauptschwierigkeitlag darin, dass mir viele Gedanken eingefallen sind undes war ganz schwierig, sie ein bisschen zu systematisieren.Außerdem will ich nicht wie einer sprechen, der verschiedeneRatschläge geben kann, weil er eine gewisse Zeit dieunnatürliche Wirklichkeit eines kommunistischen Staateserlebt hat. Ich muss auch betonen, dass ich nur die Zeitder so genannten Normalisierung erfahren habe, die sichernicht einfach war, aber nicht mit der Situation der fünfzigerJahre verglichen werden kann. Jene Zeit ist für mich– und war auch vor dem Jahr 1989 – unvorstellbar, obwohlich mit vielen Leuten, beginnend mit meinen Eltern, überdiese Zeit ausführlich gesprochen habe.Weil mein Nachdenken wesentlich mit gelebtem Glaubenund christlichem Zeugnis zu tun hat, werde ich Ihnenkeinen allgemeinen Überblick oder eine fachliche Studieüber die kommunistische Zeit in meiner Heimat anbieten,sondern einige persönliche Erfahrungen, die sehr eng mitder Familie verbunden sind, in der ich aufgewachsen bin.Ich hatte nämlich das Glück oder, frommer ausgedrückt,erhielt ich eine riesige Gabe, dass in unserer FamilieGlaube wirklich gelebt wurde, auch mit der Bereitschaft,für ihn etwas zu opfern. Lassen Sie mich Ihnen meine Elternvorstellen.Mein Vater schloss das Gymnasium am Ende des ZweitenWeltkriegs ab, dann studierte er Philosophie und Geschichteauf der philosophischen Fakultät in Brno (Brünn).Er war in den katholischen Studentenkreisen tätig und nachdem kommunistischen Putsch im Jahre 1948 begann erSchwierigkeiten zu haben. Es wurde ihm noch erlaubt, dieAbschlussprüfung zu machen, aber das war alles. In einerfreien Gesellschaft wäre er sicher auf der Uni als Doktorandgeblieben, aber für Leute wie ihn, die eine falsche,VON JAN PACNERdas bedeutet nicht die kommunistische Weltanschauunghatten, war es verboten. Eine Bemerkung: wie sie wissen, istfreies Denken für alle kommunistische Regime gefährlichund darum (trotz aller Proklamierungen) ausgeschlossen.Nach dem Verlassen der Universität wäre mein Vaterzur Armee geschickt worden, aber weil er Kinderlähmunggehabt hatte und dadurch ein Bein schwächer war, konnteer nicht Wehrdienst machen und arbeitete 12 Jahre alsBuchhalter. Dabei wurde ihm nach gewisser Zeit erlaubt,Mathematik auf der naturwissenschaftlichen Fakultät inBrno zu studieren, weil die Naturwissenschaften nicht sotief von dem Regime und seiner Ideologie beeinflusst waren.Nach dem Studiumsabschluss begann er in einem Datenzentrumzu arbeiten, im Jahre 1969 erhielt er Doktorat,aber es wurde ihm immer verboten zu unterrichten. In densiebziger Jahren konnte er zuerst die Funktion eines Chefsvon Programmierern im Datenzentrum ausüben. Mit fortschreitenderNormalisierung wurde aber von Leuten, dieführende Positionen hatten, gefordert, ihre Untergeordnetein Marxismus auszubilden. Das lehnte Vater ab und dieLeitungsposition wurde ihm abgenommen. (PersönlicheErinnerung, Anmerkung des Dozenten)Erst nach dem Jahre 89 konnte mein Vater einige Jahreim Gymnasium unterrichten und auch Vorlesungen füreine breitere Öffentlichkeit veranstalten.Meine Mutter war Krankenschwester, sehr geschicktund liebte ihre Arbeit. Sie war immer bereit, sich den Krankenzu widmen, auch eine Begegnung mit einem Priesterihnen zu vermitteln, was gewisses Risiko vorstellte. Weilsie dann lange mit uns Kindern zu Hause blieb (ich habevier jüngere Geschwister), hatte sie keine Berufsschwierigkeiten,aber sie unterstützte immer ihren Mann, obwohlseine Entscheidungen selbstverständlich auch Nachteile(z.B. finanzielle) und Fragen (z.B. Zukunft von uns Kin-58 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


KIRCHE UNTER SOLDATENAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010dern) mitbrachten. Ich konnte wiederholend feststellen,dass für meine Eltern Vertrauen in Gott kein leerer Begriff,sondern eine lebendige Wirklichkeit war, die sie nicht irgendwohinnach oben entrückte, sondern ihre Kraft imAlltag bestätigte.Ich bezweifle, dass meine Eltern mit einem solchen Lobeinverstanden wären, sie schätzten sich sicher nicht alsHelden oder Superchristen, sie hatten selbstverständlichihre Fehler und Begrenzungen und mussten ihre Entscheidungfür ein Leben aus Glauben mit seinen Konsequenzenund innere und äußere Wahrhaftigkeit erneut durchringen.Vielleicht kann ich jetzt einige Punkte summarisiertunterstreichen, die für mich in unserer Familie besonderswichtig waren:Glaube, der seine Grundlage kennt. In der Schulehörte ich wiederholt und eigentlich wurde überall betont,dass es hier eine sogenannte wissenschaftliche Weltanschauunggebe, die einzig richtig sei. Die Wissenschafthabe bewiesen, dass es einen Gott nicht geben kann undes sei sicher, dass Religion verschwinden werde. Ich weiß,dass diese Ansichten auch im Westen existierten, aber beiuns war es eine offizielle Doktrin. Darum war es so wichtig,gute Informationen zu haben. Mein Vater diskutiertemit uns Kindern systematisch religiöse Themen und wirkonnten wahrnehmen, dass diese Frage gar nicht endgültiggelöst ist, dass hier viele gebildete Christen waren undsind, die den Glauben reflektierten, die keine Angst vorschweren Problemen hatten und dass es gute Gründe, sogarsehr gute Gründe für den christlichen Glauben nochimmer gebe. Und wir stellten fest, dass im Gegenteil diekommunistische Doktrin keine wirkliche Fragen und keinkritisches Denken erlaubt.Wahrhaftigkeit des Lebens. Eine Theorie mag schönsein, aber was gilt, ist konkretes Leben. Ein junger Menschkonnte in siebziger und achtziger Jahren deutlich beobachten,dass in der Gesellschaft immer etwas vorgespieltwurde. Es wurde anders gedacht und anders in der Öffentlichkeitgesprochen und das verursachte eine seltsame,bedrängte Stimmung. Und dabei sollten wir uns beinahean der Schwelle des Paradieses befinden! Zum Glückkonnte ich nicht nur bei meinen Eltern spüren, dass dasLeben aus dem Glauben anspruchsvoll ist, aber zur innerenFreiheit führt. Das, worüber meine Eltern sprachen,bemühten sie sich auch zu leben. Gebet bedeutete keineAusrede für Untätigkeit, sondern einen Impuls für Handeln.Und Glauben war keine Summe von toten Lehrsätzen,sondern vor allem ein lebendiges Verhältnis zu JesusChristus, das Konsequenzen fürs Leben hat.Die Wirklichkeit, dass ich mich bemühe, gut zu leben,bedeutet nicht, dass ich die anderen verurteilen kann. Ichmuss zugeben, dass ich, besonders als Teenager, nicht fähigwar, diese Einstellung wirklich zu schätzen. In diesemAlter sieht man ziemlich schwarzweiß und ich war sehrkritisch gegenüber Kommunisten und auch denen, diesich mit ihnen irgendwie verstrickt hatten. Wie Sie vielleichtgehört haben, gab es bei uns eine Priesterorganisationgenannt Pacem in terris (es war ein Missbrauch vonBenennung einer Enzyklika vom Papst Johannes XXIII),die mit dem Regime kollaborierte. Zum Beispiel der Dechantvon der Stadt Třebíč, wo ich geboren wurde undaufgewachsen bin, war ein wichtiges Mitglied in dieserOrganisation. Meine Eltern waren damit natürlich nichteinverstanden und obwohl wir zu einer anderen Pfarrgemeindegehörten, wurde uns aus Sicherheitsgründenklar gesagt, dass er gewisse Sachen nicht wissen durfte,dass es leider besser sei, ein Treffen mit ihm zu vermeiden.Aber sie verurteilten ihn als Menschen nie und verzichtetenauf endgültige Urteile. Wenn er während meinerGymnasienjahren plötzlich starb und ich dazu einennicht zuviel passenden Kommentar hatte, wurde mir klargesagt, dass ich lieber schweigen sollte. Erst allmählichlernte ich, dass die Wirklichkeit, und vor allem ein Geheimniseines Menschen, nie schwarzweiß ist. Leidermuss ich bemerken, dass diese große Versuchung undVereinfachung (im Sinne „wir sind gut und die anderensind schlecht“) einige Gläubige, die früher sehr mutig waren,in sich haben und jetzt, wenn es keine klare Frontenmehr gibt, nach verschiedenen Feinden suchen und alssolche auch die Christen betrachten, die nicht dieselbenMeinungen wie sie haben.Vielleicht die wichtigste Sache – Glaube, der mit einerFreude am Leben verbunden ist. Von der kommunistischenPropaganda wurde wieder und wieder betont, dasChristentum sei lebensfeindlich, weil es mit einem Lebennach dem Tode rechnet und dadurch dieses irdischeLeben entwertet. Der Glaube solle dazu dienen, die unterdrücktenWerktätigen zu beruhigen, sie durch falscheHoffnungen von revolutionären Aktivitäten abzuwenden.Wir Christen müssen leider zugeben, dass es gewisse Spiritualitätengeben, die zu Geringschätzung von dieser Weltund diesem Leben geneigt sind. Auch heute kann man dieAblehnung einer solchen Einstellung sehen: „God doesnot exist. Enjoy your life. – Einen Gott gibt es nicht. Genießedein Leben.“ Es war für mich wahnsinnig wichtig,das ich erfassen konnte, dass meine Eltern (und auch andereChristen) das Leben liebten, dass sie fähig waren, dieSchönheit von Natur und menschlichen Werken zu sehenund zu genießen, dass ihr Glauben ihnen Lust am Lebenund eine positive Einstellung zu anderen Leuten brachte.Wie Sie sehen können, das Leben meiner Eltern warfür mich wirklich ein Glaubenszeugnis. Aber auchich war in meiner Reifezeit Elternkritisch, auch ich suchtenach meinem eigenen Lebensweg. Wie allgemein bekanntist, sind in diesem Alter vor allem Zeitgenossen undVorbilder von Bedeutung. Auch in jener Zeit entstandenverschiedene Jugendkreise und andere Bewegungen, diesich bemühten, den Glauben der Jugendlichen zu entfaltenund sich gegenseitig zu unterstützen. Diese Aktivitätenwaren aber damals inoffiziell, de facto verboten und miteinem Risiko verbunden, besonders für die, die sie leiteten.Einerseits bedeutete das, dass viele Angst hatten, andiesen Tätigkeiten teilzunehmen, anderseits lag darin füruns auch Attraktivität, wir machten etwas, was verbotenund ein bisschen gefährlich war, wir gingen nicht mit derMenge, wir waren auf der richtigen Seite. Vielleicht wares für uns damals einfacher, sich für das Christentum zuentscheiden, als jetzt, wo es so viele, oft interessante Angeboteund Lebensweisen gibt.59


KIRCHE UNTER SOLDATENIch besuchte den Jugendkreis in unserer Stadt, dervon Universitätsstudenten geführt wurde, die ungefähr 5Jahre älter als wir waren und die für uns zu positiven Vorbildernwurden. Hier konnte ich viele von meinen Fragenbeantworten und vor allem sah ich junge Leute, die ichbewunderte und die bereit waren, ihren Glauben zu lebenund ihn mit uns zu teilen, die ganz normal aussahen undsich nicht schämten, dass sie glaubten. Wir hatten nichtnur, wenn ich es so ausdrücken darf, „fromme“ Treffen,sondern gemeinsam erlebten wir viel Spaß und – was fürmich besonders wichtig war – machten während der Feriendie Bergwanderungen, vor allem in der Slowakei, die michtief beeindruckten. Obwohl – wie erwähnt – unsere Elternuns die Liebe zur Natur einprägten, bedeuteten diese Wanderungenwesentlich näheren Kontakt mit der Natur unddurch ihre Schönheit auch mit Gott. Ich bin immer dankbar,dass ich seit dem Jahre 89 ohne Schwierigkeiten inverschiedene Berggebiete, vor allem in die Alpen, reisenkann und auf ihren Pfaden und Klettersteigen erlebte ichviele der schönsten Momente meines Lebens.Jugendarbeit wurde Priestern, die in Pfarrgemeindentätig waren, de facto verboten, und war für sie u.a. mit derGefahr verbunden, dass ihnen sogenannte Staatserlaubnisfür den priesterlichen Dienst entzogen werden konnte.Dann durften sie offiziell nicht als Priester wirken undarbeiteten z.B. als Heizer, Fensterputzer oder Mauernhelfer.Aber viele von ihnen, setzten – zusammen mit Priestern,die insgeheim geweiht wurden, einige von ihnen inder ehemaligen DDR - in ihrer Freizeit Jugendarbeit fort.Vor allem die Salesianer veranstalten verschiedene Ausflügeund besonders so genannte „Hüttchen“. Das warenFerienaufenthalte meistens für Burschen mit religiösenProgrammen und vielen Sportaktivitäten, die ihre Zentrenmeistens in allein stehenden Gebäuden in Berggebietenhatten. Die Salesianer bauten allmählich ein Netzvon Mitarbeitern auf, oft Hochschulstudenten, die diese„Hüttchen“ führten. Jede solche Gruppe wurde von einemPriester besucht, der dort Eucharistie feierte, eine Katechesehatte und Möglichkeit zu persönlichen Gesprächenoder zu Beichten anbot. Es waren für uns sehr starke Erlebnisseund tiefgehende Glaubenszeugnisse. Ich denke,dass es fast unmöglich ist, diese Erfahrungen weiterzugeben,z. B. wenn uns ein Priester besuchte, der den vorigenNachmittag auf der Polizeistation in Prag verbrachthatte, wo er wegen seiner Tätigkeit befragt wurde, dannfuhr er mit einem Nachtzug nach Mähren und dort in denBergen nicht weit von der slowakischen Grenze feierte ermit uns Eucharistie, bei der er ganz einfach sagte, dass essinnvoll ist, als ein Christ zu leben, dass das Verhältniszu Christus eine Quelle der Freude und Lebenserfüllungist – und wir konnten wahrnehmen, dass es keine frommePhrase ist, dass es für ihn gilt – und dass es auch für unsgelten kann und soll.In einem solchen Milieu entstand auch, nachdem ichFachmathematik auf der Uni zu studieren begonnen hatte,meine Berufung zum Priestertum. Dann hatte ich Schwierigkeitenmit der Staatspolizei, weil – wie mir gesagt wurde– ich leider von den Leuten stark beeinflusst war, diedie wahre sozialistische Denkweise nicht hatten. Weildamals de facto gerade die Staatspolizei entschied, werzum Theologiestudium zugelassen wurde, musste ich vierJahre warten, bevor die Lage besser wurde und ich zumTheologiestudium angenommen wurde. Ich machte einenzweijährigen Wehrdienst, der für uns obligatorisch war,und zwei Jahre arbeitete als Sanitäter im Krankenhaus.Beides war eine gute, obwohl von Zeit zu Zeit auch harteLebensschule. Als ich im Jahre 1987 ins Priesterseminareintrat, konnten wir spüren, dass sich gewisse Sachen einbisschen zu ändern begannen, aber wir ahnten nicht, wasnach zwei Jahren geschehen würde.Abschließend möchte ich betonen, dass obwohl vonStrukturen und offiziellen Möglichkeiten her ein riesigerUnterschied zwischen Leben der Kirche in einer freienGesellschaft und in kommunistischer Diktatur ist, bin ichüberzeugt, dass immer und überall die wichtigste Sacheist, eine persönliche Entscheidung für den Glauben, fürJesus Christus zu machen. Und wenn diese Entscheidungreif und gesund sein soll, braucht man Vorbilder, Glaubensgemeinschaftund Erfahrung eines Glaubens, der mitFreude am Leben verbunden ist. ❏12. Seminar Akademie Oberst Helmut KornGedanken zur Ethik des <strong>Soldaten</strong>berufesAm 01. Juli dieses Jahres habe ich mein 40. Dienstjahrvollendet. Heute weiß ich, dass mir die Tragweitemeiner Entscheidung, Offizier zu werden, damalsnicht wirklich bewusst war. Ich habe mich für einenBeruf entschieden, den ich damals für einen von vielenmöglichen hielt. Erst sehr viel später habe ich, wie sicherauch viele von Ihnen erkannt, wie anspruchsvollmeine Wahl tatsächlich war. Wenn ich hier heute von<strong>Soldaten</strong> spreche, spreche ich vornehmlich von Offizierenund Unteroffizieren, die FührungsverantwortungVON GENLT WOLFGANG KORTEgetragen haben, noch tragen oder irgendwann einmaltragen werden.In den ersten Jahren meines Dienstes stand eindeutigder handwerkliche Aspekt unseres Berufes im Vordergrund.Ich will damit nicht sagen, dass meine Vorgesetzten,Lehrer und Ausbilder der charakterlichen und intellektuellenSeite unseres Berufes keine Beachtung geschenkthätten, aber das nahm man so nebenbei mit. Es standnicht so im Fokus, wie es vielleicht von Anfang an hättesein können oder sollen. Natürlich war das Thema Innere60 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


KIRCHE UNTER SOLDATENFührung wichtig, es war ja sogar Sperrfach auf manchenLehrgängen. Aber mir war ehrlich gesagt wichtiger, dassmeine Offiziere und Unteroffiziere ihren Panzer und ihreWaffen beherrschten.Sie werden mir sicher Recht geben und auch die Erfahrunggemacht haben, dass man allen idealtypischenAnforderungen unseres Berufes wohl nie wird in Gänzeentsprechen können. Am einfachsten sind in der Regeldie zu erfüllen, die eher der technokratischen Bewältigungder vielschichtigen Aufgaben eines <strong>Soldaten</strong> zuzurechnensind. Diese mehr handwerklichen Fähigkeiten kann mansich erarbeiten, man kann sie erlernen und trainieren. Dasgilt nicht in gleichem Masse für Charakter und Geist, dieaber ganz genau so Attribute unseres Berufes sind, ja diegerade im Beruf des militärischen Führers eine besondereAusprägung erfahren. Womit ich nicht gesagt haben will,dass dies nicht auch für andere Berufe gelten kann. DieseAttribute, Charakter und Geist, bilden sich durch persönlichesErleben, Erfahren und Einsicht heraus.Als ich Personalführer und später Referatsleiter in derAbteilung Personal war, ist mir ganz besonders bewusstgeworden, wie vielschichtig aber auch wie unpräziseBegriffe sein können, mit denen wir Menschen charakterisieren,und wie viele Probleme sie bereiten könnenin einer Welt und in einer Umgebung, in der in der Regelnur das Konkrete, das Beweisbare, das Belegbare zählt,das was wir messen und zählen können. Viel zu seltenwird Charaktereigenschaften im Vergleich mit und in derKonkurrenz zu Leistungsparametern die richtige Gewichtungeingeräumt.Für mich war dies immer ein Grund mehr, mich mitdiesen Attributen näher zu befassen und sie mehr in dasZentrum unseres Berufsverständnisses zu rücken. Dennes ist doch der Charakter, der im Wesentlichen die Glaubwürdigkeitund die Überzeugungskraft des militärischenFührers bestimmt, es ist der Charakter, es ist die Persönlichkeitdie ihn verlässlich und berechenbar machet, Eigenschaften,die die Forderung des <strong>Soldaten</strong>gesetzes anihn, Vorbild zu sein, doch erst möglich machen.Geist oder Intellekt wiederum verleihen dem militärischenFührer die Kraft zum Verstehen, zum Urteil, zurEntscheidung. Der Charakter ist auch der Ort, wo dasGewissen zum Massstab unseres Handelns wird. An Wertenorientiertes Handeln, zielgerichtetes Handeln, Handelngegen Mode und Zeitgeist und eine Lebensführungdie versucht, diesen Grundsätzen zu folgen, das erfordertGeist und Charakter.Eine unserer wichtigsten Aufgaben gerade heute, inZeiten der Einsätze, ist es, <strong>Soldaten</strong> auf Extremsituationenvorzubereiten und sie in solchen Grenzsituationen dannauch zu führen. Verantwortung für fremdes Leben zu tragen,ist aber eine ungeheure Anforderung. Um ihr gerechtwerden zu können, bedarf es innerer Stärke und geistigerDurchdringung. Leben zu verantworten bedarf eines wirklichguten, überzeugenden Grundes, eines klaren Zielesund der Rechtfertigung vor seinen <strong>Soldaten</strong>, aber vor allemauch vor sich selbst. Ein rein militärischer Zweck alleinreicht da nicht aus, er bedarf einer überzeugenden ethischenLegitimation.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Innere Stärke und Kraft zur Führung können nur ausCharakter und ethisch begründeter Überzeugung erwachsen.Innere Stärke jedoch ohne Wertebindung kann sehrschnell auch der falschen Sache dienen, dem persönlichenEhrgeiz oder der eigenen Eitelkeit zum Beispiel. Das läuftdann aber schnell auf Missbrauch von zur Führung anvertrautenAbhängigen hinaus. Soll jedoch Rechtfertigung mehrsein als vordergründige Erklärung oder bequeme Ausrede,dann brauchen wir dafür einen Maßstab, Werte, die außerhalbunseres eigenen Nutzens liegen.Die fast schon unmenschliche Aufgabe, fremdes Lebenzu verantworten, legitimiert sich nicht allein durch das staatlicheGewaltmonopol, ein Mandat oder das <strong>Soldaten</strong>gesetzmit seinem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Wir kommenan einer individualistischen, persönlichen Entscheidungund Rechtfertigung nicht vorbei.Wie jeder andere Beruf dient auch der Beruf des <strong>Soldaten</strong>zunächst einmal der Sicherung des Lebensunterhalts.Wenn die Zweckbestimmung des Berufes jedoch die Sicherungder Grundlagen menschlicher Existenz einschließt,wenn es also um Bewahrung von Leben, Menschenwürde,Freiheit, Frieden und Recht geht - so unser Grundgesetz -dann gewinnt die Sache eine ganz neue Dimension, eine Dimension,die es in vielen anderen Berufen nicht gibt, ohnediese damit in irgend einer Form abwerten zu wollen. Wirteilen diese besondere Dimension mit Berufen wie z.B. demdes Pfarrers, des Arztes, dem des Pädagogen, des Politikersund anderen. Wir sind weiß Gott nicht einmalig. Aber auchwenn die jeweiligen Zweckbestimmungen sehr unterschiedlichsind, gehört doch zu diesen Berufen, wie zu dem desmilitärischen Führers, eine ideelle Verpflichtung, ein Wertebezug,eine besondere Verantwortungsethik.Das Berufsbild des <strong>Soldaten</strong>, gerade in Deutschland, istsehr komplex. Es ist bis heute belastet mit Klischees, mitVorurteilen und natürlich mit den schlimmen Ereignissenunserer Vergangenheit. Wir Deutsche haben unsere besonderenTraumata zu verkraften.Die sehr pauschalen moralischen Angriffe auf die deutschen<strong>Soldaten</strong> nach 1945 zwangen zu einer selbstkritischenAuseinandersetzung. Wer dies wahrhaftig tat, musstezwangsläufig zu der Erkenntnis kommen, dass der faktischeMissbrauch der <strong>Soldaten</strong> der Wehrmacht für Angriffskriege,Unterdrückung und Schlimmeres, mit der Opferrolle gegenübereiner verbrecherischen Politik and Staatsmacht alleinnicht zu erklären, geschweige denn zu entschuldigen war.Wer die Pflicht zur persönlichen, ethischen Rechtfertigungernst nahm, musste erkennen, dass das Prinzip von Befehlund Gehorsam, dass Pflichterfüllung, Liebe zum Vaterlandoder Sorge um die eigene Familie allein nicht ausreichten,weil sie nicht an Recht und Gesetz, nicht an das Gebot derMenschenrechte und nicht an eine Gewissensentscheidunggebunden waren.Dass unsere Väter und Großväter für die Nationalsozialistenin den Krieg zogen, Unrecht taten, ja vielleicht tunmussten, und doch dabei ihrem Land im Guten zu dienenglaubten, ist nicht vorwerfbar. Das verdient vor allem unserMitgefühl. Wer sich jedoch auch noch nach dem Zusammenbruchindirekt durch die Nationalsozialisten missbrauchenliess, weil er sich der Wahrheit und der Einsicht61


KIRCHE UNTER SOLDATENin die Schuld verschloss, kann nicht auf unser Verständniszählen. Wenn wir die Diskussion suchen, den Dingen aufden Grund gehen, dann weil wir uns ohne dies den Blickauf die Zukunft verstellen.Der Aufstand des Gewissens, der zum 20. Juli führte,hatte bei vielen der Handelnden vielleicht keine demokratischeZielsetzung, sondern andere Motive. Er zeigt uns abereindrucksvoll das mutige Einstehen auch von <strong>Soldaten</strong>, denendas Koordinatensystem der Werte auch in schwierigenZeiten nicht verloren gegangen war. Diese Männer und Frauentraten ein für ein freies Deutschland, für einen Rechtsstaat,für Selbstbehauptung gegenüber Unterdrückung, fürWürde und Anstand, für die Widerherstellung der Ehre einerKulturnation, für ihr Vaterland und nicht zuletzt in vielenFällen für ihre christliche Überzeugung und ihren Glauben.Die militärischen Führer unter ihnen hätten dies nicht tunkönnen, wenn sie eine rein handwerkliche Vorstellung vomWesen ihres Berufes gehabt hätten. Aber da war eben auchdie Verpflichtung des Charakters, des Geistes und des imGlauben eingebundenen Gewissens.Was ist es, das Menschen die grundsätzliche Fähigkeitverleiht, zwischen gut und böse zu unterscheiden?Was gibt ihnen die Kraft, sich für das als richtig erkannteauch einzusetzen?Es gibt wohl kaum wichtigere Fragen, denen man imLeben begegnen kann. Und oft ist man darauf nicht odernur unzureichend vorbereitet. Es geht nicht darum, immergleich die passende Antwort parat zu haben, über quasi einNachschlagewerk für moralisch einwandfreies Handeln zuverfügen. Sondern es geht darum, letzte Verbindlichkeitenzu kennen, seinen Standort bestimmt zu haben und im Charaktergefestigt zu sein. Ethische Fragen sind Lebensfragen,denen wir nicht ausweichen können, zu denen wir Stellungbeziehen müssen. Wir Mensch sind zum Leben in der <strong>Gemeinschaft</strong>bestimmt. Gemeinsames Leben aber verlangtnach Gestaltung der Beziehungen untereinander, nach Regelnund nach einer Instanz, die die Einhaltung dieser Regelngarantiert und sich u.a. auch für den Schutz des Einzelnenund der <strong>Gemeinschaft</strong> verantwortlich fühlt. Lebenzu schützen, u.a. indem ich den Frieden wahre, ist somit einwesentlicher Zweck des Staates und politischen Handelns.Und dazu sind Instrumente, wie auch das Militär, unverzichtbar.Damit landen wir fast zwangsläufig in einem Dilemma,weil die Realität, Konflikte auch gewaltsam austragenkönnen zu müssen, uns zwingt, Mittel bereit zu halten,an ihnen auszubilden und in der letzten Konsequenz auchanzuwenden, die dem Gebot der Bejahung und des Schutzesvon Leben diametral entgegenstehen.Wo es um Ethik geht, geht es oft auch um eigentlich unlösbareWertekonflikte, also Dilemmata. Das war besondersin Zeiten des auf nuklearer Abschreckung basierenden KaltenKrieges sehr deutlich. Ein nuklearer Krieg, mit dessenDrohung der Frieden gesichert werden sollte, hätte das Gebotdes Schutzes von Leben in sein Gegenteil verkehrt. Esgab jedoch zu dieser Drohung keine akzeptable Alternative.Die Unmöglichkeit, ethische Ansprüche zuverlässig injeder Situation in die Realität zu übertragen, gehört zum Wesender Ethik. Hier liegt der Grund dafür, dass nach christlichemVerständnis der Mensch keine andere Wahl hat, alsentweder durch Handeln oder durch Unterlassung schuldigzu werden. Das heißt natürlich nicht, dass wir wegen diesesDilemmas die Ethik als Prinzip zur Disposition stellenund als Maßstab für verantwortliches Handeln aufgeben.Wie sonst sollte der Mensch auf die Frage: „Was soll ichtun?“ eine Antwort finden oder in seiner Selbstzerstörunggestoppt werden?Oder anders gefragt: „Wie kann ich das Leben andererermöglichen? Was kann ich tun? Wie kann ich am Aufbauund an der Umsetzung einer entsprechenden Ordnung mitwirken?Wie also kann ich Verantwortung übernehmen? “vor allem aber auch: „Wie kann ich Ziele und Mittel meinesHandelns vor Gott, als der von mir erkannten höchstenInstanz, rechtfertigen?“Jeder von uns musste bzw. muss sich zwangsläufig irgendwannmit den Grundlagen unseres Berufes, mit seinerethischen Legitimation auseinandersetzen. Wir sollen Lebenschützen, dazu <strong>Soldaten</strong> einsetzen und führen, denenwir im Namen des Staates, dem wir dienen, die Ausübungvon Gewalt zumuten. Wir verlangen von unseren <strong>Soldaten</strong>sogar den Einsatz ihres Lebens. Wir verantworten also auchfremdes Leben, nicht nur unser eigenes. Aus dieser Pflichtgibt es keinen Ausweg, auch nicht den der Verweigerungoder Verdrängung. Diesem Dilemma können wir nicht entkommen.Es führt zwangsläufig in die Schuld.Wir Christen können uns glücklich schätzen, das unseine Antwort in dieser Not gegeben ist: Nämlich die christlicheZusage der Erlösung aus der Schuldverstrickung, dieVergebung der Sünde. Wer wirklich konsequent zu Endedenkt, kommt immer an den Punkt, an dem letzte Antwortennicht mehr durch Menschen gegeben werden können.Nun, im Frieden hier in Deutschland, im täglichenRoutinedienst belastet uns diese Verantwortung für fremdesLeben nicht so unmittelbar. Das ändert sich jedoch imgleichen Augenblick indem es zum Einsatz kommt, ja eigentlichschon, wenn wir uns auf ihn vorbereiten. Und wennwir einmal in dieser Situation gewesen sind, lässt sie uns niewieder los. Wir müssen darauf vorbereitet sein.Der Widerspruch zwischen ethischer Maßstabsetzungund realer Verantwortung, die Unvereinbarkeit von Anspruchund Wirklichkeit begegnen uns immer wieder, im Grossenwie im Kleinen. Wer dies erkennen und danach handelnwill, darf sich vor allem nicht selbst in den Mittelpunkt stellen.Wer glaubwürdig sein will, muss zunächst einmal vonseinem eigenen Handeln überzeugt sein. Wer Gefolgschafteinfordern will, muss selbst klaren Prinzipien folgen. Werführen will, muss bereit sein sich selbst führen zu lassen.Diesen Anforderungen gerecht zu werden ist sehr schwerund besonders in Extremsituationen fast unmenschlich. DieLebensbedingungen unserer materiell orientierten Konsumgesellschaftmachen es nicht gerade leichter. Da ist wenigPlatz für Charakterbildung. Das Klima wird hauptsächlichdurch Konsum und Genuss, Reizüberflutung, Vorteilsdenken,Distanz zu gemeinschaftlichem Denken und Handeln,Verneinung von Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Dienen,Pflichtbewusstsein, Disziplin usw. geprägt. Es herrschenoft ethische Gleichgültigkeit und Doppelmoral. Und dochsollen, ja müssen wir uns behaupten.Auch die intellektuellen Verführungen sind vielfältig:Ideologien, Propaganda, Gutmenschentum, Realitätsverwei-62 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


KIRCHE UNTER SOLDATENgerung, Meinungsmanipulation, um nur einige zu nennen.Aber wir leben nun einmal in dieser Welt und nicht in der,die wir gerne hätten. Uns unser christlich geprägtes Wertesystemzu erhalten und es gegen alle diese Widrigkeitenund Anfechtungen zu behaupten, ist die wesentliche Herausforderung,die wir zu meistern haben. Sie wird uns immerbegleiten.Der Kompass durch die Unübersichtlichkeit in diesemGewirr des Lebens ist unser Glaube, sind die uns von Jesusgelehrten und vorgelebten Gebote. Sie orientieren sich amMenschen als Ebenbild Gottes und an seinen ihm von Gottverliehenen unveräußerlichen Rechten. Die wesentlicheLeistung ist, dieses zu erkennen, sich dieses Verständnis persönlichzu erarbeiten und es in der Wahrnehmung der eigenenVerantwortung umzusetzen. Hilfe kann nur bedingt vonaußen kommen, von Eltern, Erziehern, der Schule, der Kirche.Unsere wichtigste Stütze und Hilfe ist Gott selbst. SeinSohn hat uns ziemlich genau gezeigt, wie es geht. Auch imWissen darum, dass nur wenige von uns diesem Ideal näherkommen, - die, die es tatsächlich schaffen, werden von unsals Heilige verehrt - sind wir aufgefordert es zu versuchen.Was dazu gehört, lässt sich nicht in Ausbildungsplänefassen und im Lehrsaal oder auf dem Übungsplatz vermitteln.Charakterbildung geschieht durch Selbstkontrolle,Selbststeuerung, Selbstüberwindung, Selbstbeherrschungund Maß im Urteil. Der Geist beweist sich im Ringen umdas Koordinatensystem der eigenen Werteorientierung, imErkennen von Problemen, der Erarbeitung von Lösungensowie in der Beteiligung an der geistigen Auseinandersetzungzur Durchsetzung derselben. Wir haben uns einen anspruchsvollenBeruf ausgesucht, der Persönlichkeit und Intellekt,Standfestigkeit und Anpassungsfähigkeit, Toleranz,Energie und Bereitschaft Verantwortung zu tragen, verlangt.Ich werde schon bald das Ende dieses beruflichen Lebensabschnittserreicht haben, für den es dann Bilanz zu ziehengilt. Da werden auch alle die Fragen, die ich hier aufgeworfenhabe, wieder zu beantworten sein.Sie haben mit Masse noch einen längeren Weg vor sich.Irgendwie beneide ich sie darum. Begreifen sie ihren Berufals einen geistigen Beruf, als Probe des Charakters undals einen von ganz wenigen, die in dieser Zeit der vielfachenOrientierungslosigkeit und der vermeintlichen Auflösungvon Lebensformen und Sinninhalten noch ethischbegründetes Handeln verlangt. Für ein gelungenes Lebengibt es kein Patentrezept, aber vielleicht einen Rat. VersuchenSie Gottes Gebote zu leben so gut Sie können. Ichkann mir keinen Fall vorstellen, in dem dies anderen odereinem selbst schaden könnte. Sie werden es, wie auch ich,nur unzulänglich schaffen. Aber es lohnt sich, und es istein gutes Gefühl. ❏12. Seminar Akademie Oberst Helmut KornDie <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong> (GKS) –ein katholischer Verband in der Bundeswehr –Hilfen für ein Leben aus dem GlaubenVON RÜDIGER ATTERMEYERAls Bundesvorsitzender der GKS möchte ich sie daherhier nicht nur herzlich begrüßen, das wäre mir entschiedenzu wenig. Ich möchte vielmehr das Thema ausmeiner Sicht aufgreifen, meiner Sicht als Bundesvorsitzenderdieser <strong>Gemeinschaft</strong>, aber auch aus meiner Sichtals eigenständige Person, die ein eigenes Glaubensverständnishat, das sich weiterentwickelt.So wie gerade angesprochen möchte ich meinen Beitragzur Akademie auch gliedern, ich möchte zunächstdie Wurzeln der <strong>Gemeinschaft</strong> darstellen, dann etwas zumProgramm, den Zielen und Wegen der GKS sagen, bevorich zu meinem eigenen Verständnis komme.Zu den WurzelnIch halte es für unerlässlich, sich mit der Entstehungdes Verbandes zu beschäftigen, wenn man den heutigenStand wirklich verstehen möchte. Alles hat eben seineEntstehungsgeschichte! So leitet sich die Historie desVerbandes eben aus der Geschichte der Streitkräfte ab.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Bereits zur Zeit der Gründung der Bundeswehr im Jahre1956 machten sich katholische Offiziere, die durch denZweiten Weltkrieg geprägt waren, eigene Gedanken darüber,wie der Geist dieser neuen deutschen Streitkräftein ihrem Sinne ausgestaltet werden könnte. DiesenMännern kam es darauf an, der „Armee ein Gesicht zugeben“, das sich deutlich von dem der Wehrmacht unterscheidensollte. Geprägt waren diese Männer nichtnur von der Wehrmacht, sondern auch durch ihre Arbeitin katholischen Verbänden nach 1945. Da ist vor allemder Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) zunennen, wo auch Oberst Korn, der nicht nur Namensgeberdieser Akademieveranstaltung ist, selbst engagiertwar. Zugegeben, die politischen und gesellschaftlichenRahmenbedingungen waren schon andere als zur Zeitder Wehrmacht, aber die Unsicherheit und das Suchenwaren auf allen Feldern der Gesellschaft noch groß. Und„nicht wie die Wehrmacht sein“ ist allein aber noch keinneuer Entwurf!63


KIRCHE UNTER SOLDATENEs entwickelten sich zunächst örtliche Gesprächskreisenoch ohne feste Struktur, in denen Gedankenfrei ausgetauscht wurden. In dieser frühen Zeit sind derKöln-Bonner Raum aber auch Rendsburg als Keimzellenzu nennen, in denen die Idee der „Organisation einerKernschar katholischer <strong>Soldaten</strong>“ als Laienapostolatbereits erörtert wurde. Auch die Schule der Bundeswehrfür Innere Führung – das heutige Zentrum Innere Führung– war naturgemäß eine Einrichtung, in der man solcheGedanken aufgriff. Einer der Dozenten, Dr. HelmutIbach, entwickelte schon damals die Idee einer Akademieveranstaltung,die letztlich 1987 mit der Gründungder GKS-Akademie Oberst Helmut Korn in die Tat umgesetztwurde.Im März 1960 findet eine erste sogenannte „Akademietagung“des KMBA für Offiziere in Königstein/Taunusstatt. Dabei erklären sich engagierte katholische Offizierebereit, im militärkirchlichen Bereich mitzuarbeiten. Dr.Martin Gritz, Militäroberpfarrer bei der Schule für InnereFührung, kam in der Zusammenfassung dieser Veranstaltungzum Ergebnis: „Es ist nicht nur möglich, als katholischerChrist Soldat zu sein und als Offizier katholischerChrist zu bleiben. Es ist sogar notwendig, dass katholischeChristen Offiziere werden und diese Offiziere (nicht: alleOffiziere) als katholische Christen ‚dienen’. Denn davonwird die Qualität dessen mitbestimmt, was wir – als Volkund als Staat – sind bzw. werden wollen.“ Erste programmatischeAnsätze werden damit nach meiner Ansicht erkennbar,ein Einstieg ist jedenfalls geschafft.Es werden bei dieser ersten Akademietagung ersteStrukturen aufgebaut. Dabei werden sogenannte Vertrauensmännergewählt, die für die Idee in der Fläche werbenund in ersten Ansätzen verbindliche Formen für die Laienarbeitin der Kirche unter <strong>Soldaten</strong> entwickeln. Dazu findetim Mai 1960 eine Versammlung dieser Vertrauensmännerim KMBA in Bonn statt, bei der sich konkretere Kontureneiner Offiziervereinigung abzeichnen. Am 17.03.1961kommt es dann im Rahmen der zweiten Akademietagungdes KMBA zur offiziellen Gründung des „KönigsteinerOffizierkreises“ (KOK). Die „Königsteiner Grundsätze“werden formuliert, die von Helmut Korn zusammengefasstwurden mit den Worten: „Wir sind uns bewusst, dassder ‚Königsteiner Kreis’ durch ein konsequentes Einstehenfür die staatsbürgerliche und politische Bildung ausdem Geiste christlicher Verantwortung und Toleranz einenwichtigen und wertvollen Beitrag zur geistigen Formungder Bundeswehr leisten kann“.Es werden darüber hinaus in Königstein Sprecher inden Wehrbereichen gewählt; damit wird aus dieser Keimzelleheraus die Ausfächerung in die Fläche angestoßen.Im Weiteren entstehen „Königsteiner Offizierkreise“ (KOK)in zahlreichen Standorten, diese werden im Wehrbereichauf der mittleren Ebene zusammengefasst. Jeder Kreisbenennt einen Sprecher und ein Sprecher im des KOK imWehrbereich wird benannt. Die Sprecher im Wehrbereichwählen schließlich einen „Sprecher des FührungskreisesKOK“. Mit der dargestellten Struktur wird die noch heuteinnerhalb der GKS gültige Struktur deutlich erkennbar,auch wenn sich verschiedene Bezeichnungen gewandelthaben, aus „Sprechern“ wurden „Vorsitzende“ und soweiter. Bereits zu dieser Zeit Anfang der 60er Jahre wardie Teilnahme von Unteroffizieren und Mannschaften geplant,was dann im Jahr 1970 mit dem Übergang zur <strong>Gemeinschaft</strong><strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong> umgesetzt wurde. Dabeizeigte sich rasch, dass dies ein richtiger Schritt war, dennseit diesem Zeitpunkt bringen <strong>Soldaten</strong> aller Dienstgradeihr Engagement, ihr Können und ihre Erfahrungen in die<strong>Gemeinschaft</strong> ein.Das ProgrammFestgehalten wurden die Grundgedanken stets in denGrundlagendokumenten. Nach vielen Diskussionenüber die Organisationsform verabschiedet der Führungskreisdes KOK die „Königsteiner Ordnung 1963“. WennHelmut Korn selbst in diesem Zusammenhang von „Satzungskämpfen“spricht, dann kann ich mir heute dazuein stilles Schmunzeln nicht verkneifen! Nach der „Ordnung70 der GKS“ verabschiedete die Bundeskonferenzim Rahmen der 16. Woche der Begegnung in Freising eineErklärung mit 17 Thesen zu den „Grundsätzen und Zielender GKS“. 1982 gibt es eine Standortbestimmung derGKS sowie eine überarbeitete Ordnung. 1986 wurde einneues Konzept mit dem Titel „Ziele und Wege der GKS“vorgestellt. Hier hat sich nicht nur der Name bis heute erhalten,auch die Inhalte sind seither im Wesentlichen bisheute unverändert geblieben.Nach dieser gerade beschriebenen Phase der programmatischenAufbauarbeit wurde allerdings in den frühen90er Jahren eine Anpassung an die neuen sicherheitspolitischenRahmenbedingungen erforderlich. Die GKS reagierteauf diese Herausforderungen und 1995 wurde dasneue Grundsatzprogramm „Gemeinsam in die Zukunft!Ziele und Weg der GKS“ herausgegeben. Dann wurde ausder „Armee der Einheit“ die „Armee im Einsatz“. DieseTatsache sowie die mit der Transformation der Bundeswehrzusammenhängenden Veränderungen innerhalb derMilitärseelsorge machten eine erneute Überprüfung erforderlich.Diese wurde mit dem „Leitershofener Grundsatzprogramm“von 2007 dokumentiert. Der bewährte Titel„Gemeinsam in die Zukunft! Ziele und Weg der GKS“konnte dabei zu Recht beibehalten werden, denn bewährteLeitsätze und Prinzipien wurden unverändert beibehalten.Dieses Prinzip von sich den Herausforderungen der Zukunftdurch Anpassungen zu stellen und dabei an Bewährtemfestzuhalten halte ich für einen wirklich tragfähigenAnsatz für künftige Weiterentwicklungen.Die <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong>, die im Jahr2011 auf ein fünfzigjähriges Bestehen zurückblicken wird,versteht sich selbst als ein freier Zusammenschluss vomeigenverantwortlichen Gläubigen in der Bundeswehr imJurisdiktionsbereich des Katholischen Militärbischofs.Ich zitiere aus dem Leitershofener Programm: „DieGKS wird in dem besonderen Berufsbereich Bundeswehrund in den Bereichen Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeitsowie Innere Führung tätig. Ziel ist es, aus derPerspektive des christlichen Glaubens heraus auf dieLebensfragen und die Lebenssituation der <strong>Soldaten</strong> undihrer Familien Antworten zu geben. Sie will Katholikenin der Bundeswehr, <strong>Soldaten</strong> in der katholischen Kircheund katholischen <strong>Soldaten</strong> in Staat und Gesellschaft sittlich-religiöseOrientierung und geistige Heimat bieten.64 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


KIRCHE UNTER SOLDATENSie will ihre Anliegen, die sich aus den Besonderheitendes <strong>Soldaten</strong>berufes ergeben, in den Meinungsbildungsprozessvon Kirche, Politik und Gesellschaft einbringenund in den Streitkräften zur Verwirklichung des christlichenZeugnisses durch Besinnung, Bildung und Begegnungbeitragen.“Soweit die einleitenden Originalzitate aus dem aktuellenGrundsatzprogramm. Das muss man sicher erstmalsacken lassen, aber – was bedeutet das in der praktischenUmsetzung?Die Umsetzung erfolgt in zwei Richtungen, nach innenund außen. Einerseits bietet die GKS für ihre MitgliederOrientierung auf der Basis der katholischen Soziallehre –und damit letztlich auf Basis des katholischen Glaubens– für die berufspezifischen Herausforderungen an. Andererseitsversucht die GKS in der Wirkung nach außenEinfluss auf Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaftzu nehmen, um auch dort zu den Grundsätzen entsprechendenEntscheidungen anzuregen.Und wenn es gerade um dieses inhaltliche Wirkengeht, dann kommen unsere Sachausschüsse ins Spiel. Sieschaffen Grundlagen für beide Aspekte der Arbeit undliefern die Argumente für die Diskussion, die dann aberjeder für sich zu verarbeiten hat – ich komme auf diesenAspekt noch zurück.Ich habe hier sicher in erster Linie die SA InFü undS&F angesprochen. Der SA International ist nach meinemVerständnis der „Transporteur“, der GKS-Positionen in deninternationalen Raum der katholischen Laienorganisationenbringt. Er hat damit in der heutigen Zeit der multinationalenEinsätze eine ganz wichtige Rolle.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Verständnis der GKS und ihres WirkensDer soeben dargestellte Laienverband in der KatholischenMilitärseelsorge gründet sie auf dem Glaubender katholischen Kirche. Ich sage dies ganz bewusst, denndiese Basis ist wichtig. Auf dieser Grundlage ist dann sicherviel Ausgestaltung möglich, nicht jedoch abseits –so mein Verständnis. Dies auch nach außen darzustellenbleibt beständige Aufgabe, denn andere Strömungen gibtes genug. Kurz gesagt: Wo katholisch oder noch genauergesagt wo GKS draufsteht, da muss auch GKS drin sein!Ich erlebe an mir selbst, dass mein eigenes Selbstverständnisund mein Glaube sich mit mir wandeln. Undich denke nicht, dass es einfach nur ein Älterwerden ist,obwohl es auch etwas davon hat, denn ich bin schließlichnoch ein Jahr älter als unsere <strong>Gemeinschaft</strong>! Ich vertrauenicht darauf, einfach nur die Erfahrungen anzusammeln,die sich so am Wegesrand ergeben, das reicht mir nicht.Manche Entwicklungen muss man einfach bewusst und jederfür sich selbst anstoßen, so meine ich. Und genau zudieser persönlichen Entwicklung des einzelnen, suchenden<strong>Soldaten</strong> und seiner Familien, möchte wir Orientierunganbieten.Was heißt dies konkret? Lassen sie mich dazu zweiBeispiele darstellen. Bevor ich Anfang 1996 als KpChefin den Einsatz auf den Balkan ging, stellten sich für michganz konkrete, handfeste Fragen: Wie stark bin ich inGrenzsituationen, die ich mir nicht einmal in der Phantasievorstellen kann? Bin ich dann selbst noch der echteKamerad, den ich mir an der Seite wünsche? Kann ichwirklich schießen, wenn es darauf ankommt?Ich weiß es bis heute nicht, denn ich persönlich bin damalsnicht in die entscheidende Lage gestellt worden. Aberich habe mir in meiner persönlichen Einsatzvorbereitungeigene Gedanken zu den genannten Fragen gemacht. Woranaber konnte ich mich orientieren? Patentrezepte greifennicht, andererseits kann auch niemand alle möglichenSituationen vorausdenken, die sich ergeben könnten. Alsoheißt es, sich auf Grundsätze zu beschränken, die verinnerlichtin der entscheidenden, konkreten Situation dasinstinktive Handeln bestimmen mögen. Etwa so wie in derChemie, wo man beispielsweise besser die Reaktionsmechanismender Halogene und einwertigen Metalle zum Salzlernt und nicht die Einzelreaktion bestimmter Elemente.Wir waren gut ausgebildet, obwohl die Bundeswehr damalsnoch nicht so viel Erfahrung damit hatte, undich fühlte mich auch geistig einigermaßen gerüstet – unddann kam alles viel früher und ganz anders als erwartet.Wir hatten gerade die Boing 707 der Flugbereitschaft inSplit/Kroatien verlassen und gingen auf das Abfertigungsgebäudezu, als drei Kombis auf eine britische HERCULESC-130 zufuhren. Dort, am Rande des Rollfeldes, wurdendann drei Särge umgeladen und wir standen dreihundertMeter daneben. Die Szene erinnerte mich spontan an dieEingangssequenz im Film Platoon, nur waren wir jetzt mittendrin. Was war passiert? Am Vortag noch in Köln hattenwir davon gehört, dass ein britischer Schützenpanzerin eine Minensperre geraten und auf eine Mine aufgefahrenwar. Da das Gelände rundherum vermint war, konntekeine unmittelbare Hilfe von außen geleistet werden. Alsdann ein Hubschrauber herangeführt war, kam die Hilfefür drei <strong>Soldaten</strong> zu spät. Und wir standen alle mehr oderweniger betroffen auf dem Rollfeld. So entstand bereitsam ersten Abend Nachbereitungsbedarf, auf den niemandspontan vorbereitet war. Da kam es darauf an, einen Gesprächsfadenaufzugreifen und zu moderieren, zuzuhörenund eigene Worte zu finden. Ohne persönliche Vorbereitung,ohne eigene Position gelingt dies nicht überzeugend.Eine weitere Situation habe ich ebenso lebendig imGedächtnis. Ich hatte den <strong>Auftrag</strong>, ein erstes Instandsetzungskommandonach Sarajevo in „die Box“ zu schicken– als „box“ wurde damals Bosnien bezeichnet. Ich erinnerean das Jahr 1996, als die „sniper-alley“ ihrem Namennoch traurige Ehre machte und die Lage, in die ichdie beiden <strong>Soldaten</strong> zu schicken hatte, war für mich nichtabschätzbar, ich selber war bis dahin nicht selbst in Sarajevogewesen, dies gelang mir erst zwei Wochen später.Und selbst zu fahren kam nicht in Frage, dafür fehltenmir als Chef der InstKp die erforderlichen technischenFachkenntnisse. Damit blieb mir nur die Möglichkeit, dasPersonal nach den bekannten Anforderungen und besterPersonenkenntnis auszuwählen und diese Entscheidungdann zu verantworten.Verantwortung übernehmen heißt dann, nicht nur fürdie vorhersehbaren Folgen des Handelns aufzukommen,sondern letztlich auch für die unvorhersehbaren. Die Fragenach der Schuld ist dann eine andere, allerdings nichtnur eine juristische. Klar ist damit für mich heute, dass65


KIRCHE UNTER SOLDATENein solcher Entscheidungsträger damit letztlich auf Vergebungangewiesen ist. Ich meine, diese Frage ist aktuellerdenn je.Sie erkennen an diesen Beispielen, dass eine eigene,ethisch begründete Position der Verantwortung für den <strong>Soldaten</strong>grundsätzlich und für den militärischen Führer imEinsatz ganz besonders wichtig ist. Wo diese fehlt, herrschtUnsicherheit, weil ein Instinkt für das richtige Handelnnicht ausgeprägt ist. Ist dies aber der Fall, dann ist nichtklar, wie man sich tunlichst gegenüber den Schädeln getöteterMenschen verhält, um ein sicher noch geläufigesNegativbeispiel zu bemühen.Die deutsche Geschichte hat uns gelehrt, dass Macht(und <strong>Soldaten</strong> üben im Einsatz immer Macht aus!), wennsie nicht ethisch gebunden ist, entarten kann. Genau andieser Stelle haben unsere Altvorderen in der katholischenLaienarbeit unter den <strong>Soldaten</strong> den Hebel angesetzt. DieNotwendigkeit und Aktualität vor dem Hintergrund derderzeitigen Herausforderungen der Streitkräfte habe ichversucht darzustellen. Und dass dieser Prozess nicht nurim Zeitalter der Transformation ein ständiger ist und damitder ständigen Begleitung bedarf, da sind wir uns sicher einig.Daher wird die GKS auch weiter ihrem <strong>Auftrag</strong> nachkommenund die <strong>Soldaten</strong> und ihre Familien begleiten. ❏In memoriam:Flottenarzt a.D. Dr. Werner Pfeiffer* 30.08.1920 in Münster, † 14. Januar 2010 HavixbeckNicht mehr viele Aktive in der „Kircheunter <strong>Soldaten</strong>“ werden sichan den ersten Vorsitzenden der ersten„Beratenden Versammlung beim KatholischenMilitärbischof“, FlottenarztDr. med. Werner Pfeiffer, erinnern.Sind doch seit dem mehr als 30 Jahreins Land gegangen. Diese BeratendeVersammlung - Vorläuferin der ZentralenVersammlung, des heutigen Katholikenrates- etablierte sich infolgedes II. Vatikanischen Konzils (1962-1965) und seiner Umsetzung durchdie Gemeinsame Synode der Bistümerin der Bundesrepublik Deutschland(1972-1975) als zunächst noch nichtoffizielles, allerdings vom Militärbischofgewolltes Gremium des Laienapostolatsin der Katholischen Militärseelsorge.Die Aufgabe dieser Versammlungvon Delegierten aus allenWehrbereichen war:– Beratung des Bischofs und der Pfarrer,– Mitverantwortung für die Sendung der Kirche in derWelt von heute,– Weltverantwortung in der Form des persönlichen Zeugnissesund durch die Mitarbeit in katholischen Verbänden.1978 verzichtete Dr. Pfeiffer auf eine Wiederwahl alsVorsitzender. Damit wollte er in dem Laienorgan - inzwischenstrukturiert, in „Zentrale Versammlung der katholischen<strong>Soldaten</strong> im Jurisdiktionsbereich des KatholischenMilitärbischofs“ umbenannt und mit einer Ordnungversehen, die am 05.06.1979 in Kraft trat - den Weg freimachen für die jüngere Generation. Bei der 24. Gesamtkonferenzder Katholischen Militärseelsorge 1979 in BadKissingen würdigte Militärbischof Erzbischof Dr. ElmarMaria Kredel, dass sich in der Person Pfeifers zeige, wiesich „berufliche Leistung und ehrenamtlichesEngagement für die Kircheunter <strong>Soldaten</strong> verbinden lassen“.Gemeinsam mit Kapitän z.S. NorbertSchütz, Mitglied im Bundesvorstandvon KOK und GKS, überreichte derMilitärbischof Flottenarzt Dr. Pfeifferdie päpstliche Ernennung zum „Ritterdes Ordens vom hl. Papst Silvester“.Neben seinen dienstlichen Verwendungenals leitender Sanitätsoffizierbei der Marinedivision Nordseein Wilhelmshaven, als Kommandoarztbei der Flotte in Glücksburg und zuletztals Kommandoarzt des Marineunterstützungskommandowieder inWilhelmshaven war Dr. Pfeiffer Jahrzehnteals Sportmediziner im deutschenSportärztebund tätig. 1972 wurdeer als Sportarzt zu den 20. OlympischenSpielen nach München berufen.Nach seiner dienstlichen Zurruhesetzung im Jahr 1980galt sein Engagement dem DJK-Sportverband und demMalteser Ritterorden im Raum Münster. Bis 2002 versaher das Amt des Verbandssportarztes beim DJK-DiözesanverbandMünster. Durch seinen ehrenamtlichen Einsatzhat er über mehr als fünf Jahrzehnte hinweg den katholischenSportverband mitgestaltet und mitgeprägt. Darüberhinaus war er Donat des souveränen Malteser Ritterordensund zählte 1953 zu den Mitbegründern des Malteser Hilfsdienstesin Münster.Die Beisetzung von Dr. Pfeiffer fand am 20. Januarnach einem Seelenamt in der Pfarrkirche St. Dionysius inHavixbeck auf dem Zentralfriedhof in Münster statt. DieVorstände des Katholikenrates und der GKS gedachtenbeim Gottesdienst anlässlich ihrer Sitzungen im KMBA am23. Januar des Verstorbenen und empfahlen ihn der Gütedes himmlischen Vaters. Möge er ruhen in Frieden. (PS)66 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKSGKS Kreis Hammelburg„Advent – Licht – Weg“Von diesem Thema fühlten sich zahlreiche <strong>Soldaten</strong>familienund GKS-Mitglieder der beiden MilitärseelsorgebezirkeHammelburg und Walldürn angesprochen undfanden sich daher anfangs Dezember zu einem Familienwochenendein der Tagungsstätte Wildbad in Rothenburgo.d.T. ein.„offen zu sein für Gott und die Menschen um uns herum“.Am Beispiel der Legende „Das steinerne Herz“ erläuterteWagner den Kindern das Wirken des Heiligen Nikolaus. InAnlehnung an das Thema des Wochenendes ermutigte erdie <strong>Soldaten</strong>familien „dem anderen zum Licht“ zu werden.Die musikalische Begleitung der Eucharistiefeier übernahmder Vorsitzende des GKS-Kreises HauptfeldwebelChristian Hüfner. Nach einer kurzen Rückschau, bei dersich alle sehr zufrieden über den Inhalt und Verlauf desWochenendes äußerten und Mittagessen machten sich dieFamilien auf die Rückfahrt an ihre Wohnorte.(Text und Foto: Ludwig Deschner)Referentin Tilly Bieber (links) erarbeitet mit denTeilnehmern das Advents- ABCDie beiden Militärpfarrer Stefan Frank und ArturWagner sowie die Pfarrhelfer Achim Blum bzw. WolfgangKrug hatten alles sorgfältig vorbereitet, so dass bei über80 Teilnehmern, darunter viele Kleinkinder, keine Langeweileentstand. Damit sich die Eltern ungestört mit derThemenstellung auseinandersetzen konnten, bastelten dieKinder unter der Obhut des allseits geschätzten „Bastel-Opa“ Bothfeld Nikolausfiguren und verschiedenen Weihnachtsschmuck.Nachzudenken: „Was wäre, wenn Weihnachten nichtvor über 2000 Jahren, sondern heute stattgefunden hätte“,dazu lud die Referentin Tilly Bieber die Teilnehmerrundeein. Als Antwort trug sie einen Artikel vor, wie dieWeihnachtsgeschichte im Telegrammstil in einer Zeitungzu lesen wäre: Säugling im Stall gefunden – Polizei undJugendamt ermitteln – Schreiner aus Nazareth und unmündigeMutter vorläufig festgenommen!Was ist uns an Weihnachten wichtig? In einem Advents–ABCspürten die Teilnehmer Werten, persönlichenErwartungen und Wünschen nach, die Orientierung geben,um sich auf das Weihnachtsfest vorzubereiten. Die einzelnenBegriffe von A (Ankunft) bis Z (Zeit schenken) wurdenauf Wortkarten zusammen mit Teelichtern spiralförmig alsBodenbild visualisiert und mit passenden Geschichten untermalt.Abschließend wurde nach den Klängen eines altperuanischenWeihnachtliedes ein meditativer Tanz aufgeführt.Am Samstagnachmittag bestand die Möglichkeitzu einem Spaziergang auf den Rothenburger Weihnachtsmarktmit seiner romantischen Kulisse.Im Familiengottesdienst, der von den Kindern mitgestaltetwurde, forderte Militärpfarrer Wagner dazu aufAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Star-Ballett als MinistrantenNarren können bei allem Sinn für Humor und Ausgelassenheitauch ernsthafte Aufgaben übernehmen. Davonkonnten sich die Besucher der katholischen Standortkircheund Kuratie Christkönig Hammelburg überzeugen, denndas „Star Ballett“ der <strong>Gemeinschaft</strong> katholischer <strong>Soldaten</strong>(GKS) übernahm den Ministrantendienst bei der Messfeieram Faschingssonntag. Nach einem sensationellen Auftrittam Pfarrfasching, bei dem die sechs „begnadeten Körper“das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hinrissen,entschlossen sich die Mimen spontan dazu, den Gottesdienstmitzugestalten. Der fünften Jahreszeit entsprechendtrug der Vorsitzende des GKS-Kreises, Franz Herrler, verschiedeneTexte und Gebete vor.Vorsitzende des GKS- Kreises Franz Herrler beimVortrag, im Hintergrund Militärpfarrer Stefan Frank, dersich über den Text freut.„Als Christen brauchen wir keine Masken, sondernein offenes Gesicht mit dem wir den Mitmenschen begegnen“,griff Militärpfarrer Stefan Frank in seiner Ansprachedie vielfältigen Masken auf, hinter denen sich Menschennicht nur während des Faschings allzu oft verstecken.Für die nächste Faschingssaison ist ein erneuter Auftrittdes Männerballetts geplant – beim Pfarrfasching und imGottesdienst.(Text und Foto: Ludwig Deschner)67


AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKSGKS-Kreis BonnAdventliche BesinnungZum Abschluss der diesjährigen Aktivitäten in der Laienarbeitbeim katholischen Militärpfarramt Bonn ludenMilitärdekan Benno Porovne und OberstabsfeldwebelJoachim Lensch, Vorsitzender GKS-Kreis Bonn, am Donnerstag17. Dezember 2009 zu der – schon traditionellen– adventlichen Besinnung ins Geistliche Forum auf derHardthöhe ein.Die Bläser-Combo von Geschäftszimmersoldat RobertBaumgärtner (in der Mitte am Saxophon) gab demAbend den musikalischen RahmenWie bei den Veranstaltungen der Katholischen MilitärseelsorgeBonn üblich, wurde der Abend durch einenGottesdienst eingeleitet. Militärdekan Porovne zelebrierteeine stimmungsvolle und nachdenklich stimmende Messe.Die vielen Kerzen, die am Licht aus Bethlehem entzündetund an die zahlreichen Besucher für die Feier desGottesdienstes verteilt worden waren, trugen das ihre zuder Ruhe bei, die Dekan Porovne in seinen besinnlichenWorten auf die Mitfeiernden übertrug. Obergefreiter RobertBaumgärtner trug mit seiner Blechbläser-Combo zurstimmungsvollen Gestaltung bei.Den Jahresrückblick leitete Oberstleutnant ThomasMayer durch die Geschichte vom buckligen Josef ein. Dabeiwurden sicher dem einen oder anderen seine „Höcker“,aber auch seine Verpflichtung für die ihm Anvertrauten bewusstgemacht. Anschließend führte dann OStFw JoachimLensch in seinem Vortrag noch mal durch die Vielzahl derVeranstaltungen der Militärgemeinde Bonn im Jahre 2009– vom Empfang zum Weltfriedenstag über Wallfahrten undFamilienwochenenden bis hin zu Vortragsveranstaltungen.Er dankte den Mithelfenden ebenso wie den immerzahlreichen treuen Teilnehmern. Insbesondere die stetsvorhandene Bereitschaft der Pensionäre Gisela Gawendaund Leo Schmidt würdigte er mit einem kleinen Präsent.Dekan Porovne führte unter den Klängen der Combo vomgeistlichen und geistigen Teil der Veranstaltung zur Stärkungdes Körpers mit Grünkohl und Pinkel über. Diesesgemütliche Beisammensein diente den Teilnehmern zumGedankenaustausch und es wurden selbstverständlich alldie Dinge im kleinen Kreis angesprochen, die auch weiterhindie reibungslose Zusammenarbeit der Laiengremienmit der Militärseelsorge Bonn zum Gegenstand hatten.Die Besucher waren sich einig: Wir freuen uns schon aufdas Jahresprogramm 2010!(Text und Bild: Reinhold Gradl)Militärpfarramt Bonn„Der Mensch als Mittelpunktder Gesellschaft“Anmerkungen zur Sozialenzyklika Caritas in VeritateProfessor Dr. Manfred Spieker während seines Vortragesim Geistlichen ForumUnter diesem Thema hatte das katholische MilitärpfarramtBonn am 10. November zu einem Vortrag in dasGeistliche Forum auf die Hardthöhe geladen. Ausgehendvon der anfänglich breiten öffentlichen Diskussion zu derBotschaft Papst Benedikts erhob sich die Frage, welcheStrahlkraft diese Enzyklika auf Kirche und Gesellschaftvor allem vor dem Hintergrund der aktuellen und immernoch andauernden weltweiten Finanzkrise besitzen kann.Als Referent konnte Prof. Dr. Manfred Spieker von derUniversität Osnabrück gewonnen werden, der am Institutfür Katholische Theologie der Universität Osnabrück bis2008 eine Professur für Christliche Sozialwissenschafteninne hatte und die Entwicklung der Katholischen Soziallehrein verschiedenen Funktionen intensiv begleitet hat.Diese profunde Kenntnis wurde im Vortrag sehr schnelldeutlich. Klar strukturiert und straff zusammengefasst beschriebProf. Dr. Spieker die Entwicklung und die teilweiseweit reichenden Auswirkungen der katholischen Soziallehresowie die dafür grundlegenden päpstlichen Schreiben,bevor er die wichtigsten Aussagen von „Caritas in Veritate“68 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKSdarstellte und kommentierte. So spannt sich der inhaltlicheBogen der Enzyklika von der „Liebe als Mittelpunktder kirchlichen Soziallehre“ über kritische Aussagen desHeiligen Vaters zur „Globalisierung“ hin zu „Feststellungenzu Markt, Staat und Gesellschaft“ und Forderungenan einen verantwortungsvollen Umgang mit Biotechnologie.Letzteres bedeutet die Schaffung nach einer verantwortungsvollenBioethik, die in engem Zusammenhang miteiner – schon lange erforderlichen – christlich orientiertenSozialethik stehen sollte, um letztendlich nicht zu einerKultur des Todes mit Abtreibung, eugenischer Geburtenplanungoder der Akzeptanz von Euthanasie zu führen.Die anschließende lebhafte Diskussion unter Leitungvon Oberstleutnant Reinhold Gradl zeigte noch einmal dasgroße Interesse der Zuhörer an der Thematik auf. Dabeiwurden vielerlei Aspekte des Vortrages nachhaltig verdeutlichtund die Vielschichtigkeit von „Caritas in Veritate“noch einmal heraus gestellt. Es bleibt als Botschaft,dass die Umsetzung dieser Enzyklika nur gelingen kann,wenn sich jeder Einzelne mit der Thematik persönlichauseinander setzt und seine Konsequenzen für seine persönlichenMöglichkeiten in Staat, Kirche und Gesellschaftauslotet und nutzt.So wurde dieser Abend, eingerahmt von einer HeiligenMesse mit Militärdekan Porovne zu Beginn und einemkleinen Imbiss mit Gulaschsuppe zum Abschluss, von allenals sehr gewinnbringend empfunden. Viele Besucheräußerten abschließend den Wunsch, die Thematik der KatholischenSoziallehre in weiteren Vorträgen zu vertiefen.(Text: Reinhold Gradl, Bild: Pressestelle SKA)GKS Kreis Köln-WahnAdventswochenendeDas abgelegene, von viel Natur und Stille umgebeneTagungszentrum des Erzbistums Köln „Maria in derAue“ bietet den idealen Ort für ein besinnliches Familienwochenende.Traditionell hatte der GKS-KreisvorsitzendeOTL Albert Hecht vom GKS Köln-Wahn am dritten Adventeingeladen. Am Freitagabend wurde in adventlicherAtmosphäre kurz Rückschau gehalten.Das Jahresthema „Innere Führung“ wurde im Bildungsteilnochmals aufgegriffen und vertieft. Vom ZentrumInnere Führung der Bundeswehr in Koblenz konntender evangelische Militärdekan Stefan Jurkiewicz undnochmals Oberst i.G. Siegfried Morbe gewonnen werden.Innere Führung – in Verbindung mit Auslandeinsätzenist ein sehr umfangreiches und vielschichtiges Thema.Führen bedeutet Ziele erreichen durch Einwirkung aufden Menschen. Die beiden Referenten verstanden es alleZuhörer, sowohl die <strong>Soldaten</strong> als auch die Ehefrauen, mitihren teils sehr persönlichen Erlebnissen und Einschätzungenzu fesseln. Auch nach den Ausführungen wurdenoch über das Thema diskutiert. Der von einem deutschenOffizier angeforderte Luftschlag Anfang September führteAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Erwachsene und Kinder beim Musizierendurch die Behandlung des Themas in der Öffentlichkeitzu einer starken Verunsicherung bei den <strong>Soldaten</strong>. DerRückhalt durch die Politik und die Anerkennung der Arbeitim Auslandseinsatz ist in der Bevölkerung nicht zuerkennen. Warum wird ein im Auslandseinsatz getöteterSoldat nicht so verabschiedet, wie ein Fußballstar, der denFreitod gewählt hatte?Während der Arbeitseinheiten bastelten die Kinderunter der Anleitung von Rosa Ponzel Windlichter. Gläserwurden mit Window-Colors reich verziert und schmücktenbeim Bingo und beim abendlichen Musizieren den Raum.Die Messe zum dritten Advent feierten alle zusammenmit Militärdekan Michael Berning, dem Standortpfarrervon Köln-Wahn. Für Entspannung sorgte der gemeinsameWinterspaziergang im bergischen Land. Ein Bummel überden Weihnachtsmarkt im Innenhof des Tagungszentrumsund der Bingoabend gehörten schon zum festen Bestandteilder Veranstaltung.Zum Abschluss wurde noch in gemütlicher Runde gemeinsammusiziert und Adventslieder gesungen.(Text und Foto: Magdalene Berners)Neujahrsempfangin Köln-WahnZum traditionellen Neujahrsempfang im Casino in Köln-Wahn konnte der Bereichsvorsitzende West, OberstltAlbert Hecht, am 9. Februar 2010 ca. 120 Gäste begrüßen,an ihrer Spitze der Befehlshaber des LuftwaffenführungskommandosGenLt Peter Schelzig. Zu Beginn des Festaktestrug der Männerchor Köln-Wahn unter der Leitungvon HptFw Markus Wolters heitere Lieder vor, passend zurfünften Jahreszeit im Rheinland (Bild 1).Als Festredner sprach der Katholische Militärbischoffür die Bundeswehr und Augsburger Diözesanbischof Dr.Walter Mixa (Bild 2) über Ehe und Familie. Bischof Mixafreute sich, dass die GKS Köln-Wahn in diesem Jahr dasThema Ehe und Familie in den Mittelpunkt ihrer Veranstaltungenstellen will und schlug einen Bogen von der69


AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKSBild 1: Unter der Leitung von HptFw Markus Wollters(rechts im Bild) bereitet sich der Männerchor Köln-Wahnauf seinen Auftritt vorStellung der Ehe und Familie in der Gesellschaft hin zurStellung dieser Institutionen in der Theologie und schlossmit den Bemühungen der Katholischen Militärseelsorgeauf diesen Feldern und deren Konsequenzen.In der Gesellschaft muss mittlerweile die Mutter ebenfallsberufstätig sein, damit die Familie über die Rundenkomme. Dies sei eine Fehlentwicklung, führte Dr. Mixaaus, schließlich sei die Erziehung der liebenden Mutterdiejenige Form der Erziehung, die nicht nur naturgemäßvorgesehen sei, sondern auch die Beste, die es gäbe. Deshalbmüsse der Staat die Familie unterstützen, anstelle einErziehungsmonopol über die Krippen aufzubauen, erläuterteder Militärbischof. Die Krippe sollte die Ausnahmefür besondere Fälle wie Alleinerziehende sein und nichtzur Regel werden. Über die theologische Einordnung dergrundlegendes Werk geschrieben habe. Als Konsequenzmahnte der Katholische Militärbischof die rückhaltloseFörderung von Ehe und Familie an, die ebenfalls in derEnzyklika „Deus caritas est“ von Papst Benedikt XVI.gefordert würde. Anstelle des zweiten Einkommens derEhefrau und Mutter könne – wie in Schweden – ein Betreuungsgeldtreten, welches durch Anrechnung auf denRentenanspruch die Absicherung der Frau im Alter deutlicherhöhen würde, führte Dr. Mixa während der Fragennach seinen Vortrag aus.Als Dankeschön für diese Grundsatzrede überreichteOberstlt Albert Hecht dem Bischof ein kleines Präsent,bevor sich die versammelten Gäste bei einem Imbiss nochausgiebig unterhalten konnten.(Text und Foto: Bertram Bastian)GKS Kreis UnnaHelfen oder WegsehenBild 2: Militärbischof Dr. Walter Mixa bei seiner Redeim Casino Köln-Wahn während des Neujahrsempfangeskleinsten Zelle des Gemeinwesens kam Bischof Mixa aufdie Bemühungen der Militärseelsorge in diesem Themenkreiszu sprechen. Hier sprach er die gute und erfolgreicheZusammenarbeit mit dem Zentralen Institut für Eheund Familie in der Gesellschaft an der Katholischen UniversitätEichstätt-Ingolstadt an, deren Referenten auchfür Veranstaltungen während der Familienwochenendenzur Verfügung stünden. Hier sei an erster Stelle Dr. PeterWendel zu nennen, der schon über Fernbeziehungen einBei den fröhlichen Gesichtern kann der Nikolaus nichtsSchlechtes vorgelesen habenUnter diesem Motto hat der GKS-Kreis Unna vom 04.bis 06.12.2009 ein Familienwochenende in Brilondurchgeführt. Bedingt durch die Abwesenheit des VorsitzendenRalf Eisenhardt führten der Stellvertreter Franz-Josef Johland mit der Geschäftsführerin Alex Krampedurch das Wochenende. Unterstützt wurden sie durch denMilitärpfarrer Martin Tilles, der am Freitagabend und amSamstagmorgen das Thema mit den Teilnehmern aufarbeitete.Der Nikolaus wurde mit eigener musikalischer Umrahmungdurch die Familien begrüßt und das Wochenendesomit weihnachtlich gestaltet.(Text und Foto: Franz-Josef Johland)70 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKSGKS Kreis MünchenTreffpunkt: „Julia“Am 24. 10.2009 trafen sich 22 Mitglieder des GKS-Kreis München zu einem ganz besonderenRundgangdurch ihre Garnisonsstadt.Julia ist eine Skulptur,die der Stadt Münchenanlässlich der Partnerschaftder beiden Städte1968 von Verona geschenktwurde. Es istbis heute ein schönerBrauch, dass s die ver-liebten Burschen inMünchen Julia einenBlumenstrauß in denArm legen. Wir müss-ten Pech haben,wenn Julia bei unse-rem Rundgang nichtgerade frische Blu-men bekommen hat.Diese Beschreibungsollte die Teilnehmerzum Treffpunktführen und hatte denZweck, sich schonvorher mit der Stadtzu beschäftigen. Um08:00 Uhr trafenalle gemeldeten Teil-nehmer an der Julia-Skulptur ein.Nach der Begrü-ßung durch denKreisvorsitzenden endenOberstabsfeldwebelReinhard Kießnerübergaber an denDurchführenden LutzKünzel. Währendeines Kamingesprächesbei einem Familienwochenendehatte er sich mit den Worten „Der GKS-KreisMünchen hat mir und meiner Familie schon viele schöneStunden und Tage bereitet – jetzt möchte ich auch mal waszurückgeben“ bereit erklärt diesen besonderen Stadtrundgangdurchzuführen.In der Heilig Geist Kirche fand die Stadtführung einenwürdigen Abschluss, in dem das Gebet der GKS undeinige Kirchenlieder vorgetragen wurdenAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Nach einem Kurzvortrag über die Stadtgründung ginges weiter in die benachbarte Peterskirche, dort fand eineEinweisung in die Baugeschichte und Kurzführung statt.Weiter ging es über Sendlinger Strasse zur Asamkirchevorbei an den Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert zurückzur Fußgängerzone. Nach einer Besprechung überdie ehemalige Augustinerkirche und Kurzeinweisung überdie Michaelskirche fanden einige Teilnehmer den Weg indie Wittelsbacher Gruft (Grab Ludwig II.).Weiter ging es zur Frauenkirche (mit Besichtigungdes Prunkgrabmals Ludwig des Bayern durch den Maxhof,vorbei am Stachus, der Dreifaltigkeitskirche und derehemaligen Karmelitenkirche zum Hotel Bayerischer Hof(ehemaliges Palais Montgelas) wobei jeweils die Bauwerkevorgestellt und erläutert wurden.Keiner der Teilnehmer hatte bisher eine Stadtführungvon München so intensiv und informationsreich erlebt. HerrKünzel hatte zu jeder der Sehenswürdigkeiten eine besondereGeschichte parat und zeigte nebenbei Details die vorherselbst eingefleischten Münchnern nicht bekannt waren.Nach vier interessanten Stunden Fußmarsch überKopfsteinpflaster und Asphalt ging es stilecht in das Hofbräuhauszum Mittagessen. Hier wurde neben ausführlichenGesprächen bei Münchner Köstlichkeiten (Bier undHaxe) die <strong>Gemeinschaft</strong> gepflegt. Die letzte Etappe führtezum Ausgangspunkt „Julia“ zurück. In der naheliegendenHeilig Geist Kirche fand die gelungene Veranstaltung mitdem Gebet der GKS und einigen Kirchenliedern einenwürdigen Abschluss. OStFw Kießner bedankte sich beiLutz Künzel für die Stadtführung der besonderen Art undwünschte den Teilnehmern einen guten Nachhauseweg.(Text und Foto: Reinhard Kießner)GKS Bereich NRW (alt)Letztmalige Bereichskonferenzvor der FusionVom 28. bis 30. August 2009 trafen sich zum letztenMal in dieser Zusammensetzung die Delegierten mitihren Familien zur Bereichskonferenz der GKS in NRW.Tagungsort war die Malteser-Kommende vor den TorenKölns, inmitten der reizvollen Umgebung des oberbergischenLandes. Im Schatten von Schloss Ehreshoven, desprächtigsten Adelssitzes im Bergischen Land, existiertdie Kommende seit Anfang des Jahres 2000 als modernesTagungszentrum. Als Gäste waren der BundesvorsitzendeOLT a.D. Paul Brochhagen anwesend, sowie als ehemaligeBereichsvorsitzende der stellvertretende BundesvorsitzendeOLT i.G. Rüdiger Attermeyer und der HaushaltsbeauftragteOStFw a.D. Johann Schacherl, aus terminlichenGründen konnte Oberst a.D. Karl-Jürgen Klein leidernicht teilnehmen.Zur Bestandsaufnahme der Lage der GKS in NRW berichteteanfangs der Vorsitzende OTL Albert Hecht überdie Aktivitäten auf Bereichsebene, bevor die Kreise überihre vielfältigen Tätigkeiten informierten.Des Weiteren galt es zu beachten: Am 01.01.2010fusionierte der Bereich NRW mit dem Bereich Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland zum Bereich West. Vom 18. bis20.12.2009 fand dazu im Tagungszentrum des ErzbistumsKöln „Maria in der Aue“ eine gemeinsame Konferenz vonDelegierten aus beiden Bereichen statt.Die neue Ordnung der GKS war ein weiterer wichtigerPunkt für die Zukunft. Intensiv und zum Teil kontroverswurde über einzelne Punkte der Ordnung diskutiert. Am71


AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKSDrei Generationen von Vorsitzenden des BereichesNordrhein-Westfalen. Von links: OStFw a.D. JohannSchacherl, OTL Albert Hecht, OTL i.G. RüdigerAttermeyerSchluss der Debatte fanden die Delegierten zu einer abgestimmtenMeinung im Bereich.Am Samstagabend folgte ein leicht wehmütiger Rückblickzu den Wurzeln des Bereiches NRW. Der ehemaligeBereichsvorsitzende Johann Schacherl berichtete in kurzweiligerArt von vielen Veranstaltungen. Die von ihm mitgebrachtenFotos riefen viele Erinnerungen bei den Anwesendenwach. Es war ein interessanter Abend, in demso Manches erzählt wurde, von den Anfängen bis heute.Im Bildungsteil am Sonntagmorgen informierte MartinaMüller, Referentin bei der KAS für Familienförderung,über die Katholische Arbeitsgemeinschaft für <strong>Soldaten</strong>betreuunge.V., kurz KAS. Die KAS betreut die <strong>Soldaten</strong>,Familienangehörigen und Zivilbediensteten der Bundeswehraußerdienstlich: Sie betreibt Familienbetreuungsheime,ist in der offenen Betreuung tätig, bietet Seminarefür <strong>Soldaten</strong>familien zum Thema „Fern-Beziehung“ an,um nur einige Punkte zu nennen (siehe Bericht im AUF-TRAG 276, S. 76).Den Sonntagsgottesdienst besuchte die Gruppe in derhauseigenen Kapelle. Spontan erklärten sich die Kinderund Jugendlichen bereit, durch musikalische Begleitungund Altardienst den Gottesdienst mit zu gestalten. Als Ergebnisdieser Bereichskonferenz wurde wiederholt festgestellt:Wo viele Menschen zusammen sind, muss es Strukturengeben, aber ohne die Basis geht es nicht. Als Einzelkämpferkommt man nicht zurecht, nur gemeinsam sindwir (die GKS) stark. Das muss nach außen gezeigt werden.(Text und Foto: Magdalene Berners)GKS Bereich WestFusion der Bereiche im WestenVom 18. bis 20. Dezember 2009 trafen sich Delegierteaus dem Bereich Nordrhein-Westfalen sowie demBereich Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen mit ihrenDer neue Vorstand des Bereiches West (von links):OStFw Joachim Lensch (stv. Vorsitzender), Hptm WilfriedPuth (stv. Vorsitzender), OTL Albert Hecht (sitzend,Vorsitzender), StFw Wolfgang Wedekin (stv. Vorsitzender),Hptm Christian Bumann (stv. Vorsitzender). Esfehlen OTL Alfred Warner (erster stv. Vorsitzender) undHptm Michael Wilke (stv. Vorsitzender), derenEinverständniserklärung dem Wahlvorstand vorlag.Vorständen im Tagungshaus Maria in der Aue, um die Fusionder Bereiche im Westen Deutschlands durchzuführen.Als Gast war der neue Bundesvorsitzende OTL i.G. RüdigerAttermeyer bei der Vereinigung der Bereiche anwesendund konnte so Zeuge werden, wie eine Fusion glattund gut vorbereitet vonstatten gehen kann.Aufgrund der Kürze der Vorbereitungszeit und derfortgeschrittenen Jahreszeit sprach OTL Albert Hechtdem Geschäftsführer des Bereiches NRW, OStFw HubertBerners, ein großes Lob aus, da er die Vorbereitungen fürdieses Wochenende schnell und problemlos durchführte.Die alten Vorstände der beiden Bereiche hatten in vorhergehendenGesprächen einen Vorschlag erarbeitet, derden Delegierten vorgestellt wurde. Dabei wurde von OTLHecht betont, dass diese Vorgespräche auf Augenhöhe unterabsoluter Gleichheit der beiden Vorstände durchgeführtwurden, um Ungerechtigkeiten oder gar eine „feindlicheÜbernahme“ zu vermeiden. Die anschließende Personaldebattebrachte die notwendige Klarheit für die Delegiertenund so konnte am Schluss des Tages der neue Vorstanddes Bereiches West gewählt werden. Zu beachten gab es,dass Hptm Wilfried Puth Ende Mai aus dem aktiven Dienstausscheidet und somit gleich ein Nachrücker mitgewähltwurde, damit der Vorstand des großen Bereiches uneingeschränktarbeitsfähig bleibt.Den Gottesdienst zelebrierte der Leitende KatholischeMilitärdekan Mainz mit vorläufigem Dienstsitz Koblenz,Msgr. Rainer Schnettker, der von Jugendlichen der mitgereistenFamilien unterstützt wurde. Danach besuchteman bei frostigen Temperaturen den Weihnachtsmarkt, dertrotz eines herrlichen Bläserkonzertes wenig frequentiertwar. Heftiger Schneefall erschwerte den Teilnehmern amSonntag die Heimfahrt.(Text und Foto: Bertram Bastian)72 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


AUS BEREICHEN, STANDORTEN UND GKSInternationaler SachausschussVorbereitung der AMI Gesamtkonferenzin DeutschlandAm 20. Februar 2010 fand die Sitzung des InternationalenSachausschusses unter der Leitung von OberstltChristoph Auer im Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlandse.V. (CJD) in Bonn statt. Schwerpunkt der Sitzungwar die Vorbereitung der Gesamtkonferenz der ApostolatMilitaire International (AMI) in Deutschland vom 26. bis29. September 2010 in Berlin.ebenso anwesend wie der Bundesgeschäftsführer, OberstltArtur Ernst und der Haushaltsbeauftragte, OStFw a.D. JohannSchacherl.Auf dieser Gesamtkonferenz in Berlin wird das Papier„Staat, Gesellschaft, Kirche – in Verantwortung für die <strong>Soldaten</strong>“diskutiert werden. Als Vortragende sind deshalb Repräsentantenaus diesen Bereichen vorgesehen, um dieseErklärung voranzubringen. Nach einem gemeinsamen Gebet,trug die Generalsekretärin über die Tagung FORUMin Rom vor. Dieses Gremium von katholischen Nichtregierungsorganisationentraf sich unter der Leitung des Vatikansin Rom, wobei AMI dort in der Versammlung die Stimmeder katholischen <strong>Soldaten</strong> der Mitgliedsnationen darstellt.Bild 1: Der Präsident AMI, BrigGen Reinhard Klossund die Generalsekretärin Nelleke Swinkels-van deHorst während der Besprechung des InternationalenSachausschussesAls Gäste konnte Christoph Auer den PräsidentenAMI, den deutschen BrigGen Reinhard Kloss begrüßenund die Generalsekretärin AMI, Frau Nelleke Swinkelsvande Horst, aus den Niederlanden (Bild 1). Da die <strong>Gemeinschaft</strong><strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong> bei der Tagung in Berlinals Gastgeber mit auftritt, waren vom Bundesvorstandder Vorsitzende, Oberstlt i.G. Rüdiger Attermeyer (Bild 2),Bild 2: Der Bundesvorsitzende GKS Oberstlt i.G.Rüdiger Attermeyer und der Vorsitzende desInternationalen Sachausschusses Oberstlt ChristophAuer besprechen die Möglichkeiten der Unterstützungder AMI-Konferenz in BerlinAnschließend wurde der grobe Ablauf der Konferenz strukturiert,damit die Vorbereitungen fortgeführt werden können.Gasthörer von der GKS während der Konferenz sindherzlich willkommen. Wenn das Programm detailliert feststeht,wird es im AUFTRAG veröffentlicht werden.(Text und Fotos: Bertram Bastian)Ausklang:Liebe Leser, für Sie ungewohnt an dieser Stelle, möchte ich mich in diesem AUFTRAG vor denBuchbesprechungen noch einmal zu Wort melden. Ich bedanke mich vor allem bei den Kreisenund den Bereichen, die Ihre Beiträge schicken. Ohne diese Beiträge der sogenannten und immerwieder zitierten Basis wäre eine Verbandszeitschrift eine inhaltslose Hülle. Auch wenn einigeZusendungen nach dem Redaktionsschluss kamen, wird in Zusammenarbeit mit dem Layouter dieRedaktion sich bemühen, dass Ihre Schilderung der Basisarbeit zeitgerecht erscheinen wird. Dasbedingt, dass die Zuschriften aber auch Ihre Anregungen uns mitgeteilt werden. Scheuen Sie sichnicht, setzen Sie sich hin und schreiben Sie uns, was Sie bewegt und was Sie bewegt haben. Damitunser AUFTRAG ein lebendiger Spiegel der Arbeit in unserer GKS wird.In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Zusammenarbeit!AUFTRAG <strong>277</strong>• MÄRZ 201073


BUCHBESPRECHUNGENBuchbesprechung:Das Büchlein trägt den Untertitel„Wenn Christen und Muslimegemeinsam Zukunft machen“.Einen treffenderenText hätte man nichtfinden können, denn genaudiese Textzeile istdas Ziel und das Programmdes vorliegendenBuches von Martin Lohmann,des Sprechers desArbeitskreises EngagierterKatholiken in derCDU/CSU Fraktion desDeutschen Bundestages.Von den allgemein bekanntenKlischees ausgehend,dringt der Autorimmer tiefer in den gewünschtenund notwendigen Dialogder Religionen ein. Dabei beleuchtetPerlenschnur und Rosenkranzer beide Seiten sowohl die christlicheaber auch die muslimische Seitedieses Dialoges, demPapst Benedikt XVI.in seiner RegensburgerRede einen wichtigenImpuls gegebenhat. Haben dem Oberhauptder KatholischenKirche doch 38 namhafteWissenschaftlerdes Islam in einem offenenBrief geantwortetund Stellung bezogen.Dies ist auch ein Anliegenvon Lohmann: Stellungbeziehen! Bei allenUnterschieden gegenseitigenRespektbekunden, gegründet auf festem eigenenGlauben die eigene Religionbezeugen. Dankenswerter Weisesind am Schluss des lesenswertenBüchleins ein Interview mit TheodorKhoury, emeritierter Religionswissenschaftleraus Münster, und dererwähnte offene Brief abgedruckt,so dass der Leser einen viel besserenEindruck in die Vorlesung des Papstesin Regensburg und ihre Auswirkungenbekommt, als durch die verzerrendenSchlagzeilen der Massenpublikationen.(Bertram Bastian)Perlenschnur und Rosenkranz,Wenn Christen und Muslimegemeinsam Zukunft machen,von Martin Lohmann,139 Seiten,Patris-Verlag Vallendar 2009,ISBN 978-3-8760-332-5Buchbesprechung:Das Buch beschreibt das Leben vonRita Rizzo, die 1923 in eine zumScheitern verurteilte Familie zur Weltkam. Durch Krankheiten gezeichnet,findet sie ihren Weg zu Christus undnach erheblichen Schwierigkeiten inden Orden der Klarissen der ewigenAnbetung. Die dortigen Problememeistert die junge Nonne mit ihremunerschütterlichen Glauben an Gott,der ihr nicht nur die Kraft der Tat gibt,sondern auch die Geduld, Krankheitenzu erdulden. Von Schwierigkeitenermuntert, verlässt sich SchwesterAngelica nur auf ihren Gott und dasmit gutem Erfolg. Der Autor des Buchesbegleitet Schwester Angelica inden letzten Jahren ihres Lebens, umeben dieses Leben aufzuschreiben.Herausgekommen ist eine authentischeGeschichte eines Menschen,der seinen Weg zum Glauben schildert.Es ist aber auch eine GeschichteMutter Angelica – eine Nonneschreibt Fernsehgeschichtedes Sozialstaates, in dem dieser jungeMensch aufwächst und das macht dieseBuch noch interessanter,dennSchilderungen derVerhältnisse in den20er und 30er Jahrenaus den VereinigtenStaaten sinddurch die Hollywood-Produktionenverfälscht. Indiesem Buch erlebtman hautnahmit, wie die Unterschichtum dasÜberleben kämpft.Daneben erhält derLeser einen gutenEinblick in kirchlicheHierarchien,immer gepaart mit dem Willen einerFrau, diesen Schwierigkeiten die Stirnzu bieten, meist nur im Vertrauen aufGott. Mit dem italienischen Temperamentihrer Eltern versehen,erklärt SchwesterAngelica in diesemBuch dem Leser Dingewie Vertrauen, Glauben,Zuversicht. Dass sie dabeischier unglaublichenErfolg hat, würzt das Geschehen.Ein gut lesbaresBuch, welches zumNachdenken über deneigenen Glauben anregt.(Bertram Bastian)Mutter Angelica –eine Nonne schreibtFernsehgeschichte,von Raymond Arroyo,430 Seiten,Media Maria Verlag, Illertissen, 2009,ISBN 978-3-9811452-7-474 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010


TERMINETermine für das Laienapostolatin der Kath. Militärseelsorge2010 Allg. Termine u. Bundesebene25.03. Weltfriedenstag, Bonn16.-17.04. VV ZdK21.-25.04. Seminar Dritte Lebensphase, Nürnberg23.-25.04. Sachausschuss Ehe-Familie-Partnerschaft12.-16.05. 2. Ökumenischer Kirchentag, München19.-25.05. 52. Int. <strong>Soldaten</strong>wallfahrt, Lourdes09.-13.06. Seminar Dritte Lebensphase,Cloppenburg12.-13.06. Außerordentliche Bundeskonferenz, Fulda19.06. Vorstand KR, Bensberg18.-20.06. Seminar für Funktionsträger,Mülheim / Ruhr02.-04.07. Bundesvorstandssitzung, Berlin09.-11.07. Sachausschuss Dienstalltag und Christsein12.-13.09. Vorkonferenz für 50. WdB13.-17.09. 50.Woche der Begegnung, Bensberg26.-29.09. AMI-Konferenz, Berlin01.-03.10. Sachausschuss Ehe-Familie-Partnerschaft18.-22.10. 55. Gesamtkonferenz, Potsdam20.-24.10. Seminar Dritte Lebensphase, Nürnberg06.-07.11. Bundesvorstandssitzung, Mülheim / Ruhr13.11. Vorstand KR, Berlin19.-20.11. VV ZdK, Bad GodesbergBereichs- / Arbeitskonferenzen / FamilienwochenendenKMilD Kiel / GKS Nord/Küste19.-21.03. DAK Nord 01 / 10, Stapelfeld05.-07.11. DAK Nord 02 / 10, ParchimKMilD Erfurt19.-21-03. DAK Mitte, Dassel25.-27.06. FWE, Paderborn22.-24.10. DAK & BK, Kloster DrübeckKMilD Mainz28.-29.10. DAK West 02 / 10, VallendarKMilD München26.-28.03. DAK Süd 01 / 10, Lambach16.-18.07. Bereichskonferenz Süd, Leitershofen24.-26.09. DAK Süd 02 / 10, TeisendorfGKS-SachausschüsseSA »Innere Führung«15.03. Sitzung, Bonn23.-26.04. gemeinsam mit SA S & F, Berlin04.10. Sitzung, Bonn15.11. Sitzung, BonnSA »Sicherheit und Frieden«16.04. Sitzung, Bonn (geplant)23.-26.04. gemeinsam mit SA IF, Berlin05.11. Sitzung, Bonn (geplant)SA »International«07.-09.05. Berlin27.-29.08. BerlinVorschau 201122.01. Jahresempfang MGV, Vorstand KR,Sitzung EA04.-08.05. Seminar Dritte Lebensphase, Nürnberg18.-24.05. 53. Int. <strong>Soldaten</strong>wallfahrt, Lourdes15.-19.06 Seminar Dritte Lebensphase,Cloppenburg11.-12.09. Vorkonferenz12.-15.09. Katholikenrat, Untermarchtal14.-17.09. Bundeskonferenz, Untermarchtal07.-11.11. 13. Seminar Akademie Korn, Fulda10.11. Festakt 50 Jahre GKSVorschau 20122012 98. Deutscher Katholikentag, MannheimRegionale Zuständigkeit der KatholischenMilitärdekanateKMilD Kiel: Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein,Dienststellen im Bereich des FlottenkommandosKMilD Mainz: Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, SaarlandKMilD München: Bayern, Baden-WürttembergKMilD Erfurt: Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen,Sachsen-Anhalt, Bremen, NiedersachsenVERWENDETE ABKÜRZUNGEN: BK – Konferenz der GKS im Bereich …, BuKonf – Bundeskonferenz der GKS,BV GKS – Bundesvorstand der GKS, DAK – Dekanatsarbeitskonferenz im Bereich …, EA – Exekutivausschuss, FWE –Familienwochenende, GKMD – <strong>Gemeinschaft</strong> der kath. Männer Deutschlands, IS – Internationaler Sachausschuss, IThF –Institut Theologie und Frieden, Hamburg, KMilD – Kath. Militärdekanat, MGV – Militärgeneralvikar, SA InFü – Sachausschuss»Innere Führung«, SA S+F – Sachausschuss »Sicherheit und Frieden«, WB – Wehrbereich, WdB – Woche der Begegnung,KR – Katholikenrat beim Militärbischof, VV ZdK – Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.AUFTRAG <strong>277</strong>• MÄRZ 201075


Der Königsteiner EngelDer »siebte Engel mit der siebten Posaune«(Offb 11,15–19) ist der Bote der Hoffnung,der die uneingeschränkte HerrschaftGottes ankündigt. Dieser apokalyptischeEngel am Haus der Begegnung in Königstein/Ts., dem Grün dungsort des KönigsteinerOffi zier kreises (KOK), ist heute noch dasTra di tionszeichen der GKS, das die katholischeLaienarbeit in der Militärseelsorgeseit mehr als 40 Jahren begleitet.Das Kreuz der GKSDas »Kreuz der GKS« ist das Symbolder <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong>.Vier Kreise als Symbol für dieGKS-Kreise an der Basis formen ineinem größeren Kreis, der wiederumdie <strong>Gemeinschaft</strong> ver sinnbildlicht, einKreuz, unter dem sich katholische <strong>Soldaten</strong>versammeln.ImpressumAUFTRAG ist das Organ derGEMEINSCHAFT KATHOLISCHER SOLDATEN(GKS) und er scheint viermal im Jahr.Hrsg.: GKS, Am Weidendamm 2,10117 Berlinwww.katholische-soldaten.deRedaktion: verantwortlicher RedakteurBertram Bastian (BB),Paul Schulz (PS), Oberstlt a.D., Redakteur,Klaus Brandt (bt), Oberstlt a.D., RedakteurZuschriften: Redaktion AUFTRAGc/o Bertram Bastian,Alter Heerweg 104, 53123 Bonn,Tel: 0177-7054965, Fax: 0228-6199164,E-Mail: redaktion-auftrag@kath-soldaten.deFür unverlangte Einsendungen wird keineHaftung übernommen. Namensartikel werdenallein vom Verfasser verantwortet. Nicht immersind bei Nachdrucken die Inhaber von Rechtenfeststellbar oder erreichbar. In solchen Ausnahmefällenverpflichtet sich der Herausgeber,nachträglich geltend gemachte rechtmäßigeAnsprüche nach den üblichen Honorarsätzenzu vergüten.Druck: Verlag Haus Altenberg GmbH,Carl-Mosterts-Platz 1, 40477 Düsseldorf.Überweisungen und Spenden an:GKS e.V. Berlin, Pax Bank eG Köln,BLZ: 370 601 93, Konto-Nr.: 1 017 495 018.Nachdruck, auch auszugsweise, nur mitGenehmigung der Redaktion und mitQuellenangabe. Nach be stellung gegeneine Schutzgebühr von EUR 10,- anden ausliefernden Verlag.ISSN 1866-0843

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