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Urlaub ohne Grenzen! - Nansen & Piccard

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Andrzej Stasiuk, der Reiseschriftsteller dieser Zeit, ist auf Lesetour durch<br />

Deutschland und hat in Köln Halt gemacht. Der 1960 geborene Pole ist ein Hüne<br />

von einem Dichter. Als er beim Gespräch in einem Restaurant – mit dabei ist<br />

sein deutscher Übersetzer Olaf Kühl, denn Stasiuk spricht nur Polnisch – die<br />

Arme ausbreitet, hat man den Eindruck, seine Spannweite beträgt drei, vier<br />

Meter. Man meint, gleich umfasst er den großen, runden Tisch und stellt ihn<br />

einfach an eine andere Stelle. Solch ein Mann kann Berge versetzen.<br />

Sie haben harte Tage hinter sich, ist zu hören … Ja, Reisen ist<br />

immer schwer für mich. Man verlässt sein Heim, sein übliches<br />

Leben. Ich hasse das Reisen – und liebe es zugleich. Vorhin lag<br />

ich im Hotelbett und dachte: Ich will wieder nach Hause, in mein<br />

schmutziges, stinkendes Zimmer.<br />

Herr Stasiuk, Hand aufs Herz: Wie gefällt Ihnen der Kölner<br />

Dom? Der kann einem ja nur gefallen. Von meinem Hotelzimmer<br />

aus kann man ihn gut sehen.<br />

Sie bereisen vornehmlich verfallene Nester in Südosteuropa und<br />

schreiben über kaum bekannte Orte, an denen nichts passiert,<br />

wo keine Sehenswürdigkeit steht – Gegenwelten im Vergleich<br />

mit Metropolen, wo immer etwas los ist. Hat das Große, Laute,<br />

Spektakuläre wenig poetisches Potenzial? Ja. Auch kann meine<br />

Fantasie nur in kleinen Orten arbeiten. Es interessiert mich nicht,<br />

bekannte Sehenswürdigkeiten zu betrachten, das sind aufgeschriebene<br />

Geschichten. Nein, man fährt nicht in laute, modische Orte<br />

– das hat keinen Zweck. Einmal bin ich in der Toskana gewesen.<br />

Ich habe nicht das Bedürfnis, das noch einmal zu erfahren.<br />

Was machen solche Orte falsch? Das ist einfach nicht mein<br />

Gebiet. Mein Gebiet liegt im Südosten. Ich fahre zum Beispiel<br />

liebend gerne nach Albanien.<br />

Was ist besonders an Albanien? Albanien ist Hardcore: Schönheit,<br />

Kraft, Wildheit – alles in einem. Wenn man nach Albanien<br />

fährt, sieht man, wie Europa früher, vor Jahrhunderten, ausgesehen<br />

hat. Man hat das Gefühl, einen Urzustand zu sehen. Oder<br />

Rumänien – eines der schönsten Länder. Frankreich und Italien<br />

hingegen ziehen mich nicht an. Als ich einmal in Saarbrücken war,<br />

bat ich Freunde, mich nach Frankreich zu bringen. Das eine Mal<br />

war genug. Der Westen hat keine erotische Ausstrahlungskraft.<br />

Länder müssen für mich erotisch sein. Wie Frauen.<br />

Warum ist der Westen nicht erotisch? Er ist es einfach nicht.<br />

Ich kann das nicht defi nieren. Das ist so, als wenn ich Liebe und<br />

Nicht-Liebe erklären müsste.<br />

Wenn ein Dichter das nicht kann – wer dann? Die Länder des<br />

Westens sind langweilig. Im Kommunismus haben wir von diesen<br />

Ländern geträumt. Wir hatten ein starkes Begehren, dort zu sein.<br />

Heute können wir reisen, und damit sind die Träume geplatzt.<br />

Kürzlich war ich in England. Ich dachte, ich sterbe vor Langeweile.<br />

Diese Länder wurden schon so oft bereist, so oft angefasst. Das<br />

gilt auch für Deutschland. Wer fährt freiwillig nach Deutschland,<br />

außer Japanern? (lacht) Ich wollte immer mal ein mentales Experiment<br />

machen und in Deutschland Ferien verbringen, aber es<br />

ist mir noch nicht gelungen. Auf jeden Fall würde es mich nach<br />

Mecklenburg-Vorpommern oder Friesland ziehen.<br />

Weil es Sie dort an Albanien erinnert? Nein, Albanien ist<br />

schöner.<br />

➾<br />

Andrzej Stasiuk, the travel writer of our time, is on a reading tour through<br />

Germany and made a stop-off in Cologne. Born in 1960 in Poland, he is<br />

a giant of a poet. During our conversation in a restaurant—his German<br />

translator Olaf Kühl by his side, since Stasiuk only speaks Polish—he<br />

extended his arms, and gave the impression of a three- or four-meter<br />

wingspan. It’s easy to picture him lifting the large round table and simply<br />

setting it down in another spot. A man like that can move mountains.<br />

You’ve had some rough days, we’ve heard … Yes, traveling is<br />

always hard for me. You leave your home, your regular life. I<br />

hate traveling—and love it at the same time. Earlier I was lying<br />

in my hotel bed thinking: I want to go home, back to my dirty,<br />

stinking room.<br />

Mr. Stasiuk, honestly now: How do you like Cologne Cathedral?<br />

You can’t help but like it. I can see it well from my hotel room.<br />

You prefer traveling to decayed backwaters in southeastern<br />

Europe and write about hardly known places where nothing<br />

happens, that have no attractions—counterworlds compared<br />

to metropolitan cities where there’s always something going<br />

on. Do big, loud, spectacular places have little poetic potential?<br />

Yes. And my imagination only works in small places. I’m not<br />

interested in contemplating known sights. Th ose stories have<br />

been written. No, you don’t go to loud, fashionable places—<br />

that’s pointless. I went to Tuscany once. I don’t feel the need to<br />

experience that again.<br />

Where do such places go wrong? Th at’s just not my region. My<br />

region is in the southeast. I love going to Albania, for example.<br />

What’s special about Albania? Albania is hardcore: beauty,<br />

strength, wilderness—all in one. When you go to Albania, you see<br />

what Europe used to look like centuries ago. You feel like you’re<br />

seeing a pristine condition. Or Romania—one of the most beautiful<br />

countries. France and Italy don’t attract me. When I was in<br />

Saarbrücken once, I asked friends to take me to France. Th at one<br />

time was enough. Th e West has no erotic appeal. For me, countries<br />

have to be erotic. Just like women.<br />

Why isn’t the West erotic? It simply isn’t. I can’t put my fi nger<br />

on it. Th at’s like asking me to explain love and non-love.<br />

If a poet can’t do it—who can? Th e Western countries are boring.<br />

During Communism we dreamed of these countries. We had a<br />

great yearning to be there. Today we can travel, and so the dreams<br />

have shattered. Recently I was in England. I thought I would die<br />

of boredom. Th ese countries have been traveled so often, touched<br />

so often. Th e same is true for Germany. Who voluntarily travels to<br />

interview 75<br />

Germany, except for Japanese tourists? (laughs) I always wanted<br />

to try a mental experiment and vacation in Germany, but I have<br />

yet to succeed. In any case, I feel drawn to Mecklenburg-Western<br />

Pomerania or Friesland.<br />

Because they remind you of Albania? No, Albania is more<br />

beautiful.<br />

Since when have you been traveling consciously? Since 1989, the<br />

fall of the Iron Curtain. Th at’s when I started traveling through<br />

Poland as a hitchhiker. I covered 50,000 miles in a year.<br />

Do you still hitchhike? No, today I pick up hitchhikers. Th at’s<br />

how I pay back my debt. Every time one of them gets in, I ➾

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