BLICK IN DIE GESCHICHTEder zweite Sohn, ging zur Bundeswehrund verpflichtete sich als Reserveoffizieranwärter(ROA) und Soldat aufZeit für zwei Jahre. In der Traditionseines gefallenen Onkels Waltermeldete er sich zu den Fallschirmjägern.Kohls Fahrer Eckhard Seeber(* 1938), der von 1956 bis 1960 alsStabsunteroffizier in der 1. Luftlandedivisiongedient hatte, dürfte diesenEntschluss auch beeinflusst haben.„Ecki hatte seinen Beruf bei Offizierender Bundeswehr gelernt“. 32Am 1. Juli 1985 trat Peter Kohlseinen Dienst im Fallschirmjägerbataillon263 unter Oberstleutnant PeterMorscheid (bis März 1987) in derGraf-Werder-Kaserne in Saarlouis 33an. Der Verband gehörte zur Luftlande-Brigade26 „Saarland“ unter BrigadegeneralFridolin („Fritz“) Eckert(1935-2004). Zunächst durchlief erdie Grundausbildung in der 5. Kompanieunter Hauptmann John Müllerund Hauptfeldwebel Kaiser als Kompaniefeldwebel.Nach der Vollausbildungin der 2. Kompanie unter OberleutnantViktor Schicker und HauptfeldwebelGerhard Sterzenbach wurdeer zu seiner Stammeinheit, der 3.Kompanie, unter Hauptmann ArminBirk und Hauptfeldwebel WolfgangLeiser versetzt. In dieser Zeit absolvierteer den ROA- und den Fallschirmspringerlehrgangin Altenstadt,wo er das Fallschirmspringerabzeichenin Bronze erwarb. Am Ende seinerDienstzeit hatte er mehr als 25Sprünge und trug das Springerabzeichenin Silber. Im April 1987 übernahmOberstleutnant Hans-HeinrichDieter (* 1947; später Generalleutnant)das Bataillon. Ein Vierteljahrspäter, am 30. Juni 1987, schied PeterKohl als Leutnant der Reserve aus.Auch an der Dienstzeit ihres zweitenSohnes nahmen die Eltern nur ausder Distanz Anteil, um Medienrummelvon ihm fernzuhalten. Doch amWochenende erzählten – wie überall– die Söhne ihren Eltern über ihre Erlebnisse„beim Bund“: „Meine Söhnewussten eine Menge über Mängel beider praktischen Bundeswehrausbil-32 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1930-1982, S. 168.33 Das Bataillon wurde 1982 aufgestellt;seit 1994 ist es in Zweibrücken stationiert.Ab November 1985 bis Juli 1998gehörte das Bataillon zur multinationalenAllied Mobile Brigade (AMF (L).dung zu berichten, und ich brachtealles jeweils in der darauffolgendenKabinettssitzung zur Sprache“. 34Somit gelangten Informationenaus der Truppe – auch wenn es nurAusschnitte und individuelle Erfahrungenwaren – verzugslos und „unfrisiert“durch Zwischenebenen direktin die Kabinettssitzungen. „Es mussManfred Wörner schon sehr gefuchsthaben, wenn ich manchmal mit Berichtenüber Unzulänglichkeiten imHeer und bei der Luftwaffe ankamund erzählte, was die <strong>Soldaten</strong> bedrückte:…“ 35Mutter Hannelore Kohl erlebtedie insgesamt vier Jahre Bundeswehrzeitihrer beiden Söhne mit all denBelastungen, die die meisten Müttervon Wehrpflichtigen kennen – vomWaschen und Bügeln der Uniformenbis zum Lernen der Dienstgradabzeichen.1987 verlieh ihr die amerikanische„First Lady“ Nancy Reagan inWashington den „International ServiceAward“, eine Auszeichnung der„United Services Organisation“ undwürdigte damit deren Engagement für34 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990, S. 240 f.35 Ebenda.die Familien der in Deutschland stationiertenUS-<strong>Soldaten</strong>. In ihrer Dankesredeerwähnte Hannelore Kohlihre Erfahrungen „als Mutter von zweiSöhnen, die in der Bundeswehr gedienthaben.“Bild 3: Ministerpräsident Kohl zu Besuch bei der Panzertruppenschulein Munster 1976; rechts von ihm der damalige Verteidigungsexperteder CDU Dr. Manfred Wörner, Brigadegeneral Hans-Joachim Mack,der Schulkommandeur, und Generalmajor Fritz Birnstiel, General derKampftruppen im HeeresamtNach seiner ersten Wahl bekannteKohl sich in seiner Regierungserklärungam 13. Oktober 1982uneingeschränkt in der außenpolitischenKontinuität seines VorgängersSchmidt stehend zum NATO-Nachrüstungsbeschluss,bei gleichzeitigerErneuerung der Grundlagen der deutschenAußen- und Sicherheitspolitik.Mit dem Bündnis als einen Kernpunktdeutscher Staatsräson wollte er seineBemühungen als „eine Politik für dieFreiheit, ¼ für den Frieden in Europaund weltweit, … für das Selbstbestimmungsrechtdes ganzen deutschenVolkes, … für die Einigung Europasund … für die Menschenrechte undgegen Hunger und Not“ gestalten.Frieden schaffen ohne Waffen nannteer einen „verständlichen Wunsch, einenschönen Traum“, aber es wäre vorallem „eine lebensgefährliche Illusion“.Frieden schaffen nur durch Waffenwäre tödliche Verblendung. DieAufgabe unserer Zeit hingegen wäre48 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010
BLICK IN DIE GESCHICHTE„Frieden schaffen mit immer wenigerWaffen.“ Dieses Ziel wurde erreicht.In seiner Rede auf dem Parteitag derCDU in Hamburg am 1. Oktober 1990sagte er dazu in der Rückschau: „Voracht Jahren, nach Übernahme der Regierungsverantwortung,habe ich meineAußen- und Sicherheitspolitik unterdas Motto gestellt: Frieden schaffenmit weniger Waffen. Heute können wirganz einfach sagen: Wir haben Wortgehalten.“Zur Bundeswehr fand Kohl Worte,die lange nicht mehr gehört wordenwaren: „Der Dienst in der Bundeswehrist Friedensdienst und damitein Ehrendienst. … Die allgemeineWehrpflicht ist für unsere Verteidigungunerlässlich. … Wir werden dafür sorgenmüssen, dass die Lasten für dieLandesverteidigung gerechter verteiltwerden.“Nur wenige Monate später, am 6.März 1983, kam es zu vorgezogenenNeuwahlen, bei denen CDU/ CSUzwar die absolute Mehrheit verfehlten,aber mit fast 49 Prozent ein herausragendesWahlergebnis einfuhren.Es war ein Votum für den außen- undsicherheitspolitischen Kurs HelmutKohls und zugleich eine nachträglicheBestätigung der EntscheidungHelmut Schmidts.Am 29. März 1983 wurde Kohl zum2. Mal, und nach der gewonnenenWahl 1987 zum 11. DeutschenBundestag am 11. März zum drittenMale Kanzler. Am 17. Januar 1991– nach den ersten gesamtdeutschenWahlen zum 12. Bundestag im Dezember1990 – wurde er zum viertenMal gewählt – zum ersten Kanzler desvereinten Deutschlands. Schließlichfolgte am 15. November 1994 einfünftes Mal: nach den Wahlen zum13. Bundestag. In den fünf KabinettenKohl dienten – einschließlich desKanzlers – insgesamt 57 Minister (davon10 Damen); 14 von ihnen habenals Soldat in Wehrmacht, Bundeswehrbzw. NVA Dienst geleistet.Kohls 16-jährige Amtszeit kann inzwei, beinahe gleich lange Abschnitteunterteilt werden. Der erstestand noch im Zeichen des KaltenKrieges, des NATO-Doppelbeschlussesund der Ost-West-Konfrontation,der zweite ab Ende 1989 im ZeichenAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010der Wiedervereinigung, der NeuordnungOsteuropas und der beginnendenethnischen Konflikte auf demBalkan. Für die Bundeswehr brachtendiese Jahre einschneidende Veränderungen.Erstens wurden – nochbehutsam – die Weichen für die erstenAuslandseinsätze der Bundeswehrgestellt. Während des 2. Golfkrieges1991 stand das gerade wiedervereinteDeutschland militärisch noch abseits;Genscher, oberster Gestalterdeutscher Außenpolitik, zahlte lieber.Doch dann folgten Kambodscha, Somaliaund der Balkan. Mit der Wiedervereinigungstand die Bundeswehrvor der einmaligen Aufgabe derÜbernahme der Nationalen Volksarmee.Drittens schließlich folgte derstrukturelle Übergang in die militärischeMultinationalität des Heeres 36und parallel vollzog sich ein massiverAbbau der Truppenstärke; dieBundeswehr halbierte sich nahezu.Am 22. Januar 1988 wurde in Parisdie Schaffung einer deutsch-französischenBrigade konkretisiert und dieEinrichtung eines gemeinsamen Verteidigungsratesbeschlossen. 37 Späterwurden weitere Großverbände desHeeres in multinationale Strukturender NATO eingegliedert. Obwohl alledrei Zäsuren beispiellos waren, wurdensie von Politik und Militär weitgehenderfolgreich gemeistert. Dabeiwar die Stimmung der Truppe indieser Zeit des Umbruchs diffus. Derneue <strong>Auftrag</strong> nach dem Zusammenbruchdes kommunistischen Osteuropasund die deutsche Enthaltsamkeitam 2. Golfkrieg 1990/91, rührtenam Selbstbewusstsein der Armee.Das damalige Motto der Bundeswehr„wir produzieren Sicherheit“ galt überNacht nicht mehr, und neue Aufgabenwaren noch nicht gefunden.„Kohl und Waigel (= Finanzministerim Kabinett Kohl) kennen dieBundeswehr vornehmlich aus derenParadefunktion bei Staatsbesuchen“,38urteilt Helmut Schmidt. Gestütztwird dieses negative – gleichwohlüberzogene – Urteil auch dadurch,36 Bei Luftwaffe und Marine bestand sieseit langem.37 Kohl, Helmut: Erinnerungen 1982-1990, S. 608. Die Bildung einergemeinsamen Brigade war bereits am13.11.1987 beschlossen worden.38 Schmidt, Helmut: Handeln für Deutschland,S. 168.dass es in der Bibliografie HelmutKohls 39 – im Gegensatz zu seinemVorgänger – nahezu keine Veröffentlichungenüber das Thema Sicherheitspolitikgibt. Andererseits gabes in der Ära Kohl, wie bereits angedeutet,– fundamentale Veränderungenim deutschen Militärwesen – sowohlin den politischen Grundzügenals auch bei der Bundeswehr, die derKanzler maßgeblich beeinflusst hatte.Als Sohn eines ehemaligen <strong>Soldaten</strong>,war Kohl – wie Adenauer – als konservativerPolitiker per se ein Befürworterdes Militärs.„Zur Bundeswehr habe ich auchein emotional begründetes Verhältnis.Mein Vater war Offizier im Ersten Weltkrieg.… In unserer Familie herrschteeine soldatenfreundliche Atmosphäre,auch von Seiten meiner Mutter. … Mitgroßer Sympathie habe ich die Arbeitder Bundeswehr begleitet und ihrenmilitärpolitischen <strong>Auftrag</strong> nachhaltiggefördert. Ob Wehrpflichtige oderGeneräle – mit <strong>Soldaten</strong> aus allenDiensträngen habe ich viele Gesprächegeführt.“ 40Dies wird ohne Abstriche auchvon den befragten Gruppenleiternim Kanzleramt bestätigt: Seine „Einstellung… gegenüber den <strong>Soldaten</strong>und ihren Familien war im höchstenMaße von Verantwortung und Fürsorgegeprägt“, schrieb einer von ihnen.Doch diese positive Beziehungzur Bundeswehr wird dem Leser vonKohls „Erinnerungen“ nicht deutlich.Im ersten Band, der die Jahre1930 bis 1982 beschreibt, wird dieBundeswehr nur einmal erwähnt, obgleichin diesem langen Zeitraum dieGründung der Armee und Kohls Zeitals Ministerpräsident und Oppositionsführerfällt. Im 2. Band seiner Erinnerungenvon 1982 bis1990 41 ist derBundeswehr unter dem Titel „Lieblingskind“das 33. Kapitel gewidmet.Darin skizziert er die Geschichte derBundeswehr; sie liest sich wie dienüchterne, distanzierte Abhandlungdes Historikers Kohl: „Die Entscheidunggegen Wehrdienst … kann immernur die Gewissensentscheidung39 hrsg. durch die Konrad-Adenauer-Stiftung.40 Kohl, Helmut Mein Tagebuch 1998-2000, S. 27.41 Kohl, Helmut Erinnerungen 1982-1990,S. 396 ff.49