SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK„Was will Deutschland am Hindukusch?“Erwiderung auf das Positionspapier 7/2009 des Verbandes Entwicklungspolitik DeutscherNichtregierungsorganisationen e.V. (VENRO)VON KLAUS LIEBETANZNeben berechtigter Kritik haben die VENRO-Funktionäre eine Reihe von Halbwahrheiten in ihre Argumentationübernommen. Major a. D. Klaus Liebetanz, Mitglied des Sachausschuss „Sicherheit und Frieden“der <strong>Gemeinschaft</strong> <strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong> (GKS) setzt sich im Folgenden kritisch mit dem Positionspapierauseinander. Seine Kritik ist deshalb bemerkenswert, da er als Mitarbeiter im Arbeitsstab Humanitäre Hilfe desAuswärtigen Amtes (AS HH) an der Gestaltung des „Koordinationsausschuss Humanitäre Hilfe“ mitgearbeitet,ca. 500 Verwendungsnachweise der deutschen Hilfsorganisationen geprüft und für vier große deutsche Hilfsorganisationendas individuelle Taschenbuch für den Auslandseinsatz erstellt hat. Er ist langjähriges Mitglied derPlattform Zivile Konfliktbearbeitung und hat von 2005 bis 2009 im <strong>Auftrag</strong> des Auswärtigen Amtes Ergebnisprüfungenvor Ort von Projekten der deutschen humanitären Hilfe weltweit durchgeführt. Somit kommt mit ihmein Praktiker zu Wort. Den vollständigen Text des Papiers kann man auf der Webseite www.venro.de nachlesen.Ansätze der Kritik1. Die „Unabhängigkeit“von Hilfsorganisationen„In Afghanistan sind deutscheHilfsorganisationen nicht erst seitSeptember 2001, sondern teilweiseseit über 30 Jahren tätig und konntenin enger Kooperation mit afghanischenAkteuren auch unter schwierigstenUmständen Hilfe leisten.“(Pos. Papier S. 4, Abs. 3)Dabei wird verschwiegen, dassdie Hilfsorganisationen an der Schreckensherrschaftder Taliban, insbesonderegegen Frauen, nichts geänderthaben. Außerdem haben siedem Talibansystem Kosten im Gesundheitswesenerspart, welche dasRegime an anderer Stelle für seineZwecke ausgeben konnte. Mary B.Anderson hat in ihrer Veröffentlichung„Do Not Harm – How Aid CanSupport Peace – War“ (Der Einflussder humanitären Hilfe auf Krieg undFrieden) anhand von 14 Feldstudiennachgewiesen, dass Hilfsorganisationendurch wohlgemeinte Hilfslieferungenzum Erstarken von Bürgerkriegsparteienund damit zur Verlängerungdes Krieges beitragen können.Außerdem können so Unrechtsregimestabilisiert werden. Hilfsorganisationenhandeln nirgendwo imluftleeren Raum. In Krisengebietensind sie immer hoch politisch, obwohlihre Akteure das nicht wahrhaben wollen.2. „Unzulässige“Vermischung von zivilerund militärischer Hilfe„Hilfsorganisationen warnen seitLangem vor den negativen Folgen derVermischung von ziviler und militärischerHilfe, wie sie in Afghanistanbeispielsweise in Form der „ProvincialReconstruction Teams“ (PRT) praktiziertwird.“ (Pos. Papier S.6, Abs. 3)Mit dieser Aussage unterstreichendie Verfasser des Papiers, dass siesich nicht mit den Prinzipien der VereintenNationen, insbesondere nichtmit der „Agenda for Peace“ und dem„Brahimireport“, auseinandergesetzthaben.„Agenda for Peace“ – Eine VN-Handlungsanweisung für denFriedenIn der Erklärung des Sicherheitsratsvom 31. Januar 1992 (kurz nachEnde des Kalten Krieges) wurde derGeneralsekretär der Vereinten NationenBoutros-Ghali beauftragt, bis zum1. Juli 1992 eine entsprechende Empfehlungauszuarbeiten. Dabei sollte erprüfen, inwieweit die Fähigkeiten undKapazitäten der Vereinten Nationenim Rahmen der VN-Charta zur vorbeugendenDiplomatie zur Friedensschaffung(peace-making) und zurFriedenssicherung (peace-keeping)gestärkt und effizienter gestaltet werdenkönnen. Am 17. Juni 1992 legteBoutros Ghali – nach gründlicherRücksprache mit den Vertretern derwichtigsten Staaten und verschiedenengroßen internationalen Organisationen– der Generalversammlung die„Agenda für den Frieden“ vor.Friedenskonsolidierung in derKonfliktfolgezeit (post-conflictpeace-building)Boutros Ghali hat die „Friedenskonsolidierungin der Konfliktfolgezeit“als neuen Begriff in die Agendafor Peace aufgenommen und in denZiffern 55-59 beschrieben. Sie hatsich im Laufe der Zeit als eine erfolgreicheForm der Konfliktpräventionerwiesen (Mittelamerika, Hinterindien,Balkan etc.) und stellt in derRegel eine Zusammenarbeit von militärischerStabilisierung und zivilemWiederaufbau (humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit,Aufbaustaatlicher Einrichtungen wie rechtstaatlichePolizei und ein entsprechendesGerichtswesen, Menschenrechtsarbeitund der Aufbau der Zivilgesellschaft)dar.Forderung nach einem schlüssigenGesamtkonzeptDer „Friedenskonsolidierung inder Konfliktfolgezeit“ muss ein in sichschlüssiges Gesamtkonzept zu Grundeliegen, das den zivilen Mitteln, wierechtstaatlicher Polizeiaufbau, wirksameEntwicklungszusammenarbeitund die Förderung rechtstaatlicherStrukturen mindestens den gleichenNachdruck verleiht wie den militäri-14 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010
SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIKschen Mitteln, was die <strong>Gemeinschaft</strong><strong>Katholischer</strong> <strong>Soldaten</strong> (GKS) in ihrerErklärung zu Friedenseinsätzen deutscher<strong>Soldaten</strong> „Der Friede ist möglich!“bereits 2004 gefordert hat underst mit der Kanzlerrede von AngelaMerkel vom 8.09.2009 zugesagt wurde,einschließlich der schrittweisenÜbergabe der Verantwortung an dieAfghanen (Ownership). Damit wurdeeine entscheidende Wende zu einerzielführenden Sicherheitspolitikeingeleitet.Ergebnisse des Brahimi-ReportsIm Jahr 2000 hat sich eine hochrangigeKommission unter Leitungdes ehemaligen algerischen AußenministersLakhdar Brahimi mit derAuswertung von Friedensmissionenim Rahmen der Agenda for Peace im<strong>Auftrag</strong> des VN-Generalsekretärs beschäftigt.In diesem Brahimi-Reportwurde festgestellt, dass bei einigenVN-Friedensmissionen die Blauhelmtruppenunzureichend mandatiert undausgerüstet waren (z. B. in der VN-Schutzzone Srebrenica oder beim Völkermordin Ruanda). Dieser Berichtgibt also keine Empfehlung, Blauhelmebesser durch Polizisten oder garFriedensfachkräfte zu ersetzen, wiees Teile der Friedenbewegung fordern.Des Weiteren wurde in diesembemerkenswerten Bericht darauf hingewiesen,dass bei einigen VN-Friedensmissionendie Mittel für den zivilenWiederaufbau im Verhältnis zuden Militärausgaben zu schwach unddeshalb diese Missionen nicht nachhaltigwaren.Die deutsche Form der„Provincial ReconstructionTeams“ (PRT)Das deutsche PRT ist keine militärischeEinrichtung, sondern eineressortübergreifende Koordinierungsstelle.Der Leiter/in des PRT ist ein(e) Beamter/in des Auswärtigen Amtes.Der Vertreter des Bundesministeriumsfür wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung (BMZ) und dieMitarbeiter der GTZ koordinieren dieEntwicklungszusammenarbeit nachden Grundsätzen der Entwicklungshilfe.(Offiziere erhalten bislang keineausreichende Ausbildung in der professionellenEntwicklungszusammenarbeit.)Die irreführenden AussagenAUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010von VENRO über das deutsche PRTkönnen nicht mit Ahnungslosigkeitentschuldigt werden. Sie sind scheinbarbewusst so gewählt worden, umder Bundesregierung zu unterstellen,sie militarisiere die Entwicklungshilfein Afghanistan.3. Inkonsequenz der VEN-RO-Funktionäre„Für die Hilfsorganisationen bedeutendie genannten Tendenzen zurzivil-militärischen Zusammenarbeitund zur Unterordnung der Entwicklungshilfeunter politisch-militärischeZielsetzungen eine deutlicheErschwerung und Einschränkung ihrerArbeit. Sie schaden dem Ansehenund der Glaubwürdigkeit der NROals unabhängige und unparteilichehumanitäre Akteure.“ (Pos. PapierS. 6, Abs. 6)Es ist kein Geheimnis, dass sowohldas Auswärtige Amt als auchdas BMZ als Bundesministerienübergeordnete politische Ziele der jeweiligenBundesregierung zum NutzenDeutschlands verfolgen. JedeOrganisation, die um staatliche Hilfenachsucht, weis doch, dass der Geberdamit auch einen politischen Zweckverfolgt, der in der Regel nicht zubeanstanden ist, wie z. B. die Förderungdes Friedens in der Welt, sowie es die Präambel des Grundgesetzesvorsieht. Humanitäre Hilfe ist inbestimmten Fällen ein anerkannterdiplomatischer Türöffner. Es gehörtschon eine ziemliche Chuzpe dazu,sich über die politischen Absichtender jeweiligen Bundesregierung zubeklagen und gleichzeitig erheblicheGeldsummen bei derselben Regierungzu beantragen. Wer wirklichunabhängig sein will, muss auf staatlicheMittel verzichten. Hier sind dieFunktionäre von VENRO inkonsequent,weil sie genau wissen, dassdie deutschen „humanitären Großorganisationenauf dem Markt derBarmherzigkeit“ ohne die jährlichenca. 500 Mio. Euro (AA, BMZ, EU)erheblich schrumpfen würden. Hierliegt auch der wahre Grund für ihrePolemik gegenüber der Bundeswehr.Sie fürchten einen neuen Konkurrentenbeim Kampf um dieselben Geldtöpfe,nur sagen sie das nicht offen,sondern versuchen es ideologisch zubegründen. Hinzu kommt ein verschwommenerfundamentalistischerPazifismus.4. Zweierlei Maß derVENRO-Funktionärebeim Einsatzrisiko„Die Bundeswehr betreibt zudemin fragwürdiger Weise selbst Hilfsprojekte,um die „Herzen und Köpfe“ derafghanischen Zivilbevölkerung für dieinternationalen Interventionen zu gewinnenund den Schutz insbesondereder eigenen <strong>Soldaten</strong> zu erhöhen.“(Pos. Papier S. 6, Abs. 4)Der Verfasser des Beitrags hat beiseinen zahlreichen weltweiten Ergebnisprüfungenbei humanitären Projektendie Erfahrung gemacht, dassdie deutschen großen Hilfsorganisationenin gefährlichen Krisengebietenvermehrt internationale „humanitäreLegionäre“ aus aller HerrenLänder einsetzen und deutschesPersonal schonen. Gelegentlich findetman die deutschen Mitarbeiterin den weniger gefährdeten Hauptstädten.Einige Hilfsorganisationenverlassen sich ganz auf ihre lokalenPartner und verzichten auf eine Kontrollevor Ort, eine ideale Anleitungzur Korruption. Wenn nun die Verfasserdes Papiers sich zuhause über die„Force Protection-Maßnahmen“ dererheblich gefährdeten deutschen <strong>Soldaten</strong>vor Ort beklagen, ist das mehrals beschämend.Worum geht es bei der „ForceProtection“? Der Deutsche Bundestagstellt für seine Parlamentsarmee,die nur im <strong>Auftrag</strong> des DeutschenBundestages in Auslandseinsätzentätig wird, Haushaltsmittel in geringemUmfang zur Verfügung, damit dieBundeswehr kleine humanitäre Projektevor Ort durchführen kann, umdas Wohlwollen der sie unmittelbarumgebenden Zivilbevölkerung zu gewinnen,damit von dieser Seite keinezusätzliche Gefahr für die eingesetztendeutschen <strong>Soldaten</strong> droht. Diese„Quick Impact-Projekte“ haben mitEntwicklungshilfe nichts zu tun. Diesewird ausschließlich durch das BMZinitiiert und koordiniert.5. VENRO wirft dem BMZund der GTZ mangelndeProfessionalität vor„Die Entwicklungszusammenarbeitmuss sich konsequent nach dem15