GESELLSCHAFT NAH UND FERNschaft, vor allem die großen NATO-Staaten, nicht auf die gleichen Zielehinarbeiten würden. Die Afghanistan-Konferenzvom 28. Januar inLondon hat mit der Beteiligung vonrund 70 Ländern eine „neue Phaseauf dem Weg zu völliger afghanischerEigenverantwortung“ eingeleitet undden Afghanistan-Kurs der Bundesregierungbestätigt. Das „Zehn-Seiten-Schlussdokument“der LondonerKonferenz enthielt folgende wesentlichenErgebnisse:– Aufstockung der afghanischen Sicherheitskräftebis Oktober 2011auf insgesamt 300.000 Personen(171.000 <strong>Soldaten</strong> und 134.000Polizisten),– Die afghanische Regierung (HamidKarsai) beabsichtigt bis Ende2014 die Verantwortung für dieSicherheit im ganzen Lande zuübernehmen.– Die internationale <strong>Gemeinschaft</strong>unterstützt finanziell einen substantiellenIntegrationsfonds derafghanischen Regierung für aussteigewilligeTalibananhänger,– Alle Provinzen Afghanistans sollenbis Ende 2012 unter die Leitungder Nationalen AfghanischenSicherheitskräfte gestelltwerden.– Die Korruption und der Drogenhandelsollen in einem nachvollziehbarenNationalplan nachhaltigmit internationaler Unterstützungbekämpft werden,– Ca. 12.000 Verwaltungsbeamtesollen für die Provinzebene mitinternationaler Hilfe ausgebildetwerden.– Der afghanische Wiederaufbaufondsund das afghanische Programmfür die Justizverwaltungsoll in den nächsten zwei Jahrenfinanziell verdoppelt werden.– Bis Mitte April soll in Kabul eineFolgekonferenz stattfinden, aufder konkrete Ziele und Zwischenschritte(benchmarks) zusammenmit der afghanischen Regierungund den internationalen Gebernvereinbart werden.5. Überwachen durch ein konsequentesMonitoringDie Absicht der Bundesregierungzusammen mit den internationalenPartnern eine verlässliche Übergangsstrategiefür die Verantwort in Afghanistanzu entwickeln ist richtig,zielführend und wahrscheinlich dereinzige Weg aus der Sackgasse in Afghanistan.Es wäre aber sicher blauäugig,eine politische Absichtserklärungbereits für die Durchführungzu halten. Daher wird es notwendigund angeraten sein, dass der DeutscheBundestag als <strong>Auftrag</strong>geber inden nächsten fünf Jahren den angestrebtenund oben beschriebenenFriedensprozess in Afghanistan miteinem konsequenten Monitoring begleitetund dokumentiert. ❏Nikoseli Afrika!Südafrika vor der FußballweltmeisterschaftVON ANDREAS M. RAUCH 1Nach dem friedvollen Wechsel von einer Politik der Apartheid zu einer rechtsstaatlichen, pluralistischen Demokratiefür alle Südafrikaner 1994 gilt Südafrika unangefochten als Hoffungsträger Afrikas. Keine Person verkörpertdiese politische Hoffnung für ganz Afrika mehr wie der Friedensnobelpreisträger und Alt-StaatspräsidentSüdafrikas Nelson Mandela. Bis heute kommt ihm in Südafrika und weltweit hohe Anerkennung zu. Das verdeutlichten2008 die Feierlichkeiten zu seinem 90. Geburtstag. Davon losgelöst ist die deutsche Wahrnehmung vonSüdafrika selektiv. Vielen Deutschen blieben die ersten freien Wahlen in Südafrika 1994, die weltweit große Resonanzfanden, als politischer Markstein im Gedächtnis. An der Weltwirtschaft Interessierte nahmen positiv wahr, dassMandelas Nachfolger Thabo Mbeki sich dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlt. Sicherlich spieltdabei die starke Präsenz von deutschen Firmen in Südafrika eine Rolle – vor allem in der Autostadt Port Elisabeth mitBMW und Mercedes. Die von vielen befürchtete Verstaatlichung von Schlüsselunternehmen in Südafrika nach derMachtübernahme der Regierung durch den ANC 1994 blieb aus. Viele deutsche und britische Unternehmen konntenweiter wirtschaften und gute Erträge einfahren. Diese positive Entwicklung ist bis Anfang 2008 im Grundsatz geblieben.Doch dann tauchten politische Probleme in Südafrika auf, die weltweit Negativ-Schlagzeilen machten. Zudemzeichnen sich 2010 auch in Südafrika Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab.Vom ‚Musterknaben‘ zum ‚Sorgenkind‘Angesichts der sich 2010 abzeichnendenpolitischen und wirt-1 Prof. Dr. Andreas M. Rauch war Forschungsstipendiatam Human SciencesResearch Council in Pretoria 1989/90und lehrte an der christlichen UniversitätPotchefstroom 1994-1999; heute istschaftlichen Problemlagen in Südafrikasollte nicht verdrängt werden, dasses seit vielen Jahren sechs Konfliktlagenin Südafrika gibt:er Lehrbeauftragter für InternationalePolitik an den Universitäten Duisburg/Essen und Nürnberg-Erlangen und istim Schuldienst tätig.– Korruption und Parteistreitigkeitendes ANC– Problem Wanderarbeiter– Kriminalität und Gewaltbereitschaft– Umweltzerstörung und Umweltverschmutzung28 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010
GESELLSCHAFT NAH UND FERN– Fehlende Sinn- und Lebensorientierung:das Beispiel Abtreibung– Sicherheitsmängel.These dieses Beitrages ist, dassalle sechs Konfliktebenen schon inder Ära der Apartheid und auch unterPräsident Mandela latent vorhandenwaren. Aufgrund der politischenSpannungen um den neuen ANC-Führer und Präsidenten SüdafrikasZuma und aufgrund einer Verschärfungder internationalen Konfliktlagenund der Weltwirtschaft kommtSüdafrika unter politischen Druckund die sechs Konfliktebenen werdenwirkungsmächtiger.Hinzu kommt eine ausschnitthafte,deutsche Wahrnehmung vomsüdlichen Afrika. Die Medien berichtenüber Afrika nur bei dramatischenEreignissen, wie den politischenZuspitzungen in Zimbabweum Präsident Mugabe und der dortigenCholera-Epidemie. Viele Wahrnehmungenvon Deutschen reduzierensich auf zwei- oder dreiwöchigenReisen im südlichen Afrika, die oftnur in isoliert gelegenen Safari-Unterkünftenund bestens von der südafrikanischenAlltagswirklichkeit abgeschirmtenHotelghettos gesammeltwerden. Die Masse der Deutschenkennt weder den tagtäglichen Überlebenskampfder Menschen in Afrikanoch in Südafrika. Dies stellt sichetwa in Großbritannien anders dar:die Medienpräsenz und der persönlicheKontakt mit Afrikanern – nichtzuletzt durch die hohe Zahl von Gastarbeiternaus Commonwealth-Staaten– ist dort eine ganz andere.Korruption und Parteistreitigkeitendes ANCParteistreitigkeiten und Richtungskämpfeinnerhalb des ANC hat esimmer gegeben. Erinnert sei nur andie unglückliche Rolle von Mandelaseinstiger Ehefrau Winnie, der langjährigenFührerin der Frauen-Liga desANC. Winnie Mandela konnte nachgewiesenwerden, dass sie westlicheHilfsgelder für ihre Privathäuser inSoweto abgezweigt hatte.In so weit stellte es nichts Neuesdar, dass das ANC-Mitglied JacobZuma der Korruption beschuldigt wurde.Korruption stellt sich als Grundübelin nahezu allen afrikanischenStaaten dar, welches teilweise nochAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010aus der Kolonialzeit stammt. Heutewissen wir aus Veröffentlichungen desKapstädter Instituts für Sicherheitsstudien,dass das Apartheid-Regimein Südafrika ebenfalls korrupt war,jedoch in einem anderen Verständnisals jenes von der persönlichen Bereicherungdurch Einzelne. So sind inden vergangenen vier Jahren geheimeFonds der Apartheid-Regierung ineinem Umfang von 3,5 Mrd Franken(Wert 2005) bekannt und nachgewiesenworden. Aufgrund der weltweitenSanktionspolitik gegen das damaligeApartheid-Regime wurden Wegegesucht und gefunden, um auf demSchwarzmarkt Öl, Waffen und technischesGerät zu erwerben – auch zurnuklearen Rüstung.Im Falle Zumas ging es aber nuroberflächlich um den Vorwurf der Korruption,sondern um einen Richtungskampfzwischen Zuma und ThaboMbeki. Während Mbeki für ein Wirtschaftssystemim Sinne einer SozialerMarktwirtschaft à la Ludwig Erhardstand, welches sich zudem seit fastfünfzehn Jahren bewährte, verkörpertZuma den eher sozialistisch orientiertenZweig des ANC mit seinen Vorstellungeneiner Staats- und Planwirtschaft.Parteiintern kann sich Zumaim Dezember 2007 als Vorsitzenderdes ANC gegen Mbeki durchsetzen.Die Entscheidung der Staatsanwaltschaftvon Pietermaritzburg vom Dezember2007, Zuma strafrechtlich wegenKorruption, Geldwäsche, Betrugund Erpressung zu verfolgen, stelltsich politisch nur als eine Etappenentscheidungdar. Mbeki steht in Verdacht,hinter dem Korruptionsverfahrengegen Zuma zu stehen oder politischauf dieses Verfahren Einflussgenommen zu haben.Im September 2008 erklärte einGericht in Pietermaritzburg die Entscheidungvom Dezember 2007 wegenVerfahrensfehlern für „null undnichtig“. Auf politischer Ebene gerätSüdafrikas Wirtschaft immer mehr ineine Schieflage, da es als Lieferantvon Rohstoffen und Automobilzulieferervom US-Absatzmarkt abhängigist. Als diese im Zuge der weltweitenBanken- und Finanzkrise, die immerstärker zu einer Krise der Automobilwirtschaftaufwächst, zu massivenEinbrüchen in Südafrikas Wirtschaftführt, werden politische Rufe nacheiner staatlich gelenkten WirtschaftSüdafrikas lauter und Mbeki gerät inwachsendem Maße unter politischenDruck. Schließlich muss Mbeki, dessenMandat als Staatspräsident eigentlichnoch bis Mitte 2009 laufen sollte,zugunsten von Zuma im September2008 aufgeben. Insgesamt gesehenhaben sich seither planwirtschaftlicheEntscheidungen der südafrikanischenRegierung gehäuft, etwa beidem Ausbau des Wohnungsbaus unddes Gesundheitswesens.Problem WanderarbeiterWanderarbeiter haben im südlichenAfrika eine lange Traditionund ihr Einsatz in Südafrika warstets mit Problemen verknüpft. Schonum 1860 erachteten es die Behördender damaligen Vorgängerstaaten Südafrikasfür notwendig, den Zuflussschwarzer Wanderarbeiter gesetzlichzu regeln. Während die Wanderarbeitbei den Männern zu Beginn landwirtschaftlichenBeschäftigungen galtund deshalb saisonal blieb, gab es abca. 1890 eine vermehrte Nachfragenach körperlich starken und tüchtigenSchwarzen aus Südafrikas Industriefür einfache Arbeiten. Aus denGebieten des heutigen Namibia undSimbabwe sowie aus Botsuana, Lesothound Mozambik strömten schwarzeWanderarbeiter in Südafrikas Minenund Fabriken. Die Wanderarbeiternahmen vor allem Arbeiten wahr, diesüdafrikanische Schwarze nicht machenwollten – und dies blieb so bisetwa 1994. Seit Anfang der achtzigerJahre sank die Rentabilität der Grubendrastisch, vor allem der Goldminen.Unter der neuen ANC-geführtenRegierung Südafrikas bestand einePräferenz für einheimische Arbeitskräftein Südafrika, auch wenn diesenicht immer so leistungsstark wiedie Wanderarbeiter waren. Diese Entwicklungsei in Zahlen beispielhaft anLesotho verdeutlicht: 1976 hatte fastjeder männliche Bürger Lesothos inder Altersgruppe von 20-54 Jahreneine Anstellung in den Gruben Südafrikas,während es 1986 nur noch 38Prozent und im Jahr 2000 nur noch 15Prozent waren.Hinzu kommt, dass die Wanderarbeiteroftmals unter schlechterenArbeitsbedingungen wie ihre südafrikanischenKollegen arbeiten, was29