KIRCHE UNTER SOLDATENIch besuchte den Jugendkreis in unserer Stadt, dervon Universitätsstudenten geführt wurde, die ungefähr 5Jahre älter als wir waren und die für uns zu positiven Vorbildernwurden. Hier konnte ich viele von meinen Fragenbeantworten und vor allem sah ich junge Leute, die ichbewunderte und die bereit waren, ihren Glauben zu lebenund ihn mit uns zu teilen, die ganz normal aussahen undsich nicht schämten, dass sie glaubten. Wir hatten nichtnur, wenn ich es so ausdrücken darf, „fromme“ Treffen,sondern gemeinsam erlebten wir viel Spaß und – was fürmich besonders wichtig war – machten während der Feriendie Bergwanderungen, vor allem in der Slowakei, die michtief beeindruckten. Obwohl – wie erwähnt – unsere Elternuns die Liebe zur Natur einprägten, bedeuteten diese Wanderungenwesentlich näheren Kontakt mit der Natur unddurch ihre Schönheit auch mit Gott. Ich bin immer dankbar,dass ich seit dem Jahre 89 ohne Schwierigkeiten inverschiedene Berggebiete, vor allem in die Alpen, reisenkann und auf ihren Pfaden und Klettersteigen erlebte ichviele der schönsten Momente meines Lebens.Jugendarbeit wurde Priestern, die in Pfarrgemeindentätig waren, de facto verboten, und war für sie u.a. mit derGefahr verbunden, dass ihnen sogenannte Staatserlaubnisfür den priesterlichen Dienst entzogen werden konnte.Dann durften sie offiziell nicht als Priester wirken undarbeiteten z.B. als Heizer, Fensterputzer oder Mauernhelfer.Aber viele von ihnen, setzten – zusammen mit Priestern,die insgeheim geweiht wurden, einige von ihnen inder ehemaligen DDR - in ihrer Freizeit Jugendarbeit fort.Vor allem die Salesianer veranstalten verschiedene Ausflügeund besonders so genannte „Hüttchen“. Das warenFerienaufenthalte meistens für Burschen mit religiösenProgrammen und vielen Sportaktivitäten, die ihre Zentrenmeistens in allein stehenden Gebäuden in Berggebietenhatten. Die Salesianer bauten allmählich ein Netzvon Mitarbeitern auf, oft Hochschulstudenten, die diese„Hüttchen“ führten. Jede solche Gruppe wurde von einemPriester besucht, der dort Eucharistie feierte, eine Katechesehatte und Möglichkeit zu persönlichen Gesprächenoder zu Beichten anbot. Es waren für uns sehr starke Erlebnisseund tiefgehende Glaubenszeugnisse. Ich denke,dass es fast unmöglich ist, diese Erfahrungen weiterzugeben,z. B. wenn uns ein Priester besuchte, der den vorigenNachmittag auf der Polizeistation in Prag verbrachthatte, wo er wegen seiner Tätigkeit befragt wurde, dannfuhr er mit einem Nachtzug nach Mähren und dort in denBergen nicht weit von der slowakischen Grenze feierte ermit uns Eucharistie, bei der er ganz einfach sagte, dass essinnvoll ist, als ein Christ zu leben, dass das Verhältniszu Christus eine Quelle der Freude und Lebenserfüllungist – und wir konnten wahrnehmen, dass es keine frommePhrase ist, dass es für ihn gilt – und dass es auch für unsgelten kann und soll.In einem solchen Milieu entstand auch, nachdem ichFachmathematik auf der Uni zu studieren begonnen hatte,meine Berufung zum Priestertum. Dann hatte ich Schwierigkeitenmit der Staatspolizei, weil – wie mir gesagt wurde– ich leider von den Leuten stark beeinflusst war, diedie wahre sozialistische Denkweise nicht hatten. Weildamals de facto gerade die Staatspolizei entschied, werzum Theologiestudium zugelassen wurde, musste ich vierJahre warten, bevor die Lage besser wurde und ich zumTheologiestudium angenommen wurde. Ich machte einenzweijährigen Wehrdienst, der für uns obligatorisch war,und zwei Jahre arbeitete als Sanitäter im Krankenhaus.Beides war eine gute, obwohl von Zeit zu Zeit auch harteLebensschule. Als ich im Jahre 1987 ins Priesterseminareintrat, konnten wir spüren, dass sich gewisse Sachen einbisschen zu ändern begannen, aber wir ahnten nicht, wasnach zwei Jahren geschehen würde.Abschließend möchte ich betonen, dass obwohl vonStrukturen und offiziellen Möglichkeiten her ein riesigerUnterschied zwischen Leben der Kirche in einer freienGesellschaft und in kommunistischer Diktatur ist, bin ichüberzeugt, dass immer und überall die wichtigste Sacheist, eine persönliche Entscheidung für den Glauben, fürJesus Christus zu machen. Und wenn diese Entscheidungreif und gesund sein soll, braucht man Vorbilder, Glaubensgemeinschaftund Erfahrung eines Glaubens, der mitFreude am Leben verbunden ist. ❏12. Seminar Akademie Oberst Helmut KornGedanken zur Ethik des <strong>Soldaten</strong>berufesAm 01. Juli dieses Jahres habe ich mein 40. Dienstjahrvollendet. Heute weiß ich, dass mir die Tragweitemeiner Entscheidung, Offizier zu werden, damalsnicht wirklich bewusst war. Ich habe mich für einenBeruf entschieden, den ich damals für einen von vielenmöglichen hielt. Erst sehr viel später habe ich, wie sicherauch viele von Ihnen erkannt, wie anspruchsvollmeine Wahl tatsächlich war. Wenn ich hier heute von<strong>Soldaten</strong> spreche, spreche ich vornehmlich von Offizierenund Unteroffizieren, die FührungsverantwortungVON GENLT WOLFGANG KORTEgetragen haben, noch tragen oder irgendwann einmaltragen werden.In den ersten Jahren meines Dienstes stand eindeutigder handwerkliche Aspekt unseres Berufes im Vordergrund.Ich will damit nicht sagen, dass meine Vorgesetzten,Lehrer und Ausbilder der charakterlichen und intellektuellenSeite unseres Berufes keine Beachtung geschenkthätten, aber das nahm man so nebenbei mit. Es standnicht so im Fokus, wie es vielleicht von Anfang an hättesein können oder sollen. Natürlich war das Thema Innere60 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010
KIRCHE UNTER SOLDATENFührung wichtig, es war ja sogar Sperrfach auf manchenLehrgängen. Aber mir war ehrlich gesagt wichtiger, dassmeine Offiziere und Unteroffiziere ihren Panzer und ihreWaffen beherrschten.Sie werden mir sicher Recht geben und auch die Erfahrunggemacht haben, dass man allen idealtypischenAnforderungen unseres Berufes wohl nie wird in Gänzeentsprechen können. Am einfachsten sind in der Regeldie zu erfüllen, die eher der technokratischen Bewältigungder vielschichtigen Aufgaben eines <strong>Soldaten</strong> zuzurechnensind. Diese mehr handwerklichen Fähigkeiten kann mansich erarbeiten, man kann sie erlernen und trainieren. Dasgilt nicht in gleichem Masse für Charakter und Geist, dieaber ganz genau so Attribute unseres Berufes sind, ja diegerade im Beruf des militärischen Führers eine besondereAusprägung erfahren. Womit ich nicht gesagt haben will,dass dies nicht auch für andere Berufe gelten kann. DieseAttribute, Charakter und Geist, bilden sich durch persönlichesErleben, Erfahren und Einsicht heraus.Als ich Personalführer und später Referatsleiter in derAbteilung Personal war, ist mir ganz besonders bewusstgeworden, wie vielschichtig aber auch wie unpräziseBegriffe sein können, mit denen wir Menschen charakterisieren,und wie viele Probleme sie bereiten könnenin einer Welt und in einer Umgebung, in der in der Regelnur das Konkrete, das Beweisbare, das Belegbare zählt,das was wir messen und zählen können. Viel zu seltenwird Charaktereigenschaften im Vergleich mit und in derKonkurrenz zu Leistungsparametern die richtige Gewichtungeingeräumt.Für mich war dies immer ein Grund mehr, mich mitdiesen Attributen näher zu befassen und sie mehr in dasZentrum unseres Berufsverständnisses zu rücken. Dennes ist doch der Charakter, der im Wesentlichen die Glaubwürdigkeitund die Überzeugungskraft des militärischenFührers bestimmt, es ist der Charakter, es ist die Persönlichkeitdie ihn verlässlich und berechenbar machet, Eigenschaften,die die Forderung des <strong>Soldaten</strong>gesetzes anihn, Vorbild zu sein, doch erst möglich machen.Geist oder Intellekt wiederum verleihen dem militärischenFührer die Kraft zum Verstehen, zum Urteil, zurEntscheidung. Der Charakter ist auch der Ort, wo dasGewissen zum Massstab unseres Handelns wird. An Wertenorientiertes Handeln, zielgerichtetes Handeln, Handelngegen Mode und Zeitgeist und eine Lebensführungdie versucht, diesen Grundsätzen zu folgen, das erfordertGeist und Charakter.Eine unserer wichtigsten Aufgaben gerade heute, inZeiten der Einsätze, ist es, <strong>Soldaten</strong> auf Extremsituationenvorzubereiten und sie in solchen Grenzsituationen dannauch zu führen. Verantwortung für fremdes Leben zu tragen,ist aber eine ungeheure Anforderung. Um ihr gerechtwerden zu können, bedarf es innerer Stärke und geistigerDurchdringung. Leben zu verantworten bedarf eines wirklichguten, überzeugenden Grundes, eines klaren Zielesund der Rechtfertigung vor seinen <strong>Soldaten</strong>, aber vor allemauch vor sich selbst. Ein rein militärischer Zweck alleinreicht da nicht aus, er bedarf einer überzeugenden ethischenLegitimation.AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010Innere Stärke und Kraft zur Führung können nur ausCharakter und ethisch begründeter Überzeugung erwachsen.Innere Stärke jedoch ohne Wertebindung kann sehrschnell auch der falschen Sache dienen, dem persönlichenEhrgeiz oder der eigenen Eitelkeit zum Beispiel. Das läuftdann aber schnell auf Missbrauch von zur Führung anvertrautenAbhängigen hinaus. Soll jedoch Rechtfertigung mehrsein als vordergründige Erklärung oder bequeme Ausrede,dann brauchen wir dafür einen Maßstab, Werte, die außerhalbunseres eigenen Nutzens liegen.Die fast schon unmenschliche Aufgabe, fremdes Lebenzu verantworten, legitimiert sich nicht allein durch das staatlicheGewaltmonopol, ein Mandat oder das <strong>Soldaten</strong>gesetzmit seinem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Wir kommenan einer individualistischen, persönlichen Entscheidungund Rechtfertigung nicht vorbei.Wie jeder andere Beruf dient auch der Beruf des <strong>Soldaten</strong>zunächst einmal der Sicherung des Lebensunterhalts.Wenn die Zweckbestimmung des Berufes jedoch die Sicherungder Grundlagen menschlicher Existenz einschließt,wenn es also um Bewahrung von Leben, Menschenwürde,Freiheit, Frieden und Recht geht - so unser Grundgesetz -dann gewinnt die Sache eine ganz neue Dimension, eine Dimension,die es in vielen anderen Berufen nicht gibt, ohnediese damit in irgend einer Form abwerten zu wollen. Wirteilen diese besondere Dimension mit Berufen wie z.B. demdes Pfarrers, des Arztes, dem des Pädagogen, des Politikersund anderen. Wir sind weiß Gott nicht einmalig. Aber auchwenn die jeweiligen Zweckbestimmungen sehr unterschiedlichsind, gehört doch zu diesen Berufen, wie zu dem desmilitärischen Führers, eine ideelle Verpflichtung, ein Wertebezug,eine besondere Verantwortungsethik.Das Berufsbild des <strong>Soldaten</strong>, gerade in Deutschland, istsehr komplex. Es ist bis heute belastet mit Klischees, mitVorurteilen und natürlich mit den schlimmen Ereignissenunserer Vergangenheit. Wir Deutsche haben unsere besonderenTraumata zu verkraften.Die sehr pauschalen moralischen Angriffe auf die deutschen<strong>Soldaten</strong> nach 1945 zwangen zu einer selbstkritischenAuseinandersetzung. Wer dies wahrhaftig tat, musstezwangsläufig zu der Erkenntnis kommen, dass der faktischeMissbrauch der <strong>Soldaten</strong> der Wehrmacht für Angriffskriege,Unterdrückung und Schlimmeres, mit der Opferrolle gegenübereiner verbrecherischen Politik and Staatsmacht alleinnicht zu erklären, geschweige denn zu entschuldigen war.Wer die Pflicht zur persönlichen, ethischen Rechtfertigungernst nahm, musste erkennen, dass das Prinzip von Befehlund Gehorsam, dass Pflichterfüllung, Liebe zum Vaterlandoder Sorge um die eigene Familie allein nicht ausreichten,weil sie nicht an Recht und Gesetz, nicht an das Gebot derMenschenrechte und nicht an eine Gewissensentscheidunggebunden waren.Dass unsere Väter und Großväter für die Nationalsozialistenin den Krieg zogen, Unrecht taten, ja vielleicht tunmussten, und doch dabei ihrem Land im Guten zu dienenglaubten, ist nicht vorwerfbar. Das verdient vor allem unserMitgefühl. Wer sich jedoch auch noch nach dem Zusammenbruchindirekt durch die Nationalsozialisten missbrauchenliess, weil er sich der Wahrheit und der Einsicht61