GESELLSCHAFT NAH UND FERNHoffen und Bangen für AfghanistanKirchliche Positionen und die Sehnsucht nach gerechtem FriedenVON GERHARD ARNOLD 1Der 4.September 2009 hat Deutschland tief aufgewühlt. Der deutsche Kommandeur in Kunduz, OberstKlein, forderte einen nächtlichen Luftangriff auf zwei entführte Tanklastwagen und die beteiligten Talibanan. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundeswehr wurde in einem Auslandseinsatz durch einen problematischenBefehl eines deutschen Offiziers eine größere Anzahl unbeteiligter afghanischer Landesbewohnergetötet und etliche verletzt. Die genauen Zahlen werden wohl nie ermittelt werden können. Das war nicht dieBundeswehr, wie sie in den Vorstellungen sehr vieler Bürger/innen Gestalt angenommen hatte, eine sympathischeund im Grunde eine sehr friedliche international tätige Hilfstruppe in Uniform, Brunnenbauer in oliv. Nichtnur Parlament, Regierung und Öffentlichkeit, auch die christlichen Kirchen waren zu Reaktionen herausgefordert,allerdings mit Erschwernissen.Afghanistan – ein Landohne einheimische ChristenFür die beiden großen Kirchen inDeutschland, die Römisch-Katholischeund die Evangelische Kirche,vertreten durch die EKD, sind weitgespannteinternationale kirchlicheBeziehungen selbstverständlich. AberAfghanistan gehört zu den ganz wenigenLändern der Erde, in denen keineeinheimischen Christen leben. Diedeutschen Kirchen haben also keinerleikirchliche Beziehungen dorthinund können deshalb auch keine ökumenischeVerantwortung für Christenin diesem Land wahrnehmen, alsderen Sprachrohr oder Anwältin. Allerdingsist die große HilfsorganisationCaritas International mit etlichenProjekten im Land am Hindukuschaktiv, mit deutschen und einheimischenProjektbetreuern in einem eigenenBüro in der Hauptstadt Kabul.Dadurch können über unabhängigekirchliche Informationskanäle Lageberichte,Analysen und Projektberichteauch an die kirchliche Hierarchienach Deutschland gelangen. DasDiakonische Werk der evangelischenKirche betreibt derzeit nur zwei befristeteNothilfeprojekte.Neue evangelische Zuständigkeitenseit Ende 2008Nur wenige evangelische Christ/innen dürften wissen, dass die EvangelischeKirche in Deutschland (EKD)ihre Zuständigkeiten für ihr Friedensengagementseit Oktober 2008 neu1 Gerhard Arnold ist evangelischer Theologeund friedensethischer PublizistRenke Brahms, Friedensbeauftragterbeim Rat der Evangelischen KirchenDeutschlands (Quelle: BremischeEvangelische Kirche)geordnet hat. Auch für Mitgliederder katholischen Kirche, die in derÖkumene und in Friedensfragen engagiertsind, dürfte die Neuregelungvon Interesse sein. Erstmals in ihrerGeschichte wurde vom Rat der EKD,dem obersten kirchlichen Entscheidungsorgan,die Funktion eines eigenenFriedensbeauftragten geschaffen.Der theologische Leiter der BremischenEvangelischen Kirche, RenkeBrahms , wurde mit dieser Tätigkeitbeauftragt. Seine Aufgabe ist es u.a.,auf dem Boden der neuen Friedensdenkschriftder EKD vom Oktober2007 zu Friedensfragen bei BedarfStellung zu nehmen und die kirchlicheHaltung zu erläutern. Neben ihmsollte der neue evangelische MilitärbischofDr. Martin Dutzmann, im HauptberufLeiter der Lippischen Landeskirche(Sitz in Detmold), neben seinerallgemeinen seelsorgerlichen Aufgabefür die deutschen Soldatinnenund <strong>Soldaten</strong> speziell für die Bundeswehreinsätzeim Ausland zuständigsein und sie bei Bedarf auch durchöffentliche Stellungnahmen begleiten.Diese Neuregelung soll auch derEntlastung des Rats der EKD dienen.Afghanistan als große kirchlicheHerausforderungIm Folgenden soll zunächst diePosition der evangelischen Kirchezu verschiedenen Aspekten des deutschenAfghanistan-Engagementsdeutlich gemacht, dann die Gemeinsamkeitenmit den katholischen Bischöfengeschildert werden.Im August 2008 begannen die Talibanin dem bis dahin noch als relativruhig geschilderten Norden des Landes,deutsche Konvois und Patrouillenverschärft anzugreifen und ihnenerhebliche Verluste zuzufügen. Dassorgte nicht nur für große Irritationenin der deutschen Öffentlichkeit, dienicht glauben wollte, dass die Bundeswehrsich inzwischen in einemKampfeinsatz befindet.Der evangelische MilitärbischofMartin Dutzmann reiste Ende Mai2009 erstmals nach Afghanistan, umsich in Gesprächen an verschiedenenStationierungsorten ein eigenes Bildvon der Lage der Soldatinnen und Soldatinnen,ihren Aufgaben und Nöten,24 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010
GESELLSCHAFT NAH UND FERNzu machen. Als Seelsorger hat er sichvon Anfang an mit den posttraumatischenBelastungsstörungen (PTBS)der Afghanistan-Heimkehrer befasst.Bereits in einer Presseerklärung derEKD vom 08./09. März des Jahreshat er von der deutschen Öffentlichkeitgefordert, dieses Problem mehrzu diskutieren. Die <strong>Soldaten</strong> seien janicht auf eigenen Wunsch in Afghanistan.Deshalb könne man nicht voneinem ‚normalen‘ Berufsrisiko sprechen,wenn Bundeswehr-Angehörigetraumatisiert oder körperlich versehrtzurückkehrten.In seinem Kurzbericht an dieEKD-Synode vom September 2009schreibt er ungeschminkt über seineEindrücke: „<strong>Soldaten</strong> bemängelten,dass die politisch Verantwortlichendie Ziele des Einsatzes nicht präzisegenug bestimmt hätten und dass nichtzu erkennen sei, wann und wie dermilitärische Einsatz beendet werdenkönnte. Irritierend war ein Gesprächmit Vertretern ziviler Hilfsorganisationen,die am Aufbau Afghanistansbeteiligt sind. Nicht nur ich hatte denEindruck, dass die Arbeit dieser zivilenKräfte viel zu wenig koordiniertist. Unsere Soldatinnen und <strong>Soldaten</strong>riskieren in den Einsätzen, in die derDeutsche Bundestag sie geschickt hat,ihre Partnerschaften, ihre körperlicheund seelische Gesundheit, ja ihr Leben.“(S.2 des Berichtes)Der Militärbischof resumiertdann: „In der öffentlichen Diskussionüber das militärische Engagement derBundesrepublik Deutschland kommtbisher die Rolle der zivilen Akteuredeutlich zu kurz. Eine militärischeIntervention hat aber nur dann Sinn,wenn sie mit zivilem Engagement verbundenwird.“( Er beruft sich dabeiauf die Friedensdenkschrift der EKDvon 2007, in der der Vorrang zivilerKonfliktlösung vor dem Gebrauch militärischerZwangsmittel unmissverständlichbetont wird).Nach dem folgenreichen Luftangriffauf zwei von den Taliban entführteTanklaster hat der Militärbischofeine Vorverurteilung des betroffenenOberst Klein abgelehnt, aber aucheine rasche Untersuchung des Vorfallsgefordert. Er sagte am 6. November2009, im Gebiet der Bundeswehrherrsche Ausnahmezustand. KriegerischeAuseinandersetzungen seienAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010immer unübersichtlich, dabei passiertenauch Fehler. Das sei jedochkeine Entschuldigung für ein Fehlverhalten.Er sagte weiter, dass nachder Friedensdenkschrift der EKD derEinsatz „rechtserhaltender Gewalt“nur in ganz engen Grenzen möglichsei. „Dazu gehört unter anderem, dassder Gewaltgebrauch an ein Gesamtkonzeptgebunden ist.” An einem solchenstimmigen und umsetzbaren Gesamtkonzeptfür den zivilen Aufbau imLande fehle es aber weiterhin. Einenschnellen, überhasteten Abzug derBundeswehr lehnte er ab.Der Friedensbeauftragte der EKDDer Friedensbeauftragte derEKD, Renke Brahms, erläuterte ineinem ausführlichen Beitrag im RheinischenMerkur vom 17. September2009 seine grundsätzliche Positionzu Afghanistan. „Dieser Krieg istaussichtslos“ lautet der Titel; er gibtden Grundtenor des Aufsatzes wieder.Er zählt die vielen Misserfolge imLand auf, das gescheiterte BemühenFrieden zu schaffen, die vielen zivilenOpfer der militärischen Einsätzeund demzufolge den Ansehensverlustder ausländischen Truppen. DieZentralregierung habe keine Stabilitätim Land geschaffen. Die Bedrohungder deutschen <strong>Soldaten</strong> habe zugenommen.Der Friedensbeauftragteschreibt: „Die Strategie, Fortschrittim Land, Demokratie und Menschenrechtedurch Schutztruppen zu etablierenund dem Terrorismus den Nährbodenzu entziehen, greift offensichtlichnicht.“ Nach seiner Überzeugung„müssen die Kriegsgegner als Partnerfür Waffenstillstandsverhandlungenanerkannt und für Friedensgesprächegewonnen werden. Das schließtSicherheitsgarantien für alle Konfliktparteienein. In den Überlegungenkommt bisher die Rolle zivilgesellschaftlicherAkteure, auch der Religionsgemeinschaften,viel zu kurz. Eswäre vornehmste Aufgabe der deutschenPolitik, auf die Vereinbarung einesderartigen Stufenplans zu drängenund sich für eine legitime afghanischeRegierung und einen schrittweisenRückzug der Truppen einzusetzen.“So wenig seine kritische Sicht derafghanischen Krisenlage zu bemängelnist, so problematisch sind seineeigenen Vorschläge. Er verfügt alsFriedensbeauftragter über keine bessereInformationslage als andere Analystenund Sachverständige und keinbesseres Urteilsvermögen als andereFachleute. Die Frage, wie ziviler Aufbauverstärkt werden kann ohne mehrmilitärische Präsenz in der Fläche istgerade unter den deutschen Hilfsorganisationenumstritten. Er fragt nicht,ob das Erstarken der Taliban in denletzten Jahren nicht auch eine Folgevon viel zu wenig internationaler Militär-und Polizeipräsenz im Land gewesenist, ein Manko, auf das Generäleschon seit Jahren hinweisen. DerRückzug vieler Hilfsorganisationenaus zivilen Projekten hängt durchwegsmit der fehlenden Sicherheitzusammen. Wer jetzt einen baldigenTruppenabzug fordert, von einem sofortigenganz zu schweigen, arbeitetden Taliban in die Hände.Die Stellungnahme der EKDvom 25. Januar 2010Im Blick auf die bevorstehendeinternationale Afghanistan-Konferenzin London am 28. Januar 2010, aberauch zur Beendigung der Kontroverseum die EKD-Ratsvorsitzende BischöfinMargot Käßmann hat die EKDdrei Tage zuvor „ein evangelischesWort zu Krieg und Frieden in Afghanistan“veröffentlicht. Die Verfasserwollen auf der Basis der EKD-Friedensdenkschrifteinige Gesichtspunktein der aktuellen Afghanistan-Diskussiongeltend machen. Die beidenLeitgedanken der Denkschrift werdenzitiert: „Christinnen und Christen lebenaus Gottes Frieden und sollen fürgerechten Frieden sorgen.“ Die Erklärungwendet sich an Bundestag undBundesregierung mit der Bitte, sichfür sieben aufgezählte Gesichtspunkteauch international einzusetzen.Die Erklärung fordert unter Ziff.2: „Das politische Konzept für Afghanistanhat neben der zivilen aucheine militärische Seite. Sie ist vonvornherein unter dem Gesichtspunktzu betrachten, wie der Aufbau der Zivilgesellschaftgeschützt und gefördertwerden kann. Wir werben dafür,dass nicht die militärische Logik dasDenken, Planen und Organisieren fürAfghanistan beherrscht.“Die Bilanz des bisherigen zivilenAufbaus, der „erste Erfolge zuverzeichnen“ habe, bleibe insgesamt25