GESELLSCHAFT NAH UND FERNviele qualifizierte, meist hellhäutigePolizisten aus dem Polizeidienstgedrängt, oftmals gemobbt, werden,weshalb vielfach die „Expertise“ wiein früheren Zeiten nicht mehr vorhandenist. Meist sind es junge, bestensausgebildete, hellhäutige Kräfte,die Südafrika dringend bräuchte, dieaber aufgrund der Bevorzugung derdunkelhäutigen Bevölkerung keineChance gegeben wird: südafrikanischeFirmen müssen in der Verwaltung60 Prozent dunkelhäutige Menschenbeschäftigen.Hinzu treten wirtschaftlicheProbleme allgemeiner Art. Wie diedeutsche Wirtschaft auch stellt sichSüdafrikas Wirtschaft exportorientiertdar. Doch dieser Export ist aufgrundder weltweiten Finanz- undWirtschaftskrise stark eingebrochen;auch Deutschland hat seinen bislangersten Platz an China abgegeben. Einzigder nahezu verdoppelte Goldpreissorgt für sprudelnde Einnahmen, diejedoch bei der Masse der knapp 50Millionen Südafrikaner - davon rund6 Millionen Hellhäutigen und 46Millionen Dunkelhäutigen Südafrikanern- und der geschätzten rundfünf dunkelhäutigen illegalen, nichtregistrierten Millionen Zuwanderern- etwa aus Botswana und Mozambique- versickern, ohne Breitenwirkung zuerzielen. Das macht sich am Kurs desRand deutlich, dessen Wert gegenüberder DM/Euro auf 20 Prozent von demim Jahr 1994 sank.Südafrika vor derFußballweltmeisterschafty suitcase is lost“ – das ist„Meine der ersten Erfahrungen,die Besucher in Südafrika heutemachen. Doch der verlorene undmeist später wiedergefundene Kofferist mehr als nur eine persönlicheNegativerfahrung: es steht fürein permanentes Missmanagementder ANC-Regierung, mangelndem Organisationstalentund einer unzureichendenVorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaft.Andererseitssind die Sportstadien, etwa das vonSoweto, frisch saniert und in einemmehr als vorzeigbaren Zustand. Nichtdie Sportstätten sind das Problem inSüdafrika, sondern das gesellschaftlicheund soziale Umfeld drum herum,wenngleich sich hier Verbesserungenergeben haben. Etwa durch regelmäßigeund strenge Geschwindigkeitskontrollenwerden nicht nur Unfällevermieden, sondern auch das Rechtsbewusstseinin der südafrikanischenBevölkerung verschärft.Diese Gesamtmisere lässt sichdurch zahlreiche Beispiele des Alltagesuntermauern. Was den Straßenbauangeht, so lebt Südafrika vielfach vonder Substanz. Gerade an den oft nurnotdürftig reparierten Schlaglöchernund zahlreichen, abgesperrten Straßenabschnittenauf den Autobahnenum Johannesburg, Sandton und Pretoriawird Südafrikas Mangelwirtschaftdeutlich. In kleinen und mittelgroßenStädten wie Potchefstroom, Klerksdorp,Bloemfontein oder Kimberlyfunktionieren regelmäßig ein Teil derStraßenlaternen nicht.Aber auch dunkelhäutigen Südafrikanernaus Westeuropa und denCommonwealth-Staaten, die nachJahren der Immigration wieder nachSüdafrika zurückkehren, fallen dieUnterschiede zum „reichen“ Südafrikaihrer Erinnerung und SüdafrikasWirklichkeit auf. So sind nichtisolierendeEinglasfenster nach wievor Standard, während in Westeuropaumweltfreundliche Doppelglas-Vakuumfenster die Regel sind undAußenmauern in der Regel ganz oderteilweise isoliert werden. Der HausundSanitätsbau, vor allem hinsichtlicheiner umfassenden Wärmeisolation,kommt nur unzureichend daher:viele in den letzten fünfzehn Jahrenerbaute Häuser sehen nach wenigenJahren aus, als hätten sie ein vielfachesExistenzalter hinter sich.SNikoseli Afrika – Gott schütze Afrikaüdafrika stellt sich heute insgesamtgesehen als ein Schwellenlanddar, in dem Strukturen und Problemeeines Industrie- wie eines Entwicklungslandesenthalten sind. Ineinem größeren Maßstab hat dieseMerkmale Südafrika mit China gemeinsam.So sind die Regionen Durban,Pietermaritzburg, Johannesburgund Pretoria, Kapstadt und Port Elisabethausgestaltet wie in einem westlichenIndustrieland. Große Teile derKapprovinz, der Provinz Nord-Westund der Provinz Natal bewegen sichjedoch auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.Wer die Jahresberichte der StiftungEntwicklung und Frieden dervergangenen fünf Jahre durcharbeitet,erkennt rasch, dass Südafrika unabhängigvon den erwähnten Konfliktenvon weiteren Problemebenen betroffenist. Südafrikas Demokratie stelltsich angesichts der Übermacht desANC und fehlender parteilicher Konkurrentenals wenig gefestigt dar. ImMenschenrechtsbereich und der InnerenSicherheit gibt es offenkundigeMängel. Die Bildungs- und Wohnungsbaupolitikzeitigt bis heute nichtjene Erfolge, die Mandela und Mbekieinst als Ziele verkündeten. Andererseitsführt der Machtwechsel 1994in allen Politik- und Gesellschaftsbereichenzu einer Normalisierungder Lage: viele, durch die Politik derApartheid hervorgerufene Spannungenlösten sich auf und Alltag kehrtein Südafrika ein. Die vom Erzbischofvon Kapstadt, Desmond Tutu geführteWahrheits- und Versöhnungskommissionhalf, Wunden zu schließen.Vom ehemaligen US-PräsidentenRonald Reagan ist die launige Bemerkungüberliefert: „Wenn morgenAfrika im Meer versinkt, würde dieskeinem auffallen.“ Der afrikanischeKontinent insgesamt erwirtschaftet bisheute nur rund zwei Prozent des Weltbruttosozialproduktes,wovon Südafrikarund die Hälfte beiträgt. Aberinternationale Politik bemisst sicheben nicht an volkswirtschaftlichenParametern allein, sondern auch anden Grundsätzen der Charta der VereintenNationen.Zu den Grundsätzen der Chartader Vereinten gehört auch die Wahrungdes anthropologischen und kulturellenErbes der Menschheit, und indiesem Zusammenhang spielt Afrikaeine besondere Rolle: vom afrikanischenKontinent aus fand die Besiedelungder Erde statt. In Ost- und Südafrikawurden die ältesten menschlichenFossilien in archäologischenAusgrabungen aufgespürt, etwa ineiner Höhle nahe Sterkfontein in Südafrika,die auf etwa 4 Millionen Jahregeschätzt werden. Das Transvaal Museumin Pretoria und das Nationalmuseumin Bloemfontein geben über dieEntwicklung des Menschen in AfrikaAuskunft. Aber auch andere wichtigeMuseen haben sich in das „NewSouth Africa“ gerettet, so etwa der32 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010
GESELLSCHAFT NAH UND FERNbewährte Typ des Hausmuseums wiez.B. „Melrose House“ oder das „PaulKruger House“ in Pretoria. Das teilweiseaus der Kolonialzeit stammende,mit seinen Vogelkäfigen und exotischenVögeln einmalige Schwimmbadam „Caledonian Sports Ground“in Pretoria hat es leider nicht in dieneue Zeit geschafft: Vögel, Vogelkästenund das Schwimmbad aus denfünfziger Jahren mussten einem volumenösenNeubau weichen und nurder denkmalgeschützte Kiosk durftestehen bleiben. Und auch einige besondersschöne Kirchen und Kapellenwie die „St. Andrews Church“ in Pretoriabestehen weiterhin, auch wennsie meistens geschlossen sind.Auch die WissenschaftslandschaftSüdafrika durchlief einenTransformationsprozess. Universitätenwie die von Potchefstroom und Bophutatswanawurden zur Nord-West-Universität fusioniert. Viele Studiengänge,etwa „Deutsch als Fremdsprache“oder „Afrikaanse Literatur“entfielen, weil es zu wenig Studentengab. Andere Einrichtungen wie dasHuman Sciences Research Council,also die nationale Forschungsstättefür Sozialwissenschaften in Pretoria,wurden eher noch gestärkt. Ein ProblemSüdafrikas ist aber, dass vieleHochschulabsolventen nicht in Südafrikableiben, sondern in andere Staatendes Commonwealth auswandern.Anfang Februar 2008 bereisteBundespräsident Horst Köhler dasöstliche und südliche Afrika, welchesaufgrund einer bis heute andauerndenchristlichen Mission vonvielen Katholiken und Protestantenbewohnt wird. Religion ist in Afrikaganz im Unterschied zu Europa keinThema, da es dort Entwicklungen vonSäkularisierung, Wertewandel undKonfessionalisierung wie in Europanicht gibt: die Menschen wissen umdie Existenz Gottes und versuchenmit ihrem irdischen Leben Gott gerechtzu werden. Auch Südafrika wirdgeprägt von christlichen Religionsgemeinschaftenund Kirchen wie kaumsonst wo auf der Welt.Bundespräsident Horst Köhler,langjähriger Direktor der Weltbankund mit entwicklungspolitischen sowieweltwirtschaftlichen Fragestellungenbestens betraut, wies bei seinemBesuch in Afrika auf die Enzyklika„Progressio Populorum“ von PapstPaul VI. hin, in dem Entwicklung alsneuer Name für Frieden bezeichnetwird. Köhler betonte, dass im Sinnedes Friedensverständnisses von PaulVI. noch viel in Afrika zu tun sei unddas Bewusstsein hierfür unter denDeutschen sensibilisiert und wachgehalten werden sollte. Köhler hobdie religiösen Wurzeln Afrikas hervorund erwähnte die Buren in Südafrika,die in Transvaal und im Oranje-Free-State die Bevölkerung missioniertenund in Potchefstroom die Bibel in Afrikaansübersetzten. BundespräsidentKöhler rief zur Hilfe für Afrika auf,verstanden als Hilfe von Christen fürChristen, und ganz im Sinne der Ermutigungund Hoffnung vermittelndenNationalhymne von Südafrika: „NikoseliAfrika – Gott schütze Afrika!“. ❏<strong>Gemeinschaft</strong> Sant’Egidio – ein Vorbild?VON KLAUS LIEBETANZAls Prof. Andrea Riccardi, dem Gründungsmitglied von Sant’Egidio am 21. Mai 2009 der internationaleKarlspreis in Aachen verliehen wurde, stellte sich für viele Katholiken in Deutschland die Frage: „Wasist das überhaupt für eine christliche <strong>Gemeinschaft</strong>, Sant’Egidio in Rom? Insider der internationalen <strong>Gemeinschaft</strong>wussten allerdings schon lange, dass Sant’Egidio die erfolgreichste Nichtregierungsorganisation inSachen Frieden ist. Der Historiker und Schriftsteller Golo Mann hat Sant’Egidio die „kleine UNO von Trastevere“genannt. Im Folgenden wird die Entwicklung und das Handeln von Sant’Egidio beschrieben und die Fragegestellt, ob diese <strong>Gemeinschaft</strong> ein Vorbild sein kann (Für weiterführende Informationen über die <strong>Gemeinschaft</strong>Sant‘Egidio siehe auch www.santegidio.de)AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Die Entwicklung der <strong>Gemeinschaft</strong> Sant’Egidiobildete sich im römischenVirgilio-Gymna-1968sium eine Gruppe von ca. zwanzigSchülern, die mit dem traditionellenChristentum nicht zufrieden waren,sondern einen anderen Weg zur gesellschaftlichenVeränderung suchten,als die linksgerichteten Studentender 68er Jahre. Hauptinitiator warder spätere Kirchenhistoriker AndreaRiccardi, der gerade 18 Jahre altwar. Die Schüler setzten sich mit demEvangelium auseinander und beschäftigtensich mit den Leben des Hl. Benediktund des Hl. Franz von Assisi.Sie entschlossen sich für die Betreuungvon verwahrlosten Kindern inden Barackenstädten am römischenStadtrand (zumeist Roma) und organisiertenspäter auch ärztliche Hilfe.1970 dehnte sich die <strong>Gemeinschaft</strong>auf römische Universitäten aus.Auf der Suche nach einem Zentrumfand man im alten Stadtteil Trastevere(ca. 5 km ostwärts vom Vatikan) einen„stadteigenen“ leeren ehemaligenKarmelitinnenkonvent mit der kleinenKirche Sant’Egidio, den man der <strong>Gemeinschaft</strong>zur Verfügung stellte. Dortfanden dann die täglichen Abendandachtender Mitglieder mit einer starkbyzantinischen Prägung (meditativerGesang) und einer Laienpredigt statt.Seit 1980 bildeten sichSant’Egidio-<strong>Gemeinschaft</strong>en in ElSalvator, Guatemala, Mexico, Bolivien,Kuba, Argentinien und in denUSA. Diese Ausbreitung geschah imWesentlichen durch ehemalige Studentenvon römischen Universitäten,die Sant’Egidio kennengelernt hatten.33