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GEJ - Band 2

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Jakob LorberDas große Evangelium JohannesLehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre.<strong>Band</strong> 2Erklärung des biblischen JohannesevangeliumsZeit der Ereignisse des zweiten <strong>Band</strong>es: Im Sommer des Jahres 30.Aufenthalt Jesu und der Seinen in Kis und Nazareth1. — Über die Bestrafung der Verbrecher[<strong>GEJ</strong>.02_001,01] Spät am Abend kommen die Schätze aus der Höhle des Kisjonahan, bestehend in Gold, Silber und in einer schweren Masse geschliffener undungeschliffener Edelsteine von großem Werte; denn es sind bei drei Pfundgeschliffener und bei sieben Pfunde ungeschliffener Diamanten, ebensovielgleich zuständige Rubinen, noch einmal soviel Smaragde, Hyazinthe, Saphire,Topase und Amethyste, und bei vier Pfunde wie starke Erbsen große Perlen. DesGoldes aber waren über zwanzigtausend Pfunde und des Silbers fünfmal soviel.[<strong>GEJ</strong>.02_001,02] Als Faustus diesen horriblen Reichtum in Augenschein nimmt,schlägt er die Hände über dem Haupte zusammen und spricht: „O Herr! Ich habeals der Sohn eines der reichsten Patrizier von ganz Rom doch auch Gelegenheitgehabt, große Schätze dieser Erde zu Gesichte zu bekommen; aber so was hatmein Auge noch nicht geschaut! Das geht über alle Pharaonen und über dieFabel vom Krösus, der sich am Ende vor lauter Reichtum nimmer zu helfenwußte und sich im Ernste einen Palast aus Gold erbaut hätte, wenn sein Siegerihm das zu viele Gold nicht abgenommen hätte.[<strong>GEJ</strong>.02_001,03] Jetzt sage Du, o Herr, dem alle Dinge bekannt sind, mirarmem Sünder, wie möglich diese zwölf Knechte des Satans zu solchen Schätzengekommen sind! Auf eine nur einigermaßen ehrliche Weise kann das dochnimmer möglich sein, und in einer kurzen Zeit auch nicht! – Wie sonach warsolches möglich?“[<strong>GEJ</strong>.02_001,04] Sage Ich: „Freund, kümmere dich nun nicht mehr darum! Eslohnt sich auch wahrlich nicht weiter mehr der Mühe, dieses Satansdrecks


wegen noch mehrere Worte zu verlieren. Daß dabei aber kein ehrlicher Staterweilt, des kannst du vollends versichert sein. Durch was für tausenderlei schändlichsteLumpereien diese Natternbrut, dieses Schlangengezüchte, aber das alleszusammengerafft und -geraubt hat, wäre eine zu weitläufige Sache, so man dasPunkt für Punkt dartun sollte.[<strong>GEJ</strong>.02_001,05] Daß sie Spitzbuben von der allerdurchtriebensten Art sind,darüber wirst du hoffentlich keinen weiteren Zweifel haben; wie sie aber gewisserartnoch mehr als Spitzbuben sind, das braucht kein Mensch mehr zu wissen.Sie haben nach den Gesetzen Roms schon lange den zehnfachen Tod verdient,bloß wegen des Verbrechens der Beraubung der kaiserlichen Steuerkarawane;und dieser Raub, den wir jetzt in den unermeßlichen Schätzen vor uns haben, istum kein Haar besser, wennschon gerade nicht so offen die kaiserlichen Steuergelderbetreffend.[<strong>GEJ</strong>.02_001,06] Wenn du sonach auch alles wüßtest, so kannst du sie dafürdoch unmöglich öfter denn einmal töten. Du kannst wohl die Marter verschärfen,aber wozu? Ist die Marter schärfster Art – um in eurer Gerichtsweise zusprechen –, so ist sie auch alsbald tödlich, und ist sie gelinderer Art, aber dafürandauernder, nun, so verspürt der Sträfling eben nicht viel mehr davon als duvon einer dich belästigenden Fliege; denn die vor dem sicheren Tode ihresLeibes sich über alle Maßen fürchtende, wenn auch noch so materielle Seelezieht sich alsbald zurück in ihre innersten Gemächer und fängt freiwillig an, sichvon ihrem Leibe, in dem kein Bleiben mehr ist, loszulösen, und der Leib wirdbei solchen Gelegenheiten völlig unempfindlich. Du kannst dann solch einenLeib quälen wie du willst, so empfindet er wenig oder auch gar nichts mehrdavon. Versetzest du den Leib der Seele aber augenblicklich in einen großenSchmerz, so wird solches die Seele nicht lange aushalten, sondern sogleicheinen gewaltigen Riß tun, und du kannst dann einen völlig toten Leib sieden undbraten, und er wird nichts mehr fühlen von der Strafe.[<strong>GEJ</strong>.02_001,07] Ich bin deshalb nicht für die Strafe mit dem Tode, weil dieseweder für den Getöteten von irgendeinem Belange ist, und noch weniger irgendeinerGerechtigkeit zum Schild und Nutzen dient; denn einen hast du getötet, –und Tausende haben dir darum Rache geschworen! Aber einen Verbrecher untereine allerschärfste Zuchtrute stellen und diese nicht ruhen lassen, bevor nichteine gänzliche Besserung eingetreten ist, für das bin Ich aus der notwendigengöttlichen Ordnung ganz und gar sehr! Eine rechte Zuchtrute zu rechter Zeitvöllig gerecht angewendet, ist besser als Geld und reinstes Gold; denn durch dieZuchtrute wird die Seele von ihrer Materie mehr und mehr losgestäupt undwendet sich endlich zu ihrem Geiste. Und hat solches die Zuchtrute bewirkt, sohat sie eine Seele vor dem Untergange und sonach den ganzen Menschen vordem ewigen Tode gerettet.[<strong>GEJ</strong>.02_001,08] Darum soll ein jeglicher Richter nach der Ordnung Gottesauch den größten Verbrecher nicht mit dem Tode des Leibes, der zu nichts taugt,sondern allzeit mit der Rute strafen nach dem Maße des Verbrechens. Tut er das,— 2 —


so ist er ein Richter der Menschen zum Himmel, tut er aber das nicht, – einRichter zur Hölle, wofür er von Gott wahrlich ewig nie einen Lohn haben wird;sondern: für das Reich er gerichtet hat die Menschen, von demselbigen Reichesoll er auch den Lohn empfangen! – Nun weißt du genug, und laß nun dieSchätze verwahren! Morgen werden auch die von Chorazin anlangen, und essoll dann sogleich die Verteilung und die Absendung all dieses Teufelsdrecksgeschehen. – Nun aber begeben wir uns in den Speisesaal; denn das Abendmahlharret schon unser! Wahrlich, diese ganze Geschichte ist Mir schon überlästig,und Meine Zeit drängt Mich schon nach Nazareth!“[<strong>GEJ</strong>.02_001,09] Sagt Faustus: „Herr, daß Dir diese scheußliche Geschichteüber alle Maßen zuwider sein muß, sehe ich nur zu gut ein; aber was kann mantun, wenn die Sache sich einmal so gestaltet hat? Übrigens bitte ich Dich, meinHerr und mein größter und bester Freund, daß Du nicht eher von hier ziehestdenn ich; denn ohne Dich vermag ich fürs erste nichts, und fürs zweite würdemich ohne Dich die schrecklichste Langeweile trotz meines liebsten Weibchenshier töten! Darum bitte ich Dich, daß Du nicht eher diesen Ort verlassen wollest,als bis ich mit dieser allerlästigsten Geschichte zu Ende sein werde! Mit DeinerHilfe hoffe ich, morgen bis Mittag mit allem in der Ordnung zu sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_001,10] Sage Ich: „Ganz gut! Aber Ich will von all den Schätzen undden elf Pharisäern nichts mehr sehen; denn es ekelt Mich davor mehr denn voreinem Aase.“[<strong>GEJ</strong>.02_001,11] Sagt Faustus: „Dafür soll gesorgt sein!“2. — Judas Ischariot als Golddieb[<strong>GEJ</strong>.02_002,01] Wir treten nun ins Zimmer, respektive in den Speisesaal, allwoein reichliches Abendmahl unser harret. Wir aber verzehren noch kaum dasMahl, als zwei Knechte den Judas Ischariot in den Saal hereinbringen und demOberrichter melden, daß dieser Jünger, oder was er sonst sei, ein paar PfundeGoldes habe entwenden wollen, sie ihn aber bei der Tat ergriffen, das Gold ihmwieder abgenommen und ihn hierher zur Verantwortung gebracht haben.[<strong>GEJ</strong>.02_002,02] Judas steht hier ganz entsetzlich beschämt da und sagt: „Ichhabe nicht im entferntesten im Sinne gehabt, das Gold mir zueignen zu wollen,sondern habe ein paar Stänglein bloß versucht, ob sie wohl wirklich so schwersind, als man sie angibt; diese Narren aber ergriffen mich sogleich und schlepptenmich als einen gemeinen Dieb herein! – Ich bitte dich, Faustus, darum, daßmir dieser Fleck abgenommen werde!“[<strong>GEJ</strong>.02_002,03] Sagt Faustus (zu den Knechten): „Laßt ihn gehen! Er ist einJünger des Herrn, und ich will seiner darum schonen; (zu Judas:) du aber greifein Zukunft, besonders zur Nachtzeit – außer du werdest ein kaiserlicher Taxator(Abschätzer) – ja keine Goldbarren mehr an, sonst wirst du wegen versuchtenDiebstahls zur unvermeidlichen gesetzlichen Strafe gezogen werden! Hast duden Oberrichter Faustus wohl verstanden?“— 3 —


[<strong>GEJ</strong>.02_002,04] Sagt Judas ganz entsetzlich beschämt: „Herr, es war im vollstenErnste auch nicht die leiseste Spur von einem versuchten Diebstahl, sondernwirklich nur eine – freilich etwas unzeitige – Probe über die Pfundschwere einesGoldbarrens.“[<strong>GEJ</strong>.02_002,05] Sage Ich: „Gehe, und suche dir ein Lager! Denn an diesemÜbel, an dem alle Diebe sterben durch die Hand des Satans, wirst auch du injüngster Zeit sterben; denn du warst, bist und bleibst ein Dieb! Solange dich desGesetzes Schärfe schreckt, bleibst du wohl, der offenen Tat nach, kein Diebnoch; aber in deinem Herzen bist du es lange schon! Nehme Ich heute alleGesetze weg, so wirst du als erster deine Hände an die Schätze draußen legen;denn deinem Herzen sind alle Rechts- und Billigkeitsgesetze fremd. Schade fürdeinen Kopf, daß unter ihm kein besseres Herz schlägt! – Gehe nun schlafen,und werde morgen nüchterner denn heute!“[<strong>GEJ</strong>.02_002,06] Mit diesem Verweise geht Judas groß beschämt aus demSpeisesaale in sein Schlafgemach und legt sich nieder, denkt aber bei zweiStunden nach, wie er dem entgehen könnte, was Ich ihm geweissagt habe; aberer findet in seinem Herzen keinen Ausweg, da dieses gleichfort seine golddurstigeStimme von neuem erhebt, und schläft also ein. – Wir aber begeben unsauch zur Ruhe, da uns zwei vorhergehende Nächte sehr in Anspruch genommenhaben. Der Morgen aber ließ nicht lange auf sich warten.[<strong>GEJ</strong>.02_002,07] Als sich Faustus noch einmal umwenden wollte, um noch einMorgenschläfchen zu machen, da kommen auch die Schätzeführer von Chorazinan, wecken ihn, und er muß von Amts wegen hinaus, die Schätze besichtigen,sie taxieren und in Empfang nehmen. Als er mit dieser Arbeit fertig ist, sindauch wir alle auf den Füßen, und das Morgenmahl, bestehend in frischen,wohlzubereiteten Fischen, ist auch schon auf den vielen Tischen im großenSpeisesaale. Faustus kommt schon nahe ganz arbeitsmüde in den Speisesaal amArme seiner jungen Gattin und setzt sich zu Mir hin.[<strong>GEJ</strong>.02_002,08] Nach dem genossenen Morgenmahle erst, bei dem ein guterWein nicht gemangelt hatte, erzählt Mir Faustus, daß sein Morgengeschäft, dasihm sonst bei allem Fleiße eine Arbeit von ein paar Wochen gemacht hätte, nunbereits beendet und alles an den Ort seiner Bestimmung abgegangen sei. Esseien alle Dokumente in aller Ordnung schon fertig auf dem Tische in dergroßen Amtsstube und die gerichtlichen Geleitbriefe in der besten Ordnung. DerSchatz aus Kisjonahs Höhle sei richtig verteilt und mit Bestimmungsdokumentenbestens versehen, desgleichen auch die Steuergelder nebst dem großenTempelschatz aus Chorazin, und so sei nun alles expediert; nur finde sich in dergroßen Amtsstube noch ein bedeutendes Zimmermannszeug vorrätig, zu demsich noch kein Eigentümer vorgefunden habe.[<strong>GEJ</strong>.02_002,09] Sage Ich: „Dort unten am Ende des Tisches, neben der MutterMaria sitzend, sind zwei Söhne des Josef, namens Joses und Joel; diesen beidengehört es! Es ist ihnen als Pfand genommen worden mit der kleinen Behausungin Nazareth, und soll ihnen auch wieder zurückgestellt werden!“— 4 —


[<strong>GEJ</strong>.02_002,10] Sagt Faustus: „Herr, samt der Behausung! Dafür stehe ich! OHerr und Freund! Was haben diese Schwarzen mir schon alles für Verdrießlichkeitenbereitet; das dumme Gesetz aber hielt ihnen die Stange, und man konnteihnen mit dem besten Willen nirgends hinters Genick kommen. Vor meinenAugen begingen sie die gräßlichsten Ungerechtigkeiten, und man konnte ihnenbei aller Macht, die einem zu Gebote steht, nichts machen; aber hier hat sie dennder Satan doch einmal sitzen lassen, und ich habe nun ein Heft in meinenHänden, vor dem diese Kerle beben sollen wie ein lockeres Laubblättchen imdie Wälder durchsausenden Sturm! Der Bericht an den Oberstatthalter Cyreniusist ein Meisterstück, den er vidimiert (beglaubigt) samt den Steuern augenblicklichnach Rom wird abgehen lassen. Von Tyrus, Sidon und Cäsarea ist dasKaiserschiff mit vierundzwanzig Rudern und bei gutem Wind sogar mit einemstarken Segel und Steuerruder versehen in zwölf Tagen an der römischen Küsteund so gut als in des Kaisers Händen! Freuet euch in noch einmal zwölf Tagendarauf, ihr Schwarzen! Eurem Hochmute sollen ganz sonderbare Schrankengesetzt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_002,11] Sage Ich: „Freund! – Ich sage dir: Juble nur nicht zu früh!Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus! Es wird den elfen innerhalbder Mauern durchaus nicht wünschenswert ergehen! Sie werden zwar nichtgetötet, aber dafür lebenslang in die ewige Bußkammer gesperrt werden! Aberin der öffentlichen Entschuldigung gen Rom werden sie wie Wolle weißgewaschen werden, und man wird dann erst von dir die weiteren Berichteverlangen, und du wirst eine große Not haben, allen Fragen aus Rom zugenügen. Es wird dir zwar wohl kein Haar gekrümmt werden; aber einer gewissenNot wirst du kaum entgehen, wenn du nicht mit den gehörigen Zeugen undandern Wahrzeichen zurechtkommst. Ich überlasse dir darum den Pilah; derwird dir in allem gute Dienste leisten. Stecke ihn aber nur geschwinde in dieTracht der Römer, daß er von den in Kapernaum stationierten Kollegen nichterkannt wird! Denn Ich kann dir sagen: Satan hat sein Regiment bei weitemnicht so verschmitzt eingerichtet wie diese Schlangenbrut. Darum sei denn auchdu nebst deiner taubenartigen Sanftmut schlau wie eine Schlange, sonst kommstdu mit diesem Geschlechte nicht zurecht!“[<strong>GEJ</strong>.02_002,12] Sagt Faustus: „Ewig Dank Dir für diesen Rat! Doch jetztsollten wir, da dies Geschäft so gut als möglich abgelaufen ist, denn doch etwasmehr Erheiterndes unternehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_002,13] Sage Ich: „Ganz wohl! Ich bin schon dabei; nur warten wirnoch auf den Kisjonah, der mit seinen Kassen bald in der Ordnung sein wird!“3. — Die rechte Anwendung der Wunder- und Heilkraft[<strong>GEJ</strong>.02_003,01] Nach einer kurzen Weile kommt Kisjonah, grüßt uns alle aufdas zarteste und liebfreundlichste und sagt darauf: „Mein endlos geliebtesterFreund Jesus! – Also nenne ich Dich aber nur äußerlich; denn Du weißt, wasund wer Du mir im Herzen bist. – Dir allein habe ich alles das zu danken! Nur— 5 —


eine kleine Summe von fünftausend Pfunden im ganzen habe ich bereitwilligstgestrichen aus dem Schuldbuche der armen Bürger Kanas, und Du hast mirdafür fünfzigtausend Pfunde ohne den unschätzbaren Wert der andern Schätze,die vielleicht noch einmal soviel wert sind, zukommen lassen! Ich gelobe Diraber auch bei all meiner unermeßlichen Liebe zu Dir, daß ich all dieses zumBesten der Armen und Bedrückten verwenden werde, und es soll also aus demTeufelsunflate am Ende doch noch Gold für die Himmel Gottes werden![<strong>GEJ</strong>.02_003,02] Ich werde zwar das Gold und Silber den Menschen nicht in dieHand geben, denn da ist es wahrlich ein Gift für die schwachen irdischen Herzender Menschen; aber ich werde den Dach- und Besitzlosen Dach und Besitzverschaffen mit steuerfreien Gründen und werde ihnen geben Vieh und Brot undKleidung. Jedem aber, den ich beglücken werde, wird Dein Wort gepredigt undihm Dein Name kundgemacht, auf daß er lebendig wisse, wem er alles zudanken habe, und daß ich nichts als nur ein schlechter und träger Diener bin! –Du, o Herr, aber stärke mich allzeit, so ich dienen werde in Deinem Namen!Sollte es mich aber je gelüsten, nur einen Sinn der Welt zuzuwenden, dann laßschwach werden alle meine Kräfte, auf daß ich gewahr werde, daß ich einschwacher Mensch bin und aus meiner Kraft nichts zu vollbringen imstandebin!“[<strong>GEJ</strong>.02_003,03] Ich aber lege darauf Meine Hand auf sein Herz und sage zuihm: „Freund und Bruder! Da innen behalte Mich, und es wird dir nie an Kraftzur Ausführung edler Werke mangeln! Ja, im lebendigen Glauben und in vollerund reiner Liebe zu Mir und im Sinne, Gutes zu erweisen den Menschen inMeinem Namen, wirst du den Elementen gebieten, und sie werden dir gehorchen!Den Winden wird nicht unverständlich sein dein Ruf, und das Meer wirderkennen deinen Sinn. Und zu dem einen oder dem andern Berge wirst du sagenkönnen: ,Hebe dich und stürze dich ins Meer!‘, und es wird geschehen, wie dues geboten hast.[<strong>GEJ</strong>.02_003,04] So aber jemand des Glaubens wegen Zeichen verlangt von dir,so laß es nicht geschehen, daß dem Verlanger ein Zeichen werde; denn wer dieWahrheit der Wahrheit wegen nicht erkennen will, und diese ihm nicht einhinreichendes Zeichen ist, für den ist es besser, daß er bleibt in seiner Blindheit;denn wird er durch ein Zeichen zur Annahme der Wahrheit gezwungen und tutaber dann doch nicht nach der Lehre, so ist das Zeichen ein doppeltes Gerichtfür ihn. Fürs erste ist er durch das Zeichen gezwungen, die Wahrheit alsWahrheit anzunehmen – ob er sie in seiner Blindheit als solche erkennt odernicht erkennt –, und fürs zweite muß er offenbar in ein tieferes Strafgericht insich selbst zufolge der göttlichen Ordnung verfallen, wenn er nach der durch dasZeichen ihm aufgedrungenen Wahrheit nicht handelt, gleichviel ob er dieWahrheit als Wahrheit völlig erkennt oder nicht; denn das Gelingen desZeichens hat ihm den bindenden Beweis geliefert. Und das ist schon genug; dieEinsicht oder Nichteinsicht rechtfertigt da niemanden.[<strong>GEJ</strong>.02_003,05] Denn so jemand zur Bestätigung der vernommenen Wahrheit— 6 —


ein Zeichen begehrt und sagt: ,Ich sehe zwar den Grund der Wahrheit aus deinerRede nicht ein, wenn mir aber nach der Diktion, durch die mir solche und solcheLehre unterbreitet ist, ein Zeichen als tatsächlicher Beweis geliefert wird, so willich solche Lehre als volle Wahrheit annehmen!‘ Nun, es wird dann dem Verlangerdas Zeichen gegeben, und er kann nun nicht umhin, die Wahrheit der Lehreanzunehmen, ob er sie als solche bis auf den Grund erkennt oder nicht; denn nunsteht das Zeichen als ein unbestreitbarer Bürge da.[<strong>GEJ</strong>.02_003,06] Weil es aber seiner Blindheit nicht möglich ist, auf den Grundder Wahrheit zu kommen, und er nach seinen Begriffen durch die Befolgung derWahrheitslehre in zu bedeutende, nie gewohnte Lebensunbequemlichkeitengelangen könnte, so denkt er dann bei sich: ,Es mag wohl was daran sein, dennsonst wäre das Zeichen nicht möglich gewesen; aber ich sehe den Grunddennoch nicht ein, und tue ich danach, so kostet mich das eine entsetzlicheSelbstverleugnung. Darum tue ich es lieber nicht und bleibe bei meinerangewohnten Lebensweise, die zwar ohne außerordentliche Zeichen dasteht,aber dessenungeachtet ganz wohl schmeckt!‘[<strong>GEJ</strong>.02_003,07] Sieh, eben darin aber liegt dann auch schon das Strafgericht,das der Zeichenverlanger sich selbst bereitet hat durch das auf sein Verlangengeleistete Zeichen, das ihm den unumstößlichen Beweis geliefert hat, gegen dener keinen Gegenbeweis aufstellen kann; er aber in seiner verkehrten Lebensweisedann doch als ein Bekämpfer der ewigen Wahrheit auftritt und sie tatsächlichweidlichst verwirft, obschon er das unvertilgbare Zeichen, das ihm zurSteuer der Wahrheit geleistet ward, ewig nie als den Erfolg auf die ihm geoffenbarteWahrheit als nie bestanden seiend aus dem Wege schaffen kann. Darum istes sonach ums unvergleichbare besser, nie ein Zeichen zur Steuer der Wahrheitzu leisten![<strong>GEJ</strong>.02_003,08] Aber zum Nutzen und sonstigen Frommen der Menschen ohneirgendeine Aufforderung magst du im stillen Zeichen wirken, soviel du willst,und es wird das niemandem zur Sünde und noch weniger zu einem Gerichtegereichen. Hast du aber Zeichen zum Frommen der Menschen zum vorausgeleistet, so magst du hintendrein den betreffenden Menschen wohl auch eineLehre geben, so sie ein Verlangen danach tragen; tragen sie aber kein Verlangen,so gib ihnen bloß eine ernste Vermahnung vor der Sünde. Aber in eineweitere Belehrung laß dich nicht ein; denn da sehen dich die, denen geholfenward, als einen magischen Arzt an, und das Zeichen hat für sie kein weiteresZwangsgericht.[<strong>GEJ</strong>.02_003,09] Alle aber, denen die Macht gegeben ward, im Notfalle Zeichenzu wirken, sollen diesen Meinen Rat treu befolgen, so sie wahrhaft Gutes wirkenwollen.[<strong>GEJ</strong>.02_003,10] Vor allem aber hüte sich ein jeder, in einer Art Aufwallungund Ärger ein Zeichen zu wirken! Denn ein jedes Zeichen kann und soll nur aufGrund der reinsten und wahrsten Liebe und Sanftmut gewirkt werden; wird esaber im Zorn und Ärger gewirkt, was wohl auch möglich ist, dann hat schon die— 7 —


Hölle ihren Anteil dabei, und ein solches Zeichen bringt dann nicht nur keinenSegen, sondern einen Fluch.[<strong>GEJ</strong>.02_003,11] So Ich euch allen aber schon zu mehreren Malen die Lehregegeben habe, daß ihr sogar die noch segnen sollet, die euch fluchen würden,um wieviel weniger soll von euch den Blinden im Geiste ein Fluch bereitetwerden, die euch mit keinem Fluche entgegenkommen, sondern mit eitler Blindheitihres Herzens nur![<strong>GEJ</strong>.02_003,12] Bedenket also solches wohl und handelt auch also, so werdetihr allenthalben Segen verbreiten, wennschon nicht durchgängig geistig, so dochleiblich, wie auch Ich Selbst es getan habe und noch allzeit tue; denn oft wirketeine pur leibliche Wohltat bei einem Elenden mehr auf sein Herz und seinenGeist als hundert der besten Tugendlehren, und es ist daher auch ordnungsgemäß,bei der Ausbreitung des Evangeliums durch leibliche Wohltaten den Wegins Herz der Elenden zu bahnen und dann erst den gesunden Gemütern dasEvangelium zu predigen, als die Predigt vorangehen zu lassen und hinterher dieelenden Anhörer durch ein Zeichen in ein offenbarstes Gericht, also – in einnoch größeres Elend zu stürzen, als da war ihr erstes, pur den Leib betreffend.[<strong>GEJ</strong>.02_003,13] Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so lege ihm vor derPredigt die Hände auf, daß es mit ihm besser werde; so er dich dann fragt undsagt: „Freund, wie war dir solches möglich?“, so erst sage: „Durch den lebendigenGlauben an den Namen Dessen, der von Gott gesandt ward vom Himmelzur wahrhaften Beseligung aller Menschen!“ – Wird er dich dann weiter um denNamen fragen, so gib ihm dann auf Grund der Fähigkeit seiner Fassungskraft soviel einleitender Belehrung, daß er die Möglichkeit solch einer Erscheinungeinzusehen beginnt.[<strong>GEJ</strong>.02_003,14] Ist er soweit gekommen, dann gib ihm im gerechten Maßestets mehr und mehr kund. Findest du nach solchen Gesprächen, daß das Herzdes Hörers stets reger und reger wird, so sage ihm endlich alles, und er wird essicher annehmen und wird glauben jedem deiner Worte. Wenn du ihm aber aufeinmal zu viel gibst, so wird es ihn erdrücken und verwirren seine Sinne, und duwirst dann mit ihm ein schweres Stück Arbeit haben.[<strong>GEJ</strong>.02_003,15] Wie man aber den neugeborenen Kindern nicht sogleich gibteines reifen Mannes Kost, die sie töten würde, also darf man um so wenigergleich anfänglich dem Geistkinde eine geistig männliche, sondern nur einesolchen Kindlein höchst angemessene geistige Kost geben, sonst werden siegetötet, und es ist dann überaus schwer, sie wieder zu beleben im Geiste. – Habtihr alle solches nun wohl begriffen und verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_003,16] Sagen alle mit gerührtem Herzen: „Ja, Herr, solches ist unsnun so klar wie die Sonne am hellsten Mittage, und wir werden es getreuestbeachten!“[<strong>GEJ</strong>.02_003,17] Sage Ich: „Gut, so gehen wir nun zu der Höhle hin, in der diePharisäer ihre Schätze verborgen hatten; denn es ist in der Höhle noch eine— 8 —


Höhle, und wir wollen sie durchsuchen. Nehmt aber Fackeln mit in rechterMenge und desgleichen Wein und Brot; wir werden dort Wesen antreffen, diesehr hungrig sein werden.“4. — Besuch und Beschreibung einer Tropfsteinhöhle[<strong>GEJ</strong>.02_004,01] nun läßt Kisjonah alles hervorholen. Baram, der sich von unsnoch immer nicht trennen konnte, läßt auch seine noch erübrigten Wein- undBrotvorräte holen von seinen Leuten. Jairuth und Jonael, die sich von Mir auchnicht trennen können, bitten Mich auch, ob sie diese Expedition mitmachendürfen.[<strong>GEJ</strong>.02_004,02] Und Ich sage: „Allerdings; denn ihr seid sogar notwendigdabei, und Archiel wird uns gute Dienste leisten eigener Art! – Ich sage euchaber noch etwas, und das ist: Es verläßt soeben eine Deputation von eurenErzfeinden Sichar und begibt sich hierher, um euch zur baldigsten Rückkehr zubewegen; denn das Volk hat sich wider sie erhoben und hat vorgestern schonden neu eingesetzten Priester vertrieben. Dieser wird auch bei der Deputationsein. Sie werden noch heute abend hier eintreffen, allwann wir sie ein wenigbearbeiten werden. Jetzt aber machen wir uns auf den Weg!“ – Es wollten aberauch die Weiber und Mägde bei dieser Expedition zugegen sein und fragtenMich darum.[<strong>GEJ</strong>.02_004,03] Ich aber sagte zu ihnen: „Meine lieben Töchter! Das ist keinGang für euch; darum bleibet ihr nur fein zu Hause und sorget, daß wir amAbend ein Mahl im gerechten Maße antreffen!“ – Die Weiber gaben sich zufrieden,auch die Maria, und sorgten fürs Haus. Die Lydia aber wäre zwar sehrgerne mit uns gewandelt; aber da sie sah, daß es Mein Wille nicht war, so bliebauch sie daheim und tat, was die andern taten.[<strong>GEJ</strong>.02_004,04] Wir aber begaben uns auf den Weg, erreichten in ein paarStunden die Grotte oder Höhle und betraten sie mit angezündeten Fackelnsogleich. Da staunte Kisjonah über die große Räumlichkeit und über die äußerstinteressante Tropfsteinformation, die in dieser Höhle wohl die sehenswürdigstevon ganz Vorderasien ist, das eine große Menge solcher Höhlen zählt. GigantischeGestalten aller Art traten da den schüchternen Beschauern entgegen.[<strong>GEJ</strong>.02_004,05] Faustus selbst, dem es sonst am römischen Heldenmute nichtgebrach, ward hier ganz kleinlaut und sagte: „Man könnte hier unwillkürlich zuder Meinung geführt werden, daß unterirdisch dennoch eine Art Götter hausenmüssen, die durch ihre ungeheure Kraft solche Riesenwerke zustande bringen.Es sind da Abbilder von Menschen, Tieren und Bäumen; aber in welcher Größe!Was wären da die Riesentempel und Statuen Roms dagegen?! – Da, – dieserganz gut geformte Araber! Wahrlich, so man ihn bis auf sein Haupt besteigenmöchte und könnte, eine volle Stunde hätte man auf Stufen aufwärts zu steigen.Er hat dazu noch eine sitzende Stellung, und es schwindelt mir hinaufzuschauenzu seinem Haupte! Ah, das ist wirklich im vollsten Ernste über alle Maßen— 9 —


sehens- und denkwürdig! Der Zufall kann das doch unmöglich bewirkt haben!?– Da ist wieder eine Gruppe von Kriegern mit Schwert und Lanze! Dort aus demtieferen Hintergrunde grinst uns ein allerriesigster Elefant an; die Zeichnung läßtnichts zu wünschen übrig! – Herr, Herr! Wie, wie ist doch dies alles so wunderbarentstanden?!“[<strong>GEJ</strong>.02_004,06] Sage Ich: „Freund, betrachte nun alles, was sich deinenBlicken vorstellen wird, und frage nicht viel; die ganz natürliche Erklärung wirdnachfolgen. Es wird hier noch so manches vorkommen, das dich noch in ein beiweitem größeres Staunen versetzen wird; aber auch da frage nicht! Wenn wiraus der Grotte wieder im Freien sein werden, werde Ich euch allen alle dieseDinge klarmachen.“[<strong>GEJ</strong>.02_004,07] Wir gehen nun weiter und gelangen in eine übergroße undhohe Halle, die aber nicht finster, sondern ganz erträglich beleuchtet ist; denn indieser Halle gibt es mehrere Erdölquellen, die schon vor gar vielen Jahren vonMenschen, denen diese Grotte zur Wohnung diente, angezündet worden warenund seit der Zeit in einem fort lichterloh mit unterschiedlich mächtigenFlammen brannten und diese große Halle teilweise erleuchteten, während indiese Halle auch von einem Punkte der hohen Kuppe durch eine ziemlich weiteAusmündung ins Freie ein ziemlich starkes Tageslicht fiel, – und es war somitdiese Grotte, wie gesagt, ganz erträglich beleuchtet.[<strong>GEJ</strong>.02_004,08] Der Boden dieser Grotte oder Grottenhalle aber ließ allerleiGestalten sehen. Da lagen Schlangen, riesige Kröten und allerlei andere zumTeil gut und zum Teil schlecht und nur halb gebildete Tierbildungen aller Art,sowie auch eine große Masse von kleinen und riesig großen Kristallbildungen inallen Farben, was einen ungemein überraschend schönen Anblick gewährte.[<strong>GEJ</strong>.02_004,09] Da sagte Faustus: „Herr, da gäbe es des kaiserlichenSchmuckes in einer Fülle, wie von einer ähnlichen wahrlich nie einem Kaiseretwas geträumt hat! Das aber wird etwa doch wohl eine Art Tartarus sein, wieihn der Griechen Mythe beschreibt!? Es geht nur noch der Styx, der alte Charon,die drei bekannten unerbittlichen Seelenrichter Minos, Äakus und Rhadamanthys,endlich der dreiköpfige Hund Zerberus, darauf einige Furien und am Endegar noch Pluto mit der schönen Proserpina ab, und der Qualentartarus wärefertig! Diese vielen Brände aus dem Boden und aus den Wänden, die tausenderleischeußlichsten Tiergestalten am Boden – wennschon tot und versteinert –und noch eine Menge tartarusartiges Zeug mehr bekunden nur zu laut, daß wirnun entweder schon im Tartarus selbst oder doch wenigstens auf dem bestenWege dazu sind; oder, was mich nun am wahrscheinlichsten dünkt: diese oderirgendeine andere dieser ähnlichen Grotte ist der sichere Grund zur griechischenTartarusmythe!“[<strong>GEJ</strong>.02_004,10] Sage Ich: „Das letzte hat viel Wahres an sich, wennschon nichtdurchgängig alles; denn die stets am meisten pfiffige Priesterschaft aller Völkerhat es zu allen Zeiten und allenthalben stets am besten verstanden, derlei Naturbeständezu ihrem eigenen Vorteile auszubeuten und bestens zu benutzen.— 10 —


Dergleichen benutzte sie auch in Griechenland und in Rom und gab dazu dannnoch ihrer argen Phantasie den freiesten Spielraum, wodurch dann natürlichVölker und Völker breit- und blindgeschlagen worden sind bis auf diese Zeitund noch fortan bis ans Ende der Welt breit- und blindgeschlagen werden – baldmehr, bald weniger.[<strong>GEJ</strong>.02_004,11] Solange die Erde in ihrem notwendigen, sehr verschiedenartigenGefüge irgend beschauliche Gestaltungen aufzuweisen haben wird, so langewerden auch ihre Menschen, die aus verschiedenen Ursachen blind und lichtscheusind im Geiste, in ihrer Verstandesphantasie allerlei Zerrbilder formenund ihnen außerordentliche, göttliche Kräfte und Wirkungen beilegen, weil sieals Blinde den wahren Grund nicht ersehen mögen.[<strong>GEJ</strong>.02_004,12] Da siehe aber nun auch deinen Styx, den Schiffer Charon undüber dem bei zwölf Klafter breiten und allenfalls eine Elle tiefen Flusse drüben,der eigentlich nur eine Art Teich ist und an der seichten Stelle sehr leicht durchwatetwerden kann, erblickst du im matten Scheine auch deine drei Richter,einige Furien, den Zerberus und den Pluto mit der Proserpina, – Figuren, diesich nur in einer gewissen Entfernung also ausnehmen, in der Nähe und instärkerem Lichte aber allem andern eher gleichsehen als dem, was die menschlichePhantasie aus ihnen gemacht hat. – Aber nun gehen wir, ohne dem Charondas Naulum (Fährgeld) zu bieten, zu Fuß über den Styx, und wir werden jenseitsein wenig den Tartarus in Augenschein nehmen.“[<strong>GEJ</strong>.02_004,13] Wir waten an einer sehr seichten Stelle über den sogenanntenStyx und dringen durch eine ziemlich enge Spalte in den Tartarus, der durchunsere Fackeln beleuchtet nur zu bald einen, noch von allen Pharisäern nichtverratenen, großen Schatz vorzuweisen beginnt, und es kommt also durch Michalles, was noch so verborgen war, ans Tageslicht.5. — Geschichte der gefundenen Schätze[<strong>GEJ</strong>.02_005,01] Faustus schlägt die Hände über dem Haupte zusammen undruft sogleich den Pilah zu sich, zu ihm sagend: „Hast du keine Kenntnis gehabt,weil du mir davon nichts verraten hast? – Rede, – sonst sieht es übel mit diraus!“[<strong>GEJ</strong>.02_005,02] Sagt Pilah: „Herr! Davon hatte ich keine Kenntnis und bin indiese Höhle noch nie so weit gedrungen wie jetzt! Die Alten werden wohl davongewußt haben; aber sie verschwiegen solches alles, damit ihnen am Ende auswas immer für einem Gefängnisse ein Lösegeld übrigbleibe. Nimm aber alles inEmpfang; es ist gottlob von nun an dein!“[<strong>GEJ</strong>.02_005,03] Faustus fragt auch Mich, ob Pilah die Wahrheit gesprochenhabe, und Ich bestätige solche Aussage des Pilah und sage zum Faustus:„Freund, so jemand die Tochter eines angesehenen Hauses zum Weibe nahm, sohat er mit Fug und Recht eine Mitgift zu erwarten. Du hast nun viel zu tungehabt, und es ist dafür bei der Verteilung der früheren Güter kein Teil auf dich— 11 —


gefallen, – und so nimm du diesen ganzen Schatz in deinen rechtmäßigenBesitz; er ist irdischer Schätzung zufolge tausend mal tausend Pfunde wert.[<strong>GEJ</strong>.02_005,04] Den größten Wert aber machen die großen Perlen aus, vondenen jede die Größe eines Hühnereies hat. Eine ganze eherne Kiste, bei tausendDrachmen maßhältig, ist voll von den großen Perlen, von denen jede eigentlicheinen unschätzbaren Wert hat. Solche Perlen kommen jetzt auf der ganzen Erdeals neugebildet nicht mehr vor, da derlei Schaltiere nebst vielen anderen Urwelttierennicht mehr bestehen. Diese Perlen aber wurden auch nicht aus dem Meeregefischt, sondern der König Ninias, auch Ninus genannt, fand sie in der Erde, alser die Stadt Ninive bauen ließ, bei Grabungen des Grundes. Durch die mannigfachenSchicksale kamen sie zum Teil schon zu Davids, zum größten Teile aber zuSalomos Zeiten nach Jerusalem; in diese Höhle aber kamen sie, als die Römerals Eroberer Palästina, eigentlich aber nahezu das halbe Asien, in Besitznahmen.[<strong>GEJ</strong>.02_005,05] Die Hohenpriester, denen die Höhle schon gar lange herbekannt war, haben, als sie von dem Einfalle der Römer Nachricht erhielten,sogleich alle die größten und beweglichen Schätze des Tempels zusammengerafftund sie glücklich in die Höhle gebracht. Die goldenen Löwen, die denThron Salomos trugen und zum Teil dessen Stufen bewachten, sind zur Zeit derZerstörung Jerusalems durch die Babylonier in den Schutt gekommen, aber beider nachherigen Wiedererbauung wiedergefunden und von den Priestern für denTempel in Empfang genommen worden. Diese befinden sich auch zum größerenTeile hier; denn man brachte alles Wertvollste, das man in der Eile zusammenraffenkonnte, zur Einfallszeit der Römer hierher, so wie zur Einfallszeit derdamals mächtigen Babylonier auch eine bedeutende Masse Tempelschätze in diebekannte Höhle bei Chorazin gebracht worden ist, obgleich hernach die Babylonierim Tempel dennoch genug noch, namentlich die dem Tempeldienste fürimmer geweihten Gefäße und Schätze, zum Mitnehmen fanden und sie nachBabylon brachten. Beordere nun deine Leute, daß sie alles das aus der Höhleschaffen; nachher soll Archiel dieser Grotte Eingang so verrammen, daß fürdernimmer ein Mensch sie betreten solle.“[<strong>GEJ</strong>.02_005,06] Faustus gebietet nun sogleich den Dienern, all diese Schätzehinauszuschaffen; als sie diese aber zu heben anfangen, so haben sie nicht Kraftgenug, die vielen und schweren ehernen Kisten zu heben. Sie bitten Mich aber,daß Ich ihnen die erforderliche Kraft verleihen möchte![<strong>GEJ</strong>.02_005,07] Ich aber berufe den Archiel und sage: „So schaffe du all diesenUnflat hinaus, und zwar sogleich nach Kis ins große Magazin!“ – Im Augenblickverschwanden all die vielen schweren Kisten, und Archiel war aber auchim Augenblick wieder da, so daß niemand merken konnte, wann denn Archielabwesend war.[<strong>GEJ</strong>.02_005,08] Sagt darauf Faustus: „Das geht noch in das Allerfabelhafteste!Meine Diener hätten damit wohl drei Tage zu tun gehabt – das aber war einunmerklicher Augenblick, und es ist von all den vielen Kisten aber auch nicht— 12 —


eine mehr zu entdecken! Da frage ich auch gar nicht mehr um die Möglichkeitsolch einer Tat; denn dazu gehört ein göttlicher Sinn, um solche Erscheinungenzu begreifen und nach Recht zu schätzen!“[<strong>GEJ</strong>.02_005,09] Sage Ich: „Ja, ja, du hast recht! Es wäre auch für denMenschen vorderhand gar nicht gut, so er alles so bald verstände, was sich ihmals Erscheinung beschaulich darstellt. Denn es steht geschrieben: ,Wenn du vomBaume der Erkenntnis essen wirst, wirst du auch sterben!‘ Es ist daher auchbesser, jede Wundertat als das zu nehmen, was sie der Erscheinlichkeit nach ist,und sich dabei lebendig zu denken, daß bei Gott kein Ding unmöglich ist, als sieaus dem Wirkungsgrunde erklären zu wollen, wo man nach der Erklärungebensowenig begreift als vor derselben.[<strong>GEJ</strong>.02_005,10] Genug, daß du siehst, daß die Erde da ist, tauglich zu tragenund zu ernähren die Menschen! Würdest du den Grund wissen, wie sie gemachtwurde, so verlöre sie für dich den Reiz, und du würdest an ihr kein Wohlgefallenhaben, wohl aber eine Gier, irgendeine andere Erde auf den Grund zu erforschen.Und würdest du bei derselben den gleichen Entstehungs- und Bestandesgrundersehen und desgleichen auch bei einer dritten, vierten und fünften, sowürde dich dann weiter auch gar nicht mehr gelüsten, noch eine sechste undsiebente zu erforschen; und also würdest du dann träge, lustlos, lebensverächtlichund ärgerlich das Leben zu verwünschen anfangen und verfluchen dieStunde, die dich mit solcher Erkenntnis zu bereichern begann, – und ein solcherZustand wäre dann ein barster Tod für deine Seele![<strong>GEJ</strong>.02_005,11] Da aber nach der göttlichen Ordnung alles so eingerichtet ist,daß sowohl der Mensch wie auch jeder Engelsgeist alles nur nach und nach, undselbst da nur bis zu einem gewissen Grade, von der göttlichen Natur in sich wiein all den geschaffenen Dingen, einsehen kann, so bleibt ihm die stetswachsende Lebenslust und die Liebe zu Gott und zum Nächsten, durch die alleiner ewig selig werden kann und wird. – Fassest du solche Wahrheit?“[<strong>GEJ</strong>.02_005,12] Sagt Faustus: „Ja, Herr und Freund, ich fasse es genau! Und sowill ich Dich nicht mehr fragen um den Entstehungsgrund der Gebilde in dieserGrotte.“6. — Entstehung und Einsturz der Tropfsteinhöhle[<strong>GEJ</strong>.02_006,01] Sage Ich: „Daran liegt auch wirklich nicht viel. Ob du es weißtoder auch nicht weißt, wird dich nicht lebensärmer oder lebensreicher machen.Aber das kannst du dennoch wissen, daß daran nie eine Menschenhand etwas zutun gehabt hat, sondern die Natur der Elemente allein bildete solches wie zufällig.Die Berge saugen stets eine auflösende Feuchtigkeit aus der Luft; dazukommt der öftere Regen, der Schnee und die Nebel, die gar oft die oberstenKuppen der Berge einhüllen. Alle die auf den Bergen abgelagerten Feuchtigkeitensickern zum großen Teile durch Erd und Stein der Berge, und wo sie übereinen inneren hohlen Raum gelangen, sammeln sie sich in Tropfen, die nahe zur— 13 —


Hälfte aus aufgelöstem Kalk bestehen. Solche Tropfen fallen herab. Ihr reinesWasser sickert dann entweder noch tiefer, oder es verdunstet in solch einemRaume. Aber die schleimige Kalkmasse wird fester und fester, und es bildensich durch die stete Vermehrung endlich allerlei Formen, die bald dem einen,bald dem andern Gebilde auf der Erde – bald mehr, bald weniger – ähnlichsehen. Und auf dieselbe Weise entstand denn auch all das Gebilde in dieserHöhle auf einem ganz natürlichen Wege, obschon auch nebenbei anzunehmenist, daß zur Verblendung der schwachen Menschen Satans Diener zur besserenAusbildung von allerlei menschenähnlichen Gestalten ein bedeutendes beigetragenhaben.[<strong>GEJ</strong>.02_006,02] Es ist daher besser, daß solch eine den finstern Aberglaubensehr begünstigende Grotte für alle künftigen Zeiten unzugänglich gemachtwerde. Und so begeben wir uns nun wieder hinaus ins Freie, auf daß der Archielseinen Auftrag erfülle mit dieser Höhle!“[<strong>GEJ</strong>.02_006,03] Faustus dankt Mir innigst für diese Erklärung und sagt: „Mirist diese Erklärung um so klarer begreiflich, weil ich solches – wenn auch mehrals eine Hypothese – schon von den römischen Naturkundigen aussprechengehört habe. Aber auch der Beisatz von der Mitwirkung Satans ist viel wert;denn der Feind des Lebens wird dergleichen Dinge sicher nicht unbenutztlassen, und die bösen Folgen liegen in drei Weltteilen vor unseren Augen! Dasist mir nun alles sonnenklar; aber nur ein Ding kann ich nicht so recht untersDach bringen, – und das ist die Seligkeit Gottes![<strong>GEJ</strong>.02_006,04] Sage mir, welche Lust kann denn Gott, dem der innersteGrund alles Seins ewig fort gleich und durchdringendst bekannt sein muß, anSeinem eigenen unverwüstbaren Leben haben?! Kann denn Ihm solch einenotwendig allergleichste Klarheit, ohne Sich je irgend aus Sich Selbst verändernzu können, zu einer Lust gereichen, die doch jeden Menschen vor Langweiletöten müßte?“[<strong>GEJ</strong>.02_006,05] Sage Ich: „Siehe hier die Menschen! Diese sind die LustGottes, wenn sie in Seiner Ordnung das werden, was zu werden sie bestimmtsind. In ihnen findet Gott Seinesgleichen wieder, und ihr stetes Wachsen anErkenntnissen aller Art und dadurch in aller Liebe, Weisheit und Schönheit, istGottes unverwüstbare Lust und Seligkeit! Denn alles, was die Unendlichkeitfasset, ist allein des kleinen Menschen wegen da, und es gibt ewig nichts, dasnicht da wäre allein des kleinen Menschen wegen. – Nun weißt du auch das!Aber nun gehen wir aus dieser Höhle, auf daß Archiel seinem Auftrage ehestmöglich nachkommen kann!“[<strong>GEJ</strong>.02_006,06] Wir eilen nun aus der Grotte und erreichen bald das Endederselben. Als wir alle außerhalb der Grotte uns befinden, gebe Ich dem Archieleinen Wink, und in dem Augenblick geschieht ein heftiger Knall, und deräußerst geräumige Eingang zeigt sich nun als eine hohe Granitwand, durch diemit leichter Mühe wohl kein Sterblicher durchbrechen würde, so er es sich nochso ernstlich vornähme. Um aber den Eingang sozusagen gänzlich unmöglich zu— 14 —


machen, wurde, nachdem wir uns von der Stelle des Eingangs bei dreitausendSchritte entfernt hatten, eine Absitzung des Erdreichs bewerkstelligt, so, daß dieehemalige Eingangsstelle über hundert Manneshöhen dem zugänglichen Erdboden,der in die Tiefe geschoben ward, entrückt wurde, und man hätte nun eineüber hundert Manneshöhen hohe Leiter haben müssen, um über die senkrechtsteile Wand hinauf zur gewesenen Eingangsstelle zu gelangen, – was aber danndennoch fruchtlos gewesen wäre, weil der Eingang selbst zur festesten undsteilsten Felswand geworden war.[<strong>GEJ</strong>.02_006,07] Als Faustus und auch alle die Anwesenden solche Veränderungmit dieser Bergesstelle ersehen, sagt Faustus zu Mir: „Herr und Freund!Wahrlich, ich kann mich jetzt nimmer fassen! Die Erscheinungen werden zuschöpferisch groß; sie liegen bereits eine Ewigkeit von meinem Erkenntnishorizonteentfernt! Ich weiß nun wahrlich nicht, ob ich noch lebe, oder ob ichträume! Es geschehen da so seltsam rätselhaft wunderbarste Dinge, daß manselbst bei der größten Nüchternheit als ein total Betrunkener dasteht und kaummehr im eigenen Bewußtsein zu unterscheiden imstande ist, ob man demmännlichen oder dem weiblichen Geschlechte angehört. – Da sehe man nundiese furchtbare Felsenwand an! Wo war diese vorher, als wir ganz bequem indie Grotte auf einem recht gut zu besteigenden Fußsteige den Weg machten?[<strong>GEJ</strong>.02_006,08] Und was aber eigentlich noch das Sonderbarste bei der ganzenSache ist, besteht in dem, daß bei der ganzen Veränderung von mehrerentausend Morgen Grundes keine Spur von irgendeiner gewaltsamen Zerstörungzu entdecken ist. Das Ding sieht doch gerade so aus, als ob hier seit demUrbestande der Erde nie etwas verändert worden wäre!? Wahrlich, wenn hiertausend Menschen hundert Jahre lang gearbeitet hätten, so steht es dahin, ob siesolche Masse nur von der Stelle geschafft hätten also, daß eine solche Felswand,die im ganzen gut hundertfünfzig Manneslängen Höhe und eine Breite von mehrdenn einer Stunde hat, also frei gestellt worden wäre, wie sie nun, von der nochvor wenig Augenblicken keine Spur zu entdecken war, frei dasteht, geschweigein solcher von keiner Zerstörung nur eine leiseste Spur tragenden Weise! Das istim vollsten Ernste unerhört! Ich bin nun nur neugierig, was dazu die vielenSeefahrer für ein Gesicht machen werden, so sie an der Stelle der früherenüppigen Waldgegend nun diese Riesenwand entdecken werden! – Viele werdensich gar nicht auskennen, wo sie sich befinden; und viele werden dareinschauen,wie das Rind in ein neues Tor, dessen es noch ungewohnt ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_006,09] Sage Ich: „Darum sage Ich euch allen, daß ihr davon schweigtund nicht einmal den Weibern etwas davon meldet; denn Ich habe sie darumdiesmal auch nicht mitgehen lassen, weil sie bei gar außerordentlichen Begebnissentrotz alles Verbotes ihren Zungen nie den schweigsamen Gehorsamabgewinnen können. Deshalb wollet auch ihr euren Weibern nichts von denaußerordentlichen Begebnissen erzählen, die hier vor sich gegangen sind! Ihrkönnet ihnen wohl die Gestaltung der Grotte beschreiben und auch Meldung tunvon den neu aufgefundenen Schätzen; aber weiter ja keine Silbe mehr!“ – Allegeloben solches aufs feierlichste, und wir setzen darauf unsern Weg nach Kis— 15 —


erwartet. Aber bevor er noch zur Nachtruhe sich begibt, kommt er noch zu Mir,um wichtige Dinge zu besprechen. Aber Ich bescheide ihn auf morgen zu Mirund beheiße ihn nun zur Ruhe für Körper und Seele, die ihm nun not tue vorallem. Und Faustus begibt sich dann auch sogleich zur Ruhe, die ihm so wieallen andern not tat.[<strong>GEJ</strong>.02_007,07] Im guten Schlafe hat es mit der Nacht ein baldiges Ende, undso war es denn auch hier der Fall; man glaubte, erst vor ein paar Minuten eingeschlafenzu sein, und schon rief alle der helle Morgen, die süßschmeckendenLager zu verlassen und wieder des Tages Geschäft zu beginnen. Das schon frühbereitete Morgenmahl rief alle von den verschiedenen Schlafgemächern in dengroßen Speisesaal, in dem alle wie an den vergangenen Tagen das Morgenmahleinnahmen und nach dem Mahle samt und sämtlich Mir zum ersten Male imNamen Jehovas den Dank und das Lob darbrachten nach der Weise Davids, derda sprach (Psalm 33):[<strong>GEJ</strong>.02_007,08] „Freuet euch des Herrn, ihr Gerechten; die Frommen sollenIhn schön preisen. Dankte dem Herrn mit Harfen, und singet Ihm auf demPsalter von zehn Saiten. Singet Ihm ein neues Lied, und machet es gut auf demSaitenspiele mit reinem Schalle; denn des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was Erzusagt, das hält Er gewiß. Er liebt Gerechtigkeit und ein rechtes Gericht; dieErde ist voll der Güte des Herrn. – Die Himmel sind durch das Wort des Herrngemacht und all Sein Heer durch den Geist Seines Mundes. Er hält das Wasserim Meere zusammen wie in einem Schlauche und legt die Tiefe in das Verborgene.Alle Welt fürchte den Herrn, und vor Ihm scheue sich alles, was auf demErdboden wohnet; denn so Er spricht, so geschieht es, und so Er gebietet, sosteht es da. Der Herr vernichtet der Ungläubigen und Bösen Rat und wendet dieGedanken der Völker von ihnen ab. Aber Sein Rat bleibt ewig und SeinesHerzens Gedanken für und für. Wohl dem Volke, des der Herr sein Gott ist;denn es ist das Volk, das Er zu Seinem Erbe erwählet hat! – Der Herr schauetvom Himmel und sieht aller Menschen Kinder. Von Seinem festen Throne siehtEr auf alle, die auf Erden wohnen. Er lenket ihr Herz und merket auf ihreWerke. Einem Könige hilft nicht seine große Macht, und ein Riese wird nichtgerettet durch seine große Kraft! Rosse helfen auch nicht, und ihre große Stärkeerrettet nicht! Denn des Herrn Auge siehet nur auf die, so Ihn fürchten und aufSeine Güte hoffen, daß Er ihre Seele errette vom Tode und sie ernähre in derTeuerung. Unser Herz freue sich des Herrn, und wir alle vertrauen auf Seinenheiligen Namen! – Deine Güte, o Herr, sei über uns, wie wir auf Dich hoffen!“8. — Vom Himmelreich[<strong>GEJ</strong>.02_008,01] Nachdem nun alle Mir dieses Morgenlob dargebracht haben,fragt Mich schnell Faustus, der natürlich auch beim Mahle wie beim Lobezugegen war: „Aber woher nahmen denn Deine Jünger alle diese Deinerwürdige, gar so herrliche und völlig wahre Exklamation? So etwas Erhabeneshabe ich noch nie vernommen!“— 17 —


[<strong>GEJ</strong>.02_008,02] Sage Ich: „Verschaffe dir von den Pharisäern die SchriftGottes, und lies darin die Psalmen des Königs David; darin wirst du alles dasfinden! Der Oberste Jairus, mit dem wir noch heute zu tun bekommen werden,wird dir solche Schrift schon verschaffen. Denn vor zwei Tagen haben sie seineTochter ins Grab gelegt; sie ist ihm gestorben! Er hat seine Sünde gegen Michtiefst bereut; darum soll ihm denn auch geholfen werden, und er soll nicht verlorensein für das Himmelreich Gottes!“[<strong>GEJ</strong>.02_008,03] Fragt Faustus: „Herr, was ist das für ein Reich, und wo ist es?“[<strong>GEJ</strong>.02_008,04] Sage Ich: „Ja, mein lieber Freund, das eigentliche wahreHimmelreich Gottes ist für die wahren Freunde Gottes überall, für die FeindeGottes aber nirgends; denn für die ist wieder alles Hölle, wohin du nur immerdeine Augen und andern Sinne wenden kannst und magst. Unten und oben ist dagleich. Blicke weder zu den Sternen empor – denn sie sind Erden wie diese, diedu betrittst – noch senke deine Augen zur Erde hinab, denn sie ist gerichtet wiedein Fleisch, das einmal sterben und verwesen muß! Forsche und suche aberdafür fleißig in deinem Herzen; dort wirst du finden, was du suchst. Denn ineines jeden Menschen Herz ist der lebendige Same gelegt, aus dem dir desewigen Lebens ewiges Morgenrot erblühen wird.[<strong>GEJ</strong>.02_008,05] Siehe, der Raum, in dem diese Erde schwebt so wie die großeSonne, der Mond und all die zahllosen Sterne, die für sich nichts als wiederSonnen und Erden sind, ist unendlich! Mit der Gedanken Schnelligkeit könntestdu diese Erde verlassen und in der geradesten Linie in solcher Schnelligkeitforteilen, – und so du Ewigkeiten auf Ewigkeiten also forteiltest, so würdest dunach vielen Ewigkeiten des gedankenschnellen Fortfluges dennoch nimmerirgendeinem Ende nahekommen! Überall jedoch würdest du Schöpfungen vonder seltensten und wunderbarsten Art und Weise treffen, die allenthalben denendlosen Raum erfüllen und beleben.[<strong>GEJ</strong>.02_008,06] Durch dein Herz wirst du nach dem Tode deines Leibeshinaustreten in den endlosen Gottesraum, und nach der Art deines Herzens wirstdu ihn entweder als Himmel oder als Hölle antreffen![<strong>GEJ</strong>.02_008,07] Denn es gibt nirgends einen eigens geschaffenen Himmel,noch irgendeine eigens geschaffene Hölle, sondern alles das kommt aus demHerzen des Menschen; und so bereitet sich ein jeder Mensch im Herzen, jenachdem er Gutes tut oder Böses, entweder den Himmel oder die Hölle, und wieer glaubt, will und handelt, also wird er auch seines Glaubens leben, aus demheraus sein Wille genährt ward und ins Handeln überging.[<strong>GEJ</strong>.02_008,08] Jeder aber prüfe die Neigungen seines Herzens, und er wirdleicht erfahren, wessen Geistes sein Herz voll ist. Ziehen seine Neigungen dasHerz und dessen Liebe zur Welt hinaus, und fühlt er in sich eine Sehnsucht, inder Welt etwas Großes und Angesehenes zu werden, – hat das hochmütigwerden wollende Herz ein Mißbehagen an der armen Menschheit, und fühlt esden Trieb in sich, daß es herrschen möchte über die andern, ohne zum Herrschenvon Gott erwählt und gesalbt zu sein, so liegt im Herzen schon der Same der— 18 —


Hölle, der, so er nicht bekämpft und erstickt wird, dem Menschen nach demTode des Leibes offenbarst nichts denn die Hölle bereitet.[<strong>GEJ</strong>.02_008,09] Ist aber das Herz des Menschen voll Demut, und fühlt er sichglücklich, der Geringste unter den Menschen zu sein, allen zu dienen, seinerselbst der Liebe zu den Brüdern und Schwestern wegen gar nicht zu achten, demVorgesetzten willig zu gehorchen in allen guten, den Brüdern so wie so nützendenDingen, und liebt er also Gott über alles, dann erwächst im Herzen derhimmlische Same zu einem wahren, ewig lebendigen Himmel, und der Mensch,der also schon den gesamten Himmel in der Fülle in seinem Herzen birgt volldes wahren Glaubens, der reinsten Hoffnung und Liebe, der kann nach demTode des Leibes denn auch unmöglich irgendwo anders hinkommen als insHimmelreich Gottes, das er in aller Fülle schon lange im Herzen trug! – Wenndu solches recht erwägst, so wirst du leicht begreifen, was es so ganz eigentlichmit dem Himmelreich sowie mit der Hölle für eine Bewandtnis hat.“[<strong>GEJ</strong>.02_008,10] Sagt Faustus: „Liebster, höchst weiser Herr, Meister undFreund! Wahrlich, Deine Worte klangen höchst weise wohl; aber ich konnte siediesmal nicht in aller Tiefe erfassen! Wie da gewisserart Himmel und Hölle aufeinem Flecke beisammensein können, so daß eins das andere offenbarst durchdringenmüßte, das ist für mich noch sehr materiell denkenden Menschen eineSache der Unmöglichkeit! Wie aber am Ende aus meinem Herzen eine unendlicheglückliche oder unglückliche Unendlichkeit erblühen solle, ist mir nochunbegreiflicher als alles andere! Daher muß ich Dich schon bitten, daß Du mirdarüber noch eine faßlichere Erläuterung geben wollest; denn sonst gehe ich beiallem Lichte am hellsten Mittage des Geistes blind von hier nach Hause!“9. — Der Herr zeigt das Wesen von Himmel und Hölle in Beispielen[<strong>GEJ</strong>.02_009,01] Sage Ich: „So habe denn wohl acht; denn es liegt Mir daran,daß du sehend nach Hause ziehest![<strong>GEJ</strong>.02_009,02] Siehe, in einem Hause wohnen zwei Menschen. Der eine istmit allem zufrieden, was er im Schweiße seines Angesichtes unter dem SegenGottes dem Erdboden entlockt. Zufrieden und heiter genießt er den spärlichenErtrag seines Fleißes, und seine größte Freude ist es, mit den noch ärmerenBrüdern seinen mühsam erworbenen Vorrat zu teilen. So ein Hungriger zu ihmkommt, da hat er eine Freude, ihn sättigen zu können, und fragt ihn nie mitärgerlichem Gemüte um den Grund seiner Armut und verbietet ihm nicht, daß erwiederkommen dürfe, so es ihn etwa wieder hungern sollte.[<strong>GEJ</strong>.02_009,03] Er murret nicht über irdische Staatseinrichtungen und sagt, soihm irgendeine Steuer abgenommen wird, allzeit mit Hiob: ,Herr! Du hast es mirgegeben; Dein ist alles! Was Du gabst, kannst Du allzeit wieder nehmen; Deinallzeit allein heiliger Wille geschehe!‘[<strong>GEJ</strong>.02_009,04] Kurz, diesen Menschen kann nichts in seiner Heiterkeitsowohl als auch in seiner Liebe und in seinem Vertrauen zu Gott, sowie daraus— 19 —


in der Liebe zu seinen irdischen Brüdern, stören; Zorn, Neid, Hader, Haß undHochmut sind für ihn fremde Begriffe.[<strong>GEJ</strong>.02_009,05] Aber sein Bruder ist dafür der unzufriedenste Mensch. Erglaubt an keinen Gott und sagt: ,Gott ist ein leerer Begriff, durch den dieMenschen den höchsten Grad der diesirdischen Helden bezeichnen. In derDürftigkeit kann nur ein dümmster Mensch glücklich sein, gleichwie auch dievernunft- und verstandlosen Tiere glücklich sind, wenn sie nur das spärlicherhalten, was ihr stummer und stumpfer Naturtrieb verlangt. Ein Mensch aber,der sich mit seinem Verstande weit übers Tierische emporgehoben hat, der mußsich nicht mehr mit der gemeinen Schweinskost begnügen, muß nicht mit deneigenen, zu etwas Besserem bestimmten Händen in der Erde herumwühlen –was sich nur für Tiere und Sklaven geziemt –, sondern man muß das Schwertergreifen, sich zum mächtigen Feldherrn emporschwingen und durch Triumphpfortenin die großen Weltstädte einziehen, die man erobert hat. Die Erde mußerbeben unter den Huftritten des Rosses, das von Gold und Edelsteinen strotzendstolz den Herrn der mächtigen Heerscharen trägt.‘[<strong>GEJ</strong>.02_009,06] Mit solchen Gesinnungen verwünscht dann ein solcherMensch sein ärmliches Sein, verflucht die Armut in seinem Herzen und sinnt aufMittel, wie er sich große Schätze und Reichtümer verschafft, um mit ihrer Hilfeseine herrschsüchtigen Ideen zu realisieren.[<strong>GEJ</strong>.02_009,07] Seinen zufriedenen Bruder verachtet er, und jeder nochÄrmere ist ihm ein Greuel. Von der Barmherzigkeit ist bei ihm gar keine Spur;bei ihm gilt sie als lächerliche Eigenschaft feiger Sklaven und der Gesellschaftsaffen.Dem Menschen gezieme nur Großmut, – aber diese so selten wiemöglich! Kommt ein Armer zu ihm, so fährt er ihn an mit allerlei Scheltwortenund sagt: ,Weiche von mir, du faule Bestie, du gefräßiges Ungeheuer mit derzerlumpten Larve eines Menschen! Arbeite, Tier, so du einen Fraß haben willst!Gehe zum ungeratenen Bruder meines Leibes, aber nimmer meines erhabenenGeistes; dieser, als selbst ein gemeines Lasttier, arbeitet für seinesgleichen undist barmherzig wie ein Gesellschaftsaffe! Ich bin nur großmütig – und schenkedir diesmal noch dein gemeinstes Erdwurmleben.‘[<strong>GEJ</strong>.02_009,08] Siehe nun, diese beiden Brüder, Kinder eines Vaters und einerMutter, leben in einem Hause beisammen. Der erste ist ein Engel, der zweitenahe ein vollendeter Teufel. Dem ersten ist die ärmliche Hütte ein Himmel, demzweiten dieselbe Hütte ohne irgendeine Veränderung eine allerbarste Hölle vollder bittersten Qual. Siehst du nun, wie Himmel und Hölle auf einem Fleckebeisammen sein können?![<strong>GEJ</strong>.02_009,09] Freilich wirst du dir denken: ,Nun, was ist es denn? Man lasseden Herrschsüchtigen einen Thron erreichen, und er wird ganz tauglich sein,Völker zu schützen und zu schlagen die Feinde!‘ O ja, das könnte wohl möglichsein! Aber wo liegt der Maßstab, der ihm vorschriebe, wieweit er seine herrschsüchtigenPläne verfolgen solle? Was wird er mit den Menschen machen, diesich nicht in aller Tiefe werden beugen wollen vor ihm? – Siehe, die wird er— 20 —


martern lassen auf die möglichst qualvollste Weise, und es wird ihm an einemMenschenleben ebensowenig gelegen sein wie an einem zertretenen Grashalm!– Was ist aber dann ein solcher Mensch? – Siehe, das ist ein Satan![<strong>GEJ</strong>.02_009,10] Es müssen wohl Herrscher und auch Feldherren sein; aberverstehe, diese müssen von Gott dazu erwählt und berufen sein und für die FolgeAbstämmlinge von altgesalbten Königen sein. Diese sind dann berufen; aberwehe jedem andern, der seine arme Hütte verläßt und hineilet, sich durch allerleiMittel den Herrscherstab zu erringen! Wahrlich, es wäre für ihn besser, niegeboren worden zu sein![<strong>GEJ</strong>.02_009,11] Ich will dir aber noch ein Bild vom Himmelreiche Gottesgeben: Es gleichet völlig einem guten Erdreich, auf dem ebensogut die edelstenTrauben fest neben den Dorngesträuchen und Disteln wachsen und reif werden,– und doch haben sie ein und dasselbe gute Erdreich! Der Unterschied liegt nurin der Verwendung desselben: die Rebe verkehrt es in Gutes, der Dornstrauchund die Distelstaude aber in Arges, Nutzloses und für keinen Menschen Genießbares.[<strong>GEJ</strong>.02_009,12] Also fließet auch der Himmel ein in den Teufel wie in dieEngel Gottes; aber jeder von den beiden verwendet ihn anders! –[<strong>GEJ</strong>.02_009,13] Also ist der Himmel auch noch gleich einem Fruchtbaume, derein gutes, süßes Obst trägt. Als aber unter seine reichgesegneten Äste Leutekommen, die solche Frucht genießen wollen, da sind etliche nüchtern; diesegenießen mit Dank nur soviel, als es ihr Bedürfnis verlangt. Andere aber, daihnen die Frucht wohlschmeckt, wollen nichts am Baume zurücklassen, sondernverzehren es aus Neid, daß nicht die Genügsamen noch einmal etwas fänden,und essen so lange, bis der letzte Apfel verzehrt ist. Diese aber werden daraufkrank und müssen sterben, während sich die Genügsamen vom mäßigenGenusse der Früchte des Baumes sehr wohl und gestärkt fühlen! Und dochhaben beide Parteien vom selben Baume gegessen![<strong>GEJ</strong>.02_009,14] Also ist der Himmel auch gleich einem guten Weine, der denMäßigen stärkt, den Unmäßigen aber zugrunde richtet und tötet; und so wird einund derselbe Wein für den einen ein Himmel und für den andern die barsteHölle, – und doch wird er von einem und demselben Schlauche genommen! –[<strong>GEJ</strong>.02_009,15] Sage Mir, Freund, ob du nun verstehest, was da ist derHimmel und was die Hölle!“10. — Das Gesetz der Ordnung[<strong>GEJ</strong>.02_010,01] Sagt Faustus: „Herr, nun fängt es bei mir an hell zu werden! –Es ist in aller Unendlichkeit nur ein Gott, eine Kraft und ein Gesetz der ewigenOrdnung. Wer aus den Menschen sich dieses Gesetz zum eigenen macht, für denist alles und überall Himmel; wer aber aus seiner eigenen Freiheit heraus diesemGesetze widerstreben will, für den ist überall Hölle, Qual und Marter!“— 21 —


[<strong>GEJ</strong>.02_010,02] Sage Ich: „Ja, also ist es! – Das Feuer ist ein überaus nützlichesElement; wer es ordentlich, weise und zweckmäßig benutzt, dem verschafftes einen unberechenbaren Nutzen. Es wäre zu weitläufig, alle die Vorteileherzuzählen, die den Menschen durch die rechte, weise und zweckmäßigeBenutzung des Feuers entstehen. Wenn aber jemand das Feuer höchst unweiseund allenfalls zum bloßen Vergnügen so leichtsinnig gebrauchen möchte, daß eres anzündete auf den Dächern der Häuser oder in dichten Waldungen, da wirdein und dasselbe Feuer alles zerstören und verderben![<strong>GEJ</strong>.02_010,03] Wenn es im Winter frostig ist, so geht jedermann gerne an denKamin und wärmt sich mit großer Lust beim heiter knisternden Feuer, das denfesten Kamin mit wärmenden Flammen füllt; aber wer ins Feuer fiele, denwürde es töten und verzehren.[<strong>GEJ</strong>.02_010,04] Aber Ich sage dir noch etwas: Die Menschen dieser Weltmüssen, um wahrhaft Gottes Kinder zu werden, durch Wasser und Feuer geführtwerden. Der Himmel im Urwesen ist Wasser und Feuer; was nicht dem Wasserverwandt ist, wird vom Wasser getötet, und was nicht selbst Feuer ist, kann imFeuer nicht bestehen.“[<strong>GEJ</strong>.02_010,05] Sagt Faustus: „Herr, das verstehe ich schon wieder nicht! Wieist das zu nehmen? Wie kann man zugleich zu Wasser und zu Feuer werden?Denn bekanntlich sind Wasser und Feuer die gegenseitig feindlichstenElemente; eines zerstört und vernichtet das andere. Ist das Feuer mächtig, undman gießt Wasser hinein, so wird das Wasser schnell in Dampf und Luftverwandelt; ist aber das Wasser mächtiger als das Feuer, so erlischt dieses imWasser, sobald es vom selben überflutet wird. Wenn man nun aber, um demHimmel zu gleichen, zugleich Wasser und Feuer sein soll, da müßte man sicham Ende ja sowieso auflösen!? Wie sähe es dann mit dem ewigen Lebensbestandeaus?“[<strong>GEJ</strong>.02_010,06] Sage Ich: „Oh, recht gut! Beides im rechten Verhältnisse, –und es erzeugt und erhält dann fortwährend eines das andere! Denn siehe, gäbees in und um die Erde kein Feuer, so gäbe es auch kein Wasser; gäbe es aber inund um die Erde kein Wasser, so gäbe es auch kein Feuer, – denn da erzeugtfortwährend eines das andere.“[<strong>GEJ</strong>.02_010,07] Fragt Faustus: „Wieso? Wie das?“[<strong>GEJ</strong>.02_010,08] Sage Ich: „Nimm alles Feuer, aus dem alle Wärme stammt,von der Erde, und die ganze Erde wird zu einem diamantstarren Eisklumpen, aufdem kein Leben fortkommen könnte; nimm aber darauf alles Wasser von derErde, und sie wird nur zu bald zu nichtigem Staube werden! Denn ohne Wasserwird sich auch kein Feuer halten, das zu Neubildungen auf der Erde so überausnotwendig ist; wo aber keine Nach- oder Neubildung mehr stattfindet, da ist derTod und die Verwesung eingekehrt.[<strong>GEJ</strong>.02_010,09] Siehe an einen Baum, der seine Säfte verlor, und du wirstgewahr werden, daß der Baum in kurzer Zeit verfaulen und dadurch zunichte— 22 —


wird. Verstehst du nun solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_010,10] Sagt Faustus: „Ja, Herr, nun verstehen wir alle auch dieses underkennen, daß Du voll des göttlichen Geistes und der Schöpfer aller DingeSelbst bist. Denn welcher Mensch kann das aus sich ergründen, wie die ganzeSchöpfung bestellt ist, und unter was für Gesetzen sie besteht? Solches kann nurdem klar und in allen Tiefen bekannt sein, der den Geist in sich trägt, durch denalle Dinge gemacht worden sind und nun gleichfort als dieselben bestehen. – Ichkann Dir für alle die mir hier erwiesenen großen Wohltaten geistiger und auchmaterieller Art nur aus dem für Dich mit höchster Liebe erfüllten Herzendanken! Denn was anderes sollte ich armer, schwacher, sündiger Mensch Dir,dem Herrn der Unendlichkeit, tun können?“[<strong>GEJ</strong>.02_010,11] Sage Ich: „Du hast recht; aber behalte vorderhand alles, wasdu weißt und hier gesehen und erfahren hast, bei dir, mache Mich nicht ruchbarvor der Zeit, und vergiß nun in deinem irdischen Glücke der Armen nicht! Dennwas du immer den Armen in Meinem Namen tun wirst, das hast du Mir getan,und es wird dir im Himmel vergolten werden. – Jetzt aber, da wir hier in Kisalles beendet haben, was da zu machen und zu schlichten war, wollen wir unszur Reise nach Nazareth anschicken.“11. — Des Herrn und Seiner Jünger Abreise nach Nazareth. (Matth. 13)[<strong>GEJ</strong>.02_011,01] Sagt Faustus: „Da muß ich gebieten, meine Sachen auf dieSchiffe zu bringen?!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,02] Sage Ich: „Ist schon alles geschehen! Weil deine Schiffe nichtausgereicht hätten, so haben Baram und Kisjonah ihre zwei großen Schiffe dazuhergeliehen, und es ist also bis auf die Abfahrt alles in der besten Ordnung.“[<strong>GEJ</strong>.02_011,03] Sagt Faustus: „Daß es sicherst also ist, nimmt mich nun garnicht mehr wunder; denn was sollte dem Allmächtigen noch unmöglich sein?!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,04] Es treten aber nun Jonael und Jairuth mit Archiel zu Mir unddanken für alles, und als sie sich von Mir unter vielen Danksagungen trennenund den Weg nach Sichar antreten, so kommt ihnen auch die von Mir ihnenvorausverkündete Deputation entgegen, nimmt sie in allen Ehren auf und legtdem Jonael die besondere Bitte zu Füßen, daß er das Oberpriesteramt wiederannehmen möchte; und beide, Jonael und Jairuth, erinnern sich dessen, was Ichihnen vorher verkündigt hatte.[<strong>GEJ</strong>.02_011,05] Wir aber – als Ich die abermaligen Bilder vom Himmelreichevollendet hatte (Matth.13,53) und die Sichariten entließ und auch beim Kisjonah,der diesmal auf Meinen Rat daheim verblieb und auch nicht den Faustusbegleitete, Mich empfahl mit dem Versprechen, bald wieder bei ihm einzusprechen– begaben uns dann auch bei zwei Stunden vor dem Mittage auf ein großesSchiff und fuhren mit Faustus, der in Meinem Schiffe mit seinem jungen WeibePlatz nahm, in die Nähe von Kapernaum hin, wo der gewöhnliche Landungsplatzfür diese Stadt sowohl, wie auch für Nazareth war, das bekanntlich gar— 23 —


nicht weit von Kapernaum gelegen war.[<strong>GEJ</strong>.02_011,06] Als wir gelandet und aus den Schiffen ans Land gestiegenwaren, da sprach Faustus: „Herr, ich werde mit Dir nach Nazareth ziehen undwerde Deiner Mutter und Deiner irdischen Brüder und Schwestern Behausungihnen wieder zu eigen stellen!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,07] Sage Ich: „Auch dieses ist schon geschehen, und du wirst auchzu Hause und draußen in deinem großen Gerichtsbezirke alles in der schönstenund besten Ordnung antreffen; denn bisher hat Mein Archiel alle Geschäfte fürdich geschlichtet. Gehe du aber nach Kapernaum, und wenn dir der ObersteJairus unterkommt – was sich sicher ereignen wird – und wird dir klagen seinenSchmerz, so sage ihm, daß Ich nun in Nazareth auf eine Zeitlang Mich aufhaltenwerde! Wenn er etwas will, so möge er zu Mir kommen, – aber auch nur er ganzallein!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,08] Sagt Faustus: „Dürfte auch ich ihn nicht begleiten?“[<strong>GEJ</strong>.02_011,09] Sage Ich: „O ja, aber auch nur du allein!“ – Mit diesen Wortenschieden wir.[<strong>GEJ</strong>.02_011,10] Ich begebe Mich mit Meinen vielen Jüngern nun gen Nazarethin Mein irdisches Vaterland, und Faustus läßt sogleich eine Menge Träger,Packer und Lastwagen kommen, mittels derer er die mitgenommenen Schätze insein Haus nach Kapernaum schafft. Daß es in Kapernaum ein großes Aufsehenmachte, als man den Oberrichter so reich beladen an der Seite einer wunderschönenGemahlin einziehen sah, braucht kaum erwähnt zu werden; aber daßdem Oberrichter in vieler Hinsicht auch der Oberste der dortigen Pharisäer,namens Jairus, entgegenkam, läßt sich noch leichter denken, – denn er wußte jaauch einiges von dem Zuge der zwölf Pharisäer nach Jerusalem und auch, daßFaustus ihretwegen nach Kis berufen worden war.[<strong>GEJ</strong>.02_011,11] Faustus empfing ihn mit aller Achtung und sagte zu ihm: „EinEhrlicher ward gerettet, und die Pfänder, die ungerecht von diesen Pharisäern imgeheimen von den armen Juden erpreßt worden sind, sind ihnen bis auf einenStater zurückgestellt worden, und elf genießen nun für ihre allseitigen unerhörtenBetrügereien und Räubereien zu Jerusalem im Tempel die wohlverdienteStrafe. Es wäre zu weitläufig, dir alles zu erzählen, was die elf alles verübthaben; wenn du aber einmal Muße hast, da komme und lies selbst in den vielenAkten, und dir werden die Haare zu Berge steigen! – Nun aber von etwasanderem! Wie sieht es denn mit deiner lieben Tochter aus? Lebt sie noch, oderist sie gestorben?“[<strong>GEJ</strong>.02_011,12] Sagt Jairus übertraurig und sogleich zu weinen beginnend: „OFreund, warum erinnertest du mich daran? – Sie ist mir leider, leider gestorben;denn kein Arzt konnte ihr helfen! Der einzige Arzt Borus aus Nazareth sagte,daß er ihr wohl helfen könnte, aber darum nicht helfen wollte, weil ich mich anseinem Freunde Jesus, der sein Meister war, zu sehr und zu hart versündigt habe.Und so starb meine über alles geliebteste Tochter. Es war zu herzzerreißend, wie— 24 —


die Sterbende Jesum rief, daß Er ihr hülfe, und wie sie mir noch sterbend einhartes Wort gab darüber, daß ich mich an Jesu, dem größten Wohltäter derarmen leidenden Menschheit, dermaßen hart versündigt habe, daß sie nun darumunwiderruflich sterben müsse. Ich wandte ohnehin alles auf, um Jesus zu finden,daß Er ihr hülfe! Aber Jesus wollte meinen Boten kein Gehör mehr geben,obschon ich tausend Male nun bitter bereuet habe, daß ich mich an Ihm versündigte!Jetzt aber ist alles vorbei! Bei vier Tage schon liegt sie im Grabe undriecht wie die Pest! Jehova sei nun nur ihrer schönen Seele gnädig und barmherzig!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,13] Sagt Faustus: „Freund! Ich bedaure dich zwar wohl vonganzem Herzen; aber ich sage dir auch, daß der allmächtige Herr Jesus Sich nunin Nazareth befindet. Ihm ist meiner nun vielfachen Erfahrung nach kein Dingunmöglich! Wie wäre es denn, so du zu Ihm selbst hingingest? Ich sage dir, Erhat Macht genug, deine Tochter aus dem Grabe ins Leben zu rufen und sie dirwieder zu geben!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,14] Sagt Jairus: „Wenn auch letztes nicht mehr möglich seinsollte, so will ich aber dennoch hingehen und Ihn tausend Male um Vergebungbitten, darum, daß ich Ihn, freilich nur genötigt und nicht freiwillig, beleidigtund betrübt habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,15] Sagt Faustus: „Gut, so gehe mit mir hin; wir werden Ihn inNazareth und zwar im Hause Seiner Mutter treffen. Aber es darf uns nachSeinem Ausspruche niemand begleiten!“ – Jairus willigt, von einer beseligendenHoffnung ergriffen, sogleich in den Vorschlag des Faustus ein. Beide lassensogleich gut laufende Maultiere satteln und reiten so schnell als möglich nachNazareth hin. Noch ein paar Stunden vor dem Untergange treffen sie inNazareth ein, lassen die Maultiere in einer Herberge und begeben sich dann zuFuß ins Haus Meiner Mutter und treffen Mich da mit Borus, der einer der erstenaus Nazareth war, der Mir mit offenen Armen entgegenkam; denn er bekamNachricht, daß Ich an diesem Tage in Nazareth anlangen werde.[<strong>GEJ</strong>.02_011,16] Als nun Faustus mit dem Jairus ins Zimmer trat, da fing letztereran zu weinen, fiel vor Mir nieder und bat Mich laut, daß Ich ihm vergäbeseine große Sünde des Undanks, die er an Mir begangen habe.[<strong>GEJ</strong>.02_011,17] Ich aber sage zu ihm: „Stehe auf! Dein Vergehen ist dir verziehen,aber sündige zum zweiten Male nicht wieder! – Wo liegt deine Tochterbegraben?“[<strong>GEJ</strong>.02_011,18] Spricht Jairus: „Herr, Du weißt, daß ich unfern von hier eineSchule für die Kinder des Landes habe errichten lassen, versehen mit einemkleinen Bethause. In diesem Bethause habe ich eine Gruft erbauen lassen fürmich; da aber die Tochter vor mir starb, so ließ ich sie dahin bringen und legenin die neue Gruft, darin früher noch nie jemand als Toter gelegen. Diese Gruftist von hier nur kaum zweitausend Schritte entfernt. So Du, o Herr, sie besehenmöchtest, würde mich das über die Maßen selig stimmen; denn ich bin sonstbetrübt bis in den Tod!“— 25 —


[<strong>GEJ</strong>.02_011,19] Sage Ich: „Nun, da führe Mich hin, – aber es darf Mir außerdir und dem Faustus niemand folgen!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,20] Es fragten aber die Apostel, ob denn auch sie nicht dabei seindürften.[<strong>GEJ</strong>.02_011,21] Sage Ich: „Diesmal niemand außer den zwei Betreffenden!“[<strong>GEJ</strong>.02_011,22] Sagt Borus: „Herr, Du kennest mich, daß ich stumm sein kannwie ein Fisch; was täte es denn, so ich als ein Arzt euch geleitete?“[<strong>GEJ</strong>.02_011,23] Sage Ich: „Es bleibt bei Meinem ersten Ausspruche; wir dreiallein, und sonst niemand!“12. — Die zweite Erweckung der Sarah vom Tode[<strong>GEJ</strong>.02_012,01] Darauf getraute sich keiner mehr zu fragen und zu bitten, undwir gingen zur Gruft hin, und Ich besah die schon sehr stark stinkende Leicheund fragte den Jairus, ob er nun wohl meine oder gar glaube, daß seine Tochterscheintot sei?[<strong>GEJ</strong>.02_012,02] Sagt Jairus: „Herr, ich habe auch in meinem Herzen so etwasdas erste Mal nicht geglaubt und wußte nur zu bestimmt, daß meine liebsteTochter Sarah vollkommen tot war. Ich war zu dem falschen Zeugnisse widerDich bei den Haaren gezogen worden, und hätte ich nicht das arge Zeugnisunterzeichnet, so wärest Du noch um vieles ärger verfolgt worden, was ich imvollsten Ernste nie wollte! Da ich aber das falsche Zeugnis unterzeichnet hatte,so sah man in Dir nur mehr einen arbeitsscheuen Landstreicher, der hie und dawohl Leute gesund mache und sich einen Namen in Israel machen wolle alsirgendein von Gott erweckter Prophet – oder gar den verheißenen MessiasSelbst, den alle nunmalige, über alle Maßen gut und reich stehende Priesterschaftam meisten fürchtet, weil es geschrieben steht, daß, wenn der Hohepriesterin der Ordnung Melchisedeks von Ewigkeit auf die Erde kommen werde, esdann mit allen andern Priestern ein volles Ende nehmen werde und der neueMelchisedek dann herrschen wird mit seinen Engeln über alle Geschlechter derErde in Ewigkeit.[<strong>GEJ</strong>.02_012,03] Ich sage es Dir: Die sämtlichen Oberpriester und alle Unterpriesterfürchten weder das Feuer noch den großen Sturm, der vor der Höhle,darin der große Prophet Elias verborgen war, vorüberzog; aber das sanfte Wehenüber der Höhle des großen Propheten fürchten sie, weil sie stets sagen, derMessias in der Ordnung Melchisedeks werde ganz stille kommen in der Nachtwie ein Dieb und werde ihnen nehmen alles, was sie sich bis jetzt erworbenhaben! – Darum will kein Priester die Ankunft des Gesalbten Gottes vonEwigkeit erleben, sondern so weit als möglich in die fernste Zukunft verschobenhaben.[<strong>GEJ</strong>.02_012,04] Weil aber die sämtliche, besonders alte Priesterschaft an Dirwegen Deiner außerordentlichen Taten und Lehren ungezweifelt so etwas— 26 —


erschaut, so bietet sie auch alles auf, Dich – so möglich – zu verderben! Sollte esnicht möglich sein, so Du vollwahr das wärest, für was sie Dich hält, so wird siedenn hernach für ihre böse Mühe in Sack und Asche Buße tun und mit großemBeben den allmächtigen Schlag erwarten, durch den sie von jeher alles zu verlierenfürchtet und allzeit gefürchtet hat, ansonst sie nicht beinahe alle Prophetengesteinigt hätte. Siehe, das ist der Grund, aus dem ich Dich lieber für einenLandstreicher erklärte als für Den, der Du sicher bist! Denn Menschen könnenihre Toten nimmer ins Leben rufen; solches vermag nur der Geist Gottes, dernach meiner Ansicht in aller Fülle leibhaftig in Dir wohnet und wirket.“[<strong>GEJ</strong>.02_012,05] Sage Ich: „Weil Ich geheim von dir das wohl wußte, auswelchem Grunde du so ganz eigentlich Mich verleugnet hast, so kam Ich dennauch in deiner großen Not wieder zu dir, um dir für eine lange Dauer zu helfen.Das ist aber auch der eigentliche Grund, warum Ich außer euch beiden niemandsonst mitnahm. Wann es aber an der Zeit sein wird, dann auch sollen sie denGrund erfahren. – Nun aber sollst du Gottes Macht und Herrlichkeit sehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,06] Hier neigte Ich Mich in die Gruft, in der die junge Sarah inLeinen gewickelt lag, und sprach zu Jairus: „Siehe, es ist Nacht geworden, unddas Lämpchen in der Gruft gibt einen höchst matten Schein! Gehe zum Wächterdieses Schul- und Bethauses und laß dir ein stärkeres Licht geben; denn wennihr das Leben wiedergegeben wird, muß sie natürlich sehen, um der Gruft zuentsteigen.“[<strong>GEJ</strong>.02_012,07] Sagt Jairus: „O Herr, sollte das wohl möglich sein? DieVerwesung ist bei ihr schon stark eingetreten! Aber ich glaube, daß bei Gottalles möglich ist, und so werde ich sogleich mit einem stärkeren Lichte da sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,08] Jairus eilt nun um ein stärkeres Licht, das er aber nicht so baldbekommen kann, da dem Hauswächter das Feuer ausgegangen ist und er durchdas starke Reiben der zum Feuermachen geeigneten zwei Hölzer eine geraumeZeit zu tun hatte, bis solche zu brennen begannen.[<strong>GEJ</strong>.02_012,09] Ich aber erwecke sogleich, als Jairus zur Tür hinaus war, dieSarah und hebe sie aus der Gruft.[<strong>GEJ</strong>.02_012,10] Die Erweckte fragt Mich, noch wie ein wenig schlaftrunken:„Um Jehovas willen! Wo bin ich denn nun? Was geschah mit mir? Ich befandmich erst in einem schönen Garten mit vielen Gespielinnen, und nun bin ichplötzlich in dieser finstern Kammer engen Raum versetzt worden!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,11] Sage Ich: „Sei heiter und ruhig, Sarah! Denn siehe, Ich, deinJesus, der Ich dich noch vor etlichen Wochen kaum das erste Mal vom Todezum Leben erweckte, habe dich nun auch wieder vom Tode erweckt und gab dirnun ein festes Leben! Es soll dich von nun an keine Krankheit mehr plagen, undwenn nach vielen Jahren deine Zeit kommen wird, werde Ich Selbst dich, ausden Himmeln kommend, abholen und Selbst dich führen in Mein Reich, dasewig kein Ende nehmen wird.“[<strong>GEJ</strong>.02_012,12] Als Sarah Meine Stimme vernimmt, da erst lebt sie vollends— 27 —


auf und sagt mit der liebevollst freundlichsten Stimme von der Welt: „O Dueinziger Geliebter meines jungen Lebens und Herzens! Ich wußte es ja, daß derden Tod nicht zu fürchten hat, der Dich allein über alles liebt! Aus übermächtigerLiebe zu Dir, meinem ersten Lebensbringer, ward ich krank, weil ich vonDir nichts mehr erfahren konnte, wohin Du gekommen seiest; und so ich fragtemit dem heißest liebenden Herzen, wo Du seiest, da sagte man mir, um mich zuberuhigen durch die offenbarste Tötung meines Gemütes, Du seiest gefangengenommenund als ein Staatsverbrecher den scharfen Gerichten überantwortetworden! Das machte mein Herz in meiner Brust brechen; ich ward bald sehrkrank und starb zum zweiten Male! – O wie endlos glücklich aber bin ich nunwieder, daß ich Dich, Du meine einzige und höchste Liebe, wieder habe![<strong>GEJ</strong>.02_012,13] Ich sagte ja auf dem Sterbebette: ,So mein einziger Jesus nochlebt, so wird Er mich nicht verwesen lassen in der kalten Gruft!‘ – Und siehe da,es ist geschehen, was mein Herz mir gesagt hat. Ich lebe vollauf wieder, und dasin den Armen meines geliebtesten Jesus! Aber von nun an soll auch nichts mehrmich von Deiner göttlichen Seite zu trennen imstande sein! Als die geringsteDeiner Mägde will ich Dir folgen, wohin Du ziehen magst.“[<strong>GEJ</strong>.02_012,14] Während die Sarah noch also Mir ihr Herz entdecket, nähertsich endlich Jairus mit einem Harzlichte der Gruftkammer. Ich aber sage zu ihr:„Siehe, dein Vater Jairus kommt! Verbirg dich daher hinter dem Rücken desFaustus, damit er deiner nicht sogleich ansichtig wird, was seiner Gesundheitschaden würde! Wann Ich dich aber rufen werde, dann tritt schnell hervor mitheiterem und fröhlichem Antlitze, und es wird ihm dann solcher Anblick nichtschaden!“ – Sarah befolgt solchen Rat sogleich, und Jairus tritt im Momente indie Kammer, als Sarah sich hinter dem Rücken des Faustus recht wohl versteckthatte.[<strong>GEJ</strong>.02_012,15] Jairus entschuldigte sich, mit dem verlangten Lichte so langeausgeblieben zu sein.[<strong>GEJ</strong>.02_012,16] Ich aber sage: „Hat nichts zur Sache! Denn übers Möglichehinaus kann niemand sündigen, und wer einmal tot ist, wird in einer schwachenViertelstunde nicht toter, sondern eher lebendiger, wenn die Bedingungen zumLeben noch irgend vorhanden sind!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,17] Sagt Jairus: „Nun, Herr, wenn ein armer Sünder es auchwagen darf, Dich zu bitten, so wolle nun Deine Gnade nicht mir Unwürdigem,sondern der Dich sicher über alles liebenden Sarah erweisen!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,18] Sage Ich: „Aber eine Bedingung und einen Grund sage Ich dirdarin, daß Ich sie nimmer erweckte für dich, sondern rein nur für Mich! Sie wirdvon nun an Mir – und nicht dir folgen; willst aber auch du Mir folgen von Zeitzu Zeit, da sollst du in der Nähe deiner Tochter sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,19] Sagt Jairus: „Es geschehe alles, was Du willst, wenn meineinziges Kind nur wieder ins Leben zurückgerufen werden könnte!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,20] Sage Ich: „Nun denn, so leuchte hinein in die offene Gruft!“— 28 —


[<strong>GEJ</strong>.02_012,21] Jairus tritt seufzend hin zum Rande der Gruft und schauet undschauet – und sieht sonst nichts als die Leinen und die Kopftücher und Bindebänderauf einen Haufen zusammengedrückt. Als er die tote Tochter nimmererschaut, wird er traurig und fragt Mich, sagend: „Herr, was ist denn da vor sichgegangen? Der Geruch ist wohl noch da, aber sonst nichts! Hat denn jemand dieLeiche gestohlen? Warum nahm er denn nicht auch die Tücher und Bänder?“[<strong>GEJ</strong>.02_012,22] Sage Ich: „Weil die nunmehr Lebendige dergleichen nichtmehr bedarf!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,23] Jairus schreit vor Entzückung, die plötzlich seinen Schmerzbesiegt hatte: „Wie?! – Was?! – Wo ist denn die wieder lebende Sarah?“[<strong>GEJ</strong>.02_012,24] Rufe Ich: „Sarah! – Tritt hervor!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,25] Plötzlich trat nun die wunderschöne Sarah hinter dem Rückendes Faustus hervor und sagte mit ganz gesunder und lauter Stimme: „Hier binich, vollauf lebendig und gesund! Aber nun nicht mehr dir, sondern allein Jesu,dem Herrn, angehörend! Denn die Liebe meines Herzens zu Jesu, dem Herrnüber Leben und Tod, die man mir zur gröbsten Sünde zu machen sich alle Mühegab, hat meinen schwachen Leib zum zweiten Male getötet! Aber eben diesemächtige Liebe hat ihm nun wieder das Leben gegeben! Und siehe, Vater Jairus,du heißest mich deine Tochter, da du mir doch nur einmal das Leben gegebenhast! Was ist nun Der zu mir, und ich zu Ihm, der mir volle zwei Male dasLeben gegeben hat? Wer von euch beiden ist nun mehr mein rechter Vater?“[<strong>GEJ</strong>.02_012,26] Sagt Jairus: „Du hast recht! Offenbar Der, der dir zwei Maledas volle Leben wiedergegeben hat, und ich kann da nimmer deiner Liebe entgegentreten!Folge du von nun an vollkommen deinem Herzen, und ich werde dirsamt deiner Liebe auch folgen von Zeit zu Zeit! Bist du damit zufrieden, die dumir alles warst auf dieser Erde und nun wieder nächst Jesu, dem Herrn, allesbist?“[<strong>GEJ</strong>.02_012,27] Sagt Sarah: „Ja, Vater Jairus, damit bin ich vollauf zufrieden!“[<strong>GEJ</strong>.02_012,28] Sage Ich: „Und Ich auch! Aber nun begeben wir uns in MeinHaus! Allda wartet ein gutes Abendmahl unser, und Meine Tochter Sarah mußnun vor allem eine gute Stärkung zu sich nehmen; denn ihr neubelebter Leibbraucht nun recht wohl eine recht gute Nahrung. Daher gehen wir nun behendevon hier!“13. — Szene zwischen Jairus und seinem Weibe[<strong>GEJ</strong>.02_013,01] Jairus deckt nun die Gruft zu und verschließt hinter uns wohldie Tür, durch die man zur Gruftkammer und endlich in die Gruft selbst gelangenkonnte, und geht dann mit uns. Aber etwa bei siebzig Schritte außerhalbdieses Schul- und Bethauses befindet sich die kleine Wohnung des Aufsehersund Wächters, bei dem Jairus ehedem das Licht geholt hatte.[<strong>GEJ</strong>.02_013,02] Da der zunehmende Mond den Abend etwas erleuchtete, so— 29 —


emerkte der Wächter nur zu bald das Töchterchen des Jairus, das im weißenSchleppgewande an Meiner Seite ganz munter einherging. Voll Entsetzen fragteer den Jairus: „Was ist denn das?! Was seh' ich?! Ist das nicht Sarah, euerverstorbenes Töchterchen?! – War sie denn auch diesmal scheintot?“[<strong>GEJ</strong>.02_013,03] Sagt Jairus: „Sei es nun wie es wolle! Du hast hier nicht zufragen, sondern über alles, was du hier siehst, völlig zu schweigen, ansonst dudes Dienstes verlustig würdest! Das aber präge dir tief ein in dein Gemüt unddenke, fasse und begreife, daß bei Gott alle Dinge gar leicht möglich sind! Aberes gehört dazu ein voller Glaube und ein lebendiges Vertrauen! – Hast du esverstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_013,04] Sagt der Wächter: „Ja, höchstwürdiger Herr!“[<strong>GEJ</strong>.02_013,05] Sagt darauf Jairus: „In Zukunft bleibe mir vor allem mit derleiehrbezeigenden Ausdrücken vom Halse und rede mit mir wie mit deinemBruder! Jetzt aber, da du keine Leiche mehr zu bewachen hast, eile nach Kapernaumund erzähle, was du nun gesehen, dort niemandem, auch meinem Weibenicht! Sage aber, daß sie sich mit dir, so es möglich ist, alsogleich nach Nazarethund daselbst ins Haus Josephs begeben möchte; denn ich hätte gar wichtigeDinge mit ihr zu besprechen! Nehmet ein paar gute Maultiere, auf daß ihrschneller nach Nazareth ins Haus des Zimmermanns kommet!“[<strong>GEJ</strong>.02_013,06] Der Wächter, der selbst im Besitze eines schnelltrabendenEsels ist, zäumt und sattelt eiligst das Tier, eilt damit nach Kapernaum undentrichtet dort dem Weibe des Jairus die aufgegebene Botschaft. Das traurigeWeib erhebt sich schnell und folgt dem Boten. Die Esel laufen gut, und in knappeiner Stunde sind beide in Nazareth im Hause Meiner Leibesmutter Maria, dienun wieder ganz heiter ist, daß sie das alte Häuschen Josephs ihr eigen nennendarf. Als des Jairus Weib ins Zimmer tritt, in dem wir uns soeben bei einemrecht guten Abendmahle befinden, das diesmal der Freund Borus bestellt hatte,ersieht sie alsbald ihre Sarah, die gar fröhlich und munter und dabei bestenAussehens an Meiner Seite einen guten, grätenlosen Fisch mit Salz, Öl undetwas Weinessig mit größtem Appetit verzehrt.[<strong>GEJ</strong>.02_013,07] Das Weib traut seinen Augen kaum und sagt nach einer Weile,dem Jairus auf die Achsel klopfend: „Jairus, mein Gemahl, hier steht dein traurigesWeib, um das du gesandt hast deinen Boten mit dem Auftrage, als hättest duwichtige Dinge mit mir zu besprechen! Aber ich erschaue bereits die Wichtigkeitaller Wichtigkeiten! Sage mir, Mann! Träume ich nun, oder ist es Wirklichkeit?Ist das Mädchen, das bei Jesus sitzt und gar so gut aussieht, nicht daslebendigste Ebenbild unserer verstorbenen, allerliebsten Sarah? – O Jehova,warum denn hast du mir die Sarah genommen!?“[<strong>GEJ</strong>.02_013,08] Sagt Jairus, selbst ganz ergriffen, zu seinem Weibe: „Seigetrost, du mein stets gleich geliebtes Weib! Dies Mädchen sieht nicht nurunserer allerliebsten Sarah auf ein Haar gleich, sondern sie ist es vollernstlichselbst! Der göttlichen Geistes vollste Herr Jesus hat sie nun zum zweiten Maleerweckt, wie Er sie erst vor wenigen Wochen vom Tode erwecket hatte. Daß sie— 30 —


nun gar so gut aussieht, das macht Seine unbegreifliche, offenbarste Gotteskraft.Störe sie aber nun in ihrer Eßlust nicht; denn sie hat nun wohl schon langegefastet!“[<strong>GEJ</strong>.02_013,09] Sagt das Weib, sich vor Verwunderung und Freude kaumfassen könnend: „Sage mir nun, du weiser Meister in Israel, was du nun vondiesem Jesus hältst! Mir kommt es immer mehr und mehr vor, daß Er denndoch, trotz Seiner niederen Geburt, dennoch der verheißene Messias ist!? Dennsolche Taten hat noch nie irgendein Prophet, geschweige irgendein andererMensch, verrichtet!“[<strong>GEJ</strong>.02_013,10] Sagt Jairus: „Ja, ja, es ist also! Aber es heißt die tiefsteVerschwiegenheit beachten, indem Er es Selbst also haben will; denn wenn daszu sehr ruchbar würde, hätten wir alsbald ganz Jerusalem und Rom am Halse,und so Er nicht mit Seiner göttlichen Macht sich entgegensetzte, so sähe es füruns alle übel aus! Darum, Weib, sei verschwiegen wie eine Festungsmauer!Sarah wird aus dem Grunde, um den göttlichen Meister mit ihrer Erscheinungnicht zu verraten und in ihrer Gesundheit für bleibend fest zu werden, wenigstensein volles Jahr unter der Aufsicht und Leitung entweder Seiner Selbst oderzum wenigsten Seiner lieben, überaus weisen Mutter Maria verbleiben, und wirwerden sie nur abwechselnd von Zeit zu Zeit besuchen. Im Grunde des Grundeshaben wir beide auch eben kein zu besonderes Recht mehr auf sie; denn nur einmiserables, krankheitsvolles Leben haben wir ihr durch unsere stumme Lustgegeben und wußten, als wir uns beschliefen, nicht, was aus unserem Akte wird.Es ward uns diese himmlische Sarah gegeben, die von Gott aus wohl mit dergesundesten Seele begabt ward, von uns aus aber mit einem schwachen, krankenLeibe! Zwei Male ist sie uns gestorben und wäre für uns auf dieser Erde fürewig verloren gewesen! Er aber gab ihr beide Male ein neues, gesundes Leben!– Es fragt sich hernach, wer nun mehr ihr Vater und ihre Mutter ist, – Er, oderwir beiden armen Sünder!“[<strong>GEJ</strong>.02_013,11] Sagt Sarahs Mutter: „Ja, du bist weise, kennst das Gesetz undalle die Propheten; daher hast du in allen Dingen allzeit recht, mir aber ist esschon eine überhimmlische Seligkeit, daß sie wieder lebt und wir das Glückhaben, sie nur dann und wann zu sehen und zu sprechen.“[<strong>GEJ</strong>.02_013,12] Sagt Jairus: „Nun seien wir ruhig; denn das Mahl ist zu Ende,und vielleicht wird Er etwas sprechen!“[<strong>GEJ</strong>.02_013,13] Ich aber berufe den Faustus und sage zu ihm: „Freund undBruder, sehr leid ist es Mir, daß du heute nicht bei Mir übernachten kannst; aberdich erwarten große Geschäfte zu Hause, und so muß Ich dich für ein paar Tageentlassen. Aber nach ein paar Tagen komme wieder hierher! Sollte von Mirirgend die Rede sein, da weißt du, was du zu reden haben wirst!“[<strong>GEJ</strong>.02_013,14] Sagt Faustus: „Herr, Du kennst mich besser denn ich michselbst! Darum magst Du Dich wohl auf mich verlassen; denn ein schwachesRohr ist ein geborener Römer nicht, daß die Winde mit ihm ihr loses Spieltrieben! Wenn ich Ja sage, da bringt auch der Tod kein Nein aus mir heraus!— 31 —


Nun aber gehe ich; mein Maultier ist noch gesattelt und gezäumt, und in einerkleinen Stunde bin ich schon an Ort und Stelle. In Deinem Namen, o meingrößter Freund Jesus, wird mein mich erwartendes Geschäft wohl sein gutesEnde finden. Deiner alleinigen Liebe, Weisheit und göttlichen Macht empfehleich mich ganz!“ Mit diesen Worten empfiehlt sich Faustus, schnell zur Türehinausstürzend.[<strong>GEJ</strong>.02_013,15] Darauf tritt Sarahs Mutter zu Mir und dankt Mir, mit tiefzerknirschtem Herzen bekennend, wie sehr sie solch einer unerhörten Gnadeunwürdig sei.[<strong>GEJ</strong>.02_013,16] Ich aber vertröste sie und sage zur Sarah: „Mein Töchterchen,siehe hier deine Mutter!“[<strong>GEJ</strong>.02_013,17] Hier erst erhebt sich Sarah behende und begrüßt die Mutterüberaus freundlich, bemerkt aber sogleich hinzu, daß sie nun bei Mir bleibenwerde; denn sie liebe Mich zu sehr, um sich von Mir trennen zu können! DieMutter wie auch der Oberste Jairus beloben darum das liebe Töchterchen sehrund ersuchen sie aber doch auch zugleich, daß sie ihrer nicht ganz und garvergessen möchte! Und Sarah gibt beiden die treuherzigste Versicherung, daßsie sie nun mehr liebe als je früher. Damit waren denn auch beide über dieMaßen zufrieden, wurden ruhig und liebkosten ihre Tochter.14. — Vom Unterschied der menschlichen und göttlichen Macht[<strong>GEJ</strong>.02_014,01] Es trat aber nun der Grieche Philopold aus Kana in Samaria zuMir und sagte: „Herr, über drei Tage bin ich nun schon bei Dir und konnte nochkeinen Augenblick gewinnen, um mit Dir über das zu sprechen, wie ich aufDein Geheiß alles nach Deinem Willen in die Ordnung gebracht habe, und wienun durch meine Predigt, die ich ihnen nach Deinem Abgange von Kana gehaltenhabe, alle zum Glauben an Dich übergegangen sind. Jetzt scheinst Du Mußezu haben; so wolle denn doch auch mich ein wenig anhören!“[<strong>GEJ</strong>.02_014,02] Sage Ich: „Mein sehr schätzbarer Freund Philopold! Kannst duwohl annehmen, daß Ich dich nicht schon lange um dies oder jenes, Kana betreffend,gefragt hätte, so Ich nicht genau wüßte, wie die Sachen stehen? – Da siehean Meine Brüder alle! Wieviel rede Ich denn mit ihnen? Viele Tage kein Wortäußerlich, aber desto öfter innerlich geistig durch ihr Herz; und sieh, es stehtkeiner auf, daß er Mich fragte: ,Herr, warum redest Du mit mir denn nicht?‘ Ichsage dir, wie Ich schon lange zu allen gesagt habe: Ich nehme nicht Jünger andeshalb, daß Ich mit ihnen plaudern solle für nichts und wieder nichts, sonderndaß sie hören Meine Lehre und Zeugen seien von Meinen Taten! Denn was siewissen, das alles weiß Ich schon lange vorher, und was sie besonders wissenwollen, verkündige Ich ihnen im Augenblicke der Notwendigkeit durch ihrHerz. Und wenn so, da frage dich selbst, wozu es da für Meine eingeweihtenJünger noch einer täglichen äußeren Beredung bedürfen sollte! Du aber bist nunauch Mein Jünger und mußt dir darum solche Einrichtung in Meiner Schule— 32 —


schon gefallen lassen.[<strong>GEJ</strong>.02_014,03] Mit andern Menschen aber, die nicht Meine nächsten Jüngersind, muß Ich freilich äußerlich Worte wechseln; denn diese würden Mich inihrem sehr weltlichen Herzen nicht vernehmen und noch weniger verstehen. Ichrede aber dennoch auch mit Meinen Jüngern, wenn es Zeit und Umständeverlangen, äußerlich; aber da geschieht solches nicht der Jünger wegen, sondernderer wegen, die keine Jünger sind! – Sage Mir, ob du solches begriffen hast!“[<strong>GEJ</strong>.02_014,04] Sagt Philopold: „Ja, Herr, nun ist mir Deine Gnade so klar wiedie Sonne eines hellsten Mittags, und ich danke Dir für solche Deine allerliebfreundlichsteAufklärung! Aber, Herr, wenn ich nun diese überherrliche,schönste Sarah betrachte, die sich mit ihrer außerordentlichen Schönheit mitjedem Engel im Himmel messen könnte, so kommt es mir beinahe unmöglichvor, daß sie im Grabe je eine Sekunde soll gelegen sein! Denn solch eineLebensfrische ist mir noch nie untergekommen! Und doch ist es wahr, daß Dusie zweimal vom Tode erweckt hast! Nun drängt es mich gar gewaltig imHerzen, von Dir zu erfahren, wie Dir solches zu bewirken möglich sein kann!“[<strong>GEJ</strong>.02_014,05] Sage Ich halblaut zu ihm: „Ich meine, du hast es doch zu Kanahinreichend erfahren, wer Ich bin!? Weißt du aber das, da fragt es sich doch sehrgewaltig, wie du darum fragen kannst, wie Ich einen toten Menschen wiederbeleben könnte! Sind denn nicht Sonne, Mond und alle Sterne, so wie dieseErde, aus Mir hervorgegangen, und habe nicht Ich diese Erde bevölkert mitzahllosen lebendigen Geschöpfen? So Ich ihnen aber im Anfange Dasein undein selbständiges Leben geben konnte, wie sollte Mir das nun mit einemMägdlein unmöglich sein, was Mir mit zahllosen Wesen von Ewigkeit zuEwigkeit möglich ist? Wenn du aber solches weißt und bist darüber sogar voneinem Engel belehret worden, wie magst du dann noch fragen?[<strong>GEJ</strong>.02_014,06] Siehe, ein jeder Stein sogar, an dem du dich mit deinem Fußegar gewaltig stoßen kannst, wird nur durch Meinen Willen erhalten; ließe Ichihn einen Augenblick aus Meinem alles schaffenden und erhaltenden Willen, soträte er auch im selben Augenblick völlig aus dem Dasein.[<strong>GEJ</strong>.02_014,07] Du kannst zwar den Stein zerstoßen, kannst ihn mit starkemFeuer sogar gänzlich in eine Luftart auflösen, wie solches lehrt die geheimeApothekerkunst; aber das alles kann mit dem Steine und mit jeder andernMaterie nur geschehen, weil Ich solches zum Nutzen und Frommen derMenschen zulasse. Ließe Ich es nicht zu, so könntest du auch den kleinsten Steinebensowenig von der Stelle heben wie einen Berg. Du kannst einen Stein auchin die Höhe werfen, und er wird je nach dem Maße deiner Kraft und Wurfgeschicklichkeiteine ganz ansehnliche Höhe hinauffliegen; aber wenn er einegewisse, der Wurfkraft angemessene Höhe erreicht hat, so wird er dann alsbaldwieder zur Erde herabfallen. Und siehe, das ist alles Mein Wille und MeineZulassung bis auf einen gewissen Grad, wo es heißt: ,Bis hierher nur und nichtweiter!‘[<strong>GEJ</strong>.02_014,08] Ein Steinwurf zeigt dir ganz handgreiflich, wie weit des— 33 —


Menschen Kraft und Wille reicht. Einige Augenblicke Zeit, – und der schwacheWille des Menschen wird von dem Meinen ergriffen und zurückgetrieben zu dervon Mir von Ewigkeit her bestimmten Ordnung, die bis auf ein SonnenstäubchenGewicht abgewogen ist durch die ganze ewige Unendlichkeit! Wenn abersolches alles rein nur von Meinem Willen und von Meiner Zulassung abhängt,wie sollte es Mir dann etwa nicht möglich sein, ein verstorbenes Mägdleinwieder beleben zu können?[<strong>GEJ</strong>.02_014,09] Gehe aber hinaus und bringe Mir ein Stück Holz und einenStein, und Ich will dir zeigen, wie Mir alle Dinge möglich sind durch die Kraftdes Vaters in Mir!“[<strong>GEJ</strong>.02_014,10] Philopold bringt sogleich einen Stein und ein ganz morschesStück Holz. Und Ich sage zu ihm, immer halblaut redend: „Siehe, Ich hebe denStein und stelle ihn in die freie Luft, und sieh, er fällt nicht! Versuche du ihnaber aus dieser Lage zu schieben!“ – Philopold versucht es; aber der Stein läßtsich nicht um ein Haar verrücken.[<strong>GEJ</strong>.02_014,11] Ich aber sage: „Nun aber werde Ich es zulassen, daß du denStein nach Belieben wirst verrücken können; aber so du ihn freilassen wirst, dawird er alsbald wieder diese Stelle einnehmen und wird sich nach einigenSchwingungen oder plötzlich an dieser gegebenen Stelle festhalten!“[<strong>GEJ</strong>.02_014,12] Sagt Philopold: „Herr, diese Probe unterlasse; denn mir genügtDein heilig Wort!“[<strong>GEJ</strong>.02_014,13] Sage Ich: „Nun gut; Ich will aber nun, daß dieser Steinzunichte werde und dies Holz grüne und zum Vorscheine bringe Blätter, Blüteund Frucht nach seiner Art!“ – Der Stein wird darauf unsichtbar, und das alteHolz wird frisch, grünt, treibt alsbald Blätter, Blüte und am Ende die reifeFrucht, und zwar etliche Feigen, da das Holz einst einem Feigenbaume angehörthatte.[<strong>GEJ</strong>.02_014,14] Alles wird nun auf Mich und den Philopold aufmerksam; denndie meisten Jünger haben schon geschlummert. Jairus und dessen Weib aberkonnten sich an ihrer Tochter nicht satt kosen. Ich und Philopold aber habenunsere Experimente auf einem abseitigen kleinen Tische unter einer schon etwasschwachen Lampenbeleuchtung vorgenommen und wurden daher von Hundertennicht bemerkt; aber als sich Philopold etwas stark zu verwundern begann, dawurde freilich bald eine Menge darauf aufmerksam. Aber Ich empfahl ihnenRuhe, und alles ward wieder ruhig.[<strong>GEJ</strong>.02_014,15] Ich aber befahl wieder dem Steine, daß er sei, und er lagwieder auf dem Tische und ließ aber den Feigenast mit den Früchten, die amMorgen Meine Sarah mit großer Lust verzehrte.“[<strong>GEJ</strong>.02_014,16] Ich fragte aber dann den Philopold, ob er nun im klaren sei.Und er verneigte sich tiefst und sagte: „Herr, nun bin ich ganz zu Hause!“[<strong>GEJ</strong>.02_014,17] Und Ich sagte: „Gut, und so begeben wir uns zur Ruhe!“— 34 —


15. — Philopolds Zeugnis von der Gottheit Jesu[<strong>GEJ</strong>.02_015,01] Es begab sich denn auch Philopold zu der von Mir gebotenenRuhe. Aber natürlich hatte er eben nicht einen besonderen Schlaf, da die Ereignissedes Tages sein Gemüt zu sehr in Anspruch nahmen; zudem waren dieLager auch eben nicht bestens bestellt, da die Pfandnehmer bis auf etwasweniges Stroh nahezu alles in Empfang genommen hatten und wir daher nur dasbuchstäblich leere Haus antrafen. Es waren während der Zeit der Wiedererweckungder Sarah Borus, Meine Brüder und viele andere Jünger wohl sehrbeschäftigt, Lager, Tische, Bänke, Küchen- und Tischgeräte in entsprechenderAnzahl ins Haus zu schaffen; aber für etliche hundert Menschen, von denenfreilich viele teils im Freien und teils in andern Häusern Herberge nahmen, wares dennoch für die Kürze auf natürlichen Wegen nicht möglich, auch nur dasNötigste zu besorgen.[<strong>GEJ</strong>.02_015,02] Und so brachte Ich Selbst diese Nacht auf einer Bank mit einwenig Stroh unter dem Haupte zu – und Philopold gar am Fußboden ohne Stroh.Er war darum morgens auch einer der ersten auf den Füßen; und als ihn Jairus,der mit seinem Weibe und der Tochter Sarah ein ziemlich gutes Strohlager hatte,fragte, wie er am harten Boden doch geruht habe, so sagte[<strong>GEJ</strong>.02_015,03] Philopold: „Wie des Bodens Eigenschaft es zuläßt! Aber eskommt alles auf die Angewöhnung an; in einem Jahre würde sich der Leibsicher mehr damit befreunden als in einer Nacht!“[<strong>GEJ</strong>.02_015,04] Sagt Jairus: „Hättest du mir doch etwas gesagt! Wir hattenStroh in Menge!“[<strong>GEJ</strong>.02_015,05] Sagt Philopold: „Da sieh den Herrn an! Dem alle Himmel undalle Welten gehorchen, und alle Engel auf Seinen Willen sehen! Sein Lager istnicht um ein Haar besser, als da war das meinige!“[<strong>GEJ</strong>.02_015,06] Sagt Jairus, in dem noch eine starke Portion Pharisäismussteckt: „Freund, sagst du da denn doch nicht vielleicht ein bißchen zu viel? Esist wohl nicht zu leugnen, daß dieser Jesus voll des göttlichen Geistes ist, mehrals je ein Prophet vom selben Geiste erfüllt war – denn Seine Taten überrragenhimmelhoch all die Taten Mosis, des Elias und aller andern großen und kleinenPropheten; aber daß in Ihm gerade alle Fülle der Gottheit vorhanden sein soll,scheint mir dennoch eine zu gewagte Annahme! Die Propheten haben auch Toteerweckt durch den göttlichen Geist, dessen sie voll waren; nur haben sie es niegewagt, sich selbst, sondern allzeit nur Gott das Gelingen zuzuschreiben. Dennhätten sie das Gelingen sich zugeschrieben, da wären sie zu groben Sündernwider Gott geworden, und Gott hätte ihnen den Geist genommen. Aber Jesus tutalles wie aus Sich und wie ein Herr, – und das ist wohl, was für deine gewagteAnnahme spricht, und ich bin in gewisser Hinsicht vollends deiner Meinung;aber wie gesagt: mit aller Vorsicht! Denn es könnte solches auch eine unsprüfende Zulassung von oben sein, in der wir uns bewähren müßten, ob wirwohl allein an einen Gott glauben! Aber wenn in Jesus im Ernste alle Fülle der— 35 —


Gottheit wohnte, da freilich müßten wir unter jeder Bedingung Sein Zeugnis alsfür ewig wahr annehmen! – Welcher Meinung bist du nun?“[<strong>GEJ</strong>.02_015,07] Sagt Philopold: „Ich bin vollkommen der letzteren Meinungund glaube, daß Sein Zeugnis über die Fülle der Gottheit in Ihm völlig wahr ist!Er ist es – und kein anderer außer Ihm![<strong>GEJ</strong>.02_015,08] Es läßt sich die Sache besonders in dieser unserer wundertätigenZeit schwer erklären, da man immer sagen kann: ,Ich habe dort und dortMagier gesehen, die wahrlich außerordentliche Taten verübten, und die altenPropheten haben auch Tote erweckt, – ja einer hatte sogar einen Haufen Totengebeinemit Fleisch umgeben und belebt, und so sind Wundertaten noch langekein Beweis, laut dessen man einen Wundertäter für einen Gott anpreisen soll!‘[<strong>GEJ</strong>.02_015,09] Aber hier mit Jesus, dem Herrn, ist es ein ganz anderes! Beiallen Propheten mußten anhaltende Gebete und Fasten einer Wundertat vorangehen,bis Gott sie für würdig hielt, eine Wundertat durch sie verrichten zu lassen;die Magier müssen einen Zauberstab haben und eine Menge anderer Zeichenund Formeln, und dazu haben sie noch eine Menge Salben, Öle, Wässer,Metalle, Steine, Kräuter und Wurzeln bei sich, deren verborgene Kräfte sie wohlkennen und solche bei ihren Produktionen in Anwendung bringen; – aber wo hatje jemand bei Jesus, dem Herrn, so etwas gesehen!? Vom Beten und Fastenkeine Spur, wenigstens die kurze Zeit hindurch, da ich die Gnade habe, Ihn zukennen; von einem Zauberstab und all den andern magischen Mitteln ist nochweniger etwas anzutreffen![<strong>GEJ</strong>.02_015,10] Dabei haben alle Propheten, einer wie der andere, in einer stetsgleichen geheimen Bildersprache geredet und geschrieben, und wer nicht ausihrer Schule war, konnte sie unmöglich verstehen! Ich bin zwar ein Grieche;aber mir ist deshalb eure Schrift nicht unbekannt, und ich kenne Moses und alleeure Propheten! Wer die durchgehends versteht, der muß wahrlich von besonderenEltern herstammen![<strong>GEJ</strong>.02_015,11] Jesus aber spricht die verborgensten Dinge in einer solchenKlarheit aus, daß sie nicht selten ein Kind fassen muß! Er erklärte die Schöpfung,und ich glaubte beinahe schon, selbst eine Welt erschaffen zu können! Woist denn der Prophet und wo der Meister aller Zauberer, daß er führe eineSprache wie Jesus?![<strong>GEJ</strong>.02_015,12] Wer hat noch je eine Silbe von dem verstanden, was derMagier bei seinen Produktionen spricht? In ihren Reden herrscht die dicksteNacht, und in den Reden der Propheten dämmert es wohl hie und da; aber eskennt bei ihrem schwachen Dämmerlichte sich noch niemand aus, was es sei,das er dreißig Schritte vor sich stehen sieht. Hier aber ist alles Sonnenlicht amhellsten Mittage! Was Er spricht, ist alles tiefste göttliche Weisheit, – aber hellund klar vor nahe jedes Menschen Verstand; und was Er will, das geschieht ineinem Augenblick![<strong>GEJ</strong>.02_015,13] Wenn es denn aber sich mit Jesus wahr auf ein Haar so— 36 —


verhält, da weiß ich dann wahrlich nicht, aus was für einem Grunde ich nochirgendein Bedenken tragen sollte, Ihn als den unleugbarsten Herrn Himmels undder Erde anzuerkennen, Ihn zu lieben über alle Maßen und Ihm allein zu gebenalle Ehre!?[<strong>GEJ</strong>.02_015,14] Da sieh her auf den Tisch! Dieser sehr frische Feigenast miteiner Menge vollreifer Früchte ist eine lebendige Erklärung, die Er mir gesterngab, als ich Ihn, während ihr schon schliefet, fragte, wie es Ihm denn dochmöglich sei, völlig Tote zu erwecken. Er verlangte einen schon ganz morschen,also vollends toten Zweig. Ich brachte, was mir in der Nacht zunächst in dieHände fiel. Er rührte das morsche Holz gar nicht an, sondern gebot es bloß, unddas morsche Holz fing an zu grünen, zu blühen – und hier hast du die reifenFrüchte! Nimm und gib sie der allerliebsten Sarah; sie wird sich wohl erlabendaran!“16. — Der Herr begibt Sich in die Synagoge. (Matth. 13)[<strong>GEJ</strong>.02_016,01] Jairus weckt die Sarah, die ohnehin schon wach zu werdenbegann, und überreicht ihr den reichen Zweig, die daran eine große Freude hatund aber auch sogleich in die vollreifen und honigsüßen Früchte beißt und sieverzehrt. Als sie alle verzehrt hat, werde Ich wach auf Meiner Bank.[<strong>GEJ</strong>.02_016,02] Sarah ist wohl die erste, die Mir einen allerherzlichstenMorgengruß bietet, und Ich frage sie, wie ihr die Feigen geschmeckt haben. Undsie sagte voll Freude: „Herr, die waren himmlisch gut und süß wie Honig! Philopold,Dein Freund, gab sie mir in Deinem Namen, und ich verzehrte sie alle;denn sie waren gar zu gut! Du hast sie sicher für mich hergeschafft!?“[<strong>GEJ</strong>.02_016,03] Sage Ich: „Meine allerliebste Sarah! Jawohl, für dich; denn duwarst die Ursache, der zufolge Ich gestern in der Nacht, um dem Freunde Philopoldzu zeigen, wie Ich die Toten erwecke, einen ganz faulen Feigenast belebte,auf daß er für dich, Meine geliebte Sarah, noch einmal trüge süße Früchte, unddu hast darum sehr wohl getan, daß du sie verzehrtest; denn sie werden dir einedauernde Gesundheit vermehren! – Jetzt aber begeben wir uns sogleich insFreie, bis die Zimmer geräumt und gereinigt sind, dann werden wir ein Morgenmahlnehmen und uns dann zum Geschäfte des Tages wenden!“[<strong>GEJ</strong>.02_016,04] Auf diese Worte begibt sich alles mit Mir ins Freie undgenießt da den heiteren und kristallklaren Morgen; und alle waren erbaut vondem schönsten Morgen.[<strong>GEJ</strong>.02_016,05] Es trat aber Jairus zu Mir und sagte: „Herr, meines Dankes sollnimmerdar ein Ende sein! Ehe ich mich je wider Dich sollte verleiten lassen,werde ich meine Stelle niederlegen und ein eifrigster Nachfolger Deiner heiligenLehre sein; und Philopold soll mein Freund bleiben mein Leben lang; denn erstihm habe ich das wahre Licht über Dich zu verdanken. Ein Grieche zwar ist er;aber er ist in unserer Schrift tüchtiger denn ich und all die Schriftgelehrten vonganz Judäa, Galiläa, Samaria und Palästina! Kurz, ich bin nun über Dich ganz— 37 —


im klaren, und es ist in der Tat also, wie ich es mir oft schon ganz heimlichgedacht habe. Ich aber muß nun von hier nach Kapernaum, allwo Geschäftemeiner harren. Dir aber empfehle ich denn auf eine Dir genehme Zeit MeinWeib und die Tochter Sarah! Denn besser als bei Dir wären sie auch im Himmelnicht aufgehoben! Wenn ich aber abends abkommen kann, so werde ich wohlmit Faustus und Kornelius, vielleicht auch mit dem alten Cyrenius, der etwaheute nach Kapernaum kommen soll, hierher kommen! Und so denn empfehleich mich Deiner Liebe, Geduld und Gnade.“ – Darauf empfiehlt er sich beiseinem Weibe und der lieben Sarah, läßt sich darauf seine scharftrabendenMaulesel vorführen, besteigt das stärkste Tier und eilt mit großer Schnelligkeitdavon.[<strong>GEJ</strong>.02_016,06] Ich aber berufe nun alle wieder zum Morgenmahle, und wirbegeben uns in die geräumten und gereinigten Zimmer, allwo ein von Borusbereitetes gutes Mahl unser wartete.[<strong>GEJ</strong>.02_016,07] Nach dem Mahle ruft Mich Borus auf die Seite und sagt:„Mein allerinnigst geliebter Freund! Ich weiß, daß Du schon lange wissenkannst, was ich mit Dir insgeheim besprechen möchte; aber es gibt unter DeinenJüngern einige, die es nicht zu wissen brauchen meiner Ansicht nach, was wir damiteinander zu reden haben, und ich habe Dich bloß darum auf die Seitegebeten!“[<strong>GEJ</strong>.02_016,08] Sage Ich: „Wäre eigentlich gar nicht nötig; denn das, was duMir hier erzählen willst, habe Ich in Kis den Jüngern umständlich erzählt unddarüber Mein Lob offen ausgesprochen. Sie wissen alles, und wir brauchendaher vor ihnen kein Geheimnis zu machen.“[<strong>GEJ</strong>.02_016,09] Sagt Borus: „Ah, wenn so, da rede ich ganz offen!“[<strong>GEJ</strong>.02_016,10] Wir kehren darum wieder zu der Gesellschaft zurück, und Ichsage zum Borus: „Mein allerliebster Freund! Was du Mir sagen willst, weiß Ich,und alle die Jünger wissen es auch, und wir betrachten daher die Sache alsabgetan. – Du hast aber als ein Grieche, der du das Judentum nur frei bekennst,aber nicht unterm Gesetze der Juden stehst, auch mit all den Pharisäern leichtreden; wärest du aber ein wirklicher Jude durch die Beschneidung und dasGesetz, da hättest du deiner Zunge einen starken Zaum anlegen müssen. Aber eswar also recht, wie du geredet hast, und so lassen wir die Sache nun in den Sandgeschrieben sein. – Nun aber führe Mich in die Schule von Nazareth! Ich werdedas Volk lehren, auf daß es erkenne, um welche Zeit es nun sei!“ (Matth.13,54).[<strong>GEJ</strong>.02_016,11] Fragt die Mutter Maria, ob Ich mittags nach Hause kommenwerde.[<strong>GEJ</strong>.02_016,12] Sage Ich: „Sorge dich nicht, ob ich komme; es ist genug, daßIch alle Sorge auf Mich nehme! Am Abend aber werde Ich kommen.“[<strong>GEJ</strong>.02_016,13] Fragt die Sarah, ob sie mit Mir gehen dürfe in die Schule.[<strong>GEJ</strong>.02_016,14] Sage Ich: „Allerdings, gehe du nur, obschon nach dem Gesetze— 38 —


das Weib die Schule nicht betreten soll in männlicher Gesellschaft. Es soll abernun alles anders werden; denn es hat das Weib gleichwie ein Mann das volleRecht auf Meine Liebe und Gnade, die von Gott dem Vater ausgeht durch Mich.Und so gehe du nur ganz heiter, fröhlich und voll Zuversicht mit, und lerne inder Schule mit erkennen, um welche Zeit es nun sei, – und so gehen wir! Du,Sarah, aber bleibst an Meiner Seite und wirst Mir dienen als ein kräftiger Zeuge!Darum behalte auch dies Grabkleid an deinem Leibe; denn auch das Kleid wirdMir ein Zeuge sein! – Nun aber gehen wir!“[<strong>GEJ</strong>.02_016,15] Auf diese Meine Worte begeben wir uns sogleich in dieSchule.17. — Der Herr erklärt einen Jesaja-Text[<strong>GEJ</strong>.02_017,01] Als Ich in die Schule trete, saßen bei zehn Älteste vonNazareth mit mehreren Pharisäern und Schriftgelehrten an einem großen Tischeund berieten gerade aus Jesajas die Verse, die also lauteten: ,Waschet und reinigeteuch; tut hinweg euer böses Wesen von Meinen Augen, und lasset ab vonder Sünde! Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht; helfet den Unterdrückten,schaffet den Waisen Recht und helfet der Witwen Sache! – So kommt dann undlaßt uns miteinander rechten, spricht der Herr. Wenn eure Sünde gleich blutrotist, soll sie doch schneeweiß werden, und so sie gleich ist wie Rosinfarbe, sollsie doch wie Wolle werden. Wollt ihr Mir gehorchen, so sollt ihr des Landes Gutgenießen. Weigert ihr euch aber und seid Mir ungehorsam, so soll euch dasSchwert fressen; denn also spricht der Mund des Herrn! – Wie aber geht das zu,daß die fromme Stadt zur Hure geworden ist? Sie war voll Rechts und Gerechtigkeitwohnte darinnen, und nun wohnen da Mörder! Dein Silber ist zu Schaumgeworden und dein Getränk mit Wasser vermischt. Deine Fürsten sind Abtrünnigeund Diebsgesellen; sie nehmen gerne Geschenke und trachten nach Gaben;den Waisen aber schaffen sie nicht Recht, und der Witwen Sache kommt nichtvor sie! Darum spricht Jehova, der Herr Zebaoth, der Mächtige in Israel: Owehe, Ich werde Mich trösten durch Meine Feinde, und rächen durch MeineFeinde!‘ (Jes.1,16-24). Solcher Verse Sinn berieten sie und kamen nicht insklare.[<strong>GEJ</strong>.02_017,02] Da trat Ich vor und sagte zu ihnen: „Was sinnet ihr darüber,was doch so klar als die Sonne des Mittags vor euch in aller Tat enthüllt steht?Beschauet eure Waisen, eure Witwen! Wie sind sie bestellt? Statt für sie zusorgen, nehmt ihr ihnen noch das weg, was sie haben; und die armen Waisenverkauft ihr als Sklaven an die Heiden, wie ihr solches erst vor etlichen Tagenauf einem geheimen Wege ins Werk setzen wolltet und auch ins Werk gesetzthättet, wenn euch nicht der Zöllner Kisjonah daran ganz gewaltig gehinderthätte.[<strong>GEJ</strong>.02_017,03] Wohl spricht der Herr: ,Kommt und lasset uns miteinanderrechten! Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden,und so sie gleich ist wie Rosinfarbe, soll sie wie weiße Wolle werden!‘ – aber— 39 —


Ich frage: wann und unter welcher Bedingung? Wie sieht es aus mit euch undmit der frommen Stadt, die auch ,die Stadt Gottes‘ heißt? Wie viele Sünden derallergröbsten und himmelschreiendsten Art sind darin schon begangen worden,und wie viele werden jetzt begangen!?[<strong>GEJ</strong>.02_017,04] ,Waschet und reiniget euch und tuet weg von Meinen Augeneuer böses Wesen!‘, sprach Jehova durch des Propheten Mund. Wohl waschetihr euren Leib des Tages siebenmal und reiniget eure Kleider und übertünchetjährlich zwei- bis dreimal eurer Verstorbenen Gräber; aber eure Herzen bleibenverstockt und sind voll Unflates, und daher kommt es, daß ihr euren übertünchtenGräbern gleichet, die von außen geziert und gereinigt aussehen, inwendigaber voll Ekelgeruchs, voll Totengebeine und voll stinkenden Moders sind![<strong>GEJ</strong>.02_017,05] Der Prophet sprach von der Reinigung eurer Herzen undermahnte euch, hinwegzutun eure Sünde vor dem allsehenden Auge Gottes; aberihr habt diesen Sinn noch nie in euer Herz aufgenommen und reinigtet daherbloß eure Haut und ließet euer Herz versinken in allen Unflat der Hölle! O duUnart der Hölle, wer hat dich je solches gelehrt?![<strong>GEJ</strong>.02_017,06] Wohl saget ihr: ,Der Bock, den Moses und Aaron anbefohlenhaben, wird bis zur Stunde alljährlich mit den Sünden von ganz Israel belegt,dann geschlachtet und in den Jordan geworfen!‘ (3. Mose 16). O ihr Blinden!Was kann denn der Bock dafür, daß ihr sündiget fort und fort und euch nichtbessert in euren Herzen?[<strong>GEJ</strong>.02_017,07] Diese Handlung war nur ein Bild, aus dem ihr schon langehättet lernen sollen, daß der Bock nur eure argen, weltlichen Gelüste anzeigt,dergleichen da sind euer Hochmut, der gleich dem Bocke stößig und über dieMaßen stinkend ist, eure Hurerei und eure Unflätigkeit in allen Dingen, euerGeiz und Neid und eure Scheelsucht! Mit der Vernichtung des Sündenbockshättet ihr für immer euren Herzensbock vernichten sollen, so hättet ihr Mosisund Aarons Gebot lebendig erfüllt und dadurch dessen Segen unfehlbar geerntet!So aber habt ihr wohl die Böcke getötet, das euch nichts nützen konnte, abereure sündevollsten Herzen sind euch geblieben; darum hat Jehova SeineDrohung ausgeführt und wird sie fürder noch mehr ausführen, wann euer bösesMaß voll sein wird.[<strong>GEJ</strong>.02_017,08] Schön ist es ja, daß nun die Heiden dem Volke Recht schaffenmüssen und sorgen für dessen Witwen und Waisen! Aber es ist darum auchwahr, wie der Prophet spricht: ,Ich werde Mich trösten durch die Feinde, das dieHeiden sind, und werde Mich rächen durch sie!‘ Wohin ist eure Macht gekommenund verlaufen eure Stärke? Ein kleiner Haufe Heiden beherrscht das einstso mächtige Gottesvolk! Pfui der ewigen Schmach und Schande! Die Kinder derSchlange sind weiser und biederer denn ihr Kinder des Lichtes.[<strong>GEJ</strong>.02_017,09] Darum aber wird es auch in Kürze kommen, daß dieser heiligeBoden den Heiden wird überantwortet werden, und ihr sollt fürder nimmerhaben weder ein Land und noch weniger einen König; sondern fremden Tyrannensollet ihr als Sklaven dienen, und eure edlen Töchter sollen von den Heiden— 40 —


und Knechten der Heiden beschlafen werden, und ihre Frucht soll gehasset seinwie das Gezüchte der Schlangen und Ottern![<strong>GEJ</strong>.02_017,10] Da beratet ihr aus dem Propheten, der für euer Herz geschriebenhat, wie ihr die Zeremonie glänzender machen möchtet bei der Handlungder nichtigen Waschung und Reinigung eurer Leiber, Kleider und Gräber, aufdaß euch die Zeremonie desto reichere Opfer abwerfe; aber des möget ihr nichtinnewerden, was Gott allein wohlgefällig wäre! O ihr argen Knechte desTeufels! Dem dienet ihr mit eurer Zeremonie – und werdet darum von ihm einstauch den Lohn im Pfuhle ernten, wie ihr ihn auch allzeit verdient habt.[<strong>GEJ</strong>.02_017,11] Man reinigt den Leib, wann es nötig ist, ein-, zwei-, auchdreimal des Tages und reinigt die Kleider, so sie schmutzig sind; denn solcheshat Moses verordnet zur Gesundheit des Leibes. Also überdeckt man auch dieGräber gut eine Handspanne dick mit Ziegellehm und übertüncht solcheLehmdecke, wann sie trocken geworden ist, etliche Male mit gutem Kalk, aufdaß die Decke nicht Sprünge bekomme, durch die besonders in den erstenJahren der Verwesung die schädlichen Dünste leicht durchkommen könnten undanrichten allerlei schädliche Krankheiten bei Menschen, Tieren und Pflanzen.[<strong>GEJ</strong>.02_017,12] Seht, darum ist das Übertünchen der Gräber anbefohlen, wasdoch mit Händen zu greifen ist! Wie mochtet ihr denn daraus eine gottesdienstlicheHandlung machen?! O ihr Unsinnigen, ihr Narren! Was sollte denn das derSeele des Verstorbenen nützen?!“18. — Vom Wesen Gottes und Seiner wahren Anbetung[<strong>GEJ</strong>.02_018,01] (Der Herr:) „So der Mensch stirbt, wird die Seele aus demLeibe genommen und, allein als ein Geistmensch für sich dastehend, an einenOrt hinkommen, der ihrem ganzen Lebenswesen vollkommen entspricht; und eswird ihr da nichts helfen als ihr freier Wille und ihre Liebe. Ist der Wille und dieLiebe gut, so wird auch der Ort gut sein, den sich die Seele selbst also zurichtenwird durch die von Gott ihr eingepflanzte Kraft und Macht; ist aber Wille undLiebe schlecht, so wird auch deren Werk schlecht sein – also, wie auf der Erdeein schlechter Baum keine guten und ein guter Baum keine schlechten Früchteträgt. Gehet hin und schmücket mit Gold und Edelgestein einen Dornstrauch,und sehet, ob er euch darum Trauben bringen wird! Ob ihr aber die Rebe mitGold zieret oder nicht, so wird sie dennoch süße Trauben voll Wohlgeschmackals Frucht bringen.[<strong>GEJ</strong>.02_018,02] Wenn aber also und unmöglich anders, da fraget euch selbst,was das Übertünchen der Gräber, darin nichts als Modergebein und ekeligerUnflat rastet, den Seelen der Verstorbenen nützen solle oder könne![<strong>GEJ</strong>.02_018,03] Glaubt ihr denn im Ernste, Gott sei so schwachsinnig und eiteltöricht, daß Er Sich dienen lasse durch eitelstes und nichtigstes Gepränge derMaterie durch Materie?![<strong>GEJ</strong>.02_018,04] Ich sage euch: Gott ist ein Geist, und die Ihm dienen wollen,— 41 —


müssen Ihm im Geiste und in vollster, lebendiger Wahrheit ihres Herzensdienen, nicht aber in der Materie mit der Materie, die nichts ist als ein auf einegewisse Zeit gefesteter Wille des allmächtigen Vaters![<strong>GEJ</strong>.02_018,05] Was würdet ihr aber zu einem Menschen sagen, der zu euchkäme und verlangte noch einen Lohn darum, daß er euch die Saat verwüstet hat,aber dazu noch behauptete, daß er euch einen guten Dienst geleistet habe?! –Sehet, was ihr zu solch einem kecken Narren sagen würdet, das wird euch auchdereinst der Vater im Jenseits sagen, und ihr werdet von Ihm weichen müssenund dazu noch in die äußerste Finsternis hinausgestoßen werden, allwo Heulenund Zähneknirschen euer Lohn sein wird![<strong>GEJ</strong>.02_018,06] Wie ihr aber für der Witwen Sache sorget, dafür dient alsBeweis vorerst Meine Mutter Maria, der ihr alles genommen habt, und danachtausend andere, mit denen ihr es nicht besser getrieben habt und noch treibt![<strong>GEJ</strong>.02_018,07] Ist es denn nicht himmelschreiend, daß Jüdinnen bei denHeiden ihr Recht suchen müssen und es auch erhalten? Muß es nicht recht lustigfür den Satan sein, daß seine Kinder nun die Kinder Gottes an Recht undGerechtigkeit himmelweit übertreffen? Ja, es sollen denn fürder auch dieWeltkinder zu Gotteskindern werden; ihr aber sollet darum Kinder dessen sein,dem ihr noch allzeit treu gedient habt![<strong>GEJ</strong>.02_018,08] Habt ihr denn, da ihr schon den Jesajas leset, nicht gefunden,allwo er spricht:[<strong>GEJ</strong>.02_018,09] ,Ich habe Wohlgefallen an der Barmherzigkeit und nicht amBrandopfer!‘ und wieder: ,Dies Volk ehrt Mich mit den Lippen; aber ihr Herz istferne von Mir!‘[<strong>GEJ</strong>.02_018,10] So ihr saget: ,Dies hat Gott geredet durch den Mund derPropheten!‘, welche Achtung müßt ihr wohl vor Ihm haben, daß ihr allzeit eureschnödesten Satzungen den Geboten Gottes vorziehet, nur die eurigen zu euremWeltnutzen beachtet, die göttlichen aber mit Füßen tretet?! – O ihr Argen, ihrallzeitigen Knechte des Teufels! Wie wollt ihr einst vor dem Gerichte Gottesbestehen?! Wahrlich, den Sodomitern wird es besser ergehen denn euch! Dennwären dort und damals solche Zeichen geschehen, wie sie bei euch schongeschehen sind, sie hätten in Sack und Asche Buße getan, und Gott hätte sienicht mit Feuer und Schwefel vom Himmel gerichtet! – Wehe euch, die Zeit istnahe gekommen, und es wird mit euch werden, wie Ich es euch vorhergesagthabe!“19. — Die Frechheit und Verwirrung der geistig blinden Pharisäer .[<strong>GEJ</strong>.02_019,01] Hier erheben sich ärgerlichst die Ältesten, die Pharisäer undSchriftgelehrten und sagen: „Was unterfängst du Milchbart dich, mit uns zurechten? – Welche Zeichen sind denn hier geschehen?“[<strong>GEJ</strong>.02_019,02] Sage Ich, ihnen die all diesen Schul- und Schriftrittern überaus— 42 —


wohlbekannte Sarah vors Angesicht stellend: „Kennet ihr dies Mägdlein, undwisset ihr, was zum zweiten Male vor sich gegangen ist mit ihr?“[<strong>GEJ</strong>.02_019,03] Hier machen sie alle große und sehr verdutzte Augen undsagen still unter sich: „Beim Himmel, das ist des Obersten Tochter, wie siegeleibt und gelebt hat! Hat er sie denn wieder erweckt? Wie ist das zugegangen?Wenn er sie aber erweckt hat, diesmal als wirklich tot zum zweiten Male, – wastun wir da? Jairus scheint mit ihm zu sein, sonst hätte er ihm seine allergeliebtesteTochter sicher nicht anvertraut! Oder weiß er etwa nichts davon?! Hat sieetwa der Sohn Josephs heimlich erweckt und will sie dem Jairus bei irgendeinerGelegenheit wieder zuführen? Sollten wir etwa davon dem Jairus eine Nachrichtgeben? Diese Sache ist zu auffallend! – Sie ist es, ohne allen Zweifel ist sie es!Und doch waren wir alle bei ihrem Begräbnisse zugegen, sowie auch zuvor inKapernaum, als sie gestorben ist! Was ist da zu tun? Was wird daraus werden,wenn dieser Mensch- Gott durch was immer für eine Kunst oder Macht solchunerhörte Dinge vollbringt?“ – Hier verstummen sie.[<strong>GEJ</strong>.02_019,04] Ich aber sage, sie alle scharf ansehend: „Nun, was sagt euerböses Herz dazu? Ist dies Zeichen genügend oder nicht, euch die Wahrheitdessen zu bestätigen, was Ich zu euch geredet habe?“[<strong>GEJ</strong>.02_019,05] Sagen die Ältesten: „Wir sind weder Ärzte noch Apotheker,die die Kräfte der Natur erforschen und sie in ihrer Kunst zu benutzen verstehen;ebensowenig sind wir mit der Zauberei, die man vom Teufel erlernen kann,vertraut, weil so etwas die größte Sünde vor Gott wäre, und können daher nichtwissen, durch was für Kunst oder Macht du sie erweckt hast! Es ist daher ausgemacht,daß wir uns durch derlei Zeichen nicht können irremachen lassen inunserem Glauben an Moses und die Propheten, sowie in der Auslegung derSchrift, die vom Tempel aus als beim Himmel geschworen autorisiert ist!Zeichen wirken jetzt verschiedene Magier, die teils von den Morgenlanden zuuns kommen, und viele aus Ägypten; alle leisten Wunderdinge, die kein Judebegreift, auch nicht begreifen will und darf, weil alle derlei zauberische Dingevom Teufel herrühren! Und somit ist hier unter einem soviel gesagt als: DeineZeichen, weil sie auch der Zauberei angehören können, haben für uns keinenWert und beweisen uns nur so viel, daß du sie glücklich auszuführen verstehstund daher darin ein vollkommener Meister bist; aber daß wir deiner Zeichenwegen deine Lehre, vor der es uns ekelt, annehmen sollen, das sei ferne von uns!Denn ein Arzt ist uns noch lange kein Priester, und noch weniger ein Prophet –und du schon am wenigsten, da wir dich schon seit nahe dreißig Jahren kennen,so wie wir deinen Vater gekannt haben! Siehe daher, daß du mit deinen Müßiggängernbald aus der Schule kommst, ansonst wir Gewalt brauchen müßten!“[<strong>GEJ</strong>.02_019,06] Spricht die Sarah: „Herr, ich bitte Dich, verlaß diese Elenden!Denn sie sind verstockter als Steine, finsterer als jede Nacht und liebloser als einAbgrund! Zweimal hast Du mir das Leben wiedergegeben, und für dieseElenden ist das nichts! Sie halten das noch dazu für eine gotteslästerliche Zaubereiund wagen es in ihrer allergröbsten Blindheit, Dich sogar aus der Schule zu— 43 —


weisen! Herr, das ist zu arg! Gehen wir, gehen wir! Es ist mir in dieser ElendenNähe, als stünde der Satan vor uns!“[<strong>GEJ</strong>.02_019,07] Sage Ich: „Meine allerliebste Sarah! Sei du nur ruhig! SolangeIch es will, werden wir hier verweilen; denn Ich bin ein Herr! Nennen sich dochdie Mächtigen der Erde ,Herren‘ – und haben oft sehr wenig Macht; Ich aberhabe alle Macht über Himmel, Hölle und über die ganze Erde! Ich bin darumauch ganz gut ein Herr und lasse Mir ewig nichts gebieten! Was Ich tue, das tueIch frei; denn Ich bin vollkommen ein Herr!“[<strong>GEJ</strong>.02_019,08] Als die Ältesten das hören, reißen sie ihre Gewänder auseinanderund schreien: „Hinweg mit dir! Denn nun haben wir es klarst vernommen,daß du ein Gotteslästerer bist! Deine Werke verrichtest du durch BeelzebubsHilfe und willst dadurch und dafür mit deiner Lehre die Völker von Moses undvon Gott abwendig machen; es bleibt uns daher nichts übrig, als dich mitSteinen aus der Welt zu schaffen!“20. — Der Templer Angst vor dem römischen Gericht[<strong>GEJ</strong>.02_020,01] Es waren aber in allen Schulen wie auch im Tempel für denZweck der Steinigung Steine vorhanden, und so denn auch in dieser Schule inNazareth. Da die Ältesten, Pharisäer und Schriftgelehrten dieser Stadt zu blinderbittert waren, so griffen sie nach den Steinen, um sie nach Mir zu werfen.Aber da erhoben sich die Jünger alle und bedrohten die Tollen; diese aber fingenan zu schreien und machten noch ärgere Mienen, die aufgehobenen Steine nachMir zu werfen. In diesem Augenblick traten Faustus, Kornelius, Jairus und deralte Cyrenius in den großen Schulsaal.[<strong>GEJ</strong>.02_020,02] Als die Wütenden diese für sie ganz erschrecklich großenHerren bemerkten, die ihnen wohlbekannt waren, so legten sie sogleich ihreMordwerkzeuge nieder und fingen an, sich ganz entsetzlich tief zu verneigen.[<strong>GEJ</strong>.02_020,03] Jairus eilt sogleich zu Mir und zur Sarah hin, umarmt Michund sagt sogleich laut zum Cyrenius: „Hier steht Er, der große Mensch derMenschen, und hier meine geliebte Tochter Sarah, die Er zweimal vomvollkommensten Tode erweckte!“[<strong>GEJ</strong>.02_020,04] Da tritt der alte Cyrenius zu Mir hin, bekommt Tränen in dieAugen und spricht: „O mein Gott und mein Herr! Mit welchen Worten soll ichals ein armer, schwacher Mensch Dir danken für alle die endlos großen Gnaden,die Du mir hast angedeihen lassen?! O wie glücklich bin ich, daß meine Augennoch einmal das unschätzbare Glück haben, Dich, Du mein heiliger Freund, zusehen! Seit mehr als zwanzig Jahren hörte ich nichts mehr von Dir, trotzdem daßich an jedem Tage viele Male an Dich dachte und mich auch zu öfteren Malennach Dir angelegentlichst erkundigte![<strong>GEJ</strong>.02_020,05] Ach, wie sehr doch war ich vor wenigen Tagen noch betrübt,als der Kaiser vollernstlichst von mir die unglückseligsten Steuergelder ausPontus und Kleinasien zu fordern begann und ich nicht wußte, wohin sie gekom-— 44 —


men sind! Aber wie glücklich, ja wie unaussprechlich glücklich war ich, als voretwa drei Tagen nicht nur die in Verlust geratenen Steuern, sondern noch einebei weitem größere Menge von unschätzbaren Schätzen in Gold, Silber, Perlenund Edelsteinen mir durch meine biederen Freunde Faustus und Korneliuseingesandt worden sind, und das alles durch Deine heilige Vermittlung![<strong>GEJ</strong>.02_020,06] Mein Herr, mein heilig größter Freund Jesus! O sage mir doch,was ich denn nun tun soll, um Dir die zu ungeheuer große Schuld nur ein wenigabtragen zu können! Möchtest Du meine Oberlandpflegerkrone auf Dein Hauptsetzen, o mit welch unnennbarer Freude und Würde möchte ich sie Dir zuDeinen heiligen Füßen legen![<strong>GEJ</strong>.02_020,07] Wahrlich wahr, Herr, Du mein Leben, es liegt mir, wie es Dirsicher nur zu bekannt ist, ganz entsetzlich wenig an den eitlen Schätzen dieserErde; wäre das mein, was ich schon nach Rom abgesandt habe, so wäre damitschon lange vielen Tausenden armer Leute geholfen worden! Aber es war desKaisers, und es mußte mir alles daran gelegen sein, ihm das Verlangte aufzubringen!Wie aber wäre solches je möglich gewesen ohne Dich und hernachohne meinen lieben Faustus und Bruder Kornelius!? – Oh, eine Weltlast habt ihrvon meiner Brust abgewälzt! Nun heißt es lohnen und vergelten, was da nurimmer in meiner Macht steht! – O rede, rede, Du heiligst großer Freund derMenschen, was ich nun tun soll!“[<strong>GEJ</strong>.02_020,08] Bei dieser glänzenden Ansprache des Cyrenius an Michwerden die, die Mich ehedem steinigen wollten, leichenblaß und fangen an zubeben, als ob sie ein überaus starkes Fieber ergriffen hätte, da sie meinten, Ichwerde nun vollste Rache nehmen an ihnen und sie verklagen beim Cyrenius, densie alle mehr fürchteten als den Tod; denn er verstand allzeit keinen Scherz!Bekanntlich waren die römischen Richter über alle Maßen streng in der Ausführungihrer gefällten richterlichen Aussprüche und Urteile; darum hatten dieJuden denn auch eine unbeschreibliche Furcht vor ihnen, – besonders aber diesenazaräischen Ältesten, Pharisäer und Schriftgelehrten, von denen einige Mitwisserwaren von dem römischen Steuerraube.[<strong>GEJ</strong>.02_020,09] Ich aber sagte in großer Freundlichkeit zum Cyrenius: „Meinstdu denn, der Mann hätte vergessen, was du dem Kinde getan hast, als es vorHerodes fliehen mußte aus Bethlehem nach Ägypten? Oh, der Mann erinnertsich gar wohl alles dessen! Du hast Mir alles ohne Interesse getan, weil du Michliebtest, – und Ich sollte von dir nun irgendeinen Lohn begehren? Nein, das seiewig ferne von Mir! Aber da du schon als ein Stellvertreter des Kaisers überAsien zu gebieten hast, so gebiete diesen widerspenstigen, nicht Gottes-,sondern Satansdienern, daß sie von allem, was Ich hier gewirkt habe, schweigensollen wie eine Mauer, widrigenfalls sie aufs schärfste gezüchtiget werdensollen! Denn ein jeder, der wider seinen Nächsten einen Stein aufhebt, sollgezüchtigt werden auf das schärfste!“[<strong>GEJ</strong>.02_020,10] Sagt Cyrenius: „Haben diese Elenden etwa gar gewagt, widerDich Steine aufzuheben?“— 45 —


[<strong>GEJ</strong>.02_020,11] Sagt die Sarah: „Ja, ja, hoher Cyrenius! Den Herrn haben dieElenden steinigen wollen, weil Er ihnen die Wahrheit gesagt hat! Sie nennensich ,Gottesdiener‘ und sind dabei die größten Gottesleugner; denn nur ihrehöchst selbst- und herrschsüchtigen Satzungen halten sie und geben ihnen durchschändlichste Gewalttaten den göttlichen Schein![<strong>GEJ</strong>.02_020,12] Wer sich von ihnen nicht durch den Trugschein blenden läßt,der wird mit schändlichster Gewalt blind gehalten und hat keine Freiheit mehrauf der lieben Gotteserde! Man lese nur Moses und die Propheten und lesedagegen ihre Satzungen, und man wird mit gar leichter Mühe finden, was ich alsein Mädchen von noch nicht sechzehn Jahren schon lange gefunden habe!Wahrlich, wer an Moses und die Propheten hält, der ist ihr größter Feind! Erwird gleich den Samaritern, die noch reine Mosaisten und Jünger der Prophetensind, täglich von neuem für verflucht angesehen und von den Templern alsogehaßt werden, daß sein wie ihr Name im Munde eines Juden den größten Fluchzu bedeuten hat![<strong>GEJ</strong>.02_020,13] Ich aber frage nun als ein junges Mädchen: Ist das GottesWort, ist das ein Gottesdienst? Jesus hat es ihnen klar bewiesen, daß das nur einWort der Hölle sein kann und ein Dienst, wie ihn nur der Satan wünschen kann;und darum wollten sie Ihn denn auch steinigen, weil Er ihnen zu sehr dieWahrheit gesagt hat vor dem Volke, das ihnen am Ende denn doch ihr reichesEinkommen schmälern könnte![<strong>GEJ</strong>.02_020,14] Hoher Herr! Ich war schon zwei Male völlig jenseits, und ichweiß es, was meine Seele gesehen hat. Ich sah Moses und all die guten Propheten!Diese hatten Frieden, und ihre Freude ist diese Zeit, die sie den ,großen Tagdes Herrn‘ nennen. Aber auch nicht einen Pharisäer und Schriftgelehrten sah ichunter den Heiligen Israels! Ich fragte daher, wo diese wären.[<strong>GEJ</strong>.02_020,15] Da kam ein lichter Engel und hieß mich, ihm zu folgen. Undich folgte ihm. Bald standen wir an einem höchst düsteren Ort; es war kaum sohell wie in einer umwölkten Nacht. In tiefer Ferne sah es sehr glühend aus, undder Engel sprach zu mir: ,Dort siehe hin! Das ist der Pfuhl, allwo die wohnen,nach denen du fragtest!‘ Und ich sah hin, erblickte nichts als Teufel und sagtezum Engel: ,Bote des Herrn! Ich sehe pur Teufel und sonst niemand! Wo sinddenn hernach die, um die ich gefragt habe?‘ Da antwortete der Engel: ,Die dusiehst, die sind es!‘[<strong>GEJ</strong>.02_020,16] Da erschrak ich gewaltig und gedachte meines Vaters, der garein Oberster der Pharisäer ist; aber der Engel merkte, was mich beben machte,und sprach: ,Sei unbesorgt! Dein Vater kommt auf den rechten Weg, und duwirst ihm noch einmal zu einem Führer werden auf Erden!‘[<strong>GEJ</strong>.02_020,17] Solches habe ich gesehen und gehört und weiß darum, was ichweiß, nicht vom Hörensagen, sondern aus der Erfahrung! Ich brauche daher vondiesen Dummköpfen und argen Knechten des Satans nichts zu lernen; denn ichhabe es gesehen und gelernt die Wahrheit lebendig und kann daher als eine, dievon drüben zurückgekommen ist, zur Steuer der ewigen Wahrheit dessen, was— 46 —


Jesus, der Herr von Ewigkeit, lehrt, bezeugen, daß alles, was diese schwarzenLehrer sagen und lehren, die vollkommenste Lüge ist, und ist nicht ein wahresHäkchen daran! – Ich habe geredet.“21. — Cyrenius und die Templer[<strong>GEJ</strong>.02_021,01] Sagt Cyrenius: „Habt ihr von einer vom Tode Wiedererstandenenvernommen ein Zeugnis wider euch, was euch schwerer inkriminiert(beschuldigt) denn aller Raub und Mord? Was soll ich denn auf diese höchstwahre Anschuldigung mit euch machen? Ans Kreuz hängen wäre viel zu wenig!Euch bis zu den Knochen einen vollen Tag hindurch geißeln und euch dann erstdie Köpfe abschlagen lassen, wäre auch noch viel zu gelinde! Aber ich weißschon, was ich tun werde, und ihr werdet mit mir ganz zufrieden sein können!“ –Auf diese Anrede des Cyrenius werden alle leichenblaß und fangen ganzentsetzlich an zu heulen und zu bitten.[<strong>GEJ</strong>.02_021,02] Cyrenius aber fragt Mich heimlich, ob er über die Argen imErnste eine Strafe verhängen solle, nebst dem Verdikte (Wahrspruch), lautdessen ihnen über all das Vorgefallene ein ewiges Stillschweigen aufgetragenwerde.[<strong>GEJ</strong>.02_021,03] Sage Ich: „Erlaß bloß das Verdikt mit einer ernsten Bedrohung,die sie bei der ersten Übertretung ohne alle weitere Gnade zu gewärtigenbekommen sollen! Darauf entlasse sie!“[<strong>GEJ</strong>.02_021,04] Cyrenius tritt vor, gebietet zu schweigen und sagt hernach:„Höret mich nun an, ihr argen Wichte! Diesem hier, den ihr steinigen wolltet derheiligen Wahrheit wegen, die aus Seinem Munde an euch erging, habt ihr esallein zu danken, daß ich euch nicht samt und sämtlich in die Wüste treiben unddaselbst auf Felsen, die ringsum mit Abgründen umgeben sind, setzen und dieAugen ausstechen ließ! Aber so es einer wagen sollte, von all dem, was sichzugetragen hat, auch nur eine Silbe aus der Schule zu schwätzen, entwedermündlich oder schriftlich oder durch Gebärden, Mienen oder Handzeichen, andem wird unerbittlichst die schärfste Strafe in Vollzug gesetzt werden![<strong>GEJ</strong>.02_021,05] So werde ich es auch nicht ungeahndet lassen, so ich erfahre,daß ihr durch ungesetzliche Erpressungen das Volk quälen solltet und verfolgenmöchtet die göttliche Wahrheit eurer schändlichen, selbstsüchtigen Satzungenhalber! Lehret das Volk Gott und dessen Gesetze kennen und danach handeln,so werdet ihr ebenso angesehen sein, wie dieser göttliche Mann Jesus es ist, derdurchaus keine neue, sondern nur die uralte Lehre von Gott den von euch in dietiefste Nacht versenkten Völkern verkündet, was Er um so leichter und wahrertun kann, da Er – was ihr nicht begreifet, aber ich als ein von euch deklarierterHeide ganz wohl begreife – im Geiste Selbst Der ist, der nach eurer Lehre aufSinai vor etwa tausend Jahren dem Moses für euch die Gesetze gab! Hütet euchdaher, diesen Heiligen zu verfolgen; denn solch eine Verfolgung würde euch dasdoppelte Leben kosten, hier leiblich und jenseits geistig! – Habt ihr mich— 47 —


verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_021,06] Sagen alle die Betreffenden: „Ja, hoher Herr, und wir wollenalles tun, was du von uns verlangst! Aber du weißt es ja, daß wir Menschenkeine Götter sind und allerlei Schwachheit an uns haben; wenn sich jemanddenn doch möglicherweise in irgendwas und -wo ein wenig verginge, so wolledu, als selbst Mensch, uns auch nur menschlich zur Rechenschaft ziehen undstrafen!“[<strong>GEJ</strong>.02_021,07] Sagt Cyrenius: „Griechische Kaufleute und Krämer pflegenwohl mit sich handeln zu lassen, – aber die Römer nie! Dies bedenket wohl undhandelt danach, so werdet ihr keiner Nachsicht benötigen; denn nur durchscharfe und unerbittliche Gesetze werden die Menschen stark und werdenHelden der Ordnung und werden eines Sinnes und voll Eifer in allen gesetzlichenBestrebungen![<strong>GEJ</strong>.02_021,08] Hätte der Soldat nicht die unerbittlich schärfsten Gesetze, sowäre er ein Feigling, und so es hieße, den Feind verfolgen, bekämpfen undbesiegen, da hätte der Feind eine gute Zeit – und mit dem notwendigen Schutzedes Vaterlandes hätte es seine geweisten Wege! Aber so das eherne Gesetz demSoldaten auf Tod und Leben jeden Schritt und Tritt vorschreibt, was er vor demFeinde zu tun hat, so tut er es sicher! Denn täte er es nicht, so wäre der Tod seinLos; tut er aber, was ihm geboten ist, so ist ihm der Tod durch den Feindungewiß, und er kann als Sieger und gekrönter Held aus der Schlacht hervorgehen![<strong>GEJ</strong>.02_021,09] Das ist denn in Rom strengste Regel: ,Ein strenges Gesetzmacht auch strenge und ordentliche Menschen.‘ Daher lassen wir denn auchkein Häkchen groß mit uns handeln, und jeder Mensch steht ohne Rangesrücksichtvor dem Gesetze! Ihr wißt nun meine gesetzliche Gesinnung. Tut danach,so seid ihr frei im Gesetze; tut ihr es aber nicht, so wird das Gesetz euch richtenohne alle Gnade darum, weil es ein Gesetz ist.[<strong>GEJ</strong>.02_021,10] Die ganze Erde und alles, was in und auf ihr ist, besteht nurdurch die ewige Unbeugsamkeit des göttlichen Willens. Ließe Gott nur imgeringsten mit Sich handeln, wie sähe es im nächsten Augenblick mit der Erdeund mit uns allen aus? Da ginge alles aus den Fugen![<strong>GEJ</strong>.02_021,11] Ebenso erginge es einer staatlichen Völkergesellschaft; würdeda nur ein Gesetz gelockert, so würden auch die andern ihre Kraft und Festigkeitverlieren, und das große Staatsgebäude würde nur zu bald zu einer Ruine! Alsobleibt es unabänderlich bei meiner euch gemachten Androhung!“[<strong>GEJ</strong>.02_021,12] Auf solch entschiedene Erwiderung des Oberstatthaltersmachten die Ältesten und die Pharisäer ganz entsetzlich bittere Gesichter, undeiner aus ihnen sprach in einer Art schmerzlicher Begeisterung: „O Rom, oRom! Du bist ganz entsetzlich hart und schwer! – Jehova! Aus der babylonischenGefangenschaft hast Du Deine Kinder befreit, als sie Buße taten unddarum baten; wirst Du uns aus dieser tausendmal härteren Gefangenschaft— 48 —


nimmer erlösen?“ –[<strong>GEJ</strong>.02_021,13] Sage Ich: „So ihr bleibet wie ihr seid und euch nicht vomGrunde aus bessert, so sollt ihr nicht nur ewige Untertanen Roms verbleiben,sondern vom selben ganz gefressen werden wie ein Aas von den Adlern! Nurnoch eine kurze Zeit wird Gott gedulden, dann aber wird über euch das scharfeLos ausgeworfen werden, und es wird dann mit euch werden, was Ich euchzuvor geweissagt habe, und man wird euch verfolgen bis ans Ende der Welt. –Jetzt aber gehet, und ärgert euch nicht mehr!“[<strong>GEJ</strong>.02_021,14] Auf dieses Mein Wort entfernten sich alle in ihre Nebengemächer;wir aber verblieben in der Schule, in die bald eine Menge Nazaräer kamen,um die hohen römischen Herrschaften zu sehen. Wir mußten uns am Ende aufTische und Bänke stellen, um nicht erdrückt und um vom gafflustigen Volkegesehen zu werden.22. — Heilung eines Gichtbrüchigen. Zeugnis der Nazarener über Jesus.(Matth. 13)[<strong>GEJ</strong>.02_022,01] Es brachte aber Borus selbst einen gichtbrüchigen Menschen,dessen Hände und Füße schon ganz verdorrt und derart verdreht und zusammengezogenwaren, daß es wohl keinem sterblichen Arzte mit allen Mitteln in derWelt möglich gewesen wäre, ihn zu heilen.[<strong>GEJ</strong>.02_022,02] Borus aber, als er durch zwei Träger den Gichtbrüchigen ineinem Korbe durch das starke Gedränge zu Mir hatte hinbringen lassen, sagtelaut vor dem Volke: „Diesem Kranken kann nur Gott allein helfen! Ich bin docheiner der ersten Ärzte in ganz Galiläa, und es kommen Kranke von Jerusalemund Bethlehem zum Arzte Borus, und er hilft ihnen; aber diesem kann er nichthelfen! Ich bitte Dich aber, Du mein heiliger Freund Jesus, da Dir meinesWissens und Glaubens kein Ding unmöglich ist, daß Du diesem Menschen diegeraden Glieder wiedergeben möchtest, so es Dein Wille ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_022,03] Sage Ich: „Freund, hier gibt es viel zuviel Ungläubige, und daist so eine Heilung immer eine schwere Sache! Ich aber werde ihn schon bei dirunter vier Augen heilen.“[<strong>GEJ</strong>.02_022,04] Darauf fingen einige im Volke an zu murmeln und sagten:„Oh, des Zimmermanns Sohn ist pfiffig! Dieser Kranke ist ihm zu stark, darummöchte er ihn lieber im geheimen heilen, auf daß wir ja nicht merken sollen, obes mit ihm besser geworden ist oder nicht.“[<strong>GEJ</strong>.02_022,05] Ich aber vernahm solche Reden und sagte zu den Schimpfern:„O ihr Tollen und Irrsinnigen! Kennet ihr dies Mädchen an der Seite des Jairus?Ist sie nicht dessen Tochter, und war sie nicht tot zwei Male? Wer gab ihr dasLeben wieder? – Ihr Toren! So des Menschen Sohn Macht hat, die Toten wiederins Leben zu rufen, wird Er nicht auch Macht haben, zu diesem Kranken zusagen: ,Stehe auf und wandle!‘? Auf daß ihr aber sehet, daß Ich gar wohl dieseMacht habe, so gebiete Ich dir, du gichtbrüchiger Mensch, daß du aufstehest und— 49 —


wandelst mit vollkommen gesunden Gliedern!“[<strong>GEJ</strong>.02_022,06] In diesem Augenblick fuhr ein Feuer in die Glieder diesesKranken, und er fühlte sich völlig kräftig, stand auf und wandelte, und seineGlieder waren völlig frisch; er hatte Fleisch und volle Muskeln und wandelteheiter und voll dankbaren Herzens und sagte nach einer Weile seines höchsteigenen Staunens: „So etwas kann nur Gott möglich sein! Ohne Arzneien, ohneHändeauflegung, sondern allein durchs Wort eine solche Heilung in einemAugenblick hervorzurufen, das ist noch nie gehört worden! Herr Jesus, ichbekenne und glaube nun vollauf, daß Du entweder Gottes Sohn oder gar dermenschliche Form angenommen habende Gott Selbst bist! Es kommt mir geradevor, als ob ich Dich anbeten sollte!“[<strong>GEJ</strong>.02_022,07] Sage Ich: „Laß das und mache darob keinen Lärm! Was duaber im Herzen fühlst, das bewahre getreu; es wird eine Zeit kommen, in der dudessen benötigen wirst, und dann magst du beten zum Vater im Himmel, derallein Seinem Sohne gegeben hat solche Macht!“ Mit diesen Worten verstummtder Geheilte.[<strong>GEJ</strong>.02_022,08] Aber das Volk entsetzte sich und sprach: „Woher kommt demdenn solch eine Weisheit und solche Taten und solche Macht dazu? Ist er nichtdes Zimmermanns Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria? Und seine Brüder:Jakob und Joses und Simon und Judas? (Matth.13,55) Und seine Schwestern,sind sie nicht alle bei uns? Woher um des Himmels willen kommt ihm denn dasalles?“ (Matth.13,56)[<strong>GEJ</strong>.02_022,09] Und da sie also miteinander redeten und einander fragten,ärgerten sich viele und sagten: „Das ist gerade zum Wahnsinnigwerden! UnsereSöhne haben studiert zu Jerusalem und sich Kenntnisse in allerlei Künsten undWissenschaften gesammelt; auch haben sie die noch bestehende Schule derPropheten durchgemacht und die ägyptische Weisheit in der Deutung derZeichen vollkommen erlernt! Und dieser Zimmermann, der erweislich nie eineSchule besucht hat, den wir nur stets mit Hacke und Säge arbeiten sahen,beschämt nun uns und unsere Kinder auf eine Art, vor der sogar die allerhöchstenRegierungspersonen erstaunen und den sonst mehr tölpelhaften Zimmermannschon nahe für einen Gott halten! Das ist wahrlich ärgerlich! Er ist alles inallem, spricht alle Zungen, als wäre er darin geboren, er ist ein Prophet erstenRanges und wirket Zeichen und Dinge, die gewirkt zu haben sich kein Gottschämen dürfte; unsere Söhne aber stehen samt uns, die wir doch unserer Zeitauch etwas gelernt haben, da, als könnten sie nicht einmal ihrer Hände Fingerabzählen! Weiß denn niemand von uns irgend etwas, wie dieser Zimmermanndas alles sich zu eigen gemacht hat?“[<strong>GEJ</strong>.02_022,10] Sagen andere: „Wo sollte er sich etwas zu eigen gemachthaben? Er war ja bis auf nunmalige etliche Monde immer zu Hause und bauteHäuser bei uns und auch anderswo mit seinem Vater und seinen Brüdern; wirmerkten nie eine Spur von etwas Besonderem bei ihm! Er war dazu noch sehrwortkarg, und so man ihn um etwas fragte, da gab er entweder gar keine oder— 50 —


eine allzeit nur sehr einsilbige Antwort, so daß man ihn für eine Art Tölpel hielt,– und jetzt steht er auf einmal als ein Mann da, auf den alle Welt die Augenrichten muß! Das ist ja doch allerärgerlichst mehr, als was nur irgendein gesunderMenschensinn fassen kann![<strong>GEJ</strong>.02_022,11] Was ist denn mit diesem Menschen vor sich gegangen? Wirwissen es wohl aus seiner frühesten Jugendzeit her, daß er damals als ein nochnahezu unzüngiger Knabe einige zauberische Fähigkeiten gezeigt haben soll!Vater und Mutter glaubten, daß aus diesem Knaben einst etwas Großes werdenwürde; aber es hätten sich alle die vielversprechenden Fähigkeiten mit denJahren so ganz und gar verloren, daß davon aber auch nicht eine leiseste Spurbei irgendeiner Gelegenheit zu entdecken war! Eine Schule hat er schon alsKnabe nie besuchen wollen und war somit ohne alle wissenschaftliche Bildungein höchst einfacher Zimmermann. Ich fragte oft den alten Joseph, wie es mitdem Jesus stehe, ob er denn auch zu Hause so einsilbig wäre. Und die Antwortwar: ,Noch einsilbiger als irgendwo außer dem Hause!‘ Und seine Brüder sagtendasselbe! – Wenn aber also, woher denn nun solche Fähigkeiten?“23. — Zurechtweisung der Nazarener. (Matth. 13)[<strong>GEJ</strong>.02_023,01] Da Ich ihnen aber dennoch vermöge dessen, was sie gesehenhatten, als ein Prophet vorkam, so sagte ein alter Nazaräer: „Ich habe einmal voneinem durchreisenden Babylonier, wie solche Menschen gewöhnlich als außerordentlicheBettler öfter unsere Gegenden und Orte zu besuchen pflegen undsich um einige Stater in allerlei Zaubereien und Wahrsagereien produzieren,gehört, wie er bei meinem Nachbar eine Weissagung machte, und zwar mitdiesen Worten:[<strong>GEJ</strong>.02_023,02] ,Nazareth, in deinen Mauern lebt ein Mensch, den du nichtkennst! Er ist still und ist karg an Worten; wann aber Seine Zeit kommen wird,da werden sich vor Ihm und Seiner Rede beugen die Berge; die Winde und dasMeer werden Ihm gehorchen, und der Tod wird vor Ihm beben und keine Machtüber Ihn haben! Da wird alles Volk dieser Stadt in ein ärgerliches Staunenversetzt werden; aber es wird niemand Seiner Macht trotzen können, und derTod wird fliehen vor Ihm wie eine furchtsame Gazelle vor einem sie verfolgendenLöwen! Wann Er aber von dieser Welt in die Himmel wird übergehenwollen, so wird Er auf drei Tage Sich töten lassen von Seinen Feinden; aber amdritten Tage wird Er aus höchst eigener Macht den Tod von Sich weisen undwird auferstehen in aller Kraft und Herrlichkeit und wird auffahren mit Fleischund Blut in die Himmel! Aber darauf wehe allen, die Ihn verfolgt haben; ihr Loswird sein ein allerschrecklichstes Feuergericht, desgleichen noch nie eines aufdem Erdboden stattgefunden hat! Wehe allen hochmütigen Juden! Sie werdenfürder bis ans Ende der Welt kein eigenes Land mehr haben, sondern auf demganzen Erdboden zerstreut umherirren wie ein verfluchtes Wild in der Wüste,und von Stoppeln, Dornen und Disteln werden sie ein ungenießbares Brot bereiten,um zu stillen ihren Hunger, und werden sterben an solcher Kost!‘ –— 51 —


[<strong>GEJ</strong>.02_023,03] Solches hat besagter Babylonier geredet vor etwa drei Jahren;und es ist im Ernste ungeheuer merkwürdig, daß in diesem Jesus ein solcherMann in unsern Mauern nun aufgetreten ist, dessen Reden und Taten alles dasvom besagten Babylonier prophezeite nahe auf ein Haar bestätigen! Was aber istda zu machen? Ist das eine eingetroffen, so dürfte auch das andere, nämlich dasGericht eintreffen! Darum bin ich der maßgeblichen Meinung, daß wir Ihnwirken lassen sollten, wie Er will, mag und kann; denn es dürfte schwer werden,uns mit Ihm in einen Kampf einzulassen! Denn wer einmal Tote erweckt, dermuß auch noch mehr vermögen! Vor dem sich die Berge neigen und Winde undMeere lautlos verstummen, mit dem werden wir einen schlechten Kampf bestehen!Darum lassen wir Ihn gehen, zumal da bereits, wie ihr selbst sehet, mehrereHunderte Seiner Lehre mit Leib und Seele anhängen und Ihn für den verheißenenMessias halten!“[<strong>GEJ</strong>.02_023,04] Auf diese Rede des alten Nazaräers ärgern sich viele nochmehr; aber es getraut sich niemand mehr ein Wort zu reden.[<strong>GEJ</strong>.02_023,05] Ich aber sah wohl, daß mit diesem Volke nichts zu machenwar, da es keinen Glauben und kein Vertrauen hatte, und sagte daher auch ganzkurz, aber so laut, daß es alle wohl vernehmen konnten: „Warum ärgert ihr euchdenn? Habt ihr nie gehört, daß man schon von alters her gesagt hat: ,Ein Prophetgilt nirgends weniger als in seinem Vaterlande und in seinem Hause!‘?(Matth.13,57) Wenn aber also, wie es noch allzeit die alte Erfahrung gelehrt hat,was ärgert ihr euch denn? Ihr wollt klug sein, und Ich sage es euch, daß ihrblind, taub und voll Blödsinnes seid! So Ich Der bin, Der Ich bin, und MeineWorte und Meine Taten dafür zeugen, warum glaubet ihr denn nicht? Muß dennein Prophet allzeit weither sein, damit er Glauben finde? Muß denn seinGeburtsort unbekannt und seine Zunge eine fremde sein?[<strong>GEJ</strong>.02_023,06] Wenn Ich aus Persien oder gar aus Indien gekommen wäreund täte die Zeichen, die Ich nun tue, und wie sie vor Mir keiner je getan hat, sowürdet ihr auf euren Angesichtern vor Mir liegen und schreien: ,Gott hat unsheimgesucht, und wir sind voll Sünden und Gebrechen! Wer wird uns verbergenund schützen vor Seinem Zorn?‘ Weil Ich aber der euch bekannte Josephssohnbin, so fraget ihr: ,Woher kommt ihm solches?‘ O ihr blinden Toren! Ist hierdieser Boden nicht ebensogut Gottes Erde wie in Persien und Indien? Scheinthier nicht dieselbe Sonne, und werden hier nicht, so gut wie in Persien undIndien, durch Gottes gleichfort waltende Kraft und Macht allerart Früchte zumWachstum und zur Reife fördert? Ist der Mond und sind die Sterne samt derSonne und dieser Erde hier denn weniger göttlich als in den besagten Ländern?[<strong>GEJ</strong>.02_023,07] So aber ohne allen Zweifel hier doch alles ebensogut göttlichund Gottes ist wie in andern fernen Landen, warum sollte es dann der Menschnicht sein? Wenn Ich aber vor euren Augen nun Taten verrichte, die keinemPerser und Indier je möglich waren, wie sollte Ich dann nicht wenigstensebensogut wie ein dummer Perser oder Indier Mir eure Achtung und eurenGlauben erwerben können? Wahrlich, ginge Ich heute zu den Griechen und— 52 —


Römern hin, sie würden Mir Tempel und Altäre errichten![<strong>GEJ</strong>.02_023,08] Ihr aber hingegen, da Ich in eurer Mitte aufgewachsen bin undihr Mich von Kind auf kennet, fragt ganz ärgerlich erstaunt: ,Woher kommtdenn auf einmal diesem Zimmermanne das alles, den wir stets als einenwahrhaftigen Tölpel gekannt haben?‘ O wartet nur, der Tölpel hat aufgehört, einTölpel zu sein und hat euch viel Gutes getan – früher als Tölpel und nun alsMeister und Heiland noch mehr; aber fürderhin wird Er es bleiben lassen!“[<strong>GEJ</strong>.02_023,09] Auf diese Worte ärgerten sich die Nazaräer noch mehr undverließen die Schule.24. — Des Cyrenius Rede über die Nazarener[<strong>GEJ</strong>.02_024,01] Da sagte Cyrenius: „Herr und Meister, wie es mir vorkommt,so ist hier wirklich mehr Dummheit als Bosheit vorhanden! Denn die Nazaräerbis auf wenige sind als Dümmlinge bekannt, und ein Dümmling ist allzeit amschwersten hell zu machen! Wenig Schule, keine Erfahrung, meistens arm,wenig Handel und Wandel! Sie leben meistens vom mäßigen Ackerbau und voneiniger Viehzucht und kommen bekanntlich nie – außer im Jahre etwa einmal –nach Jerusalem, wo sie nicht nur nichts in der geistigen Bildung gewinnen,sondern allzeit nur verlieren. Woher sollen sie dann einen bessern Verstandnehmen, um Deine göttliche Lehre und Deine göttlichen Taten zu beurteilen?Dazu sind die dummen Menschen auch gewöhnlich neidisch, und wie ich'sgemerkt habe, so ärgerte sie auch das am meisten, daß ihre Söhne, die sie in allemöglichen Schulen haben gehen lassen, Dir in aller Weisheit, Kenntnis undvollendetster Tatkraft gar so endlos weit nachstehen! Ich will ihnen gerade keineBosheit, sondern die barste Dummheit beimessen, die wohl auch manchmal inBosheit ausarten kann, aber natürlich in eine sicher nicht gar zu schädliche, dader dumme Mensch es auch notwendig dumm angreift, um jemand wahrhaft zuschaden. Lassen wir sie darum gehen![<strong>GEJ</strong>.02_024,02] Sollte Dir aber jemand an den Leib gehen wollen, nun, so istes mir um Dich am wenigsten bange! Fürs erste besitzest Du in einem hinreichendstenMaße soviel der unleugbarst göttlichen Kraft, um ein ganzes wohlausgerüstetesKriegsheer weidlichst in die Flucht zu schlagen – und um so leichterdiese barsten Dümmlinge; und fürs zweite hast Du uns als höchste römischeGewaltträger über ganz Asien vollauf für Dich, und es kann Dir darum angerechtem Schutze nie fehlen! Solltest Du hier verfolgt werden, nun, Du weißtdoch, wo Sidon und Tyrus liegt! Komme dahin, und Du bist sicher vor jeder wieimmer gearteten Verfolgung![<strong>GEJ</strong>.02_024,03] Daß aber diese Nazaräer-Bürger Leute nahe ohne alle Bildungsind, hat sich auch aus dem erwiesen, daß sie nahe alle mehr als Maulaffen dennals Menschen in die Schule bloß aus rein tierischer Neugierde gelaufen sind,zum Beweise dessen sie weder mich noch irgend jemand andern hochgestelltenHerrn und Gebieter nur im geringsten mit irgendeiner Gebärde begrüßt haben!— 53 —


Gleich Eseln, Ochsen und dummen Schafen fielen sie herein und taten, als wennsie allein die Herren der Welt wären! Ich kann es diesen Menschen gar nicht zueiner Sünde rechnen, weil sie zu roh, dumm und ungebildet sind, und ich meine,Du, o Herr und Meister, der Du sie noch um tausendmal besser kennst, wirstihnen das auch zu keiner Sünde anrechnen!“[<strong>GEJ</strong>.02_024,04] Sage Ich: „Das kannst du wohl sicher annehmen, Ich sicher amwenigsten! Aber es liegt alles daran, daß sie Mich in ihrem Herzen als daserkennen, was Ich bin; denn ihr ewiges Leben hängt ja allein von dem ab!Erkennen sie Mich nicht, so können sie auch unmöglich Den erkennen, der Michin die Welt gesandt hat – und noch weniger, daß Ich und Der, der Mich gesandthat, ein und dasselbe Wesen sind! Solange aber ihre Herzen das nicht erkennen,haben sie Mich nicht in sich und somit auch das ewige Leben nicht und sind imGeiste tot! Denn Ich Selbst bin ja eben das ewige Leben Selbst und durch MeineLehre der Weg zum selben.[<strong>GEJ</strong>.02_024,05] Wer demnach Mich und Meine Lehre nicht annimmt, dernimmt auch das ewige Leben nicht an, und der ewige Tod muß darum notwendigsein Anteil sein.[<strong>GEJ</strong>.02_024,06] Ich darf aber dennoch niemanden zum Glauben zwingen, weiljeder Zwang ein Gericht des Geistes wäre, das ihm so gut den Tod gäbe wie derUnglaube, – und es ist darum hier selbst für Gott schwer also zu wirken, daß derMensch keinen Schaden leide an seiner Seele! Wird er gezwungen durch irgendeinenoch so verborgene Macht, so bewegt er sich im Gerichte; wird er aberdurch gar nichts gezwungen, so bleibt er ungläubig und zweifelt an allem undbeweist eben dadurch, daß er völlig toten Geistes ist. Wer oder was soll dannlebendig machen seinen Geist?[<strong>GEJ</strong>.02_024,07] Mein lebendig machendes Wort nimmt er nicht an – und somitauch Mich nicht als die in der ganzen Unendlichkeit alleinige Quelle allesLebens; nun frage dich selbst, woher er dann sonst noch das Leben, das Ich allenMenschen brachte und geben will, nehmen solle!“[<strong>GEJ</strong>.02_024,08] Sagt Cyrenius: „Ja, ja, das sehe ich nun ganz klar ein und mußes einsehen, weil ich Dich schon seit dreißig Jahren kenne, wer Du bist; aberlassen wir das nun, ich werde diese Menschen schon noch gläubig machen! Jetztaber gehen wir weiter und sehen, wo wir ein Mittagsmahl bekommen werden!Es ist schon ziemlich spät nachmittags.“ – Wir verließen darauf die Schule unddie Stadt und begaben uns in Mein Haus, allwo schon ein gutes Mahl unserharrte. Wir aßen und tranken ganz wohlgemut und waren diesen ganzen Tagüber guter Dinge.25. — Über die Unwürdigkeit des Volkes. (Matth. 13)[<strong>GEJ</strong>.02_025,01] Es ward viel geredet von den Begebnissen zu Ostrazine inÄgypten, allwo Ich Meine Kindheit zugebracht hatte, und die Mutter war dabeiauch sehr gesprächig und hatte eine große Freude an den Gesprächen des— 54 —


Vizekönigs von Asien, wie man also auch den Cyrenius begrüßte.[<strong>GEJ</strong>.02_025,02] Jakobus, Josephs Sohn, der des Schreibens wohl kundig war,holte eine ziemlich dicke Rolle aus seinem Schrank und überreichte sie demCyrenius mit den Worten: „Hoher Herr, hier habe ich von Seiner Geburt an allesaufgezeichnet bis zu Seinem fünfzehnten Jahre, tatenreich aber eigentlich nurbis in Sein zwölftes Jahr; denn nach dem zwölften Jahre verlor sich Seine göttlicheGabe so ganz und gar, daß davon aber auch nicht die leiseste Spur mehr zuentdecken war. Darum stehen die drei Jahre 13, 14 und 15 auch völlig leer; dennbis auf einige ziemlich weise Worte hat sich da nichts Erhebliches mehr ereignet,und so habe ich es denn auch über Sein fünfzehntes Jahr hinaus nicht mehrfür nötig gefunden, die ganz gewöhnlichen menschlichen Begebnisse, die ich anIhm bemerkte, aufzuzeichnen, und so ist diese Beschreibung über Seine Jugendzeitals vollkommen für abgeschlossen zu betrachten. (Vgl. „Jugend Jesu“.)[<strong>GEJ</strong>.02_025,03] Es bestehen aber neben dieser meiner Aufzeichnung noch eineMenge falscher Sagen, die wahrscheinlich ein Werk alter, müßiger Fischerweibersind; ich bitte daher jedermann, nur diese meine Beschreibung als die alleinrichtige, durchaus wahre und alles umfassende anzusehen. Wenn ich dir, hoherHerr, damit ein Vergnügen verschaffen kann, so bitte ich dich, diese meinekleine Mühe als eine kleine Erkenntlichkeit von meiner Seite für die vielenWohltaten, die du uns erwiesen, gnädigst anzunehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_025,04] Cyrenius nimmt die Rolle mit vieler Freude in die Hände,blättert eine Weile darin und liest manches laut vor, und alles hat eine großeFreude daran. Eine ganz besonders große Freude aber hatte daran die lieblichsteSarah, wie auch ihre Mutter.[<strong>GEJ</strong>.02_025,05] Die Sarah wurde alle Augenblicke zu Tränen gerührt und sagteam Ende in einer Art Erregtheit: „Was braucht man da denn noch, um das mitHänden zu greifen, was ich schon seit meiner ersten Heilung eingesehen habe?!Gott! Solche Taten, solche Zeichen – und noch kein Glaube, keine Einsicht,keine Erkenntnis des nur zu wahrhaft Göttlichen?! Herr, ich als eine arme,schwache Sünderin vor Dir, bitte Dich: tue hier keine Zeichen mehr! Denndieses Volk von Nazareth mit höchst geringer Ausnahme ist nicht des Anspuckenswert, geschweige Deiner zu heiligen Worte und Taten! Ich bekenne esoffen, dieses Volk, so mir eine Macht gegeben wäre, ließe ich so lange fasten,hungern und stäupen, bis es zur Einsicht käme und erkennete, wie sehr esdadurch gesündiget hat, daß es diese heilige Zeit seiner Heimsuchung und dergroßen Gnade nicht erkannt hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_025,06] Sagte Ich zur Sarah: „Ärgere dich, du Mein einziges Herz, derDummen und Blinden wegen nicht! Ich kenne sie und ihren Unglauben, und wiedu es wünschest, also werde Ich auch des Unglaubens willen wenig oder garkeine Zeichen mehr tun (Matth.13,58). Und du, Mein Schreiber Matthäus,merke das an, daß Ich des Unglaubens wegen hier in Meiner leiblichen Heimatwenig Zeichen mehr wirkte, auf daß es sogar in den spätesten Zeiten alle Weltwissen solle, was für harte und ungläubige Knöpfe diese Bürger Nazareths zu— 55 —


Meiner Zeit waren! Wir aber werden uns dennoch einige Tage hier aufhaltenund uns als von den Bürgern deklarierte Müßiggänger recht wohl geschehenlassen! Denn weil sie sich ärgern, so sollen sie sich also recht ärgern, auf daß siedesto eher reif werden für den Satan und sein verfluchtes Reich!“[<strong>GEJ</strong>.02_025,07] Sagt Cyrenius: „Mir ist es endlos leid, daß ich mich vermögemeiner starken Regierungsgeschäfte nicht länger als höchstens einen Tag hieraufhalten kann; aber wenn ich Dir, o Herr, in dem einen oder andern etwas tunkann bei diesem schmählichst ungläubigen Volke, so äußere Dich nur undbegehre es, und ich lege sogleich die Hand ans Werk! So Du es willst, lasse ichsogleich die ganze Stadt mit Ruten durchstäupen!“[<strong>GEJ</strong>.02_025,08] Sage Ich: „Lassen wir das alles! Diese sind schon mit demdurchgestäupt zur Übergenüge und voll gestraft dadurch, daß sie an Mich nichtglauben; denn ihr Unglaube wird dereinst ihr unerbittlichster Richter sein, demsie auf tausend nicht eins zu erwidern imstande sein werden! Wahrlich, sage Ichdir, eher und leichter werden alle Hurer, Ehebrecher und Diebe ins Gottesreicheingehen denn diese ungläubigen Böcke und Klötze! Oh, Ich sage dir, wie Ich esnur zu gut weiß: Diese Böcke und Klötze sind nicht so ungläubig, wie sie sichzeigen; sie wollen nur nicht glauben, auf daß sie desto freier sündigen können!Denn nähmen sie, durch die Zeichen genötigt, Meine Lehre an, da bekämen sieja notwendig ein Gewissen, das sie hindern würde in ihrem argen Tun undTreiben; darum glauben sie denn lieber nichts und disputieren sich gegenseitigjede noch so handgreifliche Wahrheit aus ihrem Gemüte, damit sie nur frei tunkönnen, was ihnen ihre argen Gelüste vorschreiben. Freund, da wäre sehr viel zureden; aber es ist hier besser, zu schweigen! Darum lassen wir sie, wie sie sind;denn was einmal des Teufels ist, das ist auf ordentlichem Wege schwer göttlichzu machen!“26. — Winke für Gesetzgeber[<strong>GEJ</strong>.02_026,01] Sagt Cyrenius: „Es ist gut, daß ich das weiß; das andere wirdsich schon finden lassen! Weil sie Deine Lehre nicht annehmen, da werde ichfür eine andere sorgen. Ich werde ihnen kaiserliche Verordnungen, die mirschon vor einem halben Jahre zur Begutachtung von Rom als schon sanktionierteingesandt worden sind, durch Faustus und seine Knechte bekanntmachenlassen! Vielleicht wird ihnen das Evangelium aus Rom mehr Respekt einflößenals das Deine aus den Himmeln! Die Verordnung enthält hundert Punkte alsGesetze, hinter deren jedem das Kreuz und die Geißel aufgerichtet sind: DieMehrweiberei wird aufgehoben, Unzucht und Hurerei mit der Geißel auf dasschärfste bestraft, der Ehebruch mit dem Kreuze, Dieberei und Betrug mit demKreuze, der Schmuggel mit der Geißel und mit hundert Pfund Silbers, und dazueine Menge Mein- und Dein-Gesetze, deren Übertretung die Geißel und hundertPfund Silbers zur Folge haben wird! So wird ihnen auch das Reisen ohne einenReiseschein auf das strengste untersagt sein; der Reiseschein aber wird gegenErlegung von hundert Pfund zu bekommen sein! – Ja, das werde ich tun und— 56 —


werde diese neuen Gesetze besonders für diese Städte in Galiläa allerstrengstenshandhaben und sehen, ob bei diesem Volke kein Gewissen mehr zu entdeckenund zu erwecken ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_026,02] Sage Ich: „Das gehört in Deinen Regierungsbereich, und Ichkann dir dagegen weder mit Nein noch mit Ja antworten. Tue da, was du willst;aber erschwere damit Mir und den Meinen das notwendige Umherreisen nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_026,03] Sagt Cyrenius: „Durchaus nicht; denn Künstler, Ärzte, Weiseund Propheten sind ausgenommen! Ihre Zeugnisse, ihre Taten und Reden dienenihnen als vollgültigster Reiseschein, und es darf sie bei Todesstrafe niemanddaran hindern. Dir aber stelle ich sogleich ein Zeugnis aus, und es wird Dichniemand anhalten, so Du ihm das Zeugnis vorweisest!“[<strong>GEJ</strong>.02_026,04] Sage Ich: „Mich freuet dein allzeit guter Wille; aber ersparedir dessenungeachtet diese Mühe! Denn solange Ich werde umherreisen wollen,wird es Mir keine Macht in der Welt verwehren können! Werde Ich Mich abereinmal für die gesamte Menschheit opfern wollen, so wird Mir auch keineMacht in der Welt einen Schutz bieten können; und böte sie Mir solchen auch,so würde Ich ihn dennoch nicht annehmen! Denn, Freund: Der, dem Himmelund Erde gehorchen, wird doch mächtiger sein als alle Menschen auf dieserErde, die Mir kaum zu einem Fußschemel dienen kann!? Darum tue du zwar,was du willst; aber es wird da wenig fruchten! Denn du magst ein Gesetz nochso vollständig geben, so wirst du nur zu bald gewahr werden, mit welcherGeschicklichkeit die Menschen das Gesetz umgehen werden, und du wirstdagegen nichts tun können.[<strong>GEJ</strong>.02_026,05] Gottes Gebote, die durch Moses dem Volke sind gegebenworden, sind gewiß so erschöpfend als nur etwas Vollendetes erschöpfend seinkann; aber Menschen, wie diese Zeiten zeigen, haben Gottes Gebote ganzgeschickt in ihre höchst eigenen bösen Satzungen also umzugestalten verstanden,daß die jetzigen Menschen nun gar kein Gewissen mehr haben, die GeboteGottes zu übertreten, so sie nur ihre Weltsatzungen erfüllen![<strong>GEJ</strong>.02_026,06] Wenn aber die Menschen solches am grünen Holze tun, wasalles werden sie tun mit einem dürren Klotze aus Rom!? – Daher tue du zwar,was du willst, und Mir wird es recht sein; aber Ich sage dir auch:[<strong>GEJ</strong>.02_026,07] Je mehr Gesetze, desto mehr Verbrecher, für die mit der Zeiteure Kreuze und Geißeln lange nicht ausreichen dürften!“[<strong>GEJ</strong>.02_026,08] Sagt Cyrenius: „Das alles, was Du mir nun sagtest, istunwidersprechlich wahr, aber ich frage Dich doch noch weiter zu meiner höchsteigenen Belehrung: Was kann man aber anwenden gegen die Widerspenstigkeitder Menschen, die vor allem gleich diesen Nazaräern an keinen Gott und ankeine höhere Offenbarung mehr glauben und den Geboten Gottes mit jeder ihrerHandlungen den offenbarsten Hohn sprechen?! Soll man sie denn dann auchnoch ohne schärfst sanktionierte weltliche Gesetze lassen, damit sie ohne alleFurcht ihren losen Gelüsten frönen könnten, wie es ihnen beliebig wäre, wenn— 57 —


sie schon seit lange her jedes göttlichen Gesetzes bar sind und es unter sich, wiemit ihren Nachbarn, weit ärger zu treiben anfangen als das reißende Wild derWüste und Wälder?! Da, meine ich, sind scharfe, weltliche Gesetze ganz anihrem Platze, um solche ganz wildgewordene Menschen wieder zu einerOrdnung und aus dieser zur Erkenntnis Gottes zurückzuführen!“[<strong>GEJ</strong>.02_026,09] Sage Ich: „Allerdings; denn da ist kein anderer Weg möglichund denkbar als der durch den Zwang der weltlichen Gesetze! Aber es kommtnun wohl überaus sehr darauf an, was für Gesetze den Menschen zu geben sind![<strong>GEJ</strong>.02_026,10] Dazu gehört eine überaus tiefe Kenntnis der menschlichenNatur; und den wahren Grund, durch den die Menschheit zur Entartung geführtward, darf der Gesetzgeber nie aus den Augen fallen lassen, – sonst gleicht ereinem Arzte, der mit ein und derselben Medizin alle bei den Menschen vorkommendenKrankheiten heilen will, aber gar nicht bedenkt, daß die höchstverschiedenen Krankheiten, die den menschlichen Leib befallen können, auchhöchst verschiedener Natur sind und jede einen andern Grund hat. Ein solcherArzt wird dann und wann wohl hie und da einen Kranken finden, für dessenÜbel seine Arznei gerade taugt, und der Kranke wird darauf gesund; aberhundert andere Kranke, deren Übel einer anderen Art und Beschaffenheit sind,werden auf solch eine Arznei nicht nur nicht besser, sondern um vieles schlechterund sterben wohl gar darauf![<strong>GEJ</strong>.02_026,11] Wenn es aber schon für den kranken Leib, den doch jeder Arztsehen und greifen kann, schwer ist, eine rechte Arznei zu bestimmen, umwieviel schwerer ist es dann, für eine kranke Menschenseele eine rechte Arzneizu finden und zu bestimmen![<strong>GEJ</strong>.02_026,12] Das Gesetz ist wohl die Arznei, so mit dem Gesetze die rechteLehre, wie und warum das Gesetz zu halten ist, im Verbande ist; aber denke nunselbst nach:[<strong>GEJ</strong>.02_026,13] Da hast du eine zornmütige Seele, da eine furchtsame, dawieder eine ränkesüchtige, dort eine neidische, geizige und betrugslustige Seele;wieder wirst du eine forschende Seele antreffen, und der gegenüber eine trägeund schläfrige; in einem Hause sitzen vier gehorsame, demütige Seelen, ineinem andern fünf widerspenstige – und so fort unter zahllos vielen Eigentümlichkeiten,Schwächen und Leidenschaften.[<strong>GEJ</strong>.02_026,14] Nun gibst du für all diese zahllos vielen Charaktere der Seelenein gleiches Gesetz; wie aber wird es ihnen frommen? Der Furchtsame wirdverzweifeln, der Zornige auf Rache und Umsturz zu sinnen beginnen, der Lauewird lau bleiben, und der Forscher wird allen Mut verlieren und innehalten mitseiner guten Arbeit; der Geizige wird noch geiziger werden, und der Hochmütigewird mit dem Zornigen eine Sache machen, und der Schlaue wird beidenseine Hände bieten![<strong>GEJ</strong>.02_026,15] Bedenke nun diese und tausend andere der traurigsten Folgen,die aus einem unweisen, plumpen Gesetze hervorgehen müssen, so wirst du— 58 —


neben der Notwendigkeit eines Gesetzes auch die andere Notwendigkeit einsehen,der zufolge ein Gesetz überaus scharf und genau dahin geprüft werdenmuß, ob es allen möglichen Charakteren heilsam entsprechen könne oder nicht![<strong>GEJ</strong>.02_026,16] Ist ein zu gebendes Gesetz nicht zuvor also geprüft, so soll esnicht den Menschen zur Beachtung vorgestellt werden, weil im allgemeinen esoffenbar mehr Schaden als Nutzen verursachen müßte.“[<strong>GEJ</strong>.02_026,17] Siehe, Gott, der allweiseste Schöpfer, hat aus Seiner endlosestenWeisheitstiefe nur zehn Gesetze gewisserart gefunden, die für alle Seelencharakterewohltauglich sind, und jeder Mensch kann sie auch überaus leichtbeachten, wenn er nur will; wenn aber Gott Selbst nur zehn Gesetze findet, diemit der Natur und Eigenschaft jeder Menschenseele in voller nutzwirkenderEntsprechung stehen, wie möglich kann ein heidnischer Kaiser in Rom gleichhundert Gesetze finden, aus deren Beachtung die Menschenseelen ihr Heilschöpfen sollen?“27. — Mißhandlung der seelischen Natur durch menschliche Gesetze[<strong>GEJ</strong>.02_027,01] (Der Herr:) „Ich sage dir: Solange das jüdische Volk unter denRichtern stand, die allein die Gesetze Gottes aufrechterhielten, da war es aucheine lange Zeit im Leben, Handel und Wandel bis auf wenige Eigenheiten völligder Ordnung Gottes gemäß; als es aber späterhin Gelegenheit bekam, den Glanzder Könige der Heiden zu erschauen, wie diese in großen, prunkvollen Palästenwohnten, und wie sich ihre Völker vor ihnen bis in den Staub beugten, so gefieldas den blinden Narren aus dem jüdischen Volke wohl, und sie verlangten, dasie sich für das mächtigste Volk der Erde hielten, von Gott auch einen König.Gott wollte dem dummen Verlangen des Volkes aber nicht sogleich nachkommen,sondern warnte es und zeigte ihm all die bösen Folgen, die sie unter demKönige würden zu gewärtigen haben! Aber Gott ließ da durch die Prophetentauben Ohren predigen; es half nichts, das Volk wollte um jeden Preis einenKönig![<strong>GEJ</strong>.02_027,02] Und Gott gab dem Volke in Saul den ersten König und ließihn salben durch den alten, treuen Knecht Samuel. Als das Volk nun einenKönig hatte, der ihm sofort schwer zu erfüllende Gesetze gab, da erst fing es anzu sinken immer mehr und mehr – bis auf den gegenwärtigen Punkt der äußerstenVerworfenheit.[<strong>GEJ</strong>.02_027,03] Wer aber schuldet hauptsächlich daran? – Siehe, – dieungeschickten Gesetze, die von Menschen herrühren, die weder ihre eigenenund sicher noch weniger ihrer Nebenmenschen Naturen gekannt haben und mitihren plumpen und nur auf den speziellen Eigennutz berechneten Gesetzen allesinnere Seelenleben gänzlich zugrunde richteten![<strong>GEJ</strong>.02_027,04] Sage dir es selber und denke wohl darüber nach: Wenn dairgendwo bestünde ein mechanisches Kunstwerk, das lange Zeit gut ging unddem Willen des Meisters entsprach, aber endlich doch stehenblieb, weil daran— 59 —


irgendein Teil schadhaft geworden war, und es käme dann ein Mensch vollAufgeblasenheit und Eigendünkel und spräche zum Besitzer der Maschine:,Übergib mir das Werk, ich werde es herstellen!‘, und der Besitzer täte dies inder Meinung, daß der Großsprecher ein Verständiger sei, – was wird, wenn derMaulreißer seine höchst ungeschickten Hände ans Werk legt, nur zu bald und zusicher aus der Maschine werden? Wird dieser, aller mechanischen Kenntnis imGrunde des Grundes völlig bare Maulreißer, der vom ebenfalls blinden Maschinenbesitzernur einige Goldstücke herauspressen will, der Maschine nicht mehrschaden als nützen? Oder wird er sie am Ende nicht also gänzlich verderben, daßdarauf sogar der wirkliche Meister, der die Maschine gebaut hatte, sie kaummehr wird zurechtbringen können?[<strong>GEJ</strong>.02_027,05] Wenn aber das schon bei einer höchst einfachen, plumpenMaschine, deren Teile offen liegen, leicht zu zählen, zu übersehen und allenthalbenmit Händen zu greifen sind, notwendig der Fall ist und sein muß, so einunverständiger Maulreißer sie herstellen will, um wie viel mehr muß derMensch, der in allen seinen Teilen die allerweisest kunstvollste Lebensmaschineist, von deren totaler Zusammenfügung nur Gott allein die vollste Kenntnis undEinsicht hat, notwendig verdorben werden, so ein unwissender und höchstunweiser, selbstsüchtiger Gesetzgeber ihn durch allerplumpste und zweckwidrigsteGesetze bessern will, wo er doch nicht die leiseste Spur von einer Kenntnisbesitzt, durch die er wenigstens nur zum tausendsten Teile einsähe, was allesdazu gehört, um nur ein Haar auf dem Haupte eines Menschen wachsen zumachen![<strong>GEJ</strong>.02_027,06] Darum, Mein liebster Freund Cyrenius, laß du deine vermeintenhundert Gesetze fein zu Hause; denn du würdest damit niemanden wahrhaftbessern! Laß aber dafür die Gesetze Gottes walten und sanktioniere sie; durchdie Beachtung derselben wirst du aus den Menschenmaschinen wirklicheMenschen machen.[<strong>GEJ</strong>.02_027,07] Sind sie erst Menschen geworden, dann kannst du ihnen desStaates Bedürfnisse vortragen, und sie werden dann als wahre Menschen freiwilligmehr tun, als sie je als geknebelte Sklaven harter, plumper Gesetze tunkönnten.[<strong>GEJ</strong>.02_027,08] Ich sage dir: Nur das, was ein Mensch aus freiem Willen nachseiner frei und somit wohlgebildeten Einsicht tut, ist wahrhaft getan und bringtNutzen auf eine oder die andere Art; jede erzwungene Arbeit und Tat aber istnicht eines Staters wert. Denn bei jeder gezwungenen Arbeit und Tat arbeitetallzeit Zorn und Rache gegen den Zwinger (Zwingherrn) mit, und das kann ewigkein Segen für was immer für ein Werk sein.[<strong>GEJ</strong>.02_027,09] Wenn du, liebster Cyrenius, diese Meine Worte recht durchdenkenwirst, so wird es dir vollends klar sein, daß Ich dir nun die vollsteWahrheit gesagt habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_027,10] Sagt Cyrenius: „Edelster, göttlichster Freund, da brauche ichwahrlich nicht viel nachzudenken; denn Deine Worte sind ja so klar und wahr— 60 —


wie die Sonne am hellsten Mittage, und ich werde das tun, was Du mir geratenhast. Das Mosaische Gesetz werde ich neu sanktionieren und das Volk zunötigen verstehen, danach zu handeln! Edelster Freund, so es Dir genehm wäre,würde ich mit Deiner geheimen geistigen Hilfe auch den Griechen das mirwohlbekannte Mosaische Gesetz zu strenger Beachtung verkündigen lassen! Mirkann es dazu sogar an einem politischen Grunde nicht fehlen; denn bekanntlichgibt es zwischen den Juden und Griechen gleichfort Reibungen, die stets undzumeist auf Grund des verschiedenen Glaubens an Gott und der ebensoverschiedenen Erkenntnis desselben entstehen. Die Juden behaupten auf Mordund Brand das ihrige, und die Griechen dagegen, die den Juden in der Dialektikbei weitem vor sind, verhauen mit ihren geläufigen Zungen die schwerfälligenJuden auf eine solche Weise, daß sie den Griechen nicht eins auf tausend zuerwidern imstande sind, und es kommt daher nicht selten zwischen beidenParteien zu blutigen Tätlichkeiten, was doch sicher keine wünschenswerte Folgevon den bestehenden Glaubens- und Gottesgesetzesdifferenzen ist.[<strong>GEJ</strong>.02_027,11] So ich aber auch den Griechen das jüdische Gottesgesetz zurstrengen Beachtung gebe und es, wie gesagt, auch aus politischen Gründen vomStaate sanktioniere, so werden derlei mir stets äußerst unangenehmen Reibungensicher unterbleiben. Herr und Meister, habe ich recht, wenn ich das tue? Und soich es tue, da sage es mir aus Deiner unergründlichen Weisheitstiefe, wie ich dasanstellen soll, um den vorgestellten guten Zweck zu erreichen!“28. — Von der Freiheit des Geistes[<strong>GEJ</strong>.02_028,01] Sage Ich: „Freund, dein Wille ist gut, aber das Fleisch istschwach! Dein gutes Vorhaben wird wohl im Verlaufe eines Säkulums(Jahrhunderts) zur vollen Wirkung kommen, und du wirst dazu noch manchesGute als Vorbereitung zustande bringen, – aber hüte dich in geistigen Lebensdingenvor nichts mehr als vor dem römischen ,Muß‘; denn solches schadet demMenschen allzeit mehr, als es ihm je nützen kann! Denn jedes Muß ist einGericht und läßt keine Freiheit zu, die in den rein göttlichen Lebensdingen dochdas einzige wohlgedüngte Feld ist, auf dem der Same des Lebens keimen,treiben und endlich zur segensreichen und reifen Lebensfrucht gedeihen kann![<strong>GEJ</strong>.02_028,02] So du einen jungen Vogel, der erst dem Ei entkrochen ist,nimmst und fütterst, auf daß er eher flugstark werde, ihm aber neben der sonstguten Fütterung gleichfort die Flügel stutzest, sage, wird da dem Vogel selbstdie beste Fütterung zu etwas nütze sein? Der Vogel wird wohl vegetieren, abermit dem freien Fliegen wird es so lange einen ganz mächtigen Haken haben, alswie lange du ihm die Flügel stutzen wirst![<strong>GEJ</strong>.02_028,03] Wie aber der Vogel ohne Flügelfedern nicht fliegen kann, sokann auch der Geist des Menschen nie zur freien Lebenstätigkeit gelangen,wenn ihm durch das sanktionierte Muß die Flügel der freien Erkenntnis gestutztwerden. Ein Geist ohne freie Tätigkeit aber ist schon darum tot, weil er das nichthat, was im Grunde des Grundes sein Leben bedingt und ausmacht.— 61 —


[<strong>GEJ</strong>.02_028,04] Du kannst dem Menschen tausend Gesetze geben für seinebloß irdische Lebenssphäre und sie alle unter Muß sanktionieren, so wirst dudamit dem Geiste des Menschen viel weniger schaden, als so du ihm ein einzigesGottesgebot weltlich sanktionierest.[<strong>GEJ</strong>.02_028,05] Das Geistige muß frei bleiben und muß die Sanktion in sichselbst frei bestimmen, sowie das damit verbundene Gericht; und so erst kann esin und aus sich des Lebens Vollendung erreichen.[<strong>GEJ</strong>.02_028,06] Die freien Erkenntnisse des Guten und Wahren sind desGeistes Lebenslicht; aus diesen bestimmt er für sich dann selbst die ihmzusagenden Gesetze. Diese Gesetze sind dann freie Gesetze und sind allein mitdes Lebens Freiheit für ewig verträglich. Des Geistes Wille nach den Erkenntnissenist das freie Gesetz im Geiste, und die ewige Notwendigkeit, nach demfreien Willen zu handeln, ist die ewige Sanktion, nach der auch sicher kein Geistanders handeln kann, als er eben frei handeln will.[<strong>GEJ</strong>.02_028,07] Und siehe, das ist denn auch die sich ewig selbst bestimmendeOrdnung in Gott, der doch sicher keinen Gesetzgeber über Sich hat.[<strong>GEJ</strong>.02_028,08] Gottes freiester Wille bestimmt nach den ewig vollkommenstenErkenntnissen und weisesten Einsichten in Ihm Selbst das Gesetz undsanktioniert dieses durch die höchst eigene, obschon noch immerhin freieNotwendigkeit; und diese ist dann der Grund aller geschaffenen, irdischenDinge und ihres Bestandes insoweit, als dieser zur inneren Ausbildung, Konsistierung(Festigung) und endlichen freien Isolierung (Verselbständigung) desGeistes notwendig ist.[<strong>GEJ</strong>.02_028,09] Der menschliche Geist aber soll ebenso vollkommen werdenin sich und durch sich, wie der Urgeist Gottes in Sich und durch Sich vollkommenist, ansonst der Geist kein Geist, sondern ein gerichteter Tod ist.[<strong>GEJ</strong>.02_028,10] Damit aber der Menschengeist das werden kann, muß ihm dieGelegenheit geboten werden, sich ebenso entwickeln zu können in der Zeit, wiesich der göttliche Geist in Gott Selbst von Ewigkeit her in, aus und durch SichSelbst gebildet hat![<strong>GEJ</strong>.02_028,11] Siehe, Ich hätte doch sicher von Ewigkeit her Macht genug,alle Menschen mit unwiderstehlicher innerer Gewalt zu zwingen, nach irgendeinemgegebenen Gesetz also genau zu handeln, daß sie davon nicht um einHaarbreit abweichen könnten; aber dann würde der Mensch aufhören einMensch zu sein, und er wäre ebensogut ein Tier wie irgendeines aus dem großenReiche desselben. Er würde dann seine Arbeit freilich höchst genau verrichten,aber an der Arbeit selbst würdest du ebensowenig irgendeinen Unterschiedentdecken wie bei der zellenbauenden Arbeit der Bienen und zahllos vielerandern großen und kleinen Tiere.[<strong>GEJ</strong>.02_028,12] Wolltest du aber dann mit deiner freien Erkenntnis solcheTiermenschen zu etwas Höherem bilden, so würdest du dann mit ihnen ebensowenigauszurichten imstande sein, als wenn es dir einfiele, die Bienen in eine— 62 —


Schule zu geben, in der sie endlich einmal ihre Zellen auf eine bessere undzweckmäßigere Weise zu bauen anfangen sollten.[<strong>GEJ</strong>.02_028,13] Deshalb mußt du die Fähigkeit der Menschen, daß sie sündigenkönnen, nicht so niedrig und nicht als zu sehr verbrecherisch anschlagen;denn ohne die Fähigkeit, den gegebenen Gesetzen zuwiderzuhandeln, wäre derMensch ein Tier und kein Mensch![<strong>GEJ</strong>.02_028,14] Und Ich sage es dir: Die Sünde gibt dem Menschen erst dasZeugnis, daß er ein Mensch ist; ohne diese wäre er ein Tier!“29. — Der Segen der freien Entwicklung[<strong>GEJ</strong>.02_029,01] (Der Herr:) „Es ist daher zwar wohl gut und recht, die Sünderzu strafen, wenn sie zu sehr von der Ordnung abweichen, die Gott Selbst zursicheren und in kürzester Zeit möglichen Vollendung gesetzt hat; aber mit einemeisernen Muß soll niemand von der Möglichkeit zu sündigen abgehalten werden.Denn wahrlich sage Ich dir: Mir ist ein Sünder, der frei aus sich Buße tut, lieberals neunundneunzig Gerechte nach dem Maße des Gesetzes, die der Buße niebedurft haben; der ist ganz Mensch, die andern nur zur Hälfte![<strong>GEJ</strong>.02_029,02] Ich will aber damit freilich nicht sagen, daß Mir darum einSünder lieber wäre denn ein Gerechter, weil er etwa allzeit ein Sünder ist – dennin der Sünde verharren heißt: ebenfalls ein Tier werden, das nur mehr aus derfalschen instinktartigen Begründung ein schmutziges Leben fristet –; sondern esist hier nur von einem Sünder die Rede, der das Unrecht, dem Gesetze zuwidergehandeltzu haben, in sich frei erkennt, sich nach der erkannten Ordnung Gottesneu zu bestimmen anfängt und zu einem Menschen wird, dem keine Schule desLebens fremd geblieben ist.[<strong>GEJ</strong>.02_029,03] Solch ein Geist wird in Meinem Reiche dereinst endlos Größereszu leisten imstande sein als einer, der stets aus einer sklavischen Furcht nieum ein Haar vom Gesetze abgewichen ist und sich in solcher, durch die Furchtgezwungenen Beachtung des Gesetzes zu einer keinen eigenen Willen habendenMaschine herab begründet und sich leiblich und geistig in dieselbe hineingelebthat.[<strong>GEJ</strong>.02_029,04] Nimm einen Stein und wirf ihn in die Höhe! Es wird nichtlange währen, so wird er, nach dem in ihn wie in die ganze Erde gelegtenMußgesetz, nur zu bald in sicher kürzester Zeit zur Erde herabfallen. Ist derStein darum zu loben, daß er das Gesetz gar so genau beachtet? Du kannst zwarmit dem Steine da, wo es sich um eine feste Unterlage handelt, alles möglichetun; schaffe aber dem Steine irgendeine freie Tätigkeit, und er wird seine toteRuhe nie verlassen![<strong>GEJ</strong>.02_029,05] Darum sollst du aus Menschen nicht Steine machen durchMußgesetze, sondern sie nur bilden in ihrer Freiheit, – dann hast du völlig derGottesordnung gemäß gehandelt.— 63 —


[<strong>GEJ</strong>.02_029,06] Siehe, wären die Menschen, die hoch obenan stehen auf derErde, nicht so träge, wie sie mit seltener Ausnahme sind, so würden sie bei nureinigem Beobachtungsgeiste gar leicht wahrgenommen haben, daß der Mensch,wenn er nur einen gewissen Grad von irgendeiner Bildung erreicht hat, sichewig nimmer mit der tierischen Einförmigkeit begnügt. Er baut sich zu seinerWohnung keine Hütte mehr aus Reisern, Stroh und geknetetem Lehm, sonderner behaut Steine und macht aus Lehm Backsteine, baut sich daraus ein stattlichesHaus mit Ringmauern und baut dazu feste Türme, von deren Zinnen er weitumhersehen kann, ob sich seinem Hause kein Feind nahe![<strong>GEJ</strong>.02_029,07] Und so bauen tausend gebildete Menschen sich sicher auchtausend Häuser, von denen keines dem andern gleicht – weder in der Form, nochin der inneren Einrichtung; betrachte aber dagegen die Nester der Vögel und dieLager der Tiere, und du wirst nie irgendeine Veränderung daran entdecken!Betrachte das Nest der Schwalbe, des Sperlings, siehe an das Gewebe derSpinne, die Zelle der Biene und tausend andere von den Tieren herrührendeProdukte und Machwerke, und du wirst nie eine Verbesserung und auch so nieeine Verschlechterung daran entdecken; betrachte aber dagegen das Machwerkdes Menschen: welch eine nahe ans Unendliche streifende Mannigfaltigkeitwirst du daran entdecken! Und doch sind es immer die einen und dieselbenMenschen, die das alles mit oft großen Mühen zustande bringen![<strong>GEJ</strong>.02_029,08] Daraus aber läßt sich ja schon mit den Händen greifen, daßGott, der dem Menschen einen Ihm ähnlichen Geist gab, eben den Menschennicht zum Tierwerden, sondern zum völlig freiesten Gottähnlichwerden erschaffenhat.“30. — Entwicklung und Gesetz[<strong>GEJ</strong>.02_030,01] Der Herr: „Wenn aber der Mensch, ohne Unterschied desGeschlechtes, der Hautfarbe und des irdischen Standes, für solch allerhöchstenBeruf von Gott erschaffen worden ist – was du nun sicher mit den Händengreifen kannst –, so kann seinem geistigen Teile ewig kein Mußgesetz gegebenwerden, so aus ihm endlich das werden solle, wozu ihn Gott bestimmt hat;sondern da solle ein jedes Gesetz mit ,Soll‘ gegeben sein, und nur für offenbarböswillige Gegner des freien Gesetzes solle eine taugliche, stets auf die freieBesserung des Menschen berechnete Züchtigung gesetzt sein, die aber allzeit sogestellt sein solle, daß sie nicht als eine willkürliche, sondern nur als einenotwendige Folge des unterlassenen Ordnungsgesetzes erscheint. So wird dermenschliche Geist dadurch zuerst zum selbständigen Denken gelangen und wirddas gegebene Gesetz ehest zu dem seinigen machen und danach handeln,während eine ganz willkürlich bemessene Strafe auf ein Vergehen das menschlicheGemüt allzeit verhärtet und erbittert und aus dem Menschen einen Teufelzieht, dessen Rachgier nicht eher erlöschen wird, als bis er sich, entweder nochin dieser, ganz sicher aber in der andern Welt, auf das unerhörteste rächen wird,– was ihm zugelassen werden muß, weil er sonst in der Hölle seines eigenen— 64 —


Herzens ewig nie zu bessern wäre![<strong>GEJ</strong>.02_030,02] Der Gesetzgeber und Züchtiger soll nie vergessen, daß derGeist des Menschen, ob gut oder böse, nicht getötet werden kann, sondernfortlebt! Solange er noch sichtbar auf der Erde umherwandelt, kannst du dichihm zur Wehr stellen und ihn vertreiben, wenn er dich verfolgt; ist er abereinmal aus dem Leibe und kann sich dir nahen auf tausendfache Art, um dir zuschaden bei jedem Schritte und Tritte, ohne von dir gesehen und wahrgenommenzu werden, – sage, mit welchen Waffen kannst du ihm dannentgegentreten?[<strong>GEJ</strong>.02_030,03] Siehe, nun sage Ich dir: Dein großes Unglück, das dich ohneMich gänzlich zermalmt hätte, hast du rein jenen Geistern zu verdanken, die dudir durch deine oft zu straffe Handhabung der römischen Staatsgesetze zu unversöhnlichenFeinden gemacht hast! Laß dir daher diese Meine umfassende Belehrungfruchtbringend zu Gemüte führen, so wirst du dadurch selbst ein guterArbeiter im Weinberge Gottes werden, denn dir fehlt es weder an Macht, nochan Mitteln und an einem stets gleich guten Willen; was dir aber gefehlt hat, dashast du nun von Mir empfangen. Wende es treulich an, und der segensreichstenFrüchte Krone wird für dich sicher nicht unterm Wege verbleiben!“[<strong>GEJ</strong>.02_030,04] Sagt Cyrenius ganz gerührt von der praktischen Weisheitdieser Meiner an ihn ergangenen Lehre: „O Du mein heiligster, erster undgrößter Freund, Meister und Gott meines Herzens! Nun erst bin ich vollendsklar, und tausend und aber tausend Begebnisse aus meinem Leben tauchen nunauf, und ich sehe nun erst, daß eben ich selbst bei meinem sonst ehrlichen undguten Willen an jenen gegen die Ordnung Gottes bei weitem mehr und stärkergesündigt habe als alle, die ich deshalb, leider nach der ganzen Strenge derGesetze, habe richten lassen. Wer aber wird nun solche meine gröbsten Sündenvor Dir, o Herr, je gutmachen können?“[<strong>GEJ</strong>.02_030,05] Sage Ich: „Freund, sei darum ruhig! Bei Gott ist kein Dingunmöglich, und Ich habe für dich schon lange alles gutgemacht, – ansonst dunicht bei Mir wärest!“31. — Des Jairus Rede über die Wunderwirkungen[<strong>GEJ</strong>.02_031,01] Sagt darauf auch Jairus: „Ja, ja, du mächtiger Cyrenius, duhast völlig recht, daß du von dir selbst aussagst, daß du nun vollends im reinenbist in deinen nunmaligen Einsichten; denn auch ich und sicher ein jeder aus unsist es und kann die ewige Notwendigkeit auf Grund der allerunbestreitbarstenWahrheit einsehen, wie da alles beschaffen ist, und wie der Mensch beschaffensein soll. Aber was kann man da tun? Die Menschheit ist zu tief herabgekommen;sie versteht eine sanfte freie Lehre nicht, und es wäre – gerade herausgeredet– schade um die Zeit, die man dazu verwenden möchte, weil man sich damitnichts als eine fruchtlose Mühe gäbe, aus der kaum Disteln und Dornen alsFrucht zum leersten Vorscheine kämen! Also auf die sanfte Art ist keine— 65 —


Wirkung möglich, wenigstens nicht bei den mir nur zu bekannten Juden![<strong>GEJ</strong>.02_031,02] Das Volk aber durch Wunder lehren, ist zwiefältig schlecht:einmal schlecht, weil der Mensch, durch ein Wunder zur Wahrheitsannahmebewogen, ein gerichteter, unfreier Mensch ist und dem durch ein Wunderbekräftigten Worte nicht der kaum erkannten Wahrheit, sondern nur des mächtigenWunders wegen glaubt und nicht aus innerer Überzeugung und daraushervorgehender Selbstbestimmung, sondern aus purer knechtischer Furcht vorirgendeiner plötzlichen Strafe nach dem vernommenen Worte tätig wird.Versteht aber einer, ihm das Wunder recht geschickt auszureden, so wird er auchsicher der erste sein, der dem Worte und dem Glauben darauf ein ganz fröhlichesLebewohl nachrufen wird! Und zum andern Male ist die durch ein Wunderbekräftigte Lehre schlecht, weil das Wunder, das als solches kein Bleibenshaben kann, nicht auf die späteren Generationen übergeht, ein erzähltes undnicht erlebtes Wunder aber ohnehin keinen andern Wert als ein erzähltesKindermärchen hat und haben kann.[<strong>GEJ</strong>.02_031,03] Könnte man aber ein Wunder auch bleibend machen, oderwürde man allen Lehrern dieser hier vernommenen Wahrheiten die Fähigkeitgeben, allzeit Wunder zu wirken, so würde fürs erste ein bleibendes Wunder vondem Menschenverstande nur zu bald in die Reihe der täglich natürlichenErscheinungen gestellt werden und den kräftigen Beweisgrund verlieren. EinWunder aber, das von allen Wahrheitslehrern zu allen Zeiten gewirkt werdenwürde, würde fürs zweite eben auch alltäglich werden wie sonst irgendeinealltägliche Zauberei der Gassengaukler, die ich zwar auch nicht nachzuahmenimstande bin, und bei der ich nicht einsehe, wie und mit welchen Mitteln siezustande gebracht wird; aber weil man derlei nur zu oft sieht, so verliert es denWert des eigentlich Wunderbaren und sinkt zum Alltäglichen und ganzGewöhnlichen herab.[<strong>GEJ</strong>.02_031,04] Ist nicht alles Wunder über Wunder, was uns täglich umgibt?Was wir hören, sehen, fühlen, riechen, schmecken – ist nichts als Wunder überWunder! Aber weil alles das bleibend ist und in einer stets gleichen Ordnungfortschreitend geschieht, so verliert es den Charakter des Wunderbaren undnimmt auch keines Menschen Gemüt mehr wie ein Gericht für den Glaubengefangen; nur einige Naturkundige beschäftigt es wissenschaftlich. Diese legenihr Ohr auf die Erde und geben sich alle Mühe, um etwa doch das Gras wachsenzu hören; aber da sie mit aller ihrer Mühe dabei wenig oder nichts herausbringenund nicht erfahren können, wie da das Gras wächst, so tun sie am Ende doch mitweise tuender Miene, als verstünden sie es. Weil sie aber das Gras nichtwachsen machen können, so lernen andere alte, schon sehr abgenutzte Zauberstücklein,schlagen damit die Blinden breit und machen dabei aber die Sehendendarüber lachen, wie die Blinden sich von ihnen auf die harmloseste Weise breitschlagenlassen.[<strong>GEJ</strong>.02_031,05] Es ist demnach gewiß, daß die Wunder im Grunde desGrundes entweder wenig oder, was meistens der Fall ist, zur Besserung der— 66 —


Menschen gar keinen Wert haben, weil das, was ich von den Wundern nungesagt habe, leider nur zu wahr ist; sie erwecken wohl zumeist die neugierdevolleGafflust der Zuseher, aber die finsteren <strong>Band</strong>e des Herzens lösen sie beialler Ängstigung der Seele dennoch nicht, und die Wundergaffer bleiben unverändertdieselben, die sie ehedem waren, und fragen sich höchstens untereinander,zumeist so dumm als möglich: ,Aber wie er, der Wundermann, doch daszustande gebracht hat!?‘ Der noch dümmere Teil aber sieht um den Wundermannohnehin lauter Teufel und deren Spukwerk.[<strong>GEJ</strong>.02_031,06] Wenn aber sogestaltig auf dem Felde der Wundertäterei sowenig erwünschte Früchte zum Vorschein kommen und nach Deiner klarstenDarstellung, o Herr und Meister, durch die äußere Zwangsgewalt der Gesetzenoch wenigere und schlechtere, für die freie Belehrung aber nun unter tausendMenschen kaum fünf aufnahmefähig sind, so glaube ich nun nicht mit Unrechtnoch einmal die wichtige Frage zu stellen: Was soll man als Lehrer endlich tun?Das Wunder verdirbt, das strenge Gesetz verdirbt auch, – und für die freieBelehrung aus der göttlichen Weisheitstiefe ist nur überaus selten ein Menschvöllig aufnahmefähig! Wie kann man sich aus diesem Dilemma (Zwangslage)wirkend frei machen? Wie kann man denn mit einem Schiffe durch die weltbekannteSzylla und Charybdis also kommen, daß man weder von der einen nochvon der andern verschlungen wird?“32. — Grundzüge vom Wesen Gottes[<strong>GEJ</strong>.02_032,01] Sage Ich: „Mein Freund, du hast ganz richtig geurteilt; abereines hast du dennoch vergessen, und das besteht darin, daß bei Gott gar vieleDinge möglich sind, die die Menschen als unmöglich erachten. Siehe und zähleMeine Jünger! Es sind wenig Schulgebildete darunter; Ich aber habe sie zuerstdurchs Wort geweckt und an Mich gezogen und habe sie darauf erst die vorgesagteMacht des göttlichen Wortes tatsächlich erfahren lassen. Eine Wundertataber nach dem vorangegangenen reinen Worte ist kein Gericht mehr, sondernnur eine Bekräftigung des Wortes.[<strong>GEJ</strong>.02_032,02] Aber Ich setze die Beweise dennoch nicht in die Wundertaten,die Ich verrichte, sondern in das Licht des Wortes selbst und sage: Wer völlignach Meinem Worte leben wird, der wird es erst in sich zur lebendigen Überzeugungbringen, daß Meine Worte keine leeren Menschen-, sondern Gotteswortesind![<strong>GEJ</strong>.02_032,03] Wahrlich, wer in seinem Herzen nicht diesen nun ausgesprochenenBeweis überkommen wird, dem werden alle andern Beweise wenig odernichts nützen! Denn Meine Worte sind selbst Licht, Wahrheit und Leben.[<strong>GEJ</strong>.02_032,04] Wer daher Mein Wort hört, es annimmt und danach lebt, derhat Mich Selbst in sich aufgenommen; wer aber Mich aufnimmt, der nimmtauch Den auf, der Mich in die Welt gesandt hat, aber dennoch vollkommen einsist mit Mir. Denn was Ich will, das will auch Er! Und Er ist kein anderer denn— 67 —


Ich und Ich kein anderer denn Er bis auf die Haut, die uns beide umgibt. In wemaber, wie in Mir, Liebe und Weisheit in einem Herzen wohnen, der ist wie Ichund Der, der Mich in diese Welt gesandt hat zur Heilung und Beseligung aller,die an den Sohn des Menschen glauben werden! – Verstehet ihr das?“[<strong>GEJ</strong>.02_032,05] Sagen viele: „Ja, Herr!“; aber einige sagen: „Herr, dies ist zumersten Male eine etwas harte Lehre, und wir fassen ihren Sinn kaum. Wie kannstDu und Dein Wort ein und dasselbe sein?“[<strong>GEJ</strong>.02_032,06] Sage Ich: „Wenn ihr das nicht zu fassen vermöget, was so klarwie die Sonne des Mittags vor euch leuchtet, wie werdet ihr dann Größeresfassen? Wenn ihr das Irdische nicht begreift, wie werdet ihr dann Himmlischesfassen? – Was und wer ist denn der Vater? Sehet und vernehmet: Die ewigeLiebe in Gott ist der Vater! – Was und wer ist denn der Sohn? Was aus demFeuer der Liebe hervorgeht, das Licht, welches da ist die Weisheit in Gott! Wieaber Liebe und Weisheit eines ist, so sind auch Vater und Sohn eins![<strong>GEJ</strong>.02_032,07] Wo ist denn jemand unter euch, der in sich nicht hätte irgendeineLiebe und nicht irgendeinen entsprechenden Grad Verstandes? Ist er aberdarum zweifach in seinem Wesen? Oder so da brennt eine Lampe mit einerhellen Flamme, die doch sicher Feuer ist, muß er denn überall eine Flammeanzünden, wo er in der Nacht in einem und demselben Zimmer etwas sehenwill? Oder beleuchtet nicht eine helle Flamme dasselbe eine Zimmer so gut, daßman im ganzen Zimmer hell genug hat? Geht denn nicht das Licht von derFlamme, die ein Feuer ist, aus? Und weil es von der Flamme ausgeht, ist esdarum etwas anderes als die leuchtende Flamme selbst? – O ihr Blinden! Soganz natürliche Dinge vermöget ihr nicht zusammenzubringen, – wie wollt ihrhernach Himmlisches begreifen?[<strong>GEJ</strong>.02_032,08] Darum, wer aus euch an Mir sich irgend ärgert, der ziehe heimund tue und glaube, was ihn gut und recht dünkt! Denn dereinst wird jederseines Glaubens leben, und die Taten, die er nach dem Glauben aus seiner Liebeverrichtet hat, werden seine Richter sein![<strong>GEJ</strong>.02_032,09] Denn Ich werde niemanden richten, sondern jedes MenschenRichter wird seine eigene Liebe sein – nach diesem Meinem Worte, das Ich nunzu euch geredet habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_032,10] Nach dieser Erklärung treten die, welche früher Meine Redenicht verstanden haben, zu Mir und bitten Mich, daß sie bleiben dürfen; denn esfinge nun bei ihnen an, schon heller zu werden, und sie würden sich alle Mühegeben, Mein Wort klarer zu verstehen, als es bisher der Fall gewesen sei![<strong>GEJ</strong>.02_032,11] Und Ich sage: „Habe Ich euch doch nie fortgeschafft, sondernnur den Rat erteilt allen, die sich an Mir ärgern möchten, daß sie um ihres Heileswillen lieber gehen sollten, als sich etwa noch fürderhin zu ärgern! Da Ich euchsonach nicht fortgeschafft habe, warum solltet ihr nicht bleiben dürfen? Bleibet,so ihr ärgerlosen Herzens seid!“ – Nach solchem Bescheide treten sie zurückund sind damit ganz zufrieden.— 68 —


33. — Heilung der kranken Angehörigen eines alten Juden[<strong>GEJ</strong>.02_033,01] Aber da kommt auf einmal ein alter Jude aus der Gegend vonNazareth ins Zimmer und fragt gar ängstlich nach Mir. Die Jünger zeigen Michihm, und er tritt zu Mir hin, fällt auf seine Knie nieder und spricht mit einerweinerlichen Stimme:[<strong>GEJ</strong>.02_033,02] „Lieber Meister, Sohn meines alten Freundes Joseph! Ich habevon deiner wunderbaren Art, die Kranken zu heilen, vernommen und begabmich daher in meiner größten Not zu dir, da ich gehört habe, daß du dich nunwieder in Nazareth aufhieltest.[<strong>GEJ</strong>.02_033,03] Siehe, ich zähle bereits neunzig Jahre und bin schon sehrmühselig; ich habe aber Kinder und Kindeskinder, die mich allzeit mit allerLiebe und Aufmerksamkeit gepflegt haben. Nun aber kam eine unbekannte,böse Krankheit unter sie, so daß sie nun alle daniederliegen, und ich als einkraftloser, alter Greis bin der einzige Verschonte im Hause und weiß mir nichtzu helfen. Kein Nachbar getraut sich zu mir ins Haus aus Furcht, von der bösenKrankheit selbst ergriffen zu werden, und so stehe ich hilflos allein und weißmir nicht mehr zu raten und zu helfen! Ich habe zu Gott dem Herrn gebetet, daßEr mir helfe – auch durch den Tod, so es Sein Wille sei![<strong>GEJ</strong>.02_033,04] Als ich aber also betete, siehe, da kam ein Mensch ans Fenstermeines Gemaches und sagte: ,Was zweifelst du denn, da die Hilfe dir so naheist?! Gehe hin ins Haus Josephs! Der Heiland Jesus ist daselbst; Der allein kannund wird dir helfen!‘ – Darauf raffte ich alle meine Kräfte zusammen, übergaballe meine Kranken, denen ich ohnehin nicht helfen kann, Gott dem Herrn undmachte mich auf den eben nicht weiten Weg hierher zu dir. Und da ich denn soglücklich war, dich, du guter, lieber Heiland, anzutreffen, so bitte ich dich dennnun auch aus allen meinen Lebenskräften, daß du hingingest und Hilfe gäbestmeinen siebzehn Kranken, die gar entsetzlich von der unbekannten Krankheitgeplagt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_033,05] Sage Ich: „Ich habe es Mir für diese Gegend zwar vorgenommen,wegen des zu großen Glaubensmangels kein Zeichen mehr zu wirken; aberwenn du glauben kannst, daß Ich dir zu helfen vermag, so ziehe getrost heim,und dir geschehe, wie du geglaubt hast!“[<strong>GEJ</strong>.02_033,06] Auf diese Worte dankte der Greis voll tiefster Rührung undbegab sich nach Hause. Und als er, selbst ganz gestärkt, sich dem Hause nahte,da kamen ihm alle siebzehn so gesund, als wären sie nie krank gewesen, entgegen,begrüßten ihn wie stets aufs freundlichste und gaben ihm die vollste Versicherung,daß sie vor einer halben Stunde urplötzlich gesund geworden wären,versucht hätten aufzustehen und sich beim Aufstehen viel stärker fühlten denn jefrüher im gesunden Zustande. Sie hätten ihn schon überall gesucht und sichschon sehr gesorgt um ihn.[<strong>GEJ</strong>.02_033,07] Als der Alte solches vernahm, da merkte er, daß die böseKrankheit die Seinen um dieselbe Zeit verließ, als Ich in Meinem Hause zu ihm— 69 —


gesagt hatte: ,Dir geschehe, wie du geglaubt hast!‘[<strong>GEJ</strong>.02_033,08] Im Hause erst, als ihn die Seinen baten, daß er ihnen kundgebenmöchte, wo er war, sagte er: „Ich hatte vernommen, daß der nun weltberühmteHeiland Jesus sich wieder in Nazareth aufhalte, und ich machte mich aufund ging hin, – und seht, er erhörte mich und sagte bloß: ,Dir geschehe, wie dugeglaubt hast!‘ Und ihr seid auf dieses sein Wort im Augenblick gesund geworden!Saget nun selbst, ob so etwas je in ganz Israel ist erlebt worden!“[<strong>GEJ</strong>.02_033,09] Sagen die Gesundgewordenen: „Höre du, Vater, wenn so, damuß er mehr sein denn ein Wunderheiland allein! Vater, dies ist am Ende gareinmal wieder ein großer Prophet, größer denn Jesaja, Jeremia, Hesekiel undDaniel, ja vielleicht so groß wie Moses, Aaron und Elias! Nur denen war esmöglich, mit der Hilfe Jehovas solche Wunder zu tun, da ihnen alle Geistersowohl unter der Erde als auf der Erde, im Wasser und in der Luft völlig untertänigsein mußten! Wenn sie aber einem so übergroßen Propheten untertänig sind,dann muß er freilich wohl alles im Augenblick zu bewirken imstande sein, waser nur will![<strong>GEJ</strong>.02_033,10] Aber wie kam der Zimmermannssohn zu solch einer unermeßlichenGnade von Gott? Wir kennen ihn ja alle recht wohl; es werden kaum dreiJahre her sein, daß er mit seinen Brüdern bei uns gezimmert hat! Da war nichtsÄhnliches an ihm zu entdecken! Er müßte solch eine Gabe erst vor kurzemerhalten haben!? Ein sehr frommer Mensch war er wohl immer; sein Benehmenwar immer höchst anständig; er war ein stiller Arbeiter und redete nur dasNötigste; lachen sah man ihn nahezu nie, aber auch nie trauern; und so kannJehova seine Tugenden wohl angesehen haben und hat ihm nun gegeben solcheGnade! Denn Jehova sieht ja auf das weltliche Ansehen der Person einesMenschen nie, sondern bloß auf dessen reines, unbescholtenes Herz!“[<strong>GEJ</strong>.02_033,11] Spricht der Alte: „Ja, ja, da möget ihr wohl recht haben, – eswird schon also sein; aber wenn es unfehlbar also ist, da müssen wir morgen inaller Frühe hingehen und ihm unser Lob und unsern Dank darbringen! Denn voreinem von Gott sichtbar berufenen und mit Seinem Geiste gesalbten Prophetensoll jeder Mensch seine Knie beugen! Denn nicht der Prophet, sondern GottSelbst ist es, der da redet und wirket durch das Herz und durch den Munddesselben!“[<strong>GEJ</strong>.02_033,12] Sagen alle: „Amen, dies sei unsre erste und höchste Pflicht!“ –Diese Menschen begaben sich nun ins Haus, und die Jungen bereiteten einAbendmahl; denn sie waren alle hungrig.34. — Szene zwischen den erbgierigen Pharisäern und dem Schwiegersohndes Alten[<strong>GEJ</strong>.02_034,01] Es hatten aber die Pharisäer von Nazareth erfahren, daß diesesHauses Bewohner also gefährlich krank seien, daß sie nimmer gesund zu werdenvermöchten. Sie gingen hin, um über das Erbzehntel und über die Begräbnisse— 70 —


zum voraus alles abzumachen; denn nach dem Tode hatten sie kein Recht mehrauf die Hinterlassenschaft, weil der Kranke ohne ihren Beistand verstorben ist, –in welchem Falle dann der Staat als Erbe eintrat. Als also aus diesem Grunde diePharisäer hinkamen schon spät in der Nacht, als dieses Hauses Leute sich nachdem Abendessen schon zur Ruhe zu begeben anfingen, da machten die schonsehr habgierigen Beförderer der Seelen ins andere Leben ganz verzweifelt großeGesichter, als sie dieses Hauses, wenigstens zur Hälfte tot vermeinten Leute beider besten Gesundheit antrafen.[<strong>GEJ</strong>.02_034,02] Der erste, ganz behutsam mit verhaltenem Atem eintretendePharisäer sagte: „Ja, was ist denn das? Lebet ihr denn noch? Wir vermeinten,daß ihr schon wenigstens zur Hälfte dahingeschieden wäret, und sind dahergekommen, eure Seelen einzusegnen und eure Leiber zu beerdigen nach derSitte unserer Väter! Wer hat euch denn gesund gemacht? Borus sicher nicht!Wir wissen, daß er nicht zu euch ging, als er gerufen ward; denn er hatte sichergleich uns eine starke Furcht vor eurer äußerst bösen Krankheit. Wer also wareuer Arzt?“[<strong>GEJ</strong>.02_034,03] Sagt der Schwiegersohn des Alten, der ein kräftiger Mann warim Arbeiten und Reden: „Was fraget ihr darum? Ihr habt uns nicht geholfen, undsomit sind wir einander gegenseitig nichts schuldig! Ihr seid nicht unseres Heilswillen zu uns gekommen, sondern des Erbzehntes wegen; und ich sage es euch:da könnet ihr euch ewig von unserem Hause fernhalten! Denn könnet, wolletund getrauet ihr euch einem in aller Gefahr stehenden Hause keine Hilfe zuschaffen, dann brauche euch, wer euch will! Dieses Haus wenigstens wirdnimmer ein Begehren nach euch haben! Wahrlich, ihr seid mit all eurem Tunschlechter denn das böse Gewürm der Erde, das allein da ist zu fressen, nichtsGutes zu tun, wohl aber allerlei gute Frucht der Erde elend zu machen und zuverderben! Gehet uns daher bald aus den Augen, sonst vergreifen wir uns aneuch!“[<strong>GEJ</strong>.02_034,04] Sagt ein Ältester: „Nun ja, wir werden schon gehen; aber denGefallen könnt ihr uns ja tun, daß ihr uns saget, wer euch geholfen hat! Wirhaben täglich sieben Stunden lang für euch gebetet und möchten daher erfahren,ob ihr doch etwa wunderbar durch unser Gebet geheilt worden seid! Denn mitnatürlichen Mitteln wäre euch wohl in keinem Falle mehr zu helfen gewesen!Saget es uns daher; es kostet euch so etwas ja ohnehin nichts!“[<strong>GEJ</strong>.02_034,05] Sagt der Schwiegersohn: „Hebet euch von hinnen, ihr Lügner!Ihr möget des Erbzehntes wegen wohl täglich sieben Stunden um unsern Todgefleht haben, aber für unser Leben sicher nicht; denn ihr seid nun nicht darumhergekommen, um uns als Wiedergenesene zu begrüßen, sondern um von uns,den vermeintlich Verstorbenen, den Erbzehnt zu beschreiben und nach allerTode in den gierigen Besitz zu nehmen! O ihr losen Wichte, ich kenne euch nurzu gut und eure Gebete auch! Darum hebet euch von hinnen, sonst werde ichgenötigt sein, von meinem Hausrechte Gebrauch zu machen! Ihr seid ja ewignicht wert, den Namen dessen auszusprechen, der uns geholfen hat!“— 71 —


[<strong>GEJ</strong>.02_034,06] Sagt der Älteste noch einmal: „Nun, es sei denn, daß wir alsosind, wie du meinst; wir aber können ja doch noch anders sein oder werden!Denn da ist ein Wunder geschehen, und das kann uns ja sehr leicht andersgestalten in allem unserem Denken und Handeln! Darum saget es uns!“[<strong>GEJ</strong>.02_034,07] Sagt der Schwiegersohn ganz erregt: „Euch ändert auf dieserWelt nichts mehr, auch Gott nicht! Wäret ihr zu ändern, so hättet ihr euch schonlange geändert; denn ihr habt Moses und alle die Propheten, die wider euchzeugen! Aber euer Gott ist der Mammon und besteht im Golde und Silber!Diesem Gotte dienet ihr in eurem Herzen und umhüllet euch bloß äußerlich zumScheine mit dem Kleide Mosis und Aarons, auf daß ihr als reißende Wölfe imSchafspelze desto leichter mit euren todbringenden Zähnen in die Herden derLämmer einfallen und sie zerreißen und verschlingen könnet![<strong>GEJ</strong>.02_034,08] Jehova aber kennt euch und wird euch auch sicher ehestensden schon seit gar lange her wohlverdienten Lohn geben! Gott hat nun Jesus,den Sohn des Zimmermanns Joseph, erweckt wie dereinst Moses, und dieserJesus, der uns alle bloß durch sein mächtiges Wort aus der Ferne her augenblicklichgesund gemacht hat, wird euch sicher auch sagen, wieviel eure Verdienstevor Gott wert sind; denn er ist vom Geiste Gottes erfüllt, ihr hingegen aber vomGeiste Beelzebubs! Daher lasset euch's nun zum letzten Male gesagt sein, daßihr gehet und nimmer betretet dies Haus, – sonst soll euch Arges widerfahren!“[<strong>GEJ</strong>.02_034,09] Nach diesen Worten verlassen die Pharisäer das Haus unddenken ganz sonderbare Dinge über Jesus, der ihnen hier schon wieder in dieQuere gekommen ist, und beraten, wie sie seiner loswerden könnten, ansonst esweidlichst zu befürchten wäre, daß er in kurzer Zeit alle Juden also wie diesHaus wider sie aufwiegeln werde.[<strong>GEJ</strong>.02_034,10] Als sie aber solche argen Gedanken in sich recht lebhaftaufkommen lassen, geschieht hinter ihnen ein donnerartiger, mächtig starkerKnall, daß sie darob alle über die Maßen erschrecken und darauf gar stille undsehr behende in die Stadt zu laufen beginnen.35. — Die Pharisäer lesen den 37. Psalm. Robans weiser Rat[<strong>GEJ</strong>.02_035,01] Als sie in ihre Wohnung kommen, da greifen sie sogleich nachDavids Psalter und schlagen gerade auf den ersten Wurf den 37. Psalm auf, undder Älteste fängt an, ihn zu lesen also:[<strong>GEJ</strong>.02_035,02] „,Erzürne dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch überdie Übeltäter; denn wie das Gras werden sie bald abgehauen, und wie das grüneKraut werden sie verwelken. Hoffe auf den Herrn und tue Gutes; bleibe imLande und nähre dich redlich! Habe deine Lust am Herrn; Er wird dir geben,was dein Herz wünschet: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf Ihn! Erwird alles wohl machen und wird deine Gerechtigkeit hervorbringen wie einLicht, und dein Recht wie den Mittag.[<strong>GEJ</strong>.02_035,03] Sei stille vor dem Herrn und warte auf Ihn; erzürne nicht über— 72 —


den, dem sein Mutwille glücklich vor sich geht! Stehe ab vom Zorn, und laß denGrimm; ja erzürne dich nicht, daß du dann auch übel tuest! Denn die Bösenwerden ausgerottet; die aber des Herrn harren, werden das Land erben.[<strong>GEJ</strong>.02_035,04] Es ist noch um ein kleines, so ist der Gottlose nimmer; undwenn du nach seiner Stätte sehen wirst, wird er weg sein. Aber die Elendenwerden das Land erben und Lust haben in großem Frieden. Der Gottlose drohtdem Gerechten und beißt seine Zähne zusammen über ihn. Aber der Herr lachtüber den Gottlosen; denn Er sieht es, daß sein Tag kommt. Die Gottlosen ziehendas Schwert aus und spannen ihren Bogen, daß sie fällen den Elenden undArmen und schlachten die Frommen; aber ihr Schwert wird in ihr eigenes Herzdringen, und ihr Bogen wird zerbrechen.[<strong>GEJ</strong>.02_035,05] Das wenige, das ein Gerechter hat, ist besser denn das großeGut vieler Gottlosen. Denn der Gottlosen Arm wird zerbrechen; aber der Herrwird erhalten den Gerechten. Der Herr kennt die Tage der Gerechten undFrommen, und ihr Gut wird ewiglich bleiben; sie werden nicht zuschanden inder bösen Zeit, und in der Teuerung werden sie genug haben. Denn die Gottlosenwerden umkommen, und die Feinde des Herrn, wenn sie gleich sind wieeine köstlich grünende Aue, werden sie doch vergehen, wie da vergehet derRauch. Der Gottlose borgt und bezahlt nicht; der Gerechte aber ist barmherzigund milde.‘“[<strong>GEJ</strong>.02_035,06] Nach diesem Verse erhebt sich ein Pharisäer und sagt zumlesenden Ältesten: „Was liesest du da für ein dummes Zeug?! Merkst du es dennnicht, daß dies alles auf der schlechten Seite uns angeht und auf der guten Seiteniemand andern als den Sohn des Zimmermanns? Das ist ein ganz verdammtesZeugnis wider uns, und du liesest die Sache so leicht und heiter fort wie irgendeineLobschrift des Hohenpriesters aus Jerusalem an uns!“[<strong>GEJ</strong>.02_035,07] Sagt der Älteste: „Freund, es schadet uns gar nicht, wenn wirdadurch vor uns selbst ein wenig heller beleuchtet werden, als wir beleuchtetsind! Es ist besser, wir erkennen uns vorher unter uns, als daß wir um eine kurzeZeit später vor der ganzen Welt als Volksbetrüger nackt dastehen sollen, verachtetund verlassen von jedermann! Denn es hängt denn doch am Ende nur alleinvon Gott ab, wie lange wir in unserer gegenwärtigen Art und Weise als unentdecktbestehen sollen, und ich lese darum den sehr merkwürdigen Psalmweiter!“[<strong>GEJ</strong>.02_035,08] Sagen mehrere: „Hast recht, tue das!“[<strong>GEJ</strong>.02_035,09] Und der Älteste liest also weiter:[<strong>GEJ</strong>.02_035,10] „,Denn Seine Gesegneten erben das Land; aber SeineVerfluchten werden ausgerottet werden!‘“[<strong>GEJ</strong>.02_035,11] Hier fragt der Pharisäer ganz hastig wieder: „Wer sind dieGesegneten und wer die Verfluchten?“[<strong>GEJ</strong>.02_035,12] Sagt der Älteste: „Daß wir die Gesegneten nicht sind, das ist— 73 —


nun bei der stets zunehmenden Verfolgung der Römer wider uns wohl schon mitden Händen zu greifen! Denn wären wir die Gesegneten, so würde uns Gottnicht solch eine nie erhörte Plage in unser gesegnetstes Land gesetzt haben!Alles andere kannst du dir leicht selbst enträtseln. – Ich aber lese nun weiter:[<strong>GEJ</strong>.02_035,13] ,Von dem Herrn wird solches Mannes Gang gefördert, und Erhat Lust an seinem Wege. Fällt er, so wird er nicht weggeworfen; denn der Herrhält ihn bei der Hand. Ich bin jung gewesen und bin alt geworden; aber ich habenoch nie den Gerechten verlassen oder seinen Samen nach Brot gehen gesehen.Denn der Gerechte ist allzeit barmherzig und leihet gern dem Armen; darumwird sein Same gesegnet sein.[<strong>GEJ</strong>.02_035,14] Laß ab vom Bösen und tue Gutes! Bleibe gerecht immerdar;denn der Herr hat das Recht lieb und verläßt Seine Heiligen nie. Ewiglichwerden sie bewahrt; aber der Gottlosen Same wird ausgerottet werden. Alleindie Gerechten erben das Land und bleiben ewiglich darinnen.[<strong>GEJ</strong>.02_035,15] Der Mund des Gerechten redet die Weisheit, und seine Zungelehret das Recht; das Gesetz Gottes ist in seinem Herzen, und seine Füße gleitennicht. Der Gottlose aber lauert stets auf den Gerechten und sucht ihn zu töten.Aber der Herr läßt ihn nicht in des Gottlosen Händen, und verdammt ihn nicht,wenn er vom Gottlosen verurteilt wird.[<strong>GEJ</strong>.02_035,16] Harre auf den Herrn und halte Seinen Weg, so wird Er dicherhöhen, daß du das Land erbest; und du wirst es dann sehen, daß die Gottlosenausgerottet werden![<strong>GEJ</strong>.02_035,17] Ich habe einen Gottlosen gesehen, der war sehr trotzig, breitetesich aus und grünte wie ein Lorbeerbaum. Als man aber vorüberging, siehe, dawar er schon dahin; und als ich nach ihm fragte, war er nirgends zu finden![<strong>GEJ</strong>.02_035,18] Darum bleibe fromm und halte dich recht; denn solch einemwird es zuletzt gut gehen! Die Übertreter des Gesetzes Gottes aber werdenvertilgt werden miteinander, und die Gottlosen werden zuletzt ausgerottet! DerHerr allein aber hilft den Gerechten in jeglicher Not und ist ihre alleinige Kraftund Stärke. Der Herr wird ihnen beistehen und wird sie erretten. Er Selbst wirdsie von den Gottlosen erretten und wird ihnen helfen; denn sie trauen auf Ihn.‘“[<strong>GEJ</strong>.02_035,19] Als der Älteste nun mit dem Psalm zu Ende war, fällt ihn derPharisäer ganz zornig an und schreit: „Du alter Esel, merkst du es denn nicht,daß wir durch diesen Psalm als die Gottlosen bezeichnet werden, und die, die esmit Jesus halten, als die Gerechten? Merkst du nicht, daß wir ausgerottetwerden, und sie bleiben im Lande? Trachten nicht eben wir, ihn als den Gerechtenzu töten, während Gott ihn erhält? Das ist ein schöner Psalter für uns!“[<strong>GEJ</strong>.02_035,20] Sagt der Älteste: „Ich habe ihn nicht geschrieben! Er steht imBuche; und so wir bleiben, wie wir sind, so werden wir ihn uns auch tatsächlichgefallen lassen müssen! Verstehst du solches und die Macht Gottes?!“[<strong>GEJ</strong>.02_035,21] Sagt ein anderer: „Diese Sache verstehe ich besser als ihr alle!— 74 —


Unser Freund Roban hat müssen diesen Psalm lesen; das hat des ZimmermannsSohn mit seiner, uns allen freilich höchst unbegreiflichen Zaubermacht bewirkt!Denn so er die ganze Familie, bei der wir soeben vergebens unser goldenes undsilbernes Heil suchten, mit einem Worte zu heilen imstande ist, so ist er ebensogutauch imstande, uns zu nötigen, nur solche Psalmen zu lesen, die alleroffenbarstebensogut wider uns, als dereinst wider die Feinde Davids, Zeugnis geben.[<strong>GEJ</strong>.02_035,22] Zudem soll der alte Joseph wirklich von David in guter Linieein Abkömmling sein, und man nennt nun Jesus, weil auch Josephs zweitesWeib, Maria, aus demselben Stamme sei, einen ,Sohn Davids‘, aus welchemGrunde der alte Joseph, der stets ein schlauer Fuchs war, auch höchstwahrscheinlichganz geheim alle möglichen Künste mag seinen Sohn haben lernenlassen, auf daß dieser mit seinen Zaubereien die abergläubischen Römer undGriechen breitschlüge, sich dann als ein Sohn Jupiters oder Apollos vorstelleund die Römer ihn sonach unfehlbar zu ihrem Kaiser ausrufen und erhebenmüßten! Und wenn die in Rom residierenden Herren so blind sind wie diese, diehier über Asien zu befehlen haben, die Jesus schon sozusagen in seinem Sackehat, so kann es ihm auch gar nicht fehlen, daß er in jüngster Zeit den RömernGesetze vorschreiben wird, – und wir sind dann alle versorgt!“[<strong>GEJ</strong>.02_035,23] Sagt ein anderer: „Solch einem Unternehmen wird sich etwadurch ein Geheimschreiben an den Kaiser wohl ein Riegel vorschieben lassen!“[<strong>GEJ</strong>.02_035,24] Sagt der erste: „Du wirst dem schwer einen Riegel vorschieben,der mit seinem zauberischen Sehvermögen alles erschaut, was du noch soverborgen denkst! Wer sonst als er hat uns auf dem Heimwege mit dem Donnerknallerschreckt, weil er sicher vernommen hatte, was wir untereinander geredethaben wider ihn?! Und wer sonst als er hat uns den scharf wider uns zeugendenPsalm lesen lassen? Und warum? Weil er sicher gewußt hat, was wir wider ihnbeschließen wollten! Gehe hin, setze dich an den Schreibtisch und versuche esmit einem Geheimschreiben an den Kaiser – und ich stehe dir dafür, daß duentweder nicht imstande sein wirst, auch nur ein Wort niederzuschreiben, oderdu wirst wider dich ein gräßliches Zeugnis zu zeichnen genötigt werden durchseine unbegreifliche, geheime Zaubermacht![<strong>GEJ</strong>.02_035,25] Zudem ist selbst unser Oberster Jairus für ihn nun mit Leibund Seele eingenommen, da er ihm zwei Male die Tochter erweckt hat vomTode, und unterstützt ihn mit allem, was dieser nur wünscht – und wir vermögendarum auch nichts in Jerusalem wider ihn auszurichten. Kurz und gut, wir sindnun von allen Seiten vernagelt und gebunden und können uns gegen ihn nichtrühren. Am besten dünkt es mich noch, zum bösen Spiele eine gute Miene zumachen oder uns vollends zu seinen Jüngern zu bekennen – sonst können wirnichts für uns Ersprießliches wider ihn tun, da wir nicht einmal also etwas zudenken vermögen, daß er es nicht auf der Stelle in die durchdringendste Erfahrungbrächte.“[<strong>GEJ</strong>.02_035,26] Sagt der alte Roban: „Der Meinung bin ich auch! Es steht unswirklich nur der einzige Weg offen: daß wir uns entweder ganz indifferent— 75 —


verhalten, oder wir alle schlagen uns zu seiner Lehre und tun, was er uns ratetoder gebietet; denn wider diesen Stachel läßt sich vorderhand gar nicht löcken!“[<strong>GEJ</strong>.02_035,27] Sagen alle: „Wir wollen uns ganz indifferent halten, das wirddas beste sein; denn da verfeinden wir uns weder mit Rom noch mit Jerusalem,und darin besteht nun alle Klugheit, nach der wir unser Leben einzurichtenhaben.“[<strong>GEJ</strong>.02_035,28] Nachdem begeben sich alle zur Ruhe, und ein jeder denkt sichseinen Teil heimlich, was er für sich tun solle.36. — Der Pharisäerälteste Roban bei Jesus[<strong>GEJ</strong>.02_036,01] Am Morgen aber kommt der Roban dennoch zu Mir ins Hausund bittet, ob er mit Mir reden dürfe.[<strong>GEJ</strong>.02_036,02] Ich aber sage zu ihm: „Was du Mir sagen willst, das weiß Ich;aber was Ich dir zu sagen habe, das weißt du nicht, und so magst du Michhören.“[<strong>GEJ</strong>.02_036,03] Sagt Roban: „So du reden willst, so rede, und ich will dichhören!“[<strong>GEJ</strong>.02_036,04] Sage Ich: „Du hast gestern den Psalm vorgelesen; es wargerade der 37. Dieser Psalm hat dich, wie deine Kollegen, stark getroffen, undihr seid dadurch ein wenig in euch gegangen und habet dann beraten, ob ihreuch Mir gegenüber ganz indifferent verhalten, oder ob ihr Meine Jüngerwerden sollet. Ihr habt euch fürs Indifferentsein erklärt! Du aber dachtest in derNacht nach, ob du nicht Mein Jünger würdest, und bist nun gekommen, Michdarum zu fragen.[<strong>GEJ</strong>.02_036,05] Ich aber sage zu dir weder ja noch nein, sondern: willst dubleiben, so bleibe; willst du gehen, so gehe! Denn sieh, Ich habe der Jünger zurGenüge! Es sind hier in Meinem Hause etliche Gemächer, und sie sind alle vollvon Jüngern. Draußen im Freien siehst du Zelte aufgerichtet; sie werden vonMeinen Jüngern bewohnt. Da, neben diesem Meinem kleinsten Gemache, ist dasgroße Arbeits- und zugleich Speisezimmer; darin ruhen nun noch, da es früheist, die großen Weltherren Roms, und die sind ebenfalls Meine Jünger. In einemkleinen Gemache daneben wohnt der Oberste Jairus mit Weib und Tochter, dieIch erweckt habe zweimal vom Tode; und sieh, auch er ist Mein Jünger. WennIch aber solche Menschen zu Meinen Jüngern habe, so kannst du ja auchebensogut Mein Jünger werden; aber wie du auch siehst, so stehe Ich nicht anauf dich! Willst du, so bleibe; und willst du nicht, so gehe! Denn es stehen dirdie beiden Wege offen.“[<strong>GEJ</strong>.02_036,06] Sagt Roban: „Herr, ich bleibe, – und es ist sehr leicht möglich,daß von meinen Kollegen noch mehrere kommen und bleiben werden gleichmir! Denn ich fange nun an zu begreifen, daß hinter dir mehr sein muß als bloßdie geheime Zauberkunst eines morgenländischen Zauberers! Du bist ein von— 76 —


Gott gesalbter Prophet eigener Art, wie vor dir nie einer da war, und ich bleibedarum![<strong>GEJ</strong>.02_036,07] Es steht zwar wohl geschrieben, daß aus Galiläa nie einProphet aufstehen solle; aber ich halte mich nun nicht mehr daran, – denn beimir gilt die offene Tat mehr als das rätselhafte Wort der Schrift, das niemand inder rechten Wahrheitstiefe verstehen kann. Zudem bist du meines Wissens nichteinmal ein Gebürtiger Galiläas, sondern Bethlehems, und da kannst du vermögeder Geburt auch ganz gut ein Prophet sein! Ich fühle mich von dir sehr angezogen,und es tut mir wohl deine Nähe, und so bleibe ich. Ich habe zwar keingroßes Vermögen; aber was ich habe, reicht für uns alle hin, davon volle dreißigJahre zu leben! So du ein Lehrgeld verlangst, steht dir mein halbes Vermögen zuGebote!“[<strong>GEJ</strong>.02_036,08] Sage Ich: „Gehe hin und frage Meine Jünger, wieviel sie Mirzahlen für Lehre und Kost; das zahle dann auch du!“[<strong>GEJ</strong>.02_036,09] Roban fragte sogleich mehrere der anwesenden Jüngerdarüber. Diese aber sprachen: „Unser heiliger Meister hat noch nie auch nureinen Stater von uns verlangt, obschon wir alle stets mit allem von Ihm versorgtwerden. Sicher wird Er von dir nicht mehr verlangen, als Er von uns verlangt!Glaube und Liebe ist alles, was Er von uns verlangt.“[<strong>GEJ</strong>.02_036,10] Fragt Roban weiter: „Könnet ihr denn auch schon einigebesondere, für den menschlichen Verstand unbegreifliche Taten ausüben? Undso ihr das könnet, verstehet ihr es auch, wie so etwas möglich sein kann?“[<strong>GEJ</strong>.02_036,11] Sagt Petrus: „So es not tut, da können auch wir durch desMeisters Kraft in uns solche Taten verrichten und verstehen auch ganz durchgreifendgut, wie sie gar wohl und überaus leicht möglich sind. So du Seinwahrhaftiger Jünger sein willst, da wirst auch du solche Taten ausüben könnenund dann wohl verstehen, was du tust! Denn hier gibt die Liebe das Gesetz, unddie Weisheit übt es aus!“[<strong>GEJ</strong>.02_036,12] Fragt Roban noch weiter, sagend: „Aber davon hast du dochnie etwas bemerkt, daß etwa bei solch außerordentlichen Taten manchmal, soganz unvermerkt, der Satan einen Anteil hätte!?“[<strong>GEJ</strong>.02_036,13] Sagt Petrus: „Was Arges fragst du armer, blinder Menschdoch! Wie kann da Satan einen Anteil nehmen, wo alle Himmel den allerhöchstenund allmächtigsten Einfluß haben!? Ich und wir alle haben die Himmel offengesehen und die Engel Gottes in zahllosen Scharen danieder zur Erde kommen;und wir sahen, wie sie Ihm und uns allen dienten – wenn aber also, wie möglichdann ein Anteil des Satans!?[<strong>GEJ</strong>.02_036,14] Kannst du mir aber solches nicht glauben, so ziehe hin nachSichar und erkundige dich dort beim Oberpriester Jonael und bei dem GroßkaufmanneJairuth, der nun außerhalb Sichar das bekannte Schloß Esaus bewohnt!Diese unsere Freunde werden es dir treu kundgeben, wer Der ist, dessen Jüngerzu sein wir die nie verdiente, allerhöchste Gnade haben! Beim Jonael sowohl als— 77 —


eim Jairuth wirst du noch dienende Engel in scheinbar leiblicher Gestalt antreffen.“[<strong>GEJ</strong>.02_036,15] Als Roban solches vernimmt, da tritt er voll Ehrfurcht zu Mirhin und fragt Mich, ob Ich nichts dawider hätte, so er eine Reise nach Sicharunternähme.[<strong>GEJ</strong>.02_036,16] Sage Ich: „Nicht im geringsten irgendwas! Gehe hin underkundige dich um alles; und so du wieder hierhergekommen sein wirst, daunterrichte deine Brüder und Kollegen von allem, was du gehört und gesehenhast! Wenn du solchen Auftrag mit guter Wirkung wirst vollzogen haben, dakomme wieder und folge Mir nach! Denn du wirst es schon erfahren, wohin IchMich in der Zeit werde gewendet haben! So du aber durch Sibarah, den erstenMautort von hier, dann durch Kis und Kana in Samaria ziehest und man dichfragen wird, wohin und in wessen Namen du diese Reise machest, so nenneMeinen Namen, und man wird dich allenthalben frei ziehen lassen. Aber mitdem Kleide eines Ältesten der Pharisäer ziehe nicht! Denn damit möchtest dunicht weit kommen; sondern ziehe du eine ganz einfache Bürgerkleidung an,und man wird dich dann auch in Samaria nirgends beanstanden.“[<strong>GEJ</strong>.02_036,17] Als Roban solches vernommen hatte, machte er sich sogleichauf den Weg und ging in die Fremde, das zu suchen und zu erkennen, was ernun daheim gar so nahe hatte.[<strong>GEJ</strong>.02_036,18] Aber es gibt immer Menschen und Geister, die stets derMeinung sind, daß man in der Fremde mehr sehen, erfahren und lernen kann alsdaheim; und doch scheint überall ein und dieselbe Sonne. Ja, man kann in derFremde wohl andere Gegenden, andere Menschen und andere Sitten undSprachen kennenlernen; ob aber dabei das Herz etwas gewonnen hat, das ist eineandere Sache![<strong>GEJ</strong>.02_036,19] Wer nur aus purer Neugierde in die Fremde zieht, um sich dortbesser zu vergnügen und zu zerstreuen, der wird für seines Herzens Bildungwenig gewinnen; wer aber in die Fremde zieht, um den dortigen Menschen zunützen und ihnen zu bringen ein neues Licht, der wandere und wirke, und dieReise wird ihm viel Gewinnes abwerfen![<strong>GEJ</strong>.02_036,20] Jeder Prophet macht in der Fremde mehr Geschäfte denndaheim in seinem Hause.37. — Josa, der Alte, dankt dem Herrn[<strong>GEJ</strong>.02_037,01] Als der Roban fort war, da kam der Alte, der Josa hieß, mitseinen in dieser Nacht geheilten Kindern und Kindeskindern und brachte MirDank, Lob und Ehre und bat Mich, ob er mit den Seinen nicht den Tag über inMeiner Gesellschaft sich aufhalten dürfe.[<strong>GEJ</strong>.02_037,02] Und Ich sprach zu ihm: „Was du willst, das tue! Du hastgestern in der Nacht Meinetwegen noch einen Kampf mit den Pharisäern zu— 78 —


estehen gehabt, und ihr alle habt euch in Meinem Namen gut benommen.Darum aber sollet ihr in Zukunft von aller solcher Plage befreit sein, und es sollfürder kein habgieriger Zelot (Glaubenseiferer) mehr die Schwelle eures Hausesbetreten! Gehet aber nun zu Meinen Jüngern hin; diese werden euch unterweisen,was ihr alle für künftighin zu glauben und zu tun haben sollet!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,03] Bei diesen Worten tritt Petrus vor und führt die ganze Gesellschaftzum Matthäus dem Schreiber hin, und dieser gibt ihnen zu lesen, wasalles sich bei Meinen Jüngern zugetragen hat, und was Ich gelehrt habe.[<strong>GEJ</strong>.02_037,04] Als diese also für ihren Geist versorgt sind, da erst tretenCyrenius, Kornelius, Faustus und der Oberste Jairus mit Weib und Tochter ausihren Schlafkammern, begrüßen Mich auf das allerfreundlichste und bedankensich bei Mir für den guten und überaus stärkenden Schlaf und für die überausschönen Träume, die sie diese Nacht hindurch gehabt haben; Ich aber begrüßesie auch und zeige ihnen die soeben Angekommenen, die geheilt worden waren.[<strong>GEJ</strong>.02_037,05] Und Cyrenius tritt zu ihnen hin und fragt sie um alles kleinaus. Als er aber von den nächtlichen Umtrieben der Pharisäer gehört hatte, daward er völlig zornig und sprach: „Nein, Herr, bei Deinem mir nun über allesheiligen Namen, das kann ich diesen Satansjüngern nimmer nachsehen! Ich mußsie züchtigen lassen, und sollte ich darob auch mein Leben verlieren! Sind aberdas doch Wölfe, Hyänen und Füchse, wie es keine zweiten in ganz Palästina, jain ganz Asien gibt! Welcher Unterschied ist denn zwischen ihnen und denärgsten Dieben und Straßenräubern? O ihr Argen, ihr Bestien erster undreißendster Klasse! Gottesdiener nennen sie sich und lassen sich dafür auchallenthalben überhoch ehren und preisen am Tage; bei der Nacht aber ziehen siedann auf offenbarsten Raub aus! Nun, wartet, wartet, ich werde euch das nächtlicheAuf-den-Raub- Ausgehen schon auf eine Art vertreiben, daß euch darobdas Hören und Sehen vergehen soll!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,06] Sage Ich zum ganz erbosten Oberstatthalter: „Freund, laß dudas; denn was du nun tun möchtest, habe Ich geistig schon in dieser Nacht aufeine viel empfindlichere Art getan, und die Folge davon wird sein, daß sie allebald Meine Lehre annehmen werden. Ihr Ältester, namens Roban, war heuteschon hier und hat Meine Lehre angenommen; und Ich habe ihn darum dennauch schon als bereits Meinen Jünger nach Sichar gesandt, allwo er vieles sehenund lernen wird. In zwei Tagen kommt er wieder zurück und wird seine Kollegenganz sicher unter Mein Dach bringen! Und siehe, das ist besser denn Rute,Kreuz und Beil!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,07] Sagt Cyrenius etwas weniger erregt: „Wenn so, da nehme ichmein Wort zwar wohl zurück und werde über sie kein scharfes und peinlichesGericht ergehen lassen; aber Rede stehen müssen sie mir!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,08] Sage Ich: „Aber nur nicht vormittags, sondern nachmittags!Denn diese schöne Zeit wollen wir mit etwas Besserem zubringen. Nun abergehen wir vor allem zum Morgenmahl!“— 79 —


[<strong>GEJ</strong>.02_037,09] Es hatte nämlich Borus im Freien eine Menge Tische aufrichtenlassen, bei welcher Arbeit ihm Meine Brüder als Zimmerleute natürlich Hilfeleisteten, und so war heute als an einem Vorsabbat, respektive an einemFreitage, das Morgenmahl im Freien einzunehmen. Es waren bei fünfzig großeTische mit Bänken versehen, voll mit Speisen und Wein besetzt, und es warwahrlich recht ergötzlich, zu sehen, wie da Hunderte von Gästen aller Art schonan den Tischen saßen, Lobpsalmen sangen und das reichliche Morgenmahlverzehrten. In der Mitte der vielen Tische war eine Art Tribüne errichtet, auf derein großer, zierlich geschmückter Tisch mit Speisen unser harrete und wir – Ich,Cyrenius, Kornelius, Faustus, Jairus mit Weib und Tochter, Meine Mutter unddie zwölf Apostel – Platz nahmen und daselbst unter allerlei erbaulich heiterenGesprächen das Morgenmahl einnahmen, welches Faustus und Borus alsobestellt hatten.[<strong>GEJ</strong>.02_037,10] Es fehlte aber die Lydia, des Faustus junges Weib, das er inKapernaum daheim ließ wegen seiner vielen häuslichen Geschäfte, obschon esüberaus gerne auch mit nach Nazareth gezogen wäre. Meine Mutter machte ihmdarum, natürlich ganz sanfte, Vorwürfe; und er bereute es, sein liebstes Weibdaheim gelassen zu haben und beschloß, es sogleich selbst zu holen.[<strong>GEJ</strong>.02_037,11] Ich aber sagte zu ihm: „Laß das; so Ich will, wird sie bis genMittag ganz wohlbehalten hier sein!“ Faustus bat Mich darum, und Ichversprach ihm, solches zu tun.[<strong>GEJ</strong>.02_037,12] Es waren aber an Meiner Seite sogleich zwei überaus holdeJünglinge in lichtblauen Faltenkleidern zu sehen. Diese verneigten sich vor Mirbis zur Erde und sprachen: „Herr, Deine Diener harren in tiefster EhrfurchtDeiner heiligsten Befehle!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,13] Und Ich sage zu ihnen: „Gehet, holet die Lydia, auf daß sie beiuns sei!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,14] Die beiden verschwinden, und Cyrenius fragt Mich ganzerstaunt: „Freund, wer waren diese beiden gar so ungemein schönen und holdestenJünglinge? Beim Himmel, solch herrliche Gestalten hat mein Auge noch niegesehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,15] Sage Ich: „Sieh, ein jeder Herr hat seine Diener, und so er sieruft, müssen sie da sein und ihm dienen. Da Ich auch ein Herr bin, so habe auchIch Meine Diener, die Meine Befehle der ganzen Unendlichkeit zu verkündenhaben. Sie sind dir freilich nicht sichtbar, aber wohl Mir; und wo du nichtsahnest, da harren dennoch gleichfort zahllose Legionen Meiner Winke! Undsolche Meine Diener sind dazu – ob sie auch noch so zart aussehen – dennochstark genug, diese Erde, so Ich es ihnen gebieten würde, in einem Augenblickzunichte zu machen! – Nun aber sehet, dort kommen die beiden schon zurückmit der Lydia!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,16] Nun ergreift fast alle bei Meinem Tische ein Entsetzen, undCyrenius sagt: „Wie ist das möglich? Die beiden können kaum noch fünfhundert— 80 —


Schritte von hier entfernt gewesen sein – nach Kapernaum sind von hier nahezwei Stunden Weges –, und nun sind die beiden schon wieder da! Ach, das istdoch über alles, was ein armer Mensch auf dieser Erde je erleben kann!“[<strong>GEJ</strong>.02_037,17] Als die Lydia, vom erstaunten Faustus überzart empfangen, anunsern Tisch gebracht ward, so fragte Cyrenius sie sogleich: „Aber holdesteLydia, wie kamst denn du so schnell von Kapernaum hierher?! Bist du etwaschon auf dem Wege gewesen?“[<strong>GEJ</strong>.02_037,18] Sagt Lydia: „Siehst du denn nicht die beiden Engel Gottes?Diese trugen mich mehr denn in Pfeiles Schnelle hierher. Ich sah am Wegeweder Erde noch Luft, sondern dort und hier war nur ein Moment, und ich binnun hier. Frage aber die beiden Engel; diese werden davon mehr denn ichkundzugeben verstehen.“38. — Vom Menschlichen und Göttlichen des Herrn[<strong>GEJ</strong>.02_038,01] Cyrenius wendet sich nun sogleich an die beiden Engel undfragt sie, wie da doch solches möglich wäre. Diese aber weisen allerehrfurchtsvollstmit ihren himmlisch schönsten Händen auf Mich hin und sagen mit einerhöchst reinen und wohlklingenden Stimme: „Sein Wille ist unser Sein, unsereKraft und unsere Schnelligkeit! Aus uns selbst vermögen wir nichts; so Er aberwill, da nehmen wir Seinen Willen in uns auf und vermögen dann alles durchdenselben. Unsere Schönheit aber, die nun dein Auge blendet, ist unsere Liebezu Ihm, und diese Liebe ist wieder nichts als Sein Wille in uns! Wollt ihr unsaber gleich werden, so nehmet Sein lebendiges Wort auf in euer Herz und tutfreiwillig danach, so werdet ihr dadurch auch gleich uns solches Seines Wortesallmächtige Kraft und Stärke in euch haben; und so Er euch dann berufen wird,zu handeln in Seinem Willen, da werden euch alle Dinge möglich sein, und ihrwerdet mehr tun können denn wir, da ihr pur aus Seiner Liebe seid, während wirnur mehr Seiner Weisheit entstammen. – Nun weißt du, wie uns das, was dich inErstaunen setzte, gar leicht möglich ist. Handle in der Zukunft vollends nachSeinem Worte, so werden dir auch gar wunderbare Dinge möglich sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_038,02] Cyrenius macht hier große Augen und sagt: „Also habe ichdenn doch recht, so ich Jesus für den alleinigen Gott und Schöpfer der ganzenWelt halte!?“[<strong>GEJ</strong>.02_038,03] Sagen die Engel: „Da hast du wohl recht; aber nur rede davonnicht zu laut! Und so du an Ihm Menschliches erschauest, da ärgere dich nicht;denn alles Menschliche wäre kein Menschliches, wenn es nicht von Ewigkeitzuvor Göttliches gewesen wäre. So Er Sich daher zuweilen in dir bekannten undangewöhnten Formen bewegt, so bewegt Er Sich aber dennoch in keinen Seinerunwürdigen Formen; denn jede Form, jeder Gedanke war zuvor in Ihm, ehe siedurch Seinen Willen einen außer Ihm bestehenden, freien Willen auszumachenund zu bestimmen anfingen. In der Unendlichkeit gibt es kein Ding und keinWesen, das nicht aus Ihm hervorgegangen wäre. Diese Erde und alles, was in ihr— 81 —


und auf ihr lebt, ist nichts als Sein ewig gleich festgehaltener Gedanke, derdurch Sein Wort zur Wahrheit ward. So Er nun, was Ihm ganz überleichtmöglich wäre, diesen wesenhaften Gedanken in Seinem Gemüte und Willenfallen ließe, so wäre auch in demselben Augenblick keine Erde mehr, und alles,was sie enthält und trägt, würde ihr vernichtendes Los teilen.[<strong>GEJ</strong>.02_038,04] Aber des Herrn Wille ist nicht wie der eines Menschen, derschlecht genug heute so und morgen anders will. Des Herrn Wille ist ewig einund derselbe, und nichts kann diesen beugen in der von Ewigkeit her festgestelltenOrdnung; aber innerhalb dieser Ordnung herrscht dennoch die größteFreiheit, und der Herr kann tun, was Er will, gleichwie auch jeder Engel undMensch. Daß aber das also ist, kannst du an deinem höchst eigenen Wesen undan tausend andern Erscheinungen ersehen.[<strong>GEJ</strong>.02_038,05] Du kannst in deiner persönlich wesenhaften Form tun, was duwillst; daran kann dich nichts als allein dein Wille hindern. Aber die persönlichwesenhafte Form läßt durchaus keine Veränderung zu, weil sie sich unter derfesten göttlichen Ordnung befindet.[<strong>GEJ</strong>.02_038,06] Also kannst du das Äußere der Erde wohl sehr bedeutendverändern; du kannst Berge abgraben lassen, kannst den Strömen einen neuenWeg vorzeichnen; du kannst Seen austrocknen und für neue Seen Bette grabenlassen; kannst über Meere Brücken bauen und die Wüste in ein gesegnetes undfruchtbares Land durch Fleiß und Mühe umgestalten, kurz, du kannst auf derErde eine Unzahl Veränderungen zuwege bringen; – aber du kannst den Tagnicht um ein Haar länger und die Nacht nicht um ein Haar kürzer machen undkannst den Winden und Stürmen nicht gebieten.[<strong>GEJ</strong>.02_038,07] Den Winter mußt du ertragen und dulden des Sommers Hitze,und aller Kreatur kannst du bei all deinem Wollen keine andere Gestalt undBeschaffenheit geben. Aus dem Lamme wirst du ewig keinen Löwen und ausdem Löwen ewig kein Lamm ziehen; und siehe, das ist wieder Gottes festeOrdnung, innerhalb welcher dir zwar eine große Freiheit zu handeln gegeben ist,während du die eigentliche Gottesordnung nicht um ein Haarbreit zu verrückenimstande bist.[<strong>GEJ</strong>.02_038,08] Hier vor dir aber ist Der, der solche Ordnung von Ewigkeit hergegründet hat und sie allein wieder auflösen kann, wenn Er will. Wie aber du insolcher gefesteten Gottesordnung, die zuerst dein Sein und das Sein alles dessen,was dich umgibt, bedingt, dennoch frei bist im Denken, Wollen und Handeln,also ist der Herr um so mehr frei und kann tun, was Er will.[<strong>GEJ</strong>.02_038,09] Wir aber sagen dir darum noch einmal: Ärgere dich deshalbnicht, so der Herr vor euch Sich in menschlicher Form bewegt; denn es ist jajegliche Form Sein höchst eigenes Werk.“39. — Vom Einfluß der Engel auf die Menschen[<strong>GEJ</strong>.02_039,01] Als Cyrenius solche Lehre von den beiden Engeln vernahm,— 82 —


ward ihm das nun zur vollen Gewißheit, und er riet nun bei sich nicht mehr, daßIch sicher ein höheres Wesen sei, sondern er sprach nun bei sich: „Ja, Er ist es!“Er ging darauf ganz ehrfurchtsvoll zu Mir hin und sagte zu Mir: „Herr, nun istmir alles klar! Du bist es![<strong>GEJ</strong>.02_039,02] Mein Herz hatte mir das wohl schon lange gesagt; aber datraten immer wieder Deine menschlichen Formen und Bewegungen auf undmachten mich bald hier, bald dort in meinem Glauben zweifeln. Aber nun sindalle meine geheimen Bedenklichkeiten aus meinem Gemüt verschwunden, undes kann nun geschehen, was da will, so werde ich in meinem Glauben wie einFels fest verbleiben. O wie endlos glücklich bin ich nun, daß sogar mein fleischlichAuge Den schauet, der mich erschaffen hat, und der mich nun erhält undewig erhalten kann und wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_039,03] Sage Ich: „Mein liebster Freund, was du nun hast, das soll dirauch bleiben für ewig! Aber nur behalte es vorderhand für dich und für nur sehrwenige deiner eingeweihtesten Freunde; denn sprächest du nun zu offen davon,so würdest du Meiner Sache und dadurch den Menschen mehr schaden dennnützen! Zudem aber behalte auch das, daß du dich nicht ärgerst, so du hie und daMenschliches an Mir gewahrst; denn bevor alle Engel und Menschen waren, warIch von Ewigkeit her wohl der erste Mensch und habe daher auch sicher dasRecht, unter Meinen geschaffenen Menschen auch noch fortan Mensch zu sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_039,04] Sagt Cyrenius: „Tue, was Du willst, und Du bleibst mirdennoch ewig gleichfort Das, was Du mir nun ohne allen Zweifel bist! Aberdiese beiden Engel möchte ich bis an mein irdisches Lebensende bei mir haben!Sie sind gar so schön, lieb und weise!“[<strong>GEJ</strong>.02_039,05] Sage Ich: „Das kann nicht sein; denn du würdest ihre persönlichsichtbare Gegenwart nicht ertragen, und sie würde deiner Seele zu nichtsnütze sein. Aber unsichtbar für deine irdischen Sinne sollen sie fortan deineBeschützer bleiben, wie sie es schon von deiner Geburt an waren. Für jetzt aber,da sie den heutigen Tag über hier sichtbar zu verweilen haben, kannst du nochviel mit ihnen verkehren.[<strong>GEJ</strong>.02_039,06] Du kannst aber, wenn du sie auch nicht siehst, mit ihnen redenund kannst sie fragen um allerlei, und sie werden dir die Antwort in dein Herzlegen, die du allzeit als einen klar ausgeprägten Gedanken im Herzen vernehmenwirst. Und das ist besser denn die äußere Rede! Ich sage es dir: Ein Wort, das direin Engel in dein eigenes Herz gelegt hat, ist für deine Seele heilsamer alstausende Worte, durch das Ohr von außen her vernommen! Denn was du imHerzen vernimmst, das ist schon dein Eigentum; was du aber von außen hervernimmst, das mußt du dir erst zu eigen machen durch die Tat nach demvernommenen Worte.[<strong>GEJ</strong>.02_039,07] Denn hast du das Wort im Herzen und sündigest deinemAußenwesen nach dennoch von Zeit zu Zeit, so ist dein Herz dabei nichteinstimmig und zwingt dich sobald zur Erkenntnis der Sünde und der Reue überdieselbe, und du bist schon dadurch kein Sünder mehr; hast du aber das Wort im— 83 —


Herzen nicht, sondern nur im Gehirne, durchs Ohr dahin gebracht, und sündigest,so sündiget das leere Herz mit und zwingt dich weder zur Erkenntnis nochzur Reue der Sünde, und die Sünde bleibt in dir, und du machst dich schuldigvor Gott und den Menschen![<strong>GEJ</strong>.02_039,08] Und so, Freund, ist es dir heilsamer, deine geistigen Beschützernicht zu sehen, solange du im Leibe zu verweilen hast; wenn du aberdereinst den Leib zu verlassen haben wirst, dann wirst du sie, als selbst Geist,ohnehin für ewig zu sehen und zu greifen haben – nicht nur diese zwei, sondernzahllos viele andere.“[<strong>GEJ</strong>.02_039,09] Sagt Cyrenius: „Ich bin schon wieder zufrieden, aber heutewill ich mich vollauf mit ihnen allergeistigst unterhalten!“[<strong>GEJ</strong>.02_039,10] Sage Ich: „Aber wie wird es denn sein? Du hast ja den hartenund diebischen Pharisäern verheißen bei Meinem Namen, daß du ihnen einenstarken Verweis geben wirst; da wird der Nachmittag dir ja die Gesellschaft derbeiden Engel entziehen!?“[<strong>GEJ</strong>.02_039,11] Sagt Cyrenius: „Ja fürwahr, das hätte ich nahezu ganz vergessen!Ei, ei, das ist mir nun wohl sehr ungelegen! Was soll ich da tun?“[<strong>GEJ</strong>.02_039,12] Sage Ich: „Wie wäre es denn, so Ich dich des Eides entbinde,wenn du den Pharisäern den beabsichtigten Verweis ganz erließest, da sieohnehin an deiner gestrigen Androhung genug zu kauen haben?“[<strong>GEJ</strong>.02_039,13] Sagt Cyrenius: „Herr, wenn es Dir genehm ist, so erlasse ichihnen nun überaus gerne den beabsichtigten Verweis und überlasse alles Dir unddem alten Roban, der sie nach ein paar Tagen schon zurechtbringen wird.“[<strong>GEJ</strong>.02_039,14] Sage Ich: „Oh, da habe Ich sicher am allerwenigsten etwasdawider! Denn Ich habe darum schon dein Vorhaben mit den Pharisäern auf denNachmittag verschoben, weil Ich nur zu gut wußte, daß du bald anderen Sinneswerden würdest. – Jetzt aber, da der heutige Tag sich so schön gemacht hat,wollen wir alle ans Meer hinausgehen und uns für den Mittag und Abend einigeFische holen. Wer mit will, der mache sich auf die Füße!“40. — Die Liebe zum Herrn[<strong>GEJ</strong>.02_040,01] Fragen Petrus und Nathanael: „Aber Herr, wir haben keinFischzeug bei uns; wie wird das gehen? Sollen wir etwa vorauseilen und bei denFischern am Meere ein Fischerzeug ausborgen?“[<strong>GEJ</strong>.02_040,02] Sage Ich: „Daran hat es keine Not; aber eine andere Not hat es,und das ist euer Gedächtnis, das alle Augenblicke zu vergessen scheint, daß Ichder Herr bin, dem kein Ding unmöglich ist! Bleibet daher in der Gesellschaft,und erkläret beim Fischen dem alten Josa und dessen Familie die Kraft undMacht Gottes auch im Menschen!“ – Auf diese Meine Worte ziehen sich beidezurück und denken darüber nach, wie sie so blind sein mochten, Mir mit solcheiner höchst weltlichen Frage zu kommen. Selbst Josa bemerkt ihnen, daß er— 84 —


kaum begreife, wie sie Mich darum haben fragen können![<strong>GEJ</strong>.02_040,03] Sagt Nathanael: „Freund, wir beide sind gleich dir nochMenschen und als solche zu sehr an die weltlichen Verhältnisse gewöhnt, alsdaß aus uns nicht noch dann und wann etwas so recht Dummes zum Vorscheinkäme; aber für die Zukunft werden wir uns schon ganz besonders zusammennehmen!Wir waren ja von unserer Jugend auf Fischer, und so wir vom Fischenetwas vernehmen, so fallen wir leicht wieder ein wenig, des Geistigen vergessend,in unsere alten Besorgnisse zurück. Aber jetzt ist es schon wieder gut.“[<strong>GEJ</strong>.02_040,04] Es kommt aber auch die Sarah zu Mir und bittet Mich, ob siemitgehen dürfe.[<strong>GEJ</strong>.02_040,05] Sage Ich: „Ganz natürlich; dir zuliebe veranstalte Ich ja dieseArbeit! Du bist ja gleichfort Meine Geliebte! Warum setztest du dich denn heutebeim Morgenmahle nicht an Meine Seite?“[<strong>GEJ</strong>.02_040,06] Sagt Sarah, vor Liebe ordentlich zitternd: „Herr, ich habe michja nicht getraut; denke, – die drei höchsten Gebieter Roms an Deiner Seite, undich eine arme Magd! Wo hätte ich den Mut hernehmen sollen?“[<strong>GEJ</strong>.02_040,07] Sage Ich: „Nun, nun, Mein Liebchen, Ich habe es dir nur zugut angemerkt, daß du viel lieber bei Mir als überall anders gewesen wärest! Oh,Mir entgeht nichts, was da vorgehet in jemandes Herzen, und Ich habe dichdarum aber auch gar so überaus lieb![<strong>GEJ</strong>.02_040,08] Aber sage Mir nun, du Meine allerliebste Sarah, wie dir diebeiden Jünglinge gefallen? Möchtest du etwa den einen oder den andern nichtlieber haben denn Mich? Denn sieh, Ich bin denn der Gestalt nach doch nicht soschön wie die beiden!“[<strong>GEJ</strong>.02_040,09] Sagt die Sarah: „Aber Herr, Du meine ewig alleinige Liebe,wie kannst denn Du mir so etwas ansinnen? Einen ganzen Himmel voll nochtausendmal schönerer Engel nähme ich nicht um ein Haar Deines Hauptes,geschweige einen der beiden für Dich als Ganzen, voll Liebe in meinem Herzen.Wenn sie auch schön sind, so frage ich: Wer gab ihnen denn solch ihre Schönheit?Das warst ja Du! Wie aber hättest Du ihnen solch eine Schönheit gebenkönnen, wenn sie zuvor nicht in Dir gewesen wäre!?[<strong>GEJ</strong>.02_040,10] Ich sage es Dir: Du bist für mich alles in allem, und ich lassenimmer von Dir, und wenn Du mir darum auch alle Himmel voll der herrlichstenEngel gäbest!“[<strong>GEJ</strong>.02_040,11] Sage Ich: „So ist es recht, so habe Ich es am liebsten! WerMich liebt, der muß Mich ganz und über alles lieben, so er von Mir auch überalles geliebt werden will. Siehe, die beiden Engel sind sicher überaus schön;aber du bist Mir nun auch lieber als zahllose Scharen der reinsten Engel, unddarum bleibe nun nur fest bei Mir! Ich sage es dir: Du bist aus vielen eine rechteBraut von Mir! – Verstehst du das?“[<strong>GEJ</strong>.02_040,12] Sagt die Sarah: „Herr, das verstehe ich wohl nicht! Wie sollte— 85 —


ich Deine Braut sein? Kann ich Dir denn das werden, was meine Mutter meinemVater ist? Du bist der Herr Himmels und der Erde, und ich bin nur ein Geschöpfvon Dir; wie sollte das zugehen, daß das Niederste sich mit dem Allerhöchstenverbinden könnte?“[<strong>GEJ</strong>.02_040,13] Sage Ich: „Siehe, das geht ganz leicht, und zwar aus dem ganzeinfachen Grunde, weil das von dir vermeinte Niederste auch aus dem Allerhöchstenhervorgegangen ist – und sonach mit Allerhöchstes ist.[<strong>GEJ</strong>.02_040,14] Ich bin ein Baum des Lebens, und du bist seine Frucht. DieFrucht ist dem Anscheine nach freilich kleiner und unbeständiger als der Baum;aber in ihrer Mitte ruht ein aus der Frucht genährter und gereifter Same, in demSamen aber liegen wieder Bäume derselben Art, fähig, selbst dieselben Früchtezu tragen mit wieder lebendigem Samen, aus welch einem einzelnen sie hervorgegangensind.[<strong>GEJ</strong>.02_040,15] Aus dem aber kannst du denn auch ganz leicht entnehmen, daßder Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf in einer gewissen Hinsichtkein gar so großer ist, als du es dir vorstellst; denn das Geschöpf selbst ist in undfür sich der Wille des Schöpfers, der sicher durchaus gut und würdevoll ist.Erkennt dieser vom Schöpfer ausgegangene und unter der Form des SchöpfersSelbst frei gestellte Wille sich in seinem frei gestellten Alleinsein als das, was erim Grunde des Grundes ist, und handelt danach, so ist er seinem Schöpfer gleichund ist in seinem kleinen Maße vollkommen das, was der Schöpfer in Seinemunendlichen Maße ist; erkennt aber der vom Schöpfer frei gestellte Teilwillesich nicht als das, was er ist, so hört er darum zwar dennoch nicht auf, das zusein, was er ist, aber er kann so lange die höchste Bestimmung nicht erreichen,bis er sich nicht als das erkannt hat, was er im Grunde des Grundes ist.[<strong>GEJ</strong>.02_040,16] Um aber solchen frei gestellten Willensteilen, die daMenschen heißen, die Mühe der Sichselbsterkennung leichter zu machen, hatder Schöpfer zu allen Zeiten Offenbarungen, Gesetze und Lehren aus denHimmeln herab den Menschen gegeben und ist nun sogar im Fleische Selbst zurErde gekommen, um den Menschen bei der Arbeit der Sichselbsterkennung zuhelfen und ihnen für die Folge mehr Licht zu geben, auf daß ihre Mühe eineleichtere würde, als sie bis jetzt war.[<strong>GEJ</strong>.02_040,17] Nun wirst du wohl verstehen, wie sich Schöpfer und Geschöpfzueinander verhalten, und somit auch leicht einsehen, wie du, als Mir völligebenbürtig, gar leicht Meine Braut und Mein Weib sein kannst, für ewig gebundendurch deine große Liebe zu Mir! – Verstehst du nun das, was Ich dir nunenthüllt habe?“41. — Vom Wesen der wahren Liebe[<strong>GEJ</strong>.02_041,01] Sagt die überaus schöne und liebenswerteste Sarah: „Ja, jetztbin ich schon mehr im klaren; aber da haben dann ja alle Töchter Evas dasselbeRecht auf Dich wie ich!?“— 86 —


[<strong>GEJ</strong>.02_041,02] Sage Ich: „Allerdings, wenn sie sind, wie du nun bist; sind sieaber nicht so, da können sie wohl Meine Mägde, auch Bräute, aber dennochnicht völlig Meine Weiber werden. Hatte aber Meines Leibes Urvater Daviddoch auch viele Weiber gehabt und war ein Mann nach dem Herzen Gottes;warum sollte Mir das nicht freistehen, viele Weiber zu haben, da Ich doch mehrbin denn David? Und Ich sage dir noch dazu, daß Ich das Vermögen habe, soviele Weiber allerseligst zu erhalten, als es da gibt des Sandes im Meer und desGrases auf der Erde, und daß eine jede also versorgt sein wird, daß sie ewig nieeinen Wunsch wird haben können, der ihr nicht aufs zuvorkommendste befriedigtwürde. Wenn aber so, kann dich das dann etwa genieren, wenn Ich vielendas Glück geben will, das Ich dir in Überfülle gebe?“[<strong>GEJ</strong>.02_041,03] Sagt die Sarah: „Du bist ja allein der Herr und bist dieunbegrenzteste Liebe und Weisheit Selbst, und was Du tust, ist weise getan; aberich kann dennoch nicht dafür, daß ich Dich gar so sterbensmächtig liebe undDich darum wie allein besitzen möchte! Du mußt aber das meinem kindlichenHerzen schon nachsehen, das in der Liebe noch so blöde ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_041,04] Sage Ich: „Das ist gerade recht, sage Ich dir. Wer Mich nichtwie du völlig eifersüchtig liebt und Mich in seinem Herzen wie nahe ausschließendallein besitzen will, der hat noch keine wahre, lebendige Liebe zu Mir! Hater aber diese nicht, so hat er auch die Fülle des Lebens nicht in sich; denn Ichbin ja das eigentlichste Leben im Menschen durch die Liebe in seiner Seele zuMir, und diese Liebe ist Mein Geist in jedem Menschen.[<strong>GEJ</strong>.02_041,05] Wer also die Liebe zu Mir erweckt, der erweckt seinen vonMir ihm gegebenen Geist, und da dieser Geist Ich Selbst bin und sein muß, weiles außer Mir ewig keinen andern Lebensgeist gibt, so erweckt er dadurch ebenMich Selbst in sich und ist dadurch ins ewige Leben vollauf eingeboren undkann dann hinfort ewig nimmer sterben und ewig nimmer vernichtet werden –auch durch Meine Allmacht nicht, weil er mit Mir eins ist. Ich aber kann MichSelbst auch nicht vernichten, weil Mein unendliches Sein sich ewig nie insNichtsein umgestalten kann. Darum denke ja nicht, daß deine Liebe zu Mirblöde ist, sondern sie ist gerade so, wie sie sein muß! Beharre darin, so wirst duewig keinen Tod weder sehen, noch fühlen oder schmecken!“[<strong>GEJ</strong>.02_041,06] Diese Meine Erklärung an die Sarah machte sie so ganz glücklich,daß sie Mich mit aller Kraft umarmte und gar überaus zärtlich zu kosenbegann.[<strong>GEJ</strong>.02_041,07] Die Mutter Sarahs verwies ihr das und sagte: „Aber liebeSarah, das schickt sich ja nicht! Geh, du bist wohl recht unartig!“[<strong>GEJ</strong>.02_041,08] Sagt die Sarah: „Ei was, schicken oder nicht schicken! Esschickt sich auch nicht zu sterben und dann fein tot zu sein; aber wenn dann derHerr kommt und den Toten erweckt und aus dem Grabe zieht, was auch gewißganz höchst ungewöhnlich ist, wie schickt sich dann so etwas vor der Welt? OMutter, den Herrn lieben vor aller Welt über alles, das schickt sich für jedenMenschen sicher am allerbesten! – Nicht wahr, Herr Jesus, ich habe recht— 87 —


geurteilt?!“[<strong>GEJ</strong>.02_041,09] Sage Ich: „Ganz rechtens und vollauf wahr! Wer in der Weltsich geniert, Mich offen über alles zu lieben, da geniere dann auch Ich Mich, ihnvor allen Himmeln zu lieben und ihn zu erwecken zum ewigen Leben am jüngstenTage!“42. — Vom jüngsten Tage[<strong>GEJ</strong>.02_042,01] Es fragten aber nun auch mehrere, wann der „jüngste Tag“kommen werde.[<strong>GEJ</strong>.02_042,02] Ich aber sagte: „Wann der ältere vergangen ist, so kommt aufden älteren Tag dann stets ein jüngster; und da Ich niemanden an einem schonvergangenen Tage erwecken kann, so muß das ganz natürlich an einem jüngstenTage geschehen, weil dazu ein vergangener, älterer Tag unmöglich mehr zugebrauchen ist. Ist denn nicht jeder neue Tag, den ihr erlebt, ein jüngster Tag?Oder kann etwa jemand noch einen jüngeren erleben, als da eben der ist, in demer lebt? Seht, wir alle leben heute doch sicher in einem möglichst jüngsten Tage!Denn der gestrige kann kein jüngster mehr sein, und der morgige ist noch langenicht da. Aus dem aber läßt sich hoffentlich doch mit Händen greifen, daß es amEnde ebenso viele jüngste Tage gibt und geben muß für jeden Menschen, als soviele er deren durchlebt hat! Ich sage es euch, daß ihr alle am jüngsten Tagesterben werdet und werdet auch unmöglich anderswann als an einem jüngstenTage vom Tode zum Leben erweckt werden; und so ein Mensch oder alleMenschen ihm zu bestehen bekommen, so wird solches auch unmöglich aneinem alten, vergangenen Tage, sondern an irgendeinem künftigen, also offenbarjüngsten Tage geschehen! Welcher dazu bestimmt wird, das ist weder vonMir noch von irgendeinem Engelsgeist zum voraus bestimmt; denn es ist dazujeder kommende Tag ganz überaus gut und sehr brauchbar. – Versteht ihr nundas?“[<strong>GEJ</strong>.02_042,03] Die Fragenden ziehen sich etwas verdutzt zurück und sagen:„Wahrlich, die Sache ist so klar wie die reinste Luft, und doch mochte unsereDummheit fragen!? Es ist wahrlich mit Händen zu kneipen und zu greifen! Sowir gar oft von den alten Tagen reden, so muß es ja auch junge und jüngstegeben! Es ist, ist, ist, ist – das doch sehr dumm von uns gewesen! Es gehört vonSeiner unendlich weisen Seite wahrlich unendlich viel Geduld dazu, um uns zuertragen!“[<strong>GEJ</strong>.02_042,04] Sagt die Sarah, ein wenig lächelnd: „Ja, der Herr hat wohl diegrößte Geduld mit uns allen! Aber was ein jüngster Tag ist, und wann erkommen werde, das habe ich schon in der Wiege gewußt; und hatte michjemand darum gefragt, so sagte ich allzeit: ,Morgen wird der jüngste Tagkommen!‘ Habt ihr denn das im Ernste nicht gewußt?“[<strong>GEJ</strong>.02_042,05] Sagen die, die gefragt haben: „Ja, ja, wir waren richtig sodumm, es nicht zu wissen, und hatten immer eine schreckliche Furcht vor solch— 88 —


einem einst kommen sollenden Tage! Nun sind wir freilich darüber im klaren;aber nun schämen wir uns auch ganz ordentlich, daß uns so etwas hat entgehenkönnen, was doch so klar vor jedermanns Augen und Ohren liegt!“[<strong>GEJ</strong>.02_042,06] Sage Ich: „Machet euch nichts daraus; denn es ist diesdennoch ein Stein, über den in der Zukunft noch viele tausendmal Tausendefallen werden und werden darüber viel weissagen und schreiben und predigendem blinden Volke.[<strong>GEJ</strong>.02_042,07] Nun aber sehen wir, wie wir mit den Fischen zurechtkommenwerden; denn wie ihr sehet, so stehen wir bereits am Meeresstrande, undFischerboote sind in Menge zu unserem Gebrauch hier vorrätig. An Netzen undandern zum Fischfange nötigen Geräten fehlt es auch nicht; und so können wirsogleich an die Sache gehen. Die beiden Jünglinge, mit denen sich Cyreniusnoch sehr eifrig bespricht, sollen uns auch gute Dienste leisten! Legen wirsonach gleich unsere Hände ans Werk!“43. — Der Herr Jesus und die Seinen beim Fischfang[<strong>GEJ</strong>.02_043,01] Es fingen aber nun alle an, sich zu wundern, da sie nichtwußten, wie sie von Meinem Hause hierher ans Meer gekommen sind.[<strong>GEJ</strong>.02_043,02] Ich aber sagte: „Wie möget ihr euch noch wundern?! Habt ihrdenn nicht schon einige Male Ähnliches bei Mir erlebt? Daß sich der alte Josamit seinen Kindern und Kindeskindern wundert, ist begreiflich; aber bei euch,Meinen nun schon vielerfahrenen Jüngern, ist es eigentlich unbegreiflich, wieihr euch noch verwundern könnet, da ihr doch schon nur zu klar einsehen solltet,daß Mir kein Ding unmöglich ist und sein kann![<strong>GEJ</strong>.02_043,03] Seht, Ich sagte nicht umsonst ,unbegreiflich‘; denn jedeVerwunderung über irgendeine von Mir vollführte außerordentliche Tat setztauch irgendeinen kleinen, noch immer irgendwo in der Seele verstecktenUnglauben voraus. Der Mensch bezweifelt im voraus die Möglichkeit irgendeinerbesonderen Tat oder Erscheinung; so aber die Tat trotz seines Zweifelsdennoch vollführt wird, so steht dann der am Gelingen derselben zweifelndeZeuge verblüfft da, staunt und fragt: ,Wie war denn das möglich?‘ Was sagt eraber mit solcher Frage? Ich sage es euch, nichts als: ,Ich zweifelte an derMöglichkeit des Gelingens, und doch ist es gelungen! Das ist merkwürdig undsonderbar!‘[<strong>GEJ</strong>.02_043,04] So ein Laie sich also verwundert, so ist das wohl begreiflich;aber wenn Tiefeingeweihte sich noch wundern, so zeigen sie dadurch an, daß sieselbst auch noch sehr zu denen gehören, die mit Recht ,Laien‘ genannt werden!Wundert euch daher in der Folge besonders vor den Fremden nicht mehr, wennIch irgendeine außerordentliche Tat vollführe, auf daß euch die Fremden nichtauch für Mitfremde ansehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_043,05] Sagen die Jünger: „Herr, Du weißt es ja, daß wir Dich überalles liebhaben und gar wohl wissen, wer und was Du bist; aber trotz alledem— 89 —


können wir denn doch oft nicht umhin, uns über ein neues Wunder auch wiedervon neuem zu verwundern, weil Deine offenbarsten Wundertaten zumeist soganz unerwartet und unvorbereitet kommen, daß man bei aller Fassung undallem Glauben denn doch ein wenig verblüfft dastehen muß. – Siehe, man hat jaauch oft genug die Sonne auf- und untergehen sehen; aber wo ist oder wo lebtwohl der Mensch von einem nur einigermaßen besseren Gefühle, dem nicht einjeder neue, herrliche Sonnenaufgang irgendeine Verwunderung abnötigenmöchte?! Und siehe, Herr, so ist es auch mit uns! Du bist aber endlos mehr dennzahllos viele Sonnenaufgänge und wollest uns daher schon ein wenig solcheFehler nachsehen, die stets von neuem mit Dich über alles liebenden Herzen zubegehen wir im Grunde des Grundes von Dir genötigt werden.“[<strong>GEJ</strong>.02_043,06] Sage Ich: „Nun, nun, es ist schon alles wieder gut; aber inZukunft beachtet solchen Meinen Rat der Fremden wegen, damit diese in euchMeine wahren Jünger erkennen! – Nun aber gehen wir ans Fischen! Es werdendabei auch wieder kleine Wunder geschehen; aber ihr tut dabei, als wären daskeine Wunder! Die Fremden sollen sie selbst finden und beurteilen, ob das ganzgewöhnliche, oder ob es außerordentliche Taten sind!“[<strong>GEJ</strong>.02_043,07] Nach dieser nötigen Belehrung bestiegen die Jünger eilendsdie Boote, spannten die Netze aus und warfen sie ins Wasser nach der Kunst derFischer, und machten einen Zug um den andern; aber der Fang war sehr wenigergiebig.[<strong>GEJ</strong>.02_043,08] Petrus bemerkte, daß da der ziemlich heftige Westwindungünstig wirke und die Fische zu Boden treibe.[<strong>GEJ</strong>.02_043,09] Ein anderer bemerkte wieder, daß man vor dem Abende nichtviel ausrichten werde; die Sonne scheine, durch kein Wölklein getrübt, zu heftig,und die Fische eilten darum der Tiefe zu, weil sie das heftige Licht nicht ertrügen.[<strong>GEJ</strong>.02_043,10] Nun bestiegen aber auch die zwei Jünglinge zwei Boote,spannten ein großes Netz und stießen mächtig weit in die See hinaus.[<strong>GEJ</strong>.02_043,11] Da sprach Andreas, der auch ein Meister im Fischen war:„Wenn die nicht wunderbarerweise durch ihre geistige Macht Fische in ihr Netztreiben, so können sie draußen auf der hohen See wohl zehn Jahre lang fischen,und sie werden nicht ein Stück ans Ufer bringen!“[<strong>GEJ</strong>.02_043,12] Aber die beiden Jünglinge machen einen heftigen Zug, sindbald am Ufer und bringen bei dreißig gute Stücke ans Land.[<strong>GEJ</strong>.02_043,13] Da sagt Andreas: „Das ist zwar kein Wunder, aber sonstdennoch recht viel, von der hohen See her dreißig Stück Waller (Welse) zufangen.“[<strong>GEJ</strong>.02_043,14] Endlich bestieg auch Ich ein Boot, die mutige Sarah aber aucheines. Wir spannten ein ziemlich großes Netz und ließen es ins Wasser. Als wireinen kleinen Zug unfern des Ufers taten, hatte sich das Netz schon mit fünfhun-— 90 —


dert Stück Lachsen, Salmen und Wallern gefüllt, so daß die beiden Jünglinge derSarah zu Hilfe eilen mußten, weil sie das Netz sonst nicht hätte halten können.Die Fische wurden alsbald ans Land und da in die vielen Lägel gebracht, diehier auch in hinreichender Menge vorhanden waren.[<strong>GEJ</strong>.02_043,15] Die Jünger aber machten noch einen Zug, und als sie das Netzans Land zogen, fanden sie wieder nur wenige und das nur kleine Fischlein imNetze.[<strong>GEJ</strong>.02_043,16] Petrus sagte: „Nun habe ich für heute wohl den letzten Zuggetan! Es zahlt das ja bei weitem die Mühe nicht, die ein solcher Zug verursacht,daß man als ein alter, erfahrener Fischer nur ein Boot besteigt!“ – Darauf wollteer diese kleinen Fische wieder ins Meer zurückwerfen lassen.[<strong>GEJ</strong>.02_043,17] Aber Ich sagte zu ihm: „Behalte, was du gefangen hast; denndie kleinen Fische sind oft recht gute Fische und sind Mir lieber denn diegroßen, die nicht selten ein zähes und schwer verdauliches Fleisch haben. Merkedir aber diese entsprechende Erscheinung![<strong>GEJ</strong>.02_043,18] Wenn du als Menschenfischer hinausgehen wirst, so laß esdich nicht verdrießen, so in das Netz des Evangeliums sich kleine Fischleineinfangen lassen werden; denn wahrlich, Mir sind sie lieber denn die großen!Alles aber, was da groß und wertvoll ist vor der Welt, ist in einer gewissenHinsicht vor Mir ein Greuel! – Lassen wir aber nun die Fischerei, und begebenwir uns wieder nach Hause! Für heute und morgen sind wir versorgt; derNachsabbat wird sich dann, so es not täte, schon wieder versorgen.“[<strong>GEJ</strong>.02_043,19] Man zog nun alle Netze ein und brachte noch eine Menge vonallerlei Fischen ans Land, gab sie in die Lägel und schaffte sie auf Karren undTragen in den ziemlich großen Fischbehälter bei Meinem Hause, den seinerzeitJoseph selbst angelegt hatte.44. — Persönliches über Borus[<strong>GEJ</strong>.02_044,01] Als wir von der Fischerei etwa eine Stunde nach dem Mittagenach Hause kamen, wartete abermals ein gutes Mittagsmahl unser, das nunwieder Borus, der darum nicht mit uns fischen ging, hatte zubereiten lassen;denn es war dies seine größte Freude, für recht viele Menschen Gastmähler zubereiten, und besonders gern kochte er mit seinen Köchen und Köchinnen imFreien. Er war auch dazu wie ein Kisjonah reich genug, um täglich wenigstenssechs- bis siebentausend Menschen zu speisen und zu tränken mit bestemWeine. Denn fürs erste war er der Sohn eines überaus reichen Griechen ausAthen, der aber auch in Asien große Besitzungen und auch mehrere kleineInseln in seinem Besitze hatte; fürs zweite war er der einzige Erbe solchergroßen und weitausgedehnten Besitzungen; und fürs dritte war er der bei weitemgeschickteste Arzt vom ganzen Judenlande und verdiente sich durch seineKunst, besonders von den großen und reichen Häuptern, große Summen Goldesund Silbers, wogegen er wieder den armen Kranken ganz umsonst alle mögliche— 91 —


Pflege zukommen ließ und daher von diesen als des Landes größter Wohltätergepriesen war.[<strong>GEJ</strong>.02_044,02] Zu alledem war er ledig, hatte weder Weib noch Kinder undhatte aber dennoch eine große Freude, arme junge Männer mit eben wiederjungen und gesunden Mädchen zu verbinden und zu segnen mit Wort und einergenügenden Aussteuer. Und so war er denn auch jetzt in seinem allerglänzendstbesten Humor, weil er heimlich der Meinung war, Ich würde die überschöne undüberzarte Sarah im Ernste ehelichen.[<strong>GEJ</strong>.02_044,03] Als wir alle voll guten Mutes bei Tische saßen, aßen undtranken, da kam er und fragte Mich so ganz heimlich, ob da etwa doch etwasdaraus würde!?[<strong>GEJ</strong>.02_044,04] Erwiderte Ich ihm: „Liebster Freund und Bruder! Deinübergutes und edelstes Herz ist Mir nun zu bekannt. Ich weiß nur zu gut, daß dunur dann über Hals und Kopf glücklich bist in deiner Seele, so du andere glücklichgemacht hast. An dich hast du noch kaum je gedacht, und weil du zwischenMir und der schönsten Sarah eine wirklich beachtenswerte große Liebe bemerktund auch vernommen hast, wie wir heute vormittag von Braut und Weib geredethaben, so bist du bei dir heimlich der fröhlichen Meinung einer zwischen Mirund der schönsten Sarah sehr nahe bevorstehenden ehelichen Verbindunggeworden. Aber Ich sage dir: da bist du in einer kleinen Irre! Denn siehe, soviele Weiber da auf der Erde leben, gelebt haben und noch leben werden, sie allesind, so sie einen reinen Lebenswandel führen, mehr oder weniger MeineBräute, und auch ebensogut Meine Weiber; aber solch eine noch so innigsteVerbindung mit Mir hindert sie niemals, eines ordentlichen Mannes Weib zuwerden, – und ein ganz notwendig gleiches Verhältnis findet soeben zwischenMir und der allerliebsten Sarah statt. Aber sie kann darob ganz gut dein Weibwerden, und doch im Geiste jetzt wie für ewig Mein wahrhaftigstes Weib sein![<strong>GEJ</strong>.02_044,05] Ich meine aber nun also: Da du schon so vielen biederenMännern, wenn sie auch noch so arm waren, zu lieben und braven Weibernverholfen hast, was die jungen, noch wie immer bei der Jugend, brennendenMänner wohl für ein größtes Glück hielten, so will denn auch Ich dir zu einemsolchen Glück verhelfen! Siehe, gerade diese wahrhaft himmlisch schöne Sarahsoll dein Weib werden! Du hast Mich verteidigt nach ihrer ersten Erweckung,als sie zum zweiten Mal auf dem Sterbebette lag, und Ich habe sie für dicherweckt zum andern Male und habe sie schon damals dir zum gebührendenLohn bestimmt. Wie sie nun aussieht, so wird sie aussehen in ihrem siebzigstenLebensjahre; dieses Kind wird nicht altern auf dieser Erde! Siehe an die beidenEngel, mit denen Cyrenius nun spricht, ob sie so schön sind wie diesesMädchen! Sage Mir aufrichtig, ob du diese allerliebste Sarah denn doch nichtschon einige Male sehr bedeutungsvoll angeschaut hast, und ob dabei dein Herzgar nichts empfunden hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,06] Sagt Borus etwas verlegen: „Herr, vor Dir das zu verbergen,wäre eine allerreinste Unmöglichkeit! Daher sage ich es lieber ganz frei heraus:— 92 —


Sarah ist das einzige Wesen auf der Erde, das ich denn doch lieber selbst besäße,als daß ich jemand anderm zu ihrem Besitze verhülfe! Ich bin zwar auch schonstark über die dreißig Jahre hinaus, und sie kann erst sechzehn Frühlinge zählen;aber mein Herz scheint da noch kaum ihr schönstes Alter erreicht zu haben. Sosie möglicherweise doch mein Weib würde, so liebte ich sie tausendfach mehrdenn mein eigenes Leben!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,07] Sarah hatte diesem Gespräch heimlich sehr aufmerksamzugehört, und als Ich sie darauf ansah und fragte, wie ihr diese Unterredungzwischen Mir und dem stattlich aussehenden Borus gefallen habe, schlug sie,etwas schamrot, die Augen nieder und sagte nach einer Weile: „Aber so mußtDu denn doch alles bemerken! Ich habe den lieben Borus ja nur ein einziges Malso ganz flüchtig angeschaut, weil er ein gar so lieber und überaus dienstfertigerMann ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,08] Sage Ich, so mehr im scherzhaften Tone: „Aber in deinemHerzen hast du ihn, wenn Ich Mich nicht irre, schon etliche Male angeschaut!?“[<strong>GEJ</strong>.02_044,09] Sagt Sarah, noch mehr ihr Gesicht verdeckend: „Aber Herr,Du fängst ja ganz ordentlich an, ein wenig schlimm zu werden! Daß aber Dudoch um alles wissen mußt!?“[<strong>GEJ</strong>.02_044,10] Sage Ich: „Sarah, wenn es also darauf und darum ankäme under dich darum so recht herzlich um deine schönste Hand bäte, würdest du sieihm verweigern?“[<strong>GEJ</strong>.02_044,11] Sagt Sarah, ganz angenehm verblüfft über solch eine Frage:„Wenn ich das nicht täte, wie könnte ich dann Dein Weib werden? Lieben kannich ja doch nur Dich, obschon ich vor Dir auch offen bekennen muß, daß ich denguten Borus überaus hochachte und schätze; denn er scheint mir nach Dir wohlder beste Mensch im ganzen Judenlande zu sein, obwohl er von Geburt aus einGrieche ist und erst bloß der Wissenschaft, aber nicht der Beschneidung nachein Jude geworden ist, seit kurzem erst.“[<strong>GEJ</strong>.02_044,12] Sage Ich: „Nun ja, die Sache wird sich schon machen! Denkenur ein wenig nach, und sieh da uns gegenüber die Lydia an, die auch gleichfortMein Weib ist geistig, aber dem Leibe nach dennoch als Weib dem biederenFaustus angehört! Unser Verhältnis aber stört das nicht im geringsten; denn dubleibst nach wie vor Meine Braut und Mein himmlisches Weib.“[<strong>GEJ</strong>.02_044,13] Sagt nach einer Weile die Sarah: „Wenn es denn auch mirgenehm wäre, dem guten Borus meine Hand zu reichen, so weiß ich ja dochnicht, was meine irdischen Eltern dazu sagen! Diese müßte ich denn doch auchfragen! Ich möchte zwar wohl schon darum den guten Borus, weil Du es gernesähest; aber den Vater und die Mutter sollte man denn doch auch fragen!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,14] Sage Ich: „Nun ja, siehe hin, die sind schon gefragt wordenund stimmen ganz mit Mir überein; aber Ich nötige dich durchaus nicht dazu.Dir bleibt dein völlig freier Wille!“— 93 —


[<strong>GEJ</strong>.02_044,15] Sagt die Sarah, stets mehr verlegen: „Herr, – ja, daß ich eswohl weiß, – aber – ich, – ja, ja, ich – möchte aber – aber – doch nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,16] Sage Ich: „Was möchtest du nicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_044,17] Sagt Sarah: „Ei, ei, Du bringst mich aber nun schon in eineungeheure Verlegenheit! Ach, wenn ich doch den sonst gar so lieben Borus nurnicht angeschaut hätte!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,18] Frage Ich: „Ja, jetzt hast du Mir aber noch nicht gesagt, was eseigentlich ist, das du nicht möchtest! Also, geh, liebste Sarah, sage es mutigheraus, was das ist, was du so ganz eigentlich nicht möchtest!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,19] Sagt Sarah: „Aber Herr, wie magst Du mich noch fragen!?Weißt es ja ohnehin, was es ist, das ich nicht möchte! Laß Du mich raten, undich werde durch ein leises Kopfnicken Dir schon zu erkennen geben, was dassei, was ich nicht möchte!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,20] Sage Ich: „Nun denn, weil du es willst, so will Ich dich erratenlassen, was Ich meine, was das sei, das du nicht möchtest. Und so höre denn: Dumöchtest gewiß nicht, daß etwa der gute Borus darum aus Gram krank würde, sodu ihm deine schöne Hand nicht reichtest!?“[<strong>GEJ</strong>.02_044,21] Steht die Sarah auf und klopft Mir mit ihrer Hand auf MeineSchulter und sagt, zum Schein sanft ärgerlich: „Ehhh – heißt denn das ratenlassen, wenn man gleich mit – hätte mich bald versprochen!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,22] Sage Ich: „Nun, – nur heraus mit der Wahrheit!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,23] Sagt Sarah: „Nun ja, hast so schon gesagt ,Mit der Wahrheit‘;ist aber auch wahr, daß das nicht ,raten‘ heißt, wenn man gleich mit derWahrheit herauskommt!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,24] Sage Ich: „Nun sieh, Ich wußte es ja, daß du für Meinen liebstenFreund Borus mehr Sinn hast, als du es uns äußerlich wolltest merkenlassen! Aber es ist das schon alles recht also! Das Mädchen soll bis auf denletzten Augenblick nur höchst wenig merken lassen, daß sie zu einem Manneeine besondere Neigung in ihrem Herzen trägt; erst wenn es sich um einenvollen Ernst handelt, soll sie dem Mann, der sie zum Weibe nehmen will, ihrHerz eröffnen, – sonst verlockt sie ihn vor der Zeit, und so dann möglicherweisesich Hindernisse erheben, da macht sie dann traurig sein Herz und unruhig seinGemüt! Und das alles ist dann von großem Übel.“[<strong>GEJ</strong>.02_044,25] Sagt die Sarah: „Aber Herr, das alles habe aber ich doch nichtgetan!?“[<strong>GEJ</strong>.02_044,26] Sage Ich: „Nein, nein liebste Sarah; darum habe Ich dich ja alsein Muster belobt! – Jetzt kannst du dem lieben Borus aber schon nach und nachsagen, wie es dir so ganz eigentlich ums Herz ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,27] Sagt die Sarah: „Ach, – jetzt sage ich's ihm noch nicht; wenner erst mein Gemahl ist, dann ist es schon noch Zeit!“— 94 —


[<strong>GEJ</strong>.02_044,28] Sage Ich: „Wenn er aber von Mir aus zum Beispiel schon deinGemahl wäre, wie dann?“[<strong>GEJ</strong>.02_044,29] Sagt die Sarah, heimlich fröhlich überrascht: „Nun ja, wiedann? – Nun ja, dann – – dann – nun ja, – dann – müßte ich ihm freilich meinHerz vollends enthüllen!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,30] Sage Ich zum Borus: „Sieh, wie unbeschreiblich lieb sie ist!Nimm sie, liebe recht und pflege sie wie eine zarteste Pflanze; denn Ich gebe siedir aus den Himmeln als einen wohlverdienten Lohn. Gehet hin zu den Eltern,auf daß sie euch segnen, und kommet dann zu Mir, daß auch Ich euch nochmalssegne!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,31] Borus dankt Mir, vor lauter Freude kaum reden könnend, unddie Sarah erhebt sich gar züchtig von ihrem Sitze und sagt mit fröhlich erregterStimme: „Herr, nur weil Du es also willst, tue ich es gerne; wäre es Dein Wille,so hätte ich dennoch gegen mein Herz gekämpft, – aber so danke auch ich Dirfür den besten Mann vom ganzen Judenlande!“[<strong>GEJ</strong>.02_044,32] Nach diesen Worten begeben sich beide zu dem Elternpaarehin und bitten es um den Segen, und als dieser ihnen mit allen Freuden zuteilwird, so kehren sie sogleich wieder zu Mir zurück; und Ich segne sie auchsogleich zu einer wahren, auch für alle Himmel gültigen Ehe, wofür Mir dannbeide mit dem gerührtesten Herzen vollauf danken.[<strong>GEJ</strong>.02_044,33] Es ist also hier eine ganz unvermutete Ehe geschlossen, die alseine der glücklichsten auf der ganzen Erde zu finden sein möchte. Und es gehtdaraus hervor, daß jemand das, was er Mir völlig zum Opfer bringt, nie verliert,sondern voll des höchsten Segens wiedererhält, und das allemal zu einer Zeit, inder er es sicher am wenigsten vermutet. Borus war in die Sarah überaus verliebtund hätte alle Schätze der Welt um sie gegeben, so man sie von ihm geforderthätte; denn ihre wunderbare Schönheit, besonders nach der zweiten Erweckung,war für den Borus etwas, das er nicht beschreiben konnte, – und doch opferte ersie Mir ganz und wollte mit allem, was ihm zu Gebote stünde, Meinen vermeintenHochzeitstag feiern. Ebenso fühlte auch Sarah überaus viel für den Borus,opferte ihn aber auch ganz Mir und wollte entschieden nur Mir allein angehören.Aber da wandte Ich das Blättchen auf einmal um und gab beiden, was sie Mirwahrlich von ganzem Herzen gegeben hatten. – Wer so handelt wie diesebeiden, dem werde Ich auch tun wie diesen beiden![<strong>GEJ</strong>.02_044,34] Dies zur Belehrung für jedermann, der dies hören oder selbstlesen wird; denn auf diesem Wege kann man von Mir alles erlangen. Wer Miralles opfert, dem opfere dann auch Ich alles; wer aber reichlich opfert, aberdabei dennoch vieles für sich zurückbehält, dem wird nur das wiedergegeben,was er geopfert hat. – Und nun wieder zur Sache!45. — Das innere Wesen der Engel[<strong>GEJ</strong>.02_045,01] Nach dieser recht herrlichen Begebenheit trat abermals— 95 —


Cyrenius zu Mir und sagte: „Herr, ich habe mich über manche Dinge mit beidenEngeln besprochen; aber ich habe aus allem, was sie mir sagten, nichts anderesgelernt, als was ich durch Deine Güte und Gnade schon ohnehin gewußt habe.Da hat also nichts Neues herausgeschaut! Aber was mich wenigstens sehrgewundert hat, ist, daß die beiden unbeschreiblich schönen Jünglinge gewisserartso ganz kalt sind für alles, was da vor sich geht! Sie sprechen voll tiefsterWeisheit, und der Klang ihrer Stimme übertrifft die reizendste Harmonie derÄolslyra; aus ihren Mienen lächelt gleichfort ein reinstes Morgenrot; ihr Hauchduftet wie Rosen, Jasmin und Ambra; ihre Haare sind wie reinstes Gold, undihre alabasterweißen Hände sind so rund und im vollüppigsten Ebenmaße sozart, daß ich auf der Erde dafür wahrlich keinen Vergleich finden kann; ihreBrust ist im vollendetsten Maße gleich der einer aufblühenden Jungfrau, wie ichnur eine einzige einmal in einer Gegend am Pontus gesehen habe; und ebensoschön und strotzend üppig im herrlichsten Ebenmaße sind ihre Füße; kurz, –man könnte vor lauter Liebe zu diesen beiden Wesen ganz rasend werden! Aberbei all diesen glorieartigen, unbeschreiblichen Vorzügen, aus denen nichts alsLiebe und wieder tausendfache Liebe duftet, womit sie sogar den härtesten Steinzu Wachs erweichen müßten, sind sie dennoch so kalt und teilnahmslos wie einemarmorne Statue im höchsten Winter! Und das macht mich nahezu auch so kalt,als wie kalt da die beiden sind.[<strong>GEJ</strong>.02_045,02] Sie haben zwar durchaus nichts von sich Abstoßendes, wederin der Rede noch in der Gebärde; aber es rührt sie nichts und bringt sie auchnichts aus ihrer überstoischen Gleichgültigkeit gegen alles, was ist undgeschieht. Sie äußern sich über Dich Selbst zwar in großer Weisheitstiefe, abermir kommt ihre Rede vor wie das Herablesen eines Briefes in einer Sprache, dieman nicht versteht.[<strong>GEJ</strong>.02_045,03] Sage mir doch, wie denn das bei den zwei reinst himmlischenWesen möglich ist! Ist denn das der reinen Geister Sitte in Deinen Himmeln?“[<strong>GEJ</strong>.02_045,04] Sage Ich: „Das wohl mitnichten! Aber diese beiden verhaltensich hier nur darum also, weil sie sich also verhalten müssen; sie aber haben fürsich dennoch den vollkommenst freien Willen und ein Herz voll der heftigstenLiebesglut, die dich im Augenblick verzehren würde, so sich die beiden dirgegenüber ihrer Liebe entäußern würden![<strong>GEJ</strong>.02_045,05] Der irdische Mensch kann wohl die höchste Weisheitstiefe derEngel ertragen, aber ihre Liebe nur dann, wenn er in seinem Herzen ihrer Liebegleichgekommen ist.[<strong>GEJ</strong>.02_045,06] Daß die Sache sich aber also verhält, kannst du schon aus denganz natürlichen Verhältnissen des irdischen Feuers und Lichtes ganz leichtersehen. Das Licht kannst du ertragen wohl, das der Flamme entströmt; kannstdu darum aber auch die Flamme selbst, die das Licht gibt, ertragen?[<strong>GEJ</strong>.02_045,07] Die Sonne hat für die Welt doch sicher das stärkste Licht, unddu kannst es noch ganz behaglich ertragen! Und wenn sich mit der Zunahme desLichtes auch die Wärme mehrt, so wirst du das Licht freilich wohl schwerer— 96 —


ertragen; aber könntest du mit deinem Leibe auch gleich einem Engel in derüber alle deine Begriffe lichtglühenden Sonnenluft bestehen? Ich sage es dir:Diese Sonnenluft würde die ganze Erde samt allem, was sie trägt, in einemAugenblick also zerstören, als wie da zerstört wird ein Tropfen Wassers, so erauf ein weißglühendes Erz fällt![<strong>GEJ</strong>.02_045,08] Wer in solchem Licht und Feuer bestehen will, der muß zuvorselbst das gleiche Licht und Feuer sein! Und sieh, aus eben diesem Grundekönnen die beiden Engel sich ihrer Liebe dir gegenüber nicht entäußern, weildich ihre zu mächtige Liebe verzehren würde! – Verstehst du das?“[<strong>GEJ</strong>.02_045,09] Sagt Cyrenius: „Beinahe verstehe ich es, aber so ganz klardennoch nicht – wie so manches andere! Denn wie mich eine zu große Liebetöten könnte, will mir noch nicht recht einleuchten!“[<strong>GEJ</strong>.02_045,10] Sage Ich: „Nun denn, so soll dir auch das soviel nur immermöglich einleuchtend gemacht werden, und so höre denn: Du hast eben aucheinen Sohn und eine überaus liebenswürdige Tochter. Diese beiden Kinder liebstdu nahe fabelhaft stark; ja, dein Herz kann vor lauter Liebe kaum beurteilen, wiemächtig es die beiden Kinder liebt, weil es von den Kindern wieder überausmächtig geliebt wird. Aber nun stelle dir so recht lebendig vor, als wären dir diebeiden Kinder gestorben, und frage dein Herz, ob es den Schmerz über solcheinen Verlust wohl ertragen würde! Siehe, dich ergreift schon jetzt ein förmlichesFieber, wo Ich den möglichen Fall bloß als ein Beispiel aufgestellt habe!Wie würde es dir ergehen im Falle der Wirklichkeit? Ich sage es dir, wie Ichdein Herz kenne, daß du den Schmerz nicht drei Stunden lang ertrügest; erwürde dich unfehlbar töten![<strong>GEJ</strong>.02_045,11] Nun, was aber ist die Liebe und die Liebenswürdigkeit deinerKinder gegen die Liebe und allerfreundlichste Liebenswürdigkeit dieser zweiHimmelsboten!? Wenn diese beiden dich nur ein wenig mit einem liebendenAuge ansähen und gäben dir nur einen Finger zum Kosen, so würde die Liebe indeinem eigenen Herzen sich zu einer solchen Mächtigkeit steigern, daß dusolche nicht viele Augenblicke ertragen könntest; und verließen dich dann dieEngel auch nur scheinbar, so würde sich dann deines Herzens eine solche Trauerbemächtigen, daß du darob sterben müßtest![<strong>GEJ</strong>.02_045,12] Denn siehe, so schön nun auch diese Meine beiden Lieblingsengelsind, so ist solch ihre Schönheit doch nichts gegen jene von ihnen, wennihr Wesen von Meiner Liebe in ihrem Herzen so ganz durchdrungen wird! Ichsage es dir: da verschwindet endlos weit zurück alles, was die Welt Schönes undLiebes aufzuweisen hat! – Nun meine Ich, daß du Mich wohl wirst verstandenhaben!?“46. — Von der dienenden Nächstenliebe der Ärzte[<strong>GEJ</strong>.02_046,01] Sagt Cyrenius: „Ja, Du mein Herr und offenbarst mein Gott,nun verstehe ich auch das wieder; ihre scheinbare Kälte ist dennoch pur Liebe!— 97 —


[<strong>GEJ</strong>.02_046,02] Ich entsinne mich da der Mythe von einer Jungfrau, die durchsonderbare Fügungen der Kräfte der Natur wohl unbegreiflich schön und reizendwar. Das merkten die Jünglinge, Männer und Greise und gerieten bald in einengroßen Kampf, damit es sich entscheide, wessen Weib sie würde. Aber derKämpfer Schar mehrte sich von Tag zu Tag zum Verderben der vielenKämpfenden. Da man endlich sah, daß man da mit dem Kampfe auf Leben undTod nimmer zum Ziele gelangen konnte, so trafen die Kämpfer endlich untersich dahin das Übereinkommen und sprachen: ,Dies Wesen gehört nicht dieserErde an, sondern den hohen Himmeln, und ist eine Göttin! Daher müssen hierhohe Opfer entscheiden! Wem aus den vielen Opfernden sie ihre schönste Handreichen wird, der soll sie dann fürderhin ungestört besitzen!‘ Und man brachteauf diesen Beschluß von allen Seiten her unermeßliche Schätze zum Opfer undgab ihr göttliche Verehrung. Die Adoration (Anbetung) dieser Schönheit gingam Ende so weit, daß man die Verehrung und Anbetung der Götter gänzlichbeiseite setzte. Darob erzürnten sich die Götter und gaben der schönen Jungfraueinen noch größeren Reiz, machten aber dafür ihren Odem giftig, daß davon einjeder, der von ihr nur in die Ferne hin angehaucht wurde, besinnungslos zuBoden fiel und stundenlang in solcher Betäubung liegenblieb; dazu gaben sie inder Jungfrau Zunge einen überaus tödlich giftigen Stachel, mit dem sie nachWillkür jeden töten konnte, der sich, als ihr mißliebig, ihrem Munde nahte.[<strong>GEJ</strong>.02_046,03] Als aber einer kam, ein Jüngling von blühend schönsterGestalt, da ward es auf einmal lebendig im Herzen der Jungfrau; aber was solltesie tun, um ihn zu lieben, da sie darin sicher ist, von dem Jüngling glühendgeliebt zu werden? Kehrt sie ihm ihr Antlitz zu, so wird ihr Liebling betäubt zuBoden sinken; küßt sie ihn, so wird er sterben. Sie wandte darum aus Liebe ihrAntlitz vom Jünglinge ab und stellte sich kalt gegen ihn, auf daß er sich ja nichtihrem Munde nähern möchte. Auf daß ihr sonach ihr Liebling nicht stürbe,mußte sie ihn mit der scheinbar möglichsten Kälte lieben.[<strong>GEJ</strong>.02_046,04] Und so, dieser Mythe völlig ähnlich, lieben diese beidenJünglinge denn auch die Menschen dieser armseligen Erde mit der scheinbargrößten Kälte, weil sie nur zu gut wissen, daß die Menschen die Liebesglut ihrerhimmlischen Herzen nicht ertrügen!“[<strong>GEJ</strong>.02_046,05] Sage Ich: „Ja, ja, also ist es; nur ist natürlich ihr Odem nichtgiftig, und ihre Zunge führt keinen tödlichen Stachel; sondern ihr Odem belebt,und ihre Zunge segnet die Erde.“[<strong>GEJ</strong>.02_046,06] Hier trat wieder Borus mit der Sarah zu Mir und fragte Mich,was er denn doch tun müßte, um sich für diese überschwenglich große Gnadedankbarer zeigen zu können, als solches bis auf diesen, für ihn überglücklichenAugenblick der Fall war![<strong>GEJ</strong>.02_046,07] Sage Ich: „Sage Mir, du Mein Freund und Bruder, wo ist dennder Mensch, der von seiner Kindheit an Mir mehr zugetan gewesen wäre alsdu!? Du warst als Knabe Mein täglicher Gefährte und tatest Mir, was du nurMeinen Augen ansahest, daß es Mir eine Freude wäre. Wann du alle Jahre mit— 98 —


deinen Eltern auf deren Besitzungen in Griechenland zogst und nach etlichenWochen wieder heimkehrtest, so war stets Ich der erste, den du besuchtest, unddem du allerlei gute und oft recht kostbar schöne Sachen als Geschenk mitbrachtest,und du bist nicht ärgerlich geworden, als Ich einmal einen Mir geschenktensilbernen Dianatempel mit einem Hammer zerschlug und verbot, Mir je so etwaswieder zum Geschenke zu bringen![<strong>GEJ</strong>.02_046,08] Als Ich ein Jüngling ward und fast niemand auf Mich achtete,warst du der einzige, der sich gleichblieb; und wie du allzeit warst, so bist dunoch und wirst auch also bleiben. Darum habe Ich dir hiermit nichts als einenschon seit vielen Jahren schuldigen Gegenfreundschaftsdienst erwiesen. Machedarum nicht viel Aufhebens davon! Du hast das sicher liebenswerteste junge undschöne, wie auch geistig geweckteste Weib bekommen – und die Sarah an dirden besten, treuesten und in jeder Hinsicht den reichsten und angesehenstenMann. An Meinem Segen in jeder guten Hinsicht sollt ihr von Mir aus auchewig nie einen Mangel haben, und du bleibst zudem der beste Arzt nicht nur indiesem Lande, sondern in der ganzen Welt! Und so meine Ich, werdet ihr wohlrecht gut leben können!?[<strong>GEJ</strong>.02_046,09] Aber nur vergesset der wahrhaft Armen nie, und laß dir deine,von keinem Menschen der Welt erreichbare Kunst in der Heilung aller Krankheitenvon keinem armen Bürger und noch weniger von einem Diener zahlen,sei's mit Geld, mit Abdienen, mit Getreide oder mit Vieh![<strong>GEJ</strong>.02_046,10] Aber den großen Geldbesitzern, Maklern und Wechslern,Kaufleuten und den großen Grundbesitzern rechne deine Kunst nach Recht undGebühr; denn wer da hat und leben will, der soll dann und wann für sein Lebennur ein Opfer bringen! Es gibt dann schon Arme genug, denen du das zubringenkannst, um was sich ein begüterter Reicher sein Leben erkauft.[<strong>GEJ</strong>.02_046,11] Ein Arzt wie du verkauft den Menschen das Leben, das besondersfür die Weltmenschen das größte Gut ist. Darum sollen sie sich's auch nurums teure Geld und Gut allzeit erkaufen und dabei noch überfroh sein, daß esauf der Erde irgendeinen Menschen gibt, bei dem sich das Leben erkaufen läßt.[<strong>GEJ</strong>.02_046,12] Denn Ich sage es dir: Das ist wahrhaft eine übergroße undallererste Kunst in der Welt, die kein Weltmensch je erlernen kann: durchsWort, durch den Willen und nur zuweilen durch die Auflegung der Hände alleKrankheiten, vom ärgsten Besessensein – alle Pestarten mit inbegriffen – biszum leichten Schnupfen herab, in einem Augenblick zu heilen und alle Aussätzigenzu reinigen, die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Lahmen gehendund die Krüppel gerade zu machen – und dazu noch den Armen Kunde zu gebenvom Reiche Gottes! Freund, gehe hin in die ganze Welt und suche, ob du einenfindest, der dir vollends gliche! Ich sage dir, da gibt es außer dir und Mir keinen![<strong>GEJ</strong>.02_046,13] In Sichar habe Ich wohl auch einen Arzt geweckt, daß er sehrnamhafte Heilungen bewerkstelligen kann; aber er kann sich von seinenKräutersäften nicht völlig trennen und steht daher dir bei weitem nach.— 99 —


[<strong>GEJ</strong>.02_046,14] Meine Jünger werden dir in etlichen Jährchen auch nachkommen,aber nicht alle, die du hier siehst.[<strong>GEJ</strong>.02_046,15] Meine allerliebste Sarah aber soll auch eine Kunst sich aneignen,und zwar die einer Wehemutter (Hebamme); denn es ist vor Gott ein sehrwertvoller Dienst, den stets mit vielen Schmerzen gebärenden Weibern beizustehen.Und so seid ihr beide sicher also versorgt, wie noch nie ein königlich Paarversorgt war![<strong>GEJ</strong>.02_046,16] Aber diesen Rat gebe Ich dir auch: Wenn ein Kranker zu dirkommt oder du zu einem gerufen wirst, so frage ihn stets ganz ernstlich:,Glaubst du, daß ich dir im Namen Jesu, des Heilandes aus den Himmeln, helfenkann?‘ Sagt der Kranke darauf vollernstlich: ,Ja, ich glaube!‘, so heile ihn;zweifelt er aber, da heile ihn nicht, bis er glaubt, daß du ihn in Meinem Namenheilen kannst! – Nun aber noch ein Wort zu dir, Jairus!“47. — Vorschlag an Jairus. Über äußere Zeremonien[<strong>GEJ</strong>.02_047,01] Sagt Jairus: „Herr, rede, ich will dich hören und danach auchtun nach Deinem Worte!“[<strong>GEJ</strong>.02_047,02] Sage Ich: „Ganz gut also; wirst du danach tun, so wirst duzeitlich und ewig glücklich sein. Und so höre denn:[<strong>GEJ</strong>.02_047,03] Du bist nun ein Oberster der Pharisäer und ihrer Schulen indieser ganzen Gegend von Nazareth, Kapernaum und Chorazin, von Kana inGaliläa und vielen andern Flecken, Dörfern und Weilern. Du stehst darum inGaliläa in einem großen Ansehen, das nicht viel geringer ist denn das desHohenpriesters zu Jerusalem. Aber siehe, all dies dein großes Ansehen konntedeine Tochter nicht vor dem zweimal erfolgten Tode erretten und noch wenigersie vom Tode erwecken, als sie vollwahr gestorben war![<strong>GEJ</strong>.02_047,04] Du siehst, daß solch ein großansehnliches Amt zu gar nichtviel anderem nütze ist, als vor allem den Hochmut des Hochbeamteten nochmehr zu erhöhen, ihm das immer steigende Wohlleben zum Bedürfnisse zumachen, aber in der Nützung und wahren Hilfe den Menschen gegenüber stetsschwächer und hilfloser zu werden und sich sonach den Hilfebedürftigen alsselbst hilflos oder zu helfen ohnmächtig gegenüberzustellen; denn wer jemandem,der irgendeiner Hilfe bedürftig ist, nicht helfen kann oder will, der istebenso hilflos wie der Hilfsbedürftige selbst.[<strong>GEJ</strong>.02_047,05] Es ist demnach ein hohes Amt, besonders das deine, voneinem höchst geringen Belange. Wie wäre es denn, so du es in die Hände desHohenpriesters nach Jerusalem zurücklegtest und darauf zu deinem nunmaligenSchwiegersohne zögest, bei dem du sicher besser und ansehnlicher versorgtwärest, als wie du es jetzt vom stockblinden Jerusalem aus bist? Du könntestdem Borus die Schrift, in der du wohlbewandert bist, nach und nach stets hellerund heller machen, was für ihn von großem Nutzen wäre; er aber würde dichdafür so manches in der Heilkunde lehren. Ich aber lege dir damit kein Gebot— 100 —


auf, sondern stelle es dir ganz frei! Willst du diesen Meinen Rat befolgen, sowirst du wohl tun; willst du aber das nicht, so wirst du deshalb keine Sündebegehen.“[<strong>GEJ</strong>.02_047,06] Sagt Jairus: „Herr, da bist du meinem höchst eigenen Wunschewahrlich zuvorgekommen! Das ist nicht jetzt, sondern schon lange meinWunsch gewesen, mein lästiges Amt niederzulegen; jetzt aber, da sich alles garso überaus wundervoll günstig für mein Sein gestaltet hat, werde ich morgenschon einen Boten mit einem Dienstentlassungsgesuche nach Jerusalem sendenmit der Bitte, dieses Amt einem andern zu verleihen! Aspiranten um solcheÄmter gibt es in Jerusalem stets eine Menge, die für die Verleihung solch einesAmtes dem Tempel zehnfache Taxen bezahlen können, und so wird den Herrenim Tempel ein solches Gesuch sicher sehr erwünscht sein, weil sie sogarAnträge denen machen, die irgendein hohes Amt besitzen, daß sie davon abstünden,weil dadurch ein neuer Aspirant in die Gelegenheit versetzt werden könnte,den Tempel um einige hundert Pfunde Silbers und Goldes reicher zu machen,als er vorher war! Mit den Ämtern wird nun in Jerusalem ja ein ganz ergiebigerHandel getrieben!“[<strong>GEJ</strong>.02_047,07] Sage Ich: „Oh, das weiß Ich am allerbesten, wie es nun inJerusalem zugeht! Da wird nur aufs Gewicht des Silbers und Goldes und derPerlen und Edelsteine gesehen, nie aber auf den Geist des Menschen. Wenn duals ein Prophet über Moses und Elias hinaus in den Tempel kämest und fingestan, als solcher zu predigen, so würde man dir nur zu bald die verfluchten Steinezeigen, mit denen die meisten der Propheten gesteinigt worden sind; aber so dukämest mit zehntausend Pfunden Goldes, so würde man dir die größten Ehrenerweisen! Laß du nur zwei fette Ochsen in den Tempel treiben, und du kannstversichert sein, daß sie ihnen um vieles lieber sein werden denn Moses undElias. – Aber lassen wir nun das! Die Zeit ist nicht mehr ferne, die den Templernund ganz Jerusalem den wohlverdienten Lohn geben wird; denn gar lange wirdman diesem Greuel nicht mehr zusehen. – Nun von etwas anderem![<strong>GEJ</strong>.02_047,08] Was hört man denn nun vom Johannes? Ist er noch in der Haftdes Herodes?“[<strong>GEJ</strong>.02_047,09] Sagt Jairus: „Ich habe nichts vernommen, daß er irgend wiederin Freiheit gesetzt worden wäre! Aber ich werde mich durch den morgigenBoten, den ich in der bewußten Sache nach Jerusalem absenden werde, darüberganz angelegentlich erkundigen, so es Dir, o Herr, genehm ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_047,10] Sage Ich: „Laß das; denn Herodes ist ein schlauer Fuchs, unddein Bote könnte als Galiläer Anstände bekommen. Ich aber sehe es im Geisteohnehin, wie es mit Johannes steht. Wir werden übermorgen traurige Nachrichtenerhalten, an denen samt Mir niemand eine Freude haben wird.“[<strong>GEJ</strong>.02_047,11] Nach diesen Worten fragen Mich Cyrenius und Kornelius, obIch denn haben möchte, daß auch sie ihre hohen Ämter niederlegen sollen.[<strong>GEJ</strong>.02_047,12] Sage Ich: „Oh, mitnichten! Eure Ämter sind ganz anderer Art— 101 —


und überaus nötig und von großer Wichtigkeit! Aber nur verwaltet eure wichtigenund hohen Ämter stets nach Recht und Billigkeit und stellet vor dem Gesetzjedermann gleich! Nur – wie ihr es schon wisset aus Meinem Munde – lasset dieLiebe stets vor dem Gesetz einhergehen, und denket, daß der Sünder, der gegendie sehr weitläufigen Staatsgesetze als ein dieser vielen Gesetze völlig Unkundigernur zu leicht zu handeln imstande ist, auch ein Mensch ist, bestimmt, so wieihr, fürs ewige Leben im Reiche Gottes! Werdet ihr stets also euer Gesetzhandhaben, so werdet ihr gleich den Engeln handeln, die eben auch also GottesDiener sind, wie ihr Diener des Kaisers seid.“[<strong>GEJ</strong>.02_047,13] Sagt Cyrenius: „Das wollen und werden wir! Aber nun habenwir noch eine äußerst wichtige Frage, und diese besteht darin: Wir sind, wie Dirnur zu wohl bekannt ist, Römer und sonach, wie ihr sagt, Heiden (Irrgläubige).Sollen wir dem Äußeren nach bleiben was wir sind, nämlich Heiden, oder sollenwir öffentlich dem Heidentume abschwören und uns beschneiden lassen?“[<strong>GEJ</strong>.02_047,14] Sage Ich: „Weder das eine noch das andere! Sondern wer, wieihr, im Herzen beschnitten ist durch den Glauben an und durch die Liebe zuGott, braucht weiter nichts mehr; denn das genügt vollkommen zur Erreichungdes ewigen Lebens. Nach etlichen Jahren aber werden schon ohnehin Meinevom Gottesgeiste erfüllten Jünger zu euch kommen und euch taufen mit demGeiste Gottes, und ihr werdet dadurch alles erhalten, was euch not tut. – Nunwisset ihr alles. Der Abend ist nicht mehr fern, und wir wollen uns der Judenwegen heute, als am Vorsabbate, etwas früher zur Ruhe begeben als an einemandern Tage. Nach dem Abendmahle werden wir denn für heute nichts weiteresmehr verhandeln.“[<strong>GEJ</strong>.02_047,15] Hier treten die zwei Engel zu Mir in der tiefsten Ehrfurcht undbitten Mich, ob sie denn nicht noch die paar Tage sichtbar hier in Meiner leiblichenNähe verweilen dürften; es sei für sie das die höchste Seligkeit, die sie jeempfunden haben.[<strong>GEJ</strong>.02_047,16] Und Ich sage es laut: „Ihr habt von jeher die vollste Freiheit,und so tut, was euch frommt; aber vergesset darob nicht, welchen Dienst ihr zuleisten habt! Die Mittelsonnen bedürfen einer großen Pflege, und ihr wisset es,wie viele es deren im unendlichen Gottesraume gibt!“[<strong>GEJ</strong>.02_047,17] Sagen die beiden Engel: „Herr, dies alles ist besorgt und wirdfortan gleich besorgt!“[<strong>GEJ</strong>.02_047,18] Sage Ich: „Ja, ja, das weiß Ich, darum auch möget ihr nacheurem Wunsche hier verweilen; denn der Geringste hier aus diesen Menschen,die um Mich sind, ist mehr denn zahllose Mittel-, Neben- und Planetarsonnen!Die Sonnen aber sind der Menschen wegen gemacht und müssen dieser wegendenn auch stets allersorgfältigst besorgt werden!“ – Die Engel verneigen sichüberseligst und gehen wieder zu Meinen Jüngern, mit denen sie sich gleichfortbesprechen und ihnen über gar viele Dinge in der Welt überwichtigeAufschlüsse geben.— 102 —


[<strong>GEJ</strong>.02_047,19] Borus aber eilt nun ins Haus und sorgt für ein gutes Abendmahl,das er reichlich bereiten läßt.48. — Die erbschaftlichen Angelegenheiten des Jairus[<strong>GEJ</strong>.02_048,01] Nach dem Abendessen, das über eine gute Stunde angedauerthatte, fragte Kornelius den Cyrenius sagend: „Hoher Bruder, was meinst dudenn?! Sollen wir heute noch hier verweilen, oder sollen wir uns vielleicht –irgend wichtiger, auf uns wartender Geschäfte halber – von dannen begeben?Ich bin dir tief untergeben und füge mich deinem Worte.“[<strong>GEJ</strong>.02_048,02] Sagt Cyrenius: „Ich hätte eigentlich schon heute in der Früheabreisen sollen, da meiner sicher schon irgend dringende Geschäfte harren. Abersage: Wer, wenn er weiß, was hier ist, kann sich von da trennen? Man könnteschwer einen freundlichen Kaiser verlassen, so er sagete: ,So du bleiben willst,so bleibe!‘ Was ist aber ein Kaiser gegen hier, wo unleugbar der SchöpferHimmels und der Erde weilt als Mensch unter Seinen Menschen und unterSeinen Engeln?! Zudem haben Seine Engel auch eine längere Frist zumHierbleiben erhalten, von denen wir noch sehr viel lernen und erfahren können.Ah, jetzt gehe ich schon gar nicht fort! Nicht ums ganze römische Kaiserreichbrächte mich jetzt jemand von der Stelle, und sollte da schon kommen, was dawollte! – Bleibe nur du auch! Von mir aus hast du die volle Erlaubnis dazu; undkäme da auch etwas aus, so wird wegen ein paar Tagen die Erde noch langenicht zugrunde gehen! Dazu meine ich, daß wir bei diesem Herrn viel besserversorgt sind denn von Rom aus!? Und sollte auch etwas noch Dringendesausfallen, so gibt es in der Hand des Allmächtigen Mittel genug, auch dasDringendste im Augenblick zu schlichten.“[<strong>GEJ</strong>.02_048,03] Sagt Kornelius: „Hoher Bruder! Mit diesem Bescheide bin ichja ohnehin über alle Maßen zufrieden, und es verlangt mich noch lange nicht,diesen Ort zu verlassen! Ich habe ohnehin nur der politisch-staatlichen Ordnungwegen diese Frage getan. Aber es wäre in einer gewissen Hinsicht dennvielleicht doch gut, eine geheime Spioniererei durch unsere Wachleute, die wirbei uns haben, die heutige Nacht hindurch in der Stadt anzuordnen, um zu erfahren,was denn etwa doch die Leute von unserm Hiersein halten und untereinanderreden!?“[<strong>GEJ</strong>.02_048,04] Sagt Cyrenius: „Wenn es dem Herrn genehm ist, können wirdie Sache anordnen; aber ich bin da dieser Meinung, daß wir am Herrn vorallem, und dann auch an den zwei Engeln, die allerverläßlichste geheime Polizeihaben und es nicht nötig sein dürfte, uns, solange als wir hier sind, einer andernzu bedienen. Sind wir fürderhin wieder von dieser heiligen Gesellschaft aus denHimmeln entfernt, dann werden wir uns leider wohl wieder der geheimenAuskundschafter bedienen müssen, um die Gesinnungen der Menschen in dernötigen Evidenz (augenscheinliche Gewißheit) zu erhalten und dort sogleichVorsichtsmaßregeln zu treffen, wo sich für den Staat ungünstige Konspirationenzu zeigen beginnen. Aber wie gesagt, wenn es dem Herrn genehm ist und Er es— 103 —


wünscht, da bin ich gleich bereit, das Allertriftigste anzuordnen.“[<strong>GEJ</strong>.02_048,05] Sage Ich zum Cyrenius: „Laß das; denn fürs erste weiß Ichohnehin vom Alpha bis zum Omega, was in der Stadt nun alles für und wideruns geredet wird. Im ganzen aber liegt durchaus keine Gefahr darin; denn diesVolk ist auch für gewisse Bosheiten viel zu blind und zu dumm. Darum lassetdas alles gehen! Von Nazareth aus wird nie eine Emeute ausgehen, des könnt ihrversichert sein. Übrigens ist Mein Freund Borus stets die allerverläßlichstegeheime Polizei; ihm entgeht gar zu leicht nichts, – was in der eben nicht gargroßen Stadt sicher nicht schwer ist. Zudem könnte Ich Meinen Engeln sagen,daß sie die Spionage vornehmen, und ihr könntet durch sie in einem Augenblickmehr erfahren, als so ihr zehn Jahre hindurch die allerklügsten Spione hieltet.Aber wie gesagt, hier tut weder das eine noch das andere not, – und wir begebenuns daher ganz ohne Sorge zur Ruhe. Nur Jairus wird noch einen Boten nachJerusalem bestellen und ihn mit der Amtszurücklegungsanzeige versehenmüssen. Denn morgen werden wir ganz andere Dinge zum Verhandeln bekommen.“[<strong>GEJ</strong>.02_048,06] Sagt Jairus, ganz traurig, daß er jetzt die Gesellschaft verlassensolle: „Herr, wäre es denn nicht möglich, hier die Urkunde auszufertigen und sienach Jerusalem, mittels eines Boten, von hier aus zu befördern? Das Haus inKapernaum ist ohnehin mein volles Eigentum und alles, was darin ist, Gründe,wie Äcker und Wiesen, durften wir Priester ja ohnehin nicht besitzen, und so istmein alles in meinem Hause, das Dir wohlbekannt ist. Ich habe somit vorderhandin Kapernaum nichts zu tun und werde wahrscheinlich auch nachderhanddort nichts mehr zu tun bekommen; mein Haus samt allem, was darin ist, gebeich nun sogleich meinem lieben Schwiegersohne. Mit einer Schrift von mir inseiner Hand wird er hingehen und alles unter staatsgerichtlicher Assistenz(Hilfe) in den vollen Besitz nehmen – gleich einem rechtmäßigen Erben nachmeinem Tode, und ich und mein Weib sind dabei ganz überflüssig. Was aber dieFreunde in Kapernaum betrifft, so sind diese hier; die aber noch in Kapernaumsich befinden und sich zu meinen Freunden zählen, sind wahrlich keinesAbschiedsbesuches wert; denn es sind das lauter Freunde ins Gesicht, aber imHerzen doch sind s' ohn' Gewicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_048,07] Sage Ich: „Nun, so bleibe denn auch du, und Ich werde andeiner Stelle einen Meiner zwei hier anwesenden Boten nach Jerusalem senden;der wird mit solcher Botschaft eher fertig werden, als so du einen Boten nachJerusalem absenden würdest. Aber nicht mehr heute, sondern morgen als aneinem Sabbat!“[<strong>GEJ</strong>.02_048,08] Sagt Jairus: „Am Sabbat wird sich's wohl im Tempel amwenigsten schicken; denn die Hohenpriester und Oberpriester im Tempel haltenauf nichts strenger als auf die Sabbatsfeier!“[<strong>GEJ</strong>.02_048,09] Sage Ich: „Laß du das gut sein! Sie halten auf die Feier desSabbats nur darum so große Stücke, weil notwendigerweise zum öftestendawidergehandelt wird und werden muß, da ein jeder Mensch denn doch oft an— 104 —


einem Sabbat irgend etwas zu tun genötigt wird, die Pharisäer aber dabei aucham öftesten die Gelegenheit bekommen, den Übertretern der Sabbatfeier rechtderbe Strafbußen zu diktieren.[<strong>GEJ</strong>.02_048,10] Bringe du ihnen aber an einem Sabbat nur Gold und Silbersoviel du willst, so werden sie sogleich im Tempel den Sabbat brechen undsodann ganz vergnügt dein Gold und Silber annehmen. Sei du darum desSabbats im Tempel wegen ganz unbesorgt; Mein Bote wird das ihm anvertrauteGeschäft ganz überaus wohl zustande bringen![<strong>GEJ</strong>.02_048,11] Meinest du denn, daß da es den Pharisäern angenehm wäre, soes niemanden gäbe, der durch irgendein dringendes Geschäft dann und wannschändete den vermeinten Tag des Herrn? Oh, da seien wir ganz ruhig! Je mehrSabbatschändungen, besonders bei Reichen, vorkommen, desto mehr jubeln imgeheimen die Tempelherren![<strong>GEJ</strong>.02_048,12] Darum noch einmal gesagt: Sei du darob ganz ohne Besorgnis!Mein Bote wird morgen, sogar während der Opferung, die an jedem Sabbatgeschieht, ganz vortrefflich aufgenommen werden! Denn er wird mit einerschweren goldenen Beilage in den Tempel eintreten und sogestaltig von denPharisäern mit den freundlichsten Mienen und offensten Armen aufgenommenwerden; zudem warten ohnehin schon zehn Aspiranten auf eine Oberstenstelle,für die sie große Summen bieten. Und so wird ihnen, und besonders aber denTemplern, deine Abdankung überaus erwünscht kommen.[<strong>GEJ</strong>.02_048,13] Es wird darauf sogleich der Sabbat im Tempel unter derbekannten Zeremonie gebrochen und darauf sogleich die Versteigerung derOberstenstelle von Kapernaum vorgenommen werden; und du wirst durch denzurückkehrenden Boten sogar den Namen deines Nachfolgers erfahren.[<strong>GEJ</strong>.02_048,14] Siehe, so stehen die Dinge nun im Gotteshause zu Jerusalem,das da auch heißet ,die Stadt Gottes‘, aber nun ganz eigentlich eine Stadt desSatans ist. Da nun aber alle Dinge gut geordnet sind, so begeben wir uns zurRuhe; denn morgen soll es für uns früh Tag werden!“49. — Des Jairus Abdankung. Der Herr in der Synagoge[<strong>GEJ</strong>.02_049,01] Auf diese Meine Worte begibt sich nun alles zur Ruhe; nurMeine Brüder, die Mutter Maria und der Borus sind noch in der Küche beschäftigt,um für den kommenden Sabbat alles Nötige vorzubereiten. Auch die Sarahund die Lydia sind der Maria behilflich und tummeln sich recht emsig in derKüche herum. Als sie alles in der Ordnung haben, begeben auch sie sich zurRuhe, und wie gewöhnlich ist auch am Morgen die Maria zuerst auf den Beinenund weckt die, die sie braucht, noch lange vor dem Aufgange, auf daß sie alles,was wir den Tag hindurch vonnöten haben, nach jüdischer Sitte noch vor Beginndes Sabbats in der Ordnung und Bereitschaft hat. Borus ist auch sehr geschäftig,und so sind zum Morgenmahle schon alle Tische bestellt, als wir alle uns vonden Lagern erheben.— 105 —


[<strong>GEJ</strong>.02_049,02] Im Freien werden Morgenpsalmen gesungen, und auf denvielen Tischen im Freien harren schon wohlzugerichtete Fische und Brot undWein derer, die sie verzehren werden.[<strong>GEJ</strong>.02_049,03] Wir begeben uns dann auch zum Morgenmahle, und Ichentsende nach dem Mahle den Boten in der bewußten Angelegenheit nachJerusalem. Jairus harret mit großer Sorge auf die Rückkunft des abgesandtenBoten, der natürlich nur so lange ausbleibt, als er auf rein menschliche Weisemit den Templern zu verhandeln hat. Da aber die Verhandlung dennoch bei zweiStunden angedauert hatte, so kam der Bote auch nur erst in zwei Stunden, zurgroßen Freude des Jairus, zurück und hinterbrachte dem Jairus nebst derNachricht von der freudigen Annahme seiner Abdankungsurkunde auch eineLob- und Dankadresse für dessen treu verwaltetes Amt, und es wird ihmzugleich auch der Name seines Nachfolgers kundgegeben mit der Bitte, selbemim Falle der Not mit Rat und Tat an die Hand zu gehen, falls er dessen bedürfe.[<strong>GEJ</strong>.02_049,04] Jairus ist nun ganz heiter und sagt zu Mir: „Herr, aus allerTiefe meines Herzens danke ich Dir für diese wunderbare Errettung von einemAmte, in dem ich nach solchen gotteswiderlichen Dienstverhältnissen alleroffenbarsteine Beute des Satans werden müßte!“[<strong>GEJ</strong>.02_049,05] Sage Ich: „Nun, habe Ich es dir nicht gesagt: Wenn es sich umglänzende Geschäfte der Templer handelt, da kann nun der Sabbat inmitten derOpferung zu jeder Stunde des Tages gebrochen werden! Aus dem aber kannst duleicht ersehen, wie viel die Templer auf Gott und Seine heiligen Gesetze halten![<strong>GEJ</strong>.02_049,06] Nun aber wollen wir des Volkes wegen dennoch wieder dieSynagoge besuchen und dort sehen, was die Pharisäer alles machen und lehrenwerden; aber wir nehmen ganz rückwärts Platz, auf daß wir von den aufgeblähtenPharisäern und Volksältesten nicht so bald bemerkt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_049,07] Sagt Jairus: „Aber ich werde nicht hineingehen, denn michkennt ein jeder Knabe; wäre ich in der Synagoge, so müßte ich vorne im Presbyteriumdes Obersten Platz einnehmen, und ihr wäret dadurch verraten!“[<strong>GEJ</strong>.02_049,08] Sage Ich: „Laß nur du dir kein Kummerhaar wachsen! Dennso Ich etwas anrate, was da zu geschehen hat, so kannst du ohne alle weiterenBesorgnisse danach handeln, und es wird dir dennoch kein Haar gekrümmtwerden! Und so machen wir uns sämtlich auf den Weg!“ – Wir setzen unsdarauf in Bewegung und erreichen bald die Synagoge.[<strong>GEJ</strong>.02_049,09] Als wir in dieselbe treten, so zeigt es sich, daß sie sehr leer ist,und nur allein die diensttuenden Pharisäer erfüllen das Presbyterium. Nach undnach kommen einige alte Juden und nehmen in ihren Bänken Platz, um darin sorecht con amore (mit Liebe) ihr Vormittagsschläfchen zu machen.[<strong>GEJ</strong>.02_049,10] Nach vollbrachter Opferung und stumpfer Herabmurmelungder Gesetze, einiger professionsmäßiger Psalmen und des Hohenliedes Salomonisbesteigt ein Redner den Rednerstuhl und fängt mit einer sehr heiserenStimme folgendes zu predigen an: „Meine Geliebten in unseren Vätern— 106 —


Abraham, Isaak und Jakob! Wir leben nun in einer sehr bedrängten Zeit – nahegleich derjenigen, als Noah die Arche baute und endlich, auf Jehovas Geheiß,sich samt seiner Familie in dieselbe einschloß! Wir stehen nun an der heiligenStätte, von der Daniel geweissagt hat, sehen den von ihm vorhergesagten Greuelder Verwüstung an – wie die gebannten Sklaven der heidnischen Hexe Megäradie Qualen ihrer Brüder ansehen und schmerzlich erwarten mußten, bis manauch sie in kochendes Erz legen werde – und können uns weder links nochrechts hin irgend bewegen! Wir stehen so verlassen da wie irgendein schonlange abgestorbener Baumrumpf auf einer Bergspitze zum klaffenden Beweise,daß einst auch in solcher Höhenregion üppige Wälder mögen gestanden haben!Was ist aber da zu machen? Das ist eine große Frage! Eine diamantene Kronedem, der darauf eine taugliche Antwort zu finden imstande ist! Aber er bedenkewohl unsere höchst gebannte und mit allen Ketten der Welt gefesselte Stellung![<strong>GEJ</strong>.02_049,11] Auf der einen Seite sitzen uns die Römer wie der ganze BergSinai knapp auf dem Genicke, auf der andern Seite des Zimmermanns Sohn, derauf einmal, wie aus den Wolken gefallen, aus einem barsten Haustölpel zueinem Propheten erstanden ist, wie seit Abraham noch nie einer unter den Judengelebt hat. Alles läuft ihm nach, groß und klein und jung und alt! Wenn heuteJehova Selbst zur Erde herabkäme, so fragt es sich sehr, ob Er größere Tatenvollbringen würde oder könnte! Jede Krankheit heilt er bloß durchs Wort in dieFerne hin, die Toten ruft er aus den Gräbern und gibt ihnen ein vollkommengesundes Leben wieder! Also gebietet er den Winden und den Meereswogen,und sie gehorchen ihm wie ein Sklave seinem Gebieter! Wenn er redet, so leuchtetallenthalben die allertiefste göttliche Weisheit heraus, und alles ist von derMacht seines Wortes hingerissen und folgt ihm von einer Stadt zur andern. Dazuhat er noch die Großen Roms fest auf seiner Seite, die ihm mit Legionen zuDienste stehen, wann er deren benötigen würde. Wir aber stehen gerade amRande des scheußlichsten Abgrundes, um in jedem Augenblick verschlungen zuwerden, und haben aber auch nicht ein sterbliches Wesen auf unserer Seite –außer diese alten Schläfer in der Synagoge! Da frage ich noch einmal: Wassollen wir tun?[<strong>GEJ</strong>.02_049,12] Was nützen uns nun Moses und alle die Propheten, was selbstJehova, der mit Moses und den Propheten geredet hat, uns aber nun schon seitmehr denn einem ganzen Säkulum im tiefsten Moraste stecken läßt!? Und obwir schon schreien, daß man uns bis zu den Sternen vernehmen solle, so meldetsich dennoch kein Jehova mehr und läßt uns ärger in der schmählichstenPatsche, als ein vollendet windbeutliger Bräutigam seine arme, von ihm zehnmalverführte und unglücklich gemachte Braut! Wir aber haben dafür noch denEhrentitel, ,Gottes Volk‘ zu heißen, während die gottlos sein sollenden Heidenin allem Ansehen und im Besitz aller Macht und aller Reichtümer der Erdestehen also, wie solches Jehova Seinem David nach der Schrift verheißen hat, –was aber nie in Erfüllung ging![<strong>GEJ</strong>.02_049,13] Da heißt es, ganz göttlich groß gesprochen: ,Und deinesReiches wird fürder ewig kein Ende sein!‘ Sehen wir nun das ewige Reich— 107 —


Davids an! O du schöne Lüge eines dem David schmeichelnden Propheten! Wieoft schon ist des Reiches Davids ein Ende gewesen! Er selbst hat schon dasVergnügen gehabt, es an der Seite seines Sohnes zu erleben, und hätte den Sohnnicht eine Eiche gefangengenommen, so hätte der gute David seinem süßenJehova noch zehntausend Psalmen vorsingen können, und Absalom wäredennoch auf dem Throne gesessen! – Lassen wir aber das Vergangene beiseiteund besehen uns jetzt das verheißene ewige Reich Davids! O du schönes Reich!Vielleicht hat sich die Seele Davids in die Cäsaren Roms begeben, deren Reichwenigstens jetzt ein bei weitem besseres Gesicht hat für einen ewigen Bestandals das Schneckenreich des großen Mannes nach dem Herzen Gottes! Brüder,greifet ihr es noch nicht mit den Händen, daß unsere ganze alte Lehre eine pureFabel ist, an der sonst nichts ist als erdichtete Namen aus der Vorzeit?! Und wirsind noch die Narren und hängen daran, als wenn da wirklich irgendein Heil zugewinnen wäre! Welch ein Esel oder Ochse von einem Menschen wird dennnoch einen alten, klein zerlumpten Rock am Leibe dulden, so er für den altenzehn neue vom besten Stoffe haben kann?![<strong>GEJ</strong>.02_049,14] Die Geschichte und die höchst eigene Erfahrung zeigen unssonnenhell, daß an der ganzen Mosaischen Lehre und an allen Propheten nichtmehr von irgendeinem reellen Belange ist, als an einer hohlen, tauben Nuß, –und doch hängen wir schier verhungert daran wie an irgendeiner sicherenBerechnung und weichen vor lauter alteingewurzelter Dummheit dennoch nichtvon der Stelle, wenn uns auch schon das Wasser bei allen unsern Leibesöffnungenhineinrinnt wie der Jordan in das Tote Meer![<strong>GEJ</strong>.02_049,15] Auf darum, Brüder, schließen wir uns auch an den Sohn desZimmermanns an, und wir sind geborgen! Denn er tut vor unsern Augen das,was die Alten nie von Jehova, den sie so wenig als wir je gesehen, gefabelthaben! Ich meine, mit diesem meinem Vortrage nun die von mir aufgestellteschwere Frage unter einem beantwortet zu haben; tut danach, und es soll unsallen sogleich physisch und moralisch besser ergehen![<strong>GEJ</strong>.02_049,16] Roban, unser Ältester, ist uns zuerst mit einem guten Beispielevorangegangen; folgen wir ihm nach, und es soll für keinen aus uns gefehlt sein!Vielleicht ist gerade dieser vorher wenig beachtete Zimmermann Jesus dazuganz vollkommen geeignet, das wahrlich unglückliche, ewig sein sollende ReichDavids wenigstens auf eine Zeitlang wieder herzustellen! Denn bei seinerunbegreiflichen magischen Macht, mit der sich keine Macht der Welt messenkann, ist es am ersten möglich, den sehr abergläubischen Römern einen derartigenRespekt einzutreiben, daß davon ihre mächtigen Legionen nur zu baldtausend Füße zum Davonlaufen bekommen könnten.“[<strong>GEJ</strong>.02_049,17] Hier erheben sich die Ältesten, die Schriftgelehrten, Pharisäerund Leviten und sagen: „Du verstehst die Schrift schlecht, wenn du solch eineketzerische Rede führen kannst, an der zwar wohl in einer gewissen irdischenHinsicht was zu sein scheint, die aber in geistiger Hinsicht ein schwarzesVerbrechen gegen die unleugbare Majestät Gottes ist, und wir darum genötigt— 108 —


sind, dich unseres Heiles willen aus unserer Gesellschaft unter die Heiden zustoßen!“[<strong>GEJ</strong>.02_049,18] Sagt der Redner: „Meinet ihr etwa, mich dadurch zu strafen?Oh, da irret ihr gewaltig! Wollt ihr Narren bleiben und als solche verhungern, sotut ihr das immerhin, damit ihr verbleibet in eurer alten Nacht und Finsternis! Ihralten Dummköpfe, gebet mir ein Beispiel an, wo irgendein Gottesredner einenToten aus dem Grabe ins Leben zurückgerufen hätte, wie dieser unser Zimmermann!“[<strong>GEJ</strong>.02_049,19] Sagen die Ältesten: „Das wird Gott tun am Jüngsten Tage!“[<strong>GEJ</strong>.02_049,20] Sagt der Redner: „Euer Gott wird euch am Jüngsten Tage wasvorpfeifen! Kein Mensch weiß irgendeine Silbe davon, daß Jehova, wie wir Ihnkennen aus der Schrift, je irgendeinen Menschen vom Tode ins Leben zurückgerufenhätte! Weil solches nie ein Mensch erlebt und am Rande seines kurzenirdischen Lebens nichts als den sichern ewigen Tod vor Augen hatte, so ward esihm sehr bange, und er fing sehr traurigen Gemütes ängstlich zu fragen an: ,Wasbin ich, und wohin komme ich, wenn dieses Leben zu Ende ist?‘ Und da es ansogenannten Gottesknechten, wie wir zu sein die spottschlechte Ehre haben, niegemangelt hat, so mußten sie zum Troste der vielen Fragenden und zum bestenihrer eigenen möglichst besten Zwecke denn doch etwas erfinden, das die vielensehr scharf Fragenden in etwas beruhigte, und es kam dadurch die Erweckungam jüngsten Tage, den die weiten Himmel wahrscheinlich nie werden erstehenlassen, zum Vorscheine; und wir denkenden Narren lassen uns damit aber auchnoch breitschlagen und sind darob blind für die unerhörtesten wahren Taten undBegebenheiten, die vor unseren Augen, Nasen und Ohren zustande gebrachtwerden! Ist es denn im Ernste gar so etwas Erhabenes für einen Mann, so er sichals Greis noch immer nicht von dem schon ganz verschimmelten sogenanntenKinderzuzel zu trennen vermag?[<strong>GEJ</strong>.02_049,21] Was wollt ihr denn noch fernerhin mit dem alten Kram derJuden, der sich bei der gegenwärtigen Aufhellung der Völker kein halbesSäkulum mehr halten kann? Ich werde der Narr sicher nicht sein und abwartendas Ende dieser blinden Lehre, an der sonst nichts ist als leere geschichtlicheNamen oder aber auch Namen und märchenhafte Fabeln, die zuerst die Ammenihren Säuglingen aus dem Stegreife erzählt haben mögen, und aus denen danndie erwachsenen Säuglinge eine fabelhafte Gotteslehre zusammengestoppelthaben, in der kein System und kein Funke von irgendeiner nach griechischer Artlogischen Ordnung zu entdecken ist![<strong>GEJ</strong>.02_049,22] Sollte denn Jehova nicht einmal so logisch zu reden und zulehren imstande sein wie ein armseliger griechischer Philosoph, da mag Er erstzu den Griechen in die Schule gehen, bevor Er Seine durchaus nicht allgemeinauf den Kopf gefallenen Völker Wahrheit, Ordnung und Weisheit lehren will![<strong>GEJ</strong>.02_049,23] Aber das sei von mir ewig ferne, daß ich mir den Jehova nichtweiser vorstellen sollte als einen durch seine Kindsmagd gebildeten Propheten,der bei aller seiner sonstigen Dummheit gerade noch so viel Mutterwitz besitzt,— 109 —


eine so dunkle Lehre von sich zu geben, daß er sie zuerst und als der erstedurchaus nicht versteht und verstehen kann, was eigentlich schon in seinemPlane darum gelegen ist, auf daß solch eine Lehre desto weniger von irgendeinemandern Menschen verstanden werden solle! – Höret mir auf mit euremJehova! Wahrlich, als ein ehrlicher Mensch muß ich mich nun erst so recht zuschämen anfangen, daß ich je solch einer unmenschlich dummen Lehre habeanhangen können![<strong>GEJ</strong>.02_049,24] Wenn an der Lehre Mosis aber im Beginne etwas gewesenwar, so ist dieses ,Was‘ nun sicher so entstellt durch die niedrigsten menschlichenLumpereien, daß wir davon aber auch nichts mehr als den vielleicht auchschon ganz falsch ausgesprochenen Namen besitzen![<strong>GEJ</strong>.02_049,25] Ich bin daher heute noch ein Jünger des Zimmermanns Jesus!Er ist gut und wird einen ehrlichen Kerl sicher nicht, wie ihr, von sich weisen!“50. — Reden der Ältesten über die Zustände im Judentum[<strong>GEJ</strong>.02_050,01] Sagen die Ältesten, ganz grimmig erstaunt über den Redner:„Gottesleugner! Gotteslästerer! Weißt du, daß du genau nach Mosis nun durchdiese deine übergotteslästerliche Rede verdient hast, gleich in der Synagogegesteinigt zu werden? Wie kannst du es wagen, andere Menschen in ihremfestesten Glauben zu erschüttern, an Gott und Moses zweifeln zu machen, weildu keinen Glauben hast?[<strong>GEJ</strong>.02_050,02] Hast denn du wirklich so blutwenig Verstand, daß du darobnicht einsehen kannst, daß da keines Menschen Alter hinreicht, daß man in sich,selbst durch mehrtausendjährige Erfahrung, klug würde und nur das glaubte,was man selbst erlebt hat? Gott hat darum aus Seinem Geiste die MenschenSchriftzeichen kennen gelehrt, durch die sie das, was sie erlebt haben, und wasihre Nachkommen kaum je wieder erleben dürften, für eben diese Nachkommenaufzeichnen sollen, auf daß auch diese eine heilsame Kenntnis davon bekämen,was sie selbst in ihrer Zeit kaum erleben können, weil eine jede Zeit etwasanderes hervorbringt. Dies lehrt uns handgreiflich schon die Erfahrung unsererwenigen Tage, die wir auf der Erde zu durchleben haben, da kein Jahr, keinMonat, keine Woche und sogar kein Tag dem andern völlig gleicht in dem, wasda geschieht! Forsche nach der Chronik zurück, und wir geben dir alles, was wirhaben, so du uns eine Zeit nachzuweisen imstande bist, in der sich gerade dasereignet hätte, was sich vor unsern Augen und Ohren zuträgt![<strong>GEJ</strong>.02_050,03] Wenn aber unleugbar die Sachen auf der Erde sich also undnicht anders verhalten, was willst du sonach mit deinen losen und grobenVerdächtigungen der Schrift, die ein heiliges Vermächtnis unserer Urväter anuns, ihre Nachkommen, ist und uns in klaren Zügen lehrt, was sie als fromme,gottergebene Menschen alles erlebt haben, und welche Anstalten getroffenwurden, durch die ihre Nachkommen leichter und geordneter ein Gott wohlgefälligesLeben führen könnten, als es wahrscheinlich bei ihnen der Fall war?!— 110 —


[<strong>GEJ</strong>.02_050,04] Glaubst du denn, daß wir gar so dumm sind, daß es unsunmöglich wäre, das zu beurteilen, was nun vor unsern Augen geschieht? Oh, dairrest du dich groß! Aber wir benützen die Weisheit unserer Väter, die allesfrüher viele Jahre einer gewaltigen Prüfung unterzogen haben, bis sie es als das,als was es sich gezeigt hat, angenommen haben![<strong>GEJ</strong>.02_050,05] Wären unsere Ahnen so leichtgläubig gewesen wie du, sohätten sie die Propheten nicht gesteinigt! Wenn sie aber sahen, daß ein echterProphet auch unter dem tötenden Steinregen von dem, was er aussagte, auchnicht um ein Haarbreit wich, dann bekam seine Aussage freilich ein anderesGesicht, und die Väter nahmen sie als von Gott ausgehend an![<strong>GEJ</strong>.02_050,06] Wenn aber unsere Väter also kritisch bei der Annahme einervon einem Propheten aufgestellten neuen Verkündigung des Willens Gottes andie Menschen verfuhren, ist es dann nur einigermaßen vernünftig, anzunehmen,als sei unsere Gotteslehre nichts als ein Pamphlet (Schmähschrift) irgendvorzeitlicher, gutmütig leichtsinniger junger Burschen, denen es ein Vergnügenmachte, alle späteren Generationen für einen Narren zu halten?![<strong>GEJ</strong>.02_050,07] Du hast uns als Narren und Dummköpfe deklariert; aber es istda eine große Frage, ob du unter uns nicht der allergrößte bist!? Denn so lieblosgegen seine Brüder zu urteilen wie du, ziemt einem Manne aus dem StammeLevi nicht![<strong>GEJ</strong>.02_050,08] Hast du uns aber durch deine schlechte Rede bloß prüfenwollen, ob wir bei den außerordentlichen Begebnissen dieser Zeit wohl noch dasseien, was wir als echte Juden sein sollen, so hast du dazu eine schlechte Artgewählt und hast dich vor uns nur so ganz eigentlich selbst enthüllt, wie du indeinem Herzen beschaffen bist.[<strong>GEJ</strong>.02_050,09] Denn ein jeder Mensch verrät sich in seinem blinden Eifer ammeisten und zeugt über sich, wie er in seinem Gemüte beschaffen ist; denn daläßt er seinen Lieblingsideen, Gesinnungen und Leidenschaften den vollen,freien Lauf.[<strong>GEJ</strong>.02_050,10] Aber der nüchterne Zuhörer denkt sich sein Teil und hat dabeiden Vorteil, seinen Freund aus dem Fundamente kennenzulernen.[<strong>GEJ</strong>.02_050,11] Glaubst du denn, daß wir es nicht wissen, wie sich in unsereGotteslehre, besonders in ihrem auszuübenden Teil, gar große Mißbräucheeingenistet haben, die leider den Moses und die Propheten nicht selten nochärger bedecken als die dicksten Gewitterwolken die Sonne? Aber die reine,unverfälschte Schrift kann nicht mit derlei Wolken bedeckt werden, und einechter Schriftgelehrter wird dennoch stets wissen, wie er mit der reinenWahrheit daran ist.[<strong>GEJ</strong>.02_050,12] Wir alle sehen es so gut wie du, daß diese Mißbräuche amEnde die reine Gotteslehre, wie die bösen Holzwürmer einen frischen Baum, beiden Menschen töten werden, aber auch nur bei dir ähnlichen Menschen; aber dieLehre in sich selbst wird darum dennoch rein verbleiben und wird zu allen— 111 —


Zeiten ihre reinen und festen Bekenner haben.[<strong>GEJ</strong>.02_050,13] Hast denn du noch nie einen Baum gesehen, auf dessen Ästenzum Verderben des Baumes für die Menschen eine Menge böser Afterpflanzensich eingewurzelt haben und ihre Nahrung aus demselben Baume nehmen?Höret aber darum der eigentliche Grundbaum auf, das zu sein, was er im Grundedes Grundes ist?[<strong>GEJ</strong>.02_050,14] Wir Menschen mit unsern blöden Sinnen können den Grundvon dergleichen Ausartungen freilich wohl nicht einsehen; aber das sehen wirdoch ein, daß sie unmöglich entstehen könnten, wenn es der allmächtige undallweiseste Gott nicht wollte. Warum muß es denn Wölfe geben, die bloß dasind, die friedlichen und unschädlichsten Lämmerherden zu zerstören und sichzu sättigen an ihrem Blute und Fleische? Warum müssen der Löwe, der Bär, derTiger, die Hyäne und andere reißende Raubtiere dasein, warum neben dersanften Taube der mächtige, gefräßige Aar? Siehe, das sind unergründlicheGeheimnisse für uns kurzsichtige Menschen, und wir können sie nicht aufhellen![<strong>GEJ</strong>.02_050,15] Ein Landmann bebaut sein Feld; es steht alles im vollstenSegen da; er erweitert schon seine Vorratskammern, auf daß sie aufnähmen denneuen Segen. Aber da kommt an einem Tage auf einmal ganz unerwartet eineSturmstunde, – und der ganze Segen ist vernichtet! Könnte man da nicht füglichdie Frage stellen und sagen: ,Gott, so Du gewollt hast, daß dies Feld demLandmanne keine Früchte tragen solle, weil er vielleicht ein Sünder ist, sohättest Du ja Macht genug gehabt, des Feldes Segen im Keime zu zerstören,wodurch dem Landmanne Kosten und Mühe erspart worden wären!‘ Aber siehe,solches geschieht gar oft vor unsern Augen, und niemand ist imstande, davonnur irgendeinen vernünftigen Grund anzugeben.[<strong>GEJ</strong>.02_050,16] Ebenso sehen wir praktische Abweichungen sowohl in derreinen Lehre Mosis im Tempel als wie bei allen Bekennern desselben, hie undda mehr oder weniger; wir sehen die Wandler auf Irrwegen; wir sehen auf demalten Baume des Lebens eine große Masse Schmarzotzerpflanzen. Was aberkönnen wir darum und dafür? Wir haben das alles nicht gemacht und gewollt,daß es also ist, sondern wir haben es schon also gefunden und müssen es erdulden,wenn es uns auch noch so bitter im Munde vorkommt![<strong>GEJ</strong>.02_050,17] Aber deshalb ist unserem Geiste dennoch keine Schrankegezogen, daß wir darum die Schmarotzerpflanzen an dem Lebensbaume als einund dasselbe mit in den Kauf nehmen sollten. Uns bleibt dennoch der Baum inseiner ursprünglichen Echtheit, und seine Aftergewächse werden als dasbetrachtet, was sie sind; und gegen diese Lebensweisheit kann kein Gott irgendeineEinwendung machen. Da wohl wäre Gott ein alberner Gott, so Er zu jedemeinzelnen von uns sagen möchte: ,Gehe hin und breche den Tempel, der vollUnflates geworden ist, ab; denn Ich, Gott, habe ein großes Mißfallen an dessenGreueln!‘ Könnte da der einzelne schwache Mensch seinem Gott nicht erwidernund sagen: ,Herr, siehe, was Unsinniges verlangst Du von mir, Deinem armseli-— 112 —


gen, schwachen Geschöpf? So Dich mein Dasein geniert, so kostet es Dich bloßeinen Gedanken, und ich bin nicht mehr; aber von mir Unmögliches verlangen,heißt einer Mücke gebieten, daß sie mit ihrer unvermehrten natürlichen Krafteinen Elefanten auf ihren Rücken nähme und davontrüge!‘[<strong>GEJ</strong>.02_050,18] Wir meinen aber, daß Gott viel zu weise ist, als daß Er nichteinsähe, daß kein Mensch gegen einen reißenden Strom schwimmen kann![<strong>GEJ</strong>.02_050,19] Sage uns nun, ob du die volle Wahrheit unserer Rede eingesehenhast, und wir wollen dir alles nachsehen, was du blinder- und törichterweiseuns angeworfen hast!“51. — Eines Redners Zeugnis von der Bundeslade[<strong>GEJ</strong>.02_051,01] Sagt der Redner, der unter dieser im Ernste ganz triftigenBelehrung seine wahrhaft stoische Fassung nicht einen Augenblick verlorenhatte: „Liebe Freunde und Brüder! Das, was ihr mir nun vorgepredigt habt, weißich so gut wie ihr; aber dennoch freut es mich nun zum ersten Male in meinemLeben unter euch, daß mir bei dieser Gelegenheit das große Glück zuteil ward,zu erfahren, daß ihr ebenso wie ich nicht auf den Kopf gefallen seid! Was ihrgeredet habt, ist wahr; aber meine Frage ist darum dennoch nicht beantwortet.[<strong>GEJ</strong>.02_051,02] Es ist so, wie ihr geredet habt, was ich bei mir recht klareinsehe, obschon ich euch mit scheinbaren Widergründen nur einen Rippenstoßhabe versetzen wollen, durch den euer stets verschlossener Mund geöffnetwerden sollte. Und seht, es ist mir gelungen, daß ihr das erste Mal währendunseres zwanzigjährigen Beisammenseins und Wirkens ganz offen mit mirgeredet habt![<strong>GEJ</strong>.02_051,03] Aber weder meine noch eure klare Einsicht vermindert dasÜbel, in dem wir uns augenscheinlichst befinden. Es ist und bleibt die große,wichtige Frage, was wir nun beginnen sollen.[<strong>GEJ</strong>.02_051,04] Ich, der Sohn eines Oberpriesters aus Jerusalem, im Tempelaufgewachsen und erzogen, weiß nur zu genau, wie es mit der Arche des Bundessteht. Holz, Silber und Gold ist noch das alte; aber der immergrüne Aaronsstabist zum Pulverisieren trocken, die Gesetzestafeln sind zerbrochen, das Mannabesteht bloß noch in der Idee! Und die Feuersäule, wo etwa die ist?! Man weißes aus den Annalen (Jahrbüchern) der Schrift, daß jeder Unberufene das Lebenverlor, so er mit ungeweihten Händen die Lade anrührte; nun kann man auf derLade herumsteigen und sie anrühren, wie man will, und es fährt kein tötendFeuer aus ihr.[<strong>GEJ</strong>.02_051,05] Wenn fremde Reisende um vieles Geld und heiligst beschworenerVerschwiegenheit das alte Wunder besichtigen wollen, so wird ihnen dasohne allen Anstand bewilligt, aber erst am nächsten Tage nach der erteiltenBewilligung. Da wird dann die Feuersäule wieder künstlich dargestellt, aberwohlgemerkt, nicht über der wirklichen, alten, sondern über einer aus Metallkünstlich nachgemachten Lade! Diese Lade hat zuoberst, in der Mitte eingerich-— 113 —


tet, einen schwarzen Becher, aber so, daß man dieses Bechers, der im Oberdeckelbefestigt und bis auf dessen Fläche in ihn eingesenkt ist, in der für sich ganzdunklen heiligsten Kammer der hervorquellenden hellen und sehr dichtenFlamme wegen nicht leichtlich ansichtig werden kann. In diesen Becher wirdfeinstes, ätherisches Naphthaöl, mit andern wohlriechenden feinsten Ölenvermengt, gegeben und etwa eine Stunde vorher angezündet; also brennt es dannbei sechs Spannen hoch empor und stellt also die Feuersäule vor.[<strong>GEJ</strong>.02_051,06] Wenn die Schaulustigen diese recht schöne Feuersäule mitgroßem Behagen angegafft haben und das Innere der Lade zu sehen wünschen,so wird mit stets formeller Zeremonie und leeren Gebeten der Oberdeckel samtgleichfort hoch auflodernder Feuersäule ganz behutsam auf ein vergoldetesGestell herabgehoben, und den Beschauern werden natürlich die neuen MosaischenTafeln als echte gezeigt, so das Manna, das aber auch ganz frisch, eingrünender Aaronsstab und dergleichen mehr, was die Lade enthält.[<strong>GEJ</strong>.02_051,07] Manche Beschauer werden dadurch ganz ergriffen; manche,besonders Griechen, aber gehen wieder heimlich schmunzelnd aus dem Allerheiligstenund sagen am Ende: ,Das ist wirklich eine ganz artige Komposition!‘Nur bedauern die meisten, daß der übrige Tempel gar so schmutzig gehaltenwerde. Ich sage euch, ich möchte sogar eine große Wette machen, daß in derZeit die alte Bundeslade für alle Zeiten aus dem Wege geräumt ist, und daßnunmehr für beständig die neue aus Erz ihre Stelle und ihr Amt vertritt.[<strong>GEJ</strong>.02_051,08] Wollt ihr mir aber darin keinen Glauben schenken, so verkleidenwir uns zum Beispiel als Römer, ziehen hin nach Jerusalem, betreten denTempel und tun wie Fremde darin; sogleich wird sich ein dienstbarer Geisteinfinden, der uns haarklein ausfragen wird, woher wir sind, was wir in Jerusalemsuchen, wie lange wir in der ,Stadt Gottes‘ verweilen werden, wohin wir unsdann begeben, und ob wir mit großem Gelde reisen, ob wir kein Gold oderSilber zu verkaufen hätten, und ob wir nicht etwa gegen Entrichtung einer ganzunbedeutenden Taxe das Allerheiligste sehen wollten. Dann fragen wir bloß umden Preis, und man wird uns von einhundert Pfunden Silbers was sagen. Wiraber sagen dann, das ist zuviel, und wir stehen überhaupt nicht darauf an, solcheDinge zu sehen; wenn's um zehn Pfunde möglich ist, dann lassen wir uns herbei.Und wir kommen alle um zehn schlechte Pfunde ins Allerheiligste, so wir dembetreffenden Oberhüter zuvor ein feierliches Gelöbnis geben, davon um alles inder Welt ja nie, weder im Judenlande noch in einem weit entlegenen fremdenLande, etwas davon zu verraten, wie auch niemandem zu sagen, im Allerheiligstengewesen zu sein. Solches geloben wir ganz leicht, und wir kommen so alsPseudo- Römer ins Allerheiligste, und ihr könnt euch dann selbst überzeugen,ob eine Silbe von all dem erlogen ist, was ich euch ehedem über die Lade desBundes mitgeteilt habe![<strong>GEJ</strong>.02_051,09] Und, liebe Freunde und Brüder, wenn man als Mensch voneinem etwas helleren Verstande solche Sachen im Allerheiligsten, wo manselbst bei solchen Gelegenheiten als ein pfiffig brauchbarer Handlanger gedient— 114 —


hat, mit höchst eigenen Augen gesehen hat, da wird es einem ehrlichenMenschen dann wohl für immer eine bittere Sache, einen schmählich bezahltenBetrüger und Lügner des Volkes zu machen! Wie oft dachte ich dann bei mirselbst nach und sagte zu mir: ,Wenn das lebendigst sein sollende Allerheiligste,auf das die ganze Gotteslehre und alle die Gesetze basiert sind, eine pure,geheim gehaltene Lumperei ist, was soll man dann von der ganzen Lehre undvon den Gesetzen halten?‘ – Ich habe nun geredet, jetzt redet wieder ihr; ich bingeneigt, euch zu hören.“[<strong>GEJ</strong>.02_051,10] Sagt ein Ältester: „Ward es dir denn erlaubt, solches Geheimniszu verraten? Hast du nicht einen Eid der ewigen Verschwiegenheit leistenmüssen, bevor man dich als Eingeweihten aus dem Tempel entließ?“[<strong>GEJ</strong>.02_051,11] Sagt der Redner: „Allerdings; aber ich bin nun so frei, diesendummen Eid, der für mich gar keinen Wert hat und haben kann, nicht mehr zuhalten, sondern der ganzen Welt laut zu verkünden, wie sie betrogen ist! Undhier in Nazareth nehmen wir es mit derlei Sachen ja ohnehin nicht gar zu genau,und so kann man es ja wagen, einen solchen Betrugseid zu brechen, ohne sichdaraus ein Gewissen zu machen.“52. — Die Verteidigungsrede des Ältesten[<strong>GEJ</strong>.02_052,01] Sagen die Ältesten: „Wir sehen nun wohl ein, daß du in einergewissen Hinsicht recht hast, – aber durchgehends dennoch nicht; dazu bist duwenigstens um zwanzig Jahre an Erfahrung zu jung. Es sieht nun im Tempelwohl so aus, wie du gesagt hast; aber es war nicht allezeit also. Denn siehe, sodu recht gründlich und folgerecht zu denken vermagst, so mußt du ja notwendigden Satz als unumstößlich wahr aufstellen: ,Wenn nie ein Wahres und Wirklichesdagewesen wäre, so würde es auch nie einem Menschen einfallen können,ein Falsches und Unwahres nachzubilden.‘ Warum bekommt man nur zu oft inunserer in allerlei Künsten übergeweckten Zeit falsche Diamanten, falschePerlen, so auch falsches Gold und Silber?[<strong>GEJ</strong>.02_052,02] Wir wissen, daß die Perser die besten und feinsten Schals undandere Kleiderstoffe bereiten und ihnen auch die haltbarste Farbe geben nachihrer geheimen Kunst, darum ihre Erzeugnisse auch in einem hohen Wertestehen. So du aber heute nach Jerusalem, nach Sichar oder gar nach Damaskusauf den Markt ziehst, so mußt du ein feiner Warenkenner sein, um nicht schierin unseren Landen nachgemachte, also falsche und schlechte Stoffe für echtpersische um den hohen Wert zu kaufen, um den man gewöhnlich persischeStoffe kauft! – Was geht aber daraus hervor?[<strong>GEJ</strong>.02_052,03] Siehe, so es nie einen echten Diamanten, nie eine echte Perle,nie ein echtes Gold und Silber und nie echte kunstvolle persische Stoffe gegebenhätte, so würde es auch nie einem Menschen einfallen, derlei falsch nachzumachen!Und hätte das Echte nicht einen so hohen Wert, dann würde auch diefalsche Nachahmung sicher unterbleiben; denn es wird sicher keinem Menschen— 115 —


einfallen, einen falschen Kalkstein nachzumachen, weil des echten Kalksteinseine unsägliche Menge vorhanden ist. Nun kannst du dir wohl sehr leichtdenken, daß man eben sogestaltig nie eine falsche Lade mit der Feuersäulenachgemacht hätte, wenn früher nicht in der Tat eine echte und wundervollwahre bestanden hätte.“[<strong>GEJ</strong>.02_052,04] Sagt der Redner, der Chiwar hieß: „Ganz gut! Das ist klar;aber es fragt sich, was denn da vor sich gegangen ist, daß die alte Bundesladegewisserart gestorben ist! Sie existiert richtig noch und befindet sich noch dannund wann an der Stelle der falschen in der allerheiligsten Halle, – was aber indieser Zeit fast gar nicht mehr geschieht wegen der häufigen Besuche, die jetztder allerheiligsten Halle zuteil werden, da man es doch ganz genau weiß, daßnoch vor kaum dreißig Jahren außer dem Hohenpriester, der das Recht hatte, aufdem Stuhle Aarons zu sitzen, kein Mensch ins Allerheiligste treten durfte undder Hohepriester selbst nur zweimal im Jahre nach der gewöhnlichen Vorschrift;nur bei außerordentlichen Fällen durfte er auch drei- oder viermal ins Allerheiligstetreten.[<strong>GEJ</strong>.02_052,05] Wie ging also das zu, daß das Allerheiligste nun bloß nur demNamen nach ein Allerheiligstes geblieben ist, im Grunde des Grundes aber nunein ebensowenig Allerheiligstes ist wie diese unsere Synagoge hier?“[<strong>GEJ</strong>.02_052,06] Sagt ein erfahrener Ältester: „Was dazu die Veranlassung unddie Ursache gewesen sein mochte, weiß weder ich noch irgendein Eingeweihterin ganz Israel; nur das ist faktisch gewiß, daß die Feuersäule nach der argenErmordung des Priesters Zacharias zwischen dem Opferaltar und dem Allerheiligstenauf einmal erlosch und hinfort mit allem Bitten und Beten nicht mehrzum Vorschein kam.[<strong>GEJ</strong>.02_052,07] Daß man aber solchen Vorgang dem Volke nicht offenbarenkonnte, wirst du hoffentlich doch einsehen! Denn das hätte eben bei dem Volkeeine zu große Bewegung verursacht; dazu die Römer im Lande! Welch einBlutbad und welch eine Verwüstung hätte das nach sich ziehen müssen![<strong>GEJ</strong>.02_052,08] So aber weiß außer uns Eingeweihten kein Mensch in ganzIsrael etwas davon, und diese Galiläer, die hier schlafen und unser leises Geflüsterschwer vernehmen dürften, wenn sie auch nicht schliefen, würden auchnichts machen, so sie es auch wüßten, weil sie samt und sämtlich wenig glaubenund mehr Griechen als Juden sind und fürs praktische Leben schon lange vondem Grundsatze ausgehen: eine Religion müsse es geben zur Darniederhaltungdes gemeinen Volkes, dessen sich der kleine gebildete Teil desto leichter zuseinem Vorteile bedienen kann, und es sei da ganz gleichgültig, was für einMysterium einer Religion zugrunde liege.[<strong>GEJ</strong>.02_052,09] Was kümmert es da einen echten besseren Galiläer, ob dieLade echt oder unecht ist, wenn sie nur fürs gemeine Volk, das abergläubischund überleicht zu blenden ist, die nötige Wirkung macht!? Man kann darum hierin Nazareth, in Kapernaum und Chorazin unter guten Bekannten und Freundenschon ziemlich offen sein, ohne dadurch einen Schaden anzurichten; was aber— 116 —


die Griechen und Römer betrifft, nun, da wissen wir, mit wem wir es zu tunhaben![<strong>GEJ</strong>.02_052,10] Darum zumeist hat man ja auch den Prediger Johannes, dermehrere Jahre lang zu Bethabara sein Unwesen trieb, ins Gefängnis gebracht,weil man befürchtete, daß er als ein Sohn des Zacharias, der den Priestern zuJerusalem durchaus kein gutes Zeugnis gab, leicht von der falschen Lade etwaswissen und solches dem Volke offenbaren könnte![<strong>GEJ</strong>.02_052,11] Es wird darum auch der Zimmermann so verfolgt, weil manIhn bei seiner offenbarst prophetischen Eigenschaft fürchten muß, da er davondem Volke etwas kundgeben könnte! Darum bleibe das unter uns noch gleichfortein Geheimnis, und wir dürfen uns gar so leichten Kaufs noch lange nichtwegwerfen!“[<strong>GEJ</strong>.02_052,12] Sagt Chiwar: „Das ist freilich wohl eine ganz verzweifelteGeschichte; wenn nur die dort unten beim Haupteingange von unserem Diskursenichts vernommen haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_052,13] Sagt der Älteste: „Nun, wir haben eigentlich nur mehr gemurmeltals gesprochen, und die dort unten werden wenig oder nichts davonvernommen haben! Und hätten sie auch etwas vernommen, so sind sie zumeistGriechen und Römer und verstehen nicht, was wir da unter uns verhandelthaben.“[<strong>GEJ</strong>.02_052,14] Sagt Chiwar: „Aber ich habe des Zimmermanns Sohn Jesus,den Oberstatthalter Cyrenius, den Obersten Jairus, den Obersten Kornelius, denFaustus und andere bekannte Leute unter ihnen bemerkt!“[<strong>GEJ</strong>.02_052,15] Sagt der Älteste: „Das sind Menschen, gegen die wir unsohnehin nicht schützen können; ob die es gehört haben oder nicht, das ist einerlei!Wollen sie das dem Volke kundtun, so bedürfen sie unserer Besprechunglange nicht, da sie sicher auch ohne uns schon lange nur zu klar wissen werden,wie es mit der Lade im Tempel steht; und wollen sie es nicht, so wird dieseunsere Besprechung sicher kein Motiv dazu sein – und so können wir schonganz ohne Sorge sein! Nun aber seien wir darauf bedacht, daß wir als Eingeweihtedie fragliche Sache nicht irgendwo ruchbar machen; und wird solchesdereinst geschehen müssen, so wird dazu wohl die höchste Vorsicht notwendigsein!“53. — Chiwar gibt Zeugnis von den Werken und dem Leben Jesu[<strong>GEJ</strong>.02_053,01] Sagt Chiwar: „Wahrlich, ich muß eure Weisheit loben! Wielange wir auch schon beisammen leben und wirken, so hat sich dennoch nie eineGelegenheit ergeben, bei der ich euch, meine Gefährten, so wie heute hättekennenlernen können, und es freut mich nun ganz besonders, an euch auchMenschen statt dummer Tempelknechte an meiner Seite zu haben; aber allesdessen ungeachtet bleibt die Erscheinung des Zimmermanns das Außerordentlichste,was je, solange die Erde von Menschen bewohnt ist, von Menschensin-— 117 —


nen wahrgenommen worden ist. Da geht Adam mit allen seinen tausendjährigenErlebnissen und Gesichten unter! Ein Henoch gehört zum geistigen Bettelvolke;Abraham, Isaak und Jakob, Moses, Aaron und Elias sind arme Schlucker gegenuns! Ein Tag bringt nun mehr des Wunderbarsten und nie Erhörten zustande, alsalle die Ur- und Erzväter je erlebt haben![<strong>GEJ</strong>.02_053,02] Ich selbst habe gestern und auch heute schon so von weitemhin einen geheimen Beobachter alles dessen gemacht, was in und außer demHause des alten Joseph vor sich gegangen ist. Ich sage es: nichts als Wunderüber Wunder! Zwei sichtbare, vollkommen lebendige Engel dienen ihm! DesFaustus Weib war in Kapernaum, und der Zimmermann wollte sie an derMorgentafel haben; aber es wären dazu nahe vier Stunden Zeitdauer erforderlichgewesen, um sie von Kapernaum nach Nazareth zu bringen. Was geschiehtaber? Der Zimmermann winkt den zwei offenbarsten Engeln. Diese verschwindennur auf ein paar Augenblicke und bringen ganz heiteren Mutes die schöneLydia, des Faustus Weib, nach Nazareth! – Was sagt ihr dazu? Das wird dochoffenbar mehr sein, als was wir zu fassen vermögen?!“[<strong>GEJ</strong>.02_053,03] Fragen die Ältesten: „Was hast du denn noch gesehen?“[<strong>GEJ</strong>.02_053,04] Sagt Chiwar: „Ihr kennet doch des Jairus Tochter und wissetauch, daß sie zweimal gestorben ist, und daß sie das zweite Mal schon etlicheTage im Grabe gelegen ist, wißt ihr auch; aber ihr wißt es nicht, daß diese Sarah,des Jairus himmlisch schöne Tochter, des Borus Weib geworden ist! Ist dasnicht unerhört, daß ein zweimal vollkommen gestorbenes weibliches Weseneines Mannes Weib wird, und das in einer Art und Weise, wie die Erde noch nieeine Vermählung erlebt hat?! Als des Zimmermanns Sohn sie gesegnet, sah sieden Himmel offen, und zahllose Scharen erfüllten die Luft und lobten Gott, daßEr den Menschen der Erde solche Ehren und Gnaden erweise. Als das Paar abervon Jesus gesegnet war, da verschlossen sich die Himmel auf einen sichtbarenWink des Zimmermanns, und nur die zwei Engel blieben, wie sie früher waren,und wie ihr sie sehen könnt hier in der Synagoge, dort, nahe an der Türe stehendin der Gestalt zweier himmlisch schöner Jünglinge. Betrachtet sie und saget, obsie von wo anders her sein können als rein aus den Himmeln nur![<strong>GEJ</strong>.02_053,05] Wenn aber nun das alles sich also wunderbar verhält, wasniemand von uns leugnen kann, warum sollen wir den Sohn des Zimmermannsdenn nicht für etwas Höheres halten als bloß für einen Schüler der Essäer, die ernie gesehen haben kann, weil er meines Wissens sich nie aus dieser Gegendentfernt hat, außer ein paar Male mit seinem Vater und seinen Brüdern nachJerusalem und, glaube ich, einmal nach Sidon, um dort ein Haus aufzubauen;sonst aber war er stets zu Hause.[<strong>GEJ</strong>.02_053,06] Obschon man weiß, daß er gleichfort ein stiller, eingezogenerArbeiter war, und daß man ihn sogar für ein wenig blöde hielt, so weiß man aberdoch auch, daß sich von seiner Geburt an bis in sein etwa zwölftes Jahr ganzsonderbare Dinge mit ihm zugetragen haben; sogar seine Geburt soll eine ganzwunderbare gewesen sein – nach der Erzählung des nun römischen Obersten— 118 —


Kornelius, der mir solches erst unlängst in Kapernaum bei einer festlichenGelegenheit erzählt hat![<strong>GEJ</strong>.02_053,07] Wenn sich aber die Sachen so verhalten, da frage ich aberdoch vollernstlich, ob man noch Bedenken tragen soll, diesen Jesus wenigstensals einen Gottessohn anzusehen; denn dergleichen Dinge, die er verrichtet, undwie er den Engeln gebietet und sie ihm auf einen Wink gehorchen, dies alles läßtdoch offenbarst den Schluß zu, daß da hinter diesem Jesus eine Fülle des urgöttlichenGeistes stecken muß![<strong>GEJ</strong>.02_053,08] Wenn aber das – was seine Taten und Lehren zeigen –, soweiß ich wahrlich nicht, aus welchem Grunde wir noch fortan an der toten Ladehängen, während hier die lebendige vor unsern Augen wandelt und handelt! Wirkönnen pro forma (zum Schein) vor dem Volke das sogar bleiben, was wir nunsind, um die Sache nicht zu auffallend zu machen; aber im Herzen sollten wiruns alle fest zu ihm bekennen!“[<strong>GEJ</strong>.02_053,09] Sagt der weise Älteste: „Entweder ganz oder gar nicht! Denn,ist Göttliches in ihm, so wird dieses jede Halbheit verabscheuen; ist aber dasnicht der Fall, dann ist es dennoch besser, bei der toten Lade mit wenigstenseiner lebendigen Erinnerung an ihren früheren Bestand zu verbleiben, als etwasanzunehmen, davon man den Grund nicht kennt!“[<strong>GEJ</strong>.02_053,10] Sagt Chiwar: „Darum wollen wir die Sache prüfen euretwegen;denn meinetwegen braucht sie gar nicht geprüft zu werden. Ich bin imklaren und weiß ganz genau, was ich tue, wenn ich ihm nachfolge.“[<strong>GEJ</strong>.02_053,11] Sagt der Älteste: „Meinst du aber, daß der Tempel keineSchritte mehr tun werde, wenn eine Gemeinde und eine Ortschaft um die anderevon ihm abfällt wie eine vollreife Frucht vom Baume? Ich glaube, daß derTempel gar nicht lange auf sich warten lassen und seine Strafpriester in alle Ortehinaussenden wird! Und dann wehe allen abgefallenen Menschen; die werdenmit allerlei bitter geplagt werden! Besser dürfte es dann noch denen ergehen, dieder weisen Griechen Lehre angenommen haben, als eben den Jüngern Jesu, dieweder völlig Juden und noch weniger Griechen sind und wohlbewußtermaßenwissen, daß diese oder wenigstens einige aus ihnen mit den schlechten und nunvollends leeren Tempelverhältnissen und dessen heiligen Mysterien ganz wohlvertraut sein dürften![<strong>GEJ</strong>.02_053,12] Ich sage es euch: nichts wird die Templer nun in eine größere,natürlich ganz geheimgehaltene, aber für uns desto gefährlichere Unruhe versetzen– als das offenbarste prophetische Wesen Jesu und dessen Jünger! Und solcheine Unruhe wird alle Satanskniffe ergreifen lassen, um eine Lehre zu verderben,durch die dem Tempel der offenbarste Untergang bereitet werden muß.[<strong>GEJ</strong>.02_053,13] Oder habt ihr nicht im vorigen Jahre gesehen, was die Templersogar mit einem Griechen gemacht haben, der es unters Volk brachte, daß diesenun auch römisches Silber- und Goldgeld als Opfer im Tempel annähmen,während dazu allein nur Aarons Münze bestimmt ist und außer diesem kein— 119 —


anderes Geld je angenommen werden dürfte? Seht, man lockte ihn in denTempel mit Gewinnversprechungen; und als man auf diese feine Weise seinerim Tempel habhaft ward, wurde er sobald auf eine Weise ums Leben gebracht,von der die Chronik kein Beispiel aufzuweisen hat! – Es ist demnach eine großeVorsicht anzuwenden! Wir müssen entweder ganz Griechen werden und alssolche dann erst zu den Jüngern Jesu uns gesellen mit Leib und Seele, oder wirmüssen ganz das bleiben, was wir sind; denn mit der Halbheit ist uns nirgendsetwas geholfen!“[<strong>GEJ</strong>.02_053,14] Sagt Chiwar: „Da hast du wieder recht, insoweit es die weltlicheVorsicht erheischt; aber unter uns geradeheraus gesagt: Wenn dieser scheinbareZimmermann eben der verheißene Messias, also – wie David Ihn nennt intiefster Ehrfurcht – Jehova Selbst wäre, sollen wir auch dann noch auf schlauenUmwegen Seine Jünger werden, oder sollen wir nicht vielmehr sogleich zuSeiner himmlischen Fahne stoßen und uns von all den Kniffen des Satans schondarum nicht abschrecken lassen, weil wir durch Ihn des ewigen Lebens vollaufversichert sein können, so es uns auch dieses wenigsagende, armselige Erdenleben,das ohnehin nur sehr kurz dauert, kosten sollte?!“[<strong>GEJ</strong>.02_053,15] Bei diesem Antrage Chiwars stutzen alle und wissen nun nichtmehr, was sie entschieden tun sollen.54. — Der Engel Rat an die bekehrten Templer[<strong>GEJ</strong>.02_054,01] Da treten die zwei Engel zu ihnen hin und sagen: „Chiwar hatrecht geredet einesteils, und du Ältester hast auch recht in dem, daß man Gottesganz sein müsse, da Gott jede Halbheit verabscheue! Wir aber sagen euch alsSeine Zeugen aus den Himmeln: Fürchtet die nicht, die eurer Seele nichtsanhaben können, sondern fürchtet vielmehr Den, der ein Herr ist über allesLeben im Himmel und auf Erden! Ohne Ihn gibt es kein Leben, weder imHimmel noch auf Erden! Darum sei euch von uns, als Seinen wahrhaftigstenZeugen aus den Himmeln, geraten, das zu tun, was euch der Freund Chiwargeraten hat.“[<strong>GEJ</strong>.02_054,02] Sagt der Älteste: „Wer seid ihr holdesten Jünglinge denn, daßihr euch vor uns Zeugen aus den Himmeln nennet?“[<strong>GEJ</strong>.02_054,03] Sagen die beiden: „Fraget den Chiwar, der uns gesehen hat ausKapernaum des Faustus Weib holen, und er wird es euch sagen, wer wir sind!“[<strong>GEJ</strong>.02_054,04] Sagt der Älteste: „Wenn so, da gibt es wohl nichts weiteresmehr zu bedenken, und dem Tempel werde der Rücken zugewendet!“[<strong>GEJ</strong>.02_054,05] Sagen die beiden: „Nicht so, liebe Freunde; denn der Herr istbillig in allen Dingen! So ihr im Herzen Ihm anhanget, lebendig an Ihn glaubet,und daß durch Ihn allein die Schrift erfüllt wird und zum großen Teile schonerfüllt ist, so tut ihr genug; sonst aber bleibet, wie ihr seid, auf daß die Dienerder Welt und des Teufels, von denen der Tempel vollgestopft ist, nicht vor derZeit geweckt werden! Lehret das Volk Moses und die Propheten und haltet auf— 120 —


die Beachtung der wahren Gebote Gottes; aber auf die Beachtung der weltlichenSatzungen des Tempels haltet wie auf laues Wasser, so werdet ihr dadurchebensogut Seine Jünger sein wie jene, die Er aus den Fischern berufen underwählt hat.“[<strong>GEJ</strong>.02_054,06] Nach zwei Tagen aber werdet ihr aus Jerusalem einen neuenObersten bekommen, der anfangs sehr templerisch gesinnt sein wird, später abermit sich wird ganz bedeutend handeln lassen und ums Geld Dispense überDispense (Ausnahmegenehmigungen) geben wird; denn er selbst glaubt an denTempel auch nicht ein Sonnenstäubchen groß, und ihr werdet dabei ein leichtesSpiel haben. Jairus aber hat sich in den Ruhestand gesetzt und wird leben imHause seines Schwiegersohnes. Saget aber dem neuen Obersten nichts von alldem Wunderbaren, das sich hier zugetragen hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_054,07] Sagt Chiwar in tiefster Ehrfurcht: „Diener Gottes aus demReiche des Lichtes und des ewigen Lebens! Es ist so ganz gut zu tun, wie ihrnach der Gnade des Herrn uns geraten habt; aber ich für mich möchte esdennoch ein wenig besser haben! Wie wäre es denn, so ich für meine Personganz zu den Jüngern, als selbst Jünger, überginge?“[<strong>GEJ</strong>.02_054,08] Sagen die beiden: „Ein jeder der Menschen dieser Erde ist freiund kann tun, was er will, und glauben und reden, was er will; aber so jemandem,wie nun euch, aus den Himmeln die Gnade zuteil wird, einen Rat bekommenzu haben, so tut er wohl, so er dessen achtet; denn es werden über dieJünger, die nun stets beim Herrn sind, noch Zeiten starker Versuchung kommen,wo sie sich, im Geiste, auch im Feuer werden bewähren müssen, und da werdenviele schwach werden und abfallen! Ihr aber werdet es leichter haben undwerdet in aller Ruhe das erreichen können, was die Jünger unter großer Angstund Verfolgung erreichen werden! Du, Chiwar, kannst nun tun, was du willst;aber für dich ist es besser, wenn du bleibst in deiner Stellung.“[<strong>GEJ</strong>.02_054,09] Sagt Chiwar: „Ja, ich werde bleiben; aber solange Sich derHerr noch hier aufhalten wird, möchte ich denn doch in Seiner Nähe zubringenund so manches von Ihm hören und sehen! Soll ich auch das nicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_054,10] Sagen die beiden: „Ach, das kannst du schon, obwohl der Herrhier weder viel reden und noch weniger etwas Besonderes tun wird, weil dieMenschen hier fast glaubenslos sind und den Herrn für einen Zauberer halten.Ihr aber werdet hinreichend Gelegenheit haben, diese Menschen nach und nacheines Besseren zu belehren, wofür euch der Herr den Lohn nicht vorenthaltenwird. Heute gen Abend wird auch Roban wieder zu euch kommen und euchwichtige Zeugnisse für Jesus den Herrn mitbringen, und ihr werdet an ihm einensehr klugen und weisen Leiter haben; denn Roban ist einer der stärksten Geisterunter euch.“ – Nach diesen Worten entfernen sich die beiden Engel und begebensich wieder zu unserer Gesellschaft.— 121 —


55. — Verhältnis der Völker zu ihren Regenten[<strong>GEJ</strong>.02_055,01] Nun fragt Cyrenius Mich, ob es wohl rätlich wäre, diese seinerAnsicht nach total bekehrten Pharisäer, Ältesten, Leviten und Schriftgelehrtenvon seinem über sie verhängten harten Gesetze freizusprechen.[<strong>GEJ</strong>.02_055,02] Sage Ich: „Man soll, wenn man das Gesetzgebungsrecht hat,nie zu voreilig ein neues Gesetz geben! Ist aber ein Gesetz gegeben, so soll mannoch weniger voreilig sein, das gegebene Gesetz aufzuheben; denn da muß derRat der Verständigen das Rechte zeigen. Siehe, wenn du ein neues Gesetz gibst,so wirst du dir alle jene zu Feinden machen, denen das Gesetz auferlegt ward;hebst du dann aber das Gesetz auf, so wird dir darum niemand dankbar sein,sondern man wird dich der Schwäche zeihen, wird triumphieren und sagen: ,Dasieht man den Tyrannen! Weil er sieht die Überzahl seiner Feinde, so möchte ersich durch die plötzliche Aufhebung des harten Gesetzes beim Volke wieder inGunst setzen! Aber er wird der Freunde im Volke wenige finden; denn wereinmal ein Tyrann ist, der ist es zum zweiten Male, so er wieder zur Machtkommt, ein zweifacher!‘[<strong>GEJ</strong>.02_055,03] Und es ist daher besser, ein gegebenes Gesetz zu belassen, alsdasselbe sobald wieder aufzuheben; aber man kann dafür das Gesetz ganzgeheim fallen lassen, und wenn Übertretungen desselben vorkommen, so übeman Nachsicht und sei im Urteil nicht zu streng. Kommt dann ein andererRegent, so steht es ihm frei, die Gesetze, die sein Vorgänger erlassen hat, ganzaufzuheben und dafür dem Geiste des Volkes gemäß mildere zu geben. Esmüßte denn sein, daß sie kämen und dich darum bäten, da wohl kannst du denstrengsten Teil des einmal erlassenen Gesetzes wegtun, aber stets mit demVorbehalt, das Gesetz sobald wieder mit aller Strenge zu erneuern, wenn sichSpuren zur böswilligen Verfolgung der durch das Gesetz zu bewerkstelligendenguten Sache zeigen sollten![<strong>GEJ</strong>.02_055,04] Siehe, das ist die Klugheit, nach der jeder Regent seine ihmuntergebenen Völker leiten sollte, so er glücklich regieren will! Ein lauer undnachlässiger Regent aber wird bald zu der stets traurigen Überzeugung gelangen,daß er sich durch zu große Nachgiebigkeit die Völker nicht hätte über denKopf wachsen lassen sollen![<strong>GEJ</strong>.02_055,05] Denn die Völker verhalten sich zu ihren Regenten wie dieKinder zu ihren Eltern. Strenge und dabei weise Eltern werden auch gute, gehorsameund dienstfertige Kinder haben, die ihre Eltern lieben und ehren werden,wogegen den zu nachgiebigen Eltern die Kinder nur zu bald über den Kopfwachsen und sie am Ende aus dem Hause treiben und stoßen werden.[<strong>GEJ</strong>.02_055,06] Liebe mit Ernst und Weisheit ist ein ewiges Gesetz; werdanach handelt, macht keinen Fehltritt, und die Früchte davon werden gut undköstlich schmecken. Hast du Mich wohl völlig verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_055,07] Sagt Cyrenius: „Ja Herr, ganz vollkommen, und es ist das inder Welt immer der gleiche Fall gewesen. Ein zu guter, nachgiebiger Regent ist— 122 —


mit seiner Regierung bald fertig; aber auch ein zu tyrannisch strenger hat selteneine lange Dauer. Ich meine, so in der Mitte zwischen beiden ruhet die Weisheit,das Glück und dessen dauerhafte Festigkeit!?“[<strong>GEJ</strong>.02_055,08] Sage Ich: „Ja, ja, also ist es: in der Mitte, wie Ich es dir gezeigthabe! Nun aber gehen wir wieder nach Hause; denn es ist schon stark Nachmittaggeworden!“[<strong>GEJ</strong>.02_055,09] Fragt Kornelius: „Aber Herr, bleiben die alten Bürger, nunschon hier schlafend? Diese Menschen könnten ja auch daheim diese löblicheSabbatfeier verrichten, auf daß sie nicht durch ihr gewaltig starkes Geschnarchedie Anwesenden störten! Denn es ist ja zum Davonlaufen, wie diese Leuteschnarchen, – eine Erscheinung, die mir im höchsten Grade unangenehm ist! Ichkann viel Ungemach ertragen, aber das Schnarchen eines Schlafenden kannmich zu einer Art Verzweiflung treiben!“[<strong>GEJ</strong>.02_055,10] Sage Ich: „Nun, nun, laß das nur gut sein! Solange sie schnarchen,begehen sie keine Sünde! Es ist gut, daß sie nun schnarchen; denn wärensie wach gewesen, so hätten sie manches gehört, was sie sehr geärgert hätte, unddas wäre nicht gut! Weil sie aber fest geschlafen haben, so haben sie von all demVorgefallenen nichts gehört und gesehen und haben sich darum auch nichtgeärgert; und siehe, das ist gut! Aber jetzt gehen wir und lassen diese Leuteschlafen!“[<strong>GEJ</strong>.02_055,11] Darauf fingen wir an, uns zur Türe zu bewegen; aber diePharisäer und Ältesten eilten hin zur Türe, die zur Hälfte geöffnet war, undmachten schnell die ganze, große Türe auf und sagten: „Herr, es stehet geschrieben:,Machet die Türen hoch und die Tore weit, auf daß der König der Ehreneinziehe! Wer aber ist dieser König? Es ist Jehova Zebaoth! Dem von uns allensei alles Lob, alle Ehre und aller Preis von Ewigkeit zu Ewigkeit!‘“[<strong>GEJ</strong>.02_055,12] Und der Cyrenius sagt mit freundlicher Miene: „Ja, also ist esund soll es bleiben ewig! Der Herr sei allzeit mit euch!“[<strong>GEJ</strong>.02_055,13] Und sie rufen: „Und mit deinem Geiste, auf daß du uns, wieEr, gnädig sein möchtest! Denn deine Gesetze haben uns hart gedrückt bis jetzt,ärger denn der Tod; aber da wir nun selbst vollends Seine Jünger geworden sindund uns deine Gesetze selbst lebendig auferlegen, so sind deine harten Gesetzefür uns so gut wie gar nicht mehr da. Aber wir danken dir dennoch für ebendiese Gesetze; denn ohne sie hätten wir leicht zu Verrätern dieser allerheiligstenSache werden können! Wir bitten dich darum nun auch gar nicht mehr um dieAufhebung der gegebenen strengen Gesetze; denn wir selbst, als mit dir gleichDenkende, Glaubende und Handelnde, heben sie eben durch unser höchsteigenes Tun und Lassen bis aufs letzte Häkchen auf, für alle Zeiten der Zeiten!“[<strong>GEJ</strong>.02_055,14] Sagt Cyrenius: „In der Hinsicht ist das Gesetz euch auch vonmir erlassen, und ich bin der sicheren Hoffnung, euch dies harte Gesetz nie mehrerneuern zu brauchen. Lasset euch daher nimmer irreleiten und befolget strenge,was euch die beiden Engel Gottes geraten haben, so werden wir die besten— 123 —


Freunde in Gott dem Herrn verbleiben, und meine Regierung wird euch nichtdrücken! Und sollte es sich unter dem neuen Obersten eurer Schulen zeigen, daßer euch wie immer verfolgen möchte darum, daß ihr Freunde Jesu, des Herrnvon Ewigkeit, und zugleich Freunde der euch wohlwollenden Römer seid, sowerdet ihr den Weg bis zu mir wohl finden, – und dann werden schon jeneVorkehrungen getroffen werden, durch die eure physischen und ganz besondersgeistigen Rechte aufs beste geschützt werden! Und nun abermals sage ich: DerHerr sei mit euch!“[<strong>GEJ</strong>.02_055,15] Und sie alle rufen wieder: „Und mit deinem Geiste ewig!“[<strong>GEJ</strong>.02_055,16] Darauf machen sie eine tiefste Verbeugung vor uns, und wirgehen durch die weitgeöffnete Tür und begeben uns nach Hause, allda ein gutesMahl unser harret, bestehend aus Brot, Wein und allerlei süßen und vollreifenFrüchten. Wir setzen uns an die Tische, danken und verzehren nach und nach,was die Tische tragen, – bleiben aber zugleich an den Tischen sitzen bis zumUntergang unter allerlei erbaulichen Reden und Gesprächen.56. — Roban und Kisjonah berichten ihre Erlebnisse[<strong>GEJ</strong>.02_056,01] Nahe dem Untergange kommt Roban, von Kisjonah aus Kisbegleitet, bei Meinem Hause an, grüßt schon von weitem alles, was ihm unterkommt,und Kisjonah eilt eben auch mit offenen Armen zu Mir hin, grüßt vorallem Mich auf das wahrhaft freundlichste mit Tränen in den Augen und grüßtdarauf nach einer Weile erst seine Tochter, die ihn schon lange bei der Handhielt und viele Küsse darauf heftete; also grüßt er auch seinen Schwiegersohn,den Kornelius, und als er es erst erfährt, daß der neben Mir sitzende glänzendeRömer der Oberstatthalter Cyrenius ist, so bittet er ihn um Vergebung, ihnübersehen zu haben![<strong>GEJ</strong>.02_056,02] Aber Cyrenius ergreift ganz gerührt des Kisjonah Hand, drücktsie an seine Brust und sagt ganz laut: „Nicht du mich, sondern ich muß dich umVergebung bitten, daß ich dich nicht zuvor gegrüßt habe; aber als Entschuldigungdiene, daß ich dich persönlich nicht gekannt habe! Denn nebst dem HerrnJesu, dem natürlich allein alles Lob und alle Ehre gebührt, bin ich auch dir, dutreuer, biederer Mann, einen nie zu erschöpfenden Dank schuldig; denn unterallen Menschen jener Gegend hast du entschieden das meiste dazu beigetragen,daß ich aus einer Verlegenheit gerettet wurde, die mich sonst wohl sicher dasLeben gekostet haben würde! Das ist mir wirklich eine große Freude, dich, dumein überaus schätzenswerter Freund, nun persönlich kennenzulernen.“[<strong>GEJ</strong>.02_056,03] Kisjonah ist nun wieder einmal ganz glücklich und erzählt unsvieles, was er alles unterdessen erlebt hat, und erzählt uns am Ende auch, daß ermit dem recht biederen alten Roban Sichar besucht und dort mit Jonael, Jairuthund sehr viel mit dem Archiel gesprochen habe, der nun ganz natürlich wie einMensch lebe und handle, so daß es einem Fremden aber auch nicht im Traumeeinfallen könne, als stäke hinter ihm ein rein geistiges Wesen.— 124 —


[<strong>GEJ</strong>.02_056,04] Also habe er auch den Arzt Joram und dessen wundervollherrlichstes Haus, sowie dessen liebes, herrlichstes Weib besucht und vonbeiden überaus wundervollste Dinge vernommen; und Roban sei allenthalbenbloß Ohr und Auge gewesen und hätte sich über alles nicht genug verwundernkönnen; und wenn er so recht mächtig ergriffen gewesen, da habe er immer vorsich hingesagt: Ja, ja, Blut und Leben für den göttlichen Meister aus Nazareth!Denn Er kann kein Mensch, sondern Er muß Gott Selbst sein, ansonst Ihmdergleichen Dinge nicht möglich sein würden![<strong>GEJ</strong>.02_056,05] Als Kisjonah also noch erzählt, tritt Roban zu Mir hin und sagtnichts als: „Herr, ich bin Dein, und keine Macht, außer allein Dein Wille, kannmich von Dir trennen!“[<strong>GEJ</strong>.02_056,06] Sage Ich: „Ich habe es wohl zum voraus gewußt, daß du einerder Meinigen werdest; aber du weißt es noch nicht, daß nun auch alle deineBrüder und Amtsgefährten zu den Meinigen gehören, ohne deshalb aufzuhören,das zu sein vor der Welt, was sie ehedem waren, – desgleichen auch du vorderhanddas bleiben wirst, was du warst, so lange, bis der neue Schuloberste, derdie Stelle des Jairus übermorgen beziehen wird, sich ein wenig abgestoßenhaben wird.[<strong>GEJ</strong>.02_056,07] Deine Brüder aber werden dich schon in allem unterweisen,was du zu tun, zu reden und wie du dich zu benehmen haben wirst gegen denneuen Obersten, der im Anfange zwar mit einem sehr buschigen Besen zukehren beginnen wird; aber es wird kein halbes Jahr währen, und ihr werdet mitihm um einiges Geld alles ausrichten können, da er keinen Glauben hat an denTempel, sondern vorderhand allein ans Geld; nachderhand aber wird er schonauch an etwas Besseres zu glauben imstande sein. – Nun aber gehe zu deinenBrüdern und benachrichtige sie von allem, was du gesehen und gehört hast!“[<strong>GEJ</strong>.02_056,08] Auf diese Meine Worte empfiehlt sich Roban beim Kisjonah,ihm für alles dankend, was er ihm Gutes erwiesen hatte, und sagt am Ende:„Kisjonahs dürften auf der Erde wohl wenige mehr anzutreffen sein! Darum bistdu der einzige, der mein Herz getroffen und gefunden hat! Der Herr segne dichfür alles, was Gutes du mir und tausend andern erwiesen hast!“ – Nach diesenWorten verneigt er sich tief vor uns und eilt zu seinen Brüdern, die heute noch inder Synagoge versammelt sind – jedoch ohne die Schlafenden, die bald nachunserem Abgange aus der Synagoge entfernt wurden. Er wird überraschendfreundlich aufgenommen, und sie teilen sich nun gegenseitig fröhlichen undheiteren Geistes unter Staunen und Staunen alles mit, was sie erlebt, gehört undgesehen haben.[<strong>GEJ</strong>.02_056,09] Wir aber sind ebenfalls guter Dinge; denn Kisjonah kam nichtallein, sondern mit mehreren vollbeladenen Lasttieren und ihren Führern undbrachte Wein, Mehl, Käse, Brot, Honig und eine Menge der edelsten Fische ingeräuchertem Zustande, so daß die Mutter Maria kaum Platz hatte, all dasMitgebrachte unterzubringen.[<strong>GEJ</strong>.02_056,10] Es ward daher ein Nachbar ersucht, den Überschuß sorgsam in— 125 —


seiner großen Speisekammer aufzubewahren, was er denn auch tat, obschoneben nicht gar zu gerne aus purer Gefälligkeit, da er stets ein habsüchtiger Filzwar. Aber da ihm nun Kisjonah ein Paar Goldstücke für seine Mühe und Gefälligkeitanbot und gab, so war er gleich gut gesinnt und über die Maßen dienstfertigund stieß im Tragen der Säcke, da es schon stark dämmerlich geworden war,einmal stark an den Jünger Johannes. Dieser aber sagte zu ihm: „Freund, seivorsichtiger in deinem bezahlten Eifer, sonst wirst du für dich und die anderneinen Schaden anrichten! Glücklich aber wärest du, so du fürs Gottesreich, dasgar so nahe zu dir gekommen ist, so eifrig wärest wie für die zwei elendenGoldstücke, und du würdest dabei dich an niemanden stoßen! O der großenBlindheit, die das Allerhöchste nimmer erkennen kann und mag!“[<strong>GEJ</strong>.02_056,11] Der Nachbar aber ließ sich nicht irremachen, verrichtete seinebedungene Arbeit und kümmerte sich um nichts weiteres mehr.[<strong>GEJ</strong>.02_056,12] Da fragte Johannes: „Herr, ist es denn doch möglich, daß einMensch soviel Stumpfsinn in seinem Leibe und in dessen Seele haben kann?“[<strong>GEJ</strong>.02_056,13] Sage Ich: „Laß ihn gehen! Es gibt dergleichen nun zu vielenTausenden im Judenlande, die da stumpfer und eigensinniger sind als ein Esel!Darum gebührt ihnen aber auch nur der Lohn eines Esels!“[<strong>GEJ</strong>.02_056,14] Darüber entstand eine kleine Lache durch die Gesellschaft, diePhilopold mit seinen sehr treffenden Bemerkungen noch mehr erhöhte undbewies, wie ein Mensch gewöhnlich alles besser zu sehen imstande ist alsgerade das, was ihm auf der Nase sitzt! Und alles bewunderte seine ausgezeichneteDialektik.[<strong>GEJ</strong>.02_056,15] Nach dieser Szene aber erhoben wir uns vom Tische undbegaben uns bald zur Ruhe.57. — Der Engel Weltendienst. Eine Hülsenglobe[<strong>GEJ</strong>.02_057,01] Alles nahm nun sein Lager ein und schlief bis zum hellenMorgen; auch Ich ruhte und schlief ein paar Stunden. Die beiden Engel aberverrichteten ihr Weltenleitungsgeschäft in der Nacht und waren mit demAufgange der Sonne auch schon wieder bei uns, traten zu Mir hin, dankten undsprachen: „Herr, es ist alles in der größten Ordnung im ganzen großen Weltenmenschen.Die Hauptmittelsonnen stehen unverrückt in ihren Stellen, und ihreUmdrehungen sind gleich; die Bahnen der zweiten Mittelsonnen sind unverrückt,die Bahnen der dritten Klasse Mittelsonnen um die zweiten sind ebenauch in der größten Ordnung, ebenso die Mittelsonnen der vierten Klasse mitihren zehnmal hunderttausend Planetarsonnen, hie und da mehr und hie und daweniger, – wie Du, o Herr, vom Urbeginn an das Maß gelegt hast! Die zahllosvielen Planetarsonnen aber mit ihren kleinen, zumeist lichtlosen Planeten undMonden hängen ohnehin von der Ordnung der großen Leitsonnen ab, und somitist in dieser uns beiden zum Überwachen gegebenen Hülsenglobe* alles in dergrößten und besten Ordnung, und wir dürfen darum wieder hier bei Dir, heiliger— 126 —


Vater, und bei Deinen uns gar so teuren Kindern einen hellen Tag zubringen!“*) "HÜLSENGLOBE" ist die Benennung der Zusammenfassung von Dezilionen mal DezilionenSonnen, die als Zentralsonnen erster, zweiter, dritter und vierter klasse mit den zahllos vielen Planetarsonnen,wie die unserer Erde eine ist, sich alle um einen gemeinsamen, unermeßlich großen Mittelpunkt,der auch eine nahe endlos große Hauptmittelsonne ist, in großen und weitgedehnten Bahnenbewegen. — Aber wahllos viele solcher Hülsengloben, die für uns Menschen in undenkbar weitenEntfernungen voneinander abstehen und den ewig unendlichen Raum erfüllen, führen den gemeinsamenNamen "der Große Weltmensch". — Dies zum leichteren Verständnisse des Morgenberichtes derzwei Engel an Jesus, den Herrn der Unendlichkeit. - Jakob Lorber -[<strong>GEJ</strong>.02_057,02] Sage Ich: „Ganz gut, bringet aber jede Minute wohl zu durchallerlei nützliche Belehrungen; denn Meine Kindlein bedürfen derer noch sehr!“[<strong>GEJ</strong>.02_057,03] Die beiden Engel treten nun ganz heiter und überselig zurückund begrüßen Maria und darauf die Jünger, den Cyrenius, Kornelius, Faustus,Jairus, den Kisjonah und den Borus. Cyrenius aber, der von den vielen Sonnenetwas gehört hatte, fragt die beiden gleich, von was für Sonnen sie da mit Mirgeredet hätten, da er nur eine Sonne kenne.[<strong>GEJ</strong>.02_057,04] Die beiden aber sagen überaus liebreich: „Liebster Freund undBruder im Herrn, wolle nicht wissen das, was du nun unmöglich fassen kannst,und wovon das Heil deiner Seele auch gar nicht abhängt; denn das, was wir mitdem Herrn geredet haben, würde dich töten, so du es in dem Maße verstündestund einsähest, wie wir es verstehen und allzeit einsehen müssen. Denn so vieleSterne du in einer schönen Nacht erschauest und noch viele andere, die deinAuge ob ihrer zu großen Entfernung von hier aus nicht erschauen kann, sindlauter Sonnenwelten von einer für deinen Verstand unmeßbaren Größe. Die eineSonne, die du siehst, ist eine der kleinsten Planetarsonnen; sie ist aber dennochschon über tausendmal tausend Male größer denn diese Erde. Nun denke dirdann erst eine Mittelsonne nur der vierten Abstufungsklasse, um die wenigstenszehnmal hunderttausend solcher Planetarsonnen in weitgedehnten Kreisen samtihren Planeten oder lichtlosen kleinen Erden, wie die von dir bewohnte eine ist,bahnen! Deren Umfang ist für sich allein so groß wie die Summe aller Umfängealler der Planetarsonnen und ihrer um sie kreisenden Erden und Monde umtausend vervielfacht. – Sage uns, Freund, kannst du dir nun wohl einen Begriffvon solch einer Größe machen?“[<strong>GEJ</strong>.02_057,05] Sagt Cyrenius: „Lieblichste Diener Gottes, ich bitte euch, mirdavon nichts Weiteres mehr kundzutun; denn es fängt an, mich ganz schwindligzu ergreifen! Wer hätte je sich so etwas im Traume einfallen lassen mögen? Undihr könnet das alles so gewisserart mit einem Blick übersehen? Welche Machtund welch eine Tiefe der göttlichen Weisheit muß in euch sein! Aber weil ichschon so voll Wißbegierde bin, so saget mir so im höchst allgemeinen nochdazu, was denn eigentlich in den so endlos vielen und endlos großen Sonnenist!?“[<strong>GEJ</strong>.02_057,06] Sagen die beiden: „Was du auf dieser Erde ersiehst, das undähnliches in freilich viel edlerer und oft auch riesenhaft größerer Art kannst duauch auf einer großen Sonnenwelt antreffen. Menschen, Tiere und Pflanzen aller— 127 —


Art gibt es dort wie hier, dazu übergroße und unbeschreiblich herrliche Wohngebäude,gegen die der Tempel von Jerusalem und der Palast des Kaisers in Romdie allerelendesten Schneckenhäuschen sind, und allenthalben ist dieser Eineewig allein der Herr und gleichfortige Schöpfer von Ewigkeit!“58. — Der Verkehr der Erdenmenschen mit dem himmlischen Vater[<strong>GEJ</strong>.02_058,01] Als Cyrenius solches vernimmt, da sagt er von einerübergroßen Ehrfurcht ergriffen: „Freunde und Diener des Herrn, jetzt weiß icherst, wer der Herr ist, und wer ich bin! Ich bin total nichts, und Er ist endlosalles! Nur begreife ich unsere menschliche Keckheit nicht, die da mit Ihm so mirund dir nichts reden kann, als hätte sie ihresgleichen vor sich!“[<strong>GEJ</strong>.02_058,02] Sagen die beiden Engel: „Er Selbst will es also; denn dieKinder haben von Ewigkeit her das Recht, mit dem Vater zu reden nach ihrerHerzenslust! Frage daher nicht um alberne Dinge und Verhältnisse; denn an dirliegt es nicht, daß du ein Mensch bist, sondern an Dem allein, der dich also, wiedu bist, erschaffen hat aus Sich Selbst heraus und hat Sich dabei an niemandesRat gebunden denn an Seinen höchst eigenen. Wie aber hätte Er auch jemandanders fragen können als nur Sich Selbst allein, da vor Ihm in der ganzenUnendlichkeit kein Wesen da war?![<strong>GEJ</strong>.02_058,03] Wenn du demnach mit Ihm sprichst wie mit deinesgleichen, sotust du ganz wohl daran; denn Gott hat niemanden außer Sich, mit dem Er redenkönnte. Aber Seine Geschöpfe, die aus Ihm sind, sind also frei gestellt, daß sienun mit Gott und Gott mit ihnen wie ein Mensch mit dem andern reden können,und es ist sonach ganz in der Ordnung, daß du mit Ihm sprichst wie mit deinesgleichen;denn das Geschöpf ist seines Schöpfers wert und der Schöpfer SeinesGeschöpfes.[<strong>GEJ</strong>.02_058,04] Jedes Geschöpf ist ja ein Zeuge von der Allmacht, Weisheitund Liebe Gottes, und es ist ohne Seine Macht kein noch so mächtiger Geistfähig, aus sich selbst etwas zu erschaffen, sondern das kann nur Gott allein! Daaber jedes Geschöpf ein Zeuge ist der göttlichen Allmacht, Weisheit und Liebe,wie sollte es dann nicht seines Schöpfers wert sein? – Verstehst du dieses?“[<strong>GEJ</strong>.02_058,05] Sagt Cyrenius: „O ihr überweisen Diener des allmächtigenGottes, wie höchst klar und verständig ist doch eure überaus weise Lehre! Ja,also ist es! Der Mensch hat sich wahrlich nicht zu schämen dessen, was er ist;denn er ist ja das wahrste Meisterwerk des Schöpfers, so er lebt nach dem freierkannten Willen Gottes. Aber wenn ein Mensch dem Willen Gottes zuwiderhandelt,so meine ich, verpfuscht er sich selbst und kann dem nicht mehrentsprechen, was er uranfänglich war und ewig sein und bleiben soll.[<strong>GEJ</strong>.02_058,06] Und so denn muß die Sünde eine Handlung wider dieursprüngliche Ordnung Gottes sein, durch welche Handlung sich der Mensch alsim sich ausbildenden Teile selbst Schöpfer seiner Gott ähnlich werden sollendenNatur verpfuscht und dadurch sich selbst unwürdig macht, ein Geschöpf des— 128 —


ewigen, allmächtigen Meisters zu sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_058,07] Sagen die Engel: „Da hast du ganz recht! Insoweit bleibt wohlein jeder Mensch ein Gottes würdiges Meisterwerk, als er seiner Form,Tauglichkeit, Fähigkeit und lebendigen Freiheit nach gewisserart eine pureMaschine ist, in der sich der Geist frei und lebendig äußern kann.[<strong>GEJ</strong>.02_058,08] Aber was die ihm selbst notwendig anheimgestellte moralischeAusbildung seines Herzens und seiner Seele betrifft, so kann er sich selbst zueinem Scheusale der Hölle herabwürdigen und begeht eben dadurch die größteSünde, weil er in sich selbst durch sich selbst das höchste Meisterwerk Gottes zueinem erbärmlichen, Gottes unwürdigsten Pfuschwerke umgestaltet, worauf esdann Gott Selbst eine große Mühe kostet und eine nie berechenbare Geduld, bisaus dem verpfuschten Werke wieder ein Meisterwerk wird.[<strong>GEJ</strong>.02_058,09] Wegen gar unnennbar vieler durch sich selbst verpfuschterWerke ist eben diesmal der Meister Selbst in diese Welt gekommen, um diesevielen Werke, die sich selbst verdorben haben, für alle Zeiten der Zeitenzurechtzubringen! Aber es werden sich auch fortan die Werke verderben; darumaber wird Er auf dieser Welt eine neue Anstalt gründen, in der sich alle verdorbenenWerke von sich selbst aus werden zurechtbringen können. Aber wer vondieser Anstalt frei aus sich selbst keinen Gebrauch wird machen wollen, derwird verdorben bleiben ewig, so sein Wille sich nimmer ändern wird! Verstehstdu solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_058,10] Sagt Cyrenius: „Auch das verstehe ich ganz und bin ebendarum der Meinung, daß man die Menschen durch gewählte, aber strengeGesetze wird anhalten müssen, von der Anstalt vollsten Gebrauch zu machen!“[<strong>GEJ</strong>.02_058,11] Sagen die Engel: „Es wird zwar solches wohl geschehen, aberder Menschheit wenig nützen; denn nur allein das nützet dem Menschen, was erfrei aus sich selbst tut. Alles andere ist ihm zum größten Schaden.[<strong>GEJ</strong>.02_058,12] Denn könnte der Mensch durch irgendeinen Zwang entwedervon außen oder von innen vollendet werden, so hätten wir Macht zur Übergenüge,alle Menschen so zu binden und zu zwingen, daß sie unmöglich je widerirgendein Gesetz zu handeln imstande wären! Aber dadurch würden wir aus demin aller Freiheit Gott völlig ähnlich werden sollenden Menschen nur einestummbelebte Maschine erzeugen, die sich selbst ebensowenig je zur zweckdienlichen,freien Tätigkeit bestimmen könnte – wie das noch so scharfeSchwert der Gerechtigkeit, ohne von einer geübten Hand geführt zu sein![<strong>GEJ</strong>.02_058,13] Aus dem aber kannst du schon ganz klar ersehen, daß es sichmit was immer für einem Zwange für ewig nicht tut, sondern allein mit derwahren Belehrung und dann darauf mit der freien Selbstbestimmung nach dervernommenen Lehre, durch die jedem der wohlerleuchtete Weg der göttlichenOrdnung nach allen Seiten hin kundgemacht wird, zu handeln und zu wandeln.Verstehst du auch dieses?“— 129 —


59. — Über den großen Kampf im Menschen[<strong>GEJ</strong>.02_059,01] Sagt Cyrenius: „Ja, auch das verstehe ich leider; denn ich sehedaraus wenig gute Erfolge! Wo sind die Menschen, und wie viele gibt es vondenen, die nur eine Belehrung aufzunehmen und zu begreifen fähig wären? Undwie viele gibt es dann selbst aus der Zahl der Belehrten, die den überwiegendstarken Willen in dem Grade besitzen, die an sie ergangene und auch wohlbegriffene Belehrung in die volle Tat umzugestalten? Ich stelle tausend Wohlbelehrteher und setzte alles darauf, wenn darunter zehn zu finden sind, die denvollen Willen und auch den erforderlichen Mut besitzen – besonders unterfanatisch abergläubischen Volksmassen –, die vernommene und wohlbegriffeneLehre ins Werk zu setzen! Denn was würde es ihnen nützen, die Lehre derewigen, klarsten Wahrheit ins Werk zu setzen, wenn sie darob schon am nächstenTage von den selbstsüchtigen und grausamen Fanatikern auf das qualvollsteerwürgt werden?![<strong>GEJ</strong>.02_059,02] Ihr seid zwar endlos weise und mächtige Diener des Allerhöchsten,aber da sage ich als ein alterfahrener Staatsmann: Ganz ohne irgendeinenZwang wird diese noch so wahrhaft göttliche Lebenslehre nie einen besonderenoffenen Eingang finden! Wenigstens muß der gar zu krasse fanatischeAberglaube mit aller Zwangsgewalt verdrängt werden, ansonst es ewig schadewäre, sie auch nur eine Tagereise von hier weiterzutragen![<strong>GEJ</strong>.02_059,03] Wir glauben hier freilich ungezweifelt fest an die reinste ewigeWahrheit, die uns hier gar reichlich geoffenbart wird, aber dennoch nicht soganz ohne Zwang; denn ihr beide, der Herr und Seine Taten sind denn docheben auch kein gar zu geringfügiges Zwangsmittel, ohne welches auf diesemPlatze nicht nahe über tausend Zuhörer und Lehrbefolger beisammen wären. Soaber dieses überaus beachtenswerte Zwangsmittel uns noch immer zu keinenschon ganz toten Maschinen umgestaltet hat, wie euch solches diese meinevielleicht nicht jeden Grundes entbehrende Einrede hinreichend kundtut, sodürfte ein bloß äußeres Zwangsmittel den Menschen, die sich künftig nachdieser neuen Lehre aus den Himmeln zu wahren Kindern Gottes umgestaltensollen, von keinem gar zu großen Schaden sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_059,04] Sagen die beiden Engel: „Du hast in einer Hinsicht allerdingsrecht, und es werden auch äußere Zwangsmittel nicht unterm Wege verbleiben;aber du wirst auch daneben zu der Überzeugung kommen, daß ein äußererZwang im Grunde noch schlechter ist als ein unsichtbarer innerer! Denn deräußeren Zwangsmittel bedient sich auch der Satan, um den bösen Aberglaubenaufrechtzuerhalten; wenn wir aber bei der Ausbreitung der Lehre aus denHimmeln uns am Ende auch der schnöden Mittel des Satans bedienen undsogestaltig in seine Fußstapfen treten, – Frage: Was können wir dabei zum ewigBesten des Menschen gewinnen?[<strong>GEJ</strong>.02_059,05] Mit Feuer, Schwert und großem Blutvergießen hat sich nochallzeit der böse Aberglaube den Weg und Eingang in die Welt verschafft; soaber nun das reinste Wort Gottes sich auch auf demselben Wege Eingang— 130 —


verschaffen sollte, könnte es da je ein Mensch von nur einigem Geiste wohl alsein Friedenswort Gottes aus den Himmeln anerkennen? Würde er nicht sagenmüssen: ,Gott, genügt es Dir denn nicht, daß die Menschheit vom Satan geplagtwird zum Haarsträuben, daß auch Du, Allmächtiger, auf den Wegen des Satanszu uns armen und schwachen Menschen kommen mußtest?‘[<strong>GEJ</strong>.02_059,06] Siehe, du liebster Freund und Bruder, wie gar sehr ungereimtdas herauskäme, so Sich Gott der Herr je solcher Mittel zur Ausbreitung SeinerLehre unter den Menschen zu ihrer ewigen Beseligung bedienen möchte, derensich die Hölle noch allzeit bedient hat, um ihren harten Früchten und Speisen inder Welt bei den Menschen Eingang zu verschaffen![<strong>GEJ</strong>.02_059,07] Ja, es werden dereinst leider Zeiten kommen, in denen man dieverunreinigte Lehre Jesu des Herrn mit Feuer und Schwert den Völkern predigenwird; aber das wird für die Menschen von großem Übel sein! – Verstehst dudas?“[<strong>GEJ</strong>.02_059,08] Sagt Cyrenius: „Leider verstehe ich auch das und frage immernoch, ob denn solche ganz äußeren Kalamitäten von den allmächtigen Himmelnnicht wollen verhütet werden, und warum überhaupt je einmal dem Bösen vollsterEingang in diese Welt mußte oder wollte gestattet werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_059,09] Sagen die beiden: „Liebster Freund und Bruder, wenn duirgendeine Weisheit besitzest, so urteile selbst, ob es ohne ein Kontra je ein Progeben kann! Wo ist noch je ein Mensch ohne Kampf ein Held geworden? Wärees aber je unter den Menschen zu einem Kampfe gekommen, wenn es unterihnen lauter fromme Lämmlein gegeben hätte? Oder könntest du je deine Krafterproben, so es keine Gegenstände gäbe, die deiner Kraft zu widerstrebenvermöchten? Könnte es je ein Hinauf geben, so es kein Hinab gäbe? Oderkönntest du jemandem etwas Gutes tun, so da nie jemand in die Lage käme,deine Hilfe zu benötigen? Was wäre dann eine gute Tat, so deren niemandbedürfte? Oder könntest du einen Allwissenden je etwas lehren, das er zuvornicht wüßte?[<strong>GEJ</strong>.02_059,10] Siehe, in einer Welt, wo der Mensch aus sich selbst sich zueinem wahren Kinde Gottes gestalten soll, muß ihm auch alle mögliche gute undschlechte Gelegenheit geboten sein, die Lehre Gottes im Vollmaße ausüben zukönnen![<strong>GEJ</strong>.02_059,11] Es muß kalt und warm sein, damit der Reiche Gelegenheitbekommt, seine armen und nackten Brüder mit Kleidung zu versehen. Also mußes Arme geben, auf daß wieder die Reichen sich in der Barmherzigkeit und dieArmen in der Dankbarkeit üben können. Ebenso muß es Starke und Schwachegeben, auf daß die Starken Gelegenheit bekommen, den Schwachen unter dieArme zu greifen, die Schwachen aber in der Demut ihres Herzens erkennen, daßsie schwach sind. Also muß es auch gewisserart Dumme und Weise geben,ansonst denn ja den Weisen ihr Licht ein vergebliches wäre![<strong>GEJ</strong>.02_059,12] So es keine Bösen gäbe, an wem würde denn der Gute ein— 131 —


Maß haben, ob und inwieweit er wirklich gut sei?![<strong>GEJ</strong>.02_059,13] Kurz, in dieser Sichselbstbildungsanstalt der Menschen zu denfreiesten Kindern Gottes muß es auch möglichst viele Pro- und Kontra-Gelegenheitengeben, durch die sich die Kinder vom Grunde aus in allem üben undvöllig ausbilden können, ansonst sie unmöglich zu wahren, allmächtigenKindern des Allerhöchsten werden könnten![<strong>GEJ</strong>.02_059,14] Wir sagen es dir: Solange ein Mensch nicht in allen möglichenDingen und Verhältnissen den Satan mit höchst eigener Macht aus dem Kampffeldetreiben kann, hat er die volle Kindschaft Gottes noch lange nicht! Wiesollte er aber je dieses Feindes Sieger werden, wenn man ihm alle Gelegenheitnähme, auch nur mit einem Haare des Feindes in Berührung zu kommen? Ja, daswahre Reich Gottes kostet einen großen Kampf der vollsten Freiheit des ewigenLebens wegen, und so muß euch ja Gelegenheit zum Kampfe gegeben seinzwischen Himmel und Hölle!“60. — Vom Nutzen der Leidenschaften[<strong>GEJ</strong>.02_060,01] (Die Engel:) „Also wirst du finden, daß da verschiedeneLeidenschaften die Menschen beherrschen. Der eine fühlt in sich das Bedürfnis,alles zu besitzen, was nur irgendeinen Wert hat; das ist offenbar Geiz, der einLaster ist. Und siehe, diesem Laster hast du die Schiffahrt zu verdanken; dennnur überaus hab- und gewinnsüchtige Menschen konnte die lebensgefährlicheBegierde anwandeln, Mittel zu finden, über das überweit gedehnte Meer zuschwimmen, um zu suchen, ob es über dem Meere auch noch Länder gäbe, dievielleicht von unerhörten Schätzen strotzen. Sie kommen nach vielen ausgestandenenMühseligkeiten und Lebensgefahren wirklich in ein über dem Meeregelegenes, noch gänzlich unbevölkertes Land. Die ausgestandenen großenGefahren haben ihre Habsuchtsleidenschaft sehr abgekühlt und haben sie mutlosgemacht für eine Rückfahrt; sie siedelten sich gleich dort an, wohin sie der Windgebracht hatte, bauten sich Hütten und Häuser und bevölkerten auf diese Weiseein noch ganz menschenleeres Land. – Nun urteile selbst, ob die Menschen ohnedie Leidenschaft der Hab- und Gewinnsucht je das fremde Land entdeckthätten!?[<strong>GEJ</strong>.02_060,02] Nehmen wir die Leidenschaft des fleischlichen Sinnlichkeitsgenusses.Denke du dir diese Leidenschaft ganz weg und stelle dir die Menschheitso himmlisch keusch als möglich vor, und du wirst an dem reinstenJungfern- und keuschesten Junggesellenleben bis ins graue Alter ein lobenswertesWohlgefallen haben. Denke dir aber nun alle Menschen in solch einemhöchst keuschen Zustande und sage dir es selbst: Wie wird es dabei mit der inder Gottesordnung bedungenen Fortpflanzung des Menschengeschlechtes aussehen?Du siehst also hieraus, daß dem Menschen auch diese Leidenschaftinnewohnen muß, ansonst die Erde nur zu bald menschenleer werden müßte!Daß ein und der andere Mensch in dieser Leidenschaft nur leider zu oft ausartet,wie es die tägliche Erfahrung lehrt, ist sicher wahr, und es ist solch eine Ausar-— 132 —


tung allzeit wider die Ordnung Gottes, und somit eine Sünde. Aber es ist dieoftmalige Ausartung dieser Leidenschaft wider die göttliche Ordnung dennochgleichfort um vieles besser als die allergänzlichste Ausrottung derselben.[<strong>GEJ</strong>.02_060,03] Alle Kräfte aber, die dem Menschen gegeben sind und sich imAnfange als schwer zu zügelnde Leidenschaften kundgeben, müssen nach obenoder nach unten der höchsten Ausbildung fähig sein, ansonst der Menschsowieso gleich einem lauen Wasser bleiben und in die stinkendste Trägheitversinken würde.[<strong>GEJ</strong>.02_060,04] Wir sagen es dir: Nichts kann dir ein vollwahreres Zeugnisvon der göttlichen Bestimmung des Menschen geben als die größten Lastergegenüber den höchsten Tugenden der Menschen; denn daraus erst ist ersichtlich,welch endlose Fähigkeiten den Menschen dieser Erde gegeben sind! Vomallerhöchsten Himmel Gottes, der sogar uns Engeln unzugänglich ist, bis zurtiefsten Hölle ist des Menschen Bahn; und wäre sie nicht, nie könnte er dieKindschaft Gottes erreichen![<strong>GEJ</strong>.02_060,05] Wir haben mit Menschen zahlloser anderer Welten zu tun;aber welch ein Unterschied zwischen hier und dort! Dort sind den Menschen ingeistiger wie auch in naturmäßiger Hinsicht Schranken gestellt, über die siehöchst schwer einen Schritt tun können. Ihr Menschen dieser Erde aber habt imGeiste ebensowenig eine Beschränkung als der Herr Selbst und könnet tun, wasihr nur immer wollt. Ihr könnet euch erheben bis in die innerste WohnungGottes, aber eben darum auch so tief fallen als der Satan selbst, der einst auchder höchst freieste Geist aus Gott war; und da er fiel, mußte er auch in die tiefsteTiefe alles Verderbens notwendig fallen, aus der er kaum je einen Rückgangfinden wird, weil dem Laster von Gott aus eine ebenso endlose Vervollkommnungsfähigkeitgegeben ist wie der Tugend.“61. — Vom Wert des freien Willens[<strong>GEJ</strong>.02_061,01] (Die zwei Engel:) „Es kommt demnach auf dieser Erde bei denMenschen alles allein nur auf den freien Willen an und auf die möglichst zwangloseBelehrung, die schon vom Herrn aus so gestellt ist, daß sie für den ausübendenTeil jedem Verstande der Menschen schon auf einmaliges Sagen hinreichendverständlich ist; es kann sich daher niemand entschuldigen, er habe dieLehre nicht verstanden. Denn das ,Liebe Gott über alles und deinen Nächstenwie dich selbst!‘ ist so allgemein verständlich wie nur etwas, das jeder Blindesogar mit Händen greifen kann! Und befolgt jemand tatsächlich diese kurze,leicht faßliche, aber dennoch alles in sich enthaltende Lehre, so wird er dadurchaus seinem Herzen schon ohnehin in alle erdenkliche Weisheit geleitet werdenvom Herrn Selbst aus und kann darauf wieder zum Lehrer der Nebenmenschenwerden. Und so kann denn einer den andern ziehen so weit, bis ihn der HerrSelbst ergreift und großzieht zu einem wahren Gotteskinde.[<strong>GEJ</strong>.02_061,02] Das aber ist dann die rechte Verbreitung der heiligen Lehre in— 133 —


der Ordnung der Himmel; alles, was darunter oder darüber, ist vom Übel undziehet wenig oder gar keinen Segen bei den Pflanzen der Himmel Gottes. – Hastdu das wohl alles verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_061,03] Sagt Cyrenius: „Ja, ich habe alles verstanden! Ich sehe nunvollkommen, zu was Großem diese Erde und ihre Menschen von Gott ausbestimmt sind; nur das einzige Fatale dabei ist, daß neben den Kindern Gottesauch die Kinder der Hölle gewisserart in ein und derselben Schule großgezogenwerden, und zwar jegliches für seine Sphäre! Aber ich sehe nun auch wirklichein, daß es, vom Standpunkte der tiefsten himmlischen Weisheit aus betrachtet,nicht anders sein kann. Der Herr jedoch ist weise, gut und allmächtig zurÜbergenüge, einst auch der Hölle eine andere Richtung zu geben! Die Ewigkeitist ja lang genug dazu, um in ihrer endlosen Dauer allerlei Modalitäten (Artenvon Verhältnissen) zu treffen, unter denen sich ihre Kinder am Ende samt ihremVerlocker und Erzieher ergeben werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_061,04] Sagen die beiden Engel: „Da geht deine Vermutung wohlschon weit über unsern Weisheitshorizont! Aber du, als ein Kind des Herrn,stehst deinem Vater offenbar näher, als wir Ihm als pure Geschöpfe nahestehen,und kannst daher auch ein rein göttliches Bedürfnis in dem Herzen eherwahrnehmen denn wir; aber soviel wissen wir auch, daß bei Gott kein Dingunmöglich ist. Weiteres darüber aber vermögen wir dir auch nicht eine Silbemehr zu sagen.[<strong>GEJ</strong>.02_061,05] Willst du in dieser Sache tiefere Aufschlüsse haben, so wendedich an den Herrn Selbst; Ihm ist alles übersonnenklar, was die künftigenEwigkeiten allerdickst verhüllt enthalten. Aber wir meinen, daß Er so etwaswohl kaum einem Sterblichen, wegen der feinen Ohren des Satans, offenbarenwird. Denn der Feind hat tausendmal tausend Ohren, und man muß in der Redevon ihm auf der größten Hut sein, so man ihn nicht noch ärger machen will, alser ohnehin schon ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_061,06] Sagt Cyrenius: „Ich verstehe! Ich werde darum davon demHerrn auch nichts vermelden!“[<strong>GEJ</strong>.02_061,07] Sage Ich: „Brauchst ja nicht laut zu reden; denn Ich verstehees ja auch, was du in deinem Herzen ganz geheim redest und fragest.“62. — Das Denken im Herzen[<strong>GEJ</strong>.02_062,01] Sagt Cyrenius: „Herr, es geht bei mir mit dem Denken imHerzen durchaus nicht, weil ich schon von meiner Jugend an gewöhnt wurde, imKopfe zu denken; mir scheint es nahe unmöglich, im Herzen denken zu können!Wie soll man es denn anfangen, um im Herzen denken zu können?“[<strong>GEJ</strong>.02_062,02] Sage Ich: „Das ist ja ganz leicht und ganz natürlich! Alles, wasdu dir nur immer denken kannst und magst nach deinem Gefühle im großenGehirne, kommt zuvor aus dem Herzen; denn jeder noch so geringe Gedankemuß ja doch zuvor irgendeine Anregung haben, durch die er als notwendig— 134 —


hervorgerufen wird. Wenn der Gedanke erst im Herzen irgendeines Bedürfnisseshalber angeregt und erzeugt ward, so steigt er dann erst auf in das Gehirn desKopfes zur Beschauung der Seele, auf daß diese darauf die Glieder des Körpersin die geeignete Bewegung setze, damit der innere Gedanke sogestaltig zumWorte oder zur Tat werde; aber daß je ein Mensch pur im Kopfe denken könnte,wäre die platteste Unmöglichkeit! Denn ein Gedanke ist eine rein geistigeSchöpfung und kann darum nirgends entstehen denn allein im Geiste desMenschen, der im Herzen der Seele wohnt und von da aus den ganzenMenschen belebt. Wie möglich aber könnte sich je eine Schöpfung aus irgendeinernoch so subtilen (feinen) Materie entwickeln, da alle Materie, somit auch dasGehirn des Menschen, nichts als eine purste Materie ist und somit nie Schöpfer,sondern nur Geschaffenes sein kann?! – Verstehst du nun wohl solches undfühlst es vielleicht gar schon, daß kein Mensch etwas im Kopfe zu denkenvermag?“[<strong>GEJ</strong>.02_062,03] Sagt Cyrenius: „Herr, ja ich fühle das nun ganz lebendig! Aberwie geht das denn zu? Es kommt mir jetzt wahrlich so vor, daß ich von jeherbloß nur im Herzen gedacht habe! Merkwürdig! Wie ist denn das? Ja, ich fühleförmliche Worte im Herzen, und das als ausgesprochene Worte, und es kommtmir nun gar nicht mehr vor, daß es möglich wäre, im Kopfe einen Gedanken zufassen!“[<strong>GEJ</strong>.02_062,04] Sage Ich: „Das ist die ganz natürliche Folge deines stets mehrund mehr geweckt werdenden Geistes im Herzen, der da ist die Liebe zu Mirund durch Mich zu allen Menschen.[<strong>GEJ</strong>.02_062,05] Bei Menschen aber, bei denen solche Liebe noch nichterwacht ist, bilden sich die Gedanken zwar auch im Herzen, werden aber imselben, weil es zu materiell ist, nicht wahrgenommen, sondern erst im Gehirne,wo die Gedanken des Herzens, als schon mehr materiell wegen des Antriebeszur Handlung, sich bildlich gestalten und sich mit den Bildern, die von derAußenwelt durch die äußersten Leibessinne sich in die Gehirntäfelchen eingeprägthaben, amalgamieren (vermischen) und sogestaltig vor den Augen derSeele selbst materiell und schlecht werden und sodann auch als notwendigerGrund der schlechten Handlungen der Menschen angesehen werden müssen.[<strong>GEJ</strong>.02_062,06] Darum muß ein jeder Mensch zuvor im Herzen und daselbstim Geiste wiedergeboren werden, ansonst er ins Gottesreich nicht eingehenkann!“[<strong>GEJ</strong>.02_062,07] Sagt Cyrenius zum nebenstehenden Petrus: „Verstehst du daswohl von der Wiedergeburt des Geistes im Herzen, und was und wo so ganzeigentlich das Reich Gottes ist, von dem Er und die beiden Engel in einem fortreden und solches als Künftiges für unsern Glauben verheißen?“[<strong>GEJ</strong>.02_062,08] Sagt Petrus: „Allerdings verstehe ich solches, und so ich'snicht verstünde, bliebe ich nicht hier, sondern würde daheim für mein Haussorgen. Forsche du, hoher Herr, aber nur in deinem Eigenherzen, da wirst du inKürze mehr finden, als was ich dir in hundert Jahren erörtern könnte!— 135 —


[<strong>GEJ</strong>.02_062,09] Siehe uns an, die wir Seine ersten Jünger und Zeugen waren,ob wir viel mit Ihm äußerlich reden! Und siehe, dennoch reden wir mehr mitIhm denn du und viele andere durchs äußere Mundwort; denn wir reden mit Ihmrein nur im Herzen und fragen Ihn um tausenderlei, und Er antwortet uns inklaren, wohlausgeprägten Gedanken, und so gewinnen wir doppelt. Denn eineAntwort des Herrn in des Menschen Herzen ist gewisserart schon seinLebensanteil, während das äußere Wort erst durch die fortgesetzte Tat wegender Übung der Seele zum Lebensanteil werden muß.[<strong>GEJ</strong>.02_062,10] Und so kannst du, hoher Herr, denn in der bewußten Satanssacheja auch in deinem Herzen fragen, und der Herr wird dir dann schon dierechte Antwort in dein eigenes Herz so ganz still und geheim legen, daß sie dervielohrige Satan unmöglich wird zu vernehmen imstande sein! Und auf diegleiche Weise kannst du den Herrn auch wegen der Wiedergeburt des Geistes imHerzen und wegen des Reiches Gottes fragen, und es wird dir alsbald die klarsteAntwort zuteil werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_062,11] Sagt Cyrenius: „Ja, nun ist es mir klar, warum ihr – was michschon einige Male sehr gewundert hat – mit dem Herrn fast nie ein Wort redet!Nun, ich werde es versuchen. Wenn der Herr euch also geheim gnädig ist, dawird Er es wohl auch mir sein können! Denn daß ich Ihn über alle Maßen liebe,beweist, daß ich mein großes und schweres Regierungsgeschäft unterdessengewisserart an den Nagel hänge und mich bei Ihm aufhalte und meine Seelestärke mit jeglichem Worte aus Seinem heiligsten Munde![<strong>GEJ</strong>.02_062,12] Ich glaube auch, daß ich aus purer Liebe zu Ihm mehr tue undmehr getan habe denn ihr alle; denn ich kannte Ihn schon als zartes Kind undhabe im fremden Heidenlande gesorgt für Ihn, für Seine Eltern und Brüder! Undwährend ihr nur eure Fischernetze Ihm geopfert habt, bin ich, so Er es annehmenmöchte, sogleich bereit, alle meine Weltwürden niederzulegen und Ihm dann alsGeringster unter euch allen getreuest zu folgen und jeden Augenblick meinLeben für Ihn und euch alle in die Schanze zu schlagen, wie ich es schon einpaar Male getan habe, abgesehen von dem, was deshalb gar leicht von Rom ausüber mich hätte kommen können![<strong>GEJ</strong>.02_062,13] Wenn ich aber solches alles tue aus purer Liebe zu Ihm, sowird Er mich ja doch wohl auch einer Gnade für wert halten, die Er euch in soreichem Maße zukommen läßt!?“[<strong>GEJ</strong>.02_062,14] Sage Ich: „Hast sie ja schon, Mein teuerster Freund undBruder! Was du aber hast, das brauchst du ja nicht mehr zu suchen und dichnicht mehr zu ereifern, als ob du es noch nicht hättest! Sei daher nun nur ruhigund versuche es einmal in deinem Herzen, Mich um was immer zu fragen, undIch werde dir die Antwort klar, deutlich, verständig und wohlvernehmlich indein Mich wahrlich über alles liebendes Herz legen!“— 136 —


63. — Über die Wiederbringung des Verlorenen[<strong>GEJ</strong>.02_063,01] Auf dieses Mein Anraten fragt Cyrenius in Hinsicht desSatans, was einst aus ihm wird, und ob von dessen Seite je an eine Umkehr zudenken ist.[<strong>GEJ</strong>.02_063,02] Und Ich lege ihm folgende Antwort in sein Herz: „Was dageschieht, geschieht dessentwegen: Der verloren ist, wird gesucht, und demÜberkranken wird Arznei geboten, aber dessen Wille bleibt frei und muß freibleiben; denn seinen Willen hemmen, hieße die ganze, nahe endlose materielleSchöpfung und alle ihre Elemente in den härtesten Stein verwandeln, darin sichkein Leben regen kann. Die ganze materielle Schöpfung ist der so weit alsmöglich gerichtete große Geist, und dieser wird getrennt in zahllose Welten, dieaber in ihrer endlosen Zahl dennoch sein komplettes Wesen bedingen. Aber ausdiesem einen Wesen werden zahllose Myriaden der Myriaden Wesen, wie dasind die meisten Menschen dieser Erde, genommen und werden durch GottesKraft, Macht, Liebe und Weisheit zu ganzen, gottähnlichen Wesen umgestaltet,und das ist eine sichere Umkehr des einen großen Geistes![<strong>GEJ</strong>.02_063,03] Wenn aber alle Erden und alle Sonnen in lauter Menschenaufgelöst sein werden, dann wird auch von dem einen nichts mehr übrig sein alssein pures ,Ich‘, das im völligsten Alleinsein sich nach Zeiten der Zeiten zurUmkehr anschicken müssen wird, ehe es sich einem ewigen Verschmachtenpreisgeben wird. Dann wird keine materielle Sonne und keine materielle Erdemehr kreisen im endlosen ewigen Raume, sondern all und überall wird eineüberherrliche neue geistige Schöpfung mit seligen freien Wesen den endlosenewigen Raum erfüllen, und Ich werde ewig gleichfort aller Wesen Gott undVater sein von Ewigkeit zu Ewigkeit, und dieses allerseligsten Zustandes wirdfürder nimmer ein Ende sein; es wird da sein eine Herde, ein Schafstall und einHirte![<strong>GEJ</strong>.02_063,04] Wann aber dieses alles also wird, nach der Anzahl derErdjahre, kann nimmer bestimmt werden! Und würde Ich dir die Zahl auchkundtun, so würdest du sie unmöglich fassen; und sagete Ich dir auch die Zahldamit, daß tausendmal tausend so viele Zeitläufe von tausend zu tausend Jahrenvergehen werden, als wieviel es da gibt des Sandes im Meere und auf derganzen Erde, und wieviel es da gibt des Grases in allen Landen und auf allenBergen der Erde, und wieviel es da gibt der Tropfen im Meere, in allen Seen undStrömen, Flüssen, Bächen und Quellen, so könntest du dies alles dennoch nichtzählen, um dadurch die endliche Hauptlösezeit zu bestimmen![<strong>GEJ</strong>.02_063,05] Darum gedulde dich mit dem: Trachte du nur vor allem nachdem Reiche Gottes und nach dessen wahrer Gerechtigkeit, so wirst du nachdeines Leibes Tode von Mir sogleich zum ewigen Leben erweckt werden, undim Reiche der reinen Geister werden tausend Erdjahre vergehen wie ein Tag![<strong>GEJ</strong>.02_063,06] Und, Freund, in Meinem geistigen Reiche voll all der höchstenSeligkeiten wird sich das, was dich hier unendlich dünkt, ganz seligst leicht und— 137 —


kurz erwarten lassen! Jetzt kannst du nicht und keiner Meiner Jünger in alleWeisheit der Himmel eingeführt werden –, dann aber, wenn du nach wenigJahren getauft wirst mit dem heiligen Geiste aus Gott! Dieser Geist wird dichund alle andern leiten in alle Weisheit der Himmel. Dann erst wirst du das allesim hellsten Lichte schauen, was dir nun noch dunkel und verworren sein muß! –Dies dir nun Geoffenbarte aber behalte fest bei dir und laß davon niemandenetwas merken; denn das muß noch lange geheimgehalten werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_063,07] Als Cyrenius solches in sich vernommen hatte, stutzte er ganzgewaltig und sagte nach einer Weile besonderen Nachdenkens: „Es war ohneweiteres Dein Wort, das ich nun wie einen guten Redefluß in meinem Herzentreu und klar vernommen habe; aber soll die Schlußermahnung wohl so strengegehalten sein und werden? Gar vertrauten, redlich und ehrlich denkenden undglaubenden Menschen dürfte so etwas ja doch – etwa nur so einiges davon wieteilweise hingeworfen – kundgemacht werden!? Denn so etwas könnte ja dochkeinem Menschen schaden!“[<strong>GEJ</strong>.02_063,08] Sage Ich laut: „Ja Freund, einem Menschen, wenn er es wie duauf innerem Wege erhält, schadet es freilich nicht, ansonst Ich es dir nichtkundgetan hätte; aber wenn so etwas viele Menschen von außen her empfingen,so würde es ihnen ganz gewaltig schaden. Wie und warum, – das haben dirMeine Engel ganz genügend enthüllt, und so lassen wir diesen Gegenstandruhen; denn wir haben noch viele andere Sachen von großer Wichtigkeit zuschlichten, die vorderhand um vieles notwendiger sind als diese deine Frage,deren volle Antwort erst in der Ewigkeit zur Reife gelangen muß.“64. — Über Wesen, Leben und Arbeit der Naturgeister[<strong>GEJ</strong>.02_064,01] Cyrenius gibt sich nun mit diesem Bescheide zufrieden, dafüraber erhebt sich Kisjonah und bittet Mich, ob er auch eine Frage über eine vonMir getroffene Anordnung, die nicht wurde, stellen dürfe.[<strong>GEJ</strong>.02_064,02] Sage Ich: „Rede, Freund der Freunde und Feinde!“[<strong>GEJ</strong>.02_064,03] Spricht Kisjonah: „Siehe, als wir den letzten Rest aus derGrotte in meinen Bergen holten, da ordnetest Du an, Brot und Wein in rechterMenge mitzunehmen, da wir dort viel Hungrige und Durstige antreffen würden!Ich ließ darauf gleich Brot und Wein in großem Maße mitnehmen und wartetehernach bei und in der Grotte, ob da jemand käme, der des Brotes und Weinesbedürfe! Aber siehe, Herr, es fand sich niemand vor, dem man das Mitgenommenehätte verabfolgen können![<strong>GEJ</strong>.02_064,04] Als wir aber aus der Grotte gekommen waren und Du diesedurch Deine Macht im Archiel hast für ewige Zeiten verrammen lassen, sowaren wir ohne Brot und Wein, und keiner von den Trägern wußte mir zu sagen,wer ihnen das Brot und den Wein abgenommen hätte. Ich habe solches in derGrotte, wie auch außer derselben, im wundervollsten Momente wahrlich nichtbemerkt; aber einen Tag darauf, als Du Kis verließest, sprach natürlich mein— 138 —


ganzes Haus von nichts als von Dir, und – wie die Menschen schon sind, besondersbei so wunderbarsten Begebnissen – es wurden da wenigstens noch einmalsoviel Taten erzählt, als Du meines Wissens gewirkt hast! Viele dergleichenerzählte Taten, die die Erzähler wollen von Dir verrichten gesehen haben,verwies ich den Erzählern und erklärte sie als Erfindungen ihrer erhitztenPhantasie, das denn doch am Ende nichts als eine fromme Lüge sei; aber dieErzählung vom Verschwinden des mitgenommenen Brotes und Weines hatteselbst mich im Vollernste stutzen gemacht. Denn ich konnte mich wahrlich nichtentsinnen, was da mit dem mitgenommenen vielen Brot und Wein geschehenwar, da wir davon nichts genossen hatten.“[<strong>GEJ</strong>.02_064,05] Sage Ich: „Ich wußte es wohl, daß dich so etwas Mir nachsendenwürde; aber es liegt daran wahrlich nicht gar so besonders viel, als du es dirvorstellst. Da du jedoch schon gekommen bist, auch darüber ins klare zukommen, so muß Ich dir die Sache gleichwohl aufhellen; und so höre denn:[<strong>GEJ</strong>.02_064,06] „Siehe, in den Bergen, so wie in der Luft, wie auch in derErde, im Wasser und im Feuer, gibt es gewisse Naturgeister, die noch nicht denWeg des Fleisches durchgemacht haben, weil sich dazu noch nicht die Gelegenheitgeboten hat, in der sie bei einem menschlichen Zeugungsakte den Eingangins Fleisch hätten finden können, um durch den Leib eines Weibes im Fleischezur Welt geboren zu werden. Massen solcher noch ungeborener Seelen sind inallen Elementen vorhanden.[<strong>GEJ</strong>.02_064,07] Nun, die in den Bergen waltenden Naturgeister aber haben ausder Luft irgend mehr Konsistenz (größere Dichtigkeit) angenommen. Diesehaben kein besonderes Bedürfnis, ins Fleisch eingezeugt und darauf im Fleischeaus einem Weibe geboren zu werden; ihnen ist es bei einiger, manchmalziemlich scharfen Intelligenz lieber, solange als möglich im freien, ungebundenenZustande zu verbleiben. Sie haben sogar ein Rechtsgefühl und fürchten denGeist Gottes, von dem sie manchmal eine ziemlich helle Kenntnis haben, dasheißt nur immer einige aus ihnen, die schon alt geworden sind; die jungen indiese Gesellschaft aufgenommenen Geister sind gewöhnlich noch sehr finsterund mitunter auch böse und könnten viel Übles anrichten, wenn sie nicht vonden älteren im Zaume gehalten würden. Ihr Hauptgeschäft ist, allerlei Metalle inden Bergen zu gestalten, zu ordnen und sie gedeihen zu lassen in den Spaltenund Gängen der Berge.[<strong>GEJ</strong>.02_064,08] Solche Geister nehmen zuweilen auch Nahrung aus der Natur,und zwar nur aus dem Reiche der Pflanzen. Solches tun sie bei starker Arbeit imReiche der Berge bei der Umgestaltung der Felsen, bei der Abtreibung großerBergteile, bei der Ausschöpfung innerer, mit Wasser zu voll gewordener Höhlenund bei dergleichen Arbeiten mehr, mit denen diese Geister oft auf das vollgemessenstebeteiligt werden, damit sie, als oft zu mächtig geplagt, die Liebe zuihren Bergen verlieren sollen und sucheten ins Fleisch eingezeugt zu werden,weil besonders von nun an kein Geist zur voll lebendig freien Seligkeit gelangenkann, der nicht den Weg des Fleisches durchgemacht hat.— 139 —


[<strong>GEJ</strong>.02_064,09] Diese Geister, Mein lieber Kisjonah, und namentlich die, diedeine Berge bestellen, hatten in der Verrammung der schnöden Grotte eineüberstarke Arbeit vor sich und mußten dazu mit Brot und Wein gestärkt werden!Und siehe, diese sind es, die Ich gemeint habe, da Ich sagte: ,Wir werden derHungrigen und Durstigen in großer Menge antreffen, die solcher Stärkungbedürftig sein werden!‘ Sie ist auch ohne irgendein Überbleibsel verzehrt unddarauf auf das Geheiß Meines Engels auch die überschwere Arbeit auf dasvollendetste verrichtet worden. Darin besteht nun die voll erhellte Antwort aufdeine Frage. – Hast du sie wohl verstanden?“65. — Sagen von Berggeistern. Über Zauberei[<strong>GEJ</strong>.02_065,01] Sagt Kisjonah: „Ja, Herr, ich habe sie ganz verstanden, unddas um so mehr, weil mir von meinen Bergleuten, die in meinen Bergschächtenallerlei Erz graben, solche Dinge schon gar oft erzählt worden sind, wie ihnenmanchmal Brot und Wein weggekommen sei und sie nicht wußten, wer unterihnen sich etwa solch einen Diebesscherz mochte gemacht haben! Wenn diehungrigen Bergleute dann recht ärgerlich wurden, so vernahmen sie nicht seltenein schallendes Gelächter, und einige von ihnen wollen auch kinderkleineMenschengestalten vor ihnen herhüpfen gesehen haben, und zwar der Farbenach blaue, rote, grüne, gelbe und auch ganz schwarze.[<strong>GEJ</strong>.02_065,02] Also erzählte mir auch erst unlängst mein ältester Bergmann,daß ihm ein blaues Männchen geraten haben soll, künftighin Brot und Wein beisich in einer umgehängten Ledertasche zu tragen, so würden sich die hungrigenBerggesellen desselben nicht bemächtigen können. Und also solle auch niemandin den Schächten der Berge zu laut reden, durchaus nicht pfeifen oder garfluchen; denn alles das möchten die Berggesellen nicht vertragen und tätendarum allen jenen, die solches Gebot nicht halten möchten, Übles! Auch solleniemand lachen in der Berge Tiefe; denn das Lachen könnten die Gesellen auchnicht vertragen. So meine Bergleute manchmal Brot und Wein den Berggesellenüberlassen wollten, so würden ihnen dafür die Berggesellen in reicher Auffindungedler Metalle behilflich sein.[<strong>GEJ</strong>.02_065,03] Ich hielt solche Sagen gewöhnlich für Fabeln, da ich selbst nieetwas Ähnliches erfahren konnte, obschon ich recht oft die Schächte meinerBerge betreten habe; aber jetzt, nach dieser Deiner gütigen Erklärung, ist miralles auf ein Haar klar! Nur dies einzige kann ich wenigstens für den Augenblicknoch nicht fassen: wie denn die Berggesellen, die doch eigentlich Geister sind,eine naturmäßige Kost verzehren können! Wie essen und trinken denn dieseetwas unheimlichen Wesen?“[<strong>GEJ</strong>.02_065,04] Sage Ich: „Ungefähr auf diese Weise, wie das Feuer die Dingeverzehrt, die es ergreift! Gib in selbes einen Tropfen Wein oder vom Brote einBröckchen, und du wirst beides schnell verschwinden sehen! Und siehe, aufdiese Weise ungefähr verzehren die Geister oder Berggesellen die naturmäßigeKost. Sie lösen das Materielle schnell auf und verkehren das in der Materie— 140 —


vorhandene Geistig- Substantielle in ihr seelisches Wesen, es aufnehmend in ihrSelbstiges, – und das in einem Augenblick! – Nun weißt du auch das undbrauchst dich darüber um nichts weiteres mehr zu bekümmern.“[<strong>GEJ</strong>.02_065,05] Sagt Kisjonah: „Herr, ich danke Dir für diese Mitteilung; dennsie erheitert nun mein ganzes Gemüt, und ich erkenne nun noch klarer, daß daalles nichts als pur Leben ist, was mich von allen Seiten umgibt.“[<strong>GEJ</strong>.02_065,06] Sage Ich: „Ganz gut, Mein geliebtester Freund! Aber nur umdas bitte Ich dich, daß du wie jeder, der davon nun Kenntnis erhielt, die Sachebei sich behalten möchte, denn so etwas ist nicht für jedermann heilsam, wenner es wüßte; denn all die ägyptischen und persischen Zauberer stehen nichtselten im Verbande mit den Geistern und Kobolden und führen mit ihrer Hilfeallerlei Zaubereien aus. Aber alle solche Zauberei ist ein Greuel vor Gott, undder sie übt, fürwahr, der wird schwerlich je ins Reich Gottes kommen! Dennsolche Zauberer versperren obbenannten Geistern den Eintritt ins Fleisch; undwenn sie sterben, werden sie zu Gefangenen solch unreifer Seelen und sindüberaus schwer davon zu befreien, weil sie gleichfort Naturmäßiges von denunreifen, nackten Naturseelen in sich aufnehmen. Ich sage es euch: Verflucht seiein Zauberer! Denn noch nie ist erlebt worden, daß ein wahrer Zauberer mitseiner Zauberei irgendeinen nur halb guten Zweck verbunden hätte! Überallsieht bergedick die bellendste Hab- und Gewinnsucht, daneben aber auch diefrechste Herrschgier heraus, und solche Geister sollen in der tiefsten Hölle ihrendemütigenden Lohn erhalten!“[<strong>GEJ</strong>.02_065,07] Sagt einmal Faustus: „Herr, Herr, da wird es mit den vielenZauberern und Wahrsagern im weiten römischen Reiche schlecht aussehen!Denn diese Art Menschen stehen eben in Rom in einem götterähnlichenAnsehen und vermögen mit einem Worte den Willen des Kaisers sowie jedesnoch so großen und tapferen Helden zu erlahmen, – im Gegenteile freilich auchwieder so zu beleben, daß vor seinem Mute die Berge erbeben müssen!“[<strong>GEJ</strong>.02_065,08] Sage Ich: „Ja, Freund, diesen halbgöttisch tuenden Menschenwird es dereinst wohl nicht am besten ergehen; denn sie wissen es, daß sie die inihre Kunst nicht Eingeweihten auf das schmählichste betrügen und sie durchsolche Betrügereien nicht selten zu allerlei Greuel verleiten. Darum aber kann essolchen Wichten auch nimmer gut ergehen; denn das sind die wahren Nichtsverkäuferum vieles Geld und die echten Erzeuger von zahllosen Greueln undSünden zum Verderben der Menschen!“[<strong>GEJ</strong>.02_065,09] Sagen mehrere: „Aber wenn sie sich besserten, könnten sieauch dann nicht selig werden?“[<strong>GEJ</strong>.02_065,10] Sage Ich: „Ja, ja, wenn sie sich besserten, dann könnten auchsie selig werden; aber das ist eben das Traurige, daß eben derart Menschen amwenigsten zur Besserung geeignet sind! Mörder, Räuber, Diebe, Hurer undEhebrecher möget ihr bekehren, und ein Kaiser, ein König kann leicht seineKrone niederlegen; aber ein Zauberer trennt sich nicht von seinem Zauberstabe!Denn seine unsichtbaren Gesellen lassen solches nicht zu und sind allzeit seine— 141 —


Meister, wenn er sich von ihnen trennen wollte.[<strong>GEJ</strong>.02_065,11] Darum sage Ich noch einmal: Verflucht sei die böse Zauberei;denn durch sie kamen alle Sünden in die arge Welt![<strong>GEJ</strong>.02_065,12] Wer Wunder wirken will, der muß dazu die innere Kraft vonGott aus haben; und dann wirke er nur dort ein Wunder, wo es die äußersteNotwendigkeit erheischt![<strong>GEJ</strong>.02_065,13] Wer aber falsche Wunder wirkt und durch allerlei Sprüche undZeichen einen Wahrsager macht, der braucht nicht mehr verdammt zu werden,denn er ist schon vollauf verdammt durch seinen eigenen Willen. Darum hüteteuch alle vor der argen Zauberei, sowie vor der Wahrsagerei; denn solches allesist vom größten Übel für den Geist des Menschen!“[<strong>GEJ</strong>.02_065,14] Nach diesen Worten waren alle, die sie vernommen hatten,nahe durch und durch erschreckt und fragten, ob man denn auch nicht auf dieaus uralten Erfahrungen verläßlichen Witterungsvorzeichen halten solle.[<strong>GEJ</strong>.02_065,15] Sage Ich: „O ja, dann, wenn sie auf einer rein wissenschaftlichenberechenbaren Basis ruhen; ist aber das nicht der Fall, so ist auch solcheseine Sünde, weil der Mensch dabei einen zweiten Glauben, der den reinenGlauben an die alleinige göttliche Vorsehung schwächt, annimmt und am Endemehr an die Zeichen als an den allein wahren, allmächtigen Gott glaubt.[<strong>GEJ</strong>.02_065,16] Wer beim reinen Glauben bleibt, der darf bitten, und es wirdihm gegeben werden, um was er gebeten hat, und möchten auch die durchErfahrung erwahrten (bestätigten) bösesten Zeichen der Erde und der Luft dasschroffste Gegenteil anzeigen; wer sich aber auf die Zeichen verläßt, dem solleauch nach den Zeichen werden. Die Pharisäer halten auf die Zeichen und lassensich ums teure Geld von den Menschen befragen darum; sie werden aberdereinst auch desto mehr Verdammnis überkommen![<strong>GEJ</strong>.02_065,17] Hat denn nicht Gott alles, was da den Menschen zum Zeichendient, erschaffen? Wenn aber das alles Gott erschaffen hat, so wird Er wohlbleibend Herr darüber sein und wird alles leiten und lenken! So aber Gott alleinder Herr und der Lenker aller geschaffenen Dinge und Erscheinungen ist, wiesollen dann diese ohne Ihn etwas anzuzeigen haben? Können sie aber solchesunmöglich je, so bitte der Mensch Gott, der allein alles vermag, ob nun dieZeichen so oder so stehen! Ist das nicht tröstlicher denn tausend der allerverläßlichstenZeichendeutereien?“[<strong>GEJ</strong>.02_065,18] Sagen alle Anwesenden an Meinem Tische: „Herr, das istgewiß und wahr! Wolltest Du doch auch machen, daß die ganze Welt alsodächte und täte, dann sähe es in der Welt anders aus, als es nun aussieht! Wirhier um Dich Versammelten aber haben es nun freilich leicht, da wir Dich alsden Grund alles Seins und Erscheinens bei der Hand haben; aber nicht also wieuns geht es gar vielen hunderttausendmal Tausenden, die das unschätzbar großeGlück nicht haben, in Deiner allerheiligsten Gesellschaft zu sein und ausDeinem Munde zu vernehmen die Worte des Lebens! Diese sehnen sich sicher— 142 —


auch gleich uns nach Dem, von dem die ganze Schöpfung ein nur zu lautesZeugnis gibt; aber ihre Blicke zu den Sternen entdecken Dich nimmer, und ihregroße Sehnsucht wird nicht befriedigt. Was Wunder, daß bei solchen Menschendann die wundertätigen Zauberer und Zeichen und deren Deuter nur zu leichtAnklang finden, weil sie den nach göttlichen Dingen sehnsüchtigen Menschenetwas bieten, das, wenn auch falsch, aber dennoch immerhin einen gottähnlichenAnstrich hat!?“66. — Von Zauberern und Wahrsagern[<strong>GEJ</strong>.02_066,01] Von hier an fängt Cyrenius wieder allein zu reden an und sagtmit ziemlich ernster Miene: „Herr, es ist vollkommen wahr, daß Du ganz sicherDer bist, als den wir Dich schon seit lange her erkannt haben, und niemand ausuns kann das in Abrede stellen; aber ich muß Dir dennoch nun ganz offen gestehen,daß ich bei Deiner gegenwärtigen Erklärung über die Zauberer, Zeichendeuterund Wahrsager von Deiner mir sonst nur zu gut bekannten Barmherzigkeitund Liebe nahe gar nichts verspürt habe! Bei solchen Umständen undVerhältnissen ist es dann denn doch allein von Dir abhängig, – denn Du Selbstversetzest dem Menschen gewaltige Hiebe, die sehr schmerzen; aber wehe demgeschlagenen Menschen dann, wenn er bei den mächtigen Hieben wehezuschreienanfängt! Ob das aber auch recht ist, weiß ich kaum![<strong>GEJ</strong>.02_066,02] Sieh, die Menschen der Erde sind sicher zuallermeist blindund dumm, und dadurch auch böse. Aber ich frage, worin da die Schuld liegt,und woher das Übel veranlaßt wird! Und so, wie ich nun, fragen viele Hunderttausendeder sicher durchaus nicht unreifen Römer![<strong>GEJ</strong>.02_066,03] Es ist durchaus nicht anzunehmen, daß der Mensch uranfänglichschlecht aus Deiner Hand hervorging, sowenig als ein Kind je einmal schonals ein Teufel zur Welt geboren wird; wenn aber der erste Mensch gut war, wieist hernach der zweite oder der dritte schlecht geworden? War es Dein Willealso, oder der dessen, der ihn nachderhand gezeuget hat? Es muß also das alles,wie es da ist, doch nach Deinem Willen gekommen sein! Wenn das alles aberDein Wille also gewollt hatte, warum dann die schwerste Verdammnis überdergleichen Menschen, die im Grunde die arme Menschheit nur vor der sicherenVerzweiflung gerettet haben, weil Du auf ihr Rufen Dich ihnen nicht hattestzeigen wollen?! Ich bitte Dich, darum wohl gerecht, aber nicht hart zu sein;denn das Geschöpf hat gegen seinen Schöpfer keine Waffe, – es kann nur bitten,dulden, leiden und verzweifeln!“[<strong>GEJ</strong>.02_066,04] Sage Ich: „Aber Freund Cyrenius! Hast du denn schon alleswieder vergessen, was du sowohl von Mir als auch von den beiden Engelnvernommen hast? Sagte Ich denn, daß Ich Selbst solche Leute richten oderverdammen werde? Hast du doch vor wenigen Tagen noch die Pharisäer gleichzüchtigen lassen wollen, weil sie Mich steinigen wollten, und Ich ließ es dichnicht! Und nun scheint es, daß du nahe ihre schlechte Partei nehmen möchtest!Oder verstehst du's etwa besser, den Menschen so zu stellen, daß er in solcher— 143 —


Stellung ein Kind Gottes werden muß, wenn er es will? Sieh, wie schwach dunoch bist![<strong>GEJ</strong>.02_066,05] Bist du denn in der allerallgemeinsten Geschichte allerMenschen wohl so meisterlich bewandert, daß du auf deren Grund Mir vorhaltenkannst, daß Ich Mich um die Rufenden und Suchenden erst jetzt bekümmere undfrüher nie?[<strong>GEJ</strong>.02_066,06] Haben nicht die ersten Menschen steten Umgang mit Mirgehabt? Wer war seit Noah bis Moses der Hohepriester zu Salem, der Melchisedekhieß, und auch zugleich als ein rechter König der Könige zu Salem wohnte?Wer war hernach der Geist in der Arche des Bundes? Und da der Geist aus derArche in Mich trat, – Frage: Wer bin nun Ich?[<strong>GEJ</strong>.02_066,07] Die Rufenden wollten Mich freilich von den Sternen herabhaben, weil Ich ihnen, als Ich unter ihnen war, zu gemein und zu wenig göttlichwar, da Ich nicht also glänzen wollte wie die Sterne!“[<strong>GEJ</strong>.02_066,08] Siehe, was dich also nun bewegt hat, war grundfalsch, und derSatan, der es ein wenig gemerkt hatte, daß du sein Geheimnis in dir trägst, hatdir nur ein wenig auf den Zahn gefühlt, und schon wolltest du mit Mir zu hadernanfangen! So bedenke doch, ob du ein Recht in deiner Rede haben kannst!?[<strong>GEJ</strong>.02_066,09] Kann Ich je hart oder ungerecht sein gegen jemanden? Oderbin Ich ungerecht, so Ich dir fürs falsche, gemachte Gold das echte, allerreinstebiete? Oder soll Ich euch denn bei dem alten, bösen und auch nutzlosenAberglauben lassen? Hätte Ich als der Herr nicht mehr Recht gehabt, die bösen,widerspenstigen Pharisäer zu verderben, denn du?! Habe Ich sie aber gerichtet?Ja, sie wären auch ihrem eigenen inneren Richter als Beute verfallen, wenn Ichsie nicht wunderbar gerettet hätte![<strong>GEJ</strong>.02_066,10] Sieh, sieh, wie kurzsichtig du noch bist! Ich meine, Freund,das alles, was du schon gehört und gesehen hast, hätte dich denn doch schon einwenig weitsichtiger machen sollen!“[<strong>GEJ</strong>.02_066,11] Cyrenius bittet Mich um Vergebung, sowie auch alle andern,und sie sehen ihre falsche Meinung ein; Ich aber vertröste sie alle und sage:„Oh, ihr werdet noch öfter in noch stärkere Proben kommen; aber dann vergessetdieses Begebnis und diese Meine nun an euch erflossene Lehre nicht, sonstkönntet ihr trotz dem, daß ihr alle Mich gesehen und gesprochen habt, in nochgrößere Versuchungen geraten und von Mir ebensogut abfallen und wieder inalle Welt, in ihre Lügen und Betrügereien übergehen und denen ganz gleichwerden, von denen ihr meinet, daß sie Mich gesucht und gerufen haben und Ichihnen dann, um sie desto leichter verdammen zu können, an Meiner Statt Zaubererund Zeichendeuter gegeben habe!“ – Alle bitten noch einmal um Vergebung,– und Ich segne sie alle.— 144 —


67. — Der Herr heilt einen Tobsüchtigen[<strong>GEJ</strong>.02_067,01] Gleich darauf aber kommen aus der Stadt eine Menge Bürgerund geben kund, daß ein Mensch tobend geworden sei.[<strong>GEJ</strong>.02_067,02] Ich aber frage sie, was Ich mit dem Tobenden machen solle.[<strong>GEJ</strong>.02_067,03] Und die Bürger sprechen: „Wir wissen, daß du ein Wunderarztbist, da uns heute die Pharisäer das verkündet haben und erzählten, wie du bloßdurch den Willen das Haus des alten Josa völlig gesund gemacht hast, und daßdu mehr seist als allein der uns allen wohlbekannte Zimmermann Jesus! Und sobitten wir dich als unsern wohlbekannten Landsmann, daß du diesen tobendenMenschen wieder gesund machen wollest!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,04] Frage Ich: „Wie ist er denn zu dieser Tobsucht gekommen?“[<strong>GEJ</strong>.02_067,05] Sagen die Bürger: „Ja, lieber Meister, das hat er von einemtollen Hunde, der ihn gebissen hatte, geerbt, und das ist ein schrecklich gefährlichesÜbel, das bis jetzt noch nie von einem Arzt hat geheilt werden können!Wenn er stirbt, muß das ganze Haus mit ihm verbrannt werden; denn wer ihnnur anrührete, würde kurz darauf auch von solcher schrecklichen Tobsuchtbefallen werden! Darum haben wir ihn in seinem Hause wohl verwahrt, damit ernicht ins Freie kann, allwo er einen großen Schaden anrichten würde. LieberMeister, befreie uns doch von dieser Plage!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,06] Sage Ich: „So gehet und bringet ihn heraus, auf daß er gesundwerde, und alle, die er schon angesteckt hat, als sie ihn einfingen und ins Haussperrten!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,07] Sagen die Bürger: „O Meister, wer wird den herausführen?Wer ihn anrührt, ist ja so gut als schon des schrecklichen Todes!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,08] Sage Ich: „So ihr nicht glaubet und kein Vertrauen habt, dakann Ich weder ihm noch euch helfen!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,09] Sagen die Bürger: „Meister, konntest du doch dem Hause Josahelfen, das von einem nahezu ähnlichen Übel behaftet war, und die Krankenwurden nicht zu dir geführt, also könntest du ja auch diesem Tobenden helfen,ohne daß es nötig wäre, ihn zu dir herauszubringen!?“[<strong>GEJ</strong>.02_067,10] Sage Ich: „Josa glaubte, ihr aber glaubet nicht und seidvielmehr gekommen, Mich aus eurem Halbglauben heraus zu prüfen, was Ichmit dem unheilbar Tobenden tun würde. Darum sage Ich euch noch einmal:Bringet ihn heraus, so soll ihm und euch geholfen werden! Denn ihr habt schonalle, wie ihr da seid, dasselbe in euch, das in kurzer Zeit ausbrechen kann; so ihraber glaubet und ihn herausbringet, so soll eben dadurch das Satansgift in euchvertilgt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,11] Auf diese Meine Worte begeben sie sich von dannen undbringen in kurzer Zeit gebunden den Tobenden heraus, der ganz schrecklichwild aussah und also geifernd brüllte wie ein hungriger Löwe. Als Meine vielen— 145 —


Gäste dieses Tobenden ansichtig wurden, überfiel sie eine große Angst, und dieWeiber flüchteten sich samt und sämtlich ins Haus; denn sie hatten nicht Mut,dieses schrecklich verzerrte und gräßlich brüllende Bild anzusehen. SelbstMeine Mutter verbarg sich ins Haus, und Meine Jünger erweiterten ebenfallsihren Weilkreis, Judas verbarg sich hinter einem Baume; nur Cyrenius, Faustus,Kornelius, Kisjonah und Borus blieben fest bei mir.[<strong>GEJ</strong>.02_067,12] Da sprach Ich zu den Bürgern: „Löset ihn los und lasset ihnfrei!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,13] Da entsetzte sich alles und schrie: „Herr, da sind wirverloren!“ – Und die Bürger getrauten sich solches auch nicht zu tun, weil dasandere Volk samt den Jüngern zu viel schrie![<strong>GEJ</strong>.02_067,14] Da sagte Ich zum Borus: „Gehe hin und löse du ihn los; denner ist schon geheilt und kann niemandem mehr schaden!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,15] Da ging Borus ganz beherzt auf den noch Tobenden zu undsprach: „Der Herr Jesus sei mit dir, und du sei geheilt in Seinem Namen!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,16] In dem Augenblick ward der Tobende ruhig; seine schon naheganz mohrenschwarze Gesichtsfarbe ward wieder wie früher natürlich, und erbat den Borus mit dankbarer Miene, daß er ihm die harten <strong>Band</strong>e abnähme; undBorus löste ihm sogleich die <strong>Band</strong>e, die ganz rein und unbegeifert waren. Undder Genesene ging zu Mir hin und dankte Mir allerinbrünstigst für diese ihmerwiesene, nie erhörte Wohltat, bat Mich aber auch, daß er künftighin vor solcheinem Übel möchte verschont bleiben.[<strong>GEJ</strong>.02_067,17] Und Ich sagte zu ihm: „Du und alle, die durch dich unfehlbarin dein Übel verfallen wären, ihr seid nun vollkommen geheilt; aber seid inZukunft Menschenfreunde und keine Hundefreunde mehr! Wozu müsset ihrHunde halten im Übermaß? Hunde sollen diejenigen halten, die ihrer nötighaben bei Jagden der wilden, reißenden Tiere, und die Schafhirten großerHerden als Schutz gegen die Wölfe, Bären und Hyänen; außer diesen bedarfniemand eines Hundes. Wer aber schon einen hält, der halte ihn an einer Kettewohl angehängt, auf daß sich die Armen nicht der bösen Hunde wegen fürchten,in eure Häuser zu treten und euch um ein Almosen zu bitten. Wer aus euchkünftighin solchen Rat nicht befolgen wird, der soll von seinen Hunden denselbenLohn erhalten, der dir zuteil ward.[<strong>GEJ</strong>.02_067,18] Nehmet lieber Kinder armer Eltern in eure reichen Häuserdenn nutzlose und leicht große Gefahr bringende Hunde, so werdet ihr nie vonder bösesten Tobsucht, die vom Gifte des Satans, den die Hunde in sich tragen,herstammt, befallen werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,19] Nach diesen Worten versprechen Mir alle, daß sie an diesemTage noch ihre Hunde vertilgen und fürder nimmer derlei Tiere halten werden.Es fragen Mich aber dennoch einige Schwachgläubige, ob sie nun wohlvollkommen von diesem Übel befreit seien und solches sie wohl nimmer befallenwerde.— 146 —


[<strong>GEJ</strong>.02_067,20] Sage Ich: „O ihr Kleingläubigen! Sehet ihr denn nicht, daßder, den ihr gebracht habt, vollkommen genesen ist? Wenn aber ihm geholfenward, so wird wohl auch euch geholfen sein, die ihr noch lange nicht vonsolcher Toberei befallen worden waret! Wenn Ich Tote aus dem Grabe rufenkann, so werden wohl solche Übel nicht größer sein als der wirkliche Tod selbst!Die Zeit aber soll euch den Beweis liefern, daß ihr alle völlig wieder geheiltseid! Nun aber möget ihr wieder ganz ruhig nach Hause ziehen. Gehet aber nunauch zu den Ältesten und Pharisäern hin, zeiget euch, daß ihr völlig geheilt seid,und gebet dann auf dem Altar euer Opfer, das Moses anbefohlen hat den Aussätzigen,wann sie rein geworden sind!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,21] Nach diesen Worten danken Mir alle auf das inbrünstigste undfragen Mich, was sie denn Mir für diese übergroße Wohltat entgegentun sollen.[<strong>GEJ</strong>.02_067,22] Und Ich sage: „Das glauben und tun, was euch die Pharisäerund Schriftgelehrten lehren werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_067,23] Nach diesen Worten treten sie ihren Rückweg ganz getrost an,begeben sich gleich in die Synagoge und erzählen den Pharisäern alles, was sichhier zugetragen hat, und geben dafür eine reiche Opfergabe.[<strong>GEJ</strong>.02_067,24] Die Pharisäer aber, die vorher von diesem Tobenden nochnichts vernommen hatten, fangen an, sich überaus zu verwundern und sagen:„Wahrlich, das ist eine Heilung, die nur Gott allein möglich sein kann! Solchesist in ganz Israel noch nie erhört worden! Wahrlich, dieser Mensch tut Dinge,die noch nie einer der allergrößten Propheten getan hat! Es gibt keine Krankheit,die er nicht zu heilen imstande wäre, und keinen Toten im Grabe, den er nichtwieder ins Leben zurückzurufen vermöchte! Ist das doch ein Mensch, wie dieErde noch nie einen ähnlichen getragen hat! Gehet nun nach Hause und kommetmorgen wieder, und wir wollen dann mehreres über ihn mit euch verhandeln!“68. — Ein Evangelium an die Wohlhabenden[<strong>GEJ</strong>.02_068,01] Die Bürger begeben sich nun nach Hause und geben in demGeheilten dessen Kindern den Vater und dessen über die Maßen traurigemWeibe den ganz gesunden Mann wieder, das anfangs ihren Sinnen kaum traut,aber darauf bald in einen Strom von Dankes- und Freudentränen ausbricht undmit den Kindern, deren sie zehn hatte, sogleich hinaus zu Mir eilt und samt denKindern Mir auf den Knien für solch eine ihr und ihren Kindern erwiesene nieerhörte Wohltat dankt. Sie bittet Mich aber auch zugleich, Meinem Hause mitallem möglichen, was nur immer in ihren Kräften stünde, dienen zu dürfen, wieauch jedem andern, den Ich ihr nur immer anempfehlen möchte![<strong>GEJ</strong>.02_068,02] Sage Ich: „Alles, was du den Armen um Meines Namenswillen tun wirst, wird also angesehen werden, als ob du es Mir tätest! Mein Hausaber ist nun versorgt zur Genüge für die kurze Zeit, die Ich noch hier zubringenwerde; wenn Ich aber wiederkommen werde, dann wirst du es schon erfahren.“[<strong>GEJ</strong>.02_068,03] Das Weib weint vor Freude und Dankbarkeit und sagt: „Herr,— 147 —


du wahrhaftigster Meister, aus den Himmeln uns gegeben! Ich habe ein großesVermögen; die Hälfte will ich sogleich den wirklich Armen zukommen lassen,und die andere Hälfte will ich für sie verwalten, auf daß sie bei mir immer etwasfinden sollen. Denn ich meine, daß solches gut sei, da mir bekannt ist, daß dieArmen mit einem größeren Vermögen nicht haushälterisch umgehen können,gewöhnlich auf einmal zuviel ausgeben und zur Zeit der Not dann wieder nichtshaben!“[<strong>GEJ</strong>.02_068,04] Sage Ich: „Tue das, liebes Weib! Also sollten es alle Reichentun, dann würden die Armen nie Not zu leiden haben; denn die Not ist ein üblesDing und verleitet den Menschen oft zu größeren Lastern als der Reichtum. DerReiche bleibt wenigstens in seiner Ehre öffentlich vor der Welt und gibt seltenso viel Ärgernis der Welt wie ein Armer, den die Not nur zu leicht für dieschlechtesten Taten fähig macht; aber der unbarmherzige Reiche, der die Armenzur Ausführung seiner Laster benützt, ist dennoch bei aller seiner Weltehre umtausend Male schlechter denn der lasterhafte Arme. Denn der Arme wird lasterhaftdurch die Not, und der Reiche ist des Lasters Schöpfer in seinem unverzehrbarenÜberflusse.[<strong>GEJ</strong>.02_068,05] Aber wie du, Mein liebes Weib, nun deinen Reichtum verwendenwillst und auch wirst, da ist der Reichtum ein Segen aus den Himmeln undwird zeitlich und ewig dessen Verwaltern den größten Gewinn abwerfen!Darum, wer da recht tugendhaft sein will, der sei allzeit sparsam und haushälterisch,auf daß er zur Zeit der Not fähig sei, den Armen und Schwachen unter dieArme zu greifen.[<strong>GEJ</strong>.02_068,06] Ich sage es euch allen: Eure Liebe zu euren Kindern brennewie ein Licht; aber die Liebe zu den fremden Kindern armer Eltern sei eingroßer Feuerbrand! Denn niemand in der Welt ist ärmer denn ein armes verlassenesKind, ob ein Knabe oder ein Mägdlein, das ist einerlei. Wer ein solcharmes Kind aufnimmt in Meinem Namen und versorget es leiblich und geistigalso wie sein eigenes Blut, der nimmt Mich auf, und wer Mich aufnimmt, dernimmt auch Den auf, der Mich in diese Welt gesandt hat und vollkommen Einesist mit Mir![<strong>GEJ</strong>.02_068,07] Wollt ihr Segen von Gott in euren Häusern ziehen und ihn wieein wohlbestelltes Feld zur reichen Ernte erheben, so leget in euren HäusernPflanzschulen für arme Kinder an, und ihr sollet mit allem Segen überschüttetwerden also, wie ein hoch angeschwollener Strom die niederen Ebenen, die erüberschwemmt, mit Sand und Steingerölle überschüttet; aber so ihr arme,hungrige Kindlein von euch weiset und sie obendrein noch angrollet, als wennsie euch schon einen Schaden zugefügt hätten, der kaum ersetzlich wäre, da wirdder Segen von euren Häusern also weichen wie der sterbende Tag vor der ihnraschen Schrittes verfolgenden Nacht. Wehe dann solchen Häusern, die vonsolcher Nacht ereilt worden sind! Wahrlich, darin wird es nimmer wieder zutagen beginnen! Und nun gehe du, Mein liebes Weib, nach Hause und tue, wasdu dir vorgenommen hast, und gedenke vorzüglich der armen Witwen und— 148 —


Waisen!“[<strong>GEJ</strong>.02_068,08] Nach dieser Lehre erhebt sich das Weib mit seinen Kindern,dankt Mir noch einmal samt seinen Kindern und ruft endlich laut aus: „O GottAbrahams, Isaaks und Jakobs, wie groß, gut und heilig bist Du und wie endlosmächtig und weise, der Du uns armen Sündern einen Menschen aus DeinemHerzen gegeben hast, der wohl imstande ist, zu heilen alle unsere Gebrechen,leiblich und geistig! Dir, heiliger Vater, sei allein alles Lob, alle Liebe, alle Ehreund aller Preis ewig! O Du lieber Vater Du, wie gut doch bist Du denen, die aufDich allein vertrauen! Du züchtigest wohl scharf alle, die Deine Gebote nichtachten; aber wenn Dich dann der reumütige Sünder wieder rufet: ,Lieber heiligerVater, vergib mir Schwachem!‘, o dann erhört ihn der heilige gute Vater gleichwieder und hilft ihm mit Seinem allmächtigen Arm aus jeglicher Not![<strong>GEJ</strong>.02_068,09] O Menschen, nehmt euch alle an mir ein Beispiel! Auch ichwar eine Sünderin, und Gott hat mich gewaltig unter Seine allzeit heiligeZuchtrute getan; aber ich wankte in meinem Vertrauen nicht, bereuete meineSünden und betete inbrünstig zum Vater im Himmel; und seht, Er, Er allein hatmein Flehen erhört und half mir wunderbarst aus der größten und schrecklichstenNot![<strong>GEJ</strong>.02_068,10] Darum vertrauet und bauet alle allein auf Ihn! Denn wo keinMensch mehr helfen kann, da kommt Er und hilft dem Bedrängten! Darum lobeIhn alles unaufhörlich! Denn Er allein nur kann jedermann wahrhaft helfen! Dir,du lieber Gesandter aus den Himmeln, aber danke ich auch noch einmal; denndu selbst mußt ein heiliges Werkzeug in der Hand des allmächtigen Gottessein!“[<strong>GEJ</strong>.02_068,11] Diese Exklamation, die Mich, dem Weibe unbewußt, alleinanging, kostete Mich etliche Tränen der innigsten Rührung, daß Ich Mich vonihr abwenden mußte.[<strong>GEJ</strong>.02_068,12] Es bemerkte aber solches der Cyrenius und sprach: „Herr, wasist Dir, daß Du weinest?“[<strong>GEJ</strong>.02_068,13] Und Ich antwortete: „Freund, solcher Kindlein wie dieses gibtes wohl wenige auf der Erde! Sollte Ich als der Vater, den es so herzlich lobte,denn nicht auch vor Freude zu Tränen gerührt werden können? Oh, Ich sage esdir: Mehr als jeder andere Vater! Siehe, das ist eine, die da ist, wie jede seinsollte, und Ich habe eine unbeschreibliche Freude an ihr! Aber sie soll es auchgewahr werden, was das ist, wenn Ich über sie vor großer Freude geweint habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_068,14] Nach diesen Worten trocknete Ich Mir die Tränen an MeinenAugen und sagte zum noch ganz durch und durch für Gott allein liebeglühendenWeibe und deren Kindern: „Du Mein liebes Weib! Weil deine Liebe und deinGlaube zu Gott so mächtig ist, wie dergleichen noch selten vorkam, so kann Ichdich so, wie du nun bist, denn doch nicht entlassen. Sende den ältesten Sohnnach deinem Manne, daß er herauskommen solle; denn Ich habe mit ihm nochso manches sehr Wichtige zu besprechen!“— 149 —


[<strong>GEJ</strong>.02_068,15] Nach diesen Worten läuft der Knabe sogleich in die Stadt undkommt in kurzer Zeit mit dem geheilten Vater wieder.[<strong>GEJ</strong>.02_068,16] Als die beiden ankamen, sagte Ich zu ihm: „Freund, auf daß dunicht nur dem Leibe nach, sondern vorzugsweise auch der Seele nach, die ewigleben wird, völlig gesund werdest und wissen sollst, wie du daran bist mit alldem, was sich hier alles ereignet hat, so habe Ich dich nun herausrufen lassen.Fürs erste wirst du diesen Abend hindurch Mein Gast sein samt deinem liebenWeibe und deinen Kindern, und fürs zweite wirst du hier so manches sehen undhören und daraus leicht entnehmen, wer Der ist, der dich geheilt hat. Nachdemdu und dein Weib dessen innesein werdet, wird es euch noch ums tausendfacheleichter ums Gemüt werden, und du wirst es einsehen, daß du wahrhaft vollkommengeheilt bist.[<strong>GEJ</strong>.02_068,17] Bevor aber noch die Zeit des Abendmahles kommt, wollen wireinen kleinen Weg nach der neuen, vom Jairus erbauten Synagoge machen, undJairus, sein Weib, seine Tochter, ihr Gemahl Borus, der Cyrenius, Kornelius,Faustus, Kisjonah, dein Weib und deine Kinder sollen uns begleiten. Dort solldir etwas gezeigt werden, was dich in deinem Glauben sehr stärken soll!“[<strong>GEJ</strong>.02_068,18] Sagt der Geheilte, der Bab hieß: „Meister, es geschehe, wasund wie du es willst! Ich bin bereit, dir bis ans Ende der Welt zu folgen.“[<strong>GEJ</strong>.02_068,19] Auf dies Wort Babs begaben wir uns sogleich nach derSynagoge, die man bei mäßigem Schritte in einer Viertelstunde, ganz bequemaber in einer halben Stunde, erreichen konnte.69. — In der Gruft des Jairus[<strong>GEJ</strong>.02_069,01] Wir kamen also auch bald daselbst an, betraten die Synagogeund begaben uns in die Gruft, in der die Sarah schon über vier Tage gelegenhatte, in der noch die Leichenbänder und Tücher lagen, mit denen Sarah alsLeiche umhüllt war, und in welcher Gruft aber auch noch ein Leichnam aus derFreundschaft des Jairus lag. Das war ein Knabe von zwölf Jahren, der an einerbösen Krankheit schon vor ein und einem halben Jahre verstorben ist; dieser lagin einem aus Zedernholz angefertigten Sarge und war schon völlig in die Verwesungübergegangen bis auf die Knochen.[<strong>GEJ</strong>.02_069,02] Beim Anblick dieses Sarges kamen dem Jairus die Tränen indie Augen, und er sagte halb weinend: „Was ist doch die Welt für ein argesDing! Die zartesten Blumen läßt sie auf ihrem Boden entstehen, und was ist ihrLos? Daß sie sterben und vergehen! Der Rose balsamischer Duft wird nur zubald zum Ekelgeruch, und die zarte, unschuldige Lilie verbreitet widrigenGestank in ihrer Verwesung; der Hyazinthen Himmelblau wird totengelblichgrau, und die Nelke stirbt – gleich Tausenden ihrer lieblich duftenden Schwestern.[<strong>GEJ</strong>.02_069,03] Dieser Knabe war, man könnte sagen, ein Engel! Gottesfurchthatte ihn schon von der Wiege an beseelt, und in seinem zehnten Jahre verstand— 150 —


er schon die Schrift und hielt die Gebote wie ein frommer erwachsener Jude;kurz, sein wahrhaft kindlich frommer Lebenswandel und seine zum Verwunderngeweckten Geistesfähigkeiten berechtigten uns zu den schönsten Hoffnungen.Aber da kam eine böse Krankheit über ihn, und kein Arzt konnte derselbenMeister werden, und so starb in diesem Knaben alles, was man in Kürze vonihm mit Recht hätte erwarten können.[<strong>GEJ</strong>.02_069,04] Da läßt sich denn doch fragen, warum Gott der Herr, der vollLiebe und Barmherzigkeit ist, solches den Menschen tut, die auf Ihn hoffen undvertrauen! Tausend arme Kinder irren ohne Obdach und jegliche Bildungherum, und Gott ruft sie nicht von dieser Erde; aber Kinder solcher Eltern, diejegliches Vermögen besitzen, ihren Kindern jene Erziehung zu geben, die Gottallein nur wohlgefällig sein kann, müssen gewöhnlich ins Gras beißen! Warumdenn also?[<strong>GEJ</strong>.02_069,05] Wenn es Gott wohlgefällig ist, lauter Wildlinge auf diese Erdezu setzen, die kaum fünf Worte zu reden imstande sind, dann tut Gott wohldaran, jedes Kind, das nur irgendeinen besseren Geist zu verraten beginnt,sogleich von der Erde zu nehmen und allein die Trottel leben zu lassen nebenden Affen! Aber wenn es Gott darum zu tun ist, im Geiste geweckte, fromme,Gott erkennende und liebende Menschen auf dieser Erde zu haben, so glaubeich, daß Gott das Leben solcher Kinder mehr beachten sollte, als es bisher derstets traurige Fall war!“[<strong>GEJ</strong>.02_069,06] Sage Ich: „Mein lieber Freund Jairus, du redest, wie du es inmenschlicher Weise verstehst; aber Gott tut, wie Er es in Seiner göttlichenWeise von Ewigkeit her einsieht und versteht und einsehen und verstehen muß,ansonst du und alles, was da ist, kein Dasein hätte! Danebst aber tust du indeinem Hader Gott dennoch unrecht.[<strong>GEJ</strong>.02_069,07] Denn so Gott alle Kinder, die schon in ihrer Kindheit Geistund Talente verraten, von der Welt nähme, so wäret ihr alle, die ihr nun hier beiMir seid, schon in der Erde verwest! Aber da ihr nun noch hier seid in einembedeutenden Alter, so ist dein Vorwurf gegen Gott ein ungerechter! Denn gleichalso habt auch ihr in eurer Kindheit besonders viel Geist verraten, waret auchKinder in jeder Hinsicht überaus vermögender Eltern, und Gott hat euchdennoch leben lassen, während Er draußen den Heiden viele Tausende armerKinder durch Ruhr und durch manche andere böse Krankheiten von dieser Erdegenommen hat, wofür die armen Eltern ebensoviel Leid getragen haben wie dieEltern dieses Knaben, die noch leben und für diesen Knaben drei arme Kinderan Kindes Statt aufgenommen haben. Diese drei Kinder sind nun ganz würdigeNachfolger dieses einen Kindes, das mit der Zeit ob seiner bedeutenden Talentevon seinen es mehr denn Gott liebenden Eltern zu sehr verzärtelt und verweichlichtworden wäre und am Ende den hochgestellten Hoffnungen seiner Elternnicht im geringsten entsprochen hätte; denn es wäre am Ende aus ihm nichts alsein eingebildeter, stolzer und eigensinniger Tropf geworden, mit dem keinHoherpriester etwas ausgerichtet hätte!— 151 —


[<strong>GEJ</strong>.02_069,08] Gott aber sah das im voraus, nahm ihn zur rechten Zeit vondieser Welt und gab ihn jenseits den Engeln zur besseren Erziehung, auf daß erdesto eher jene Bestimmung erreichen möge, die ihm, wie jedem Menschen, vonGott aus besonders gestellt ist.[<strong>GEJ</strong>.02_069,09] Zu all dem aber hatte Gott auch vorgesehen, daß nun eine Zeitkommen werde, in der für euch wenige Gottes Name verherrlicht werden soll.Und siehe, darum auch ließ Gott eben diesen Knaben schon vor anderthalbJahren sterben, auf daß dieser sich in der rechten Verwesung dann befindensolle, wenn ihn Gott der Herr wieder erwecken werde. Hebet darum den Sargheraus und öffnet ihn!“70. — Auferweckung des Josoe[<strong>GEJ</strong>.02_070,01] Auf diese Worte stiegen sogleich Borus und Kisjonah in dieGruft und versuchten den Sarg zu heben; aber sie vermochten ihn nicht von derStelle zu rühren, denn er war sehr schwer, indem er aus massivem Zedernholzangefertigt war und obendrauf noch eine Menge schwerer Verzierungen vonErz, Gold und Silber hatte. Nach mehreren Versuchen sprach Borus: „Herr, derSarg ist zu schwer, wir können seiner durchaus nicht Meister werden! DieserSarg ward meines Wissens mit Maschinen hineingelegt und wird auf natürlichemWege nur wieder durch Maschinen herausgehoben werden können!“[<strong>GEJ</strong>.02_070,02] Sage Ich: „So steiget heraus aus der Gruft; die beidenJünglinge, die hier sind, sollen ihn herausheben!“ – Borus und Kisjonah steigennun schnell aus der Gruft, und die zwei Jünglinge heben den Sarg schnell undmit einer solchen Leichtigkeit heraus, als hätten sie es mit einer Federflaume zutun.[<strong>GEJ</strong>.02_070,03] Bab machte große Augen samt seinem Weibe und seinenKindern und sagte, ganz erstaunt ob solcher Kraft in den beiden Jünglingen:„Aber heißt das doch eine unglaubliche Kraft und Stärke besitzen! Diese zweizarten Knaben, von denen keiner über fünfzehn Jahre zählen kann, spielten –wie der Sturmwind mit einer Flaume – mit dieser Last, der doch die Kraft vonzwei starken Männern nichts anhaben konnte! Ah, so etwas ist denn doch auchnoch nie erhört worden!“[<strong>GEJ</strong>.02_070,04] Sage Ich: „Laß es nur gut sein; denn du wirst nun Zeuge vonnoch größeren Dingen sein! Aber das sei euch allen ganz ernstlich ins Herzgeredet: daß ihr davon ja keinem Menschen, nicht einmal Meinen Jüngern,etwas meldet! Denn es ist die Zeit für sie noch lange nicht da; wenn es aber ander Zeit sein wird, dann werden sie schon ohnehin alles in die Erfahrung bekommen.– Nun aber öffnet den Sarg, auf daß wir sehen, inwieweit der Knabe schonverweset ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_070,05] Der Sarg ward sogleich geöffnet, und der bis auf die stärkerenKnochen gänzlich verweste Knabe war von den Tüchern und Bändern durch desBorus geschickte Hände für alle Anwesenden zur Besichtigung enthüllt. Alle— 152 —


esahen das jämmerlich aussehende Skelett mit sichtlichem Schaudern.[<strong>GEJ</strong>.02_070,06] Und Faustus sagte: „Ecce homo! Sieh, das auch ein Mensch!Ein schönes Los des üppigen Fleisches der Menschheit! Ein gräßlich aussehenderKnochenschädel, mit einigen zusammenklebenden Haaren noch sparsamversehen; eine zusammengefallene, grünlichbraune Brusthaut, hie und da vonhalbabgefaulten Rippen durchbrochen, das schwarze Rückgratgebein, über demdoch noch einige Spuren von verwesten Gedärmen hängen, die mit Schimmelbedeckt sind. Endlich die Füße, – wie sehen diese doch gar schrecklich entstelltaus; voll Verwesung und Schimmel! Und unsere Nasen aber verspüren es auch,daß wir uns nun nicht im Verkaufsgewölbe eines Balsamhändlers befinden;denn der Gestank ist stärker, als ich ihn erwartet hätte! Nein, das ist eine Gestalt,die ganz geeignet ist, dem Menschen sein Sein so verächtlich wie möglich zumachen, weil solch ein Los am Ende denn doch ein jeder von uns zu erwartenhat! Aus diesem Grunde ziehe ich das Verbrennen der Leichen den Begräbnissenbei weitem vor.“[<strong>GEJ</strong>.02_070,07] Sage Ich: „Aber so des Menschen Sohn die Macht hat, auchsolche Leiber wie auch alle, die seit Adam in der Erde als völlig verwest ruhen,zu erwecken und ins Leben zurückzurufen, ist auch dann ein solches Bild desSchreckens Gestaltung für die Menschen der Erde? Kann der Tod noch etwasFürchterliches an sich haben, wenn sich ein Meister über ihn erhoben hat? Aufdaß ihr aber alle, die ihr hier seid, sehet, daß Ich, als auf dieser Erde einMenschensohn, vollkommen die Macht habe, auch solche Leiber ins Lebenzurückzurufen und sie neu und unsterblich zu beleben, so soll eben dieser Knabeeuch davon ein Zeuge werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_070,08] Hierauf sage Ich zum Knaben: „Josoe, Ich sage es dir, richtedich auf und lebe, und zeuge, daß Ich Macht habe, auch solche Tote zuerwecken, wie du einer bist!“[<strong>GEJ</strong>.02_070,09] In diesem Augenblick entstand ein starker Luftzug; derVerwesung Schimmel verschwand, über den Knochen ergänzte sich schnell dieHaut, und innerhalb derselben fing der Leib also zur Vollgestaltung zu schwellenan, wie ein mit Sauerteig vermengter Brotteig in den Brotkörben, und inwenig Augenblicken erhob sich der Knabe als vollkommen lebendig aus demoffenen Sarge, erkannte gleich den Jairus, den Faustus und Kornelius, die er vonNazareth aus gar wohl kannte, und fragte besonders den Jairus, sagend: „Aberlieber Oheim, wie kam denn ich hierher in diesen Sarg? Was ist denn mit mirvorgegangen? Ich war ja erst in einer gar lieben Gesellschaft und weiß wahrlichnicht, wie ich nun auf einmal daher komme!“[<strong>GEJ</strong>.02_070,10] Sagt Jairus: „Mein lieber Josoe, Den siehe an, der neben dirsteht, das ist ein Herr über Leben und Tod! Du warst dem Leibe nach tot undbist schon anderthalb Jahre hier in diesem Sarge gelegen, und keine Macht, vonden Menschen ausgehend, wäre vermögend gewesen, dir für diese Erde dasLeben wiederzugeben; aber Dieser, der zwar auch so aussieht wie ein Mensch,aber viel mehr denn ein Mensch ist, hat dich vom Tode wieder ins Leben— 153 —


zurückgerufen! Daher sollst du auch Ihm allein danken für dieses dir nun wiedergeschenkte Leben!“[<strong>GEJ</strong>.02_070,11] Der Knabe sah Mich groß an und betrachtete Mich vom Kopfebis zum Fuße und sagte nach einer Weile reiferen und helleren Entsinnens: „Dasist ja eben Der, der mich von der schönen Gesellschaft abrief und zu mirsagte: ,Josoe, komme, denn du mußt Mir auf der Erde ein Zeuge werden, daßMir alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden!‘[<strong>GEJ</strong>.02_070,12] Und ich folgte Ihm willig; denn ich habe es gleich gemerkt,daß Er von Gott ausgegangen ist und in Sich trägt die Fülle der göttlichen Kraftund Macht über alles, im Himmel und auf Erden. Denn also, wie Er hier ist, sahich Ihn ehedem in der Geistwelt, in der ich sicher war, da ich von Ihm gerufenward, zurückzukehren in diese Welt.[<strong>GEJ</strong>.02_070,13] Es wird mir nun erst alles klar, und ich erkenne nun auch, daßich schon gelebt habe auf dieser Erde und bin dann gestorben; aber wie dasSterben war, weiß ich nicht! Denn kaum mochte ich diese Welt verlassen haben– was ich nicht weiß, wie und auf welche Weise –, so war ich auch schon ineinem schönen Hause unter einer gar lieben Gesellschaft, in der es mir gar wohlerging. Ich sah auch dann und wann meine Eltern und Geschwister und besprachmich mit ihnen über göttliche Dinge, die mir von meinen vielerfahrenen Gesellengezeigt und gelehrt wurden. Aber diesen Heiligen der Heiligen habe ich ehernie gesehen denn um einige Augenblicke früher, als ich in diese Welt zurückgekehrtwar!“[<strong>GEJ</strong>.02_070,14] Hier sage Ich zu den zwei Jünglingen: „Schaffet ihm einGewand und etwas Brot und Wein, auf daß sein Fleisch stark werde und er mituns nach Nazareth ziehen kann!“ – Als Ich solches den zweien gebot, waren sieauch schon mit dem Verlangten da.71. — Bab und sein Weib Staunen über das Wunder. Verheißung derUnsterblichkeit an Josoe[<strong>GEJ</strong>.02_071,01] Das war für unsern Bab und sein Weib nun zuviel, und siesagte zu ihrem Manne: „Lieber Bab, merkst du nicht, daß wir beide großeSünder sind, und daß hier in dem Menschen Jesus die Fülle Gottes ist? Ist Ernicht Der, von dem alle Propheten bis auf Zacharias und dessen Sohn Johannesweissagten? Ist Er nicht Der, den David seinen Herrn nannte, indem ersprach: ,Der Herr sprach zu meinem Herrn‘? Ist Er nicht Der, von dem eben dergroße David spricht, indem er sagt: ,Machet die Tore der Stadt hoch und diePforten weit, auf daß der König der Ehren einziehe! Wer aber ist der König derEhren? Es ist der Herr Jehova Zebaoth!‘? Mein Gemahl, hier ist Jehova undniemand anders! Wir aber sind Sünder und sind unwürdig, vor Ihm zu weilen!Komme, daß wir uns reinigen nach dem Gesetze Mosis, dann erst können wirwiederkommen und uns Ihm nahen!“[<strong>GEJ</strong>.02_071,02] Sage Ich zu den beiden tiefst Ergriffenen: „Der die Toten— 154 —


erwecken kann, der kann euch auch ohne Moses reinigen! Darum bleibet; dennMoses ist nicht mehr denn Ich und Der, der ihn dazu, was er war, erweckt hatte!Eure Sünden sind euch vergeben, und so seid ihr rein und braucht den Mosesnimmermehr; denn Moses ist nichts ohne Mich!“[<strong>GEJ</strong>.02_071,03] Sagt Bab: „Wenn also, woran ich nun nicht den allergeringstenZweifel habe, da bleiben wir; denn reiner als der Allmächtige Selbst wird unsMoses nimmer waschen!“[<strong>GEJ</strong>.02_071,04] Sagt das Weib: „Ich bin nur gleichfort eine Magd meinesHerrn, und so geschehe, was du willst und einsiehst, daß es also recht sei! Abermich erdrückt nahezu diese zu überheilige Gegenwart Gottes!“[<strong>GEJ</strong>.02_071,05] Sage Ich: „Weib, Ich habe deine Gottesverehrung in Nazarethvernommen und tat nun, was du sahst, vor allem deinetwegen! Darum magst dues bei Mir wohl aushalten! Aber nun sage Ich es euch allen, daß ihr davon janiemandem eine Silbe meldet, und das zwar nicht Meinetwegen und auch nichteuretwegen, sondern allein der vielen ungläubigen Menschen wegen, auf daßdiese nicht gerichtet glauben an den Sohn des Menschen, sondern frei, wenn zuihnen das Evangelium gepredigt wird![<strong>GEJ</strong>.02_071,06] Denn die gegenwärtigen Menschen würden durch solch einZeugnis wie mit ehernen Ketten gezwungen sein, an Mich zu glauben, wodurchihr freies Leben einen großen Schaden erlitte, die späteren Nachkommen aberwürden solche erzählten Zeugnisse als übertrieben ohnehin nicht annehmen, sieals pure Erfindungen der menschlichen Phantasie betrachten und sich dadurchan der reinen Lehre und ewigen Wahrheit stoßen; und also ist es besser, daßdergleichen Taten, als von Mir verübt, gänzlich verschwiegen bleiben, weil sieniemandem etwas nützen würden – besonders in dieser Meiner ersten Lehrzeit.[<strong>GEJ</strong>.02_071,07] Du Jairus aber, der du den Knaben Josoe wieder seinen Elternzuführen sollst nach einer Zeit, die sich dazu günstig gestalten wird, sollstdemselben ganz gewissenhaft treu beibringen, wie er die Sache für sich zunehmen habe. Er soll glauben, aber er soll dabei vor den Menschen kein Aufsehenbewirken wollen! Dieser nun erweckte Knabe aber, da er die Verwesungdurchgemacht hat, wird fürder nicht mehr sterben dem Leibe nach; sondernwenn seine Zeit kommen wird, wird er von einem Engel gerufen werden undwird dem Rufe frei folgen, – und darauf wird ihn kein sterbliches Auge mehrwandelnd auf dieser Erde je mehr irgendwo erschauen.[<strong>GEJ</strong>.02_071,08] Nun, da der Knabe sein Brot und den Wein vollauf verzehrthat und die Dämmerung schon sehr bemerkbar wird, wollen wir uns nach Hausebegeben!“[<strong>GEJ</strong>.02_071,09] Wir begeben uns nun sogleich aus der Synagoge, deren GruftJairus und Borus wieder hinter sich zusperren, nachdem sie zuvor die beidenJünglinge gebeten hatten, den Sarg in die Gruft zu schaffen, was diese auch ineinem Augenblick ins Werk setzten.— 155 —


72. — Der wahre Gottesdienst[<strong>GEJ</strong>.02_072,01] Im Freien sagt zu Mir Cyrenius: „Herr, wenn so etwas zu Romgeschähe, da würden sogar die Steine vor Dir niederfallen und Dich lautanbeten; und wir tun hier, als wenn da so etwas ganz Gewöhnliches vorgefallenwäre! Herr, habe doch Geduld mit – entweder unserer Schwäche oderDummheit!“[<strong>GEJ</strong>.02_072,02] Sage Ich: „So Ich das wollte, da wäre Ich ja wohl in Rom stattin Nazareth zur Welt gekommen! Tut nur das, was Ich von euch verlange! Alles,was darüber ist, gehört dem Heidentum an und ist Sünde. Weißt du denn dasnoch nicht, daß ,Gott lieben über alles und seinen Nächsten wie sich selbst‘unaussprechlich mehr ist, denn dem Herrn Himmels und der Erden elendeTempel aus Steinen und Holz zu erbauen?[<strong>GEJ</strong>.02_072,03] Wenn, wie Salomo sprach, schon Himmel und Erden zu kleinsind, die Majestät Gottes zu fassen, was soll dann ein elendes Steingehäuse ausbehauenen oder gebackenen Steinen, da die ganze Erde doch so gut wie dieganze Unendlichkeit von Gott erschaffen ist?![<strong>GEJ</strong>.02_072,04] Sage Mir: Was würde denn ein Vater zu seinen Kindern sagen,so diese dumm genug wären, aus den Exkrementen des Vaters ein fliegengroßesHäuschen zu erbauen, oder auch größer, und möchten dann eben aus des VatersKot ein Bild machen, das den Vater vorstellte, und wenn das alles fertig wäre,sich dann vor dem Kottempel auf die Knie niederwerfen und ihren Vater alsoverehren und anbeten? Was würdest du tun, wenn deine Kinder dir so etwastäten und, so du ihnen so etwas auch als dumm und säuisch und deiner völligunwürdig verwiesest, sie aber dennoch desto eifriger um den Drecktempelkröchen und dein Bild aus gleichem Stoff verehrten, ja sogar wider deinenWillen ihre mitunter vielleicht doch etwas heller denkenden Brüder mit Strafenauf Leben und Tod dazu zwängen und von ihnen noch eine fromme Steuerverlangten? Sage, was würdest du da tun? Könnte dich solch eine über alleMaßen schweinisch dumme Verehrung von seiten deiner Kinder erfreuen?[<strong>GEJ</strong>.02_072,05] Siehe, du verneinest solches ganz gewaltig in deinem Herzen,und Ich sage es dir, daß solch eine Verehrung der dummen Kinder ihremirdischen Vater gegenüber noch viel besser wäre denn die der Menschen in denTempeln Gott gegenüber! Denn die Kinder benützten zu ihrem Tempelbau dochnoch das, woraus der Vater seine Nahrung erhielt; aber die Menschen bauen ausdem Kote des Satans – Tempel und beten darin ihren Gott und Vater an! Sage,wie gefällt dir denn hernach solch eine Gottesverehrung – und Anbetung?“[<strong>GEJ</strong>.02_072,06] Sagt Cyrenius: „Herr, so wollte ich jetzt doch mit tausendBlitzen alle Tempel auf der Erde zerstören lassen! Oder Deine beiden Engelkostete es ja doch nur einen Augenblick, und alle Tempel lägen im Staube!?“[<strong>GEJ</strong>.02_072,07] Sage Ich: „Freund, solches geschah, geschieht noch und wirdin der Zukunft gar oft noch geschehen, und die Menschen werden dennoch nichtaufhören, Tempel zu bauen! Der zu Jerusalem wird verwüstet sein, und von den— 156 —


Götzentempeln wird man nichts mehr sehen. Aber an Stelle der auch wenigenwerden viele Tausende kommen, und solange auf der Erde Menschen wohnenwerden, werden sie auch Tempel bauen, große und kleine, und werden indenselben ihr Heil suchen; aber einen lebendigen Tempel im Herzen für Gott zuerbauen, darin Er allein würdig erkannt, verehrt und angebetet werden kann undsoll, weil das allein das ewige Leben der Seele bedingt, werden nur wenigeunternehmen![<strong>GEJ</strong>.02_072,08] Solange die Menschen in Palästen wohnen werden und sichdurch die Paläste und wegen der Paläste werden ehren und hochpreisen lassenvon denen, die keine Paläste haben können, wird man auch neben den Palästeneinen Tempel für irgendeinen Gott erbauen und wird ihn darin verehren, wennnicht in der Wahrheit, so doch zur Erhöhung der Ehre des Palast- und Tempelerbauers.[<strong>GEJ</strong>.02_072,09] Und also wird es kommen, daß die Menschen die Ehre für sichnehmen werden, die sie Gott geben sollen; ihr Lohn für ihre Werke soll aberdann auch in dem erschöpft bestehen, was sie sich selbst genommen haben!Jenseits aber wird man sie nicht erkennen, und sie werden in die äußersteFinsternis gestoßen werden, allda Heulen und Zähneknirschen ihr Los sein soll,das da ist ein ewiger Hader und Krieg der großen Finsternis wegen! Darumlassen wir vorderhand alles also, wie es ist; denn alle Knoten werden erstjenseits die vollste Lösung finden!“73. — Das Abendmahl bei Maria[<strong>GEJ</strong>.02_073,01] Als Ich solches dem Cyrenius mitgeteilt hatte, hatten wir auchdie Heimat erreicht, allwo schon ein ganz tüchtiges Abendmahl unser harrte,bestehend wie gewöhnlich aus Brot, Wein und einer Menge wohlzubereiteterFische. Der Knabe Josoe war besonders lüstern auf die Fische und zeigte einegroße Freude über die wohlbesetzten Tische.[<strong>GEJ</strong>.02_073,02] Jairus aber sagte zu ihm: „Mein lieber Neffe, du mußt nunnicht gar so heißhungrig das Abendmahl verzehren, weil dein gewisserart neuerschaffener Magen doch noch nicht fähig sein dürfte, eine zu starke Massedieser irdischen Speisen zu vertragen!“[<strong>GEJ</strong>.02_073,03] Sagte der Knabe: „Sei du, lieber Oheim, deshalb nur ganzunbesorgt! Der mich vom Tode erweckt hat, würde meinem Magen sicher keineso große Eßlust eingepflanzt haben, so es dem Magen im Ernste schädlich seinsollte, nun etwas mehr Nahrung zu sich zu nehmen als sonst in einem schonimmer gesättigten Zustande; denn es ist kein Scherz für den Menschen, anderthalbJahre tot und ohne Nahrung gewesen zu sein! So du das einmal an direrführest und nun meinen neugeschaffenen Magen in dir hättest, dann würdestdu meine Eßlust ganz leicht begreifen. Aber es kann nicht ein jeder Mensch inmeine Lage kommen, und darum läßt sich in dieser Sache nun mit mir dennauch kein Streit anfangen. Ich weiß es nun am besten nächst Dem, der mich— 157 —


erweckt hat, wie es mir geht, und du sorge dich darum ja nicht, daß mir nun einpaar Fische, ein Stück Brot und ein Becher Wein nur im geringsten schadenwerden!“[<strong>GEJ</strong>.02_073,04] Sagt Jairus: „Von mir aus ist dir alles von Herzen vergönnt;ich habe es mit dir nur gut gemeint.“[<strong>GEJ</strong>.02_073,05] Nach diesem kleinen Gespräche zwischen dem Jairus unddessen Neffen Josoe begaben wir uns zu Tische und verzehrten das Abendmahlrecht fröhlich und heiter; und es ward dabei viel geredet über manches, was dageschehen ist, und was etwa zu Jerusalem darüber geredet wird.[<strong>GEJ</strong>.02_073,06] Die Jünger aber erkundigten sich um den Knaben und wußtennicht, was sie aus ihm machen sollten. Bald fragten sie den Knaben, bald denJairus, bald die beiden Jünglinge, die auch mit uns an der Haupttafel saßen, wases denn da mit diesem Knaben für eine Bewandtnis hätte. Es müßte dahinter garetwas Außerordentliches stecken; denn es sei ihnen nur zu bekannt, daß Sich derHerr mit gar zu gewöhnlichen Knaben nie über die Gebühr abzugeben pflege.Aber der Jünger Fragen war hier ein vergebliches, da ihnen darüber niemandeine befriedigende Antwort erteilte.[<strong>GEJ</strong>.02_073,07] Als aber die Maria merkte der Jünger Ungeduld, da sagte siezu ihnen: „Was euch not tut, wird euch nicht vorenthalten; das euch aber offenbarnicht not tut, warum forschet ihr danach? Tut, was Er euch sagt, und wolletnie mehr wissen, als was Er euch als für euch notwendig zu wissen offenbart, sowerdet ihr Seinem Willen gemäß leben und handeln und eures ewigen Lohnesversichert sein; alles aber, was ihr wollt wider Seinen Willen, ist Sünde widerden Meister, der euer Heiland ist – leiblich und geistig! Merket euch dieseLehre!“[<strong>GEJ</strong>.02_073,08] Auf diese recht weise Ermahnung der Mutter Maria stelltendie Jünger ihre Forschungen über den Knaben ein und besprachen sich über ihnbloß unter sich, und Petrus wandte sich an Meinen Liebling Johannes und fragteihn, was er von diesem Knaben halte.[<strong>GEJ</strong>.02_073,09] Aber Johannes sagte zu ihm: „Hast denn du nun die liebenWorte der herrlichen Mutter überhört, daß es dich noch gleichfort jucken kannzu erfahren, was vorderhand der Herr sicher aus höchst weisen Gründen nichtgewillt ist uns kundzugeben? Sieh, mich juckt es aber wieder gar nicht; wirwissen, was wir wissen, und das ist genug! So wir aber auch wissen wollten,was der Herr über unser Wissen endlos weit hinaus weiß, so wäre solch einVerlangen von unserer Seite doch sicher die größte Torheit, und wir alleverdienten eher alles – denn Seine Jünger zu sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_073,10] Sagt Petrus: „Ja, ja, du hast auch recht; aber es ist die Wißbegierdeauch ein großes Gut, vom Herrn Selbst in des Menschen Herz gelegt, undhätte der Mensch diesen höchst edlen Drang nicht, so wäre er gleich wie einTier, das meines Dafürhaltens von einem wissensgierigen Drange sicher keineSpur in seiner stumpfen Seele besitzt. Das rein Göttliche des Wissensdranges— 158 —


scheint mir wenigstens schon darin zu liegen, daß dieser einem Durste imTraume gleicht, zu dessen Stillung die träumende Seele nicht selten ungeheureGefäße voll Wasser oder Wein verzehrt und dabei aber dennoch gleichfortdurstig bleibt und nach stets größeren Quantitäten von durstlöschenden Getränkenden unversiegbaren Reiz bekommt. Unsere unersättliche Wißbegierde sagtuns auch klar und deutlich, daß in Gott eine unendliche Fülle von Weisheitliegen muß, die kein forschender Geist ewig je ergründen wird! Und so meineich denn, lieber Bruder, daß auch mein gegenwärtiger Wissensdrang keineSünde sein wird.[<strong>GEJ</strong>.02_073,11] Sieh, mir und mehreren unserer Brüder geht es nun wie somanchen genäschigen Kindern, die nach allerlei Leckerbissen keine Eßgierhaben, solange sie von dergleichen Süßigkeiten nichts wissen und nichts zusehen bekommen; setze sie aber an einen mit allerlei süßen Speisen besetztenTisch und verbiete ihnen, etwas davon zu genießen, und du wirst bald Tränen inihren Augen und noch mehr Eßlustwasser in ihrem Munde entdecken. Aberdessenungeachtet hast du dennoch recht; denn wie ein weiser Vater seinenKindern, um sie in der höchst wichtigen Tugend der Selbstverleugnung zu üben,auch dann und wann Leckerspeisen vorsetzen wird, die zu essen ihnen untersagtsein werden, ebenso scheint unser himmlischer Vater uns auch von Zeit zu Zeitgeistige Speisen aufzutischen, die zu genießen uns so lange vorenthalten seinsollen, bis wir in einem gewissen Grade der Selbstverleugnung fest gewordensind. Haben wir nach Seiner Ordnung diesen Grad erreicht, den Er unserer Seelefür nötig vorgesteckt hat, so wird Er uns die Speise zum Genusse geben, nachder es uns nun gieret. Und somit wollen wir uns für heute, und für so lange Er eswill, vollkommen mit dem zufriedenstellen, was wir wissen und haben, undallzeit geschehe Sein allein heiliger Wille!“[<strong>GEJ</strong>.02_073,12] Sage Ich: „Mein lieber Bruder Simon Juda, so ist es recht undwahr! Nicht jedes Wissen und Erfahren taugt zur Erweckung des Geistes undzur Belebung der Seele. Denn siehe, es stehet geschrieben: ,Und Gott sprach zuAdam: Wenn du vom Baume der Erkenntnis essen wirst, wirst du sterben!‘ Undso ist es![<strong>GEJ</strong>.02_073,13] In der Erkenntnis liegt das Gesetz und das Gericht; dennsolange dir ein Gesetz nicht gegeben oder dir nicht verkündet ist, so lange auchgibt es kein Gericht, das hinter dem Gesetze einherschreitet. Daher wolle du nurdas wissen, was Ich dir zu wissen offenbare, und du weißt dadurch für deinenTeil für ewig genug. Wenn es an der Zeit sein wird, wird dir alles offenbarwerden.“74. — Streit zwischen Judas und Thomas[<strong>GEJ</strong>.02_074,01] Mit diesem Bescheide begnügen sich bis auf den Judas alleJünger und loben Meine Güte und Weisheit und die Macht Gottes, die durchMich waltet; Judas aber schmollte und sagte ziemlich laut vor sich hin: „ÜberPharisäer, die den Fremden das Allerheiligste geheim ums teure Geld sehen— 159 —


lassen, eifert Er bis auf den Schwefelregen vom Himmel; aber so Er denFremden Sein Heiligtum zeigt und uns einheimische Kinder ausschließt, das istdann ganz recht und der göttlichen Ordnung völlig gemäß! Hat jemand aus unsschon so etwas erlebt? Wenn es die zu Jerusalem tun, so ist es gefehlt beimHimmel und bei der Erde; aber wenn Er für sich nahe dasselbe tut, so ist dasrecht und vollkommen nach der Ordnung Melchisedeks! Man kann dagegenfreilich nichts tun und unternehmen; aber ärgern muß man sich denn doch!“[<strong>GEJ</strong>.02_074,02] Sagt Thomas, als der noch immer auf Judas Ischariot scharfabsehende Jünger: „Nun, ist dir endlich einmal schon wieder etwas nicht recht?Mich wundert es schon sehr, daß du mit dem Herrn darum nicht schon langeeinen Hader begonnen hast, daß Er die Sonne so weit von der Erde gestellt hatund du deine Töpfe in ihrer sicher überheißen Nähe nicht billiger hartbrennenkannst als durch das gewöhnliche Holzfeuer![<strong>GEJ</strong>.02_074,03] Schau, wie gut wäre es, gleich Vögeln fliegen zu können! Ja,es hat sogar mich schon mehrere Male an den Achseln gejuckt, und es kam mirvor, als müßte ich mit einer Schar lustig dahinschwebender Kraniche ziehen; ichversuchte zu hüpfen und zu springen, aber der schwere Leib wollte durchausnicht sich auch nur eine Elle über die Erde erheben![<strong>GEJ</strong>.02_074,04] Ich stellte mich aber damit bald wieder zufrieden und dachtemir: Wenn es Gott gewollt hätte, daß die Menschen gleich den Vögeln solltenfliegen können, so hätte Er ihnen ebensogut wie den Vögeln taugliche Flügelgegeben; aber Gott sah es, daß solch eine Eigenschaft dem Menschen mehrschaden als nützen würde und gab ihm daher lieber ein Paar gute und starkeFüße, mit denen er sich ganz gut von einem Orte zum andern tragen kann. Auchgab Er ihm nebst den zwei starken Füßen ein Paar sehr brauchbare Hände undden über alle Sterne hinausreichenden Verstand, mittels dessen er an der Stelleeines tauglichen Flügelpaares tausend andere Bequemlichkeiten sich verschaffenkann, die ihm offenbar mehr Vergnügen bereiten können, als den Vögeln ihreFlügel; denn es steht sehr dahin, ob die Vögel ihre Flügel so zu schätzen verstehenwie der Mensch seine Füße, seine Hände und seinen Verstand![<strong>GEJ</strong>.02_074,05] Sieh, der Mensch kann auch im Wasser nur sehr schlechtfortkommen, – denn er hat keine Flossen und keine Schwimmhaut zwischenseinen Zehen und Fingern; aber sein von Gott ihm verliehener Verstand lehrteihn Schiffe bauen, mittels welchen er nun weitere Reisen im Wasser machenkann als ein Fisch, dem ein Wassertümpel ein Wohnhaus ist, von dem er sich niegar zu weit entfernt. Und wir können mit vollster Gewißheit annehmen, daßunsere späten Nachkommen in der Schiffsbaukunst noch äußerst großeFortschritte machen werden. Wer weiß es, ob es nicht noch irgendeinem Weisenabermal gelingen wird, vermittels eines künstlichen Flügelpaares sich, den altenIndiern gleich, in die freie Luft zu erheben!“[<strong>GEJ</strong>.02_074,06] Hier unterbricht Judas den Thomas und sagt etwas ärgerlich:„Habe ich dich denn je als meinen Hofmeister gedungen, daß du bei jederGelegenheit mir Predigten machst? Behalte du deine Weisheit für dich und— 160 —


deine Kinder und laß mich in der Ruhe, sonst wirst du mich nötigen, dir einmalganz scharf über deinen Mund zu fahren! Denn darauf verstehe ich mich ganzgut, wenn ich's will. Ich habe dir bei allen deinen, den meinen ganz gleichenfreien Reden und Handlungen noch nie ein ungeschaffenes (ungeschliffenes)Wort gegeben und weiß es daher wahrlich nicht, was du an mir immer zu schnitzenund zu hobeln hast! Kehre du nur fleißig vor deiner Hausflur, für diemeinige werde schon ich sorgen! Ist mir etwas nicht recht, so ist es für michallein und braucht's für dich ja nicht auch nicht recht zu sein; ich gehe dichnichts an, und das von jetzt an für immer! – Verstehst du solches?[<strong>GEJ</strong>.02_074,07] Denke nur nach Kis zurück, wie der Herr die strittige Sachezwischen mir und dir abgemacht hat; das genüge dir und mir, und Weitereshaben wir beide mit und unter uns nicht mehr zu tun! Wenn ich dich um etwasfragen werde, so kannst du mir auf die Frage eine gute Antwort geben, – vorausgesetzt,daß du einer solchen fähig bist! Aber du wirst es am spätesten erleben,daß ich dir solch eine Ehre antun werde!“[<strong>GEJ</strong>.02_074,08] Sagt Thomas: „Aber sage mir, Bruder Judas, was Arges undBeleidigendes habe ich zu dir denn nun gesagt, darum du über mich gar soaufgebracht bist? Ist es denn etwa unwahr, daß du nur zu oft, meines gutenWissens, mit Gott dem Herrn gehadert hast, daß Er die Sonne so weit von derErde gestellt, und daß Er dir keine Flügel zum Fliegen gemacht hat gleich allden stummen Vögeln unter dem Himmel?“[<strong>GEJ</strong>.02_074,09] Sagt Thomas nach einer Weile weiter, weil ihm Judas Ischariotkeine Widerrede geben wollte: „Wenn du mir gram sein willst, so sei mirgram ohne Grund und Ursache! Im Angesichte des Herrn zeigt ein solcheshöchst unbrüderliches Benehmen sich nicht am löblichsten! Ein Gemüt wie dasdeine gehört auch durchaus nicht unter die Zahl der Jünger des Herrn, und dutätest tausendmal besser, so du heimzögest zu deiner Töpfemacherei, als daß duhier für nichts und wider nichts die Gesellschaft Gottes belästigst und verunreinigstmit deinem höchst gottesordnungswiderlichen Gemüte. Hast du dennschon ganz der Bergrede des Herrn bei Sichar in Samaria vergessen, wo derHerr gebietet, sogar die Feinde zu lieben, die uns Fluchenden zu segnen undGutes zu erweisen denen, die uns Böses tun?[<strong>GEJ</strong>.02_074,10] Willst du aber das Wort Gottes nicht befolgen und dich nichtbei jeder Gelegenheit üben in der Selbstverleugnung, so frage dich in Gottesnamenselbst, wozu du unsere Gesellschaft mit deiner Gegenwart belästigest![<strong>GEJ</strong>.02_074,11] Du redest mit keinem von uns auch nur ein Wort tagelang; undfragt dich jemand um etwas, so gibst du ihm entweder gar keine Antwort, oderdu fährst ihn so roh und grob als nur immer möglich an, so daß er dir zumzweiten Male sicher nimmer mit einer Frage kommt. Ist denn das ein Benehmenfür einen Jünger des Herrn? Pfui, schäme dich, und werde ein anderer Mensch, –ansonst packe dich zum Plunder![<strong>GEJ</strong>.02_074,12] Wahrlich, es reut mich schon mehr, als wenn ich einenRaubmord begangen hätte, daß eben ich dich zu dieser Gesellschaft brachte! Ich— 161 —


will den Herrn auf den Knien bitten, daß Er dich mit Seiner allmächtigen Gewaltvon uns entfernt, wenn du mit Güte nicht flottzumachen sein solltest!“[<strong>GEJ</strong>.02_074,13] Sagt endlich Judas mit sichtlich verbissenem Zorn, aberlächelnder Miene: „Weder du noch der Herr könnet mir schaffen (mich heißen),ob ich gehen oder bleiben soll! Denn ich bin so gut wie jeder andere aus euchein ganz freier Mensch und kann tun, was ich will! Sieh, wüßte ich, daß ich dirweniger ein Dorn im Auge wäre, als ich es dir sicher bin, so hätte ich eureGesellschaft schon lange verlassen und mir eine andere gesucht; aber um dich sorecht nach Herzenslust zu ärgern, bleibe ich und will dir zu einem Probiersteinedienen, an dem du deine Geduld, Langmut und Feindesliebe auf die gleichfortschönste Probe stellen kannst, und will von dir die angewandte Bergpredigt Jesuerlernen und sie dann selbst ausüben! – Hast mich verstanden, du weiserThomas?“[<strong>GEJ</strong>.02_074,14] Sagt Thomas, zu Mir sich wendend: „Herr, ich und wir allebitten Dich um Entfernung dieses räudigen Schafes! Denn neben ihm ist keinebrüderliche Existenz denkbar, und wir können Deine heilige Lehre unmöglichins Werk setzen; denn er ist und bleibt gleichfortig ein Aufhetzer und Verräter!Warum soll er denn hier unter uns sein, so er von Deiner heiligen Lehre nichtnur nichts ins Werk setzen will, sondern uns nur allzeit belächelt, so wir nachDeinen Worten zu leben und zu handeln uns die Mühe geben?“75. — Des Herrn Mahnung an Judas[<strong>GEJ</strong>.02_075,01] Sage Ich zu Judas Ischariot: „Der Bruder Thomas führt einegerechte Klage wider dich! Ich sage es dir: Ermahne dich im Herzen und werdeein Mensch! Als Teufel bist du Mir widerlich und kannst gehen! Denn MeineGesellschaft ist eine heilige Gesellschaft, weil sie vom Geiste Gottes durchwehetwird, und in solcher Gesellschaft kann und darf kein Teufel bestehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_075,02] Diese Worte bewirken, daß Judas sogleich vor dem Thomasauf die Knie niederfällt und ihn um Vergebung bittet.[<strong>GEJ</strong>.02_075,03] Thomas aber sagt: „Freund, nicht mir gebührt die Abbitte,sondern Dem, wider dessen heilige Lehre du an mir schlecht genug gehandelthast!“[<strong>GEJ</strong>.02_075,04] Da erhebt sich Judas und begibt sich schnell zu Mir hin, fälltvor Mir auf die Knie und fängt an, Mich um Vergebung zu bitten.[<strong>GEJ</strong>.02_075,05] Ich aber sage zu ihm: „Ermahne dich selbst im Herzen; denndeine Mundbitte hat ohne die innere, wahrhafte Besserung nicht den allergeringstenWert vor Mir, da Ich dein Herz durchschaue und finde, daß es durchausschlecht ist. Die bloß äußerlich freundliche Form gleicht einer Schlange, diedurch ihre zierlichen Windungen die Vöglein des Himmels betört, daß sie ihrdann zum Fraße in den Rachen fliegen. Ich sage es dir: Nimm dich in acht, aufdaß du dem Satan nicht in Kürze zur Beute wirst! Denn der läßt das, was ereinmal sein nennt, nicht gerne fahren.“— 162 —


[<strong>GEJ</strong>.02_075,06] Auf diese Worte erhob sich Judas wieder und sagte zu Mir:„Herr! Tote rufst Du aus den Gräbern, und sie leben; warum läßt denn Du meinHerz im Grabe des Verderbens zugrunde gehen? Ich will ja ein besserer Menschwerden und kann es dennoch nicht, weil ich mein Herz nicht umändern kann;daher gestalte Du mein Herz um, und ich bin ein anderer Mensch!“[<strong>GEJ</strong>.02_075,07] Sage Ich: „Darin eben liegt das große Geheimnis der Selbstgestaltungdes Menschen! Alles kann Ich dem Menschen tun, und er bleibtMensch; aber das Herz ist sein eigen, das er vollkommen selbst bearbeiten muß,so er das ewige Leben sich selbst bereiten will. Denn würde Ich Selbst zuerst dieFeile an des Menschen Herz legen, so würde der Mensch zur Maschine undgelangte nie zur freien Selbständigkeit; wenn aber der Mensch die Lehrebekommt, was er zu tun hat, um sein Herz für Gott zu bilden, so muß er dieseauch frei befolgen und sein Herz nach ihr bilden![<strong>GEJ</strong>.02_075,08] Hat er sein Herz danach gebildet und es gereinigt und gefegt,sodann erst ziehe Ich im Geiste in dasselbe und nehme Wohnung darin, und derganze Mensch ist dann im Geiste wiedergeboren und kann fürder ewig nimmerverlorengehen, da er dadurch eins mit Mir geworden ist, wie Ich Selbst eins binmit dem Vater, von dem Ich ausgegangen bin und gekommen in diese Welt, umallen Menschenkindern den Weg zu zeigen und zu bahnen, den sie zu gehenhaben im Geiste, um zu Gott in der Fülle der Wahrheit zu gelangen![<strong>GEJ</strong>.02_075,09] Du mußt daher, so wie jeder von euch, zuerst die Hand an dieBearbeitung deines Herzens legen, sonst bist du verloren, – und hätte Ich dichtausendmal aus den Gräbern ins Leben des Fleisches gerufen!“[<strong>GEJ</strong>.02_075,10] Sagt Judas Ischariot: „Herr, da bin ich verloren! Denn ich habeein unbändiges Herz und kann mir selbst nicht helfen!“[<strong>GEJ</strong>.02_075,11] Sage Ich: „So höre die Brüder und zürne ihnen nicht, so siedich liebfreundlich ermahnen; denn sie helfen dir ja bearbeiten dein Herz![<strong>GEJ</strong>.02_075,12] Siehe an den Thomas, der sich von aller deiner Grobheit nichtabschrecken läßt, dich zu ermahnen, wenn du deinem bösen Herzen einen zufreien Spielraum zu gewähren anfängst; horche darum auf seine um dich besorgtenMahnworte, so wird es nach und nach schon besser werden in deinemHerzen! So du dir aber gleichfort, wie es bis jetzt der Fall war, von niemandemetwas sagen läßt, so wirst du in Kürze zugrunde gehen und, wie gesagt, demSatan zur Beute werden; denn da werde nicht Ich, sondern der Satan in deinemHerzen Wohnung nehmen.[<strong>GEJ</strong>.02_075,13] Hüte dich also vor allem vor dem Zorne und vor der Habsucht,ansonst du ein Kind des ewigen Todes werden wirst! Denn die Reue und Bußeüber dem Grabe haben einen geringen Wert und können einer unreinen, schwarzenSeele wenig nützen. Gehe nun und überdenke diese Meine Worte wohl!“[<strong>GEJ</strong>.02_075,14] Judas tritt nun zurück, nachdenkend, faßt wohl so einen halbenEntschluß, sich nach Meinen Worten zu bessern, und sagt zum Thomas: „Nun,Bruder, sollst es sehen, wie Ischariot ein ganz anderer Mensch wird, und am— 163 —


Ende noch euch allen zu einem Vorbilde! Denn Ischariot kann viel, wenn erwill; er will es aber nun und wird daher auch vielvermögend werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_075,15] Sagt Thomas: „Bruder, wenn du dich schon im vorausrühmest, da wird die Tat wahrscheinlich im Hintergrunde verbleiben, und duwirst oder kannst dadurch auch zu einem Vorbilde werden, aber zu keinemaneifernden, sondern zu einem abschreckenden, – und es wird auf dieser Weltschwerlich je besser werden mit dir![<strong>GEJ</strong>.02_075,16] Denn siehe, so du besser werden willst, als da wir alle sind, diewir unsere großen Schwächen auch ohne deine Vorbildschaft kennen und nur zuklar einsehen, wie elend und gar nichts wert wir vor dem Herrn sind, so mußt dudich geringer dünken für alle Zeiten der Zeiten, als da sind deine Brüder vordem Herrn, und sogar nie daran denken, uns ein nachahmungswürdiges Vorbildwerden zu wollen, sondern dich stets als der Letzte und Geringste dünken; dannwirst du, ohne es sein zu wollen, das in der Tat uns sein, was du nun noch starkhochmütigerweise zu werden dir vornimmst. – Lebe also nach dieser Regel, dienicht auf meinem Grund und Boden, sondern auf dem heiligen des Herrn fürdich gewachsen ist, dessen Grundlage die wahre Demut und Selbstverleugnungist, so wirst du nach der Gottesordnung das erreichen, was du erreichen willst! –Gehe aber hin zum Herrn und erkundige dich, ob ich dich unrecht und unwahrbelehrt habe!“76. — Über Demut und Selbstverleugnung[<strong>GEJ</strong>.02_076,01] Ruft Judas nach Mir und fragt: „Herr, ist es also, wie nunThomas zu Mir geredet hat in einem stark herrschenden Ton?“[<strong>GEJ</strong>.02_076,02] Sage Ich: „Ja, also ist es! Wer aus euch sich erniedrigt ammeisten vor seinen Brüdern, der ist der Erste im Gottesreiche; jedes Sichbesserdünkensetzt ihn aber im Gottesreiche auf eine letzte Stufe zurück.[<strong>GEJ</strong>.02_076,03] So jemand von euch noch irgendein Hoheits- und somitBesserseinsgefühl in sich verspürt, da ist er von der alles verzehrenden, gierigstenHölle noch nicht frei und noch lange nicht geschickt zum Reiche Gottes;denn solch ein Mensch ist nicht freien Geistes.[<strong>GEJ</strong>.02_076,04] So aber jemand sich unter alle seine Brüder herabgesetzt hatund also bereit ist, allen zu dienen nach seiner Fähigkeit, so ist er der Erste imReiche Gottes, und alle andern können sich ganz füglich nach ihm bilden.Wahrhaft göttlich großen Geistes ist nur derjenige, der sich unter alle menschlicheKreatur herabzuwürdigen vermag!“[<strong>GEJ</strong>.02_076,05] Sagt Judas: „Da kann dann nur ein Mensch, der sich ammeisten zu erniedrigen versteht, der Erste im Reiche Gottes sein!? Denn so erbeflissen ist, allen zu dienen nach seinen Fähigkeiten, so müssen die andern ihmdoch offenbar erst den Gefallen erweisen, sich von ihm bedienen zu lassen, umihm dadurch zur himmlischen Priorität (Vorrang) zu verhelfen! – Was aberdann, wenn die andern seine Dienste entweder gar nicht annehmen wollten oder— 164 —


dem Himmelreichsprioritätsbestreben selbst ihre Dienste anbieten? Wer wirddann der Erste im Reiche Gottes werden?“[<strong>GEJ</strong>.02_076,06] Sage Ich: „Alle, die aus redlichem Herzen solches zu tun sichbemühen! Aber Menschen, die gewisserart aus Selbstsucht ihres BrudersDienste darum nicht annähmen, um ihm jede Gelegenheit zu entziehen, einErster im Reiche Gottes werden zu können, ohne je nach solcher Priorität(Vorrecht) zu streben, die werden dennoch die Letzten sein, und er der Erste,weil er wahrhaft aus Liebe und wahrer Demut allen Brüdern dienen wollte![<strong>GEJ</strong>.02_076,07] Ah, ganz etwas anderes wäre es, so jemand auf dieser Weltbloß der einstigen himmlischen Priorität (Erstrecht) wegen der Geringste und einDiener aller werden wollte! Oh, der wird auch einer der Letzten im ReicheGottes sein! Jenseits wird alles mit der feinsten Waage abgewogen und nachdem genauesten Maße bemessen werden. Wo immer etwas Selbstsüchtiges zumVorschein kommen wird, wird die Waage den Ausschlag nicht geben und dasMaß der Himmel nicht decken! Daher mußt du die volle Wahrheit ohne allenHinterhalt in dir haben, sonst kannst du ins Reich Gottes nicht eingehen. Nur diereinste Wahrheit ohne Falsch und hinterhältigen Trug kann und wird euch freimachen vor Gott und aller Seiner Kreatur! – Verstehest du das?“[<strong>GEJ</strong>.02_076,08] Sagt Judas Ischariot: „Ja, das verstehe ich wohl, sehe aberauch zugleich ein, daß solches unmöglich zu bewerkstelligen ist; denn es ist demMenschen unmöglich, alle Selbstliebe fahren zu lassen! Er muß doch essen undtrinken und sich um eine Wohnung und Kleidung umsehen, – und das geschiehtdenn auch aus einer geringen Art von Selbstliebe! Man nimmt sich ein liebesWeib und will dieses allein für sich haben, und wehe dem, der es wagte, seinesNächsten Weib zu begehren! Das wird aber etwa doch auch eine Art Selbstliebesein!?[<strong>GEJ</strong>.02_076,09] Wenn ich einen wohlbearbeiteten Grund habe, und es kommtdie Zeit der Ernte, werde ich wohl nun aus lauter Selbstverachtung und gänzlichemMangel an Selbstliebe zu meinen Nachbarn hingehen und sagen: ,MeineFreunde, gehet hin und erntet, was auf meinen Feldern gewachsen ist; denn ichhabe als der Geringste unter euch, als euer aller Knecht ohne allen Wert voreuch, nur für euch gearbeitet!‘ Ich meine, da sollte die so hochgestellte Selbstverleugnungund Selbstverachtung doch irgend einige bestimmte Grenzenhaben, ohne welche es sogar unmöglich wäre, Deine Lehre den Menschen zuverkünden, weil man dadurch offenbarst anzeigete, daß man seine Brüder fürdümmer und blinder hielte als sich selbst! Denn sich im Geiste für vorzüglicherhalten als seine Brüder, da wird doch etwa auch ein wenig von einem Hochmutdabei sein! Wenn aber so, da sehen wir uns die Menschheit in hundert Jahren an,und wir werden sie gleich dem Ochsen auf der Weide Gras fressen sehen, undvon einer Sprache wird keine Spur mehr zu finden sein und ebensowenig vonirgendeinem Wohnhause oder gar von einer Stadt! – Wie weit darf also desMenschen Eigenliebe gehen?“— 165 —


77. — Ein Maßstab der drei Liebearten[<strong>GEJ</strong>.02_077,01] Sage Ich: „Ganz gut, Ich will dir denn ein Maß geben, nachwelchem du und ein jeder wissen soll, wie er mit der Eigenliebe stehen soll, wiemit der Liebe zum Nächsten und wie mit der Liebe zu Gott.[<strong>GEJ</strong>.02_077,02] Nimm die Zahl 666, die in guten und schlechten Verhältnissenentweder einen vollendeten Menschen oder einen vollendeten Teufel bezeichnet![<strong>GEJ</strong>.02_077,03] Teile du die Liebe im Menschen gerade in 666 Teile; davongib Gott 600, dem Nächsten 60 und dir selbst 6! Willst du aber ein vollendeterTeufel sein, dann gib Gott sechs, dem Nächsten sechzig und dir selbst sechshundert![<strong>GEJ</strong>.02_077,04] Siehe, die rechtschaffenen Dienstleute und Knechte undMägde sind es, die die Felder ihrer Herrschaft bearbeiten. Nach deiner Ansichtsollen sie denn nun auch die Ernte nehmen, weil sie durch ihren Fleiß und ihreMühe geworden ist; aber sie tun diese in die Scheuern und Scheunen ihrerHerrschaft und haben eine große Freude daran, so sie zu ihrer Herrschaft sagenkönnen: ,Herr, alle deine Scheuern und Scheunen sind bereits voll, und noch istdie Hälfte auf dem Felde! Was sollen wir da tun?‘ Und ihre Freude wird größer,so der Herr zu ihnen sagt: ,Ich lobe euren großen und uneigennützigen Fleiß undEifer; gehet und bringet Bauleute her, auf daß sie mir Vorratskammern inkürzester Zeit erbauen und ich des Feldes Segen aufbewahre für Jahre, dievielleicht weniger gesegnet sein möchten, denn dieses da war, an allenFrüchten!‘ Sieh, nichts gehört den Dienstleuten, sie haben keine Scheuer, keineScheunen und keine Vorratskammern, und doch arbeiten sie um einen geringenLohn, als gelte es für ihre Scheuer, Scheunen und Vorratskammern; denn siewissen es, daß sie nicht Not zu leiden brauchen, wenn der Herr alle Vorratskammernvoll hat.[<strong>GEJ</strong>.02_077,05] Und siehe, im Tun eines rechtschaffenen Dienstboten liegt dasganze Verhältnis jedes wahren Menschen zu sich, zum Nächsten und zu Gott.Der wahre Dienstbote sorgt für sich 6fach, für seine Dienstgefährten, damit sieihm wohlwollen, 60fach und für seinen Dienstherrn 600fach und sorgt dadurch,ohne es zu wollen, dennoch 666fach für sich; denn die Nebendiener werdenihrem Gefährten, bei dem sie die wenigste Selbstliebe merken, am meistenwohlwollen, und der Dienstherr wird ihn bald über alle setzen. Aber einenDiener, der nur für seinen Sack sorgt, bei der Arbeit gern der letzte ist und daseine Hände nur an die leichteste Arbeit legt, den werden seine Gefährten mitscheelen Augen ansehen, und sein Dienstherr wird es wohl merken, daß derselbstsüchtige Diener ein fauler Knecht ist. Er wird ihn daher nie über seineDienerschaft setzen, sondern ihm vermindern den Lohn und ihn setzen zuunterstam Speisetische. Und wird sich dieser selbstsüchtige, faule Knecht nichtbessern, so wird er mit schlechten Zeugnissen aus dem Dienste getan werdenund also schwerlich je wieder einen Dienst erhalten. So er aber einen einzigenFreund noch hat, dem gegenüber er sich uneigennützig bewiesen hatte, so kann— 166 —


dieser ihn in seine Wohnung aufnehmen, wofür ihn der Herr nicht schmähenwird. – Verstehst du das?[<strong>GEJ</strong>.02_077,06] Ein jeder Mensch hat und muß einen gewissen Grad vonEigenliebe haben, ansonst er nicht leben könnte, – aber, wie gezeigt, nur denmöglich geringsten Grad; ein Grad darüber hebt schon das rein menschlicheVerhältnis auf, und es ist die Sache in der göttlichen Ordnungswaage also aufein Haar abgewogen! – Nun sind dir die Grenzlinien gezeigt, und wir wollensehen, wie du diese tatsächlich befolgen wirst!“[<strong>GEJ</strong>.02_077,07] Sagt Judas: „Dazu gehört viel tiefste Weisheit, um beurteilenzu können, ob man das genaue Maß mit der Eigenliebe getroffen hat! Wie kannder kurzsichtige Mensch das beurteilen?“[<strong>GEJ</strong>.02_077,08] Sage Ich: „Er tue mit redlichem Willen das, was er tun kann;das Abgängige wird schon von Gott aus hinzugetan werden. Für weniger aberals sechs Teile für sich darf man wohl bei keinem Menschen irgendeine Sorgetragen! Am allerwenigsten für Menschen deiner Art!“[<strong>GEJ</strong>.02_077,09] Hier verstummt Judas und geht nachdenkend vom Tische, umsich eine Lagerstätte für die schon stark hereingebrochene Nacht zu bereiten.[<strong>GEJ</strong>.02_077,10] Nun aber tritt erst der Knabe Josoe auf und sagt: „Aber hatmich dieses Menschen Dummheit doch schon über all die Maßen geärgert! EinJünger ist er und noch so dumm wie eine Nachteule am hellen Tage. Ich habealles gleich verstanden, was Du, o Herr, zu ihm geredet hast; er aber verstandnichts, indem er immer fragte und allerlei Einwürfe machte, und nun am Endedes Endes noch so dumm davonging, als wenn Du, o Herr, ihm kein Silbenswörtleingesagt hättest! Wenn ein Kind fragt, so ist das verzeihlich; aber wennso ein alter Mensch, der auf der andern Seite doch wieder weiser sein will dennseine Nebenmenschen, auch noch fragt – und das ersichtlich nicht gut-, sondernböswillig –, so muß man sich ja doch ärgern! Ich will noch dreimal sterben,wenn dieser Mensch sich auf dieser Welt je bessern wird! Er ist allemAnscheine nach ein Geizhals und rechnet, wie er, wenn er das vermöchte, wasDu, o Herr, vermagst, sich in kürzester Zeit zu ganzen Bergen von Gold undSilber aufschwingen könnte! Und ich, so wahr ich Josoe heiße, will alles darumgeben, was ich habe, und alles erleiden, was nur je ein Mensch erleiden kann,wenn dieser Mensch je eine Besserung ergreifen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_077,11] Sage Ich: „Mein lieber Josoe, laß das nur gut sein; denn wirbrauchen allerlei Handlanger bei der Erbauung eines neuen Himmels und einerneuen Erde, und da ist eben Judas auch einer, den wir brauchen können! – Abernun sage du Mir, was du deinen irdischen Eltern sagen wirst, wenn du wiedermit ihnen zusammenkommen wirst! Wie wirst du reden?“78. — Josoes schlauer Plan[<strong>GEJ</strong>.02_078,01] Sagt Josoe, freudig lächelnd: „Herr, ich meine, dieseGeschichte wird sich ganz einfach machen lassen! Ich komme vom Oheim— 167 —


Jairus geleitet ins Haus meiner sicher noch immer um mich trauernden Eltern.Diese werden ganz verwundert große Augen machen, daß sie in mir einenKnaben erblicken, der ihrem Josoe so ähnlich sieht wie ein Auge dem andern;dann mag Jairus sagen, daß ich ein Findling sei und sogar den Namen desVerstorbenen führe, und meine Eltern werden mich ohne weiteres an KindesStatt aufnehmen und mich lieben mehr denn ihren Josoe. Nach und nach könnensie dann durch allerlei rare Wendungen in die volle Wahrheit eingeleitet werden,und sie werden am Ende denn doch glauben müssen, daß ich ihr wirklicher SohnJosoe bin. In einer Zeit aber, die Du, o Herr, bestimmen kannst, können sie danndenn auch in die vollste Wahrheit geführt werden. – Ist es also recht, o Herr?“[<strong>GEJ</strong>.02_078,02] Sage Ich: „Die Sache ist gar nicht übel ausgedacht, Meinlieber Josoe; aber nur ein Umstand kommt dabei vor, und zwar der, daß da eineoffenbare Lüge vorkommt, und eine jede Lüge ist vom Übel und erzeugt wiederÜbel. Siehe, ein Findling bist du denn doch offenbar nicht; wie wirst du den,Findling‘ hernach vor deinen Eltern und Gott rechtfertigen?“[<strong>GEJ</strong>.02_078,03] Sagt der Knabe: „Herr, wenn Du lächelst, so ist das sicher eingutes Zeichen, und ich bin schon gerechtfertigt vor Dir, so wie einst der Jakobmit seinen in Lammfelle gewickelten Händen vor seinem blinden Vater Isaak!Siehe Herr, das war denn doch mehr Lüge denn bei mir, so ich als ein Findlingmeinen Eltern vorgeführt werde, und doch war vor Gott Jakobs Erstgeburtssegenals gerecht angenommen! Wenn aber Gott damals einen doch offenbarstenBetrug, der eine tatsächliche Lüge ist, mit gnädigen und segnenden Augenansehen konnte, so wird Ihn ja doch der nunmalige Findling Josoe nichtanwidern, zudem er doch ein allerwahrster Findling ist wie kein zweiter auf derganzen weiten Gotteserde! Ich meine, Du mein Gott und mein Herr, es dürfte fürdiese Erde wohl nichts so sehr verloren sein als einer, der gestorben ist; und sodürfte es auch nichts im vollwahrsten Sinne Gefundeneres geben als einen – –,Herr, Du verstehst mich, wen ich hier meine!“[<strong>GEJ</strong>.02_078,04] Sage Ich: „Gut hast du es gemacht! Ich wußte es ja, daß dueinen rechten Grund finden wirst; aber nun möchte Ich denn von dir auch nochhören, wie du dich deinen Eltern durch allerlei rare Wendungen am Ende als derwirkliche Sohn Josoe aufführen wirst.“[<strong>GEJ</strong>.02_078,05] Sagt Josoe: „O Herr, das ist doch eine überaus leichte Sache!Wenn ich einmal im Hause bin, so werde ich, was mir ein leichtes ist, michgerade so benehmen, wie ich mich früher benommen habe; ich werde nach undnach um dies und jenes fragen, wie ich es früher getan habe, werde auch meineSpielereien hervorsuchen und damit die bekannten Verfügungen treffen, wasmeinen Eltern offenbar auffallen wird und sie am Ende werden sagenmüssen: ,Das ist unser Josoe, der vielleicht vom Borus im Grabe durch seinegeheimen Mittel erweckt und mit der Zeit bis her vollends geheilt worden ist!‘Und ich lasse sie einstweilen bei der Meinung. Kommt dann die rechte Zeit, sosollen sie die Wahrheit schon erfahren, und ich meine, daß die Sache sich alsoganz gut machen wird.“— 168 —


[<strong>GEJ</strong>.02_078,06] Sage Ich: „Aber da kommt schon wieder eine Lüge vor! Siehe,jemanden geflissentlich im Irrtum belassen, heißt ebensoviel wie jemandanlügen! Wie wirst du dich denn da reinwaschen?“[<strong>GEJ</strong>.02_078,07] Sagt Josoe: „Herr, solange Du lächelst, wenn Du prüfest, ist esimmer und ewig ein gutes Zeichen; ich meine aber so, daß die Lüge auch voneiner sehr unterschiedlich zweifachen Art ist. Jemandem geflissentlich ausbösem Willen eine Lüge als eine verbürgte Wahrheit auftischen, ist und bleibteine satanische Bosheit! Aber eine Scheinlüge, durch die man die nackteWahrheit nur so lange umhüllt, als eben die nackte Wahrheit für den Menschen,den sie betrifft, noch unerträglich wäre, ja ihm offenbar mehr schaden als nützenwürde, kann nicht vom Übel sein, weil sie dem edlen, guten und wohlwollendstenHerzen und Willen entstammt![<strong>GEJ</strong>.02_078,08] Es müßte in dieser Hinsicht dann ja auch jedes Gleichnis,hinter dem doch die erhabenste Wahrheit verborgen sein kann, eine barste Lügesein. Und doch haben die weisesten Väter und Propheten zumeist in lauterGleichnissen gesprochen! Und daß hier Borus als der allgemein bekannte,berühmte Arzt eben als Arzt eigenschaftlich Deine Stelle vertritt, ist im Grundedenn doch auch nichts anderes, als wie zu den Zeiten Abrahams die drei zumErzvater gekommenen Engel die Stelle Jehovas vertreten haben, und gar nichtsanderes als die mir immer recht hart vorkommende Lüge des Joseph in Ägyptenvor seinen Getreide suchenden Brüdern! Aber Gott hatte es Selbst also gewolltund rechnete dem Joseph solch sein Benehmen gegen seine Brüder sicher nichtzur Sünde. Und so meine ich, daß solch eine Scheinlüge bloß nur eine Klugheitaus den Himmeln ist, während die wirkliche Lüge in die Reiche der ärgstenhöllischen Verschmitztheit gehört!“[<strong>GEJ</strong>.02_078,09] Sage Ich: „So komme her, du Mein liebster Josoe, und laß dichküssen; denn du bist ja schon als ein noch zarter Knabe weiser denn ein alterSchriftgelehrter!“[<strong>GEJ</strong>.02_078,10] Mit diesen Worten eilt Josoe sogleich um den ganzen Tisch,umarmt Mich und küsset Mich klein ab und sagt darauf in völlig ausgelassener,aber dabei dennoch sehr weiser Heiterkeit: „Da sehet her alle ihr alten himmlischenGeister, Mächte und Kräfte, und verhüllet euer Angesicht! Denn das, washier geschah, habet ihr noch nie erlebt! Der ewige heilige Vater hier vor uns, imSohne Jesus völlig gegenwärtig, läßt Sich fleischlich liebkosen von einemSeiner Geschöpfe![<strong>GEJ</strong>.02_078,11] So zieht, Der ewig war, das zeitlich Seiende an Sich, koset esund macht es dadurch Ihm gleich ewig! O Du wahrer, alleiniger Vater allerMenschen, wie süß doch schmecket Deine Liebe!“79. — Zwei Engel bieten dem Josoe ihre Dienste an[<strong>GEJ</strong>.02_079,01] Hier treten die zwei Engel hervor und sagen: „Ja, holdesterKnabe, du hast wahr gesprochen! Das war unseren Augen, die schon lange den— 169 —


endlosen Raum Gottes durchstierten, ehe noch eine Sonne ihr Dasein weithindurch den ewigen Raum Gottes mittels ihrer Strahlen verkündete, noch nieersichtlich geworden! Bleibe du daher aber auch gleichfort in dem Geiste, derdich jetzt so rein göttlich hehr belebt, und wir bleiben ewig Brüder!“[<strong>GEJ</strong>.02_079,02] Sagt Josoe: „Wer seid ihr denn, daß ihr gar so erhaben weiseWorte auszusprechen vermöget? Seid ihr denn nicht auch Menschen, so gut wieich einer bin?“[<strong>GEJ</strong>.02_079,03] Sagen die beiden: „Liebster Bruder, im Geiste wohl sind wirvöllig das, was du bist und noch mehr und mehr werden wirst; aber Fleisch undBlut haben wir nie getragen! Wir sind Engel des Herrn und sind hier, Ihm alleinallzeit zu dienen. So uns aber Der einst auch gnädigst will durchs Fleisch, Ihmgleich, gehen lassen, so werden wir dir dann auch in dieser Hinsicht vollendsgleichen. Für jetzt aber bist du uns bedeutend voraus; doch die Ewigkeit ist langund endlos, und in ihr werden sich dereinst alle Unterschiede ausgleichen. Wiraber tragen nun auch dir unsere Dienste an; willst du etwas, so schaffe (befiehl)und wir werden dir dienen!“[<strong>GEJ</strong>.02_079,04] Sagt Josoe: „Was sollte ich euch mir zu dienen schaffen? Wiralle haben einen Gott und einen Herrn und Vater von Ewigkeit. Dem alleinkommt das Recht zu, zu schaffen mit mir wie mit euch; wir aber, die wir samtund sämtlich von Ihm erschaffen worden sind, sollen einander nicht schaffen,sondern aus Liebe zuvorkommend uns allzeit gegenseitig dienen, so aus unseiner oder der andere Engel oder Mensch, gleichviel irgendeines Dienstesbedarf![<strong>GEJ</strong>.02_079,05] Ich halte aber schon den nicht für vollkommen, der, wennauch noch so willfährig, seinem hilfsbedürftigen, um irgendeinen Beistandflehenden Bruder beispringt; denn da wird nur dem geholfen, der Gelegenheit,Mut und Kraft besitzt, seinem in was immer für einer Hinsicht vermögensreichenBruder seine Not darzustellen und ihn um die entsprechende Hilfe anzuflehen.Wer aber hilft dann dem, der die Gelegenheit, den Mut nicht besitzt, seinenvermögensreichen Bruder um Hilfe anzuflehen? Wenn ich aber schon eineerbetene Hilfe durchaus nicht gutheißen kann, um wieviel weniger dann ersteine befohlene![<strong>GEJ</strong>.02_079,06] Darum sage ich euch hier in der Gegenwart Dessen, der einHerr ist über Leben und Tod: So ihr sehen werdet, daß mir eine Hilfe not tut, sohelfet mir, ohne daß ich euch darum bitte oder gar schaffe, als ob ich ein Herrwäre! Und ich werde dasselbe tun, so ich es wüßte, daß auch ich euch wo dienenkönnte; sonst brauche ich keine Hilfe und keinen Dienst von euch, am allerwenigstenaber einen befohlenen, der schlechter ist denn gar keiner![<strong>GEJ</strong>.02_079,07] Es solle sich aber ein in was immer für einer Hinsicht Vermögensreichermit Fleiß umsehen unter seinen hilfsbedürftigen Brüdern, ob nichteiner bald in dieser und bald in einer andern Hinsicht irgendeiner Hilfe bedarf.Und hat er einen gefunden, so solle er ihm die Hilfe antragen! So wird er meinesErachtens dem Herrn und Vater, der ewig gleichfort also handelt, sicher— 170 —


angenehm sein und wird das heilige Ebenmaß Gottes, nach dem er erschaffenist, rechtfertigen; wer aber seinem Nächsten erst dann hilft, wenn dieser ihn umdie Hilfe angefleht hat, – oh, wie weit ist ein solcher Helfer noch vom vollenEbenmaße entfernt, und wie weit dann erst der, der sich eine Hilfeleistungbefehlen läßt![<strong>GEJ</strong>.02_079,08] Seht ihr, meine lieben Freunde, wenn eure Weisheit nichtweiter reichen sollte als dahin nur, den Menschen Anträge zu machen, daß sieeuch gebieten sollen, wenn sie eurer Hilfe bedürfen, da gehe ich als ein Knabemit euch nicht tauschen; habt ihr mich aber bloß nur prüfen wollen, so glaubeich, meine Prüfung vor euch wenigstens nicht schlecht bestanden zu haben. Undsolltet ihr vielleicht aus meinem Munde etwas vernommen haben, was euchvielleicht ein wenig hart berührt hätte, so müßt ihr das mir schon zugute halten;denn um euch zu belehren, habe ich meinen Mund nicht aufgetan, sondern derWahrheit willen, weil ihr euren Antrag mir nicht der Wahrheit gemäß gemachthabt. Als vollkommene Himmelsgeister aber hättet ihr doch mein Inneresinsoweit zum voraus durchblicken und erkennen sollen, daß ich euch auf eurenAntrag mit solch einer Antwort sicher entgegenkommen werde, und ihr hättetdann eurem Antrage, für den ich euch durchaus nicht danken kann, sicher einanderes Gesicht gegeben!“[<strong>GEJ</strong>.02_079,09] Die beiden Jünglinge treten nun etwas gedemütigt zurück undsagen: „Wahrlich, diese hohe, rein göttliche Weisheit hätte kein Engel in diesemKnaben gesucht!“[<strong>GEJ</strong>.02_079,10] Sage Ich: „Ja, Meine Lieben, Gottes Auge sieht gar scharf undentdeckt auch in den vollkommensten Engeln Flecken, – also auch einesMenschen reinstes Herz, das da ist wie ein Augapfel Gottes. Ich ließ aber dasnicht euretwegen, sondern der Gäste wegen geschehen, auf daß sie aus demreinen Munde eines erweckten Knaben erfahren sollten, wieviel es ihnen an derGottähnlichkeit noch mangelt. Im übrigen aber hat der Knabe schon von Geburtan einen außerordentlich scharfen Geist, und es meine ja niemand, Ich hätte nunbei dieser Gelegenheit ihm die Worte ins Herz und endlich in den Mund gelegt.Sie sind auf seinem höchst eigenen Grund und Boden gewachsen; darum wird erMir zu einer Zeit ein tüchtiges Rüstzeug sein.“80. — Cyrenius nimmt Josoe auf[<strong>GEJ</strong>.02_080,01] Sagt Cyrenius: „Herr, diesen Knaben möchte ich zu mirnehmen, und so er zu mir wollte, möchte ich ihn nicht nur meinen Kinderngleich, sondern in allem über dieselben stellen. Wahrlich, ich würde es mir zumgrößten Glücke rechnen, so ich diesen lieben Knaben, der ohnehin mehr Engelals Mensch ist, mein nennen könnte! Er wird ohnehin einen etwas schwerenStand bei seinen einstigen Eltern haben, und es ist die Frage, ob diese ihn nochannehmen werden. Ich weiß aber um alles und kann mit der Zeit Einleitungentreffen, daß seine, mir als sehr templerisch gesinnt bekannte Eltern ganz gutihren Josoe erkennen werden. Wollen sie ihn annehmen, so wird es ihnen auch— 171 —


freigestellt sein, jedoch mit der Bedingung, daß er in meinem Hause zu verbleibenund um mich zu sein hat, wo ich bin, – bald in Asien, bald in Europa undbald in Afrika; denn seine Weisheit geht mir über alles!“[<strong>GEJ</strong>.02_080,02] Sage Ich: „Mache du das mit dem Jairus und dem Knaben ab!Mir ist alles recht; denn der Knabe, Mein lieber Josoe, wird Mir ja überall getreuverbleiben!“[<strong>GEJ</strong>.02_080,03] Sagt der Knabe: „Vater, daran wirst doch Du nicht zweifeln?Du müßtest mir nur Selbst eine andere Gesinnung ins Herz legen! Das aber wirstDu ewig nicht tun, und so werde ich Dir auch ewig getreu verbleiben. So ichaber über mein künftiges Sein auf dieser Erde zu wählen hätte, da bliebe ich amliebsten geradewegs bei Dir! Denn was Höheres, was Besseres und was Seligereskann es denn in der ganzen Unendlichkeit und in allen alten und neuenHimmeln noch geben, als bei Dir, dem Urquell der Liebe, der Weisheit und allesLebens, zu sein? Aber das ist auch nur der eigentliche, innerste Wunsch meinesHerzens; im übrigen aber verstehe ich schon auch zu gehorchen und begebemich überall willig hin, wohin mich Dein heiliger Wille nur immer bestimmenmag! Ich gehe zum Cyrenius, den ich überaus achte und schätze, also gehe ichauch zu meinen irdischen Eltern zurück, die mir auch sehr lieb und wert sind;aber ohne Deinen Willen werde ich nicht leichtlich etwas tun.“[<strong>GEJ</strong>.02_080,04] Sage Ich: „Daß du bei Mir bleiben möchtest und mit der Zeitauch bei Mir bleiben wirst, davon zeugt dein ganzes Wesen; aber für jetztbedarfst du noch einiger Ruhe, die dir in der äußeren Abgeschiedenheit von Mirnotwendig ist, auf daß zwischen deiner Seele und dem neuen Leibe eine festereKonstistenz gebildet werde. Wenn solches etwa im Verlaufe von einem Jahregeschehen wird, dann kannst du schon wieder zu Mir kommen und wirst dichalsdann in Meiner Nähe ganz gut erhalten können, ohne daß Ich, wie nun, nötighaben sollte, mit der Macht Meines Willens deine Seele in deinem Leibe festzuhalten.Siehe, das ist der Grund, warum Ich zu deinem Wohle nun dich auf einekurze Zeit von Mir gehen lasse! Frage aber nun deinen Sinn, ob du lieber mitdem römischen Oberstatthalter Cyrenius von hier ziehest, oder ob du lieber zudeinen irdischen Eltern heimkehrst! Mir ist es da ganz einerlei, – nur das istwahr, daß du beim Cyrenius immer mehr gewinnen kannst denn als ein scheinbarerFremdling in deiner Eltern Hause; denn diese werden lange nicht wissen,was sie aus dir machen sollen.“[<strong>GEJ</strong>.02_080,05] Sagt Josoe: „Ganz gut, weil ich nun so viel weiß, so ziehe ichmit dem hohen Statthalter Cyrenius. Sehen aber möchte ich die Eltern doch underfahren, was sie bei meinem Anblick für fragende Gesichter machen werden.“[<strong>GEJ</strong>.02_080,06] Sagt Cyrenius: „Das können wir morgen, so wir von hier überKapernaum nach Sidon und Tyrus ziehen werden, ganz leicht zustande bringen!So wir in Kapernaum bei diesem meinem Bruder, den du hier neben mir siehstund dessen Name Kornelius ist, zu Mittag speisen werden, da sollen nebsteinigen Hauptständen der Stadt auch deine Eltern zu Tische gezogen werden,und du wirst dann eine hinreichende Gelegenheit haben, deine Eltern zu sehen,— 172 —


zu hören und sie zu beobachten, was sie alles für Bemerkungen über dichmachen werden. Aber du mußt dabei wohl dich sehr in acht nehmen, daß dudich nicht etwa durch ein hingeworfenes Wörtlein zu sehr verrätst! An derKleidung werden sie dich nicht erkennen, da ich dir morgen sogleich ausmeinem Vorrate eine Toga, wie sie die Römer tragen, werde anziehen lassen.Aber, wie gesagt, auf deinen Mund mußt du allein recht wohl achthaben, daß dudich nicht verrätst vor der Zeit!“[<strong>GEJ</strong>.02_080,07] Sagt der Knabe: „Darüber sei du ganz ohne Sorge! Derrömischen Zunge bin ich ziemlich mächtig, sowie der griechischen, und werdedarum in diesen Zungen reden, so ich um etwas gefragt werde. Freilich sindauch meine Eltern dieser Zungen mächtig; aber das macht nichts! Kurz, mit derHilfe des Herrn, der mich erweckt hat, werde ich alles in der sicher bestenOrdnung darzustellen verstehen.“[<strong>GEJ</strong>.02_080,08] Cyrenius drückt den Knaben an seine Brust, küßt ihn und sagt:„Kurz und gut, ich liebe dich überaus und betrachte dich von nun an als einenSohn, den ich mehr liebe als alle meine Leibeskinder und eine Menge andererKinder, denen ich freiwillig, wie nun dir, ein Vater geworden bin. Denn allenwirst du mit deinem Geiste vieles nützen können.“[<strong>GEJ</strong>.02_080,09] Sagt der Knabe: „Ich freue mich auch darauf; denn das istmeine größte Freude von jeher gewesen, so ich jemand habe in was immernützlich sein können.“[<strong>GEJ</strong>.02_080,10] Sage Ich: „Gut, Mein Josoe! Wenn Ich sehen werde, daß dudeinem Vorsatze getreu verbleiben wirst, so werde Ich dir dann auch eine Kraftaus den Himmeln zukommen lassen, mit deren Hilfe du dann noch mehr Guteszu wirken imstande sein sollst. Worin aber die Kraft bestehen wird, wirst du erstdann innewerden, wann du sie überkommen wirst. Nun aber wollen wir uns zurRuhe begeben; denn es ist bereits die Mitternacht herbeigekommen. Morgen istauch wieder ein Tag, und Ich will ihn nicht zum voraus erforschen, was erbringen wird, sondern, was er bringen wird, das werden wir alle annehmen. DasGute soll unser Anteil sein, und das Schlechte werden wir auszuscheiden verstehen.Und also begeben wir uns zur Ruhe!“ – Nach diesen Meinen Worten begibtsich alles zur Ruhe.81. — Robans Bericht über den neuen Obersten[<strong>GEJ</strong>.02_081,01] Der Morgen des kommenden Tages war wieder einer derheitersten, und viele der anwesenden Gäste, die auch früher als wir sich zurRuhe begeben hatten, tummelten sich schon im Freien herum, als Ich, dieJünger, die Römer und der Kisjonah uns aus dem Hause ins Freie begaben.[<strong>GEJ</strong>.02_081,02] Als wir uns aber eine kurze Zeit im Freien aufhielten, kamauch Bab mit seiner Familie aus der Stadt; denn er ging am späten Abend nachHause in die Stadt, um nicht Ungelegenheiten in Meinem Hause zu machen. Alser aber ankam – so erzählte er uns in entschiedener Eile –, habe in der Stadt, und— 173 —


namentlich in der Synagoge, eine große Aufregung geherrscht, so zwar, daß ersich gar nicht getraute, jemanden zu fragen, was es da gäbe. Es müßte aberetwas sehr Bedeutendes vor sich gegangen sein, da er sonst noch nie eine solcheAufregung unter den Dienern und Herren der Synagoge bemerkt habe.[<strong>GEJ</strong>.02_081,03] Sage Ich: „Das wird eine Folge des neuen Besens sein, dernach dem Austritte des Jairus aus Jerusalem angekommen sein wird undwahrscheinlich heute hier in Nazareth eine Visitation halten will! Da liegt garwenig daran, und wir wollen uns darum unser bereits fertiges Morgenmahl ganzgut schmecken lassen.“[<strong>GEJ</strong>.02_081,04] Darauf wandte Ich Mich zu den beiden noch anwesendenJünglingen: „Eilet hinein in die Synagoge und bringet Mir Roban, den Ältesten,heraus; Ich habe mit ihm zu reden! Gehet aber gemächlichen Schrittes, auf daßihr euch durch euer plötzliches Auftreten nicht verratet!“ – Die beiden Engel tunsogleich, was Ich ihnen geboten habe; wir aber begeben uns zum Morgenmahleund verzehren es mit frohem Mute.[<strong>GEJ</strong>.02_081,05] Als wir die Tische wieder verlassen, kommt auch schon Robanmit den beiden Engeln daher, verneigt sich tief vor Mir und vor den nochanwesenden hohen Römern und sagt ganz erschöpften Gemütes: „Ach, Herr,hier der Himmel, und dort in der Synagoge die Hölle im vollsten Toben! Herr,ich brauche es Dir zwar nicht zu sagen, da ich nur zu gut weiß, daß Dir nichts inder ganzen Welt unbekannt sein kann; aber es ist nun schon wahrlich zumVerzweifeln, was unser neuer Oberster treibt![<strong>GEJ</strong>.02_081,06] Wenn der Mensch nicht ein leiblicher Bruder des Satans ist, soleiste ich auf meine Menschheit den vollsten Verzicht! Fürs erste plündert er unsnicht nur was das Geld betrifft, sondern auch in allen andern Habseligkeiten reinaus, so daß wir nicht einmal wissen, wovon wir nun in der Folge mit unserenFamilien leben sollen; nimmt alles Mehl, alle Hülsenfrüchte, alles Getreide, allegeräucherten Fische; bezeichnet unsere Ochsen und Kühe und Kälber, Schafeund Esel als ein Eigentum des Tempels und wird sie uns auf diese Weise ohnealle Gnade nehmen! Dazu erklärte er uns alle als Abtrünnige des Tempels undwill uns noch obendrauf mit allen möglichen Strafen belegen; denn man wisse inJerusalem haarklein alles, was hier geschehe, und er habe zugleich den gemessenstenAuftrag, Dich als Volksverführer und Volksaufwiegler ergreifen undden Gerichten ausliefern zu lassen! – Was sagst Du zu solcher Bestialität?[<strong>GEJ</strong>.02_081,07] Herodes wisse jeden Tritt und Schritt von Dir; er hätte schonlange ganz ernste Schritte gegen Dich getan, so er etwa nicht von der irrigenMeinung befangen wäre, die ihm sein Wahrsager, der geheim ein Jünger Johanniswar, beibrachte, daß Du der vom Tode wieder auferstandene Johannes seiest;denn er hatte ihn auf Verlangen der Metze Herodias im Kerker enthaupten undihr dessen Haupt auf einer Schüssel präsentieren lassen, zum Beweise, daß erden ihr gemachten Eid erfüllt habe![<strong>GEJ</strong>.02_081,08] Aus dem wenigen kannst Du, o Herr, nun schon entnehmen,wie die Sachen stehen! Ich sage es Dir: wenn Du nicht mit aller Deiner Macht— 174 —


Dich entgegenstellst, so bist Du samt allen, die hier bei Dir sind, dem Fleischenach verloren! Denn mehr kann ich Dir nicht sagen, als daß nun buchstäblich dieganze Hölle los ist; auf Deinen Kopf sind bloß zehntausend Pfunde Goldesgesetzt!“[<strong>GEJ</strong>.02_081,09] Ich berufe hier den Matthäus und sage zu ihm: „Was du nunhören wirst, das zeichne auf!“[<strong>GEJ</strong>.02_081,10] Matthäus bringt sogleich seine Schreibgeräte her und richtetsich zum Schreiben.[<strong>GEJ</strong>.02_081,11] Ich aber sage noch einmal zum Roban: „Freund, du hast nundie traurige Geschichte vom Johannes nur flüchtig hingeworfen; sei so gut underzähle sie also, wie sie euch der neue Oberste kundgegeben hat! Denn es liegtMir daran, daß die Sache also aufgezeichnet werde!“[<strong>GEJ</strong>.02_081,12] Sagt Roban: „Mit der größten Bereitwilligkeit von der Welttue ich das; nur fürchte ich, daß ich vermißt werde, und wir stehen in der Gefahr,daß der Satansbruder von einem Obersten herauskommt und uns hier einengräßlichen Spektakel macht!“[<strong>GEJ</strong>.02_081,13] Sage Ich: „Fürchte nichts; denn so viel Macht haben wir nochhier, ihm einen Mentor (Führer) zu stellen!“[<strong>GEJ</strong>.02_081,14] Sagt Roban: „Wenn so, dann will ich die Johannesgeschichtesogleich wörtlich also wiedergeben, wie sie uns der neue Oberste kundgegebenhat. Also lauteten aber seine Worte:82. — Geschichte und Ende Johannes des Täufers[<strong>GEJ</strong>.02_082,01] (Roban:) „Vor kurzem berichteten die Steuereinhebungsknechtedes Vierfürsten Herodes eben diesem Herodes die Gerüchte von Dir undDeinen Taten (Matth.14,1), erzählten ihm, wie Du sie beim Steuererpressen indie Flucht geschlagen habest, und wie sie Deiner Macht durchaus nichtsanhaben konnten. Darauf berief Herodes sogleich seinen Wahrsager. Dieseraber, als erstens eine feine Kundschaft, und zweitens insgeheim ein Jünger desJohannes, der die Ermordung dieses Propheten dem Herodes nicht verzeihenkonnte, fand hier Gelegenheit, eine erste Rache an Herodes zu nehmen, underklärte ihm mit fester Miene und Rede: ,Das ist Johannes, der von den Totenauferstanden ist und wirket nun gegen Dich solche Taten!‘[<strong>GEJ</strong>.02_082,02] Darüber erschrak Herodes und kam bebend zu seinen Knechtenzurück und sagte zu ihnen: Das ist nicht der Zimmermann Jesus, den ichkenne, da er vor noch kaum fünf Jahren mit seinem Vater Joseph bei mir einenneuen Thron angefertigt hat und bei dieser Arbeit als Kunstzimmermann,obschon er sonst als ein ganz einfältiger Mensch dastand, eine bedeutendeGeschicklichkeit an den Tag legte, sondern das ist der von mir enthaupteteJohannes, der von den Toten wieder auferstanden ist und nun als unverwüstlicherGeist gegen mich solche Taten verrichtet, die sonst kein Mensch verrichten— 175 —


kann. (Matth.14,2) Daher sollet ihr wider ihn nichts mehr unternehmen; dennsolches könnte euch und mir das größte Unheil bereiten![<strong>GEJ</strong>.02_082,03] Auf diese Erklärung sollen die Knechte ganz große Augengemacht haben und ganz verdutzt von dannen gegangen sein; denn sie wußten esbei sich, daß Du nicht Johannes seiest, – aber sie getrauten dem erregtenHerodes keine Widerrede zu machen.[<strong>GEJ</strong>.02_082,04] Wir fragten aber auf diese Erzählung des Obersten, was esdenn mit der Ermordung des Johannes für eine Bewandtnis habe. Denn wirwußten wohl, daß ihn Herodes ins Gefängnis geworfen hatte; aber daß er ihnauch ermorden ließ, davon wußten wir noch keine Silbe. Darauf erzählte uns derOberste ganz kurz: Herodes war anfangs selbst – freilich ganz schwachweg nur– ein Anhänger Johannis und achtete ihn als einen besonderen Weisen; er nahmihn daher an seinen Hof und wollte von ihm erlernen die geheime Weisheit. Daer aber daneben die schlechte Liebe zur Herodias, die seines Bruders PhilippWeib war, nicht aufgeben wollte (Matth.14,3), so erregte sich Johannes undsprach in dem ernstesten Ton zum Herodes: ,Es ist nicht recht vor Gott unddeinem Bruder, daß du sie hast! (Matth.14,4) Denn es steht geschrieben: Dusollst nicht begehren deines Nächsten Weib!‘ Da ergrimmte der stolze Herodes,ließ Johannes in ein Gefängnis werfen und hätte ihn auch gleich mögen tötenlassen, so er das Volk nicht gefürchtet hätte, das den Johannes für einen Prophetenhielt. (Matth.14,5)[<strong>GEJ</strong>.02_082,05] Es begab sich aber wenige Tage darauf, daß Herodes seinenJahrestag hielt. An diesem Tage tanzte die schöne Tochter der Herodias vor ihmund seinen hohen Gästen, was Herodes überaus wohl gefiel. (Matth.14,6) Erverhieß daher der schönen Tänzerin mit einem Eide, daß er ihr geben werde,was sie von ihm fordern möchte. (Matth.14,7) Die Tochter aber ging zuvor zuihrer Mutter, die dem Johannes Rache geschworen hatte, weil er ihr den Herodesabwendig machen wollte; und die Mutter richtete daher ihre Tochter also zu, daßsie das Haupt Johannis verlangen solle.[<strong>GEJ</strong>.02_082,06] Da ging die Tochter hin und sprach zu Herodes: ,Gib mir dasHaupt Johannis auf einer goldenen Schüssel!‘ (Matth.14,8) Da ward der Königdenn doch traurig, zwar nicht so sehr des Johannes, als vielmehr des Volkeswegen, das er fürchtete, daß es an ihm Rache nähme. Doch des Eides willen undderer, die mit ihm zu Tische saßen, befahl er seinen Knechten, das Verlangte derTochter zu geben. (Matth.14,9) Und die Knechte gingen hin, enthauptetenJohannes im Gefängnisse (Matth.14,10), nachdem sie zuvor unter einemVorwande etliche seiner Jünger von ihm entfernten, und trugen dann sein Hauptauf einer Schüssel in den Speisesaal, um es der Tochter zu übergeben; und dieseübergab es darauf ihrer argen Mutter. (Matth.14,11)[<strong>GEJ</strong>.02_082,07] Darauf kamen wieder seine Jünger und trafen zu ihremgrößten Schrecken und Leidwesen den Leichnam Johannis. Sie aber nahmen denLeichnam, trugen ihn hinaus und begruben ihn (Matth.14,12) im Angesichte vonvielen Tausenden, die da weinten und den Herodes und dessen ganzes Haus mit— 176 —


zahllosen Flüchen belasteten. Die Herodias aber soll beim Anblick des HauptesJohannis augenblicklich unter gräßlichen Verzerrungen ihres Gesichtes tot zuBoden gesunken sein und ihre Tochter ein paar Augenblicke darauf; undHerodes und alle seine Gäste flohen voll Entsetzen aus dem Saale.[<strong>GEJ</strong>.02_082,08] Herr, das ist wörtlich die überaus traurige Geschichte Johannesdes Täufers am Flusse Jordan unweit der Wüste zu Bethabara, allwo dieser Flußin den See fällt, denselben durchströmt und sich endlich dem Toten Meerezuwendet. – Was sagst Du nun dazu? Ist es denn wohl möglich, daß Menschengar so zu Teufeln werden können, und zwar zu einer Zeit, wo Du, dem Himmelund Erde gehorchen, Selbst als Mensch auf der Erde wandelst? Hast Du dennkeine Blitze und keine Donner mehr?“[<strong>GEJ</strong>.02_082,09] Treten darauf Cyrenius und Kornelius zu Mir und sagen ganzergrimmt: „Herr, da ist Gefahr im Verzuge! Hier können wir nicht mehr aufDeine zu große Geduld und Langmut harren; da heißt es: augenblicklich Handans Werk legen! In längstens zehn Tagen muß die ganze Höllenbrut samt Jerusalemund Tempel von der Erde vertilgt sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_082,10] Sage Ich: „Siehe her, diese beiden Jünglinge genügen, ineinem Augenblick auszuführen, was aller römischen Macht in hundert Jahrennicht gelänge! Wenn solches alles nicht geschehen müßte der Ordnung Gotteswegen, glaubet es, Mir wäre es ein leichtes, alles dieses zu vernichten imschnellsten Augenblick! Aber es muß solch Äußerstes geschehen der Gestaltungeines neuen Himmels und einer neuen Erde halber.[<strong>GEJ</strong>.02_082,11] Sehet aber nun, daß ihr von hier kommet, denn dieser neueOberste ist ein böser Mensch, und der Satan zeigt ihm tausend Wege, auf denener euch allerweidlichst schaden könnte; darum sehet, weiterzukommen![<strong>GEJ</strong>.02_082,12] Auch Ich werde heute Mich von hier begeben und nicht sobald wieder in diese Gegend kommen; denn einem wütigen Hunde muß manausweichen! Das ist einer, der viel Gold und Silber hat, ansonst er sich dieseAmtsstelle nicht hätte erkaufen können; und mit viel Gold und Silber kann manin der Welt bei den Weltmenschen viel ausrichten, und wer sich dazu noch einesolche Stelle aus purer Gewinn- und Herrschsucht kauft – wie dieser da es getanhat –, dem ist durchaus nicht zu trauen. Darum machet euch nun alle auf undbegebet euch von hier, und du, Roban, kehre auch wieder heim; denn bis jetztbist du noch nicht vermißt worden!“[<strong>GEJ</strong>.02_082,13] Sagt Roban: „Wenn ich aber Deinetwegen befragt werde, wassoll ich antworten?“[<strong>GEJ</strong>.02_082,14] Sage Ich: „Das wird dir ins Herz und in den Mund gelegtwerden!“83. — Szene mit dem neuen Tempelobersten zu Nazareth[<strong>GEJ</strong>.02_083,01] Mit diesen Worten begibt sich Roban schnell nach Hause, und— 177 —


als er kaum einige Augenblicke in seinem Hause weilt, da kommt schon einBote und nötigt ihn, in die Synagoge zu kommen, wo der neue Oberste mit ihmeben über Mich reden will; denn er hatte es erfahren, daß Roban Meinetwegenin Sichar gewesen war. Roban begibt sich auch schnell hin, und der Oberste gehtihn gleich scharf an.[<strong>GEJ</strong>.02_083,02] Aber Roban sagt: „Ich bin ein Ältester von Nazareth, stehezwischen siebzig und achtzig Jahren Alters, und du hast die dreißig noch langenicht erlebt! Darum aber, daß du durch dein Geld dich zum Obersten über unsgemacht hast, bist du noch lange kein Moses und kein Aaron und wirst michnichts lehren, das ich nicht schon gewußt hätte, ehe du noch gezeugt warst! Wiralle haben unser Amt allzeit zur Zufriedenheit deines würdevollen Vorgängersund des gesamten Tempels verwaltet, alle Erscheinungen mit den rechten Augengottergebener Juden betrachtet und haben dort Dämme gesetzt, wo sie nötigwaren; verstehst du aber die Sache besser und willst nun mit einem Hiebe etwagar alle Griechen und Römer zu Juden machen, so fahre nur so fort, und ichstehe dir dafür, daß du nächst uns der einzige Jude in ganz Galiläa bist![<strong>GEJ</strong>.02_083,03] Sieh, der bedeutende Flecken Jesaira ist in dieser Hinsicht auseinem gleichen Grunde ganz griechisch geworden, und alle Pharisäer, Schriftgelehrtenund Priester haben den Ort verlassen müssen! Gehe hin und fange dortsolch scharfe Untersuchungen an, und die Jesairer werden dir dafür etwas zuerzählen anfangen, daß du sicher nicht Füße genug haben wirst, um dich soschnell als möglich auf die Flucht zu begeben! Warum aber sind die Jesairerabgefallen? Infolge der zu habsüchtigen Strenge der dortigen Priesterschaft, undsie bekennen nun den Pythagoras an der Stelle Mosis![<strong>GEJ</strong>.02_083,04] Und auf ein Haar dasselbe wird hier der Fall sein in allerKürze, und du und wir alle können dann das Weite suchen! Sei also nicht blind,und erkenne die Wahrheit![<strong>GEJ</strong>.02_083,05] Die höchsten Staatsgewaltträger sind die Römer und Griechenund sehen es gerne, wenn die Juden zu ihrer Lehre übertreten. Wie willst dusolche Übertritte verhindern, zumal es nun in ganz Galiläa eine nur zu bekannteSache ist, daß das ganze Tempelwesen nur zu sehr einer hohlen Nuß gleichgeworden ist? Und wer anders schuldet daran als die habsüchtigen Templerselbst, die den reichen Fremden ums Geld das Allerheiligste öffnen und diese,trotz aller Eide, hernach lachend und unter großem Gespött die ganze Sacheunters Volk bringen?! Gehe hin und frage sie, die Bürger dieser Stadt, und siewerden dir das erzählen, was sie uns erzählt haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,06] Sagt der Oberste: „Was sagst du? Solches alles wüßte dasVolk?“[<strong>GEJ</strong>.02_083,07] Sagt Roban: „Ja, solches alles weiß das Volk! Gehe aber hinund nimm ihm die Wissenschaft (das Wissen)!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,08] Der Oberste geht ganz ernst in der Synagoge auf und ab undsagt nach einer Weile: „Da wird wohl dieser Nazaräer Prophet seinen gehörigen— 178 —


Teil daran haben! Darum soll mit ihm geschehen, was da mit dem Johannesgeschehen ist durch den König Herodes!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,09] Sagt Roban: „Ja, ja, es kommt da nur auf einen Versuch an,sich an dem Wunderarzte zu vergreifen, und das Volk, Römer, Griechen undJuden, die ihn wie einen Gott verehren, werden dir dann ebenfalls etwas zuerzählen wissen! Ich, als Ältester von Nazareth, sage es dir und gebe dir dentreumaßgeblichen Rat: Tritt du in die bescheidenen Fußstapfen deines würdigenVorgängers Jairus, so wirst du noch eine Zeitlang gut fahren; aber wenn du so,wie nun, alles Oberste zuunterst und alles Unterste zuoberst zu verkehren dichbemühest, so kannst du dich bald um eine Gelegenheit nach Jerusalem zurückumsehen! Jairus selbst ist in den Händen der Griechen. Borus ist sein Schwiegersohn;Borus, der zweite Wunderarzt, mächtig an Schätzen aller Art, wird dirnur zu bald etwas zu erzählen anfangen! Kurz, versuche es nur und sage es mirhernach, ob ich dir einen falschen Rat erteilt habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,10] Der Oberste stampft mit dem Fuße vor Zorn in den Boden undsagt: „Ihr seid ja schon alle des Teufels und scheinet es mehr mit unsern Widersachernzu halten als mit uns und seid Anhänger der Lehre des Volksbetrügers!Darum werde ich euch alle aus der Synagoge stoßen, sie von Jerusalem aus mitneuen Leuten besetzen und euch den Gerichten überantworten! Ich frage dichdarum noch einmal: Was hast du in Sichar bei den Samaritern zu tun gehabt?“[<strong>GEJ</strong>.02_083,11] Sagt Roban: „Ich bin neunundsiebzig Jahre alt und weiß, wasich tue und zu tun habe! Deine Drohung erschreckt weder mich, noch irgendjemand anders; willst du uns aber den Gerichten überantworten, so kannst du esja versuchen, und wir werden es sehen, wer von den Gerichten am Ende eherergriffen wird, – wir oder du![<strong>GEJ</strong>.02_083,12] Glücklicherweise stehen wir beim Oberstatthalter, der einBruder des Kaisers Augustus ist und in Rom den größten Einfluß hat, sehr gutangeschrieben, darum er uns nicht gar so leicht, wie du es meinst, ins Gefängnislegen wird! Dem Jesus aber, den der Tempel haßt aus purem allerselbst- undherrschsüchtigen Grunde, hat eben der Tempel es zu verdanken, daß er von denRömern nicht schon jetzt der Erde gleichgemacht ist![<strong>GEJ</strong>.02_083,13] Von dem berühmten Steuerraube, der von den Agenten desTempels unter der Maske des Oberstatthalters erst vor kaum fünf Wochenverübt worden ist, und dessen schnöder Transport – sowie viele andere reingeraubte und mit schändlicher Gewalt erpreßten Objekte – in Kis durch dieAufseher des endlos reichen Kisjonah aufgefangen worden war, wirst du sicheretwas vernommen haben! Siehe, da war eben der vom Tempel ohne allen Grundverhaßte Jesus, den selbst die höchsten Römer mehr denn ihren Jupiter verehren,derjenige, der durch sein Wort und durch seine nie erhörten Wundertaten denallerverderblichsten Sturm von Jerusalem abgewendet hat! Er ist aber darumnoch lange nicht aufgehoben; nur irgendeine Hartnäckigkeit von eurer Seite, –und der Sturm bricht los![<strong>GEJ</strong>.02_083,14] Auch bedarf es nur einer Anzeige vom Borus, Jairus und— 179 —


espektive auch von mir, und ich erlaube dir dann, dich, dein Jerusalem unddeinen Tempel in dreimal sieben Tagen anzusehen, und du wirst schwer denPlatz finden, an dem einst der Tempel gestanden ist! – Hast du mich wohlverstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_083,15] Hier stampft der neue Oberste wieder in den Boden voll Zornund Ärger und sagt: „Wer kann solches mit einem Eide bekräftigen? Denn diesolches verübt haben sollen, sitzen im Tempel!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,16] Sagt Roban: „Nach den römischen Gesetzen wird der Täterauch nie zu einem Eide zugelassen, sondern nur die anderwärtigen Zeugen, undderen bringen sie im nötigen Falle zehntausend zusammen, und ich meine, daßdiese gegen etliche zehn Verbrecher genügen dürften!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,17] Sagt völlig niedergeschlagen der Oberste: „Also ist aufJehova, Moses und die Propheten nichts mehr zu halten, und ihre Gebote darf –der Römer wegen – kein Mensch mehr beachten?!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,18] Sagt Roban: „Rede nur du mir nicht von Moses und Jehovaund von all den Propheten! Von all dem ist weder bei dir und noch viel wenigerbei den Oberen und Allerobersten des Tempels mehr eine Spur anzutreffen;denn der ganze Tempel ist schon seit dreißig Jahren in ein Wechsel- undVerkaufshaus umgewandelt worden, und da ist von dem wahren Jehova undvom Moses schon lange keine Spur mehr anzutreffen! Das, was noch da ist, istpur Larve und Maske, und die reißenden Wölfe gehen in Schafspelzen einher,um der armen Schafe desto leichter habhaft zu werden. Gingest du nach denGesetzen Mosis, da hätte dich nie gelüstet, dir diese Stelle um viel Gold undSilber zu erkaufen! Ich aber setze dir darum mein Leben ein, wenn Moses jeirgend befohlen hat, sich die Oberpriesterstellen durch Gold und Silber zu erkaufen!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,19] Bei dieser Erwiderung des Roban zerbarst der neue Oberstenahezu vor Zorn und sagte: „Macht aber alles nichts! Ich werde darum euchallen dennoch einen Herrn finden, daß ihr euch bis zur Hölle hinab verwundernsollet; denn ich weiß auch noch um so manches, das ihr nicht wisset, und kenneso manche Wege, die euch unbekannt sein dürften!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,20] Sagt Roban: „Wohl möglich; aber es ist sehr möglich, daß unsalle deine Wege und Stege vielleicht noch besser bekannt sind denn dir, und essteht sehr in der Frage, ob wir dir nicht schon alle Wege verrammt haben, aufdenen du dir heimlich gedacht hast, uns hinter den Rücken zu kommen! Wiegesagt, mache du nur einen einzigen Versuch, dann sollst du gleich erfahren,was alles wir dir erzählen werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,21] Sagen die andern zum Roban: „Aber Bruder, warum wahrestdu denn diesen Unmenschen vor seinem sicheren Verderben? Er ist ja in unserenHänden und soll sich eine Hilfe vom Himmel rufen, so wir uns die außerordentlicheFreiheit nehmen, ihm die Steine von Nazareth zum Verkosten zu geben!“ –Hierauf zu dem Obersten: „Wir sind Pharisäer und Schriftgelehrte so gut wie du,— 180 —


und eigentlich mehr; denn wir stammen von Levi ab, während wir es wohlwissen, daß du die Abstammung dir erkauft hast, wie in dieser Zeit nun schonalles samt dem Himmel verkäuflich ist! Du bist sonach ein Eindringling insAllerheiligste und ein Gottesbetrüger und solltest für solchen Frevel füglichstgesteiniget werden; du darfst darum ja nicht gar zuviel mehr machen, und wirgreifen nach den Steinen!“[<strong>GEJ</strong>.02_083,22] Diese sehr energisch ausgesprochene Drohung machte denObersten wenigstens zum Scheine erträglicher, aber dafür desto erbitterter, under sprach nach einer Weile: „Ihr müßt mich aber auch nicht verkennen; denn mirsind die großen Mängel des Tempels so bekannt wie euch, und es handelt sichnur darum, wie dieselben zu verdecken sind, und wie der Tempel wieder zuseiner früheren Geltung gebracht werden könnte.“84. — Chiwars Zeugnis über Johannes und Jesus[<strong>GEJ</strong>.02_084,01] Sagt darauf der Redner Chiwar: „Wozu bedarf es denn für unsEingeweihte solch unsinnigster Plackerei? War ich nicht von meinem elftenJahre an bis in mein fünfundzwanzigstes ein Diener im Tempel und weiß es nurzu gut, wie dort die Dinge stehen? Hätte ich schlecht sein wollen, was alles hätteich schon seit lange her verraten können! Aber ich dachte mir: Das blinde Volkhängt dennoch am Tempel – wie zuvor![<strong>GEJ</strong>.02_084,02] Warum sollte ich dem Volke den Glauben nehmen, auf denmeines Dafürhaltens es noch immer seine unbegrenzten Hoffnungen setzt, undbei dem wir Priester wenigstens ein weltliches gutes Sein haben? Spannen wiraber nun, wo wir keinen reellen Hintergrund mehr haben, unsere Saiten zu hoch,so werden sie reißen, und mit unserem Gesange wird es dann auf einmal aussein, und wir können uns nachher um Fischernetze umsehen und dort zu fischenanfangen, wo das Meer am bodenlosesten sich zeigt.[<strong>GEJ</strong>.02_084,03] Was vermögen wir dann gegen die Macht unserer von Tag zuTag zahlreicher werdenden Feinde? Glaubst du, daß uns dann der Tempel schützenwerde? Dessen sei du ja nicht gewärtig; denn in Rom leben nun schon garviele Juden, die dort von den im Tempel widerrechtlich zusammengerafftengroßen Schätzen glänzende Häuser führen! Diese werden unsere Vertretersowenig sein wie die gegenwärtigen Templer, die ihre Flügel gleich den Schwalbenschon jetzt in der Spannung halten, bei der ersten besten Gelegenheit eineReise übers große Meer nach Italien in Europa zu machen, um nimmer wiedernach Asien heimzukehren.[<strong>GEJ</strong>.02_084,04] Darum sollte es uns allen nun ein gepriesener Rat sein, fürserste unserem Fache als Priester so würdig als möglich in aller Gelassenheitvorzustehen, und fürs zweite das römische ,In medio beati‘ (,In der Mitte liegtdas Richtige!‘) ja recht wohl zu beachten, sonst könnten wir schon in wenigJahren uns aufs Fischen verlegen![<strong>GEJ</strong>.02_084,05] Zu allem dem treten gerade in dieser Zeit zwei Männer auf,— 181 —


deren ewig unbegreifliche Macht imstande wäre, mit ihrer neuen Lehre dieganze Erde in wenigen Jahren rein für sich zu gewinnen! Johannes, der zwardem Leibe nach nicht mehr unter den Sterblichen, ist der erste, zu dessen Lehresich halb Judäa und Galiläa bekannt haben und sich jetzt noch hartnäckigerbekennen, als das zu seinen Lebzeiten der Fall war! Herodes konnte also wohl inseiner Geilheit dem Leibe des offenbarsten Propheten das Haupt nehmen; wirder aber solches auch seinem Geiste und dem Geiste seiner göttlichen Lehre zutun imstande sein? Ich glaube es ewig nicht; denn erst durch die Verfolgungwird jede gute Lehre groß und unüberwindlich stark![<strong>GEJ</strong>.02_084,06] Johannes ist zwar dem Leibe nach aus dem Wege geräumt,aber an seine Stelle trat der bekannte Jesus, gegen den sich Johannes kaum soverhält, wie ein Maulwurfshügel gegen den mächtigen Berg Ararat! Seinübermenschlich sanftes und über alle Maßen menschenfreundliches, allerfreisinnigstesAuftreten und Benehmen, die tiefste Weisheit in jedem Satze SeinerReden, deren rein göttlich salbungsvolle und leichtfaßliche Wahrheit keinenMenschen, der nur einen erbsengroßen Verstand in seinem Herzen besitzt, auchnur einen Augenblick zweifeln läßt, daß sie aus den Himmeln herabkommt –und endlich Seine Taten, von denen jeder Mensch sagen muß: So etwas kannnur Gott allein möglich sein![<strong>GEJ</strong>.02_084,07] Was wollen oder können wir nun mehr wohl gegen Ihnausrichten? Verhaßt und unerträglich können wir uns solchen zu außerordentlichenErscheinungen gegenüber wohl machen, aber sicher nicht zu unseremNutzen, sondern nur zu unserem größten Schaden.[<strong>GEJ</strong>.02_084,08] Darum heißt es hier, sich so klug als möglich zu benehmenund nie auf das Gegenwärtige, sondern vielmehr auf das Künftige all unserAugenmerk zu richten, sonst ist es mit unserem Bestande über Nacht aus!“[<strong>GEJ</strong>.02_084,09] Sagt der Oberste: „Du meinst sonach, daß man diesen Jesusnicht solle aufgreifen lassen, sondern fein abwarten, bis er uns total zugrundegerichtet haben wird?“[<strong>GEJ</strong>.02_084,10] Sagt darauf Chiwar: „Greife Ihn auf, wenn dir solches möglichist! Was haben wir nicht alles gegen Ihn unternommen, und was hat es genützt?Ich sage es dir: Sonst nichts, als daß Er um ein paar tausend Jünger reichergeworden ist und wir um dieselbe Zahl ärmer, – und daß wir bald alle das großeGlück gehabt hätten, über die scharfen Klingen der Römer zu springen, die Ihnfür einen barsten Gott halten![<strong>GEJ</strong>.02_084,11] Zudem hat Er, was auf der Erde nie erlebt wurde, stets ein paarEngel in Seinem Gefolge, die bei all ihrer scheinbaren Zartheit und Knabenschwächeaber dennoch eine Macht und Kraft besitzen, von der sich unsereüberaus kurze Weisheit noch nie etwas hat träumen lassen. Und an Denmöchtest du deine Hände legen und Ihn aufgreifen? Ich bitte dich: sei alles, abernur nicht wahnsinnig! Ehe du einen Tritt in böser Absicht gegen Ihn machst, bistdu schon gelähmt! Oder glaubst du, Er weiß es etwa nicht, was wir hier verhandeln?Ich sage es dir: da irrst du dich himmelhoch! Diese alle stehen als Zeugen— 182 —


hier, wie Er vor ein paar Tagen um jede Kleinigkeit gewußt hat, was wir umMitternacht über Ihn geredet und so leise weg beschlossen haben![<strong>GEJ</strong>.02_084,12] Es ist ganz angenehm, sich von einem großen Sturm auf demMeere etwas vorerzählen zu lassen; aber eine ganz andere Sache ist es, ihn selbstbestanden zu haben! Ich sage es dir: Verwalte du ganz ruhig und ohne Aufsehendein Amt, und es werden dich von keiner Seite her Unannehmlichkeiten treffen;wie du aber tyrannisch zu Werke gehen wirst, so stehen wir alle dir dafür, daßnicht nur du und dein Kapernaum, sondern ganz Jerusalem über den Haufengeworfen wird! Wir können durch große Klugheit das Jerusalem wohl allfällignoch fünfzig Jahre erhalten, – aber auch dessen Sturz in wenigen Wochenherbeiführen durch unsere höchst unzeitige Torheit![<strong>GEJ</strong>.02_084,13] Dir steht nun die Wahl frei, zu tun, was dir beliebt; wir habennur einen Katzensprung zu den Römern! Sie sind, gottlob, unsere Freunde; aberfür dich dürfte der Weg ein sehr weitgedehnter werden! Es erheischt ja doch diemenschliche Klugheit, eine hohle Nuß allzeit für eine volle hintanzugeben! Waswillst du denn vom habgierigen Tempel aus, der schon lange eine total hohleNuß ist, noch fischen? Ist es denn nicht bei weitem klüger, sich an dasWerdende zu halten, wo etwas darin ist? Ich sage es dir ganz unverhohlen, daßnun all die großen und mächtigsten Herren aus Rom sich von Jesus wie dieLämmer leiten lassen! Hat Er diese für Sich und Seine wahrhaft göttlich reineLehre, was sollen wir dann gegen Ihn anfangen? Wirst du nur eine Mienemachen, Ihn aufzugreifen, so wirst du schon so gut wie aufgegriffen sein, und eswird kein Mensch für deine Freilassung auch nur einen Schritt tun; benimmst dudich aber klug, so werden die Römer auch deine Freunde werden, und du wirstalso gleich dem Jairus ein gutes Sein haben! Tue aber nun, was du willst; dieFolgen werden es dir sagen, ob wir dir einen freundschaftlichen oder einenfeindlichen Rat erteilt haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_084,14] Diese Rede des Chiwar hatte ihre Wirkung nicht verfehlt; derOberste ward sanfter und fing an einzusehen, daß sowohl Roban wie Chiwarvollkommen recht hatten und versprach ihnen, daß er ihren Rat getreu befolgenwerde. – Und es war so der erste Sturm in der Synagoge gut abgelaufen.85. — Der Herr lobt Roban und Chiwar[<strong>GEJ</strong>.02_085,01] Nach einer Stunde kam Chiwar zu Mir hinaus und wollte Mirerzählen, was in der Synagoge mit dem neuen Obersten alles verhandelt ward.[<strong>GEJ</strong>.02_085,02] Ich aber sagte: „Freund, erspare dir die Mühe; denn du weißtes, daß Mir nichts unbekannt sein kann. Übrigens sage Ich dir, daß du und derRoban eure Sachen vollkommen gut gemacht habt; denn der Oberste hätte sonstnoch gar manche tolle Sachen unternommen. Aber so ist er nun überzeugt, daßes ein Unsinn wäre, gegen die Römer irgend etwas zu unternehmen, und so wirder wenigstens eine Zeitlang ruhen; aber ganz trauen dürft ihr noch lange nicht,sondern ihr müßt auf der beständigen Hut sein und ihn sozusagen nie aus dem— 183 —


Bereiche eurer Augen lassen. Dir aber will ich, weil du Mein einfrigster Verteidigerwarst und noch bist, die Fähigkeit verleihen, die Kranken durch ein rechtesGebet und durch die Auflegung der Hände zu heilen, in deinem Herzen diePläne des neuen Obersten zu erfahren und dagegen die rechten Mittel zu ergreifen,– was aber jedesmal gleich geschehen muß, ansonst es keine Wirkung hätte!Die rechten Mittel aber werden dir ebenfalls angezeigt werden. Und soempfange von Mir nun dafür den Segen!“[<strong>GEJ</strong>.02_085,03] Hier warf sich Chiwar vor Mir auf die Knie und bat Michinbrünstig darum. Ich aber legte Meine rechte Hand auf sein Herz und Meinelinke Hand auf sein Haupt, und es ward in dem Augenblicke helle in ihm. Under sprach: „Herr, nun sind alle Finsternisse aus mir verschwunden; alles ist hellein mir, und es kommt mir vor, als wäre nun mein ganzer Leib aus einer diamantenartigdurchsichtigen Materie, durch die das Licht des Tages ungehindertdringt. O Herr, belaß mir für immerdar diesen Segen; ich werde ihn sicher zuwahren und allzeit dankbarst zu würdigen verstehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_085,04] Sage Ich: „Bleibe zu allzeit tätig in Meiner Lehre, und dusollst nie über den Verlust dieses Lichtes zu trauern Ursache haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_085,05] Hier erhebt sich Chiwar und bemerkt, daß außer dem Borusund Jairus und außer der Maria und Meinen Hausbrüdern kein fremder Gastmehr gegenwärtig ist, auch sogar die zwölf Hauptjünger nirgends zu ersehensind, und fragt Mich, was denn da vor sich gegangen sei.[<strong>GEJ</strong>.02_085,06] Sage Ich: „Dies alles mußte also gehen! Siehe, es kommt baldder Herbst und dann der Winter. Die Zeit der Vollernte ist nahe, und Ich mußhinaus, muß Arbeiter dingen für Feld und Weinberg. Ist für dieses Jahr alles guteingebracht, so wird sich im Winter gut ruhen lassen; und kommt dann dasFrühjahr, so werden wir dann wieder mit erneuten Kräften vollauf zu tunbekommen.[<strong>GEJ</strong>.02_085,07] Ich werde Mich heute noch aus dieser Gegend machen; dennHerodes ist ein schlauer Fuchs, und der neue Oberste ist in seinem Solde; und essoll darum Mein Haus kein Kampfplatz des Satans werden. Meine Jünger aberhabe Ich schon vor ein paar Stunden ausgesandt. Sie zogen mit Meinem BruderKisjonah und werden dort in Kis die Jünger des Johannes erwarten und ihnenverkünden, daß das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist; sie werden abernoch heute mit den Jüngern des Johannes hierher kommen und dann mit Mir amAbende diesen Ort verlassen. Wohin wir aber ziehen werden, das wirst duschon, wie vieles andere, in dir selbst erfahren.[<strong>GEJ</strong>.02_085,08] Wirke du aber häufig mit dem Borus und Jairus; denn das sindnun die zwei würdigsten Männer in ganz Nazareth und besitzen Meine vollsteLiebe und durch Mich auch die vollste Gnade Gottes! Denn so, wie Mich diesebeiden lieben und kennen, liebt und kennt Mich bis jetzt auch nicht einer aus derZahl Meiner Jünger![<strong>GEJ</strong>.02_085,09] Alle Meine Jünger werden sich in einer gewissen Zeit, die— 184 —


nicht gar lange auf sich wird warten lassen, an Mir noch ärgern genug. Aber diebeiden wird keine Erscheinung an Mir mehr irremachen; denn sie kennen Michdurchaus ganz. – Halte dich daher an diese, so wirst auch du das erreichen, wassie selbst erreicht haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_085,10] Mit diesem Bescheide ist Chiwar auch ganz zufrieden undfragt nur noch, was da mit den beiden Engeln geschehen sei, weil auch diesenirgends mehr sichtbar wären.[<strong>GEJ</strong>.02_085,11] Ich aber sage zu ihm: „Erhebe deine Augen, und du wirst nichtnur die zwei, sondern noch zahllose Scharen um sie herum erschauen!“[<strong>GEJ</strong>.02_085,12] Hier erhebt Chiwar seine Augen. Er sieht im großen Lichte diezwei Erzengel, und um sie herum zahllose Myriaden von Engeln, die jedenAugenblick bereit sind, Mir zu dienen.[<strong>GEJ</strong>.02_085,13] Chiwar aber senkt seine Augen bald wieder zur Erde und sagt:„Herr, ich bin ein Sünder, und meine Augen können darum den zu heiligenAnblick nicht ertragen; aber es soll mein eifrigstes Bestreben sein, mich solcheines Anblickes würdig zu machen!“[<strong>GEJ</strong>.02_085,14] Sage Ich: „Tue alles recht, und dein Lohn in den Himmeln,deren Saum du nun gesehen hast, soll groß werden! Jetzt aber begib dich wiederin die Synagoge; denn dich darf der Oberste, der sich noch etliche Tage hier inNazareth aufhalten wird, nicht vermissen, denn er hält nun auf deinen Rat großeStücke.“86. — Der neue Oberste Korah und Chiwar in der Synagoge zu Nazareth[<strong>GEJ</strong>.02_086,01] Mit diesen Worten entfernt sich der ehrliche Chiwar undgelangt bald in die Synagoge und überzeugt sich aber auch gleich, daß er demObersten schon sehr abgegangen ist. Der Oberste fragt ihn auch gleich, wo undwas er nun so lange gearbeitet habe.[<strong>GEJ</strong>.02_086,02] Und Chiwar sagte: „Herr, ich hatte einen gefährlichenKranken, und dem mußte ich Hilfe schaffen. Und siehe, er ist geheilt und kannnun, da er ein Reisender ist, seinen Weg getrost fortsetzen!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,03] Fragt der Oberste: „Wohin reist er, wann reist er ab, und vonwo ist er hierher gekommen? Kann ich ihn noch sehen und sprechen?“[<strong>GEJ</strong>.02_086,04] Sagt Chiwar: „Er ist ein Jude, kam von oben her und ist jetztschon nach unten hin abgereist; du kannst ihn nicht mehr sehen und sprechen –außer, wenn er wieder zurückkommt! Wann aber das? Da dürften viele Tageverrinnen!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,05] Sagt der Oberste: „Mit dieser fuchsschwänzigen Auskunftkann ich mich nimmer begnügen! Wo ist die Herberge, daß ich selbst hingeheund mich fest erkundige nach dem von dir geheilten Reisenden nach unten hin,denn solch eine wunderbare Heilung von seiten eines Pharisäers ist einewichtige Sache und muß von möglichst vielen Zeugen bestätigt werden, ansonst— 185 —


sie keinen Glauben und somit auch keinen Wert finden kann!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,06] Sagt Chiwar: „Wenn du mehr wissen willst, als ich weiß, sowende dich an die, die mehr wissen als ich; soviel ich wußte, habe ich dir auchallertreulichst kundgemacht. Wie möglich aber sollte ich dir mehr kundtun, alsich selbst weiß? Die Herberge aber war draußen im Hause des ZimmermannsJoseph. Willst du dich aber weiter darum erkundigen, so gehe hinaus! Vergißaber ja nicht, deinen Rücken mit etwas zu verwahren; denn dort wird es anSchlägen durchaus keinen Mangel haben! Glaubst du denn, daß etwa die Leuteeinen gar so außerordentlichen Respekt vor dergleichen Menschen haben, wiewir da sind? Ich sage es dir: Keine Spur von so etwas! Bei der kleinstenUnbesonnenheit kann man seine Schläge nach dem Alphabet haben, und keinGott nimmt sie dir dann mehr von deinem Leibe! Wie gesagt, es kommt nur aufeinen Versuch an, und man kann dann schon aus der Erfahrung sprechen!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,07] Sagt der Oberste: „Aus solch einer zuversichtlichen Rede kannich nur zu gut entnehmen, daß ihr euch samt der ganzen Bürgerschaft vonNazareth gegen mich verschworen habet. Aber das tut nichts, wir werden fürdiese Hacke schon auch noch einen Stiel finden! Jetzt weiß ich schon soziemlich, wie ich hier daran bin! Ich hoffe aber, daß es mir in Kürze gelingenwird, dieses Komplott ganz zu entlarven; dann aber wehe euch und der ganzenStadt! – Wo führt der Weg hinaus zum Hause des Zimmermanns?“[<strong>GEJ</strong>.02_086,08] Sagt Chiwar: „Da sieh zu diesem Fenster hinaus! Dort in derEntfernung von etwa zweitausend Schritten siehst du ganz bequem des ZimmermannsBehausung samt dem dorthin führenden Wege. Gehe hin und überzeugedich von allem – nota bene auch von den sicheren Schlägen!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,09] Sagt der Oberste: „Aber ihr begleitet mich und dienet mir alsSicherheitswache!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,10] Sagen alle: „Daß wir Narren wären! Das werden wir bleibenlassen!Wen es juckt, der trage seinen Rücken hinaus!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,11] Sagt der Oberste: „Nun denn in Jehovas Namen gehe ichselbst hinaus, und wir wollen es dann doch sehen, ob jemand mich, als einenGesalbten Gottes, anrühren wird; denn es stehet geschrieben: ,An dem Gesalbtenaber soll sich niemand vergreifen; wehe dem, der seine Hand an das Haupt einesGesalbten legt!‘“[<strong>GEJ</strong>.02_086,12] Sagt Chiwar: „Ja, ja, was du weißt, das wissen wir schonlange! Aber Gesalbte wie wir, deren Salbung nichts als ein elendes Blendwerkist, gelten nichts mehr vor Gott, und Er wird unsere pseudo-gesalbten Häupternicht beschützen, wenn sie den Fäusten unserer Feinde nach aller Gerechtigkeitausgesetzt sein werden! Denn wie ich schon lange vorher erwähnt habe, so weißdas Volk nur zu gut, was da hinter uns und hinter dem Tempel steckt.“[<strong>GEJ</strong>.02_086,13] Sagt der Oberste: „Gleichviel, ich gehe einmal hinaus! Aberdann wehe euch allen, so ich die Sache anders finde, als du, Chiwar, es mirmitgeteilt hast, als ich dich gefragt habe, wo du gewesen seiest!“— 186 —


[<strong>GEJ</strong>.02_086,14] Sagt Chiwar: „Das, was du erfahren willst, wirst du wohlschwerlich erfahren, sondern etwas ganz anderes – und wird dir höchstens einbedeutendes Weh verursachen, während wir gar kein Weh verspüren werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,15] Auf diese Worte begibt sich der Oberste schnell hinaus.[<strong>GEJ</strong>.02_086,16] Als er aber in der Gasse geht, schreien die Jungen und dieMädchen: „Das ist der neue böse Oberste, der uns alle verderben will! Hinwegmit ihm!“ – Von allen Seiten läuft ihm jung und alt mit Knitteln und Steinen zu,und einige Steine treffen auch schon seinen Leib und versehen ihn mit blauenFlecken.[<strong>GEJ</strong>.02_086,17] Der Oberste merkt es nur zu bald, daß die Nazaräer keinenSpaß verstehen, kehrt sehr schnellfüßig wieder in die Synagoge zurück undschließt hinter sich die Türe hastig zu, in die noch eine ganze Ladung nachgeworfenerSteine einige Merkmale eindrücken, die nur zu klar besagen, wie dieNazaräer gegen den neuen Obersten gesinnt sind.[<strong>GEJ</strong>.02_086,18] Als der Oberste zu den Pharisäern kommt, sagt er voll Zorn:„Das ist euer Werk, und ich werde mich dafür an euch zu rächen wissen!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,19] Sagt Chiwar nun sehr erregt: „Was sprichst du, elender Narr!Wie kann das unser Werk sein, so wir alle dich gewarnt haben, hinauszugehen?Erst wenn du von uns dem Volke angepriesen wirst, kannst du mit dem Volkereden und mit ihm verhandeln; solange wir dich aber nicht anpreisen, wirst duallzeit mißhandelt werden, sooft du es wagst, allein die Straßen der Stadt zubetreten! Denn du bist schon darum beim Volke schwarz, weil du dir die Stelleerkauft hast! Nun du aber bei deiner ersten Ankunft uns wie das gesamte Volkauch tyrannisieren willst, um alles durch den Terrorismus ins Gleichgewicht zubringen, so haßt dich alles wie die Hölle, und ich sage es dir, du wirst nun ambesten tun, deine Stelle an einen Würdigeren zu verkaufen. Denn für deineZukunft gebe ich keinen Stater![<strong>GEJ</strong>.02_086,20] Ein wie himmelhoch anderer Mensch müßtest du werden,wenn du dich unter uns günstig erhalten wolltest! Das aber scheint dir platterdingsunmöglich zu sein. Denn bloß äußerlich eine freundliche Miene zeigen,innerlich im Herzen aber dennoch ein reißender Wolf sein, geht bei uns durchausnicht, da wir alle merkwürdigerweise soviel prophetischen Geistes besitzen,dir auf ein Haar zu sagen, was du dir in deinem durch und durch bösen Herzendenkst![<strong>GEJ</strong>.02_086,21] Ja, wenn du dein Herz gänzlich umgestaltest und dasselbe vonder reinen, göttlichen Weisheit und Wahrheit durchglühen lässest, dann werdenwir dich auch anpreisen vor dem Volke, und du wirst dann hier ein gutes Seinhaben; aber dein Hoherpriester, dein Pilatus, und noch weniger dein Herodes,werden dir hier zu nichts nütze sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,22] Sagt der Oberste: „Wie kannst du wissen, daß ich nun imErnste an diese drei Helfer gedacht habe?“— 187 —


[<strong>GEJ</strong>.02_086,23] Sagt Chiwar: „Weil auch ich etwas prophetischen Geistbesitze, der dich haarklein durchschaut, und du dich vor uns unmöglich verbergenkannst, – auch in Kapernaum so wenig wie hier; und wärest du tausendTagreisen von hier, so würden wir dich auch in solcher Entfernung durchschauen!Du wirst sonach gegen uns schwer etwas zu unternehmen imstandesein, wo wir nicht schon im voraus die tauglichsten und wirkungsvollstenGegenmittel ergreifen könnten! Bist du so mit uns zufrieden?[<strong>GEJ</strong>.02_086,24] Denn siehe, wir sind noch Priester vom alten Schrot und Korn!Der Geist Jehovas ist noch in uns, wenn er auch schon lange den Tempel zuJerusalem total verlassen hat. Willst du sonach aber unter uns bestehen, so mußtauch du ein echter Priester sein; denn als Scheinpriester wirst du dich unter unsnie halten können und wirst besser tun, deine Stelle an irgendeinen Würdigen zuveräußern, wie ich es dir schon früher bemerkt habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,25] Sagt der Oberste: „O ihr verfluchten Hurenknechte im Tempelzu Jerusalem! Mein schönes Gold und Silber hat euch geschmeckt, – aber dashabt ihr nicht bedacht, daß mir dafür statt einer ansehnlichen und einträglichenStelle ein wahres Wespennest zuteil ward! Nun wartet, es soll euch bald klarwerden, daß Korah sein Gold und Silber nicht umsonst in euren Rachen gesteckthat!“ – Nach einer Weile wendet er sich abermals an den Chiwar und fragt ihn:„Was soll ich denn tun, um mich eurer Freundschaft und der Freundschaft desVolkes teilhaftig zu machen?“[<strong>GEJ</strong>.02_086,26] Sagt Chiwar: „Ich, wie der Roban, haben dir die Weisungschon gegeben, und hier auf dem Tische liegt die Schrift; diese zeigt dir denWillen Jehovas genau an. Handle danach und nicht nach den verdammlichenMenschensatzungen des Tempels, so wirst du unter uns ein wahrhaft gutes Seinhaben! Du mußt dir das Wohlgefallen Gottes erringen, so wird dir auch allesandere von selbst hinzufallen!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,27] Sagt Korah: „Ja, das werde ich tun von nun an, soweit es nurimmer in meinen Kräften steht. Aber es wird euch doch nicht unangenehm sein,wenn ich wenigstens auf ein Jahr meinen Sitz hierher nach Nazareth verlege?Denn hier bei euch kann ich wahrlich etwas lernen, während in Kapernaum –und sicher auch in Chorazin, wie in den andern kleineren Städten am GaliläischenMeere – lauter elende Kriecher anzutreffen sind!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,28] Sagen alle: „Da wirst du sehr wohl daran tun, und uns allenwird es eine große Freude sein, dir als unserem Obersten wahrhaft dienen zukönnen! Denn hier wird kein Betrug mehr geübt, kein Tempelmist verkauft undum keine Ochsen, Kühe, Kälber und Schafe im Bethause gefeilscht; sondernunser kleines Bethaus ist noch das, was es sein soll, und in der Synagoge werdenkeine Wechseleien getrieben![<strong>GEJ</strong>.02_086,29] In unserem kleinen Bethaus lodert zwar keine Flamme überirgendeiner Bundeslade, dafür aber desto mehr und wahrhaftiger lebendig inunseren Herzen, und das ist Gott wohlgefälliger als aller Tempeldienst in Jerusalem,hinter dem kein Wahrheitsfunke mehr glüht; und es bewahrheitet sich am— 188 —


Tempel, was Gott durch den Mund des Propheten Jesaja geredet hat, da ersprach: ,Siehe, dieses Volk ehrt Mich mit den Lippen, aber sein Herz ist fernevon Mir!‘ Ist die Falschheit Jerusalems ja doch mit den Händen zu greifen!Schmücken die Priester nicht alljährlich die oft falschen Gräber der Propheten,während diese von ihren Vätern gesteinigt worden sind? Und handeln die jetztLebenden etwa anders? O nein, sie treten ihren bösen Vorfahren genau in dieFußstapfen! Den Zacharias haben sie getötet zwischen dem Opferaltar und demAllerheiligsten, und dem Johannes hat Herodes den Kopf vom Leibe schlagenlassen! Sage, was für Gottesdiener sind das wohl? Wir sagen es dir ganz unverhohlen:Das sind Diener des Satans, aber ewig nie Diener Gottes! Glücklicherweisestehen sie in unseren Händen, was sie wohl wissen; darum lassen sie unsauch fein ungeschoren![<strong>GEJ</strong>.02_086,30] Sollten sie jedoch einen oder den andern von uns noch sofreundlich nach Jerusalem zu irgendeinem Feste laden, so sind wir allzeit sokeck, die Einladung um keinen Preis der Welt anzunehmen, und erwarten lieberhier den natürlichen Tod, als daß wir etwa in allen Ehren auch nach einemkünstlichen in den geheimen Gemächern um den Tempel herum suchen sollten!Glaube uns, so klug wie die Herren im Tempel sind auch wir und schmeckenden Braten schon lange eher, als diese ihn ans Feuer setzen! Darum halte dudich nur schön fest an uns, und es wird dir durchaus nichts abgehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,31] Sagt Korah: „Jetzt bin ich mit euch schon ganz im klaren, wasmir sehr lieb ist; aber der Tempel soll sich freuen über die mannigfachenFreundschaften, die wir ihm bei guten Gelegenheiten erweisen werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,32] Sagt Chiwar: „Weißt du, absichtlich Böses werden wir ihmnicht zufügen; aber wenn er uns angreifen sollte, dann auch wehe ihm! Denn amMaterial dazu fehlt es uns doch wahrhaftig nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_086,33] Nach diesen Worten Chiwars kommt der Koch und ladet siealle zum Mittagstische.87. — Chiwar und Korah über die Erweckung der Sarah vom Tode[<strong>GEJ</strong>.02_087,01] Als alle beim Mittagstische es sich unter allerlei geistigenBesprechungen recht wohl schmecken lassen, tritt Borus in den Speisesaal, grüßtalle und führt ihnen sein Weib Sarah auf, mit dem Ersuchen, sie, weil derjüdischen Lehre angehörig, als sein rechtmäßiges Weib in ihren Büchern zuvermerken![<strong>GEJ</strong>.02_087,02] Und Chiwar holt gleich das große Ehebuch und schreibt beidesogleich als vor Gott und aller Welt vollkommen rechtmäßige Eheleute ein![<strong>GEJ</strong>.02_087,03] Aber der Oberste fragt den Chiwar, ob solches hier wohlginge, da doch erwiesenermaßen Borus ein Grieche sei.[<strong>GEJ</strong>.02_087,04] Sagt Chiwar: „Freund, hier bei uns geht alles, und es wäre eineTorheit, ein Ehepaar nicht verbinden zu wollen, das Gott schon lange zuvor— 189 —


verbunden hatte!“[<strong>GEJ</strong>.02_087,05] Sagt der Oberste: „Woher weißt du denn das?“[<strong>GEJ</strong>.02_087,06] Sagt Chiwar: „Wie ich um gar manches weiß, um was du jetztnoch lange nicht weißt, so weiß ich auch das, wenn du es jetzt auch noch nichtweißt! Darum sei du nun nur ganz ruhig; denn hier wird alles anders gehandhabtals im Tempel!“[<strong>GEJ</strong>.02_087,07] Der Oberste lächelt und stellt sich zufrieden.[<strong>GEJ</strong>.02_087,08] Borus aber zieht gleich einen schweren Beutel Goldes ausseiner Tasche hervor und entrichtet damit nach der Vorschrift seine Taxe, diefreilich bei weitem nicht so groß war wie das, was er in den Beutel hineingelegthatte, und empfiehlt sich darauf sogleich.[<strong>GEJ</strong>.02_087,09] Als Borus den Speisesaal verläßt, hebt der Oberste den Beutelund sagt: „Da sind ja über fünf Pfunde Goldes in den reinst geprägten Augustus-Stücken, – auch sind einige Tiberiusse darunter! Ist denn hier das so üblich? ImTempel wäre ein Pfund Goldes schon eine Ehrengabe!“[<strong>GEJ</strong>.02_087,10] Sagt Chiwar: „Solche Gaben sind hier nichts Seltenes; aberBorus, nach Jesus wohl der erste Arzt in der Welt, ist ein zu großer Ehrenmannund dabei zu reich, als daß er sich nur bei irgendeiner Gelegenheit schmutzigzeigen möchte!“[<strong>GEJ</strong>.02_087,11] Fragt der Oberste weiter: „Wer war denn sein gar überausschönes und liebenswürdigstes Weibchen?“[<strong>GEJ</strong>.02_087,12] Sagt Chiwar: „Das ist des Obersten Jairus Tochter, von der ichdir schon gemeldet habe, daß sie der Wunderheiland Jesus zweimal nacheinandervom Tode erweckt hat.“[<strong>GEJ</strong>.02_087,13] Sagt der Oberste: „Sie war vielleicht nur in einer starkenOhnmacht, was bei so zarten, reizenden Wesen eben nichts Neues ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_087,14] Sagt Chiwar: „Oho, wenn man über vier Tage im Grabemodert und den Leichengeruch jede noch so stumpfsinnige Nase nur zu gutempfindet – wie wir alle solchen trotz aller Salben nur zu martialisch empfundenhaben, als wir sie zur Gruft begleiteten und dort die Klagelieder absangen –, daist von einer Ohnmacht keine Spur mehr vorhanden! Aber Jesus, dem gutenHeilande, war das wunderbarst möglich, was nur Gott allein möglich sein kann,sie dennoch, bloß mit einem Worte, ohne alle sonstigen Mittel, in das schönsteLeben augenblicklich wieder zurückzurufen; und sie ist jetzt lebhafter undgesünder, als sie es je in ihrem ganzen Leben war, – denn sie ist noch sehr jungund zählt kaum sechzehn Jahre!“[<strong>GEJ</strong>.02_087,15] Fragt der Oberste: „Wie lange ist es denn schon her, daß sievom Tode erweckt wurde?“[<strong>GEJ</strong>.02_087,16] Sagt Chiwar: „Höchstens sechs bis sieben Tage! Ganz genauwüßte ich die Zeit nicht anzugeben; aber soviel ist gewiß, daß sie zu Anfang der— 190 —


vergangenen Woche vom Tode wieder zum Leben erweckt worden ist.“[<strong>GEJ</strong>.02_087,17] Sagt der Oberste, ganz außer sich vor Verwunderung: „Das istwirklich etwas, das auf der Erde noch nicht erlebt worden ist! Nun die heitereFrische dieses liebsten Weibchens und doch schon als Leiche vier Tage imGrabe!? Wahrlich, das ist unerhört, vorausgesetzt, daß ihr mir wohl die volleWahrheit kundgebet, was ich nun nicht mehr bezweifeln will; denn dieser Ortscheint aus lauter Wundern zusammengesetzt zu sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_087,18] Sagt Chiwar: „Jawohl, es ist wahrlich also! Besonders aberzieht vor allem eben der besagte Heiland Jesus alle erdenkliche Aufmerksamkeitauf Sich; denn Seine Leistungen überbieten in einem unbeschreibbar höchstenGrade alles und jedes, was je von den Erzvätern durch Moses geschriebenworden ist, und was alles wir von den großen Propheten wissen! Denn das istnoch nie dagewesen! Es gibt dir keine noch so böse Krankheit, die Er nichtaugenblicklich durchs pure Wort heilt, ohne den Kranken zu sehen oder zuberühren! Will Er etwas anderes, so geschieht es im Augenblick![<strong>GEJ</strong>.02_087,19] So ist zum Beispiel die vor etwa vier Tagen erfolgte Abdankungdes Jairus und die im selben Augenblick im Tempel zu Jerusalem demHohenpriester präsentierte Abdankungsurkunde ja doch mehr als ein Wunder!Auf dem natürlichen Wege wäre diese Urkunde vielleicht kaum heute erst in dieHände des Hohenpriesters gelangt; so aber hast du schon vor zwei Tagen inKapernaum und heute in aller Frühe von dort hier eintreffen können, – und es istdabei durchaus kein Versehen in der Regel und alten Herkömmlichkeit geschehen!Du bist nun auf diesem wunderbarsten Wege vollkommen oberster Priestervon ganz Galiläa, und die Abdankung des Jairus liegt vollkommen mit allenerforderlichen Beigaben und Erklärungen in den Händen des Oberpriesters imTempel, und alles das kostete einen und denselben Augenblick! Also ist es unsvon getreuen Zeugen erzählt worden, daß eben dieser Jesus erst vor wenigenWochen einen allergewaltigsten Meeressturm bedrohte, – und das Meer und dieWinde gehorchten augenblicklich dem Worte des Heilandes! DergleichenHistörchen könnte ich dir noch in Menge kundtun; aber es ist für den Augenblickdie Zeit nicht dazu. Man könnte nun meinen, dieser Mensch sei einSöldling des Satans, wenn einen Seine Worte, Lehren und lieblich ernstenErmahnungen nicht eines Bessern belehrten![<strong>GEJ</strong>.02_087,20] Ich sage es dir offen, treu und wahr: Unbegreiflich wunderbarsind Seine Taten; aber sie verschwinden als leere Nebensachen gegen diewunderbarste Macht Seiner Reden und Lehren! Da vernimmst du Wahrheiten,von denen es nie einem Propheten geträumt hat! Er stellt dir das Leben einesMenschen auf eine Art dar, nach der kein Mensch nur einen allergeringstenZweifel haben kann, ob seine Seele sterblich oder unsterblich ist. Die Unsterblichkeitwird dir auf eine so handgreifliche Weise dargestellt, daß du aber auchkeinen Augenblick zweifeln kannst, daß es nach des Leibes Tode ein ewigesFortleben der Seele durch den in ihr wohnenden göttlichen Geist gibt.[<strong>GEJ</strong>.02_087,21] Kurz, es ist dieser Jesus dir ein Mensch von so ungewöhnli-— 191 —


chen Fähigkeiten, daß man mit dem besten Gewissen sagen muß: Solch einenMenschen hat die Erde seit Adam nie zu ihrem Bewohner gehabt! Alle Elementegehorchen Ihm, Myriaden Geister sind zu Seinen Diensten stets bereit, und sohabe ich auch von mehreren Seiner Jünger erfahren, daß Er auf Seiner Reise vonSichar nach Kana in Galiläa am hellsten Mittage die Sonne augenblicklich totalfinster gemacht hat, aber sie dann in einigen Augenblicken darauf wieder so hellwie zuvor hat leuchten lassen![<strong>GEJ</strong>.02_087,22] So erzählten uns Roban und mehrere hundert Zeugen, die wirausgeforscht haben, daß Er in Sichar zwei alte, verfallene Burgen, das alte HausJosephs und Benjamins und das alte Schloß Esaus, das nun dem reichenKaufmanne Jairuth gehört, auf Sein Wort in einem Augenblick derart hergestellthat, daß darüber alle dortigen Baumeister ganz offen bekennen, daß sie mit einersolchen Herstellung der beiden alten Burgen bei allem Fleiße zum wenigstenzehn volle Jahre zu tun gehabt hätten, so sie solchen Wiederaufbau auf natürlichemWege hätten zur Bewerkstelligung überkommen! Dazu aber ist dasüberaus weitläufige Gebäude in einem Augenblick aus dem festesten Baumaterialnicht für sich allein fertig dagestanden, sondern mit allen möglichen Erfordernisseneingerichtet, und das in einer so zweckmäßigen und zugleich überausschönen Art, wie man so etwas, aus den Händen der Bauleute hervorgehend, aufdieser Erde wohl nirgends mehr zu sehen bekommen kann![<strong>GEJ</strong>.02_087,23] Ebenso erzählte mir ein gewisser Grieche aus Kana in Samaria– sein Name war Philopold – nahezu unglaubliche Dinge, die ich dennochglauben mußte, weil er mir dafür tausend Zeugen vorführte.[<strong>GEJ</strong>.02_087,24] Wenn aber meiner, nur für mich geltenden Ansicht nach einMensch solche Dinge vollbringt, so halte ich ihn für mehr als einen Menschenund für mehr als den größten Propheten! Er sagte freilich vor etlichen Tagen –ich glaube am See bei einer Fischerei, die auch eine vollkommen wunderbare zunennen war –, daß solches jeder Mensch bewirken könnte, so er einen festen,vollkommen zweifellosen Glauben hätte. Aber da meine ich, daß ein solcherGlaube ebenso wunderbar wäre als das größte Wunder selbst; denn ein solcherGlaube kann nur eine helle Folge der in sich klar bewußten Fähigkeit sein, diejedes erdenkliche Gelingen in sich schließt.[<strong>GEJ</strong>.02_087,25] Wer seine Kräfte kennt, der muß ihnen auch soweit trauen, alser sie für die Effektuierung einer Sache oder überhaupt eines Werkes als hinreichendaus vieler Erfahrung schon lange im klaren Bewußtsein hat. Wenn derMensch aber seinen Glauben aufs Gelingen über seine ihm bewußten Kräftehinaus spannen sollte, so wird solch einen Glauben meiner Ansicht nach sobaldder Zweifel zu begleiten anfangen, als er eine zu hebende Last vor sicherschauet, für deren Bemeisterung er, sich nur zu klar bewußt, bei weitem nichtdie hinreichenden Kräfte in sich fühlt.[<strong>GEJ</strong>.02_087,26] Wenn ich einen Stein von etlichen Pfunden vor mir auf derStraße liegen sehe, der mir im Wege ist, so werde ich wohl keinen Augenblickzweifeln, daß ich den Stein mir, wenn ich es nur will, aus dem Wege räumen— 192 —


kann; liegt aber auf dem Wege ein Felsblock von vielleicht hunderttausendPfunden, da glaube ich, daß es mit dem ungezweifelten Glauben ganz verzweifeltschwer halten wird. Wenn ich meinen Willen noch so anstrengte, so wirddas wahrscheinlich nichts nützen, weil mir die subjektive Überzeugung totalfehlen muß, daß man mit einer Hebekraft für höchstens zweihundert Pfundeauch einer Last von hunderttausend Pfunden Meister werden kann.[<strong>GEJ</strong>.02_087,27] Nun aber ist diesem Jesus wie einem Gott alles möglich!Seinem Willen ist ein Berg ebensowenig wie ein Sonnenstäubchen! Erde, Luft,Wind, Wasser und Feuer gehorchen Ihm wie die Lämmer ihrem Hirten, und denBlitz leitet Er tausend Male sicherer als der beste Schütze den Pfeil von seinemBogen! – Was folgt aber hieraus? Ich bitte nun dich, darüber als unser Obersteruns deine Meinung kundzutun!“88. — Chiwars Ansicht vom Tempel[<strong>GEJ</strong>.02_088,01] Sagt der Oberste: „Wenn das alles sich also verhält, was ichgeradewegs nicht bezweifle, so muß er auf eine unbegreifliche Weise ohneweiteres mit dem allmächtigen Geiste Jehovas in einem engsten Bunde stehen,etwa gleich einem Moses oder Elias, welch letzterer auch das Feuer vomHimmel rufen konnte, das ihm gehorchte. Er mag vielleicht auch noch somanches Wunderbare gewirkt haben, das da nicht aufgezeichnet worden ist,wovon aber wohl noch Volkssagen vorhanden sind, denen man freilich nurwenig Glauben schenken kann; aber im ganzen könnte doch viel Wahres darankleben![<strong>GEJ</strong>.02_088,02] So soll eben der Elias, so mich mein Gedächtnis nicht trügt,einmal bei einer Gelegenheit einen ganzen Haufen Totengerippe auf einemSchlachtfelde belebt und mit Fleisch, Haut und Haaren versehen haben! Alsohabe er auch bei einer andern Gelegenheit alle Grundquellen des großen Euphratversiegen lassen auf drei Jahre und gebot dazu auch den Wolken, drei Jahre langden Himmel zu meiden. Erst als die Menschen eine rechte Buße taten, öffnete erwieder die Quellen der Ströme und gebot den Wolken, daß sie aufzögen amFirmamente und Wasser gäben dem dürre gewordenen Erdboden! Und soerzählt man noch eine Menge von diesem merkwürdigsten aller Propheten, dasaber mit der Zeit doch sehr entstellt werden mochte, und man sagt, daß ebendieser Elias vor dem Ende der Welt noch einmal wiederkommen werde, daß erdurch große Zeichen die Menschen bekehre zur Buße, indem bekanntlich dieserrätselhafte Prophet nie gestorben, sondern in einem feurigen Wagen in dieHimmel aufgefahren ist. Es kann sonach ja sehr leicht sein, daß dieser Jesus einTräger des Geistes des großen Propheten ist und deshalb, als mit der MachtJehovas im engsten Verbande stehend, nun solche Taten, die nur Gott möglichsein können, verrichtet!“[<strong>GEJ</strong>.02_088,03] Sagt Chiwar: „Deine Ansicht ist durchaus nicht schlecht, undich möchte dir fast beistimmen, wenn ich nicht eben bei diesem Jesus so mancheDinge mit meinen höchst eigenen Augen gesehen hätte, die den ganzen Elias— 193 —


eine ganze Unendlichkeit weit hinter sich zurücklassen. Du möchtest hierfreilich fragen und sagen: ,Welche denn? Wie heißen sie?‘ Aber ich müßte diroffenbar gestehen, daß mir, um das zu beschreiben, die Worte vollkommenmangeln würden; denn das muß man selbst gehört, gesehen und gefühlt haben,sonst kann man sich davon durchaus keinen Begriff machen. Und ich bin darumder Ansicht von nun mehreren Tausenden, daß dieser Jesus platterdings derverheißene Messias ist! Denn ich frage jeden, ob dieser, so er noch zu einerandern Zeit kommen sollte, größere Zeichen tun werde!? Zudem stammt Er nachder Chronik, die bis zum Großvater Josephs reicht, in der geradesten Linie vonDavid ab. (Matth.1,1-17). Achim war ein Vater Eliuds, Eliud ein Vater Eleasars,dieser ein Vater Matthans, dieser ein Vater Jakobs, und Jakob war der VaterJosephs, und dieser ein Vater unseres Jesus. Gehe nach dieser Chronik weiterzurück, und du kannst in der geradesten Linie auf David zurückkommen; nunaber steht es geschrieben, daß der Messias von David abstammen werde, unddaß Ihn jedermann an Seinen Taten erkennen werde.[<strong>GEJ</strong>.02_088,04] Diesem Jesus fehlt dafür meiner Ansicht nach nun gar nichts;die Abstammung ist authentisch gewiß, und Taten, wie solche, die die Erde aufihrem Boden nie erlebt hat, sind auch in der überschwenglichsten Fülle vorhanden.Ich weiß demnach wahrlich nicht, was uns daran hindern sollte, Ihn alsDenjenigen anzunehmen, der Er offenbarst ist!?[<strong>GEJ</strong>.02_088,05] Daß sich der herrschsüchtige Tempel nicht leichtlich dazubequemen wird, läßt sich wohl mit den Händen greifen; aber wir sollten uns dadurchaus nicht mehr nach dem Tempel richten, der meiner Ansicht nachvollkommen tot ist und uns fürderhin weder einen Schutz, noch eine Weisheitund noch weniger irgendeinen bleibenden Unterhalt verschaffen kann, – außerwir geben ihm zuvor für eine Stelle so viel, daß davon zehn Menschen hundertJahre lang ganz gut leben könnten.[<strong>GEJ</strong>.02_088,06] Berechne du nur die Summe, die du für die Oberstenstelle imTempel mit Gold und Silber bezahlt hast, und du wirst es leicht finden, daß dumit dem Gelde gar leicht, und das fürstlich, hundert Jahre lang ausgereichthättest! Laß dich aber hier von den Römern bedrängen und suche dagegen imTempel um Schutz an, und man wird dir nicht nur keinen gewähren können,sondern auch nicht wollen, und man wird dich höchstens, um einige Hände vollSilberlinge, mit doppelsinnigen Tröstungen ungefähr auf die Art abfertigen, wiedas berühmte Orakel zu Delphi – natürlich um viel Gold und Silber – die Fragestellerabfertigt, daß hernach das Orakel allzeit recht hat, ob nun dem Fragestelleretwas Gutes oder etwas Böses widerfährt![<strong>GEJ</strong>.02_088,07] Ich kenne gottlob die ganze gegenwärtige Lumperei desTempels und mache mir darum auch durchaus kein Gewissen daraus, denselbenso dick als nur immer möglich hinters Licht zu führen, welcher Art es auch sei!Denn, Freund, wer in dieser Zeit vom Tempel nicht auf das allerdickste hintergangensein will, der muß sich die kluge Mühe geben, den Tempel selbst so dickals nur immer möglich zu hintergehen! Oder meinst du, daß du mit einem ehrli-— 194 —


chen und rechtlichen Gemüte und Gesichte im Tempel etwas ausrichten wirst?Oh, dessen rühme sich ja keiner! Gehe aber mit einem so recht verschmitztenGemüte und Gesichte hin, und ich stehe dir dafür, daß du die Templer nachdeinem Belieben wie eine Schnur um den Daumen winden kannst![<strong>GEJ</strong>.02_088,08] Ich kann mich noch sehr gut eines gewissen Bars entsinnen,der da ein beschnittener Grieche war. Er mußte schon ein großes Vermögenbesessen haben, weil er voll Perlen und Diamanten war. Dieser Mensch hatte dirso ein verschmitztes Gesicht, sprach wenig, und was er sprach, war doch sogewiß eine allerabgefeimteste Lüge, wie ich Chiwar heiße. Er verlangte aberbloß tausend Pfunde Goldes und gab dafür eine Pergamentrolle, die höchstenseinen halben Stater wert war. Der Hohepriester zuckte zwar sehr mit denAchseln; aber Bar schnitt dazu eine Miene, wie ich sie in meinem Leben kaumje wieder zum zweiten Male sehen dürfte, und sprach dazu ganz höhnisch: ,Hm,aut Caesar – aut nihil!‘,* worauf der Hohepriester – Gott weiß, aus welchemGrunde – ganz blaß wurde und dem Bar sogleich die tausend Pfunde Goldesverabfolgen ließ, von denen der Tempel nie mehr auch nur um ein Haar schwerzurückbekam; denn es hatte sich erst nach einem Jahre aufgeklärt, daß dieserBar nichts als ein allerabgefeimtester Betrüger war, der mit allen Satanszaubersalbengesalbt war, um auch dem Hohenpriester tausend Pfunde Goldes herauszuschrecken.*) "Entweder Ceasar oder nichts!" d.h.: entweder alles oder nichts.[<strong>GEJ</strong>.02_088,09] Es kamen aber daneben auch oft ganz ehrliche Juden, die imTempel ein Geld ausborgen wollten gegen gute Pfänder; nichts bekamen sie,denn sie taten viel zu ehrlich und hatten auch viel zu rechtliche Gesichter! – Undso ist mein Grundsatz bei mir festgestellt: Man muß den Tempel hinters Lichtführen, so man von ihm nicht hinters Licht geführt werden will! Und so werdeich auch ewig den Tempel nicht fragen, ob Jesus der verheißene Messias sei,sondern Er ist es für mich auch ohne Tempel! – Was sagst du zu dieser meinerMeinung?“89. — Unterredung zwischen Korah und Chiwar über den Messias. Satanfordert Chiwar zum Kampf heraus[<strong>GEJ</strong>.02_089,01] Sagt der Oberste: „Freund, ich liebe dich; denn eine so ehrlicheSeele wie du ist mir noch nicht untergekommen! Wahrlich, du hast ganzrecht! Ich kenne diesen Jesus noch viel zu wenig, als daß ich gleich vollaufdeiner Ansicht mich anschließen könnte! Aber soviel meine auch ich: wenn dieVerheißung nicht eine ganz hohle Nuß ist, die sich geschichtlich gewiß seitDavid her wenigstens irdisch noch nie bestätigt hat – denn vom ewigen ReicheDavids sind nun die Römer ein noch handgreiflicherer Gegenbeweis als dievierzig Jahre andauernde babylonische Gefangenschaft –, so bin ich gar nichtabgeneigt, mit dir den Glauben zu teilen. Aber es fragt sich nun nur darum, waszu all dem ihr alle saget, und was die Priester und Pharisäer der anderenStädte!?“— 195 —


[<strong>GEJ</strong>.02_089,02] Sagt Chiwar: „Was ich dir hier sage, ist unser aller Stimme indieser Stadt; die zu Kapernaum sollen zufolge einiger derber Lektionen, dieihnen bei verschiedenen Gelegenheiten zuteil geworden sind, nicht ferne davonsein, und was die noch andern Städte betrifft, das lassen wir einstweilen auf sichberuhen und lassen sie bis auf ein günstiges Weitere bei ihrem alten Wahne![<strong>GEJ</strong>.02_089,03] Wenn hier dein Sitz für die Zukunft ist, da laß nur mich Sorgetragen, und Galiläa steht in wenigen Jahren, als für sich abgeschlossen, vomTempel vollkommen unabhängig da! Galiläa steht ohnehin im Tempel auf demletzten Pergamentblatte angeschrieben! Was liegt nun daran, so wir auch diesletzte Blatt ausreißen? Die Römer und Griechen haben wir für uns, und das fest,und so ein bißchen von der allmächtigen, lebendigen Gnade Gottes auch, und essoll dem Tempel ganz verzweifelt sauer werden, unsere Ysopstauden zubelecken!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,04] Sagt Korah, der Oberste: „Ich gebe dir in allem ganz recht undbin nun auch auf einmal mehr noch denn früher überzeugt, daß du recht hast;aber bedenken müssen wir immer, daß der Erzengel Michael, als der mächtigstealler Himmelsgeister nach Gott, mit all seiner Kraft und Macht drei Tage undNächte einen harten Kampf mit dem Satan um den Leib Mosis zu bestehenhatte! Nun, wenn es der Satan mit uns aufnähme, wie würden da wir den Kampfmit ihm bestehen?“[<strong>GEJ</strong>.02_089,05] Sagt Chiwar: „Nicht mit einem, sondern mit zehntausendSatanen nehme ich's allein auf, obschon ich noch gar lange kein Michael bin!Man muß nur Mut haben und dem bösen Luder alle Wege verlegen, so richtet erauch mit seiner ganzen Hölle voll Teufel nichts aus; aber wenn man ihm einmalBlößen zeigt, wo er leicht einen Anhangspunkt finden kann, dann dürfte derKampf freilich ums hundertfache schwerer werden![<strong>GEJ</strong>.02_089,06] Aber so wahr ein Gott mich erschaffen hat: einen Tempelwerde ich darum dem Satan nie erbauen und ihm Weihrauch streuen, daß ermich darum in der Ruhe belassen möchte! Er komme, so es ihn gelüsten sollte,mit Chiwar einen Kampf zu beginnen, und ihr sollet Zeugen sein, daß ich mitihm eher denn in drei Tagen fertig werde!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,07] Sagt der Oberste: „Freund, du wagst viel, als Mücke es miteinem Löwen aufzunehmen und ihn sogar zum Kampfe ordentlich herauszufordern,während du nur Gott bitten solltest, daß Er dich für ewig vor den Nachstellungendes Satans verschonen möchte!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,08] Sagt Chiwar: „Freund, ich kenne aber einen Namen, unddieser genügt für Legionen von Satanen und Teufeln! Wo ist er denn, so er Mutbesitzt, sich mit mir in einen Kampf einzulassen?[<strong>GEJ</strong>.02_089,09] Die Mücke ist zwar hinsichtlich der Stärke ein purstes Nichtsgegen einen Löwen; aber so die Mücke es will, treibt sie den stärksten Löwendennoch in eine tagereisenweite Flucht! Sie stößt fliegend in sein Ohr undsummt ihm im Ohre also, daß der Löwe am Ende der Meinung wird, es brause— 196 —


der höchste Sturm, und der Tiere König ergreift bald die schmählichste Flucht![<strong>GEJ</strong>.02_089,10] Und so ist es gerade nicht notwendig, dem Mächtigen gegenüberübermächtig zu sein, sondern da geht die rechte Klugheit über alles! Siehe,du selbst bist mit einer starken Portion des echten Satanismus zu uns gekommen;und siehe meine etwaige Klugheit hat ihn zuschanden gemacht, und dustehst nun als ein freier Mann und als ein von uns erwählter Oberster vor unsallen, und es hat uns darum der Satan noch keinen Schaden zuzufügen vermocht– und wird uns auch fürder keinen zuzufügen vermögen![<strong>GEJ</strong>.02_089,11] Ich weiß, was ich weiß, und kann, was ich kann; aber dafürstehe ich, daß der Satan in Ewigkeit mein Meister und Herr nicht wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,12] Sagt Korah: „Freund, rede nicht zu laut; denn der Böse sollseine Augen und Ohren überall haben! Mit der Hilfe Jehovas und deines mirnoch zu wenig bekannten Messias wird er uns wohl freilich nichts anhabenkönnen; aber herausfordern wollen wir ihn durchaus nicht! Gott behüte uns vorseinem wie immer gearteten Besuche!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,13] Sagt Chiwar: „Allerdings werde auch ich den Kampf nichtwünschen, – aber auch nicht die allerleiseste Furcht davor haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,14] Als Chiwar solche Worte ausgeredet hatte, siehe, da trat aufeinmal ein unbändig großer Riese in den Speisesaal und mit hohnzorniger Mienevor den Chiwar hin und sagte mit einer donnerähnlichen Stimme, daß darob diePfeiler des Saales erbebten: „Bist du die lose Mücke, die in des Löwen Ohr einSturmgetobe erheben will? Versuche es, du elender Wurm des Erdstaubes, wiedu kämpfend mit mir zurechtkommen wirst! Ich vermag auch etwas, das dirnoch sehr unbekannt sein dürfte! Siehe, dein Messias hängt nur von meinerGroßmut ab, weil es für mich denn doch nicht gar zu ehrenvoll ist, mit Mückenmich in einen Kampf einzulassen; aber wenn er mir viel Flausen macht, so laßich ihn ohne weiteres ans Querholz spannen, und du kannst dann deinen Messiasam Querholze anbeten! – Was aber willst du nun machen, so ich dich augenblicklichin sonnenstaubgroße Stückchen zerreiße?“[<strong>GEJ</strong>.02_089,15] Hier erhebt sich Chiwar ganz sachte von seinem Platze undherrscht den Riesen, respektive Satan, mit folgenden Worten an: „Wie duElender hereingekommen bist, so siehe wieder – und zwar mit dem ernstenVorsatze, ewig nie mehr diese heilige Stätte zu betreten – ebenalso hinauszukommen,sonst richte dich Jesus der Herr!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,16] Bei der Nennung des Namens Jesus wich der Riese gleichmehrere Schritte zurück und drohte höchst zornglühend, ihm diesen verhaßtestenNamen ewig nie wieder zu nennen![<strong>GEJ</strong>.02_089,17] Chiwar aber sagt: „Ich muß in deinem Ohr ja ein Gesäusemachen, auf daß du erfahrest, wie der Löwe vor einer summenden Mückeflieht!“ – Hierauf beginnt er wieder: „Jesus, der Sohn des Allerhöchsten, richteund züchtige dich! Jesus, der Sohn des Allerhöchsten, treibe dich ewig von hieraus! Jesus, der Sohn des Allerhöchsten, züchtige dich für deine zahllosen— 197 —


Frevel!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,18] Der Satan wartete aber die letzte Strophe nimmer ab, sondernentfernte sich mit einem Donnergeheule.[<strong>GEJ</strong>.02_089,19] Hierauf sagt Chiwar zu dem vor Angst noch wie das Espenlaubbebenden Korah: „Hast du nun gesehen, wie man den Löwen in die Fluchttreiben kann? Warum hat er mich denn nicht sogleich zu Staub zerrissen? Siehe,das ist seine Ohnmacht! Er komme nur wieder, wenn es ihn jucken sollte, undich stehe dir bei dem Namen meines Jesus dafür, daß er ein zweites Mal nochgeschwinder hinauskommen wird, als er diesmal hinausgekommen ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,20] Sagt der Oberste: „Höre Freund, deinen unbegreiflichen Mutbewundere ich über alle Maßen, und – bei allen Erzvätern! – ich fühle mich nunganz in deren wundervolle Zeiten zurückversetzt! Aber laß es dir dennochgesagt sein, den Satan ja nie wieder zu einem neuen Kampfe aufzufordern; denner ist endlos erfinderisch und soll alle Gestalten, selbst die eines Lichtengels,annehmen können, und ich glaube, daß er in einem sanften himmlischen Anzugebei weitem gefährlicher ist als in dem, in welchem wir ihn jetzt zu erschauen diewahrhaft höllische Ehre hatten!“[<strong>GEJ</strong>.02_089,21] Sagt Chiwar: „Den Probierstein haben wir ja, und an dem läßtsich gleich erkennen, wessen Geistes Kind irgendeine wie immer gestalteteErscheinung ist! Aber wir können nun völlig ruhig sein; denn für diesmal dürfteer auf lange Zeit genug haben!“90. — Korah erinnert sich des Herrn von der Tempelreinigung in Jerusalemher[<strong>GEJ</strong>.02_090,01] Darauf fragte Korah den Chiwar, ob Ich Mich noch in demOrte aufhielte, und ob er mit Mir nicht eine nähere Bekanntschaft machenkönnte. Und er redete weiter und sprach: „Ich bin nun vollkommen innegeworden,daß in deinem Messias etwas außerordentlich Göttliches liegen muß; dennin der Gunst des Satans steht er in keinem Falle, und sein Name scheint demSatan die größte Qual zu sein! – Das sind zwei, freilich auf dem wunderbarstaußerordentlichen Wege erfahrene Tatsachen, die ich mir ewig nie werdehinwegleugnen können, und ich entnehme nun ruhigeren Gemütes daraus, daßdu mit dem Ausrufe ,Sohn des Allerhöchsten‘ auch im allerhöchsten Grade rechthaben dürftest, und so möchte ich, wenn es tunlich wäre, dennoch eine Bekanntschaftmit ihm machen. Führe du mich hinaus!“[<strong>GEJ</strong>.02_090,02] Sagt Chiwar: „Es wäre alles recht, und ich wäre wohl amersten geneigt, dich hinaus zu Ihm zu führen; aber das Volk ist nun gegen dichnoch ein wenig schwierig, und wir liefen durch den Mutwillen des gemeinenPöbels in die Gefahr, mit einem Steinwurfe verwundet zu werden; und zugleichbereitet Er Sich zur Abreise vor, so daß es Ihm darum etwa doch nichtangenehm wäre, so wir Ihm zur Last fielen! Er kommt aber gegen den Winterentweder wieder hierher oder nach Kis und wird an einem dieser benannten Orte— 198 —


den Winter zubringen, und wir werden da Gelegenheit genug bekommen, Ihnnäher kennenzulernen; darum meine ich, daß wir für diesmal das Vorhaben, Ihnnäher kennenzulernen, bis zum Winter hin aufgeben sollten.“[<strong>GEJ</strong>.02_090,03] Sagt Korah: „Es ist alles wahr, was du nun gesagt hast; aberdessenungeachtet kann ich mich der Sehnsucht nicht erwehren, diesen gar zuaußerordentlichen Menschen, durch den alle Fülle der göttlichen Macht, Kraftund Herrlichkeit tätig ist, persönlich kennenzulernen! Oder warte, mir fällt nuneine Geschichte vom Osterfeste zu Jerusalem im Tempel ein! Am Ende war eseben dieser Jesus, der an einem Nachsabbat, wenn ich mich nicht irre, alleKäufer und Verkäufer aus dem Tempel trieb und allen Wechslern ihre Budenwie ein Sturm umstieß!? Alle verkäuflichen Tiere fingen gräßlich zu heulen anund rannten in wildester Hast aus den Verkaufshallen des Tempels![<strong>GEJ</strong>.02_090,04] Denn jener Mann, den ich selbst gesprochen habe – freilich inkeinem freundlichen Sinne –, war auch ein Galiläer und hieß ebenfalls Jesus,und mit ihm waren eine Menge anderer, höchst ordinär aussehender Männer undWeiber, und es sah die ganze Gesellschaft einer ganz gewöhnlichen galiläischenLandstreichergesellschaft gleich; aber ihr Anführer Jesus sah ganz einemMenschen gleich, hinter dem etwas Ungewöhnliches verborgen ist.[<strong>GEJ</strong>.02_090,05] Er sprach im Grunde nicht viel; aber was er sprach, war tief,wahr und gehaltvoll! Er hat damals auch in Jerusalem eine Menge Krankergeheilt; als aber die Sache, ich glaube – vor den Herodes kam, den dieser Jesusbedeutend fürchten soll, da verschwand der Wundermann bei Nacht und Nebelplötzlich aus Jerusalem, und wir konnten es nicht erfahren, wohin er sich gewendethatte. Nach Galiläa muß er nicht gekommen sein – gleich von Jerusalemweg; denn da hätten wir von ihm sicher sobald eine Nachricht erhalten, da wirviel Kundschafter nach ihm ausgesandt haben.[<strong>GEJ</strong>.02_090,06] Es kamen uns wohl nach ein paar Wochen Gerüchte vomZimmermannssohne Jesus zu; aber wir konnten es denn doch nicht annehmen,daß jener bekannte, einfache, stille und wissenschaftlich durchaus ungebildete,sogar des Lesens und Schreibens unkundige Mensch eben derselbe gewaltigeJesus sein könnte, vor dem im Tempel zu Jerusalem Tausende wie vor einemGottesgerichte gebebt haben. Aber wenn hier der bekannte Zimmermann Jesuses ist, der solche Gottestaten übt, so wird er sicher auch der gleiche Jesus sein,der zu Ostern ganz Jerusalem erschreckt hat! Nun, wenn der es ist, so kenne ichihn schon von Jerusalem aus und brauche ihm daher nun gar nicht lästig zufallen!“[<strong>GEJ</strong>.02_090,07] Sagt Chiwar: „Ja, es ist ein und derselbe! Ich kenne Ihn schonmehrere Jahre, wie auch den alten Joseph, der erst vor etwa einem Jahr gestorbenist; ich habe an Ihm fürwahr nicht die leiseste Spur von etwas Außergewöhnlichementdeckt, obschon – wie man mir hie und da erzählt hat – sich beiSeiner Geburt, die zu Bethlehem in einem Schafstalle erfolgt ist, ganz außerordentlicheDinge sollen zugetragen haben, sowie nachher bis in Sein zwölftesJahr. Aber vom zwölften Jahre an habe sich all das Außerordentliche verloren,— 199 —


die großen Hoffnungen Seiner Eltern gingen unter, und Er blieb bis nun, respektivein Sein dreißigstes Jahr, das eben das gegenwärtige ist, ein höchst unbeachteter,allereinfachster Zimmermann![<strong>GEJ</strong>.02_090,08] Er war überaus wortkarg; man bekam auf zehn Fragen kaumeine, höchst einsilbige Antwort; dagegen war Er aber dennoch stets wohltätiggegen Kinder und Arme. Man habe Ihn öfter beten und auch weinen – aber stetsim stillen –, doch nie lachen sehen; lustige, lärmende Gesellschaften floh Er undliebte vor allem die Einsamkeit; das Merkwürdigste von allem aber war, daßman Ihn nur höchst selten in einer Synagoge sah, ebensowenig in einer Schule,die Er nur auf vieles Zureden Seiner Eltern ein paarmal im Jahre besuchte,dieselbe auch allzeit sichtbar ärgerlich bald verließ; in einem Bethause aber habeIhn nie jemand gesehen. Wegen solcher Seiner Sonderbarkeit kam es denn auch,daß Er von vielen als etwas blödsinnig angesehen wurde.[<strong>GEJ</strong>.02_090,09] Aber mit Seinem dreißigsten Jahre verschwand Er auf einmalaus Seinem elterlichen Hause und soll Sich eine Zeitlang in der Wüste beiBethabara, wo am kleinen Jordan der berühmte Johannes sein Wesen trieb,aufgehalten haben und Sich von selbem haben taufen lassen. Von da zog Erdann also, wie Er jetzt ist, voll göttlicher Kraft aus, lehrte das Volk vom Gottesreiche,machte alle die Kranken gesund und trieb von den Besessenen die bösenGeister aus. Das ist so ungefähr, ganz kurz gefaßt, Seine diesirdische Lebensgeschichte,die ich zum Teil selbst von Ihm erfahren, jedoch zum Großteile durchsHörensagen in meine Wissenschaft gebracht habe.“[<strong>GEJ</strong>.02_090,10] Sagt Korah: „Ja, ja, du wirst recht haben! Diese Geschichte inBethlehem hat vor ungefähr dreißig Jahren viel Aufsehen gemacht; und so ichmich nicht irre, so hat der alte Herodes eben seinetwegen den grausamenKnäbleinmord anbefohlen. Er aber sei nach Ägypten entflohen. – Nun siehe, dabin ich nun ja schon ganz im klaren! Nun, nun, das also ist derselbe Jesus!? Ja,an dem kann allerdings etwas Außerordentliches sein, und du wirst mit deinerAnnahme sicher nicht weit vom Ziele sein! Aber sprechen möchte ich ihn denndoch noch, bevor er diesen Ort zu verlassen gedenkt!“[<strong>GEJ</strong>.02_090,11] Sagt Chiwar: „Wie du es willst, – mir ist das gleich! Aber damuß denn doch von uns zuvor ein Herold in die offene Stadt gehen und dichdem Volke als nun vollends günstig anpreisen, ansonst es denn doch nicht ganzgeheuer sein dürfte, sich in die offenen Straßen zu begeben; denn meineNazaräer kenne ich!“[<strong>GEJ</strong>.02_090,12] Sagt Korah: „Nun, entsende schnell mehrere Herolde und laßdurch sie meinen Namen als einen dem Volke günstigen anpreisen, sonst reist eruns früher ab!“[<strong>GEJ</strong>.02_090,13] Chiwar sendet sogleich zwölf Herolde aus, und diese preisenden neuen Obersten dem Volke so günstig an, daß es eine Weile dauernd darobin einen lauten Jubel ausbricht und allerlei kostbare Geschenke vorzubereitenanfängt, mit denen es am nächsten Vorsabbat den neuen Obersten begrüßen will.— 200 —


[<strong>GEJ</strong>.02_090,14] Als die Herolde wieder mit der guten Nachricht in dieSynagoge zurückkommen, sagt der Oberste zum Chiwar: „Nun gehen wir abernur schnell hinaus, sonst weiset er uns am Ende ab, – und ich möchte ihn denndoch sprechen!“[<strong>GEJ</strong>.02_090,15] Chiwar sagt: „Ich bin schon bereit, und es schickte sich, daßwir alle Ihm einen Abschiedsbesuch machten; aber gehen dennoch wir beideallein!“ –[<strong>GEJ</strong>.02_090,16] Chiwar und der neue Oberste begeben sich nun sogleichhinaus. Als sie aber einige Schritte außer dem Stadttore sich befinden, kommenihnen Borus, Jairus, dessen Weib, die Sarah und die Mutter Maria entgegen undbringen dem Chiwar und dem Obersten die für sie betrübende Nachricht, daßder Herr vor einer halben Stunde Zeit mit Seinen zwölf Jüngern und mit densieben angekommenen Jüngern Johannis abgereist sei.91. — Die Freunde Jesu bei Borus[<strong>GEJ</strong>.02_091,01] Diese Nachricht betrübt den Obersten, und er kehrt, von Borusgeladen, mit Chiwar in dessen großes, palastartiges Haus, wo Borus natürlichauch sogleich alles aufbieten läßt, um den neuen Obersten so glänzend alsmöglich zu bewirten.[<strong>GEJ</strong>.02_091,02] Es kommen auch Bab und Roban dazu, und es wird denganzen Abend hindurch natürlich von nichts gesprochen als von Jesus demHerrn.[<strong>GEJ</strong>.02_091,03] Aber endlich fragt der Oberste und sagt: „Aber saget mir denndoch, was denn ganz eigentlich der Grund gewesen sein mag, daß er sich nachalledem, was ich bis jetzt alles von ihm und über ihn vernommen habe, nichtmehr getraut hat, hier zu verweilen? Denn ganz etwas anderes wäre es, so ervorgeblich seines allerhöchsten Berufes wegen sich irgendwohin von hier aufeine Zeitlang hätte begeben müssen; aber so scheint die Furcht vor Herodesallein ihn von hier entfernt zu haben! Ein Mann aber wie er, insoweit mir nunSein Wesen bekanntgegeben worden ist, dem Himmel und Erde gehorchen, derdazu noch den römischen Oberstatthalter zu seinem intimsten Freunde hat, solltedoch offenbarst ewig keinen Grund haben, vor dem schwachen PachtkönigeJerusalems die Flucht zu ergreifen![<strong>GEJ</strong>.02_091,04] Wahrlich, man nehme die Sache, wie man will; aber so viel istgewiß, daß es für die Bewohner der Erde dann durchaus nicht gut aussieht, soein Gott einmal vor den Teufeln Sich zu fürchten anfängt und vor ihnen dieFlucht ergreift! – Hm, hm, je mehr ich darüber nachdenke, desto rätselhaftererscheint mir die ganze Sache![<strong>GEJ</strong>.02_091,05] Gebet mir darüber bessere Aufschlüsse, sonst muß ich euchallen, so lieb ihr mir seid, ganz offen erklären, daß ihr samt mir euch an diesemManne doch gewaltig möget geirrt haben; denn der Allmächtige hat wahrlichnicht nötig, Sich vor einem Herodes, der vielleicht gar noch nie daran gedacht— 201 —


hat, Ihn verfolgen zu wollen, zu fürchten! Denn ich, als ein Günstling diesesPachtkönigs, kenne ihn besser als jeder von euch und weiß, daß er schontausendmal in dieser kurzen Zeit bereut hat, den Johannes getötet zu haben.Denn der plötzliche Tod der Herodias und deren Tochter haben den Pachtkönigin eine solche Angst versetzt, daß er sein Leben lang sicher nie wieder einenPropheten wird töten lassen![<strong>GEJ</strong>.02_091,06] Jesus muß daher aus einem ganz andern Grunde von hier soschnell abgereist sein! Und hätten ihm auch die erregten sieben Jünger Johannisnoch so gräßliche Dinge von Herodes erzählt, da frage ich, ob ein allwissenderMann, der, von Gott ausgehend, sicher weiß, was wir hier nun über ihn verhandeln,denen Glauben schenken kann, die offenbare Lügen hervorgebracht habenwerden!? Weiß von euch denn niemand mir zu meiner Beruhigung einen besserenGrund seiner so plötzlichen Abreise anzugeben?“[<strong>GEJ</strong>.02_091,07] Sagt Borus: „Lieber Freund, da wird es allerdings einenkleinen Haken haben, da uns alle Seine Flucht so gut wie dich befremdet hat,obschon wir vollkommen überzeugt sind, daß Er dennoch das und Der ist, alsden wir Ihn anerkannt und angenommen haben. Er hat Sich auch – so ganz offengesprochen – vor dir gefürchtet und darum schon heute früh alle die vielenJünger entlassen samt den hohen Römern, die bei Ihm waren nun etliche Tagehindurch. Aber wie ich es nun sehe, so hätte Er wenig Grund haben sollen, Sichvor dir zu fürchten, da du nun für Ihn und durchaus nicht wider Ihn bist; es mußdaher in Ihm doch ein ganz anderer Grund sein, der Ihn zu dieser plötzlichenAbreise bestimmt hat, als der, den wir aus der Erscheinung füglich annehmenmüssen.“[<strong>GEJ</strong>.02_091,08] Spricht der Oberste: „Saget mir aber doch, wie die Sacheherging und sich verhielt, bevor er sich zur Abreise anschickte! Vielleichtgelingt es dann mir, oder noch eher dem Freunde Chiwar, einen vernünftigerenGrund herauszufinden!“[<strong>GEJ</strong>.02_091,09] Sagt Borus: „Die Sache ging also her: Schon vormittags sandteEr Seine zwölf Jünger, die Er ,Apostel‘ nennt, gegen das Meer hinaus, daß sieirgendein Schiff für Ihn herrichten sollten, und wahrscheinlich um zugleichErkundigungen einzuholen, ob nicht irgend von Jerusalem ausgesandte Laurerund bedungene Meuchelmörder sich vorfänden. In Sibarah, dem Mautorte, dereinem gewissen Matthäus, der auch ein Jünger Jesu ist, gehört, kamen dieJünger Jesu mit den sieben Jüngern des Johannes zusammen, mit denen sieschon früher einmal zusammengekommen waren – ich glaube bei der Gelegenheit,als Johannes schon im Gefängnisse war und die Worte Jesu vernommenhatte. Diese sieben Jünger erzählten den Aposteln alles, was sich in Jerusalemmit ihrem Meister zugetragen hatte. Und zugleich erzählten sie, wie denn dochganz geheim Herodes – obschon er denen, die ihm von Jesus die Nachrichthinterbrachten, offen gestand, daß dieser der vom Tode auferstandene Johannessei – Laurer und Mörder ausgesandt habe, sie dahin bescheidend: Würden siefinden, daß der vermeintliche Jesus im Ernste der auferstandene Johannes ist, so— 202 —


sollen sie ihm nichts tun, sondern ganz friedlich heimkehren; sei es aber imErnste Jesus, so sollen sie Ihn ohne weiteres zu töten versuchen! Gelänge ihnender Mord, so hätten sie von Herodes eine große Belohnung zu gewärtigen;gelänge ihnen aber der Mord nicht, und zwar darum, daß Jesus gleichsam einnicht zu tötender wirklicher Gottmensch sei, so hätten sie von Herodes dengleichen Lohn zu gewärtigen, und er werde dann mit seinem ganzen großenHofstaate ein Anhänger Jesu werden! – Solche Nachricht brachten die JüngerJohannis, mit den Jüngern Jesu hierher nach Nazareth kommend, Jesu demHerrn.“[<strong>GEJ</strong>.02_091,10] Als Er solches vernommen hatte, da sagte Er: ,Durch dieseschnöde Probe soll Herodes ewig nie Mein Jünger werden! Die Erde ist groß,und Ich werde schon noch ein Plätzchen finden, allwo Mich die schnödenApostel des Herodes nicht finden sollen! Ist denn des Menschen Sohn gekommen,durch bedungene Mörder das zu werden, was Er ist? Nein, und ewig nein!Wer Mich mit Mordwerkzeugen in der Hand fragt, wer Ich sei, dem soll ewignie eine Antwort werden! Es ist aber ohnehin Zeit, daß wir von hier aufbrechen,und so gehen wir und sehen, auf fremdem Boden uns Menschen zu gewinnen,die uns auch ohne Mordwerkzeuge gegen unser Leibesleben glauben werden,daß wir das sind, was wir sind!‘[<strong>GEJ</strong>.02_091,11] Auf diese Worte Jesu aber geschah denn auch sogleich dieAbreise; denn Er sagte: ,Gehen wir, denn nun will Ich es und sehe es darumauch, daß und wo sich bereits sechshundert solche Herodianische Mordapostelgegen Mich, und zwar schon sehr nahe, befinden; darum begeben wir uns aberauch sogleich von hier!‘ – Mit dem begaben sich dann alle Seine und des JohannesJünger auf den Weg gegen Sibarah hin und werden sich nun schon auf derhohen See befinden!“92. — Des Herrn Gnade mit der Menschheit[<strong>GEJ</strong>.02_092,01] Sagt darauf der Oberste: „Ah, nun hat die Sache ein ganzanderes Gesicht! Da reiste er ja lange nicht aus Furcht, sondern aus reinerKlugheit ab, um dem Herodes aus wohlverdienter Strafe jede Gelegenheitabzuschneiden, daß er darum nun weder noch schlechter, aber auch nicht leichtlichbesser werden kann! Ah, da hat er sehr wohl getan, und ich kann ihn darumnur loben.[<strong>GEJ</strong>.02_092,02] Es ist aber dieser Herodes auch im eigentlichsten Worte einMensch, bei dem sich so ganz eigentlich kein Mensch recht auskennt, wie er mitihm daran ist. Er ist zur Hälfte ein guter, hie und da über die Maßen wohltätigerMensch, zur Hälfte aber auch wieder gleich darauf ein Teufel ersten Ranges! Ermacht dir heute in einer Art Anwandlung von Herzensgüte und Großmut dieallerlobenswertesten Verheißungen und erfüllt sie auch an dem, der bald nachder Verheißung zu ihm kommt. Aber wehe dem, der ihn am nächsten Tagedessen erinnern würde; der bekommt nicht nur nichts von all dem Verheißenen,sondern er wird noch auf eine so empfindliche und bösbeleidigende Weise— 203 —


abgewiesen, daß ihm für ein zweites Mal sicher aller Mut vergeht, sich ihm jewieder zu nahen und ihn an die gemachte Verheißung zu erinnern![<strong>GEJ</strong>.02_092,03] Es ist mit ihm darum auch nie irgendein besonderer Freundschaftsbundzu schließen; denn der ihn sicher nicht hält, – das ist Herodes! Undunser erhabener Heiland Jesus wird das so gut wie unsereiner wissen und ist ihmdarum mit allem Fug und Recht ausgewichen; denn so sich auch Herodeshundertmal überzeugt hätte, daß Jesus unverletzbar sei, so würde das für denHerodes dennoch soviel wie gar nichts beweisen. Für ihn liefert das, was heutegeschah, für morgen durchaus keinen Beweis; denn dieser Mensch hat entwederkein Gedächtnis oder er lebt in solchen Grundsätzen, mit denen bloß er, aberneben ihm kein anderer Mensch mehr bestehen kann![<strong>GEJ</strong>.02_092,04] Daß er aber übrigens ein schlauer Fuchs ist, bedarf wohlkeines weiteren Beweises. Denn die Steuern zu erpressen, versteht er aus derKunst, sowie den Römern den Pachtzins schuldig zu bleiben. Ich aber weiß es,wie er es macht; jedoch davon ein anderes Mal![<strong>GEJ</strong>.02_092,05] Ich möchte aber nun dennoch erfahren von euch, ob unserHeiland Jesus nicht noch einmal wieder nach Nazareth kommen wird. Hat ereuch allen nichts davon gesagt?“[<strong>GEJ</strong>.02_092,06] Sagt Borus: „Bestimmtes wohl nicht; aber ich hoffe, daß Erden Winter über bei uns zubringen wird! Es ist freilich auch möglich, daß Er denWinter gar in Sidon oder Tyrus zubringen wird; aber dann werden wir von Ihmschon Nachricht erhalten und uns zeitweilig dahin begeben.“[<strong>GEJ</strong>.02_092,07] Sagt die ganz traurig aussehende Mutter Maria: „Er wird wohlhierher kommen; aber sicher nur wieder auf ein paar Tage!“[<strong>GEJ</strong>.02_092,08] Sagt der Oberste: „O liebe Mutter, mache nur du dir nichtsdaraus; denn er wird weder uns und sicher noch weniger dich vergessen!“[<strong>GEJ</strong>.02_092,09] Sagt die Mutter: „Das wird Er nicht; aber für mich ist esdennoch traurig, wenn ich sehen und erfahren muß, wie die bösen, blindenMenschen ihren ewig größten Wohltäter mutwillig verkennen, Ihn verfolgen undIhm fast allenthalben mit dem größten Undank begegnen!“[<strong>GEJ</strong>.02_092,10] Sagt der Oberste: „Siehe, liebe Mutter, die Menschen sindeinmal so wie sie sind, und David hat in seiner Not nicht umsonst ausgerufen: ,Owie zu gar nichts nütze ist aller Menschen Hilfe; denn sie können dem Bedrängtenalle nicht helfen!‘ Übrigens war das ja noch allzeit das traurige Los aller vonGott mit höheren, geheimnisvollen Fähigkeiten begabten, großen Menschen, daßsie von den Erdwürmern von Menschen gleich also verfolgt worden sind, wie dadie kleinen Schwalben mutwillig verfolgen den großen mächtigen Aar. Denn diekleinen Menschen wollen bei all ihrem Nichtssein dennoch groß sein undkönnen es daher nicht ertragen, wenn ein wahrhaft großer Mann auftritt, an demsie nur zu augenscheinlich das Maß ihrer vollsten Nichtigkeit nehmen müssen![<strong>GEJ</strong>.02_092,11] Siehe an die großen Propheten! Was war ihr Erdenlos? Allzeit— 204 —


Armut von Geburt an, allerlei Mangel und Entbehrung, Mißgunst, Verfolgungund endlich gar ein gewaltsamer Tod durch die Hände der selbstsüchtigenErdwürmer! Warum Gott das stets so haben will, ist mir seit meiner Kindheit herein Rätsel gewesen; aber die allzeitige Erfahrung lehrt uns, daß es leider allzeitso war, und wir können dagegen ebensowenig etwas unternehmen, wie gegenden lästig kurzen Tag des Winters. Gott hat einmal die Sache also eingerichtet,und wir können sie nicht ändern, hoffen aber, daß es dereinst im andern Lebenbesser gehen werde![<strong>GEJ</strong>.02_092,12] Dein göttlicher Sohn hätte wohl nach dem, was ich von ihmvernommen habe, Macht in mehr als hinreichender Fülle, dem ganzen Weltmenschenunfugmit einem Schlage ein Ende zu machen; daß er es aber nicht tut,können wir ja leicht aus dem entnehmen, daß er gewisserart vor dem ErdwurmeHerodes lieber flieht, als daß er ihn vernichtete mit einem Hauche! Er, der esleicht könnte, tut es nicht, und wir können es nicht tun, – und so bleibt immerdie alte bekannte schlechte Sache! Wenn er einmal hierher kommt, so will ichmit ihm in dieser Hinsicht eine ganz ernste Zwiesprache führen.“[<strong>GEJ</strong>.02_092,13] Sagt Borus: „Wird aber wenig fruchten! Denn ich war Zeuge,was alles in dieser weltverbessernden Hinsicht der Oberstatthalter, der dazunoch ein Oheim des Kaisers ist, Ihm alles für Vorschläge und Angebote gemachthat; aber da war alles umsonst! Er zeigte mit Händen zu greifen klar, was dieMenschheit ist, und wie sie möglichst ohne besondere Gerichte und Strafen zuführen und zu lenken ist, wenn sie lediglich durch reinen Unterricht und durchihre höchst eigene freie Bestimmung danach ihre einstige, von Gott gestellteewige Bestimmung erreichen will! Der Statthalter mußte Ihm, so gut wie wiralle, das vollste, ungezweifeltste Recht zuerkennen, und das mehrmals festangetragene Dareinhauen unterblieb völlig und vollkommen; und so kann ich dirschon zum voraus versichern, daß es mit deiner dir vorgenommenen Zwiespracheebenfalls seine geweisten, abschlägigen Wege haben wird!“93. — Borus spricht über des Menschen Wesen[<strong>GEJ</strong>.02_093,01] Sagt der Oberste: „Das werden wir erst sehen; denn vomStandpunkte der irdischen Verhältnisse betrachtet ist die Menschheit nochimmer schlechter statt besser geworden! Was sind nun Moses und alle diegroßen Propheten? Ich sage es euch: In den sogenannten besseren Kreisen lachtman darüber und hält sie zwar für fromme, aber für den Geist der Menschenganz zwecklose Fabeln und stellt die Lehre eines Pythagoras und eines Aristoteleshimmelhoch über alle die Propheten! Ein lebendiger Beweis, daß dieEinrichtung Jehovas, so erhaben und wahr sie im Grunde des Grundes auch ist,dennoch den Zweck bei den Menschen durchaus nicht erreicht, den sie nachSeinem Wortlaute erreichen will![<strong>GEJ</strong>.02_093,02] Was nützt alle Offenbarung, wenn ihr die handgreiflichenMittel nicht für immer belassen werden, durch die es allein möglich ist, dieMenschen im stets gleichen Respekte vor der göttlichen Offenbarung zu erhal-— 205 —


ten? Es sollte nur ein Elternpaar versuchen, seine Kinder ohne Rute zu erziehen,und wir würden es nur zu bald erfahren, welchen Respekt die unmündigenKinder vor ihrer Eltern noch so weisen und guten Lehren haben werden![<strong>GEJ</strong>.02_093,03] Darum halte ich auf alle Lehren und selbst Gesetze nichts,wenn sie ohne Rute und Schwert den Menschen überantwortet werden; denn derMensch ist vom Grunde aus schlecht und muß zum Guten erst mit Rutengepeitscht werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_093,04] Sagt Borus: „Bin mit dir in dieser Hinsicht ganz einverstanden;aber es gibt dennoch ein großes Aber, das du erst dann wirst kennenlernen,wenn du einmal darüber von Seinem höchsteigenen Munde wirst belehrtwerden![<strong>GEJ</strong>.02_093,05] Siehe, so wir ein mechanisches Werk vor uns haben, mit demirgendeine Arbeit verrichtet wird, so werden wir im Anfange staunen; werdenwir aber mit dem Werke näher bekannt gemacht, so werden wir gleich eineMenge Mängel entdecken, und es wird uns sofort die förmliche Gier anwandeln,dieses Werk von den sichtlichen Mängeln frei zu machen. Wir verfügen unsdarum zum Werkmeister und sagen ihm dies und jenes.[<strong>GEJ</strong>.02_093,06] Aber der Werkmeister wird zu lächeln und unfehlbar also mituns zu verkehren anfangen und wird sagen: ,Liebe Freunde, das ginge wohl, –aber es geht dennoch nicht; denn die Maschine richtet sich hier nach vielen sehrbeachtenswerten Punkten! Der sie erbauen ließ, hat sie nach seinem Bedarfebestellt; für diesen Bedarf kann sie nur die beobachtete, bestimmte Einrichtunghaben, und da wäre jede Zutat ein offenbares Gebrechen der Maschine selbst!Die Maschine hat nur eine gewisse Kraft zu besiegen nötig und darf darumkeine höhere Kraft besitzen, als die ihr für den bestimmten Zweck nötig ist.Würde man ihr eine höhere Kraft zu wirken geben, so würde der Weber mit ihrsein Gefäde mit jedem Schlage zerreißen und auf diese Art nie auch nur eineElle Zeug zutage fördern. Darum muß die Maschine für den Zweck, dem sie zuentsprechen hat, gerade diese Einrichtung haben, die sie hat, und jedes Mehroder Weniger ist ein Fehler der Maschine! Ah, wenn die Maschine einmal durchlangen Gebrauch abgenutzt sein wird, dann erst ist es an der Zeit, sie wieder inden Stand zu setzen, wie sie anfangs war, damit sie ihrem Zwecke wiederentsprechen kann.‘[<strong>GEJ</strong>.02_093,07] Siehe, so wird der kluge Werkmeister uns bescheiden, und wirbeide werden es uns am Ende denn doch selbst sagen müssen: Der Werkmeisterhat recht; denn ein jeder Meister muß seine Sache doch offenbar besser verstehenals so ein paar Pseudomeister, wie wir da sind! Und ungefähr eine fastähnliche Antwort könnten wir in dieser Hinsicht von Jesus dem Herrn bekommen,so wir Ihn fragten, wie es möglich ist, daß die Menschen an der Seite dergöttlichen Weisheit dennoch gar so teufelsschlecht werden können![<strong>GEJ</strong>.02_093,08] Was wissen wir wohl von des Menschen innerer Einrichtungund Beschaffenheit? Wir mögen oft fluchen, wo der Herr noch vollauf segnet!Denn wir sehen weder das Gute noch das Schlechte vollkommen ein.— 206 —


[<strong>GEJ</strong>.02_093,09] Jeder noch so gute Mensch hat mehr oder weniger etwas vonSelbstsucht in seinem Gemüte. Nach dieser seiner Eigenschaft ist er dann auchstets ein Richter seiner Nebenmenschen und rechnet es ihnen schon allzeit amersten und liebsten zu einem Fehler an, wenn sie Handlungen begehen, die mitseiner Selbstnutzungsidee nicht im Einklange stehen. Da aber ein jeder Menschfür sich ebenso ein wenig selbstsüchtig denkt, so kommen auf der Erde nichtsals lauter schiefe Urteile der Nebenmenschheit gegenüber heraus. Diese Schiefurteilebewirken gegenseitig Unzufriedenheiten, nach und nach Ärger, Neid,Zorn und dergleichen moralische Löblichkeiten mehr.[<strong>GEJ</strong>.02_093,10] Wer anders ist hernach schuld an der Verschlimmerung derMenschen als eben die Menschen selbst? Die Lebensmaschine nützt sich dennmit der Zeit auch ab, muß darum von ihrem erhabenen Werkmeister auch vonZeit zu Zeit wieder neu ausgebessert oder dann und wann gar von Grund aus neugestaltet werden.[<strong>GEJ</strong>.02_093,11] Und solch eine totale Ausbesserungszeit scheint nun wieder,nach mehr als fast einem Jahrtausend, dazusein. Darauf werden die Menschenzum besseren Teile wieder auf eine Zeitlang halten; aber für länger als höchstenszweitausend Jahre werden die ausgebesserten Menschen abermals nicht halten,und wir werden jenseits scharfsehende Zeugen sein, daß es also gehen wird, wieich dir's nun gesagt habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_093,12] Sagt der Oberste: „Nun, ich gratuliere dir! Du bist ein würdigerJünger deines Meisters! Ich sehe es nun schon, daß ich es vorderhand in derwahren Weisheit mit dir nicht aufnehmen kann. Aber ich werde mir alle Mühegeben, es an der Seite meines lieben Freundes Chiwar in Kürze so weit zubringen, daß ich über dergleichen Dinge mit dir werde Rücksprache führenkönnen; denn mit gegenwärtiger Tempelweisheit in Jerusalem reicht man hiernicht aus, – was eben kein Wunder ist, da die gegenwärtige Tempelweisheitauch nicht weit her ist!“94. — Das Zusammenleben der Freunde des Herrn in Nazareth.[<strong>GEJ</strong>.02_094,01] Als der Oberste lächelnd diese Bemerkung ausgesprochenhatte, brachten ein paar Bürger der Stadt einen Kranken, der viele Jahre schonan der Raserei litt. Da er aber arm war, so getrauten sich die Seinen nicht, sichbei einem Arzte für ihn um Hilfe zu verwenden, und ihn zu Mir zu bringen,getrauten sie sich auch nicht, da bei mehreren Bürgern die böse Sage war: wersich von Mir heilen ließe, der verschriebe seine Seele dem Beelzebub! In einemfast gleichen Geruche stand auch Borus, von dem man sagte, daß er von Mirsolche Stücke des Teufels erlernt habe![<strong>GEJ</strong>.02_094,02] Als darum Borus des ihm schon bekannten Rasenden ansichtigward und seiner ihn hertragenden schwachsinnigen Freunde, so sprach er zuihnen: „Nun, was ist euch denn nun eingefallen, diesen Kranken zu mir zubringen? Was tat er euch denn, daß ihr ihn nun dem Teufel ausliefern wollt?“— 207 —


[<strong>GEJ</strong>.02_094,03] Sagen die beiden: „Herr, wir sind aber eines Bessern belehrtworden und haben ihn darum nun zu dir gebracht!“[<strong>GEJ</strong>.02_094,04] Sagt Borus: „Wer hat euch denn eines Bessern belehrt?“[<strong>GEJ</strong>.02_094,05] Sagen die beiden: „Herr, gerade diejenigen, die uns langezuvor in solcher Dummheit, wie mit Ketten geknebelt, belehrt und erhaltenhaben!“[<strong>GEJ</strong>.02_094,06] Sagt Borus, etwas lächelnd: „Verstehe, verstehe! Aber, wassoll ich denn nun mit diesem Rasenden anfangen? Denn sein Übel ist in ihmverhärtet infolge eurer großen Dummheit, und es wird nun bei eurem schwachenGlauben schwerhalten, diesem Menschen zu helfen!“[<strong>GEJ</strong>.02_094,07] Sagen die beiden: „Herr, so wir schwachgläubig wären, hättenwir den Kranken nicht zu dir gebracht!“[<strong>GEJ</strong>.02_094,08] Sagt Borus: „Nun gut, so wollen wir sehen, was Gottes Kraftim Menschen vermag!“ – Hier trat Borus mit entblößtem Haupte hin zumKranken und sagte laut: „Ich will es im Namen Jesu, des Herrn von Ewigkeit,daß du gesund seiest, und so sei gesund und wandle fortan frei!“[<strong>GEJ</strong>.02_094,09] In diesem Augenblick ward der Rasende völlig gesund undgab Gott die Ehre, daß Er dem Menschen solch eine Kraft verliehen hatte.[<strong>GEJ</strong>.02_094,10] Borus aber lobte Gott selbst laut mit, beschenkte den Geheiltensowie seine beiden Freunde reichlich und ließ sogleich beiden und demGeheilten zu essen und zu trinken geben, was da vorrätig war auf den Tischender Gäste.[<strong>GEJ</strong>.02_094,11] Da trat der Oberste zu Borus hin und sagte: „Wahrlich, dashätte ich in dir nicht gesucht! Daß im Namen Jesus eine besondere Kraft liegt,vor der, von mir wohlerfahrenermaßen, sogar die Mächte der Unterwelt einenganz verzweifelten Respekt haben, habe ich heute in der Synagoge gesehen;aber daß vor diesem Namen sich auch die Leibeskrankheiten, welcher Art sieauch sind, beugen müssen, das haben meine Augen erst hier gesehen. Wahrlich,hinter diesem Jesus muß noch viel mehr stecken als ein bloß eliasartigerProphet; denn durch dessen Namen ist meines Wissens noch nie ein Krankergeheilt worden! Über diesen Namen, meine lieben Freunde, werden wir miteinandernoch vieles zu reden haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_094,12] Nach diesen Worten begab sich der Oberste zu dem Geheiltenund fragte ihn, ob er sich nun wohl als völlig geheilt fühle!?[<strong>GEJ</strong>.02_094,13] Antwortet der Geheilte: „So gesund wie ich nun bin, war ichnie zuvor in meinem ganzen Leben, – und ich zähle bereits fünfzig Jahre, unddas wird etwa doch geheilt sein!?“[<strong>GEJ</strong>.02_094,14] Der Oberste belobt ihn und gibt ihm ein schönes Goldstück.[<strong>GEJ</strong>.02_094,15] Der Geheilte aber schiebt es mit den Worten zurück: „Herr, esgibt noch viel Ärmere hier in Nazareth, – denen gib es! Ich kann nun arbeiten,— 208 —


und das ist für mich Reichtum zur Genüge!“[<strong>GEJ</strong>.02_094,16] Sagt der Oberste: „Das heißt wahrhaft uneigennützig sein!Wahrlich, das hätte ich in dir nicht gesucht! Nun, ich bin der Oberste derSynagoge hier in Nazareth und von ganz Galiläa und werde hier und nicht inKapernaum residieren; daher wirst du mich wohl finden, wenn über dich je eineNot kommen sollte!“[<strong>GEJ</strong>.02_094,17] Sagt der Geheilte: „Der guten Menschen gibt es wenige, undso muß jeder Arme sich die wenigen merken und zu ihnen gehen, so es ihm nottut! Ich danke dir für diesen Antrag; wenn ich in der Not sein werde, werde ichschon zu dir kommen.“[<strong>GEJ</strong>.02_094,18] Nach diesen Worten erheben sich die drei, der Geheilte undseine zwei Führer, danken dem Borus und dem Obersten und entfernen sichdann ganz wohlgemut nach Hause. Ihre gemietete Wohnung hatten sie einigehundert Schritte außerhalb der Stadt, gleich Meinem Hause, das auch bekanntlichaußerhalb von Nazareth stand, gerade am entgegengesetzten Ausgange.[<strong>GEJ</strong>.02_094,19] Nach dieser Begebenheit im Hause des Borus wird noch vieldavon geredet, und die Gesellschaft geht erst nach Mitternacht auseinander; dieMutter Maria aber bleibt eine Zeitlang im Hause des Borus, wo sie wohlversorgtist und vielen Trost hat. Das ganze Hauswesen aber besorgen Meine zwei ältestenBrüder, die daheim geblieben sind, und Borus verschafft ihnen alles, was sienur immer nötig haben. Und so leben Meine Freunde in Nazareth im bestenEinvernehmen in Meiner persönlichen Abwesenheit und beschäftigen sichtagtäglich mit Mir, Meinen Lehren und Meinen Taten, die sie selbst erlebten.[<strong>GEJ</strong>.02_094,20] Der neue Oberste aber prüft alles mit stets erhöhter Schärfe,aber er wird allzeit vom Gegenteile überzeugt; denn er gehörte auch zu denMenschen, die das am nächsten Tage ganz leicht nehmen, was sie am vorhergehendenTage erlebt haben, und dessen vergessen, was sie versprochen haben.Und so hatten Chiwar und Roban an jedem Tage eine neue Not mit dem sonstguten Menschen, der immer die Absicht hatte, streng gerecht zu sein und zuhandeln, aber dabei stets zwischen allerlei Grundsätzen von Recht und Unrechthin- und herschwankte; denn er fragte stets, was eigentlich ,Recht‘ ist.[<strong>GEJ</strong>.02_094,21] Und wenn man ihm auch tausendmal an den Fingern bewies,daß das eigentliche Recht in nichts anderem bestehen kann als allein in dem, daßder Mensch nach den Geboten Gottes lebe, so begriff er das heute ganz gründlichgut; aber am nächsten Tage fand er dafür schon eine derartige Menge vonVernunftgründen dawider, daß es dem Chiwar nicht selten sehr schwer ward,dem Obersten alle seine Gründe zu widerlegen. Und Chiwar begriff nun, warumIch zu ihm gesagt hatte, daß er auf den Obersten stets ein scharfes Auge habensolle, da diesem noch lange nicht völlig zu trauen sein werde.[<strong>GEJ</strong>.02_094,22] Am meisten aber beschäftigte den Obersten doch die KraftMeines Namens. War er auch zu öfteren Malen unerträglich, so brachte ihnChiwar am leichtesten mit Meinem Namen zurecht. Borus aber übte dennoch— 209 —


stets am meisten eine Bevormundung über ihn aus und brachte ihn allzeit aufwenigstens einige Tage zurecht, daß er fest an Meinen Namen glaubte.[<strong>GEJ</strong>.02_094,23] Hiermit ist im allgemeinen gezeigt, was die Nazaräer nachMeiner Wegreise gemacht haben, und so gehen wir nun wieder zu Mir Selbstüber und zu dem, was Ich nach Meiner Abreise am Abend von Nazareth weitergetan und gelehrt habe, und wohin und wie dahin Ich Mich begeben habe.95. — Heil- und Speisewunder an den fünftausend Menschen in der Wüste.(Matth. 14)Nazareth – Höhle bei Bethabara (Erste Volksspeisung) – Berg des Gebets –Wandel auf dem Galiläischen Meer (des Petrus Glaubensprobe) – Zu Schiffnach Genezareth an der gleichnamigen Meeresbucht. (Kap.95-167)[<strong>GEJ</strong>.02_095,01] Als ich – wie schon bekanntgegeben – von den angekommenenJüngern des Johannes vernommen hatte, was Ich ganz sicher schon früherwußte – ansonst Ich nicht schon des Morgens die ganze, große Gesellschaft zurrechtesten Zeit von Mir hinweg beschieden hätte –, da verließ Ich alsbaldNazareth und ging mit den zwölf Jüngern gen Sibarah an das Meer und dasogleich in ein Schiff und fuhr in die Gegend oberhalb von Bethabara. ImSchiffe selbst erzählten Mir die Jünger, was sie den Tag über auch sonst nochgelehrt und getan hatten, darum Ich sie denn auch belobte.[<strong>GEJ</strong>.02_095,02] Als wir aber an den Ort der vorgenommenen Bestimmunggelangten, da hieß Ich die Jünger, allein im Schiffe zu verweilen, und stieg alleinans Land und ging, bloß von ein paar Jüngern begleitet, in die Wüste, um einPlätzchen zu suchen und zu bestimmen, wo Ich Mich einige Tage lang aufhaltenkönnte und sicher wäre vor den bekannten Nachstellungen des Herodes.[<strong>GEJ</strong>.02_095,03] Aber unserem Schiffe folgten in einiger Entfernung auch eineMenge anderer, kleiner Fahrzeuge und erfuhren dadurch leicht Meinen Aufenthalt,und das um so leichter, weil Ich durchaus nicht die Absicht hatte, Mich vorder hilfsbedürftigen Menschheit völlig zu verbergen.[<strong>GEJ</strong>.02_095,04] Es dauerte darum Mein Aufenthalt in dieser Wüste auchkeinen Tag, als schon von allen Städten, Märkten und Dörfern eine große MengeVolkes herbeiströmte nebst den schon alten, über achthundert zählendenJüngern, die in den früheren Städten und Märkten zu Mir gestoßen und amMorgen des vorhergehenden Tages von Mir in ihre Heimat beschieden wordenwaren. (Matth.14,13)[<strong>GEJ</strong>.02_095,05] Von diesen waren etliche von Kana in Galiläa und Kana inSamaria, etliche von Jesaira, etliche von Kis und Sibarah, von Kapernaum,Chorazin, Caesarea, Genezareth und Bethabara und machten Mich ruchbar nochin vielen anderen Orten, so daß aus allen diesen Märkten und Städten eine großeMasse Volkes teils über den See und teils zu Fuß in die Wüste zu Mir kam,natürlich mit einer großen Menge von allerlei kranken und bresthaftenMenschen. Wie schon früher erwähnt, so war kaum der Tag angebrochen, als— 210 —


schon bei tausend Pilger, Mir nach, Meine Lagerstätte auffanden und umlagerten.[<strong>GEJ</strong>.02_095,06] Es war aber Meine Lagerstätte, die Ich in der Wüste Mirgewählt hatte, eine geraume Höhle ohne eine hinterhaltige Öffnung. DieseHöhle lag ziemlich hoch und war mit Bäumen dicht umwachsen. Es war vor derHöhle auch ein sehr geräumiger freier Platz, auf dem etliche tausend Menschenmehr denn einen hinreichenden Lagerplatz finden konnten; und auf diesemPlatze hatten sich denn auch die Menschen mit ihren Kranken gelagert.[<strong>GEJ</strong>.02_095,07] Da die Jünger, die um Meinen Aufenthalt wohl wußten, abersahen, daß von allen Seiten her sich Massen von Menschen hinaufzogen undMeine Lagerstätte stets mehr und mehr umlagerten, so wurde ihnen bange umMich. Sie überließen das Schiff ihren acht Schiffsknechten und begaben sich zuMir hinauf, um Mir Nachricht zu geben, welche Massen von Menschen dazusammenkämen, und daß sie im Ernste nicht mehr dafür gutstehen könnten, obnicht etwa Herodianer darunter sich befänden.[<strong>GEJ</strong>.02_095,08] Als die gutmütigen und besorgten Jünger Mir solche Nachrichtbrachten von dem, das Mir auch also bekannt sein mußte, da ging Ich aus derGrotte hervor und besah Mir das wahrlich große Volk, und es jammerte Michwahrhaft desselben, als es Mich da mit tränenden Augen bat, daß Ich ihre mitgebrachtenKranken heile[<strong>GEJ</strong>.02_095,09] Und Ich heilte denn auch in einem Augenblick alle dieanwesenden Kranken (Matth.14,14), wie auch alle, die noch auf dem mühevollenWege zu Mir hin waren. Darauf gab es natürlich des Lobens und Preisenskein Ende. Bis gen Abend noch strömten Menschen herbei, obschon ihreKranken auf dem Wege heil geworden waren, damit sie ihren Dank und ihrenPreis darbrächten. Der Platz vor der Grotte war schon nahe gedrängt voll, so daßes den Jüngern förmlich bange zu werden begann; junge Leute stiegen sogar aufBäume, daß sie Mich besser beschauen konnten.[<strong>GEJ</strong>.02_095,10] Als aber der Abend hereinzubrechen begann, da traten dieJünger zu Mir und sprachen: „Herr, hier ist eine Wüste; die Nacht fällt schonherein und, wie wir allgemein bemerkten, so hat niemand etwas Eßbares beisich! Laß daher das Volk von Dir, daß es in die näherliegenden Märkte zieheund sich Brot und Speise kaufe!“ (Matth.14,15)[<strong>GEJ</strong>.02_095,11] Sagte Ich zu den Jüngern: „Es ist nicht nötig, daß dieMenschen darum in die Märkte gehen, sondern gebet ihr ihnen zu essen!(Matth.14,16) Zu trinken brauchen sie nichts denn Wasser, das hier in reichenQuellen vorhanden ist.“[<strong>GEJ</strong>.02_095,12] Sagen die Jünger, etwas verwundert über Mein Begehren:„Herr, wir haben hier mit uns nichts denn fünf Brote aus Gerstenmehl und zweigebratene Fische. (Matth.14,17) Was ist das für so viele Menschen?“[<strong>GEJ</strong>.02_095,13] Sage Ich zu den Jüngern: „Bringet sie Mir hierher!“(Matth.14,18)— 211 —


Glossen, und selbst ein Petrus sagte: „Hat Er denn für diese Nacht nichts Besseresfür uns gewußt, als uns dem sicheren Tode in den Wellen preiszugeben? Istwahrhaft ein wenig sonderbar von Ihm! Ich getraue mir kaum weiter rudern zulassen; denn ein paar Ruten weiter kommen wir auf Untiefen, Klippen undSandbänke, und ich, als ein grau gewordener Schiffer, stehe dann weiter fürnichts gut! Daher ist es besser, daß wir uns sogar bis gen Morgen hier auf derHöhe halten!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,02] Sagt Thomas: „Möchte aber auch wissen, was Er damitgewollt hat, daß Er uns so plötzlich von Sich wies und förmlich gebot, daß wirvor Ihm herüberfahren sollten!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,03] Sagt Andreas: „Meines Wissens weilt nun längs der wüstenKüste kein Schiff; ich frage: Wie wird Er uns nachkommen? Will Er etwa denWeg zu Land machen, so braucht Er gut vierzehn Stunden, um auf der unterenSeite des Meeres über Sibarah und Kis dahin zu gelangen, wo wir zu landenbeabsichtigen; will Er aber über den Oberteil des Meeres dahin gelangen, sobraucht Er zwei gute Tagereisen; denn dort ist unser Meer am breitesten und hatstarke Einbuchtungen und weitgedehnte Versumpfungen.“[<strong>GEJ</strong>.02_096,04] Sagt Judas Ischariot: „Ihr wißt alle zusammen nichts! Ich habees schon lange gemerkt, daß wir ihm lästig geworden sind; aber es hat sich nurkeine günstige Gelegenheit dargeboten, uns auf eine gute Art loszuwerden. Undseht, die Gelegenheit hat sich gemacht, und er ist uns und wir ihn los! Nunkönnen wir ihn mit allen Fackeln suchen gehen, und wir werden ihn schwerlichje wieder zu Gesicht bekommen! Ob das von ihm aber – unter uns gesagt –gerade löblich ist, das ist eine andere Frage!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,05] Sagt Johannes der Liebling: „Nein, das tut Er ewig nie! Dakenne ich Ihn zu lange und zu gut! Das würde er nicht einmal als Mensch tun,geschweige als Gottes Sohn, der Er nun wohl ohne allen weiteren Zweifel ist inaller Fülle der Innehabung des göttlichen Geistes! Daß Er das getan, hat sicher –wie alles, was bisher geschehen ist – seinen höchst weisen Grund, und so wirddas auch seinen sicher höchst weisen Grund haben! Und ich ahne es lebendig inmir, daß wir uns davon jüngst überzeugen werden![<strong>GEJ</strong>.02_096,06] Mein Gott, wenn Er, dem Himmel und Erde gehorchen, unsweghaben wollte, so bedürfte es nur eines leisesten Hauches aus Seinem Munde,und wir alle ständen am andern Ende der Welt, gleichwie es erst etwa vor dreiWochen oder höchstens einem Monate auf dem Hochgebirge von Kis, das wirvon hier aus noch sehr gut sehen, auch nur eines Hauches aus Seinem Mundebedurfte, und wir machten eine blitzschnelle Reise durch die Luft und waren ineinem Augenblick auch schon bei Ihm auf der Höhe! – Mein lieber BruderJudas, nur mit solchen gar lächerlich dummen Meinungen von Ihm mußt du mirnicht kommen; denn damit legst du allzeit ein Zeugnis deines Unglaubens ab!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,07] Sagt Nathanael, der auch im Schiffe war: „Ich bin sonst ganzder Meinung des lieben Bruders Johannes; aber nur das meine ich, daß es denndoch bei aller unserer Gewissenssorgfalt etwa doch möglich wäre, daß wir uns— 213 —


irgendwo und irgendwodurch gegen Ihn versündigt haben und Er es uns nichthat sagen wollen, sondern uns dafür uns selbst überlassen hat, daß wir unsinniger und tiefer beschauen sollten. Er wird dann schon wieder zu uns kommen,wenn wir uns völlig werden gereinigt haben.[<strong>GEJ</strong>.02_096,08] Freilich habe ich nun mein Gewissen schon ganz entsetzlichdurchforscht, kann aber leider nichts finden, was mir als ein Unrecht dünkte.Wahrlich, für mich wäre nun eine bewußte Sünde eine ordentliche Wohltat;denn sie wäre mir ein Licht, an dem ich erkennen würde, daß ich diese Verweisungvom Herrn aus verdient habe, und eine aufrichtige Reue wäre ein Balsamfür mein Herz! Aber so suche ich mit allem Eifer eine Sünde an mir und kannkeine finden, um derentwillen es sich der Mühe lohnte, in Sack und Asche Bußezu tun! Wahrlich, jetzt beneide ich einen Sünder! Es sei ferne, daß ich darum einSünder werden möchte; aber so ich nun einer wäre, wäre es mir leichter umsHerz! Oh, wie süß muß es sein, vor Gott und den Menschen ein rechter Büßer zusein! Aber wie kann ein stets gerechter Mensch, ohne sich vor Gott lächerlich zumachen, das Gewand der strengsten Buße anziehen?“[<strong>GEJ</strong>.02_096,09] Sagt Bartholomäus: „Aber was du doch für sonderbare Ideenoftmals hast! Wem könnte es denn je einfallen, einen Sünder als glücklicheranzupreisen denn einen Gerechten?“[<strong>GEJ</strong>.02_096,10] Sagt Johannes: „Hat nicht ganz unrecht! Freilich wird hier nurein Sünder aus Schwäche und manchmal unüberlegter Leidenschaft, nicht aberein abgefeimter Knecht der Hölle verstanden; und da möchte unser BruderNathanael eben nicht ganz unrecht haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,11] Sagt Jakobus: „Ja, ja Brüder! Unser Nathanael ist ein Mann,dem wir, was die tiefe und feine Weisheit betrifft, alle zusammen nicht dasWasser reichen können; denn er versteht es so recht aus der Tiefe herauszuholen!Er ist immer der Stille und Wortkarge; aber wenn er spricht, da muß manihn hören! Denn seine Worte sind stets inhaltschwer!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,12] Sagt Nathanael: „Aber Bruder Jakobus, lobe mich doch nichtimmer, wenn ich dann und wann etwas sage! Der Herr weiß es ja am besten,was an mir und meiner schwachen Weisheit ist; denn wäre etwas daran, da wäreich auch schon lange dir gleich ein Bote geworden, so aber bin ich noch immernur ein Schüler, weil es der Herr wohl wissen wird, was mir noch abgeht. Ichhabe wohl einen poetischen, aber darum noch lange keinen prophetischen Geist!Da siehe dir den jungen Bruder Johannes an, der ist ein Prophet schon von derWiege an; das weiß der Herr und hat ihn darum zu Seinem Geheimschreibergemacht!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,13] Sagt Johannes: „Ah, warum nicht gar! Was wäre denn hernachder Bruder Matthäus?“[<strong>GEJ</strong>.02_096,14] Sagt Nathanael: „Der ist des Herrn Offenschreiber – und nurdu Sein Geheimschreiber!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,15] Sagt Johannes: „Mag wohl sein! Und wenn es so ist, so will es— 214 —


der Herr also, und wir müssen es nehmen, wie es uns der Herr gibt!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,16] Brummt Judas Ischariot darein: „Wird euch fortan wahrscheinlichnichts mehr geben! Der Stundensand ist bereits viermal abgelaufen,während wir hier noch immer zwischen Luft und Wasser schweben, was sovielsagen will: als zwischen Leben und Tod; und ich entdecke noch immer keinFahrzeug, das uns nachführe!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,17] Sagt Johannes: „Das macht ja auch nichts; denn Er hat es unsja nicht zeitbestimmlich gesagt, wann Er nachkommen werde!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,18] Sagt Judas: „Dafür wird er wahrlich seinen wohlweisen Grundhaben! Das verstehen wir!“[<strong>GEJ</strong>.02_096,19] Sagt Johannes: „Freund, sage du mir einmal denn doch ganzaufrichtig, ob du denn nach allem dem, was du doch mit deinen höchst eigenenAugen gesehen und mit deinen höchst eigenen Ohren gehört und sicher mit allendeinen Sinnen gefühlt und empfunden hast, noch nicht glaubst, daß unser HerrJesus, so gewiß ich Johannes heiße, wahrhaft Gott ist und Ihm alle Gewalt, inden endlosen Himmeln und auf dieser Erde zu schaffen, zu schalten und zuwalten, vollkommen eigen ist! Ich bitte dich, daß du mir ein aufrichtiges Wortredest!“97. — Judas preist die Wunder der Essäer[<strong>GEJ</strong>.02_097,01] Sagt Judas: „So ich das gleich so ohne alles Bedenken glaubte,da müßte ich so schwach sein wie du und mehrere von euch! Es ist im ganzennoch kaum ein halbes Jahr, daß wir bei ihm sind und so manches gehört undgesehen haben, was unleugbar außerordentlich und wunderbar ist, und ihr, dieihr ganz einfache Leute seid und noch nie etwas anderes gesehen und gehörthabt als diesen, uns alle freilich himmelhoch überragenden Jesus, ihm allerdingsdie volle Göttlichkeit beimessen müsset. Für euch genügen diese seine Werkeund Reden ganz sicher; aber bei mir steht die Sache ganz anders, da ich weitherumgekommen bin und viel anderes Wunderbare gesehen und gehört habe hieund da! Gehet zu den Essäern und sehet, welche Werke sie verrichten, und ichwette, ihr haltet sie alle für lauter Götter, gleich den Römern und Griechen, dieihnen sogar reiche Opfer spenden, weil sie meinen, daß sie Götter seien.[<strong>GEJ</strong>.02_097,02] Sehet, alles das, und hie und da noch Außerordentlicheres, wasunser Jesus tut, könnt ihr ebensogut bei den Essäern sehen. So es aber auf derErde noch eine Menge Menschen gibt, die das leisten, was unser Meister Jesusleistet, da sehe ich denn doch unmöglich ein, wie und warum wir ihm so ganzeigentlich die ausschließlichen Prärogative (Vorrechte) der totalen Göttlichkeitals ungezweifelt wahr beilegen sollten.[<strong>GEJ</strong>.02_097,03] Ja, wenn er der einzige auf der Erde wäre, dem die Elementegehorchen, dann wäre es mit dem Glauben an seine Göttlichkeit ein leichtes;aber da es, meiner nur zu lebendigen Erfahrung zufolge, mehrere solcherMenschen auf der lieben Erde gibt, die einen Rock ohne Naht am Leibe tragen,— 215 —


Kammer ein wenig; aber man konnte die Gerippe ganz leidlich ausnehmen.[<strong>GEJ</strong>.02_097,16] Wir besahen uns eine Weile diese höchst leblosen Gebeine. Dakam der Oberste furchtbar ernsten Aussehens und fragte meinen Führer, ob ihmdie Wiedererweckung der Leichen völlig gelungen sei. Und er antwortete daraufmit einem allerehrfurchtsvollsten ,Ja, hoher, weisester Meister!‘. Darauf sprachder Oberste: ,Nun, so habe denn auf alles acht; dich will ich nun auch in Gegenwartdieses Fremden einweihen, daß du in Zukunft auch die entfleischten Totengebeinesollst zum Leben erwecken können! Gehe hin und betaste mit demDaumen und dem Mittelfinger beider Hände bloß die Brust und den Schädel derGerippe, darauf zähle langsam bis sieben und rufe darauf laut: ,Umhüllet euchmit Fleisch und Haut, und das Lebensfeuer dringe aus den Wänden hervor undbelebe euch zu ordentlichen Menschen!‘[<strong>GEJ</strong>.02_097,17] Solches tat nun augenblicklich mein Führer, und auf dessenletzten Ruf schossen auch im vollsten Ernste starke und reine Flammen hervor,und die ehemaligen Gerippe, von denen nun keine Spur mehr zu entdecken war,standen als vollkommene Menschen voll Leben und voll Regsamkeit, auch beihundert an der Zahl, vor uns, begrüßten uns und dankten dem Obersten für dieseerwiesene Gnade. Dieser beschied sie hinaus in die frische Luft, die ihnen nunnot täte vor allem. –[<strong>GEJ</strong>.02_097,18] Was saget ihr zu allem dem? Wie weit hinten steht da nochunser Meister! –[<strong>GEJ</strong>.02_097,19] Darauf ward ich zum Speisen geladen, und wir setzten uns aneinen langen, speisenleeren Tisch. Der Oberste verrichtete in einer fremdenZunge ein Gebet, sah gen Himmel, und wir alle folgten seinem Beispiele. Dakrachte es auf einmal, als ob des Zimmers Decke eingestürzt wäre; und sehet da,weder ich noch sicher jemand anders konnte sich's versehen, wie die Sache vorsich gegangen war, – und wir saßen an demselben Tische zwar noch, aber er warnun nicht mehr leer, sondern vollbesetzt mit den besten Speisen und Getränken,wie sie sich für ein königliches Abendmahl schicken! Nach dem Abendmahlebesah ich mir noch einmal den Berg, der während der Nacht in einen Palastumgestaltet werden sollte, und begab mich darauf nach der Ordnung der Essäerin ein abgesondertes Gemach zur Ruhe.[<strong>GEJ</strong>.02_097,20] Früh am Morgen schon kam mein Führer zu mir undsprach: ,Komm und schaue!‘ Und ich ging voll Neugierde mit ihm, – und vondem Felsen war keine entfernteste Spur mehr vorhanden! An dessen Stelle standein großer königlicher Palast, in dessen weiten Gemächern ich herumgeführtwurde, wobei ich mich fest überzeugt habe, daß das ganze Wunder kein Blendwerkwar. –[<strong>GEJ</strong>.02_097,21] Ich aber frage euch nun, ob uns unser Meister Jesus etwasHöheres und Wunderbareres vorgeführt hat! Und ihr erkläret ihn schon für denJehova Selbst![<strong>GEJ</strong>.02_097,22] Es sollte euch darum in der Folge, wenn wir noch einmal das— 218 —


Glück haben sollten, ihn zu sehen, nicht allzeit ärgerlich erfassen, so ich vonZeit zu Zeit irgend Fragen stelle, die euch, wie ihm, sicher nicht munden; dennich habe viel Wunderbares vor Jesu gesehen und gehört, und so ihr das rechtwohl bedenket, so kann es euch alle, wenn ihr einige männliche Kraft in euchverspüret, nimmer ärgerlich wundernehmen, so ich mich manchmal ein wenigabsonderlich gebärde!“98. — Johannes und Bartholomäus erklären dem Judas die Trugwunderder Essäer[<strong>GEJ</strong>.02_098,01] Sagt Johannes: „Das, was du uns jetzt von den Essäern erzählthast, habe ich, und so mancher von uns, schon lange gewußt! Aber wir wissennoch mehr als du, und das besteht darin, daß wir wissen, daß eben deine unsangerühmten Essäer noch viel großartigere Betrüger und Halunken sind als diebekannten, jetzt schon nahezu allen Glauben verloren habenden Seher von demOrakel zu Delphi![<strong>GEJ</strong>.02_098,02] Denn diese Menschen – noch ein Überbleibsel aus der altenägyptischen Priesterkaste, versehen mit großen Schätzen, bestehend in Gold undSilber und den kostbarsten Edelsteinen und Perlen – haben sich an der Grenzezwischen unserem gelobten Lande und Ägypten eine wahre Wundermühleerrichtet und besitzen eine zweite nun schon in der Nähe von Jerusalem, mit dersie auch schon die besten Geschäfte machen! Siehe, das wissen wir, und eswundert uns sehr, daß du, der du doch sonst nicht auf den Kopf gefallen bist, dasnicht wissen solltest!“[<strong>GEJ</strong>.02_098,03] Sagt Judas: „Ich habe doch allzeit meine gesunden fünf Sinnebei mir gehabt!“[<strong>GEJ</strong>.02_098,04] Sagt Johannes: „Und hast dennoch nichts gesehen und gehörtund nichts gefühlt und begriffen! Meinst du denn, daß die Toten, die du hasterwecken sehen, wirkliche Tote waren?“[<strong>GEJ</strong>.02_098,05] Sagt Judas: „Was sonst?“[<strong>GEJ</strong>.02_098,06] Sagt Johannes: „Siehst, wie du da in der eigens dafür dunklenKammer nichts gesehen hast!? Die dir gezeigten Toten waren als dir gezeigteTote ebenso lebendig wie du, und der Erweckungsruf war nichts als ein Zeichen,wann sich diese von ihren scheinbaren Totenbetten zu erheben hatten. Da frageunsern guten Bruder Bartholomäus, der zwei Jahre lang als Toter bei denEssäern in gutem Dienste war, aber nach zwei Jahren endlich dennoch eine guteGelegenheit fand, ganz geheim aus dem furchtbaren Kloster dieser Betrüger zuentkommen; der wird es dir schon erzählen, auf welche Art und Weise dieEssäer ihre Toten erwecken![<strong>GEJ</strong>.02_098,07] Er war, wie er mir oft erzählt hat, alle Wochen hindurchviermal tot! Zuerst in der Kammer der jüngst Verstorbenen und darauf gleichnoch einmal in der Kammer der Totengerippe, wo die schwarzen Gestelle, aufderen Deckeln die Gerippe zumeist nur gemalt und nur auf den ersten, wegen— 219 —


des Anfühlens seitens der eingeführten Fremden, aus Holz geschnitzt angeheftetsind, in Reihen angebracht sind. Diese Gestelle sind Bänke mit halbrundenÜberdeckeln, die mit der Unterbank mit Bändern zum Auf- und Zumachenversehen sind. Die lebendigen Menschen müssen sich auf die Unterbank legen;dann werden über sie die beiden Seitenflügel, die auf der Außenseite mit derTotengerippgestalt zumeist nur bemalt sind, geschlagen. Kommen dann ein odermehrere Fremde, und zwar in die sehr dunkel gehaltene Kammer, so wird dieErweckung bewerkstelligt. Der Erweckungsruf ist dann wieder nichts anderesals ein Zeichen zuerst für die zwölf außerhalb der Wände der Gruft vor denbestimmten Öffnungen harrenden Knechte, die auf solchen Ruf fein gepulvertesHarz, das in eine Röhre gestreut ist, über kleine, flammende Pechpfannen in dieÖffnungen hinein- und hindurchzublasen haben, was allzeit einen großenFlammenqualm verursacht.[<strong>GEJ</strong>.02_098,08] Wenn nun auf den Ruf diese Flammen aus den Wändenhervorschlagen, so erschrecken die Fremden, und in diesem wohlberechnetenVerwirrungsaugenblick müssen die auf den Bänken Liegenden schnell dieDeckel auseinanderreißen und sich dann langsam von ihren Bänken erheben unddarauf des Scheines halber in aller Zerknirschtheit ihrem Erwecker den Dankund den Preis darbringen. – Siehe, darin besteht die Totenerweckung in derGerippekammer! Da aber steht der Bruder Bartholomäus als Zeuge!“[<strong>GEJ</strong>.02_098,09] Sagt Judas, die Posserei einsehend, ganz verdutzt: „Nicht übel!Der Betrug ist fein ausgedacht und muß diesen Lumpen sehr viel Geld eintragen.Aber, wie machten sie denn hernach aus dem Felsberge den Palast?“[<strong>GEJ</strong>.02_098,10] Sagt nun Bartholomäus: „Der Palast ist schon lange erbaut!Hast du aber über dem Palaste auf einem starken und hohen Pfeiler nicht einegroße Kuppel gesehen?“[<strong>GEJ</strong>.02_098,11] Sagt Judas: „O ja, die habe ich wohl gesehen und bewundert!“[<strong>GEJ</strong>.02_098,12] Sagt darauf Bartholomäus: „Siehe, in der Kuppel liegt dasleinwandene Geheimnis, wie die Essäer diesen Palast in einer halben Stunde ineinen scheinbaren Berg und in einer gleichen Zeit den Scheinberg wieder in denwirklichen Palast verwandeln können! – Verstehst du mich, oder muß ich michdeutlicher ausdrücken?“[<strong>GEJ</strong>.02_098,13] Sagt Judas: „Oh, ich verstehe dich nur zu gut! Aber wer solltedas meinen, daß diese so fromm und weise tuenden Kerle mit gar so lumpigenSalben gesalbt sein sollen? – Ja, wie ist es denn dann mit der Schrift imVollmonde und mit der totalen Verfinsterung der Sonne?“[<strong>GEJ</strong>.02_098,14] Sagt Bartholomäus: „Das geht gar ins Lächerliche, und ichhabe diesen künstlichen Mond mit fünfzig andern starken Männern gar oft aufeiner ungeheuer langen Stange vom Erker des Schlosses in die freie Luft in einerschiefen Richtung hinaushalten müssen! Der Mond selbst aber besteht aus einembei zwei Spannen breiten Siebreife, der zu beiden Seiten mit weißem Pergamenteüberzogen ist. Der Reif hat einen Durchmesser von zehn starken— 220 —


Handspannen und ist inwendig, das heißt innerhalb der beiden Pergamentdeckel– und zwar in der Mitte des Kreises – mit vier Öllampen versehen, die, angezündet,innerhalb der beiden weißen Pergamentdeckel einen starken Schein verbreiten.Die dem Schlosse zugekehrte Seite ist mit ziemlich großen, sehr schwarzenLettern in drei Zungen beschrieben. Wenn nun ein Fremder schnell an einbestimmtes Fenster geführt wird, so ersieht er scheinbar am Firmamente denbeschriebenen Vollmond, den, wie gesagt, fünfzig starke Menschen auf einergut bei zwölf Klafter langen Stange, die vom Fremden aus dem bestimmtenFenster nicht bemerkt werden kann, schief quer über hoch in der Luft emporhalten.– Nun, wie gefällt dir der Vollmond?“[<strong>GEJ</strong>.02_098,15] Sagt Judas: „Ach, höre auf, das geht ja ins rein Scheußlichealles Betruges! – Ja, wie ist dann die Verfinsterungsgeschichte mit der dochwirklichen Sonne?“[<strong>GEJ</strong>.02_098,16] Sagt Bartholomäus: „Das geht durch eine gewisse kunstvolleBerechnung, aus der sich die Zeit einer künftigen natürlichen Sonnenfinsternis,die, wie mir einer einmal erklärte, durch den Mond, wenn dieser am Tage überdie Sonne hinweggeht, bewirkt wird, genau soll ermitteln lassen. An dieserBerechnung ist aber auch allein etwas daran, weil sie wirklich ins Gebiet desmenschlichen reinen Wissens und Kennens gehört, und die Essäer haben sie vonÄgyptern erlernt. Was aber den anfangs leeren und darauf gedeckten Tisch vollSpeisen betrifft, so ist auch das auf einer höchst einfachen Maschine beruhend,die ungefähr auf die Weise wie die Gerippebänke in der dunklen Kammerbestellt ist![<strong>GEJ</strong>.02_098,17] Sieh, sogestalt sehen die Wunder der Essäer aus, von denen duaber nicht den hundertsten Teil gesehen hast, und die ganz geeignet sind, jedenNichteingeweihten, wenn auch sonst noch so vernünftigen und erfahrenenMenschen, auf das allerweidlichste breitzuschlagen.[<strong>GEJ</strong>.02_098,18] So ist in einem entferntesten Winkel des großen, mit sehrhohen Mauern eingefriedeten Gartens ein Wald, in dem der Fremde die Bäumereden hört; in einem andern Teile des Gartens reden die Felsen, und an einemdritten Ort kannst du sogar eine aus der Erde sprudelnde Quelle reden hören! Ineinem Bassin aus Quadern, über eine Klafter tief gemauert, befindet sich eineMenge zahmer Schlangen, die täglich mit Milch gefüttert werden. Diese redenauch dann und wann! An einem andern Punkte des Gartens spricht sogar dasGras! – Es wäre da viel zu reden, wenn man das alles beschreiben möchte; esgenügt, so ich dir sage, daß da nahezu Tag für Tag bei 30 bis 40 Fremde breitgeschlagenwerden um viel Gold und Silber!“99. — Die Philosophie der Essäer[<strong>GEJ</strong>.02_099,01] (Bartholomäus): „Das Schönste aber ist noch das, daß dannund wann auch wirklich verstorbene Kinder reicher Eltern zur Wiedererweckungangenommen werden, wo aber der wiedererweckte Sohn oder die wieder-— 221 —


erweckte Tochter den Eltern nicht vor einem, manchmal auch zwei Jahrenwiedergegeben werden. Wenn durch vieles Bitten und um vieles Gold undSilber eine verstorbene Tochter oder ein verstorbener Sohn in der Erweckungsanstaltder Essäer angenommen wird, so geht so eine Art Heiland von einemEssäer zu den traurigen Eltern und erkundigt sich haarklein um alles, was dasverstorbene Kind nur immer betreffen mag. Es muß da genau das Alterangeführt werden, so auch alles, was das verstorbene Kind je gehört, gesehenund gelernt hatte, ob und was es gerne gegessen und getrunken, wie sein Bettund Wohnzimmer aussah, wer und wie beschaffen des Kindes Gespielen undFreunde waren, was sich alles unter ihnen zugetragen, und bei welchen Gelegenheitenund an welchen Orten; kurz, da darf nicht die geringste Kleinigkeitverschwiegen werden, – denn sonst, sagt der Essäer, kann die Wiedererweckungnicht bewerkstelligt werden![<strong>GEJ</strong>.02_099,02] Die guten Eltern erzählen das auch gerne haarklein undmeinen ungezweifelt, daß der forschende Essäerheiland solches vollwahr zurErweckung ihres verstorbenen und vielgeliebten Kindes benötige. – Allein derEssäer braucht solches zu etwas ganz anderem![<strong>GEJ</strong>.02_099,03] An der Grenze von Ägypten haben die Essäer eine großeMenschenzuchtanstalt von allen möglichen Arten und Gestalten, nehmen ganzgeschickt ein Abbild von dem Verstorbenen, den sie darauf bald und recht tief indie Erde begraben. Mit dem Abbilde gehen sie dann in ihre große Zuchtanstaltund suchen sich unter den mehreren Tausenden von Kindern jeden Alters dasdem Abbilde des Verstorbenen ähnlichste heraus, nehmen es mit und erziehen esdann auf das sorgfältigste in allem dem, was sie vom Verstorbenen wissen, undführen es oftmals ganz geheim an die Orte hin, an denen der Verstorbene oftwar, laden nach und nach auch dessen Freunde ins Kloster und machen denNeuerweckten mit ihnen vorteilhaft bekannt. Sie machen ihn mit der Einrichtungdes zukünftigen Elternhauses auf das möglichst genaueste bekannt,beschreiben alle Zimmer, damit der seine Eltern dann um alles fragen kann unddie Eltern dadurch eine wahrhaftige Freude haben an ihrem Sohne oder an ihrerTochter. Kurz, es wird die Sache so klug bestellt, daß die Eltern darüber auchnicht den allergeringsten Zweifel haben, daß der von der Erweckungsanstaltihnen als wieder lebendig zurückgegebene Sohn oder die Tochter echt sei.Natürlich wird dann bei der Rückgabe ungeheuer gezahlt, und das mit vielenFreuden.[<strong>GEJ</strong>.02_099,04] Den armen Eltern kommt so ein Wunder freilich fast niezugute; aber sie werden dafür recht herzlich getröstet und durch allerlei kleine,wenig kostende Wunder im Glauben bestärkt, daß ihr verstorbenes Kind ingeradester Linie ins Elysium* aufgefahren sei, und das macht die armen Elterndann auch wieder frohgestimmt.*) Elysium — in der altgriechischen Religion Wohnsitz der Seligen.[<strong>GEJ</strong>.02_099,05] Im Grunde aber haben diese Essäer gar keine schlechtenLebensgrundsätze; denn sie sagen: ,Es muß eine Gesellschaft von tiefgebildeten— 222 —


Menschen unter den Menschen sein, die dann für die Beglückung ihrer Nebenmenschenalles aufzubieten hat, was auch immer für Mittel sie zum Zwecke fürvollends tauglich findet. Solch eine gebildete Gesellschaft hat durch ihr jahrelangesLernen, Denken und Forschen gefunden, daß der Tod die letzte Liniealler Dinge ist, und daß es nach dem Tode kein Bewußtsein und kein Lebenunter irgendeiner Form mehr gibt. Die Glieder der Gesellschaft aber habenPhilosophie genug, um das Leben zu verachten und lange nicht als der GüterHöchstes zu betrachten; aber um die Außenmenschen glücklich zu machen, mußihnen noch ein vollkommeneres Leben der Seele nach dem Tode gepredigtwerden. Um den Außenmenschen aber solches fest begreiflich zu machen, mußman Scheinwunder zu Hilfe nehmen. Je außerordentlicher dieselben zustandegebracht werden können, desto wirksamer sind sie![<strong>GEJ</strong>.02_099,06] Dazu aber gehört von seiten der eingeweihten Mitglieder stetsdie tiefste Verschwiegenheit, und ein jeder hat die strengste Pflicht, vor denAußenmenschen die Wahrheit zu fliehen, mehr denn die Pest; denn jedeWahrheit macht den Menschen zum Sklaven des Todes. Darum auch schonMoses in seiner Genesis auf diesen Umstand in einem einzigen, kurzen Versemit der reinen Wahrheit zum Vorscheine kam, da er sagte: ,Wenn du vomBaume der Erkenntnis – was soviel heiße als vom Baume der Wahrheit – essenwirst, da auch wirst du sterben!‘ Und so geht es mit jedem Menschen, der allenthalbennach der Wahrheit trachtet und sich ihr, und somit dem Tode, in dieArme wirft. Darum hat auch Moses, als ein in alle Weisheit und Wahrheit derägyptischen Priesterkaste Eingeweihter, für die Juden sogleich einen Priesterstandgebildet, der sich – freilich schon ganz entartet – bis auf diese Zeit erhaltenhat.[<strong>GEJ</strong>.02_099,07] Der Hauptgrundsatz muß aber Liebe sein, mit der im unwandelbarenVerbande zu leben die Außenmenschen wie von Gott aus verpflichtetsein sollen, und es müssen darum die Menschen sogar durch Gesetze, die Gottgeoffenbart habe, streng zur Ausübung dieser Tugend angehalten werden. Damitsie sich solcher Tugend stets mehr und mehr befleißen und sich die gepredigteGottheit als daseiend mehr versinnlichen, so muß ihnen die Liebe zu Gott vorallem so stark als möglich ans Herz gelegt und Gott Selbst ihnen einerseits alsein guter Vater voll der höchsten Liebe, anderseits den Widerspenstigen gegenüberauch als allergerechtester Richter dargestellt werden, der alles Gute dergepredigten Liebe gemäß ewig belohnt, alles Böse aber auch als der gepredigtenLiebe zuwider zeitlich und ewig bestraft; dadurch wird die Menschheit am leichtestenim Zaume gehalten und zu allerlei guten und nützlichen Dingen zuverwenden sein.[<strong>GEJ</strong>.02_099,08] Sollte sich jedoch ein Mensch vorfinden, der anfinge, seinenNebenmenschen die Wahrheit zu predigen und dergleichen Anstalten wie dieihrige zu verdächtigen, so solle von der Anstalt aus alles aufgeboten werden,solch ein Ungeheuer, das den Millionen durch seine Wahrheitslehren den Todbringt, so schnell wie möglich aus dem Wege zu räumen, oder noch besser,womöglich für die Anstalt zu gewinnen! Denn nichts sei den Außenmenschen— 223 —


gefährlicher als was immer für eine Aufklärung im Bereiche des Glaubens aneinen Gott und an ein ewiges Leben.‘ –[<strong>GEJ</strong>.02_099,09] Siehe, das sind die Lebensgrundsätze der von dir, BruderJudas, so berühmt uns vorgeführten Essäer! Weltlich genommen kann man sienicht zu sehr tadeln, aber geistig, wie wir nun ein ganz anderes Licht haben, sindsie über alle Maßen verwerflich! Denn aus ihrem Munde hört nie ein Uneingeweihterauch nur eine wahre Silbe; und will er vor ihnen die Wahrheit reden, soschreibt er sich dadurch sein sicheres Todesurteil!“[<strong>GEJ</strong>.02_099,10] Sagt Judas, ganz zornig aussehend: „Oh, sind das dochBestien! Nein, daß diese Kerle mit solchen Salben gesalbt sind, davon hätte ichohne dich auch nie eine Silbe geglaubt; aber da du, als selbst ein einstmaligerEssäer, uns nun solches kundgibst, glaube ich es! – Aber wie kamst du denn mitheiler Haut aus dem Kloster?“[<strong>GEJ</strong>.02_099,11] Sagt Bartholomäus: „Ich ließ mich vollends einweihen, legtemeine Proben ab und kam dann zur Besorgung des Außendienstes hierher. Undweil ich das Vertrauen genoß im Vollmaße, so ward ich auch draußen belassen;denn diesen Vorteil gewährt das Kloster recht gerne, weil es davon nur Vorteileziehen kann und nie irgendeinen Schaden.[<strong>GEJ</strong>.02_099,12] Nun aber, da ich statt der Lüge die vollste Wahrheit habekennengelernt, bleibe ich schon desto sicherer für immer draußen! Von mir aussollen die im Kloster nie erfahren, was ich weiß; aber mit der Zeit sollen es die,die draußen sind, erfahren, was die Essäer im Kloster tun!“100. — Die bedrängten Jünger auf dem Meer[<strong>GEJ</strong>.02_100,01] Sagt Petrus: „Aber es wird nun schon die dritte Nachtwachesein (etwa ein Uhr nach Mitternacht), und noch ist von keiner Seite her einFahrzeug auf dem Meere zu entdecken!“[<strong>GEJ</strong>.02_100,02] Sagt Andreas, der sehr scharfe Augen hatte: „Ich entdeckeauch nichts, – kann schauen, wie ich will!“[<strong>GEJ</strong>.02_100,03] Sagt der Zöllner Matthäus: „Wenn sich nur einmal der uns garwidrige Wind legte! Die Schiffsknechte sind schon vom starken Rudern ganzerschöpft, trotzdem wir sie nun schon einige Male recht tüchtig unterstützthaben. Nur mit aller Anstrengung können wir uns auf der hohen See erhalten.Wenn es nur einmal zu grauen anfinge! Der Morgen bringt uns sicher einenandern Wind!“[<strong>GEJ</strong>.02_100,04] Sagt Nathanael: „Ich fragte um alles andere wenig, wenn nurder Herr nachkäme, – sonst es vielleicht denn doch rätlich wäre, daß wir wiederzurückführen und Ihn suchen gingen! Am Ende ist Er möglicherweise etwa dochin die Hände der Herodesknechte geraten!?“[<strong>GEJ</strong>.02_100,05] Sagt Simon: „Ah, was nicht noch alles! Er, dem alle Himmelund alle Elemente zu Gebote stehen – und die elenden Knechte Herodes! Er hat— 224 —


es einmal gesagt, daß Er nachkommen werde, so Er alles Volk entlassen habenwird, und daß wir vor ihm hinüberfahren sollen! Was Er sagt – ist heilig undsomit überwahr! Wir werden das andere Ufer noch lange nicht erreicht habenbei diesem widrigen Winde, und Er wird bei uns sein! Denn wer den Windengebieten kann, der kommt leicht und geschwind übers Meer!“[<strong>GEJ</strong>.02_100,06] Sagt Johannes: „Bin ganz deiner Meinung! Darum vertrauenwir nur alle fest auf Ihn, Er verläßt uns in Ewigkeit nicht! Sehet, bei dem starkenWinde, der uns nun schon bei fünf Stunden lang plagt, würden unsere Rudereine ganz schlechte Wirkung gegen den Sturm zustande gebracht haben, wennuns Seine Macht über die Elemente nicht auf der Höhe des Meeres erhaltenhätte! Ohne Seine Einwirkung wären wir schon lange wieder dort, von wo wirausgefahren sind! Denn, wie ich's recht gut merke, so steht unser Schiff wieangemauert auf einem Punkte, und ich meine, daß wir, recht festen Glaubens aufIhn, das Rudern, das die Schiffsknechte schon ganz erschöpft gemacht hat, ganzfüglich einstellen könnten; das Schiff wird sich dennoch nicht von dieser Stellebewegen, und der Herr wird uns wahrscheinlich auf dieser Stelle einholenwollen, sonst wären wir schon lange Gott weiß wo bei diesem Sturme!“[<strong>GEJ</strong>.02_100,07] Sagt Petrus: „Ja, ja, du hast aber auch ganz recht! Ich merke esauch, daß uns der sehr heftige Wind nichts anhaben kann, und unsere Ruderwürden diesem Winde nicht Meister zu sein vermögen, wenn uns Seine göttlicheMacht nicht handgreiflich klar Hilfe leistete. Ich werde nun auch den Knechtensagen, daß sie mit dem Rudern sich keine so große Mühe geben sollen.“[<strong>GEJ</strong>.02_100,08] Petrus ging nun zu den Knechten und sagte zu ihnen, daß siemit dem Rudern sich nicht zu sehr abmühen sollten.[<strong>GEJ</strong>.02_100,09] Aber die Knechte sagten: „Wir sehen die Küste längs derWüste, wie sie weiß ist vor Schaum; die Küstenbrandung muß mächtig sein!Erhalten wir uns nicht bis zum Morgen auf der Höhe, so gehen wir allesamtzugrunde!“[<strong>GEJ</strong>.02_100,10] Sagt Petrus zu den Knechten: „Da müßten wir nicht Jünger desallmächtigen Herrn Jesus sein! Da wir aber Seine Jünger sind, so wird uns derSturm auch ohne das beständige fruchtlose Rudern nichts oder sehr weniganhaben können. – Wir haben nicht mehr weit bis zum Morgen, und am Tagewird es uns allen besser ergehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_100,11] Auf diese Worte des Petrus stellen die Knechte das Rudernmehr und mehr ein und merken, daß das Schiff sich auch ohne ihr Rudern aufder Höhe erhält. Und so fangen auch die acht Knechte an zu glauben, daß dasSchiff im vollsten Ernste durch Meine Kraft auf Höhe des Meeres erhaltenwerde.101. — Des Petrus Glaubensprobe. (Matth. 14)[<strong>GEJ</strong>.02_101,01] Es ist aber bei solcher Gelegenheit um die Zeit der viertenNachtwache geworden. Da legte sich der Wind ein wenig, und der scharfäugige— 225 —


Andreas sah nach allen Richtungen hin über die noch stark bewegte Meeresflächeund erblickte einen Menschen auf den Meereswogen ganz wie auf demtrockenen Lande einherwandeln. (Matth.14,25)[<strong>GEJ</strong>.02_101,02] Da berief Andreas die Brüder, machte sie auf die über denMeereswogen wandelnde Gestalt aufmerksam und sagte: „Brüder, das ist keingutes Zeichen, es ist ein Seegespenst! Wenn solche Wesen sich sehen lassen, dahaben die Schiffer nichts Gutes zu erwarten!“ (Matth.14,26)[<strong>GEJ</strong>.02_101,03] In die Meinung des Andreas stimmten bald alle ein, gerietendarauf in große Furcht und fingen an zu schreien: „O Jesus, warum hast Du unsverlassen, daß wir nun alle unrettbar werden zugrunde gehen müssen!? Oh,wenn Du noch irgendwo bist, so gedenke unser und errette uns vor dem sicherenUntergange!“[<strong>GEJ</strong>.02_101,04] Während die Jünger noch so schrien und um Hilfe riefen, kamIch auf zehn Schritte dem Schiffe nahe und redete die vor Furcht Bebenden alsoan: „Seid getröstet, Ich bin es ja! Fürchtet euch darum nicht!“ (Matth.14,27) –Da wurden die Jünger still.[<strong>GEJ</strong>.02_101,05] Andreas sagte: „Beim Himmel, es ist Jesus, unser Herr undMeister!“[<strong>GEJ</strong>.02_101,06] Petrus aber zweifelte noch ein wenig und sagte: „Wenn Er esist, so muß Er mich aufs Meer steigen lassen, auf daß auch ich wie Er auf demWasser für meine Füße eine feste Unterlage erprobe!“[<strong>GEJ</strong>.02_101,07] Sagt Andreas: „Wirst du wohl auch den Mut haben, so Er dichberiefe, zu Ihm aufs bewegte Meer hinauszutreten?“[<strong>GEJ</strong>.02_101,08] Sagt Petrus: „Allerdings! Ich weiß es wohl, daß das Meer hieram tiefsten ist; ist Er es, so wird mir nichts zuleide geschehen, – ist Er es abernicht, sondern ein uns äffendes Gespenst, so sind wir ohnehin verloren. Ich geheda nur einige Augenblicke vor euch hinab in den tiefen Grund und werde füreuch alle eine Wohnung bestellen!“[<strong>GEJ</strong>.02_101,09] Darauf ging Petrus in die niederste Mitte des Schiffes undschrie hinaus zu Mir: „Herr, so Du es bist, da heiße mich auf dem Wasser zu Dirhinauskommen!“ (Matth.14,28)[<strong>GEJ</strong>.02_101,10] Da sagte Ich zu ihm: „Komm heraus und überzeuge dich!“[<strong>GEJ</strong>.02_101,11] Da trat Petrus unter dem Angstgeschrei der Brüder aus demSchiff aufs Wasser. Als die Brüder aber sahen, daß Petrus nicht unterging,sondern ganz so wie Ich auf dem Wasser dahinging, da wich aller Zweifel vonihnen, und ein jeder glaubte, daß Ich es war.[<strong>GEJ</strong>.02_101,12] Petrus aber eilte, daß er zu Mir käme. (Matth.14,29) Als eraber kaum noch sieben kleine Schritte von Mir entfernt war, da sah er starkenWind kommen, der hohe Wellen vor sich hertrieb. Er erschrak darum heftig,fing an, daran zu denken, wie ihn die hohen Wellen etwa doch mit sich reißenmöchten, verlor dabei ein wenig nur den starken Glauben und bemerkte, daß er— 226 —


mit den Füßen schon über die Knie zu sinken begann. Da fing er an, garjämmerlich zu schreien: „Herr, hilf mir!“ (Matth.14,30)[<strong>GEJ</strong>.02_101,13] Ich aber trat schnell zu ihm hin, streckte Meine Hand nach ihmaus, zog ihn heraus und setzte ihn wieder auf des Wassers Oberfläche, die ihnnun wieder trug wie zuvor, – sagte aber darauf zu ihm: „O du Kleingläubiger!Warum zweifelst du? (Matth.14,31) Weißt du denn noch nicht, daß derungezweifelte Glaube allein ein Meister aller Elemente ist?“[<strong>GEJ</strong>.02_101,14] Petrus aber sprach: „Herr, vergib es mir! Denn Du siehst es ja,daß ich noch immer nur ein schwacher Mensch bin. Der Wind und die gegenuns ziehenden Wogen haben mich also erschreckt!“[<strong>GEJ</strong>.02_101,15] Sagte Ich: „Nun ist schon wieder alles gut! Wir stehen nun amSchiffe, und so steigen wir in dasselbe!“[<strong>GEJ</strong>.02_101,16] Darauf stiegen wir denn auch ins Schiff, und der Sturm hattesich im selben Augenblick gelegt. (Matth.14,32)[<strong>GEJ</strong>.02_101,17] Alle aber, die Jünger und die Schiffsknechte, eilten zu Mir,priesen Mich und sagten einstimmig: „Nun erst erkennen wir, daß Du wahrhaftigGottes Sohn bist!“ (Matth.14,33)[<strong>GEJ</strong>.02_101,18] Und Mein Johannes umfaßte und herzte Mich aus allen seinenKräften und sprach: „O Du mein Jesus Du, daß wir nur Dich wieder haben! Jetztist alle unsere Furcht dahin! Aber nur Du verlaß uns nimmer; denn es ist gar zuentsetzlich schrecklich, ohne Dich zu sein! Wahrlich, an diese nächtlicheMeeresfahrt werde ich denken mein Leben lang! Denn so viel Angst und Schreckenhabe ich noch nie ausgestanden! Jetzt kann der Sturm sich um uns herlustig machen, wie er will; denn nun haben wir seinen Meister in unserer Mitte,der ihm zu schweigen gebieten kann, und das Ungetüm muß gehorchen derStimme des Allmächtigen!“102. — Ankunft in der Freistadt Genezareth. (Matth. 14)[<strong>GEJ</strong>.02_102,01] Sage Ich: „Ob ihr Mich sehet oder nicht, so bin Ich dennochbei euch; denn so ihr Mir glaubet, auf Meinen Namen bauet, vertrauet und hoffetund Mich wahrhaft liebet, dann bin Ich allzeit bei euch und unter euch; aber deran Mir zweifelt, bei dem bin Ich dennoch nicht – und sähe er Mich auch fest anseiner Seite stehen![<strong>GEJ</strong>.02_102,02] Im übrigen aber hat der Bruder Bartholomäus sehr wohl darangetan, daß er über das Wesen der Essäer besonders dem Judas die Augen geöffnethat. Es wird zwar für ihn wenig Heil daraus erwachsen; aber desto mehr füreuch andere! Denn Judas gefällt sich heimlich in solchen Trugstücken undmeint: ,So ich von Jesus die Wirklichkeit (das Wunderwirken) nicht erlerne,gehe ich zu den Essäern!‘ – Denn er ist und bleibt ein Geizhals, und zehn PfundeGoldes sind ihm lieber als die allerhimmlischste Wahrheit und das ewige Lebendazu! Wenn ihm Herodes heute ein bedeutendes Angebot macht, da verrät und— 227 —


verkauft er uns alle! Diese Erde wird ihn schwerlich je bessern![<strong>GEJ</strong>.02_102,03] Darum ist für den Menschen nichts gefährlicher zum ewigenLeben als die großen Schätze dieser Welt! Was aber nützet es dennoch demMenschen, so er auch besäße die Schätze der ganzen Welt, aber dafür an seinerSeele Schaden litte? Ehe er sich's versehen wird, wird man seine Seele von ihmnehmen und sie werfen in große Finsternis, da ewiges Heulen und Zähneknirschenwaltet! Wieviel werden ihm dann alle seine Schätze nützen!?[<strong>GEJ</strong>.02_102,04] Darum sammle sich ein jeder von euch Schätze des Geistes,die vom Roste und von den Motten nicht zerstört werden können, dann werdetihr von allem in großer Genüge haben ewig![<strong>GEJ</strong>.02_102,05] Sehet, da unten am Boden des Meeres liegt schon manchesbeladene Schiff mit seinen Herren und Schiffern begraben! Welchen Gewinnhaben die nun, die da wollten auf den Märkten große Summen erbeuten? EinSturm machte all ihrem losen Tun und Treiben ein Ende, und ihre Seelen sindmit begraben worden in den Abgrund![<strong>GEJ</strong>.02_102,06] Ihr aber hattet auf eurem Schiffe, das diese Nacht hindurch miteinem sehr heftigen Sturme zu kämpfen hatte, nichts als die unverwüstlichenSchätze für Geist und Leben aus Gott geladen, – und sehet, der Orkanvermochte es auch mit all seiner ungestümen Gewalt nicht, euch hinabzuschleudernin den Abgrund! Und Ich kam deshalb zu Fuß über den brausenden Wogenzu euch, um euch in der Tat zu zeigen, daß der, der allein des Himmels ewigeSchätze in sich trägt, sich über alle die tollen Stürme und Wogen des Weltgetriebesleicht erhebt und über denselben fein schadlos einherwandeln kann und amEnde dennoch der Herr über all das Ungemach der Welt ist und verbleibt.[<strong>GEJ</strong>.02_102,07] Wenn er aber sein Lebensschiff beschwert mit den Schätzender Welt und der Sturm ereilt ihn über den Wogen seiner Weltsorgen, so werdendann Schiff und Schiffer beide untergehen! – Habt ihr alle dies Gesagte wohlbegriffen?“[<strong>GEJ</strong>.02_102,08] Sagen alle: „Ja, Herr, das war klar und sehr verständlich undüber alle Maßen vollwahr.“[<strong>GEJ</strong>.02_102,09] Sage Ich: „Nun wohl denn, so lasset uns hinüberschiffen nachdem Städtchen Genezareth und in das kleine freie Ländchen, welches da führtden Namen seiner kleinen Stadt!“[<strong>GEJ</strong>.02_102,10] Und die Knechte fingen an zu rudern, und wir kamen einekleine halbe Stunde Weges unterhalb der Stadt Genezareth ans Land(Matth.14,34). Das Meer machte aber gegen Genezareth eine große Einbuchtungund war mit derselben nur durch eine kaum zehn Klafter breite Meerengeverbunden, darum denn auch diese Bucht eigens den Namen ,See Genezareth‘führte. An der linken Erdzunge stiegen wir denn auch ans Land, weil dieSchiffe, welche die Meerenge passierten und in den See Genezareth fuhren,einen Zoll entrichten mußten. Wir ließen dann an der Erdzunge unser Schiffanbinden und ließen nur zwei Knechte im selben als Wache zurück, die andern— 228 —


sechs aber zogen mit uns in die Stadt und kauften darin für ihren Bedarf Brot,Salz und etwas Wein; die Nacht hatte sie sehr stärkungsbedürftig gemacht.[<strong>GEJ</strong>.02_102,11] Ich aber habe ihnen das wenige, was sie sich kauften, gesegnet,daß sie alle mehrere Tage lang zu essen und zu trinken hatten.[<strong>GEJ</strong>.02_102,12] Ich habe Mich in Genezareth mehrere Tage lang aufgehalten;denn das war eine Freistadt, und man konnte dort weder von Jerusalem, nochvom Tempel und ebensowenig von Herodes angegriffen werden, weil dieseStadt unter strengem Schutze der Römer stand, die dort ein beständiges Lagerhielten, das von Kapernaum aus befehligt ward. Es steht solches zwar in keinerSchrift gezeichnet, weil es zu geringfügig war, aber dessenungeachtet verhieltsich alles genau also.103. — Der Herr mit den Seinen beim Wirte Ebahl[<strong>GEJ</strong>.02_103,01] Als wir in der Stadt ankamen, kehrten wir in die Herbergeeines biederen Mannes ein, der Ebahl hieß.[<strong>GEJ</strong>.02_103,02] Ebahl nahm uns sehr gastfreundlich auf und sagte: „AllemAnscheine und der Kleidung nach seid ihr Galiläer aus der Gegend vonNazareth!?“ Wir bejahten es ihm, und er ließ uns sogleich Brot, Wein undFische bringen und sagte: „Drei Tage und Nächte hindurch seid ihr völligzahlungsfrei! Könnet ihr als Nazaräer mir aber einen Aufschluß über denberühmten Heiland namens Jesus geben, der auf die wunderbarste Weise allemöglichen Krankheiten heilen soll, so halte ich euch euer Leben lang zechfrei,und ihr könnet essen und trinken, was ihr wollet und möget![<strong>GEJ</strong>.02_103,03] Wenn sich die Sache mit dem berühmten Jesus so verhält, sobiete ich alles auf, um ihn zu finden und dann, neben ihm auf Knien gehend, ihnhierherzubringen! Denn unser sonst gutes und freies Ländchen hat aber dochgleichfort das Üble, daß es in einem fort von allerlei argen Krankheiten heimgesuchtist. Es sind die Krankheiten zwar nicht eben so sehr tödlicher Art; aberdafür desto lästiger, und man wird sie nicht los![<strong>GEJ</strong>.02_103,04] Wenn es nun denn möglich wäre, diesen Heiland zu uns zubringen, – beim Jehova, ich wüßte nicht, was ich darum gäbe! Ich selbst habeeine ganz große Herberge voll Kranker, die vor Schmerzen gar keinen Schrittweiterreisen können, und es sind manche weither; sogar Ägypter, Perser undIndier sind darunter und können nicht fort. So liegen bei mir auch Pharisäer undSchriftgelehrte aus Jerusalem und zwei Essäerbrüder schwer krank, und keinArzt und Heiland, soviel auch ihrer von allen Orten hier waren, kann ihrerKrankheit Meister werden![<strong>GEJ</strong>.02_103,05] Wenn ihr mir also diesen Jesus aus Nazareth verschaffen odermir nur wenigstens sagen könnt, wo ich ihn halbwegs sicher treffe, so seid ihralle, wie gesagt, meine Gäste euer Leben lang!“[<strong>GEJ</strong>.02_103,06] Sage Ich: „Warum hast du denn nicht schon lange nach Ihm— 229 —


Boten gesandt, da du wußtest, daß Er Sich in Nazareth aufhält?“[<strong>GEJ</strong>.02_103,07] Sagt Ebahl: „Das habe ich nicht einmal, sondern schon oftmalsgetan, habe aber noch nie das Glück gehabt, von den zurückgekehrten Boten zuhören: ,Wir haben ihn gefunden!‘ Wohl erzählten sie mir tausend Wunderdingevon ihm, die ihnen von andern erzählt worden sind; aber sie selbst haben nochnie das Glück gehabt, mit ihm persönliche Bekanntschaft zu machen.“[<strong>GEJ</strong>.02_103,08] Sage Ich: „Nun denn, weil Ich sehe, daß dich in bezug auf denHeiland Jesus kein Eigennutz beseelt, sondern daß du vollwahr nur einzig undallein den Wunsch hast, den Leidenden, welchen Nationen sie auch angehörenmögen, Hilfe zu bringen – was Mich denn auch hierher geführt hat –, so wissedenn zu deiner Freude und zu deinem Troste, daß Ich eben derselbe Jesus bin,den du so oft vergeblich gesucht hast, und den Kranken in deiner Herberge sollin diesem Augenblick geholfen sein! Sende nun deine Knechte nach derHerberge und frage sie, ob noch ein Kranker darin zu finden ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_103,09] Da war Ebahl nahe außer sich vor Freude und sprach:„Meister, so du es bist, dann glaube ich deinem Wort und will gar nicht weitermich erkundigen; du wirst es schon ganz sicher sein, und ich kann schon imvoraus Gott nicht genug loben und preisen, daß Er meinem Hause ein sounerwartet großes Heil hat widerfahren lassen! Meister, großer, göttlicherMeister, schaffe (verlange) nun für dich und die Deinen; denn nun bist du ganzHerr in meinem Hause! Alles, was du darin findest, muß sich deinem Willenfügen!“[<strong>GEJ</strong>.02_103,10] Als er noch also weiterredete, kam schon die Nachricht vonseiner großen Herberge, daß die bei zweitausend Kranken auf einmal vollkommengesund geworden sind. Es müsse da ein Wunder geschehen sein, ansonst soetwas rein unmöglich wäre! Die Geheilten würden bald selbst kommen und demHerbergsherrn ihren heißesten Dank mit Wort und Tat abstatten![<strong>GEJ</strong>.02_103,11] Sagt Ebahl: „Gehet hin und saget es ihnen, daß ich fürs erstealles dessen nicht bedarf, und daß mir darum auch nicht der geringste Dankgebühre, sondern Gott allein, der den Wunderheiland in unsern Ort gnädiglichgeführt hat! Verlanget von den Reichen, die fremd sind, einen mäßigenHerbergslohn für euch, aber tuet mir ja niemandem zu hart! Die Heimischenaber seien frei!“[<strong>GEJ</strong>.02_103,12] Auf diese Worte entfernen sich die Nachrichtbringer und tun,was ihnen ihr Herr geboten hat.[<strong>GEJ</strong>.02_103,13] Darauf aber wendet sich Ebahl wieder zu Mir, fällt vor Mir aufseine Knie und dankt Mir mit vielen Tränen großer Freude für die seinem Hauseerwiesene wunderbare Wohltat.[<strong>GEJ</strong>.02_103,14] Ich aber heiße ihn aufstehen und Mir vorführen seine Weiberund Kinder.[<strong>GEJ</strong>.02_103,15] Und er geht und tut, was Ich von ihm verlangte.— 230 —


[<strong>GEJ</strong>.02_103,16] Als er seine zwei Weiber und sechzehn Kinder zu Mir brachte,darunter zehn männliche und sechs weibliche, sagte er (Ebahl): „Siehe an mirnoch einen echten Israeliten! Wie dereinst Jakob, unser Stammvater, eine Leaund eine Rahel zu Weibern hatte und mit beiden Kinder zeugte, also habe auchich mir zwei Weiber genommen, die jedoch nicht Schwestern sind, und habe mitdem älteren Weibe die zehn Knaben und mit dem jüngeren sechs Mägdleingezeugt; allein, wie du siehst, die zehn Knäblein sind nun schon rüstige Männerund Jünglinge, und die sechs Mägdlein sind auch schon, jegliches über zehnJahre, zu Jungfrauen herangereift, und ich zähle siebzig Jahre.[<strong>GEJ</strong>.02_103,17] Alle diese Kinder sind nach der Schrift erzogen, und meinältester Sohn ist ein Schriftgelehrter, aber nicht im Solde des Tempels stehend,sondern bloß für sich und dereinst für seine Nachkommen! Aber auch meineandern Kinder sind in der Schrift tüchtig bewandert, kennen den reinen WillenGottes und sind allzeit streng gehalten, danach zu handeln. Sie lieben Gott, abersie fürchten Ihn auch; denn Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit. In meinemHause werden die wahren Weisheitssprüche des Jesus von Sirach strengegehandhabt. – Bist du, großer Meister, wohl zufrieden mit meinerHausordnung?“[<strong>GEJ</strong>.02_103,18] Sage Ich: „Wie es bis jetzt üblich war, ist deiner Hausordnungnichts auszustellen, und Ich verbiete es auch niemandem, zwei, drei und auchnoch mehr Weiber zu haben; denn das Weib ist der Zucht (Fortpflanzung) derMenschen wegen erschaffen worden. Ein unzüchtiges (unfruchtbares) Weib istGott nicht wohlgefällig, es müßte denn sein, daß sie von Natur aus unzüchtig ist,– was eine Sache ist, für die kein Mensch kann.[<strong>GEJ</strong>.02_103,19] Aber in der Folge soll ein jeglicher Mann nicht mehr denn nureine Jungfrau oder eine Witwe, die noch zuchtfähig ist, sich zum Weibenehmen; denn wäre es Gottes Wille gewesen, daß ein Mann mehr denn ein Weibhabe, so hätte Er dem Adam auch sicher mehr als nur ein Weib erschaffen. AberGott wollte, daß ein jeglicher Mann nur ein Weib haben solle und gab daherdem Adam auch nur ein Weib.[<strong>GEJ</strong>.02_103,20] Daß die Menschen hernach von diesem ersten Gesetzeabgegangen sind – was besonders bei den Heiden oft ins lasterhafte Böse ging,da besonders ein Fürst sich gleich alle die schönsten Jungfrauen seines Landeszu seinen Weibern nahm und dazu noch von fremden Fürsten sich auch mehreredazukaufte –, war nicht Gottes, sondern der sinnlichen Menschen Wille; dennviele der Weiber eines Fürsten oder eines sonstigen Reichen waren nicht Weiberfür die Zucht, sondern pure Lustdirnen zur Erweckung der zugrunde gegangenenMannheit und deren Wollust. Jeder Mann aber lebt dann nicht mehr vollkommenin der göttlichen Ordnung, so er das erste Urgesetz Gottes nicht hält![<strong>GEJ</strong>.02_103,21] Ah, was ganz anderes ist es, so das eine Weib unzüchtig(fortpflanzungsunfähig) wäre, wie es bei der Rahel der Fall war; da kann derMann sich auch ein zweites Weib nehmen und in ihr sich Nachkommenerwecken. Jedoch bei dir ist dennoch alles in der Ordnung; du hattest stets einen— 231 —


gerechten Sinn, der Gott wohlgefällig ist, und so bist du ein Gerechter vor Gottund den Menschen, ansonst Ich in dein Haus nicht gekommen wäre!“104. — Der Herr segnet die Familie des Ebahl und tadelt die Essäer[<strong>GEJ</strong>.02_104,01] Hierauf segnete Ich die Kinder und die beiden Weiber wie einWeib, da beide eines Sinnes und eines Herzens waren und sich nie mit Zank undHader begegnet sind. Nach der Segnung entließ Ich wieder die zwei Weiber unddie sechzehn Kinder und sagte zu Ebahl: „Du kannst eine rechte Freude andeinen Kindern haben; denn darunter ist nicht eines verdorben, weder geistignoch naturmäßig. Alle strotzen vor Gesundheit und haben noch ganz kristallreineHerzen, voll Frömmigkeit und Gehorsam, und deine beiden Weiber sehennoch ganz jugendlich gut aus! Auf dein Haus scheint die krankhafte Luft dieserGegend keinen Einfluß zu haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_104,02] Sagt Ebahl: „Ja, für die hier Eingeborenen ist die Luft und dasWasser ganz unschädlich, – aber nicht also für die Fremden; denn da darf sichjemand oft nur ein paar Tage lang aufhalten, und er wird so schwer krank, daß ernicht selten ein ganzes Jahr das Krankenbett nicht verlassen kann! Hat er einmaldie Krankheit überstanden, so kann er darauf hier verweilen, solange er will, –und er bleibt gesund.[<strong>GEJ</strong>.02_104,03] Aber es ist das dennoch ein Jammer für dieses Land! Denn wirbekommen nur schwer Arbeiter, und die fremden Reisenden, wenn sie nichtabsonderliche Geschäfte haben, meiden diese Gegend wie ein Aas, und die,welche in dringlichen Geschäften kommen, bleiben sicher über die Hälfte krankbei uns. So liegen auch gut zwei Drittel der römischen Soldaten krank, und keinArzt kann ihrem Übel ein Meister werden! Nach einem, oft auch erst zweiJahren werden sie von selbst wieder gesund und bleiben gesund.[<strong>GEJ</strong>.02_104,04] Das Merkwürdigste aber ist, daß da nie zwei eine und dieselbeKrankheit bekommen! Der eine bekommt ein Fieber, der zweite einen Aussatz,ein dritter einen Durchfall, ein vierter einen stechenden Husten, und so ein jederetwas anderes, und kein Arzt weiß dann, was er mit den Kranken beginnen soll.Und so gibt es in unserem kleinen Lande eine große Menge mit allerlei Krankheitenbehafteter Menschen; und es ist da keinem zu helfen. Die Sterblichkeit istzwar bei allem dem gering, aber desto größer die Zahl der gleichfort Leidenden.[<strong>GEJ</strong>.02_104,05] Vielleicht wäre dir auch das möglich, daß du alle die Krankenheiltest und dann mir fürs ganze Land ein Heilmittel angäbest, durch dessenrechtzeitigen Gebrauch die Menschen sich vor dem Anfalle der Übel dieserGegend schützen könnten?“[<strong>GEJ</strong>.02_104,06] Sage Ich: „Da Ich Mich ohnehin hier einige Tage aufhaltenwerde, werden die Landeskranken durch die Geheilten wohl erfahren, daß Ichhier bin. Die da kommen werden, denen soll auch geholfen sein, – die aber nichtkommen werden, die sollen auch nicht geheilt werden; denn so schwer krank istkeiner im ganzen Lande, daß er nicht den Weg hierher machen könnte!“— 232 —


[<strong>GEJ</strong>.02_104,07] Sagt Ebahl: „Wenn es dir, du mein göttlicher Meister, genehmwäre, so würde auch ich Boten ins ganze Land aussenden!“[<strong>GEJ</strong>.02_104,08] Sage Ich: „Laß das gut sein, sie werden es überall früh genugerfahren!“[<strong>GEJ</strong>.02_104,09] Bald darauf kommen mehrere Geheilte, darunter Pharisäer undSchriftgelehrte aus Jerusalem und zwei Essäerbrüder, um Mir den Dank für dieHeilung zu überbringen und womöglich von Mir die Wissenschaft zu erlernen,wie Ich die Kranken also bloß durchs Wort augenblicklich zu heilen vermöge.[<strong>GEJ</strong>.02_104,10] Ich aber machte nicht viel Wesens mit ihnen, sondern sagtebloß: „Was forschet ihr? Eure Sache ist diese Welt und ihre für euch alleinkostbare Materie; hier aber handelt es sich um rein Geistiges! Ihr aber habt nochnie begriffen, was Materie ist, wie wollt ihr begreifen, was da rein geistig ist?Und ihr Essäer schon ganz besonders, die ihr euren Bekennern einen Gott undeine Auferstehung predigt und mit vielen Kosten Wunderdinge bewerkstelligt,um dadurch für eure Blindlehre Anhänger zu gewinnen! Euer Grundsatz ist:,Man muß mit gutem Willen die Menschen betrügen und anlügen, wenn man sieglücklich machen will; denn die Wahrheit tötet die Wohlfahrt der Menschendieser Erde!‘[<strong>GEJ</strong>.02_104,11] So aber euer Menschenbeglückungsgrund die Lüge ist, wiesollet ihr von Mir nun die Wahrheit hören wollen? Euch geht für die Erkenntnisdes Reiches Gottes auf Erden alles ab, und ihr seid die Allerletzten, obschon ihrdie Allerersten sein wollet! Wahrlich, wenn ihr bleibet, wie ihr seid, werdet ihrewig keinen Teil am Reiche Gottes haben![<strong>GEJ</strong>.02_104,12] Was nützt euch euer guter Wille, die Menschen durch Betrugund Lüge irdisch glücklich zu machen, so ihr aber dadurch tötet die Seelen derBlinden?[<strong>GEJ</strong>.02_104,13] Mein Grund aber ist: um alle Kosten des Leibes und allesdessen Glückes die Seele zu retten und ihr zu bereiten ein wahres, ewigesLeben![<strong>GEJ</strong>.02_104,14] Wie aber wird und muß es euch zumute werden jenseits, woeuch die von euch Betrogenen zu Richtern werden!? Ihr glaubet es wohl freilichnicht, daß es also sein wird; aber es wird dennoch also sein, wie Ich es euch nungesagt habe.[<strong>GEJ</strong>.02_104,15] Glaubet ihr aber schon Meinen Worten nicht, so glaubet esdoch Meinen Werken, die Ich verrichte, und die vor Mir nie ein Mensch verrichtethat![<strong>GEJ</strong>.02_104,16] Wenn aber Meine Werke echt und wahr sind und MeinenWorten Zeugnis geben, so werden doch Meine Worte auch wahr sein!?[<strong>GEJ</strong>.02_104,17] Niemand kann es euch sagen, wie es in Indien aussieht, als dernur, der dort war und von dort zu euch herübergekommen ist; also kann euchauch niemand einen Bescheid übers Jenseits geben als der nur, der von dort zu— 233 —


euch herübergekommen ist, – und der bin Ich![<strong>GEJ</strong>.02_104,18] Wer Meinen Worten glaubt, der wird das ewige Leben haben;wer aber nicht glaubt, der wird übergehen in den ewigen Tod! Denn MeineWorte sind nicht wie die eines Menschen dieser Welt; sie sind Leben und gebenLeben dem, der sie aufnimmt in sein Herz und hernach handelt nach dem Lauteder Worte und nach ihrem alles belebenden Geiste![<strong>GEJ</strong>.02_104,19] Eure Worte aber, die ihr Essäer dem Volke predigt, sind purLug und Trug, weil ihr selbst nicht glaubet, was ihr lehret! Denn ihr habt eineDoppellehre: eine fürs Volk und eine ganz andere für euch, von der ihr untereuch saget, daß sie wahr sei, daß aber das Volk von solcher nichts vernehmendürfe, um in der vermeinten Lüge ruhig und glücklich zu sein.[<strong>GEJ</strong>.02_104,20] Aber Ich sage es euch, daß ihr dem Volke in eurer vermeintlichenLüge dennoch mehr Wahrheit gegeben habt denn euch selbst! Denn wasihr für Wahrheit haltet, ist ganz Lüge, was ihr aber das Volk lehret, ist nur zurHälfte Lüge; darum man euch von Gott aus auch geduldet hat.[<strong>GEJ</strong>.02_104,21] Lehret aber in der Zukunft die Wahrheit und glaubet selbst ansie, dann werdet ihr der Belohnung werte Knechte im Weinberge Gottes sein;aber mit der Lüge und mit dem Truge müsset ihr für alle Zeiten weichen und niemehr einen Gebrauch davon machen, sonst wird in jüngster Zeit ein üblesGericht über euch ergehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_104,22] Sagen die beiden Essäer: „Meister, wir erkennen es wohl, daßdu recht geredet hast, – und was da uns beide betrifft, so werden wir allesErdenkliche aufbieten, um deinen Worten in unserer großen GesellschaftEingang zu verschaffen; aber gutstehen können wir dennoch für nichts!Grausam sind unsere Brüder durchaus nicht, man kann bei verschlossenen Türenschon auch ganz frei reden und wird gerne angehört, – aber ob das also Besprochenevon irgendeiner Wirkung sei, das ist eine andere Frage! Aber redenwerden wir beide und sind zum voraus versichert, daß wir ohne weiteres mit dergrößten Aufmerksamkeit angehört werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_104,23] Sage Ich: „Tuet ihr das eurige, so wird Gott das Seinige zu tunnicht unterlassen! Nehmet an die volle Wahrheit, und diese wird euch freimachen für ewig!“[<strong>GEJ</strong>.02_104,24] Sagen die beiden Essäer: „Herr und Meister, gestatte uns, solange hier zu verweilen, als wie lange du dich hier aufhalten wirst!“[<strong>GEJ</strong>.02_104,25] Sage Ich: „Ihr seid frei und könnet hier verweilen, solange ihrwollt!“105. — Der Herr und der römische Hauptmann[<strong>GEJ</strong>.02_105,01] Mit diesem Bescheide waren die beiden zufrieden, und Ebahlkam und lud Mich und Meine Jünger zum Mittagsmahle, das er in reichlichemMaße für uns hatte bereiten lassen; außer seiner Familie durfte kein fremder— 234 —


Gast an selbem teilnehmen. Solches aber rauchte den etlichen Pharisäern sehr indie Nase; denn ihr Sinn war, allenthalben die Ersten zu sein und sich grüßen undehren zu lassen von jedermann. Sie wurden wohl in einem andern Speisezimmersehr gut bewirtet, waren aber dennoch nicht zufrieden, weil sie wahrnahmen,daß Ebahl Mir viel mehr Aufmerksamkeit schenkte denn ihnen. Sie fragten nachder Mahlzeit auch einen Wärter, ob der Hausherr ihre Gesellschaft denn für zugering gehalten habe, daß er sie nicht an seinem Tische habe speisen lassen.[<strong>GEJ</strong>.02_105,02] Aber der Wärter war klug und sprach: „Der Herr hat wegender vielen Kranken mit dem Wunderarzte so manches zu besprechen und wolltedarum mit ihm allein sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_105,03] Sagen die Pharisäer und Schriftgelehrten: „Weißt du und deinHerr denn nicht, daß in einem Hause, da wir eingekehrt sind, uns alle Geheimnisseaufgedeckt werden müssen? Denn wir sind es, die euch reinigen, so ihreuch verunreinigt habt, und euch auch heilen, so ihr von argen Krankheitengeplagt werdet!“[<strong>GEJ</strong>.02_105,04] Sagt der Wärter: „Wenn ihr aber solche Heilbringer seid,warum konntet denn ihr euch nicht helfen? Wenn der Wunderheiland vonNazareth nicht vielleicht durch einen Wind zufälligerweise hierhergetriebenworden wäre, so hätte euch euer heftiges Gliederreißen durchaus nicht verlassen;nur seiner Wunderkraft habt ihr es zu verdanken, daß ihr nun vollkommengesund hier in diesem Speisesaale sitzet! Wer aber so etwas vermag, demgebührt doch vor euch alle und jede Auszeichnung!“[<strong>GEJ</strong>.02_105,05] Auf diese ganz triftige Antwort des Wärters sagen die Pharisäerund Schriftgelehrten kein Wort mehr und geben sich zufrieden, aber nichtvon Herzen, sondern aus einer Art gezwungener Notwendigkeit.[<strong>GEJ</strong>.02_105,06] Gegen den Abend hin aber kommen aus den Häusern der Stadtund aus deren nächster Umgebung schon über hundert, mit allerlei Krankheitenbehaftete Menschen und bitten Mich, daß Ich sie gesund mache; und Ich gehehinaus unter sie und mache sie allein durchs Wort alle gesund.[<strong>GEJ</strong>.02_105,07] Die Gesundgemachten aber loben und preisen alle Gott, derdem Menschen eine solche Macht gegeben hat, und gehen froh und gesund nachHause.[<strong>GEJ</strong>.02_105,08] Am Abende kommt aber auch ein Hauptmann, der in diesemOrte die Soldaten befehligte, und bat Mich, ob Ich nicht auch den vielen krankenSoldaten helfen möchte.[<strong>GEJ</strong>.02_105,09] Und Ich sagte zu ihm: „Gehe hin, es geschehe dir nach deinemGlauben!“[<strong>GEJ</strong>.02_105,10] Und der obbenannte Hauptmann ging ins Lager und fand, daßkeiner der Soldaten irgend mehr krank war. Da kehrte er froh wieder zu Mirzurück und wollte Mich belohnen mit Gold und Silber.[<strong>GEJ</strong>.02_105,11] Aber Ich wies solches alles zurück und sagte zum Hauptmann:— 235 —


„Freund, um Schätze dieser Welt heile Ich niemanden, sondern nur um dieSchätze aus den Himmeln; und diese sind fürs erste ein lebendiger Glaube undfürs zweite eine wahre uneigennützige Liebe zu Gott und dem Nächsten,welches Standes er auch sei![<strong>GEJ</strong>.02_105,12] Habe lieb deine Untergeordneten, als wären sie deine leiblichenBrüder, und halte sie nicht zu hart, so wirst du Mich damit am wertvollstenbelohnen! Das Gold und das Silber aber, das du Mir geben wolltest, gib demEbahl; denn seine Herberge kostet ihn viel, und es ist gut, daß sie unterhaltenwird.[<strong>GEJ</strong>.02_105,13] Es wäre aber überhaupt gut, so ihr Römer in der Folge statt dervielen Götzentempel Herbergen für Arme errichten möchtet; denn eure Götteraus Holz, Erz und Stein sind tote Gebilde, von Menschenhänden gemacht; undihr könnet jahrelang vor ihnen auf den Knien liegen, so werden sie euchdennoch nicht helfen können, weil sie tot sind. Aber so ihr die vielen Armen,Kranken, Bresthaften, Krüppel, Lahmen, Blinden und Tauben in gut eingerichtetenHerbergen versorget und suchet den Kranken Heilung zu verschaffen, sowird der eine, wahre, lebendige Gott eure guten Werke ansehen und wird euchdarum segnen vielfach; aber eure toten Götter werden euch fürs Gute, das ihrtut, nicht segnen und fürs Böse nicht strafen.[<strong>GEJ</strong>.02_105,14] Und so ihr in eurem Reiche Recht und Ordnung aufrechtzuerhalteneuch bestrebet, müsset ihr zu Schwert und Lanze greifen! Da machet ihrdann nur mit den Waffen in der Hand, was Gott für euch tun würde, so ihr Ihnerkenntet und Seine Gebote hieltet!“106. — Des römischen Hauptmanns Welterfahrung[<strong>GEJ</strong>.02_106,01] Sagt der Hauptmann: „Lieber Freund, ich erkenne es wohl,daß du die Wahrheit redest und es also sein sollte, wie du nun gar weise undmenschenfreundlich zu mir geredet hast; aber die Welt der Menschen ist ein garmächtiger Strom, gegen den sich sehr schwer schwimmen läßt. Wer es nochirgendwo versucht hatte, ist von den mächtigen Stromwirbeln verschlungenworden. So etwas kann nur an kleinen, ruhigen Orten geschehen, dahin derStrom nicht reicht mit seiner verheerenden Macht; wer sich würfe in desStromes Mitte, der ist verloren![<strong>GEJ</strong>.02_106,02] Also hast du, lieber Freund, gut die Wahrheit zu reden ineinem ruhigen Orte, dessen Menschen weich und fügsam sind und noch nichtden luxuriösen Pesthauch der großen Welt eingeatmet haben; aber gehe hin nachRom, nach Athen, nach Jerusalem, und so du nicht völlig ein Gott bist, so wirstdu nur zu bald alle Schärfe des Schwertes der Mächtigen der Erde zum Verkostenbekommen gleich dem Johannes von Bethabara, den der mächtige Herodesim Gefängnisse hat enthaupten lassen.[<strong>GEJ</strong>.02_106,03] Siehe, dieser Johannes war doch sicher ein Mann, der,himmelweit abgesehen von jedem weltlichen Erwerbe, in der tiefst möglichen— 236 —


Selbstverleugnung den Menschen mit hinreißender Redekraft die allernacktesteWahrheit ins Gesicht sagte, und Tausende nahmen seine wirklich von einemgöttlichen Geiste durchglühte Lehre an, taten Buße aus freiem Willen undbekehrten sich zum Guten. Aber als er vor etwa ein paar Monaten Bethabaraverließ, wie man es mir erzählte, und am großen Jordan in der Nähe von Jerusalemzu predigen und zu taufen begann, da dauerte es nur wenige Tage, – und dieHäscher des Herodes bemächtigten sich schon seiner und warfen ihn insGefängnis, in das nur seine etlichen wohlhabenden Jünger gegen Entrichtungeiner gewissen Taxe einige Male vor seiner Enthauptung kommen durften, vonder ich vor ein paar Tagen Kunde erhielt. Nun können freilich wohl seine Jüngerdie von ihm empfangene Lehre ganz geheim ihren Bekannten und Verwandtenmitteilen, und diese ihren Kindern; aber es ist eine große Frage, ob nach ein paarhundert Jahren sich seine Lehre so erhalten wird, wie sie aus seinem Mundekam![<strong>GEJ</strong>.02_106,04] Unsere römische Gotteslehre hat sicher den haargleichenUrsprung wie die der Juden; sie basiert ja auch auf nur einem Urgrundwesen,dem sogar alle Götter ohne Unterschied untertan sind! Die Mythe hat diesemWesen verschiedene Namen beigelegt; die Griechen nennen es noch denunbekannten Gott der Götter, die Römer heißen es das Fatum, dem jede andereMacht untertan ist.[<strong>GEJ</strong>.02_106,05] Schau die gegenwärtige Gottheitslehre der Griechen und derRömer an, und du findest nichts als für einen denkenden Menschen höchst läppische,nichtssagende Fabeln und Märchen, aus allen Winkeln der menschlichenTugenden mitunter, aber zumeist dennoch aus den menschlichen Leidenschaften,Schwächen und Lastern zusammengetragen; und das wird als Gotteslehreden Menschen mit Feuer und Schwert aufgedrungen! Mach es aber anders, wennes dir möglich ist! Von meiner Seite wenigstens wird dir nichts in den Weggelegt werden![<strong>GEJ</strong>.02_106,06] Das schönste Beispiel aber gibt dir deine Mosaische Gotteslehreselbst! Lies den Moses und schaue dir hernach den Tempel an, und sage esmir, ob wohl noch ein Häkchen der alten Weisheitslehre vorhanden ist! GottSelbst habe in der Wüste am Roten Meer vom Sinai herab unter Blitz undDonner dem bebenden Volke die wahrlich heilsamen Gesetze auf steinernenTafeln gegeben und befestigte den alten Bund zwischen Sich und Seinem Volke;die es wagten, abtrünnig zu werden, wurden augenblicklich gezüchtigt durchallerlei Übel, ja selbst durch den Tod! Aber wozu war alles das gut? Frage dienun ins Scheußliche gehenden Mysterien des Tempels, und sie werden dir diehandgreiflichsten Nichtigkeitsbeweise liefern![<strong>GEJ</strong>.02_106,07] Wo ist die wunderbare Bundeslade, über der Gott in derGestalt einer Flammensäule ruhte? Ja, eine Naphthaflamme kannst du zu sehenbekommen, wenn du ein Römer bist und dafür etwas Gold und Silber demTempel opferst; aber von der wunderbaren Bundeslade ist keine Spur mehranzutreffen!— 237 —


[<strong>GEJ</strong>.02_106,08] Daher ist es nach meiner unmaßgeblichen Ansicht mit jederGotteslehre und mit jeder Offenbarung nichts; sie mag in ihrem Entstehen nochso rein sein, so wird sie in den Händen der Menschen nur zu bald also umgestaltetwerden, daß sie der ursprünglichen ebensowenig ähnlich sieht, als einhundertjähriger Greis mit dem eine Ähnlichkeit hat, wie er als ein neugeborenesKind ausgesehen hat! Die Zeit und die mannigfachen Leidenschaften undBedürfnisse der Menschen verwandeln das Reinste in das Unreinste; und alsgroßer, nie besiegbarer Zeuge zur Steuer dieser Wahrheit steht die Geschichtealler Zeiten und aller Völker vor uns, die von niemandem geleugnet werdenkann![<strong>GEJ</strong>.02_106,09] Siehe weiter, Freund: obschon ich mich nie so weit überschätzenmöchte, daß ich mir einbildete, dir einen Lehrer abzugeben imstande zusein, so glaube ich aber hie und da – abgesehen von deiner sicher allertiefstenKenntnis der geheimen Kräfte der Natur – in der besseren menschlichenHinsicht denn doch auch etwas weniges zu verstehen und rate es dir, als sicherein dir ähnlicher Menschenfreund, die großen Orte, in denen die Menschheitschon zu sehr bis in den tiefsten Lebensgrund verdorben ist, ja mehr noch als dieärgste Pestilenz zu fliehen, sonst wird der Erdboden nicht lange mehr vondeinen heilbringenden Füßen betreten werden![<strong>GEJ</strong>.02_106,10] Traue den Pharisäern, Schriftgelehrten, deiner eigenen Gotteslehrenicht und betritt jene Gegenden selten, über die Herodes seine Lehensherrschaftausübt, so wirst du der armen Menschheit noch lange Gutes tun können;setzest du dich aber über alles das hinaus, so wirst du leider nur zu bald dasherbe Los mit dem Johannes teilen! Denn ich bin in der Lage, zu wissen ausdem Fundamente, wie unbeschreiblich schlecht nun die Menschen der eigentlichenWelt sind! Nimm der Regierung Roms heute das Schwert aus der Handund hebe die drückenden Gesetze auf, und du wirst am nächsten Tage dieMenschen untereinander noch ärger wirtschaften sehen als eine große Herde vonTigern, Bären, Wölfen und Hyänen! Die Männer werden zu Teufeln und dieWeiber zu Furien!“107. — Der Herr gibt dem Hauptmann Winke über Sein Wesen und SeineMission[<strong>GEJ</strong>.02_107,01] Sage Ich: „Du bist Mir wohl ein recht lieber Mann undFreund, und was du geredet hast, ist leider nur zu wahr; wäre Ich ein Mensch derArt, wie die Menschen der Erde sind, so würde Ich deinen Rat auch ohne weiteresbefolgen, denn in deiner Brust pulst ein redliches Männerherz; aber Ich binein ganz anderer Mensch und ein ganz anderes Wesen, als für was du Michhältst! Siehe, Mir müssen gehorchen alle Mächte der Himmel und dieser Erde;und Ich habe sonach nichts zu befürchten. Es wird wohl an Mir die Schrift bitterund schmerzlich erfüllet werden, aber nicht nach dem Willen dieser Welt,sondern nach dem Willen des Vaters im Himmel, der aber nun in Mir ist, wieIch in Ihm bin von Ewigkeit her! Aber darum wird Meine Macht über Himmel— 238 —


und Erde nicht den allergeringsten Verlust erleiden. Denn wollte Ich es, so wärediese Erde im schnellsten Augenblick in den nichtigsten Staub umgestaltet samtallem, was in und auf ihr ist, atmet, lebt und webt; aber da Mein Grund ,Erhaltung‘heißt, so geschieht solches nicht![<strong>GEJ</strong>.02_107,02] Es kann geschehen, daß Ich als ein Aufwiegler des Volkes undGotteslästerer angeklagt werde aus Ärger und neidigster Scheelsucht desTempels und darob ans Querholz geheftet werde; aber alles das wird MeineMacht nicht brechen und Meiner Lehre bis zum Ende dieser Welt nicht dengeringsten Eintrag tun.[<strong>GEJ</strong>.02_107,03] Es werden zwar die eigentlichen Weltmenschen mit der Zeitaus Meiner Lehre zum größten Teile dasselbe machen, was die Ägypter,Griechen und Römer aus der Urlehre gemacht haben, die Adam und seine erstenNachkommen erhielten; aber neben solcher Abgötterei werden dennoch vielesein, die Meine Lehre und Meine Macht geradeso rein erhalten und besitzenwerden, wie sie nun kommt aus Meinem Munde, und damit werden sie auchgleichfort haben und besitzen die Macht, die ihnen durch den lebendigenGlauben an Mein Wort verliehen wird für zeitlich und jenseits für ewig! Ich binalso auch ein Herr und fürchte darum keinen Herrn und keine Gesetze desselben!“[<strong>GEJ</strong>.02_107,04] Sagt der Hauptmann: „Freund, da ist mit wenig Worten vielgesprochen! Nach dem, was du hier geleistet hast, könnte ich es fast glauben,daß dir so etwas möglich sein dürfte, obschon mir ähnliche Heilungen – nurnicht in diesem überweit gedehnten Maße – nicht ganz fremd sind; denn es isteine bekannte Sache, daß außerordentliche Erscheinungen auf die leibliche wieauch seelische Gesundheit eines Menschen, je nachdem sein Temperamentbeschaffen ist, einen oft wunderbar entschiedenen Einfluß haben. So zumBeispiel hat ein großer Schreck schon einem Taubstummen das Gehör und dieSprache wiedergegeben! Ich wüßte dir eine Menge ähnlicher Fälle zu erzählen,– aber es ist die Zeit zu kurz.[<strong>GEJ</strong>.02_107,05] Ich will aber in aller Kürze dir damit nur das sagen, daß deineHeilart, so außergewöhnlich sie auch ist und zu wieviel Dank sie uns auchverpflichtet, mir aber dennoch die volle Überzeugung nicht verschaffen kann,daß dir darum jede andere Macht der Himmel und der Welt nichts anhabenkönnte! Ich will dir die Möglichkeit nicht streitig machen, – bei Gott sollen jaalle Dinge möglich sein; aber Freund, es ist eine große Kluft zwischen derMöglichkeit und Wirklichkeit! So ich dich näher werde kennenlernen, werde ichvielleicht auch glaubensfester werden.[<strong>GEJ</strong>.02_107,06] Aber nun, liebster, teuerster Freund, bitte ich dich, meinevielleicht ein bißchen zu anmaßende Rede ja nicht für ungut aufzunehmen; dennich habe nur geredet, wie ich es verstehe, nicht etwa aus bösem Herzen, sondernaus einem sicher guten Herzen! Mich aber rufen nun die Amtsgeschäfte, denenich Folge leisten muß; morgen aber stehe ich dir den ganzen Tag zu Diensten!“[<strong>GEJ</strong>.02_107,07] Sage Ich: „So du bleiben willst, kannst du auch bleiben; denn— 239 —


dein Dienst ist in deinem Namen verrichtet!“[<strong>GEJ</strong>.02_107,08] Sagt der Hauptmann: „Es ist zwar schon ziemlich dämmeriggeworden; ohne den Mond wäre es schon Nacht; ich werde aber gleich wiederhier sein, – nur muß ich zuvor noch einen Sprung ins Lager tun und sehen, obdie Nachtwachen wohl ordentlich ausgeteilt und aufgestellt sind.“[<strong>GEJ</strong>.02_107,09] Mit diesen Worten verläßt der Hauptmann eilig das Zimmer,und Ebahl lobt ihn als einen Kommandanten, der wenige seinesgleichen habendürfte, und daß Genezareth sich es für ein großes Glück rechnen könne, solcheinen guten, in allen Dingen erfahrenen, gerechten und in seiner Sphäre äußerstklugen Militärchef zu haben![<strong>GEJ</strong>.02_107,10] Sage Ich: „Das ist er allerdings zur großen Beschämung vielerJuden, die Gottes Wort und Gottes Gebote haben, und deren ganzes Herzdennoch voll Lüge und voll Betrug, voll Zank, Zorn, Ehebruch und aller Hurereiist. Darum auch wird es geschehen, daß den Juden das dem David verheißeneReich nach der Aussage Daniels hinweggenommen und den Heiden gegebenwerden wird, und die Nachkommen des Sohnes der Hagar werden herrschenüber die Nachkommen Isaaks, obschon alles Heil zu dieser Zeit über die ganzeErde ausgeht vom Stamme Juda.“[<strong>GEJ</strong>.02_107,11] Sagt Ebahl: „Meister, du bist als Heiland besser denn alsProphet! Ich kann überhaupt noch immer nicht begreifen, warum die Prophetenohne Ausnahme gleichweg allzeit nur Schlechtes, nie aber etwas Gutes aussagten!Muß das also sein, oder glauben die Propheten, lediglich dadurch ihr mysteriösesAnsehen aufrechtzuerhalten, so sie den Menschen nichts als eine Gottesstrafeum die andere verkünden?[<strong>GEJ</strong>.02_107,12] Lieber, herrlicher Meister, ich habe aus deinen Reden gemerkt,daß du neben dem Wunderheilande noch etwas anderes bist, nämlich einProphet gleich einem der vier großen Propheten, und so könntest du mir wohlüber das sonderbare Wesen der Propheten irgendeine Aufklärung geben! Wiegesagt, mir sind die Propheten stets ein Rätsel gewesen, und so möchte ichetwas Näheres über sie von dir vernehmen!“108. — Verhältnis eines Propheten zu Gott und den Menschen[<strong>GEJ</strong>.02_108,01] Sage Ich: „Ein Prophet ist gerade solch ein ganz einfacher,natürlicher Mensch mit allerlei Schwächen behaftet wie du; aber da er einverständiges Herz hat, in dem weder Zorn noch Rache, noch Mißgunst, nochStolz, noch Ehebruch und allerartige Hurerei feste Wurzeln schlagen können, soreinigt der göttliche Geist dessen Herz von den mannigfachen Schlacken derWelt; und wenn das alleinige Herz also gereinigt ist, so gießt der göttliche Geistein Licht aus den Himmeln in solch ein Herz.[<strong>GEJ</strong>.02_108,02] Da der Prophet es leicht erkennt, daß dies ein Licht aus denHimmeln ist, das sich allzeit in klar vernehmbaren Worten ausspricht, so darfder sohin fertige Prophet dann nur mit der Stimme seines Mundes laut nachspre-— 240 —


chen, was er in seinem Herzen klar und deutlich vernimmt, und er prophezeitdann schon im vollendet prophetischen Maße![<strong>GEJ</strong>.02_108,03] Wenn es nun notwendig ist, so wird des Propheten Wille vonGott aus angetrieben, das zu reden zu dem Volke, und desgleichen zu tun vordemselben, was er in seinem Herzen vernimmt, – und solches heißt dann einevollwahre Prophezeiung oder Weissagung und ist ebensogut reines Gotteswort,als hätte Gott Selbst unmittelbar aus Seinem Munde zu den Menschen geredet.[<strong>GEJ</strong>.02_108,04] Aber darum gilt ein solcher Prophet um kein Haar mehr vorGott als jeder andere Mensch, dem diese Gabe ganz mangelt; denn der Prophetmuß dann aus seinem höchst eigenen Willen ebenfalls das tun, was der GeistGottes durch sein Herz und durch seinen Mund zu den Menschen geredet hat,sonst kommt über ihn so gut ein Gericht wie über jeden, der den Willen Gottesvernimmt, aber nicht danach tut, – und es ist da ein Prophet schlimmer darandenn ein anderer Mensch. So ein anderer in der Schwäche und Nacht seinerSeele es schwer glaubt, was der Prophet zu ihm spricht, so wird er ein minderesGericht zu bestehen haben, dieweil er nicht glauben mochte, was der Prophet zuihm geredet hat; aber für den Propheten selbst gibt es keine Entschuldigung,sowie auch für den nicht, der da geglaubt hat und dennoch aus Liebe zur Weltund deren Schätzen nicht tat, was ihm vom Propheten zu tun geboten ward.[<strong>GEJ</strong>.02_108,05] Jedoch aber wird der Lohn eines Propheten dereinst größersein denn der eines andern Menschen; denn ein Prophet muß allzeit siebenfachsoviel tragen als ein jeder andere Mensch für sich. Alle, zu denen ein Prophetgeredet hat, werden jenseits, die Guten wie die Schlechten, ihm übergeben, under wird sie in Meinem Namen richten über jegliches Wort, das er vergeblich zuihnen geredet hat![<strong>GEJ</strong>.02_108,06] Wer aber einen rechten Propheten aufnimmt in MeinemNamen und im Namen des Propheten selbst und verpflegt ihn und ist dessenFreund, der wird dereinst auch eines Propheten Lohn überkommen. Und wereinen Propheten unterstützt, daß es dem Propheten leichter geschieht in seinerschweren Arbeit, der wird auch eines Propheten Lohn überkommen; dennjenseits wird der Knecht des Propheten auf gleicher Stufe stehen neben demPropheten und wird mithin richten die dem Propheten untergebenen Geister undherrschen über sie immerdar, und seines Reiches wird für ewig nimmer ein Endesein![<strong>GEJ</strong>.02_108,07] Wehe aber denen, die einen Propheten verlassen der Weltwegen oder ihn gar verdächtigen hie und da und in einem und dem andern! Undnoch mehr Wehe den Verfolgern eines Propheten; denn diese werden schwerlichewig je zur Anschauung Gottes gelangen! Wer aber an einen Propheten dieHand legt, soll mit dem ewigen Feuer in der untersten Hölle bestraft werden!Denn eines Propheten Herz ist Gottes, und sein Mund ist Gottes, und so seineHände, Füße, Augen und Ohren! Wo ein Prophet ist, da ist auch Gott; darumsollt ihr seine Wohnstätte mit tiefer Ehrfurcht betreten, denn der Ort, da er steht,ist heilig. Das soll beachtet sein im Herzen, zwar nicht des Propheten willen, der— 241 —


ein Mensch ist, sondern um Gottes willen, der im Herzen des Propheten redetund zeugt.[<strong>GEJ</strong>.02_108,08] Daß aber ein rechter Prophet für die Welt nur ein Gericht umsandere verkündet, hat seinen Grund ganz einfach darin, weil Gott nur dann einenPropheten erweckt, wenn diese (d.i.: die Welt) Gottes vergessen und sich in alleLaster eben der Welt hineingestürzt hat![<strong>GEJ</strong>.02_108,09] Sage Mir nun, Ebahl, ob du nun über das Wesen eines rechtenPropheten im reinen bist!“[<strong>GEJ</strong>.02_108,10] Sagt Ebahl: „Vollkommen, du mein überaus hochgeachteterMeister! Du bist demnach aber doch sicher auch ein Prophet!?“[<strong>GEJ</strong>.02_108,11] Sage Ich: „Ich bin kein Prophet; denn es steht geschrieben:,Aus Galiläa steht kein Prophet auf!‘ Aber Ich bin mehr denn ein Prophet! Dennin Meiner Brust wohnt ebenderselbe Geist, der durch den Mund der Prophetengeredet hat und hinfort noch viel mehr reden wird. Denn die in der FolgeMeinen Namen vollgläubig in ihrem Herzen tragen werden, denen wird auch derGeist der Weissagung innewohnen! Verstehst du solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_108,12] Sagt Ebahl: „Herr und Meister! Mir kommt es vor, daß so wiedu kein gewöhnlicher Mensch reden kann! Hinter dir steckt ein anderer, dendein Rock und deine Haut vor unsern Augen verbirgt!“109. — Die Propheten als Gesandte Gottes und deren Unterschied vomWesen des Herrn[<strong>GEJ</strong>.02_109,01] Während Ebahl, dem schon ein anderes Licht aufzugehenbeginnt, noch so fort ratschlagt, kommt auch schon der Hauptmann wiederzurück und erzählt voll Freude und Verwunderung, wie er alles in der bestenOrdnung angetroffen habe, und wie sich seine Unterkommandanten gewunderthätten, als er nach ihrer Aussage zum zweiten Male gekommen sei und gefragthabe, ob wohl alles in Ordnung sei, indem er doch um eine halbe Stunde zuvorselbst alles aufs beste bestellt und geordnet hätte! Er aber habe sich damitwieder herausgeputzt, daß er vorgab, hiermit nur eine kluge Nachrevisionangestellt zu haben, womit denn auch alle ohne weitere Fragen vollkommenbefriedigt waren.[<strong>GEJ</strong>.02_109,02] Mich aber fragte er darauf höchst wißbegierig, wer dennsonach sein zweites Ich gewesen wäre, das seine Arbeit gar so lobenswert anseiner Statt verrichtet habe.[<strong>GEJ</strong>.02_109,03] Sage Ich: „Habe Ich dir ja doch zuvor gesagt, daß Mir alleMächte der Himmel und die Kräfte dieser Erde in jedem Augenblick zu Gebotestehen; du aber mochtest es nicht glauben! Nun aber wirst du es hoffentlichwohl glauben, daß Ich ewig keinen Tod zu fürchten habe, und daß auch Ich einHerr bin, der etwas zu reden und zu gebieten hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_109,04] Sagt der Hauptmann: „Ja, Herr und Meister, du mußt ein Gott— 242 —


sein! Und es erscheint mir unsere römische Gotteslehre eben nicht mehr sofabelhaft wie ehedem; denn ich habe nun an dir ja die vollkommen lebendigsteÜberzeugung, daß dann und wann denn doch ein Gott seine Himmel verlassenhat und eine Zeitlang bald in der und bald in einer andern Art sich den sterblichenKindern gezeigt und sie mit allerlei geistigen und irdischen Schätzen bereicherthat, auf daß die Sterblichen die sonst wüste Erde also kultivierten, daß siedereinst auch ein Wohnsitz für unsterbliche Götter würde! – Habe ich recht odernicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_109,05] Sage Ich: „Das ist nichts als eine eitel leere Dichtung, die rechtheidnisch zart klingt, aber kein Fünklein von einer Wahrheit in sich enthält inder Art, wie du sie verstehst.[<strong>GEJ</strong>.02_109,06] Ah, wenn du aber unter der ,Erde‘ die Erkenntnisse und denWillen der Menschen verstehst, dann könntest du wenigstens in einer derWahrheit gut entsprechenden Art und Weise recht haben; aber Götter, die nichtund nirgends sind, haben wohl nie irgendwo der Erde Boden betreten. JeneMenschen, durch deren Mund der Geist Gottes zu den Menschen der Erdegeredet hat, und durch deren Willen gar oft und gar viele Wunder geschehensind, waren keine Götter, sondern Propheten, an und für sich gleichsogutMenschen wie du, und sind auch gestorben dem Fleische nach, – aber freilichder Seele und dem Geiste nach nicht.[<strong>GEJ</strong>.02_109,07] In Mir aber betritt der Geist Gottes nun zum ersten Male dieseErde! Das ist derselbe Geist, von dem alle die Urväter und alle die alten Weisenund alle die Propheten oft und oft in ihren reinen Gesichten geweissagt haben.“[<strong>GEJ</strong>.02_109,08] Während Ich aber solches zum erstaunten Hauptmanne redete,kam ein Diener ins Zimmer und sagte, daß draußen im Freien schon wieder eineMenge Kranker auf die Hilfe harreten, und ob Ich ihnen helfen möchte.[<strong>GEJ</strong>.02_109,09] Sage Ich zum Diener: „So geh hinaus und sage ihnen, daß siegetrost in ihre Heimat ziehen sollen!“[<strong>GEJ</strong>.02_109,10] Und der Diener begab sich eiligst hinaus und erstaunte nichtwenig, als er alle, die ehedem vor dem Hausflur jammerten und wehklagten,heiter, munter und fröhlich, Gott lobend, untereinander hin- und herwandelnderblickte. Nach einer Weile erst sagte er zu den Geheilten das, was Ich ihm zusagen gebot – und die Geheilten zogen in ihre Heimat.[<strong>GEJ</strong>.02_109,11] Es ward aber darauf und darüber noch bei zwei Stunden langgeredet, das mit dem, was man schon bei der früheren Heilung geredet hatte,von ein und demselben Geiste war und darum hier füglich übergangen werdenkann. Wir nahmen während des Geredes Brot und Wein und begaben uns daraufzur Ruhe.110. — Die gesegnete Wiese. Der Spaziergang auf dem Meer[<strong>GEJ</strong>.02_110,01] Am nächsten Tage schon früh morgens war der ganze Platz— 243 —


schon wieder vollgefüllt von allerlei Kranken.[<strong>GEJ</strong>.02_110,02] Ebahl kam zu Mir und bat Mich, daß Ich ihm helfe; denn sieverstellten den Platz vor seinem Hause schon derart, daß da kein Mensch mehraus- und eingehen könne. Er habe auch schon den Hauptmann draußen gesehen,der ins Haus möchte, aber durch die Menge der dicht aneinandergereihtenKranken nicht durchzudringen vermöge![<strong>GEJ</strong>.02_110,03] Da begab Ich Mich an die Hausflur, hob Meine Hände überdie Kranken, – und sie wurden alle auf einmal gesund, schrien vor Freude undlobten und priesen Gott in der Höhe, der dem Menschen solche Macht gäbe![<strong>GEJ</strong>.02_110,04] Ich aber gebot ihnen zu schweigen und sich nach Hause zubegeben und fortan zu meiden die Sünde! Und sie gehorchten alle und zogenheim.[<strong>GEJ</strong>.02_110,05] Darauf aber sagte Ich zu Ebahl: So noch den Tag hindurchmehrere hier Hilfe suchen kämen, so sollen sie sich nicht auf der Straße, sondernauf der über der Straße liegenden großen Wiese lagern, dort werde ihnen geholfensein; die sich aber auf der offenen Straße lagern würden, denen soll nichtgeholfen werden! – Darauf segnete Ich die Wiese, worauf dann ein jeder, der alsKranker die Wiese betrat, sogleich gesund ward.[<strong>GEJ</strong>.02_110,06] Es kamen aber an diesem Tage aus allen Städten, Märkten undDörfern mehrere hundert Kranke, und darunter war nicht einer, der nicht geheiltworden wäre.[<strong>GEJ</strong>.02_110,07] Die beiden Essäer machten von Stunde zu Stunde größereAugen, und die etlichen Pharisäer und Schriftgelehrten ärgerten sich auch vonStunde zu Stunde mehr, da ihr Ansehen eben auch von Stunde zu Stunde sichbis auf nichts verringerte; denn sie wurden gar nicht mehr angesehen und umnichts befragt, und des Ebahls Leute gaben ihnen hin und wieder sogar zuverstehen, daß sie im Hause nun vollends überflüssig seien und, da die Zeitschön sei, sie wohl nach Jerusalem ziehen könnten. – Aber sie nahmen solchenRat nicht an, sondern blieben allhier.[<strong>GEJ</strong>.02_110,08] Nach einer Weile trat einer der Pharisäer zu Mir und fragteMich, ob diese Wiese fortan diesen Charakter behalten werde.[<strong>GEJ</strong>.02_110,09] Sagte Ich: „Nur den heutigen Tag über, bis zum Untergange!“[<strong>GEJ</strong>.02_110,10] Spricht der Pharisäer: „Warum denn nicht für immer?“[<strong>GEJ</strong>.02_110,11] Sage Ich: „Weil es gewisse Menschen gibt, die eine solcheWiese nur zu bald und zu hoch einfrieden würden und dann von denen, diegesund werden möchten, viel Gold und Silber verlangen würden; und da Ichsolches nicht will, so bleibt diese Wiese nur bis heute abend heilbringend,dieweil der Zudrang der Menschen zu groß ist. – Morgen, wo wenige derHeilung wegen hierherkommen werden, sollen sie durch ihren Glauben unddurch ihr Vertrauen geheilt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_110,12] Auf diese Erklärung kehrten Mir die Frager voll Ärger den— 244 —


Rücken und fragten Mich den ganzen Tag über um nichts mehr; dafür abergaben sich die beiden Essäer desto emsiger mit Mir ab.[<strong>GEJ</strong>.02_110,13] Der Hauptmann ward darob über die Essäer schon ärgerlichund hätte ihnen gerne gesagt, daß sie sich mit Mir wohl schon zur Genügewerden besprochen haben; aber er hielt sich Mir zuliebe dennoch mit allerGewalt zurück.[<strong>GEJ</strong>.02_110,14] Nachmittags verwies Ich die beiden aber an den Matthäus undan Meine andern Jünger, unter denen sie bald den Bartholomäus fanden und anihm eine große Freude hatten, da er bekanntlich auch ein Essäer war. Mit denJüngern besprachen sich die beiden dann bis Mitternacht über Meine Lehren,Meine Taten und über Meine göttliche Wesenheit.[<strong>GEJ</strong>.02_110,15] Ich aber machte nachmittags mit dem Hauptmann und mitEbahl und seiner Familie einen Ausgang an das Meer, wo die acht Schiffsknechtedas Schiff bedienten und dasselbe, weil es hie und da schon etwasschadhaft war, recht gut und mit allem Fleiße ausbesserten. Als wir zu ihnenkamen, hatten sie eine große Freude und erzählten dem Hauptmanne, wie Ichauf dem Wasser gegangen sei. Denn diese Erscheinung ging den achten garnicht aus dem Kopfe und aus dem Gemüt.[<strong>GEJ</strong>.02_110,16] Als der Hauptmann solches vernahm, fragte er Mich, wie denndas möglich sei.[<strong>GEJ</strong>.02_110,17] Sagte Ich zu ihm: „Ich habe dir's ja gestern erzählt, welcheMächte Mir untertan sind und Mir dienen müssen! Wie magst du hernachfragen? Übrigens, so du dich getrauest, deine Füße aufs Wasser zu setzen, undIch es will, so wirst auch du darauf umherwandeln können, solange Ich es will!Wenn es euch allen beliebt, so wollen wir gleich einen Versuch machen! Aberihr müßt keinen Zweifel haben, sondern ihr müßt Mir ganz beherzt und mutigfolgen!“[<strong>GEJ</strong>.02_110,18] Sagt der Hauptmann: „Es wäre alles recht, wenn nur das Meerhier beim Ufer nicht gleich so tief wäre! Die längste Strecke von hier nach obenund unten geht es gleich senkrecht in die beinahe unergründliche Tiefe hinab! Esdürfte einem der erste Tritt möglicherweise denn doch mißlingen, – und manwäre da unten, wo die großen Molche und Salamander hausen!“[<strong>GEJ</strong>.02_110,19] „Kleingläubiger“, sagte Ich, „meinst du denn, daß Ich eswagen möchte, tollkühn zu sein, wenn Ich nicht wüßte, wer Ich bin, und weralles Meinem Willen untertan sein muß? – Wer von euch Mut und Glauben hat,der folge Mir!“[<strong>GEJ</strong>.02_110,20] Hierauf trat Ich auf des Meeres Fläche, – und sie trug Michwie festes Land. Also schritt Ich zehn Schritte vom Ufer, wandte Mich um undlud die Gesellschaft ein, zu Mir zu kommen; aber sie getrauten sich nicht.[<strong>GEJ</strong>.02_110,21] Da berief Ich das jüngste, zwölf Jahre alte Töchterchen desEbahl, und das Mägdlein bekam Mut und setzte am Anfange den ersten Fuß— 245 —


ganz behutsam aufs Wasser. Als sie sich aber überzeugt hatte, daß das Wassernicht wich, sondern dem Fuße so gut Widerstand leistete wie ein Steinboden, dafing sie gleich an, ganz munter zu Mir hinzuhüpfen, und hatte eine große Freudedaran, daß das Wasser sie trug![<strong>GEJ</strong>.02_110,22] Nach dem Mädchen versuchten es denn auch die andern, bisauf den Hauptmann, und alle befanden sich recht wohl und munter auf dem nunfreilich sehr ruhigen Wasserspiegel.[<strong>GEJ</strong>.02_110,23] Der Hauptmann fragte Mich, voll Staunen und nun doch schonhalb mutig: „Wie würde es denn dann gehen, wenn ein Sturm käme?“[<strong>GEJ</strong>.02_110,24] Sage Ich: „Komm und überzeuge dich!“[<strong>GEJ</strong>.02_110,25] Endlich versuchte auch der Hauptmann, einen Fuß auf dasWasser zu setzen, und da er sich überzeugte, daß das Wasser nicht wich, sosetzte er endlich ganz behutsam auch den zweiten nach, ging, sich sehr leichtmachend mit zurückgehaltenem Atem, die zehn Schritte zu Mir hin und warganz glücklich, bei Mir auf einem, nie auf diese Weise betretenen Boden zustehen.[<strong>GEJ</strong>.02_110,26] Ich aber sagte: „Nun, da ihr überzeugt seid, daß den Festgläubigenauch das Wasser ein fester Boden ist, so wollen wir nun unsere Lustwandelschaftweiter fortsetzen!“[<strong>GEJ</strong>.02_110,27] Der Hauptmann wäre zwar lieber auf den festen Boden desUfers zurückgegangen; aber die überaus munteren sechs Töchter des Ebahlflößten ihm durch ihr munteres Hin- und Herlaufen Mut ein, so daß er dann auchmit uns bei fünftausend Schritte weit hinaus auf die schon ziemlich hohe Seewandelte.[<strong>GEJ</strong>.02_110,28] Da erhob sich aber ein ziemlich heftiger Wind und fing an,starke Wellen zu treiben. Es fing an, allen bange zu werden, und der Hauptmannbat Mich, daß Ich umkehren möchte.[<strong>GEJ</strong>.02_110,29] Aber Ich sagte: „Fürchte dich nicht! Die Wellen kommen janur, um dich zu überzeugen, daß auch sie, samt dem Winde, der sie treibt, Mirgehorchen müssen.“[<strong>GEJ</strong>.02_110,30] Aber nach einer Weile, als die Wellen stets mächtiger kamen,kehrte der Hauptmann um und lief, was er nur laufen konnte, erreichte bald ganzwohlbehalten das Ufer und war nach mehreren fieberhaften Leibesschüttlernüberaus froh, wieder einen undurchsichtigen, festen Boden unter seinen Füßenzu haben. – Wir aber gingen bald darauf auch zurück und kamen zum erstauntenHauptmann.111. — Vom wahren Gebet[<strong>GEJ</strong>.02_111,01] Als wir uns alle wieder am Ufer befanden, da sprach derHauptmann: „Herr, nun habe ich des Beweises in größter Menge, daß du entwederder allerhöchste Gott Selbst, oder ein Sohn desselben bist; denn das vermag— 246 —


kein Sterblicher!“[<strong>GEJ</strong>.02_111,02] Darauf fielen alle vor Mir auf ihre Knie und wollten anfangen,Mich anzubeten.[<strong>GEJ</strong>.02_111,03] Aber Ich behieß sie, sich vom Boden zu erheben, und sagte zuihnen: „Höret, alles dessen bedarf Gott und Ich nicht, sondern das allein wahreGebet besteht in der aufrichtigen Liebe zu Gott, dem Vater im Himmel, undgleichermaßen zu den Nebenmenschen, die eure Nächsten sind. Alles andereGebet hat vor Gott keinen Wert, und vor Mir auch nicht.[<strong>GEJ</strong>.02_111,04] Gott hat die Menschen auch nie gelehrt, Ihn mit den Lippen zuverehren und die Herzen kalt zu halten. Aber weil ein Samuel vor dem Volkelaut gebetet hat, desgleichen mehrere Propheten, und weil David Gott demHerrn seine Psalmen und Salomo sein Hoheslied sang, so kam das Volk zumleeren Lippengebet und zu den kalten Opfern.[<strong>GEJ</strong>.02_111,05] Aber vor Gott ist solch ein Beten und Opfern ein Greuel! Wernicht im Herzen beten kann, der bete lieber gar nicht, auf daß er sich vor Gottnicht unanständig gebärde! Füße, Hände, Augen, Ohren und Lippen hat Gottdem Menschen nicht gegeben, daß er damit eitel und leer beten solle, sondernallein das Herz![<strong>GEJ</strong>.02_111,06] Aber dennoch kann ein jeder Mensch auch mit den Füßen,Händen, Augen, Ohren und Lippen beten; und zwar mit den Füßen: wenn erhingeht zu den Armen und ihnen Hilfe und Trost bringt; mit den Händen: wenner den Notleidenden unter die Arme greift; mit den Augen: wenn er gerne dieArmen ansieht; mit den Ohren: wenn er gern und tatwillig Gottes Wort anhörtund dieselben vor den Bitten der Armen nicht verschließt; und am Ende mit denLippen: wenn er sich gerne tröstend mit den armen, verlassenen Witwen undWaisen bespricht und für die Gefangenen nach seiner Macht und Kraft gern eingutes Wörtlein einlegt bei denen, die die Armen oft schuldlos gefangenhalten,auf daß sie dieselben freiließen.[<strong>GEJ</strong>.02_111,07] Also betet der Mensch mit den Lippen auch, wenn er dieUnwissenden belehrt und sie zum wahren Glauben, zur rechten ErkenntnisGottes und zu allerlei nützlicher Tugend beredet. Das alles ist dann auch einGott höchst wohlgefälliges Gebet.[<strong>GEJ</strong>.02_111,08] So ihr aber nun das wißt, da tuet auch danach, – und ihr werdetan den Segnungen Gottes nie einen Mangel haben! Denn das heißt dann: Gottim Geiste und in aller Wahrheit anbeten.[<strong>GEJ</strong>.02_111,09] Es steht zwar wohl geschrieben, daß der Mensch ohne Unterlaßbeten soll, so er nicht in eine Versuchung fallen will; wie läppisch undvollkommen närrisch aber wäre es, so Gott von den Menschen ein unablässigesLippengebet verlangen würde! Da müßten denn die Menschen, um Gott wohlgefälligzu werden, Tag und Nacht in einem fort auf den Knien liegen und unaufhörlichleere, herz- und sinnlose Lippengebete, gleich den Vögeln in der Luft,herschnattern! Wann aber würden sie dann sonst eine nötige Arbeit bestellen— 247 —


können? Aber so ihr mit Händen, Füßen, Augen, Ohren und Lippen in einemfort also tätig seid und liebet in euren Herzen allzeit Gott und eure armen Nächsten,so betet ihr wahr und in der Tat ohne Unterlaß zu Gott, der euch darum auchallzeit segnen und euch darum auch dereinst jenseits geben wird das allerglückseligsteewige Leben! – Habt ihr das wohl alles verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_111,10] Sagen alle: „Ja, Herr und Meister, das ist so klar und wahr, wieklar und wahr da ist das Licht der Sonne, und wir werden alle danach tun!“[<strong>GEJ</strong>.02_111,11] Sage Ich: „Gut denn, Meine lieben Freunde, so lasset uns nunwieder in die Stadt heimziehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_111,12] Die acht Knechte aber behieß Ebahl, daß einige von ihnenmitgehen sollten; und er werde ihnen Brot, Wein, Fische und Früchte geben fürihren Unterhalt. – Da machen sich gleich sechs mit auf den Weg, und Ebahlversieht sie mit allem reichlich.112. — Hauszucht und Liebe[<strong>GEJ</strong>.02_112,01] Als wir ins Haus kamen, da wollten die Kinder auch in MeinerGesellschaft verbleiben.[<strong>GEJ</strong>.02_112,02] Da aber Ebahl eine strenge Hauszucht hielt, so verwies er,besonders den Mädchen und den beiden Weibern, solches und sagte: „Ihr habtnun gesehen, erfahren und gehört genug; behaltet das und tut danach, so werdetihr nicht ohne Segen verbleiben, wie es euch der Herr Selbst draußen am Meereverkündet hat. – Nun aber gehet wieder an eure Arbeit!“[<strong>GEJ</strong>.02_112,03] Die Mädchen und die beiden Mütter beurlauben sich mitwehmütigem Herzen und begeben sich in ihre Gemächer, deren das Haus Ebahlsviele hatte; denn es war wohl das größte Haus in ganz Genezareth.[<strong>GEJ</strong>.02_112,04] Ich aber sage darauf zu Ebahl: „Freund, warum schafftest dusie denn fort? Siehe, es ist wohl recht, eine strenge und gute Hauszucht bei denKindern zu halten, und sehr lobenswert ist es, die Mädchen vor der Welt zuverwahren; aber siehe, hier, wo Ich bin, ist keine gefahrdrohende Welt, sondernein segenvollster Himmel nur, und den sollst du deinen Kindlein nicht mißgönnen!“[<strong>GEJ</strong>.02_112,05] Als Ebahl solches von Mir vernahm, sagte er: „Oh, wenn sienur Dir nicht lästig sind, so will ich sie gleich wieder hierherbringen lassen!Aber meine Kinder gaffen und plaudern gern, und so schaffte ich sie fort, aufdaß sie Dir nicht lästig seien.“[<strong>GEJ</strong>.02_112,06] Sage Ich: „Was auf der Welt gäbe es, außer der großenBosheit der Menschen, das Mir lästig werden könnte? – Gehe und bringe sie allewieder hierher!“[<strong>GEJ</strong>.02_112,07] Ebahl ging und brachte sie alle wieder zu Mir, und das jüngsteMägdlein setzte sich flugs zu Mir hin und fing an, Mich zu kosen und zu herzen.— 248 —


[<strong>GEJ</strong>.02_112,08] Ebahl aber verwies es ihr und sagte, daß solches eine Unartwäre.[<strong>GEJ</strong>.02_112,09] Ich aber sagte zu ihm: „Freund, laß ihr das; denn sie hat sichschon den allerbesten Teil erwählt! Ich sage es dir und euch allen: Wer nicht zuMir kommt wie dies Mägdlein, wird den Weg ins Reich Gottes nicht finden!Dieses aber hat ihn bereits gefunden! Mit Liebe, und das mit heißester Liebe,müßt ihr zu Mir kommen, so ihr das ewige Leben ernten wollet![<strong>GEJ</strong>.02_112,10] Dies Mägdlein beweist es in der Tat, was es im Herzen fühlt;ihr aber machet kluge Reden und haltet kühl euer Herz! Fällt es euch denn nochnicht bei, wer Ich sein könnte und auch wirklich bin?“[<strong>GEJ</strong>.02_112,11] Hier fallen alle nieder, und Ebahl ergreift Meine Füße undküßet sie klein ab und sagt nach einer ganz von Ehrfurcht verwirrten Weile:„Herr! Gefühlt habe ich es schon lange, nur fehlte mir der Mut dazu!“[<strong>GEJ</strong>.02_112,12] Sage Ich: „Nun, so strafe das Mägdlein nicht, das euch allenden Mut machte, zu Mir aufs Wasser zu kommen! Hier aber hat sie euch wiederden Mut gemacht, Mich zu lieben! Oh, dies Mägdlein ist denn aber auch Mirüberaus lieb! Es hat schon, was ihr noch zu suchen habt und noch nicht sobaldfinden werdet! Bestrebet euch aber der wahren, lebendigen Liebe zu Gott unddem Nächsten, so werdet ihr der Gnade und des Segens in Fülle haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_112,13] Sagt der Hauptmann: „Herr, ich habe außer zu meinem Weibeund meinen etlichen Kindern, die sich in Rom befinden, nie eine Liebe zujemandem gefühlt, handelte aber stets redlich nach Recht und Billigkeit. Ichhandhabte das Gesetz nie nach dessen Schärfe, sondern stets mehr nach dessenMilde und bin dabei stets gut ausgekommen. Aber jetzt fühle ich es, daß man dieMenschen lieben und ihnen aus Liebe Gutes erweisen kann, das heißt: Man kannselbst wollen, den Menschen nach Kraft und Möglichkeit das angedeihen zulassen, was man gegen sich selbst als recht und notwendig erkennt, – und das istLiebe zum Nächsten.[<strong>GEJ</strong>.02_112,14] Nun, wenn man den Nächsten also liebt, so liebt man dadurchja auch schon Gott; bedenkt man aber bei der Liebe zu Gott, daß Gott Selbst dieerste und vollkommenste Liebe sein muß, der zufolge allein Er die Sinnen- undGeisterwelt erschaffen hat, so muß dieser klare Gedanke ja notwendig diehöchste Liebe zu Gott dem Schöpfer im geschaffenen Menschen erwecken, undder Mensch kann dann ja nicht mehr umhin, Gott, als den liebevollsten Schöpferaller Dinge, über alles aus allen Kräften, die ihn beleben, zu lieben.[<strong>GEJ</strong>.02_112,15] Da ich nun aber nach allem dem, was ich von Dir die paarTage hindurch gesehen und gehört habe, ohne allen Zweifel annehme, daß Duentweder der Urschöpfer Selbst oder doch sicher Sein Sohn von Ewigkeit herbist und Dich uns hier auf der Erde in unserer Form zeigst und uns lehrst, Gottund Dich zu erkennen, so ist es ja eine notwendige Folge, daß auch ich Dichüber alles lieben muß. Habe ich auch den Mut nicht, Dich so zu herzen wie dieswahrlich überzarte Mägdlein, so umarme ich Dich aber dennoch im Herzen und— 249 —


preise Dich über alles! Und ich meine, daß es also auch recht ist.“[<strong>GEJ</strong>.02_112,16] Sage Ich: „Es ist ganz recht also; aber besser ist es, wenn dieLiebe also wächst wie bei diesem Mägdlein! – Sehet sie nur an, ob sie nichtförmlich glüht vor Liebe zu Mir!“113. — Das rechte Lob und die Gefahr beim Loben[<strong>GEJ</strong>.02_113,01] Sagt die älteste Schwester, die ein wenig die Eifersucht zuplagen begann: „Die Jarah war schon von jeher sehr verliebter Natur undverliebte sich bald in alles, was ihr unterkam; was Wunder, daß sie sich in einenso schönen Mann, wie du einer bist, bis zum Sterben verliebt?! Das ist wahrlichkeine gar so große Lebenskunst! Das könnte ich auch; aber was würde es mirnützen, wenn dich die klein verliebte Jarah nun ganz in Beschlag genommenhat?“[<strong>GEJ</strong>.02_113,02] Sage Ich: „Siehe, du eifersüchtige Schwester, hättest du je einerechte Liebe in deinem Herzen gehabt, so würdest du nun auch nicht alsogeredet haben! Weil du aber nie eine rechte Liebe ob der Verzärtelung in deinHerz bekamst, so kannst du auch nicht umhin, daß du eben also redest, wie dunun redest![<strong>GEJ</strong>.02_113,03] Siehe, die Jarah liebt – und fragt nicht, ob sie wiedergeliebtwird! Freund und Feind sind ihr gleich; sie ist ganz glückselig, daß sie nur allesmit Liebe umfassen kann. Daran zu denken nur, ob auch sie geliebt werde, istnoch nie in ihren Sinn gekommen; sie liebt dich und alle ihre Geschwister sowie ihre Eltern mehr, als sie von allen geliebt wird! Sie steht in eurer Liebe aberals die letzte, was sie noch nie in ihrer großen Liebe zu euch beirrt hat! Siehe,das heißt wahrhaft lieben![<strong>GEJ</strong>.02_113,04] Wenn du liebst, so willst du dafür noch zehnmal mehr geliebtsein! Und wird dir die Liebe nicht also erwidert, so wirst du voll Unmutes undvoll allerlei Verdachtes in deinem von Eigenliebe vollen Herzen![<strong>GEJ</strong>.02_113,05] Siehe dagegen die liebe Jarah an, ob sie je noch auf Gegenliebeeinen wie immer gearteten Anspruch gemacht hat! Aus dem Grunde aberdarf sie Mich denn nun auch lieben, was nur immer ihr Herz vermag! Dennallein dieser zuliebe kam Ich hierher, und ihr zuliebe werde Ich noch etlicheTage hier verweilen; und so habt ihr es alle diesem Mägdelein zu verdanken,daß Ich hierher kam und eure Kranken, sowie den ganzen Ort geheilt habe undhinfort noch mehrere Kranke heilen werde.[<strong>GEJ</strong>.02_113,06] Denn wohin Ich komme, suche Ich das Niederste und dasGedrückteste! Alles aber, was vor den Augen der Welt groß und hochgeachtetist, ist vor Gott ein Greuel! Bestrebet euch darum, so zu sein, wie da ist die liebeJarah, so werdet ihr Mir auch ebenso nahestehen wie sie nun, geistig undleiblich, für zeitlich und dereinst für ewig![<strong>GEJ</strong>.02_113,07] So ihr aber jemand lobet, da lobet den, der wahrhaftig ein Lob— 250 —


verdient! Wird der Belobte aber auf das Lob eitel, dann lobet ihn nicht mehr;denn die Eitelkeit ist der Same zum Hochmut, und dieser ist des Satans Geist!“[<strong>GEJ</strong>.02_113,08] Sagt Ebahl: „Aber Herr, wenn Du meine Jarah gar soauszeichnest vor ihren übrigen Geschwistern, ist es nicht zu besorgen, daß sieeitel wird?“[<strong>GEJ</strong>.02_113,09] Sage Ich: „Habe du nur darum keine Sorge! Wer einmal Michumfaßt hat, von dem ist jede Eitelkeit für ewig gewichen! Jarah, sage es Mir, obdu darum dich nun für besser hältst als alle deine Geschwister, dieweil Ich dichnun so ausschließlich liebhabe!?“[<strong>GEJ</strong>.02_113,10] Sagt ganz schüchtern die Jarah: „O Herr, Du mein einzigGeliebter, dafür kann ich nicht und meine Schwester auch nicht! Ich möchteaber, daß Du meine fünf Schwestern noch lieber hättest denn mich; denn sie sindja viel schöner und viel gescheiter denn ich. Mich haben sie ja immer die Häßlicheund die Dumme genannt, was ich aber auch recht wohl verdient habe; dennso schön bin ich sicher nicht wie sie, und – nun ja – dumm bin ich wirklichauch. Aber ich bin ja noch jung und werde schon noch gescheiter werden, wennich so alt werde, wie sie sind![<strong>GEJ</strong>.02_113,11] Oh, über meine lieben Schwestern lasse ich nichts aufkommen;denn sie lehren mich ja allerlei nützliche Dinge und haben mich alle rechtlieb, aber ich liebe sie auch aus allen meinen Seelen-Leibeskräften. Herr, mußtihnen auch gut sein! Denn siehe, ich fühle gleich ein starkes Herzeleid, so ichmeine Geschwister in etwas bekümmert ersehe; da möchte ich gleich wiederalles hergeben, daß nur meine lieben Geschwister recht heiter und froh seinmöchten![<strong>GEJ</strong>.02_113,12] Ich kann keinen Traurigen und keinen Unglücklichen sehen;lieber möchte ich alle Traurigkeit und alles Unglück auf mich nehmen, wenndadurch nur alle Unglücklichen und Trauernden glücklich, froh und heiter seinmöchten! Darum sei Du, mein allerallerliebster Herr Jesus, auch meinenSchwestern gleich so gut wie mir; denn sie verdienen es ja auch!“[<strong>GEJ</strong>.02_113,13] Sage Ich: „Ja – dir, Meine allerallerliebste Jarah, kann Ichfreilich nichts abschlagen! Deine Schwestern sehen nun aber auch schon ein,warum Ich dich gar so liebhabe, und so sie dir in ihren Herzen vollends gleichenwerden, werde Ich sie auch so liebhaben wie dich; sei du darum ganz unbesorgt![<strong>GEJ</strong>.02_113,14] Denn sieh, geradeso, wie du keinen Unglücklichen undTrauernden sehen kannst, ohne den Wunsch, ihm zu helfen, ist es auch bei Mir –nur in einem viel größeren Maße – der Wunsch und mit ihm der allmächtige,feste Wille, jedem Menschen für Zeit und Ewigkeit zu helfen![<strong>GEJ</strong>.02_113,15] Das Verlorene zu suchen, das Kranke zu heilen, und alles, wasda gefangen ist, zu erlösen, ist Mein Sinn, Meine Absicht und Mein Wille; aberdennoch soll auch einem jeden Menschen sein freiester Wille unverrückt belassenwerden. – Sage Mir, du Meine allerliebste Jarah, ob dir Meine Absicht nichtrecht gut gefällt.“— 251 —


114. — Jarah über ihre Gebetserfahrungen[<strong>GEJ</strong>.02_114,01] Sagt Jarah: „Oh, wie sollte sie mir nicht gefallen? Ich möchtees ja auch so machen, wenn ich es nur könnte! Aber was nützt mir meinmenschenfreundlicher Wille, wenn ich nicht helfen kann? Ich kann dann nur,wenn es kleine Sachen sind, meine Eltern bitten, daß sie den Armen und NotleidendenHilfe schaffen möchten, und da bin ich beinahe noch immer erhörtworden, – freilich manchmal wohl auch dafür ein wenig ausgezankt, weil ich garso ein dumm-weiches Herz habe; aber darüber habe ich mich nie gekränkt, –wenn dem Armen nur geholfen war.[<strong>GEJ</strong>.02_114,02] Mit der Bitte zu Gott, dem allmächtigen Herrn, aber ist es mirnicht immer so gut ergangen! Denn da habe ich auch oft gebetet; und wenn ichschon glaubte, daß Gott meine Bitte sicher erhören werde und ich dann hinging,um nachzusehen, ob mein kindliches Gebet etwas gefruchtet habe, – da warnichts da! Es war alles noch beim alten Übel.[<strong>GEJ</strong>.02_114,03] Ich ging dann freilich wieder zu meinem Vater und fragte ihn,warum denn Gott der Allmächtige manchmal gar so harthörig sei![<strong>GEJ</strong>.02_114,04] Da sagte mir der Vater, Gott wisse, warum Er diesem oderjenem zu seinem Seelenheile ein längeres Leiden sende, und bemesse sehr wohldie Zeit, wie lange dieser oder jener zu büßen habe; und da nütze dann keinGebet besonders, außer ein solcher Sünder hätte sich schnell vollends bekehrt!Und sieh, ich war damit beruhigter; aber ich gab darum das Bitten für denArmen nicht auf.[<strong>GEJ</strong>.02_114,05] Aber manchmal erhörte mich auch der liebe, große Gottschnell, und da hatte ich aber wohl auch die größte Freude! Denn es gibt indieser Welt für ein mitleidiges Herz wohl keine größere Seligkeit, als zu erfahren,daß der große Gott sogar das Gebet eines fast noch unmündigen Mägdleinserhört![<strong>GEJ</strong>.02_114,06] Und daß Du, o Herr, zu uns gekommen bist, kommt mir auchfast so vor, als ob der große Gott mein Gebet erhört hätte! Denn wir alle habenes von vielen, die hierhergekommen sind, vernommen, daß in Nazareth unddessen Umgegend ein gewisser Zimmermann Jesus gar so außerordentlichgroße, ja unerhörte Heilungen an den Kranken bewirke, ja sogar die Totenwieder lebendig mache; die Blinden sähen, die Stocktauben bekämen vollkommenihr Gehör und die Stummen die Sprache wieder, die Lahmen und Krüppelwürden wieder gerade und ganz, – kurz, es gäbe gar keine Krankheit, die ernicht augenblicklich heilete![<strong>GEJ</strong>.02_114,07] Anfangs hielten wir das für eine Fabel; aber als immer wiederLeute zu uns kamen, sogar solche, die von Jesus wunderbar geheilt wordenwaren, da fingen wir an zu glauben, daß es sich wirklich also verhalten werde.[<strong>GEJ</strong>.02_114,08] Da ergriff mich eine überstarke Liebe zu diesem Manne, demsolches möglich, und ich bat dann den lieben Gott tagtäglich so andächtig und— 252 —


vertrauensvoll, als es mir nur immer möglich war, daß Er Dich zu uns führenmöchte durch Seine Allmacht! Und siehe, Gott hat mich richtig erhört und hatDich zu uns gebracht![<strong>GEJ</strong>.02_114,09] Als es hieß, daß Du gekommen seiest, ach, das istunbeschreiblich, was ich da für eine Seligkeit empfunden habe! O wie gerne,wenn ich nur den Mut gehabt hätte, wäre ich Dir um den Hals gefallen! Aber ichmußte meinem Herzen, der Eltern und der Geschwister wegen, einen großenZwang antun. Heute aber ist die für mich gar zu unbeschreiblich glückliche Zeitgekommen, bei Dir, dem Meister und Herrn, zu sitzen, den ich schon, seit ichvon Ihm das erste Wort gehört habe, über alle Maßen liebe.[<strong>GEJ</strong>.02_114,10] Oh, jetzt bist Du da und ich habe Dich und – o welch eineunbeschreibliche Seligkeit! – darf Dich lieben und werde auch von Dir geliebt.Oh, nun dürften wohl selbst die vollkommensten Engel im Himmel nicht seligersein, als ich's nun bin! – Aber Du darfst uns nun auch nimmer verlassen; dennda müßte ich wohl sterben vor zu großer Traurigkeit!“[<strong>GEJ</strong>.02_114,11] Sage Ich: „Nein, nein, du Mein Herz! Dich verlasse Ich ewignimmer und sage dir auch, daß du den Tod weder sehen noch fühlen wirst;Meine Engel werden dich von dieser Welt dereinst holen und werden dichbringen zu Mir, deinem Vater von Ewigkeit! Denn sieh, du Meine allerallerliebsteJarah, zu Dem du um Meine Hierherkunft gar so herzlich gebetet hast,Der sitzet nun in Meiner Person bei dir und liebt dich mit all der rein göttlichstenFlamme aller Himmel, und du hattest recht zu sagen, daß du seliger bist denndie vollkommensten Engel aller Himmel! – Hebe deine Augen auf, und du wirstes sehen, daß es also ist, wie Ich es dir nun gesagt habe!“115. — Jarah schaut den Himmel offen[<strong>GEJ</strong>.02_115,01] Hier hebt die lieblichste Jarah ihre schönen himmelblauenAugen auf zu den Himmeln und schauet wie eine Verklärte, voll der höchstenEntzückung, in die Tiefen der ihren Augen geöffneten Himmel. Nach einerziemlich geraumen Weile erst fängt sie an, mit einer himmlisch reinen undsanften Stimme mehr zu stammeln als zu reden folgendermaßen: „Ah, ah, ah, oDu großer, überheiliger Gott! Welch endlos unbeschreiblich Entzückendes seheich nun! Die endlos großen Himmel sind angefüllt von den seligsten Engeln! Owie endlos selig müssen sie sein! Aber die arme Jarah ist dennoch seliger! Dennder ewige Thron in der großen Mitte der endlos weiten Himmel, um denzahllose Scharen der Engel auf sonnenlichten Wolken knien und in einem fortrufen: ,Heilig ist Der, dessen Thron hier stehet! O freuet euch ihr Ewigkeiten,bald wird Er auf der Erde das nie zu beschreibende große Werk vollendet habenund wird kommen und einnehmen diesen Thron der Herrlichkeit Gottes!‘, istleer; Der aber darauf zu sitzen allein das ewige Recht hat, sitzet nun als Menschhier bei der armen Jarah! Oh, so lobet und preiset Ihn; denn Sein ist der ewigeThron aller göttlichen Macht und Herrlichkeit!“— 253 —


[<strong>GEJ</strong>.02_115,02] Nach diesen Worten sinkt sie an Meine Brust, nachdem ihr dasGesicht wieder benommen ward, und sagt: „O Du großer Alleinheiliger!Verstoße mich arme, schwache Jarah, darum ich Dich über alles das, was ichnun gesehen habe, gleichfort zu lieben wage! Aber ich kann ja nicht dafür, daßmein Herz Dich stets mehr liebt!“[<strong>GEJ</strong>.02_115,03] Sage Ich: „Ja, du Mein Herzchen, siehe, darum habe Ich dir jaMeine Herrlichkeit und Mein Reich gezeigt, weil Ich will, daß du Mich nochimmer mehr und mehr lieben sollst! Liebe du Mich darum fest darauf los; dennsolche Liebe wird dir keinen Schaden bringen!“[<strong>GEJ</strong>.02_115,04] Die Jarah umklammert Mich darauf mit beiden Händen unddrückt Mich so fest als möglich an ihr Herz, und Ich sage darauf zu den, ganzstumm vor Erstaunen, Umstehenden: „Da sehet und nehmt euch alle einExempel daran! Dies Mägdlein, erst zwölf Jahre alt, bezeigt Mir eine Liebe, wieMir so etwas in ganz Israel noch nicht vorgekommen ist; aber der Mich so liebtwie diese, dem werde auch Ich geben, daß er dann in Fülle haben wird, was dieWelt noch nicht gehabt und Israel nie gefühlet und geschmecket hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_115,05] Nach dieser über die Maßen erbaulichen Szene, die bei einerguten Stunde angedauert hatte, kamen die Diener Ebahls und fragten, ob es ander Zeit wäre, das Nachtmahl hereinzubringen.[<strong>GEJ</strong>.02_115,06] Sagt Ebahl: „Wenn es unserem Herrn Jesus genehm ist, dannbringet es!“[<strong>GEJ</strong>.02_115,07] Sage Ich: „Bringet, was ihr habt! Denn die Liebe gibt undgenießt, und Ich will auch genießen, was Ich gegeben habe! Aber Meine liebsteSpeise ist hier dies Mägdlein; denn sie gibt Mir, was Mir die Ewigkeit nochnicht gegeben hat und auch nicht geben konnte!“[<strong>GEJ</strong>.02_115,08] Da entfernen sich die Diener, um die bereiteten Speisenhereinzubringen. Aber sie machen ganz entsetzlich große Augen, als von ihrenbereiteten Speisen nichts mehr vorhanden ist, aber dafür die Speisekammer vollvon den besten und seltensten Speisen und von den edelsten Früchten und volldes allerbesten Weines gefüllt ist. Sie kommen bald wieder und erzählen mitverwunderungsvollem Eifer, was sich, während sie hier fragten, in der Küchealles zugetragen hatte; und sie fragen weiter, ob sie die neuen Speisen hereinbringenoder ob sie frisch zu kochen anfangen sollen.[<strong>GEJ</strong>.02_115,09] Ich sage: „Was in der Speisekammer ist, das bringet herein;denn heute seid ihr alle Meine Gäste! Meinen Jüngern, den zwei Essäern undden Pharisäern aber sind schon die von euch bereiteten Speisen überbrachtworden. Störet sie nicht; denn sie haben heute in Meinem Namen noch eingroßes Geschäft, das ihre Kräfte bis nach Mitternacht sehr in Anspruch nehmenwird.“ – Darauf gingen die Diener zu holen die himmlische Kost.[<strong>GEJ</strong>.02_115,10] Ebahl und der Hauptmann aber sagten überfrohen Mutes:„Herr, nun nehmen uns dergleichen Erscheinungen gar nicht mehr wunder, dawir nun schon nur zu klar einsehen, daß Du der Herr bist, dem kein Ding— 254 —


unmöglich ist! Uns bleibt nichts als die große Frage übrig: ,Wodurch, Herr,haben wir uns solcher Gnade würdig gemacht?‘ Aber nun kommen schon dieSpeisen aus den Himmeln! Nach dem Mahle wollen wir darüber weiterreden!“[<strong>GEJ</strong>.02_115,11] Die Speisen werden auf den Tisch gesetzt, die Danksagungwird dargebracht, und alles greift auf Mein Geheiß mutig zu und ißt und trinkt.Und der Hauptmann sagt, daß er noch nie solch wahrhaft himmlischwohlschmeckende Gerichte gegessen und noch nie einen so köstlichen Weingetrunken habe. Auch Meine Jarah läßt sich's gut schmecken und sagt auch, daßso etwas Wohlschmeckendes noch nie ihren Gaumen berührt und ihren Magennie etwas so befriedigt habe. Kurz, alle können den Wohlgeschmack der Speisennicht genug rühmen und fangen an, laut Mich und den guten Vater im Himmelzu loben.116. — Die Lehren Jesu sollen Gemeingut werden[<strong>GEJ</strong>.02_116,01] Ich aber sage zu ihnen: „Wohl euch allen, daß ihr glaubet, daßdes Menschen Sohn vom Vater im Himmel ausgegangen und gekommen ist indiese Welt, aufzurichten das Gefallene und zu erlösen das Gefangene! Abernehmet euch alle wohl in acht, daß ihr von allem dem, was ihr nun als besondereZeichen von Mir gesehen habt, niemandem etwas kundtuet; denn solches wärevon doppeltem Übel![<strong>GEJ</strong>.02_116,02] Die Hälfte, die solches vernähme, würde sich ärgern und dasVernommene nicht nur nicht glauben, sondern euch dazu noch als Narren erklärenund euch allenthalben Übles nachreden; denn ein Blinder ist in seiner Wutgefährlicher als hundert Sehende! Die andere Hälfte dagegen würde eure Aussagenzu leichtgläubig annehmen und sich im Handeln endlich selbst solcheFesseln anlegen, daß sie darauf gar keiner freien Handlung mehr fähig wäre.Und dies hieße, den freien Geist des Menschen töten![<strong>GEJ</strong>.02_116,03] Die Lehren aber, die ihr vernommen habt, teilet euren Freundenund Bekannten mit; denn Meine Worte sind ewige Wahrheit, die alleinjeden Menschen frei machen kann, der sie in sich aufnimmt, sie zu seinerLebensrichtschnur macht und dadurch erkennt, daß sie eine ewige Wahrheit ausGott ist, die da ist und war und allzeit sein wird das Sein und das ewige Lebenjedes Menschen, der solche lebendig in sich hat.[<strong>GEJ</strong>.02_116,04] Aber leider wird es viele geben, die solche Wahrheit nichtwerden hören und annehmen wollen und sie verfolgen werden, als wäre sie einFeind. Und andere wieder werden aus Furcht vor den Mächtigen der Erde siefliehen, als wäre sie eine tödliche Pest. Aber die das tun werden, die werden dasewige Leben in sich nicht überkommen, sondern ihr Anteil wird sein der ewigeTod![<strong>GEJ</strong>.02_116,05] Wer das Leben des Leibes liebhat und es um jeden Preis zuerhalten strebt, der wird mit dem bald endenden Leben des Leibes auch dasewige Leben der Seele verlieren! Wer aber das Leibesleben flieht, der wird das— 255 —


ewige Leben der Seele gewinnen! – Dieses merkt euch wohl! Wer da aber nochetwas zu fragen hat, der frage! Ich werde ihm antworten.“[<strong>GEJ</strong>.02_116,06] Sagt der Hauptmann: „Herr und Meister, was sollen wir Dichum weiteres fragen!? Wer Du bist, das wissen und fühlen wir! Was wir zu tunhaben, wissen wir auch und sehen davon auch die Notwendigkeit ein! Wirwissen es auch und empfinden es tief in uns, daß Du das ewige Leben hast unddasselbe jedem Menschen geben kannst und geben wirst, so er nach DeinemWorte lebt und handelt! Mehr zu wissen aber wäre für uns Menschen unnötig,und um so mehr, da wir in Deinem Namen – wie mir einer Deiner Jünger aufdas lebendigste versichert hat – ohnehin im lebendigen Glauben sogar dieKranken heilen können![<strong>GEJ</strong>.02_116,07] Wir sind Dir für solche unerwartete und ewig unverdienteGnade und Erbarmung ewigen Dank schuldig, und wir geben dir die treuesteVersicherung, daß Du Dir in unseren dankerfüllten Herzen ein ewiges Gedächtnismalerrichtet hast, das der Hölle Macht und aller Zeiten Stürme nimmerverwischen werden! – Und so meine ich, daß wir uns nun, da es schon ziemlichspät in der Nacht geworden ist, zur Ruhe begeben sollen. Aber ich dringe nichtdarauf, obschon ich für meine Person noch einmal werde nachsehen müssen,wie es mit meiner Mannschaft steht.“[<strong>GEJ</strong>.02_116,08] Sage Ich: „Laß das gut sein! Denn da ist, so wie gestern, allesin der besten Ordnung! Ich aber will heute noch bis über die Mitte der Nachtwachen; denn ihr werdet euch überzeugen, daß unser Wachbleiben kein vergeblichessein wird. Es werden heute noch Reisende aus Jerusalem und darunterPharisäer und Schriftgelehrte ankommen und uns so manches zu tun machen.“[<strong>GEJ</strong>.02_116,09] Sagt Ebahl: „Oh, das ist sehr fatal; die könnten wohl füglichausbleiben! Dergleichen Gäste sind mir stets die unangenehmsten; denn vondenen verlangt einer soviel Aufmerksamkeit wie von sonst woher hundertFremde, die ihre Pflege bezahlen, während diese alles umsonst haben wollenund am Ende noch mit nichts zufrieden sind, besonders, wenn sie vom Tempelaus beweislich von Amts wegen reisen! Ach, Herr, da hast Du mir wahrlichnichts Erfreuliches gesagt! – Ei, ei! Was soll denn da nun vorbereitlich geschehen?“[<strong>GEJ</strong>.02_116,10] Sage Ich: „Sorge dich nicht! Die Speisekammer und der Kellersind voll; für Nachtlager für Hunderte ist in diesem Hause auch schon langegesorgt, und mehr braucht es nicht. Sie sind von Jerusalem Meinetwegenabgesandt nach Nazareth; da sie Mich aber hier finden werden, so werden sienach Nazareth nicht kommen. Ihr werdet euch morgen alle ärgern über sie; aberes soll ihnen von Mir reiner Wein eingeschenkt werden, daß sie darob vor Galleund Ärger noch morgen diesen Ort verlassen werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_116,11] Sagt Ebahl: „Dann aber haben wir den Teufel am Halse! Denndiese werden uns dann im Tempel ein Zeugnis geben, daß es ein Jammer undeine Schande sein wird!“— 256 —


[<strong>GEJ</strong>.02_116,12] Sage Ich: „Dafür wird gesorgt sein, daß sie daheim nicht vielreden werden!“ – Auf diese Meine Erklärung tritt eine Pause ein, in der alles,was sich in dem Gemache befand, sich ganz still und ruhig verhielt und allein imHerzen beschäftigt war.117. — Kranke kommen zu Ebahl. Die Gäste von Jerusalem, ihre Mission.(Matth. 14)[<strong>GEJ</strong>.02_117,01] Aber nach einigen Augenblicken Zeit ward es vor dem Hauselebendig. Man vernahm Stimmen von allerlei Zungen, zugleich fingen dieHunde des Nachbars, der ein Grieche war, an, stark anzuschlagen, und Ebahlsagte: „O weh, nun werden die Angesagten wohl schon da sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_117,02] Sage Ich: „Noch nicht! Das sind Kranke (Matth.14,35); aber eswird nicht mehr lange dauern, so werden auch die Angesagten hier eintreffen!Die Kranken jedoch sollen bis morgen harren; denn für heute sind ihrer genuggeheilt worden. Gehe aber dennoch hinaus und laß sie alle, die hier angekommensind, in eine Herberge bringen, und gib denen, die es hungert und dürstet,etwas zu essen und zu trinken!“[<strong>GEJ</strong>.02_117,03] Auf diese Meine Worte begibt sich Ebahl sogleich mit seinenherbeigerufenen Hausdienern in seines Hauses großen Hofraum und findetdenselben nahezu voll von allerlei Kranken, darunter viele Griechen, Römer undÄgypter. Alle diese verlangten zu Mir zu kommen, auf daß Ich sie heilte undgesund machte.[<strong>GEJ</strong>.02_117,04] Ebahl aber wies ihnen eine Herberge an und ließ sie verpflegen,jegliches nach seiner Notdurft. Nach diesem Geschäfte kam er wieder inunseren Saal und sagte: „Dem Herrn alles Lob! Diese wären für heute versorgtund haben mir sehr wenig Mühe und Arbeit verursacht; wenn nur die angesagtenWichte aus Jerusalem auch schon in gleichem Maße versorgt wären! Aber dawird's nicht so leicht herabzukommen sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_117,05] Während Ebahl, der der ankommenden Pharisäer und Schriftgelehrtenwegen Wachen auf- und ausgestellt hatte, aber noch so halbkläglichvor sich hin phantasierte, trat schon ein Diener in den Saal und verkündete zumSchrecken Ebahls die volle Ankunft der Angesagten. Ebahl eilt hinaus, um siezu empfangen, und dessen zwei Weiber und die älteren Töchter folgen demEbahl, um ihn zu unterstützen, und Ebahls Söhne tun desgleichen; nur die liebeJarah bleibt bei Mir.[<strong>GEJ</strong>.02_117,06] Der Hauptmann aber, der auch neben Mir saß, sprach: „Wennich an Ebahls Stelle wäre, wüßte ich recht gut, was nun zu machen wäre! Ichgeböte meinen Knechten, daß sie diese Kerle weidlichst durchstäupten! Waskönnten sie ihm machen? Und es wäre solcher Empfang sicher nicht der erste,der ihnen schon hie und da zuteil geworden ist! Ich wollte mit ihnen einen ganzkurzen Prozeß machen! Und wenn sie hier hereinkommen sollten, so werde ichihnen in jedem Falle dennoch einen Schabernack spielen, daß sie darob an Leib— 257 —


und Seele beben sollen, als hätte sie das Pestfieber ergriffen! Ich werde siefragen, auf wessen Geheiß sie sich zur tiefen Nachtzeit einem Orte haben nahendürfen, in dem sich eine römische Besatzung befindet; ich werde es ihnenzeigen, wie da ein jeder Ortskommandant das Recht hat, jeden, welchen Standesund welchen Bekenntnisses er auch sei, gefangenzunehmen und, so er sich nichtgültig zu rechtfertigen vermag, auch sogleich dem scharfen Gerichte zu übergeben!Ich werde das an ihnen zwar nicht in der Tat ausüben, aber einen panischenSchrecken will ich dennoch über ihre argen Häupter treiben, daß ihnen derAngstschweiß bis zur Ferse hinabfließen soll!“[<strong>GEJ</strong>.02_117,07] Sage Ich: „Freund, tue, was du willst, von Mir aus werden dirhier keine Schranken gesetzt; aber so du hier ein gewisses Amt handeln willst,so mußt du nun hinausgehen und solches mit ihnen draußen abmachen unterBeiziehung einiger deiner unteren Führer!“[<strong>GEJ</strong>.02_117,08] Sagt der Hauptmann: „Da laß, o Herr, nur mich sorgen; dennmeine Gesetze und meine Rechte verstehe ich allenthalben zu handhaben!“[<strong>GEJ</strong>.02_117,09] Nach diesen Worten ruft er sogleich seinen Diener, der imVorhofe Wache hält. Dieser tritt eilig in den Saal und bittet den Hauptmann umden Befehl.[<strong>GEJ</strong>.02_117,10] Der Hauptmann aber sagte zu ihm: „Laß du den Läufersogleich ins Lager, und der Unterführer soll mir ungesäumt dreißig Mannhierhersenden! Gehe!“ – Mit diesen Worten verläßt der Wachmann augenblicklichden Saal, und in zehn Minuten treten schon die dreißig Mann samt demUnterführer in den Saal und werden von den noch auf der Straße rastenden undsich loben und preisen lassenden Pharisäern nicht bemerkt. Der Unterführerfragt den Hauptmann, was da nun zu geschehen haben werde.[<strong>GEJ</strong>.02_117,11] Sagt der Hauptmann: „Vorderhand nichts von Bedeutung! Esgilt hier bloß, den Respekt aufrechtzuerhalten, den die Fremden zu beachtenhaben; und sollte ihnen das römische Lagergesetz fremd sein, so werden wir esihnen einschärfen. Verhaltet euch daher hier ruhig und ernst, und habet acht aufjeglichen meiner Winke! Es geschehe!“[<strong>GEJ</strong>.02_117,12] Bald darauf öffnet Ebahl weit des Saales Tür und bei zwanzigPharisäer und Schriftgelehrte treten ein. Es versteht sich schon von selbst, daßdie zwanzig noch eine Menge Begleiter mit sich hatten und Lastesel undMaultiere, die sie und ihr vieles Reisegepäck fortzuschaffen hatten; die Begleiterund die Tiere und alles Gepäck mußten versorgt werden. Als die Pharisäer unddie Schriftgelehrten vollends im Saale waren, musterten sie sogleich die Saalgesellschaftund fragten den Wirt, was das römische Militär hier zu tun habe.[<strong>GEJ</strong>.02_117,13] Sagt Ebahl: „Es wird vernommen haben, daß ihr hier ankommenwerdet, und es kam, um euch die gebührende Achtung zu bezeigen.“[<strong>GEJ</strong>.02_117,14] Sagt der Pharisäer einer: „Das sieht den Römern durchausnicht gleich! Aber sei ihm nun, wie ihm wolle, – wir sind hungrig und durstig,darum laß Speisen und Trank bringen!“— 258 —


[<strong>GEJ</strong>.02_117,15] Ebahl setzt sogleich alle Hände und Füße in Bewegung, dieaußer Meiner Jarah nur im Hause existieren, und in wenigen Augenblicken istein großer Tisch bestens bestellt.[<strong>GEJ</strong>.02_117,16] Die Pharisäer waschen sich die Hände und greifen hernach zu.In kurzer Zeit ist alles aufgezehrt und bei sechzig Becher Wein ausgetrunken.Der Wein aber macht sie gesprächig, und sie fangen darauf an, sich nach allerleizu erkundigen, geben bald den Grund ihrer Hierherreise an und erkundigen sichum Mich, sagend: „Wisset ihr hier nichts von einem Vagabunden, der ausNazareth gebürtig sein soll? Dieser Mensch, etwa ein Zimmermann von Profession,treibe unerhörte Zauberei, verbreite eine neue Gotteslehre, mache Krankegesund, beschwöre die Geister und wiegle das Volk gegen den Tempel undgegen den Kaiser auf. Wir sind seinetwegen auf dem Wege nach Nazareth, umdort diese Sache zu untersuchen. Da er aber in ganz Galiläa sein Wesen treibensoll, so dürftet ihr hier von ihm wohl vielleicht etwas Näheres wissen!“118. — Szene zwischen dem Hauptmann und den Templern[<strong>GEJ</strong>.02_118,01] Hier tritt der Hauptmann auf und sagt: „Den Mann, um den ihreuch erkundiget, kenne ich sehr genau und weiß um alle Seine Taten, auch umjene, die erst kaum vor etlichen Wochen von Ihm im Orte Kis vollbracht ward,wo eben Er durch Seinen göttlich prophetischen Geist dem GerichtsvorsteherFaustus eröffnet hat, daß die kaiserlichen Steuergelder und sonstigen Schätzeaus dem Pontus und aus Kleinasien kommend, von euresgleichen der römischenÜberbringungskarawane auf eine allerschmählichst pfiffige Art abgenommenworden sind, was den Oberstatthalter Cyrenius in die größte Verlegenheit undganz Galiläa, ja sogar das ganze jüdische Reich, in die größte Gefahr gesetzt hat.[<strong>GEJ</strong>.02_118,02] Nur eben dem Jesus hat der Oberstatthalter, das ganze Judenreichund ihr selbst es zu verdanken, daß ihr jetzt noch lebet! Denn wären jenevon euresgleichen geraubten kaiserlichen Gelder durch Jesus nicht zumVorscheine gekommen, so wäre das ganze Land gebrandschatzt worden, undalle Schätze von ganz Judäa hätten nicht hingereicht, den verübten Frevel zusühnen! Daß es aber also gut und stille für euch und euresgleichen zu Jerusalem,wie im ganzen Judenreiche, abgelaufen ist, das habt ihr allein Jesus, demgrößten und weisesten und mächtigsten Propheten zu verdanken; und es istdarum im höchsten Grade schlecht und unbillig von euch, so ihr ausgehet, einenMann zu verfolgen, dem ihr nun alles, euer Leben und Sein, zu verdanken habt![<strong>GEJ</strong>.02_118,03] Das aber, was ihr soeben aussagtet, daß ihr deshalb nachNazareth ziehet, um den Jesus gleich wie einen größten Verbrecher zu fangenund zu untersuchen, ist Er am allerwenigsten! Er wiegelt keinen Menschenweder gegen euch und noch weniger gegen den Kaiser auf, ansonst mir geheimwohlbekanntermaßen Cyrenius nicht Sein Freund wäre! –[<strong>GEJ</strong>.02_118,04] Aber nun von etwas anderem, meine Tempelherren! Ihr werdetetwa doch wissen, daß hier in Genezareth sich schon seit einigen Jahren gleich-— 259 —


fort ein römisches Militärlager befindet; und es muß daher ein jeder Mensch,ohne Ausnahme, wes Standes und Landes er auch sei, eine verläßliche, vonrömischer Obrigkeit wohl signierte Reiseurkunde bei sich haben, so er denLagerort mit heiler Haut unbeanstandet passieren will. Ich ersuche euch daherum so mehr, da ihr zur Nachtzeit hierhergekommen seid, um eine solcheUrkunde, ohne die ich als Haupt- und Befehlshaber über diesen Ort, wie überdiese ganze Gegend, euch gefangennehmen müßte, morgen öffentlich stäupenund endlich euch geschlossen nach Jerusalem zurück verschicken würde! Habetalso die Güte und weiset mir eure erforderlichen Reisezeugnisse vor!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,05] Sagt der Oberste der Pharisäer: „Herr, ich selbst bin als einOberster aus Jerusalem das lebendige Reisezeugnis für alle, und wir bedürfenkeines andern! Denn so gut du ein Herr bist, bin ich es auch und kann mitkaiserlichem Privilegium reisen bei Tag und bei Nacht in ganz Israel! Wir sindvon Gott gesalbt – und wehe dem, der seine Hände an uns legte!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,06] Sagt der Hauptmann: „Das kaiserliche Privilegium gilt nur fürlagerfreie Orte; aber an Orten, da ein offenes Militärlager sich befindet, gilt daskaiserliche Privilegium nichts!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,07] Sagt der Oberste: „Uns ist solch ein Gesetz noch nie bekanntgegebenworden, und somit konnten wir es auch nicht beachten; denn so dummsind wir nicht, daß wir uns bei einer Reise nicht mit allen Dingen versehenmöchten, die zu unserer Sicherheit notwendig sind. Wenn aber hier solchesvonnöten ist, da entsenden wir auch sogleich Boten nach Jerusalem, und morgenbis um diese Zeit kannst du die erforderlichen Reisedokumente in deinenHänden haben.“[<strong>GEJ</strong>.02_118,08] Sagt der Hauptmann: „Es hat dessen nicht vonnöten; denn essteht bei mir, eurer Aussage Glauben zu schenken oder nicht. Ich aber werdeeuch streng beobachten; sowie ich nur im geringsten etwas merke, das mirverdächtig wäre, da seid ihr aber auch augenblicklich meine Gefangenen! Fürjetzt und für solange ihr euch hier aufhalten werdet, bekommt ihr eine starkeWache, von der ihr dann auch gegen Bezahlung von hundert Silbergroschen biszur Grenze dieses Gebietes begleitet werdet; hättet ihr aber die erforderlicheReiseurkunde bei euch, so wäret ihr von aller Zahlung frei!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,09] Sagt der Oberste: „Solches wird der Herbergsherr für unsentrichten, da wir auf einer Reise nie Geld mitnehmen dürfen; denn die Erde istGottes, und wir sind Dessen Knechte und haben von Gott aus das Recht, dieganze Erde unser zu nennen und überall zu ernten, wo wir auch nicht gesäethaben! Denn jeder Jude weiß es, daß alles, was er hat, nur ihm von uns ausgeliehene Sache ist, die wir allzeit von ihm zurücknehmen können. Aus diesemganz einfachen Grunde können wir auch in ganz Israel nirgendswohin alsFremde kommen, sondern nur als Herren und alleinige von Gott aus berechtigteEigentümer jedes Hauses, jedes Grundes und Bodens und jedes Geldes undsonstigen Schatzes; und wir können daher ganz gut dem Ebahl gebieten, daß erfür uns die hundert Groschen bezahle, denn er hat sie ja auf unserem Grund und— 260 —


Boden genommen! Und täte er es nicht, so geben wir alle diese seine Besitztümereinem andern, dem es auf die hundert Groschen nicht ankommen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,10] Weil das den Ebahl sehr nahe angeht, so macht er endlichdenn doch auch seinen Mund auf und sagt: „Meine Herren, da seid ihr ein wenigin einer Irre! Denn fürs erste ist von alters her dieser Ort ein Freigebiet, von demaußer Gott und Kaiser kein Mensch etwas zu fordern hat, und fürs zweite habeich diesen Ort mit meinem zweiten Weibe, das von Geburt auf eine Griechinund erst durch mich eine Jüdin geworden ist, erheiratet, da sie des Hauseseinzige Tochter war, und somit gehört all dieser große Besitz nicht mir, sondernmeinem zweiten Weibe und nach ihr ihren Töchtern. Ich besitze sonach nichts,und es kann mir daher auch nichts genommen werden; und die hundertGroschen werdet dann ihr selbst zahlen müssen! So ihr das mir nicht glaubenwollet, da fraget hier den Hauptmann, der meine alleinige Obrigkeit ist, der wirdes euch sagen!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,11] Sagt gleich der Hauptmann: „Ja, ja, also ist es! Ihr selbstwerdet die hundert Silbergroschen bezahlen! Dagegen hilft kein Bitten undkeine weitere Einsprache; denn hier bin ich allein derjenige, der da zu gebietenund zu verlangen hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,12] Sagt der Oberste: „Wenn wir aber nun sogleich nach Jerusalemeinen Boten, der ein guter Reiter ist, senden, so ist er morgen bis gen Mittagmit dem erforderlichen Dokumente hier!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,13] Sagt der Hauptmann: „Das ist gleich! Denn die hundertGroschen müßt ihr schon darum bezahlen, weil ihr ohne ein solches erforderlichesDokument hierhergekommen seid; darum nun keine weitere Rede überdiese Sache!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,14] Sagt der Oberste: „Wir haben aber kein Geld bei uns; denn sowir reisen, führen wir nie Geld mit uns, weil solches Verhalten bei uns Gesetzist! Woher sollen wir nun Geld nehmen?“[<strong>GEJ</strong>.02_118,15] Sagt der Hauptmann: „Das wird schon meine Sorge sein! Wodas Geld mangelt, da tritt das Pfandrecht ein. Eure Effekten, die ihr, wie ichvernommen habe, massenhaft mit euch führet, werden wohl die hundertGroschen wert sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,16] Sagt der Oberste: „Wert sind sie wohl tausendmal soviel; aberdas sind lauter gottgeweihte Dinge, und Gott würde den jählings tot werdenlassen, der sich an ihnen vergriffe! Daher wirst du solche Dinge nicht anrührenund noch weniger nehmen dürfen!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,17] Sagt der Hauptmann: „Wird nicht so arg sein! Wir werden esversuchen, ob es sich mit euren gottgeweihten Effekten wirklich so gefährlichverhält!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,18] Schreien alle die Pharisäer: „Nein, nein, nein! Wir werden diehundert Groschen schon noch zusammenbringen; denn unsere Leute führen— 261 —


schon Geld mit sich!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,19] Hier geht ein Pharisäer hinaus und bringt in einem Beutel diehundert Groschen und überreicht sie dem Hauptmanne, und der Hauptmannübergibt den Beutel dem Unterführer; dieser muß das Geld zählen. Nachdem dieZahl richtig ist, befiehlt der Hauptmann dem Unterführer, das Geld in die Kasseder armen Sünder zu legen, was der Unterführer auch sogleich ausführt.[<strong>GEJ</strong>.02_118,20] Der Oberste aber sagt: „Das ist hier ein sonderbarer Gebrauch,das geweihte Geld in die Kasse der armen Sünder zu legen, indem wir dochDiener Gottes sind! Weißt du denn nicht, daß derjenige, der einen Diener Gottesbeleidigt, auch Gott beleidigt?“[<strong>GEJ</strong>.02_118,21] Sagt der Hauptmann: „Was geht mich euer Gott an!? Ich binein Römer und weiß, was ich weiß, und was ich glaube! Euer Gott aber, dem ihrnun dienet, ist und wird mein Gott nie sein! Für mich seid ihr sonach die allergrößtenSünder, und euer eurem Gotte geweihtes Geld gehört demnach in dieKasse der armen Sünder! – Verstehet ihr solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_118,22] Sagt der Oberste: „Ja, Herr, wir verstehen es und begreifen es,daß wir es mit einem festen Heiden zu tun haben, der so wie alle festen Römeruns samt unserer Gotteslehre so tief als möglich verachtet!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,23] Sagt der Hauptmann: „Nicht so tief, als ihr es meinet; denn daswahre alte Judentum erkennen auch wir an; nur eure neuen Satzungen, eureneigenen Unglauben und eure himmelschreienden Betrügereien aller Art verachtenwir dreimal ärger als den Tod selbst. Denn bei euch ist wohl keine Spurmehr vom alten Judentume; euch sind bloß die Namen geblieben. Aber wo sinddie auserlesenen Werke derer, von denen ihr abstammet, und die Lehre undweise Gesetze gegeben haben? Ich weiß es recht gut, wie es dereinst mit eurerBundeslade ausgesehen hat. Wie sieht es aber nun aus? Wo ist der über ihrschwebende Geist Gottes?“[<strong>GEJ</strong>.02_118,24] Sagt der Oberste: „Das ist alles noch also, wie es war zuAarons Zeiten!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,25] Sagt der Hauptmann: „Oder wie anders! Hört! Ich war nochvor kaum drei Jahren selbst in eurem sogenannten Allerheiligsten, und zwargegen Erlag von siebenhundert Silbergroschen. Was aber habe ich da gesehenund gerochen? Einen ehernen Kasten auf einem Traggestelle, aus dessen Mitteeine recht lebhafte Naphthaflamme loderte, deren etwas widriger Geruch meineNase eben nicht auf das angenehmste affizierte! Die bewußten Ingredienzien inder sogenannten Bundeslade waren sicher viel jünger als Moses und Aaron, undmeine Börse ward darauf sehr traurig, daß ich sie eurer Torheit und Betrugshalber gar so mächtig gelüftet hatte! Mit mir redet darüber keine Silbe mehr;denn ich bin einer, der euren Betrug himmelweit durchschaut! Wisset, so ichKaiser wäre mit meiner jetzigen Wissenschaft, so ließe ich morgen den ganzenTempel über die Klinge springen! Euer Glück, daß ich eben nicht Kaiser bin;aber was euch der Kaiser nicht tut, das wird euch sein nächster Nachfolger tun!“— 262 —


[<strong>GEJ</strong>.02_118,26] Sagt der Oberste: „Herr, so du das weißt, da bitte ich dich zuschweigen des Volkes wegen; denn käme so etwas ins Volk, so hätten wir denallerunbändigsten Aufstand zu befürchten!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,27] Sagt der Hauptmann: „Nichts zu befürchten deshalb! Denn soetwas weiß nun schon beinahe ein jeder Galiläer, und von einem Volksaufstandeist dennoch nicht im entferntesten die Rede! Denn dazu sind schon wir Römerda, die mächtig genug sind, jeden Aufstand in der Wurzel zu ersticken!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,28] Sagt der Oberste: „Nun, Herr, wir haben gezahlt und sinddemnach gleich; lassen wir darum diese Sache! Wenn du aber von dem berüchtigtenMagier Jesus etwas Näheres weißt, so wolle es uns gütigst mitteilen, wiees mit ihm und seiner fraglichen Lehre und seinen Taten sich verhält, auf daßwir dem Tempel darüber etwas zu berichten haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,29] Sagt der Hauptmann: „Ich habe es euch schon gesagt, daß ichIhn ganz genau kenne und ich Ihn auch schon lange hätte ergreifen lassen, wennsich nur im geringsten etwas gezeigt hätte, was einer Meuterei gleichsähe; aberso bin ich zu sehr vom schnurgeradesten Gegenteile überzeugt, und so kann ichIhm nur das beste Zeugnis geben. Wäret ihr wie Er, Jerusalem wäre die ewigeund erste Stadt Gottes durch alle Zeiten der Zeiten, und der Geist Gottesschwebte noch wie zu Aarons Zeiten über der Lade! Aber ihr seid das schnurgeradeGegenteil von Ihm, und darum wird sich eure Stadt und euer Tempel nichtlange mehr halten! Das berichtet euren Kollegen, auf daß sie es erfahren, aufwelchem Sandboden ihre Stadt und ihr Tempel erbaut ist! – Morgen jedochsollet ihr mit euren Augen und Ohren mehr erfahren, und so möget ihr euch fürheute zur Ruhe begeben!“[<strong>GEJ</strong>.02_118,30] Sagt der Oberste: „Wir bleiben hier am Tische sitzen; denndeine bedeutungsvollen Worte haben uns den Schlaf auf Tage lang benommen!Wer da schlummern kann, der schlummere; ich aber werde sicher überwachverbleiben! – Dort im Winkel des Tisches sitzt ja ein Gast mit einer Maid!? Werist er denn? Haben wir seiner zu achten, oder ist er ein Gefangener von dir samtder Maid? Hat er vielleicht auch keine Reisedokumente in den Händen?“[<strong>GEJ</strong>.02_118,31] Sagt der Hauptmann: „Um diesen habt ihr euch nicht zuerkundigen; der steht unter meinem Schutze! Morgen jedoch hoffe ich, daß ihrIhn werdet näher kennenlernen.“119. — Die Macht der Liebe[<strong>GEJ</strong>.02_119,01] Nach diesen Worten fragt keiner der Pharisäer um mehreres.[<strong>GEJ</strong>.02_119,02] Ich aber erhebe Mich darauf, grüße den Hauptmann, der Mirmit großer Wärme und Innigkeit den Gruß erwidert und Mich mit der Jarah imBeisein des Ebahl und dessen Weibern und den andern Kindern in ein anderesGemach begleitet, allwo für Mich ein gutes Nachtlager bereitet ist.[<strong>GEJ</strong>.02_119,03] Ich aber sage zum Hauptmanne: „Wollt ihr alle die Nacht— 263 —


hindurch bei Mir verbleiben, so bleibet; wollt ihr aber euch zur Ruhe begeben,so könnet ihr auch das tun! So ihr aber bleibet, da wird es niemandem darum desMorgens am Schlafe gebrechen. – Übrigens hast du als Mein wahrer Freundsehr gut mit den Pharisäern verhandelt; sie sind nun in einer großen Furcht undSpannung und werden die Sandkörner ihrer Uhr zählen und mit großerUngeduld den kommenden Tag erwarten![<strong>GEJ</strong>.02_119,04] Es war nur gut, daß Meine Jünger, die sich noch mit den zweiEssäern und mit den etlichen Pharisäern abmühen und sie schon nahe ganz aufihrer Seite haben, nicht auf den bedeutenden Lärm zu uns in den Speisesaalgekommen sind! Denn das hätte ein unzeitiges Aufsehen erregt! Doch – alsowollte Ich es ja, und so konnte es auch nicht anders geschehen! – Aber waswerde Ich denn mit Meiner allerliebsten Jarah beginnen? Dies Mägdlein verläßtMich nimmer!“[<strong>GEJ</strong>.02_119,05] Sagt die Kleine: „Herr, solange Du in unserem Hause verweilest,wird Jarah nicht von Deiner Seite weichen; und wäre es möglich, daß Dustürbest, so stürbe Jarah mit Dir! Wenn Du aber unser Haus wieder verlassenwirst und die Jarah nicht mit Dir wird ziehen können, dann wird sie daheimseufzen und den Vater in Deinem Herzen bitten, daß Er Dich wieder zu ihrführen möchte; denn ohne Dich kann nun die Jarah nicht mehr leben!“[<strong>GEJ</strong>.02_119,06] Sage Ich: „Sehet, das ist ein rechtes Beispiel, wie man Gottlieben muß, um von Ihm in gleichem Maße wiedergeliebt zu werden! GottesLiebe erfaßt zwar alles, und es ist in ihr ewig kein Zorn und keine Rache; aberes ist dennoch ein großer Unterschied zwischen dem, wie ein Mensch von Gottgeliebt wird. Solange ein Mensch atmet und lebt, ist es ein Beweis, daß Gottdurch Seine Liebe ihm das Leben gibt, ansonst er schon lange völlig tot wäre.[<strong>GEJ</strong>.02_119,07] Aber wer Gott also liebt wie diese Kleine hier, der nötigt Gott,daß Er komme zu ihm und Wohnung nehme in des liebenden Menschen Herzen!Und Gott kommt und nimmt dann durch Seinen Geist Wohnung im Gott überalles liebenden Herzen; und ein solcher Mensch hat dadurch das ewige, unvergänglicheLeben in sich und ist völlig eins mit Gott![<strong>GEJ</strong>.02_119,08] Es ist zwar nicht jedem gegeben, Gott also mächtig zu lieben,wie das der Fall ist bei dieser Meiner allerliebsten Jarah; aber dennoch kannjeglicher Mensch Gott lieben aus allen seinen Kräften, und Gott wird darumauch des Herz erfüllen mit Seinem Geiste und Seiner Gnade und wird ihn ewignimmer fallen lassen in den Abgrund. Wenn er schon strauchelt, so wird ihmallzeit wieder aufgeholfen werden, und das ewige Leben wird in ihm sein undbleiben immerdar.[<strong>GEJ</strong>.02_119,09] Und nun, Meine allerliebste Jarah, weil du Mich denn gar solieb hast, so mußt du uns nun denn auch so eine kleine Geschichte erzählen;denn Ich weiß es, daß du mit den Geschichten aller guten Art reichlich ausgestattetbist!“[<strong>GEJ</strong>.02_119,10] Sagt die Jarah, lieblich kindlich lächelnd: „O Herr, nur damit— 264 —


verschone mich! Denn so etwas würde sich an Deiner endlos weisesten Seite jadenn doch viel zu dumm ausnehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_119,11] Sage Ich: „Nein, nein, du Meine allerliebste Jarah, das darfdich nicht beirren; denn die größte Nachsicht kannst du allzeit und ewig nur vonMir erwarten! Denn siehe, Ich verstehe das Weinen der Kindlein schon,geschweige erst ihre Sprache! Du hast ja manchmal so recht seltsame Träume, –gehe und erzähle Mir so einen Traum!“120. — Jarahs Träume von der Kreuzigung und Auferstehung des Herrn[<strong>GEJ</strong>.02_120,01] Sagt die Jarah: „Nun, damit könnte ich schon aufwarten; abermeine Träume sind gewöhnlich recht fürchterlich und zeigen mir die Weltmenschenin ihrer ganzen scheußlichen Gestalt, und ich sehe dann an ihrer Stattlauter Teufel! Und so hatte ich erst unlängst einen Traum! Da sah ich einenherrlichen Menschen, der Dir, o Herr, sehr ähnlich sah. Diesen Menschen sahich gebunden mit Stricken, wie einen Verbrecher.[<strong>GEJ</strong>.02_120,02] Ich fragte die ihm folgenden Weinenden, was denn dieserherrliche Mensch möge angestellt haben, daß die Weltmenschen so übel mit ihmverfahren. Und die Weinenden sagten mir, einer wie der andere gleich: ,Er warein mächtiger Wohltäter der Menschheit. Nie beging er eine Ungerechtigkeit,und hellste Wahrheit war der Honigseim seines Mundes. Den welt- und herrschsüchtigenPharisäern hatte er zu viel Wahrheit gesagt, und sie haben ihn darumzum Tode am Kreuze durch den schwachen römischen Landpfleger verdammenlassen. Sie führen ihn jetzt zur Richtstätte; komm mit uns und schaue mit, mitwelchem Lohne der größte Menschenfreund von den schlechten, allerselbstsüchtigstenMenschen belohnet wird!‘[<strong>GEJ</strong>.02_120,03] Und ich ging mit den Weinenden auf einen niederen Berg undsah den ehrlichen Menschen, der von Schlägen und Hieben voll Blut war undam Haupte noch zur Erhöhung der Qual einen Dornenkranz trug, ein schweresKreuz schleppen. Auf der Richtstätte aber entblößte man ihn, warf ihn daraufunbarmherzigst wie ein wildes Tier aufs Kreuz hin, nahm viele spitzige Nägelund schlug sie ihm mit schweren Hämmern durch Hände und Füße und hefteteihn also auf die allergrausamste Weise auf das harte und schwere Kreuz! – OHerr, das war Dir ein fürchterlicher Anblick! Wenn ich an diesen Traum nurdenke, so vergeht mir Hören und Sehen! – Endlich erhob man das Kreuz undsetzte es in ein schon fertiges Loch und verkeilte es, daß es feststünde.[<strong>GEJ</strong>.02_120,04] Das Wunderbarste war dabei aber doch, daß dieser über alleMaßen ehrliche Mensch auch bei aller solcher qualvollster Marter nicht einenSchmerzenslaut von sich stieß, während doch noch zwei andere, die bei weitemnicht so grausam gemartert wurden, ungeheuer schrien und wehklagten![<strong>GEJ</strong>.02_120,05] Hier wurde ich wach und zitterte am ganzen Leibe. Herr, soein Traum ist aber auch kein Scherz für ein so zartfühlendes Mädchenherz, wiedas meinige ist! Ich bat darauf gleich den lieben Vater im Himmel, daß Er mir ja— 265 —


keinen gar so schweren und qualvollen Traum mehr zukommen lassen möchte;und siehe, bis zur Stunde hatte ich wirklich keinen so schweren Traum mehr zubestehen! Mein Vater sagte mir zwar immer, daß die Träume leere Schäumeseien und vom schweren Geblüte herrührten. Mag sein! Wenn ich schon ein soschweres Geblüt hätte, so müßte ich sonst ja auch schwerfälliger sein, als ichbin; aber ich bin sonst ja ein flinkes und munteres Mädchen, – wie kann ich daein schweres und faules Geblüt haben?“[<strong>GEJ</strong>.02_120,06] Sage Ich, der Ich bei dieser Erzählung etwas düsterer gewordenbin: „Nein, nein, du Meine allerliebste Jarah, du hast nur ein ätherleichtesGeblüt; aber es ist dein Traum von großer Bedeutung! – Doch nun nichts weitermehr davon, die Zeit wird dir darin eine Lehrerin sein; aber selig bist du, die dusolches im Traume geschaut hast! Nur wenigen Propheten war es gegönnt,solches in ihren Gesichten wahrzunehmen.[<strong>GEJ</strong>.02_120,07] Vieles aber ist den Menschen auf dieser Erde verborgen. Dasgroße ,Warum‘ werden sie erst jenseits erfahren! – Aber nun erzähle Mir nocheinen Traum, den du in drei Tagen darauf von demselben Menschen geträumthast!“[<strong>GEJ</strong>.02_120,08] Sagt die Jarah: „Oh, den erzähle ich auch viel lieber; denn erist um viele tausend Male heiterer! Da befand ich mich auf einmal noch sehrfrüh morgens dem Anscheine nach in einem recht artigen Garten, von wo ausich freilich leider recht wohl erkennend die im früheren Traume besagte Richtstättesehen konnte. Solcher Anblick erfüllte mich gleich mit großer Angst, daßich darob im Traume zu beten begann, der liebe Vater im Himmel möchte michdoch mit einer ähnlichen Erscheinung verschonen; denn noch sah ich leider diedrei bekannten Kreuze auf der Richtstätte aufrecht stehen.[<strong>GEJ</strong>.02_120,09] Aber da kam alsbald ein wunderschöner Jüngling zu mir,tröstete und stärkte mich mit den Worten, die ich mir gar wohl gemerkt habe:,Fürchte dich nicht, du zarte, reine Seele! Das, was du vor drei Tagen gesehen,mußte also geschehen nach dem Ratschlusse Gottes, ansonst nie ein Menschhätte selig werden und zur Anschauung Gottes gelangen können. Das, wasgekreuziget ward, war Gottes Sohn, und Gott war in Ihm. Nun aber nach dreiTagen wird dieser Gottessohn aus höchst eigener Macht wieder vom TodeSeines göttlichen Fleisches auferstehen und wird herrschen fortan über die ganzeUnendlichkeit, und Seines Reiches und Seiner Herrschaft wird ewig nimmer einEnde sein; und vor Seinem Namen werden sich beugen alle Mächte und Kräfte,und die sich nicht werden beugen wollen, die wird Er verderben lassen. Aber derletzte, seligste Augenblick naht, darum habe acht auf den schweren versiegeltenGrabstein!‘[<strong>GEJ</strong>.02_120,10] Als der Jüngling solches zu mir geredet hatte, siehe, da hobsich der schwere Grabstein aus freien Stücken selbst vom Grabe, und ausdemselben stieg heiteren, aber dabei dennoch überaus würdevollen Antlitzes aufein Haar derselbe Mann, den ich vor drei Tagen habe so schrecklich kreuzigensehen. Ich sah sogar die Wundmale an Händen und Füßen, und ich zweifelte— 266 —


nicht einen Augenblick, daß er es war.[<strong>GEJ</strong>.02_120,11] Und der Mann trat zu mir hin und sagte mit einer unendlichwohlklingenden Stimme: ,Das, was du hier im Traume gesehen, war nur einscheinend Vorbild von dem, was jüngst in der Wirklichkeit geschehen wird;Mich aber wirst du zuvor noch in der Wirklichkeit sehen, und nach MeinerAuferstehung zu öfteren Malen!‘ – Nach diesen Worten ward ich wieder wachund habe viel darüber nachgedacht. Aber bis auf Dich so ungefähr wollte mir inder Wirklichkeit noch kein Mann (jenem ähnlich) vorkommen!“[<strong>GEJ</strong>.02_120,12] Sage Ich: „Nun, vielleicht bin Ich es? – Aber nun nichtsWeiteres mehr davon, und darum nun von etwas anderem für den morgigenTag!“121. — Unterredung zwischen dem Hauptmann Julius und dem Herrnüber die Bosheit der Templer[<strong>GEJ</strong>.02_121,01] (Der Herr:) „Die Pharisäer, die Meinetwegen von Jerusalemhierhergereist sind, und die unser Freund auf eine wahrhaft weise Art ins Bockshorngetrieben hat, werden Mir morgen hart zusetzen, so sie Mich werdenerkannt haben. Ich aber werde ihnen zum ersten Male reinen Wein zum Verkostengeben, das heißt, Ich werde ihnen die volle Wahrheit unumwunden insGesicht sagen.[<strong>GEJ</strong>.02_121,02] Die Kranken, die hier sind, und die noch kommen werden,diese sollen nichts als nur den Saum Meines Oberrockes anrühren – und siewerden gesund werden. Meine Jünger sollen darauf das Morgenbrot mitungewaschenen Händen essen, und das wird genug sein, um diese wahrenErzphilister von Pharisäern und Schriftgelehrten in allen Harnisch zu bringen.Darauf werden sie gleich mit ihren bekannten Fangfragen beginnen, und Ichwerde ihnen Antworten geben, die ihnen noch um vieles saurer und bitterervorkommen werden als Essig und Galle, ein bekanntes Getränk, mit dem sie denarmen Sündern den Durst zu löschen pflegen. – Nun aber werden wir die paarStunden bis zum Tage schweigend zubringen.[<strong>GEJ</strong>.02_121,03] Meine Jünger haben sich nun auch mit ihren zwei Essäern undetlichen Pharisäern und Schriftgelehrten zur Ruhe begeben und haben ein gutesWerk vollbracht; denn sie haben sie alle für Mich gewonnen. Zwei junge Pharisäeraber, Pilah und Ahab, ersterer aus Kis und letzterer aus Jesaira, beideHauptredner und dabei nüchterne, kluge Menschen, sind schon längere Zeitunter Meinen Jüngern. Diese, erst gestern morgen hier angelangt, haben sichgleich wieder zu Meinen Jüngern gesellt und bei dem Bekehrungswerke MeineJünger ganz vorteilhaft unterstützt; denn Meine Jünger, durchgängig Fischer bisauf drei, haben noch zu wenig gewandte Zungen, und daher leisten ihnen diebeiden jungen Pharisäer gute Dienste.[<strong>GEJ</strong>.02_121,04] Gehe du, Ebahl, aber zu ihnen und sage es den Jüngern, daßsie morgen mit ungewaschenen Händen das Brot des Morgens essen sollen, und— 267 —


die andern hier bekehrten Pharisäer und Schriftgelehrten samt den zwei Essäernsollen sich unterdessen verborgen halten, bis die Jerusalemer abgereist seinwerden; dann erst sollen sie hervorgehen, und Ich werde sie segnen. Wollen siesich dann umkleiden und bei Mir bleiben, oder wollen sie vor den Menschen insGesicht das fortan sein, was sie bis jetzt waren, so steht ihnen beides frei undoffen. Gehe und berichte das den Jüngern und den andern, – du weißt schonwem!“ – Ebahl entfernt sich sogleich und richtet alles genau aus, wie Ich es ihmangegeben habe. Und alle sind froh über diese Nachricht und versprechen, allespünktlich und genau zu halten, was zu beachten Ich ihnen verkünden ließ.[<strong>GEJ</strong>.02_121,05] Ebahl kommt zurück und erzählt uns gleich die guteAufnahme, die seinem ausgerichteten Auftrage zuteil ward. Alle freuen sichdessen, und der Hauptmann sagt: „Ich freue mich ganz ungemein auf den morgigenTag; aber das sage ich auch, und ganz besonders nun durch den merkwürdigenTraum der liebsten Jarah angeregt dazu, daß ich mit den Kerlen durchauskeinen Scherz treiben werde. Sobald sie mir Flausen machen, lasse ich siestäupen, daß ihnen das böse Blut stromweise von den Rücken fließen soll! DennWortschläge sind für diese Unmenschen viel zuwenig und spornen sie nur nochmehr zur Rache an; aber eine Stäupung auf Leben und Tod wird sie in ihrembösen Eifer sehr abkühlen. Es ist noch nicht gewiß, daß ich's tue; aber ungewißeben auch nicht![<strong>GEJ</strong>.02_121,06] Es könnte sehr leicht möglich sein, daß diese Kerle und ihreHelfershelfer in Jerusalem an Dir, o Herr und Freund, im Ernste, so nur irgendeinHaar von einer Möglichkeit vorhanden ist, das auf ein Haar verübten, was imersten Traume das Mägdlein gesehen hat! Ich sage, ein Fünklein Möglichkeitund der höchst weibisch schwache Landpfleger Pontius Pilatus dazu – und Dichnageln sie mir und dir nichts ans Querholz![<strong>GEJ</strong>.02_121,07] Ja, wenn ich in Jerusalem Landpfleger wäre, da sollte einerversuchen, an Dich seine Hand zu legen! Den hängte ich zehnmal ans Querholzund ließe ihm erst beim zehnten Male die Beine brechen! Aber ich bin leiderhierher postiert und könnte Dir nicht zu Hilfe kommen, und Deine FreundeCyrenius und Kornelius auch nicht; darum muß man diesen Kerlen vorher ihrenverderblichen Mut abzukühlen anfangen, auf daß sie ganz gehörig eingeschüchtertsind und fürder nicht so leicht wo immer es wagen sollen, an Gottesmänner,wie Du einer zuallerhöchst bist, ihre scheußlichen Tatzen zu legen![<strong>GEJ</strong>.02_121,08] O wartet, ihr Lumpen, der morgige Tag soll für euch ein soheißer werden, daß ihr mir vor lauter Hitze Blut schwitzen sollt! Wenn die Kerleso einige recht derbe Lektionen bekommen werden, da möchte ich beinahe umshalbe Römische Reich wetten, daß sie in ihren schlechten Handlungen – wenigstensin deren grausamsten Teilen – nachgeben werden; aber ihr altes böses Ledermuß zuvor ordentlich durchgegerbt werden! Dixi (ich habe gesprochen)!“[<strong>GEJ</strong>.02_121,09] Sage Ich: „Du kannst zwar tun, was du willst, und Ich werdedir nicht sagen: Tue es nicht! Denn du bist einer Meiner weisesten Freunde, dieMir irgend vorgekommen sind. Du hast wirklich in allen deinen Worten und— 268 —


Handlungen einen richtigen Takt; aber Ich sage es dir, es wird das alles dieserbösen Art nichts helfen, sondern sie nur noch böser und dabei verschmitztermachen. Denn die einmal des Satans sind, die sind es ganz, und man kann siedann und wann mit Wortschlägen noch am ehesten zu etwas Besserem wenden,so wie dies nun Meine Jünger gemacht haben und wie solches geschehen ist inNazareth, wo der Oberste samt den Pharisäern und Schriftgelehrten zu MeinerLehre sich bekannt haben. Aber vielfach ist auch nichts zu machen und mitdeiner Art ebensowenig! Denn einen Teufel treibst du mit der Rute hinaus, dafüraber wandern an des einen Stelle zehn andere hinein, von denen jeder ärger istals der frühere eine.“[<strong>GEJ</strong>.02_121,10] Sagt der Hauptmann: „So wahr ich Julius heiße, werde ichauch an keinen eher die Rute und die Geißel legen lassen, bevor ich nicht durchdie äußerste Not dazu gezwungen werde; werde ich aber das, dann wehe denKerlen!“[<strong>GEJ</strong>.02_121,11] Sage Ich: „Da hast du wieder ganz recht! Man muß die Geduldso lang und weit als möglich hinausdehnen; sind aber einmal die äußerstenGrenzen erreicht, dann heißt es aber auch, ohne allen weiteren Aufschub undohne alle Schonung mit allen Blitzen und Donnern dareinhauen, sonst kämen dieSünder gleich auf die Idee, man scherze und spiele mit ihnen wie mit denkleinen Kindern!“[<strong>GEJ</strong>.02_121,12] Sagt der Hauptmann Julius: „Ganz meine Maxime! Bis ichjemanden strafe, da braucht es viel; aber nötigt mich ein Unverbesserlicher dazu,so wird er sich's aber auch merken, wenn er von mir gestraft worden ist! – Aberjetzt glaube ich, wollen wir die paar Stündchen noch ein wenig ruhen; denn esfängt schon zu grauen an!“[<strong>GEJ</strong>.02_121,13] Sage Ich: „Ja, tun wir das hier, ein jedes auf seinemPlätzchen!“[<strong>GEJ</strong>.02_121,14] Darauf ist alles stille, und über jedes Auge senkt sich zwar einkurzes, aber dabei dennoch honigsüßes Schläfchen. Und als man darauf allgemeinerwacht, ist jeder so gestärkt, als ob er eine ganze Nacht auf weichemLager ganz gut geschlafen und geträumt hätte.122. — Große Krankenheilung durch Berührung des Mantels des Herrn.(Matth. 14)[<strong>GEJ</strong>.02_122,01] Alles verwundert sich über solch stärkenden Schlaf, währenddie Sonne schon anfängt, die Kuppen der Berge zu bescheinen. Ebahl beordertsogleich seine Weiber, daß sie sorgten für ein frisch und wohlbereitetes Morgenmahl;und die Weiber mit den älteren Töchtern eilen und besorgen gleich einreichliches und gutes Morgenmahl, was sie gar leicht tun können, da ihreSpeisekammern von unten bis oben vollgestopft sind.[<strong>GEJ</strong>.02_122,02] Die Pharisäer haben im Speisesaale schon ihren Tischvollkommen okkupiert, so daß an ihrem Tische niemand sonst Platz haben— 269 —


könnte; und Ebahl ließ ihnen auch gleich das Morgenmahl aufsetzen, bestehendaus Brot, Wein, einigen gebratenen Fischen und aus Honigseim. Als diese erstfertig waren, ließ Ebahl einen anderen großen Tisch decken, der für Mich,Meine Jünger, für den Hauptmann und für Ebahl und dessen Weiber und Kinderbestimmt war.[<strong>GEJ</strong>.02_122,03] Bevor Ich aber in den Saal trat, ließ Ich durch Ebahl alle dieauf Mich harrenden Kranken ins große Gastzimmer bringen und ihnen sagen,daß sie nichts denn Meinen Mantel anrühren sollen, und sie würden alsogleichgesund. – Ebahl ging und vollführte Meinen Auftrag.[<strong>GEJ</strong>.02_122,04] Und Ich trat darauf mit dem Hauptmann, Meinen Jüngern undder kleinen Jarah, die keinen Schritt von Mir wich, in den Speisesaal und setzteMich zu Tische, ohne bei Meinem Eintritte einen Pharisäer anzusehen oder garzu grüßen, auf was sie große Stücke hielten.[<strong>GEJ</strong>.02_122,05] Als Ich, der Hauptmann und die Jünger schon am Tischesaßen, da traten auch schon bei zweihundert Kranke in den Speisesaal und batenMich, daß sie Meines Mantels Saum anrühren dürften. Und Ich gestattete ihnen,solches zu tun, während Ich mit Meinen Jüngern und den andern das Morgenmahlzu Mir nahm. Da drängte sich bald alles, was krank war, zu Mir hin undberührte Meines Mantels Auswendiges; und alle, die da anrührten, wurdengesund. (Matth.14,36)[<strong>GEJ</strong>.02_122,06] Aber hinter einige der Kranken steckten sich die über alleMaßen eifersüchtigen Pharisäer und Schriftgelehrten und sagten geheim zuihnen: „Rühret das Kleid dieses Nazaräers, den wir nun schon kennen, nicht an,und ihr werdet dennoch gesund werden!“ – Und die da sich von den Pharisäernhaben bereden lassen und haben nicht angerührt Mein Kleid, die blieben krank.[<strong>GEJ</strong>.02_122,07] Da sie aber solches merkten, kamen sie wieder zu Mir undbaten Mich, ob sie anrühren dürften Mein Kleid. Ich aber verwies es ihnen undsagte: „Seid ihr Meinetwegen oder seid ihr jener Pharisäer wegen hierhergekommen,die euch abgeredet haben, anzurühren Meinen Mantel? Denen ihr geglaubthabt, die sollen euch auch helfen; gehet hin zu ihnen!“[<strong>GEJ</strong>.02_122,08] Das vernahmen die Pharisäer natürlich gar leicht und wurdendarob schon ganz brennrot vor Zorn. Sie gingen darauf bald zu Mir hin, und ihrOberster sagte zu Mir: „Du bist also derjenige, um dessentwillen wir von Jerusalemnach Nazareth haben gehen müssen?“[<strong>GEJ</strong>.02_122,09] Ich gebe dem Obersten keine Antwort auf solche seine Frage,nur der Hauptmann, der in Meiner Nähe – das heißt an Meiner Rechten – amTische saß, sagt mit einer Donnerstimme: „Ja, Dieser ist es, dessen Angesichtanzusehen ihr Elenden ewig nimmer wert seid! Warum habt ihr diesen Armenabgeredet, anzurühren Sein Gewand, daß sie auch, wie ihre Gefährten, gesundgeworden wären? Ihr elenden Hunde, wißt ihr auf der Welt denn im Ernstenichts anderes zu tun, als Menschen unglücklich zu machen, wo sich nur immereine Gelegenheit darbietet?!“— 270 —


[<strong>GEJ</strong>.02_122,10] Hier winke Ich dem Hauptmann, daß er sich etwas mäßigenmöchte, ansonst es unangenehme Auftritte gäbe.[<strong>GEJ</strong>.02_122,11] Und der Hauptmann mäßigt sich zwar, verhält aber den Oberstendennoch streng darauf, ihm den Grund gewissenhaft anzugeben, warum erdie einigen Kranken abgehalten habe, des göttlichen Meisters Kleid anzurühren,auf daß sie, wie die andern, auch gesund geworden wären.[<strong>GEJ</strong>.02_122,12] Da sagt der Oberste etwas verlegen: „Wir haben uns dadurchnur die sichere Überzeugung verschaffen wollen, ob wirklich nur die gesundwürden, die das Kleid anrührten. Wir haben uns aber nun überzeugt, daßwirklich nur jene gesund geworden sind, die des Meisters Kleid angerührthaben, und wir stellen ihnen nun weiterhin nichts mehr in den Weg, das zu tun,was sie gesund machen kann.“[<strong>GEJ</strong>.02_122,13] Da erheben sich die noch Kranken und sagen: „Oh, wären wirnicht so krank, elend und schwach, so würden wir euch nun einen Lohn füreuren Versuch an uns, ob wir auch ohne Anrührung des Kleides des göttlichenHeilandes gesund würden, geben, an den ihr eine Ewigkeit lang hättet denkenmögen; aber: ,Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!‘ Wir werden wohl mit derHilfe Gottes auch noch einmal gesund werden und werden uns schon irgendwobegegnen; dann möget ihr acht haben, was wir mit euch alles unternehmenwerden!“[<strong>GEJ</strong>.02_122,14] Ich aber sage zu den Kranken: „Rache sei eurem Herzen ferne!Wollt ihr, daß Ich auch euch heile, so verbannet allen Zorn und alle Rache auseurem Herzen!“[<strong>GEJ</strong>.02_122,15] Da sagen die noch Kranken: „Meister, Dir zuliebe tun wiralles, was Du nur immer von uns verlangen magst; aber nur befreie auch unsSchwachsinnige von unseren Leiden!“[<strong>GEJ</strong>.02_122,16] Sage Ich: „So kommet und rühret an Mein Kleid!“[<strong>GEJ</strong>.02_122,17] Hier gingen die noch Kranken hin, rührten den Saum MeinesÜberkleides an und wurden alle plötzlich vollkommen gesund.[<strong>GEJ</strong>.02_122,18] Und der Hauptmann sagte, im hohen Grade aufgeregt: „Nun,ihr blinden Seher aus der sogenannten heiligen Stadt Gottes, seid ihr nunüberzeugt, daß der Mann, von dem ihr gar so scheußlich schlecht berichtet seid,und den zu untersuchen und zu fangen ihr ausgezogen seid, jener schlechteMensch ist, als den ihr mir ihn gestern beschrieben habt?“[<strong>GEJ</strong>.02_122,19] Sagt der Oberste und auch die andern Pharisäer: „Daß von ihmeine außergewöhnliche Heilkraft ausgeht, von dem haben wir uns nun mehr alshinreichend überzeugt; aber daraus folgt noch lange nicht, daß er das aus einerArt göttlicher Kraft verrichtete; denn wir bemerken an ihm und an denen, diemit ihm zu Tische sind, daß sie nicht halten die Aufsätze der Ältesten, – und wodas, da kann von einer Göttlichkeit noch lange keine Rede sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_122,20] Sagt der Hauptmann: „Das verstehe ich nicht; redet mit Ihm— 271 —


Selbst darüber!“123. — Der Herr und der Oberste. (Matth. 15)[<strong>GEJ</strong>.02_123,01] Darauf erst tritt der Oberste vor Mich hin und fragt Mich(Matth.15,1): „Meister, wer sind die, so mit dir zu Tische sind?“[<strong>GEJ</strong>.02_123,02] Sage Ich: „Es sind Meine Jünger!“[<strong>GEJ</strong>.02_123,03] Fragt weiter der Oberste: „Warum übertreten diese deineJünger der Ältesten Aufsätze? Sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brotessen!“ (Matth.15,2)[<strong>GEJ</strong>.02_123,04] Hier erst stand Ich auf, stellte Mich dem Obersten schroffgegenüber und fragte ihn mit einer ernsten Stimme: „Warum übertretet denn ihrGottes Gebote eurer Aufsätze willen? (Matth.15,3) Gott hat geboten: ,Du sollstVater und Mutter ehren! Wer aber Vater und Mutter flucht, der soll des Todessterben!‘ (Matth.15,4) Ihr aber lehret den Sohn und die Tochter, daß sie zu ihrenAlten sagen sollen: ,So ich für dich, du Vater oder du Mutter, im Tempel opfere,so ist es dir nützlicher, als so ich dich ehre in einem fort nach altem Gebrauche.‘Und ihr saget zu solch einem Sohne und zu solch einer Tochter: ,Also hast duwohlgetan!‘ (Matth.15,5) – Was aber ist die Folge davon? Sehet! Dadurchgeschieht es, daß nun fast niemand mehr seinen Vater und seine Mutter ehrt! Ihrhabt also Gottes Gebot aufgehoben um eurer Aufsätze willen! (Matth.15,6) Wergab euch dazu das Recht? Weil ihr an Gott noch nie geglaubt habt, so möget ihrsolches wohl tun; denn der geistig tot ist, hat kein Gewissen mehr!“[<strong>GEJ</strong>.02_123,05] Hier tritt wieder der Hauptmann auf und sagt: „Ah, um dieZeit also ist es? Oh, das muß ich mir ganz besonders notieren! Solche Gottesdienerseid ihr? Darum also könnet ihr das sicher rein Göttliche unseres Meistersund Heilandes nicht anerkennen?! Euer Gott ist also bloß zuerst euer Bauch, unddessentwegen eure Gold- und Silbersäcke! Nun, nun, ich kenne euch nun ganzgenau. Verhandelt nun nur weiter miteinander!“[<strong>GEJ</strong>.02_123,06] Sagt der Oberste: „Wir sind Gottes Diener nach der OrdnungAarons!“[<strong>GEJ</strong>.02_123,07] Sage Ich: „Oh, ihr elenden Heuchler! Es hat wohl Jesajas voneuch geschrieben und geweissagt (Matth.15,7): ,Dies Volk naht sich zu Mir mitseinem Munde und ehrt Mich mit seinen Lippen, aber sein Herz ist ferne vonMir! (Matth.15,8) Aber vergeblich dienen sie Mir, dieweil sie dem Volke gebensolche Lehren, die nichts denn Menschengebote sind!‘“ (Matth.15,9)[<strong>GEJ</strong>.02_123,08] Sagt der Oberste: „Wegen unserer Satzungen, die denMenschen auch heilsam sind, heben wir die Gebote Gottes nicht auf!“[<strong>GEJ</strong>.02_123,09] Sage Ich: „Ich habe es euch schon gezeigt bei dem einenGebote Gottes; wollt ihr auch hören, wie ihr all die andern Gebote Gottes in denStaub tretet und über sie eure Satzungen bis in den Himmel hineinragendstellet?“— 272 —


[<strong>GEJ</strong>.02_123,10] Sagt der Oberste: „Solches laß des Volkes wegen; denn es istviel Volk hier!“[<strong>GEJ</strong>.02_123,11] Sagt der Hauptmann: „So gebet ihr dem Meister vor demVolke das Zeugnis, daß Er als vollkommen recht nach dem Gesetze Gottes lebtund handelt!“[<strong>GEJ</strong>.02_123,12] Sagt der Oberste: „Das können wir nun nicht tun; das kann erstvom Tempel aus geschehen durch den gesalbten Hohenpriester!“[<strong>GEJ</strong>.02_123,13] Sagt darauf der Hauptmann: „Das heißt bei uns Römern: Arslonga, vita brevis! (Die Kunst ist lang, das Leben kurz!), oder man will dieSache aus gewissen Gründen auf die sogenannte lange Bank hinausschieben, umja nichts zu tun; aber ich sage es euch vor dem Volke ganz geradeheraus, dennals Zeugnis für einen Meister, wie Jesus von Nazareth einer ist, wäre auch euerbestes Zeugnis noch viel zu elend und schlecht! So ihr es daheim im Tempelwagen solltet, nur irgendeinen schiefen Bericht über Jesus abzustatten eurenheuchlerischen Kollegen, so werde ich im selben Augenblick einen Bericht anden Kaiser nach Rom abgehen lassen und ihm haarklein und mit hundert Zeugenversehen dartun, wie ihr und eure Kollegen auf euer Geheiß den berühmtenSteuerraub verübt habt! Darauf rechnet denn ja auch kein Jahr, und euer Höllennestwird zerstört sein also, daß man es darauf schwer finden wird, wo esdereinst gestanden hat! Merket euch dieses wohl! Denn was ein Römer gesprochen,das hält er, und wenn darob auch Himmel und Erde zugrunde gingen ,Fiatiustitia, pereat mundus!“ (Es geschehe Recht und ginge die Welt zugrunde!) –Habt ihr mich verstanden?“124. — Des Julius scharfe Rede über den Segen des Herrn[<strong>GEJ</strong>.02_124,01] Auf diese Rede des Hauptmanns Julius ziehen sich die Pharisäerganz verdutzt zurück und beraten unter sich, was da rätlich wäre. Der einemeint, man solle Mir das vom Hauptmann verlangte Zeugnis doch geben.[<strong>GEJ</strong>.02_124,02] Der Oberste aber sagt: „Wie können wir das, so er die Gesetzedes Tempels verachtet und mit Füßen tritt?! Tun wir's aber nur zum Scheine, sonützt das uns nichts; zu seiner Zeit würde man das Zeugnis, von uns ausgestellt,vorzeigen, und alle Schuld und Strafe käme dann über uns! Halten wir lieber,was der Hauptmann von uns will; denn käme es dann auch zu etwas, so habenwir dann einen guten Grund, uns zu entschuldigen vor unseren Allerobersten!“ –Mit diesem Bescheide begnügen sich bald alle die Pharisäer und Schriftgelehrten,verstummen am Ende ganz und reden kein Wort mehr.[<strong>GEJ</strong>.02_124,03] Da erhob Ich Mich vollernstlich, wandte Mich an den Oberstenund sagte zu ihm: „Also wegen der Nichthaltung eurer gottvergessenenMenschensatzungen kannst und willst du Mir kein Zeugnis geben, und das ausFurcht um deinen elenden Leib? Oh, hättest du Mir ein Zeugnis gegeben, wieglücklich wärest du geworden zeitlich und ewig; aber nun ist es vorbei! Es wirddes Menschen Sohn von dir nimmerdar eines Zeugnisses benötigen; denn Seine— 273 —


Werke und Seine Worte geben Ihm das rechte Zeugnis! Auf daß du und deineGefährten aber sehen, daß des Menschen Sohn keine Furcht vor den Menschenhat, so werde Ich nun all dem Volke vor dir sagen, daß an der Haltung eurerSatzungen gar nichts ist, und daß jener, der sie nach eurem Sinne beachtet, einegrobe Sünde begeht vor Gott!“[<strong>GEJ</strong>.02_124,04] Sagt der Oberste: „Das tue du nicht, sonst dürfte es dir übelergehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_124,05] Sagt der Hauptmann: „Ja, das wird Er tun, und es wird Ihmnichts Übles begegnen! Merket euch das, ihr elenden Geldschufte! Hier seid ihrin meiner Gewalt; nur eine mir verdächtige Bewegung von euch, und ich lasseeuch in Stücke zerhauen und ins Meer werfen, den Drachen zur Speise, so wahrich Julius genannt werde! Da sehet einmal diese Wichte an! Die Geschichteweiset, daß die Templer seit schon mehr denn dreihundert Jahren keinemMenschen etwas Gutes getan haben. Und war noch dann und wann eine edleSeele unter ihnen, so haben sie mit ihr getan, wie mir bekanntermaßen vor nochkaum dreißig Jahren mit dem frommen, biederen Zacharias; und wie sich unterihren Glaubensgenossen irgendein Mensch erhebt voll Wahrheit, Ehrlichkeitund Gotteskraft und die armen Menschen mit Wohltaten aller Art überhäuft, dasind diese Wichte auch schon da, um ihn zu verderben! Oh, dies elendeHandwerk soll euch bald gelegt werden![<strong>GEJ</strong>.02_124,06] Seht, dieser wahrhaftige Gottesmann kam hierher in dieseGegend, die wegen ihrer ungesunden Lage weltbekannt ist. Es befanden sichhier in der ganzen Gegend mehrere tausend Kranke – Einheimische und Fremde–, selbst meine Soldaten lagen über die Hälfte an lästigen und bösen Fieberndanieder, manche schon über ein Jahr; da kam dieser reine Gottmensch hierherund heilte alle, die da Hilfe gesucht haben. Sollte man solch einem Manne nichtfüglich einen Altar erbauen, ihm wie einem Gott opfern und alle erdenklicheEhre und Salbung darbringen? Was Gutes aber habt ihr den Menschen erwiesen,als ihr hierher kamet? Des Ebahl Keller und Speisekammer werden bald umhundert Groschen Wertes geringer werden![<strong>GEJ</strong>.02_124,07] Und aus Dank, daß ihr überall gleich den Wölfen umsonstfresset, wollet ihr uns hier noch unsern größten Wohltäter verderben! EinenMenschen, dem allein ihr es zu verdanken habt, daß Cyrenius nicht gleich alleMacht in Asien zusammenrufen und bis auf den Grund zerstören ließ euerscheußliches Raub- und Hurennest! Nein, es ist zu arg, so man über eureSchändlichkeit nachdenkt! Auf daß eure Betrügereien, die ihr dem Volke alsgöttliche Dinge ums teure Geld verkaufet, nicht verraten würden, suchet ihr mitaller Satanslist sogar eure größten Freunde und Wohltäter, so ihr bei ihnenirgendein höheres Licht wittert, aus dem Wege zu räumen! Saget es selbst, obihr nicht schlechter seid um vieles als der Satan selbst!?“[<strong>GEJ</strong>.02_124,08] Hier wandte sich der Hauptmann an Mich und sagte: „Herrund Meister aus der Schule Gottes, lehre uns ungescheut die Wahrheit und wasdas Volk in bezug auf die Menschensatzungen zu tun hat in der Folge! Ich weiß— 274 —


es, daß Dir Himmel und Erde und alle Elemente gehorchen und Du mit demleisesten Hauche Deines Mundes diese Wichte so gewiß wie Spreu in die Lüftehinaus zerstreuen kannst, als wie gewiß Du imstande warst, dem Meere zugebieten, daß es uns getragen hat, als wäre es ein festes Land; aber dennochstehe ich Dir – nur als ein schwacher Mensch gegen Dich mit aller meinerMacht, die durchaus nicht unbedeutend ist – bis auf den letzten Mann und bisauf den letzten Tropfen Blut zu Diensten! Diese elendesten Wichte sollen denOrt Genezareth kennenlernen!“[<strong>GEJ</strong>.02_124,09] Sagt der Oberste mit einer stark bebenden Stimme: „HerrHauptmann! Wo aber hast du einen Beweis gegen uns dahin, daß wir nur darumgekommen seien, diesen Menschen zu verderben? Wir sind wohl gekommen,ihn zu untersuchen und zu prüfen, was man uns doch unmöglich verargen kann;aber vom Verderben kann da doch bei Gott keine Rede sein! Du hast nun leichtreden; denn du hast schon eine hinreichende Gelegenheit gehabt, ihn durch seineTaten und Reden kennenzulernen; wir aber haben außer der heutigen wunderbarenHeilung noch wenig gehört und gesehen, außer deinen durchaus nicht sehrhumanen Drohungen, und es sollte uns denn, als gewisserart noch völligFremden in dieser Sache, ja doch auch freistehen, diesen Wundermann einwenig durchzukosten![<strong>GEJ</strong>.02_124,10] Daß wir Templer auf einem bereits sehr hohlen Grunde stehen,ist uns sicher nicht fremd; aber dessenungeachtet ist er dennoch besser als garkeiner, und der Staat muß ihn so lange schützen, als es irgend Gott gefällig seinwird, einen gediegeneren zu schaffen! Daher bitte ich dich, uns nicht gleich mitdem Schwerte zu drohen, so wir irgend mit dem Wundermanne Jesus ein paarWorte wechseln! Er soll nun tun, was er will, und soll lehren und predigen, aufdaß auch wir davon etwas Besseres erfahren, als was wir bloß vom Hörensagenund von vielen, sicher falschen Berichten vernommen haben; werden wir sehen,daß an der Sache etwas ist, so werden auch wir andere Urteile in uns fassen, alswir sie bis jetzt fassen konnten! Denn gar so dumm sind wir nicht, und unserHerz ist noch immer eines gerechten Urteiles völlig fähig.“[<strong>GEJ</strong>.02_124,11] Sagt der Hauptmann: „Die Verweigerung des verlangtenZeugnisses spricht nicht zu Gunsten der Gerechtigkeit eures Herzens, im Gegenteil!Ex trunco non quidem Mercurius (Aus einem Klotz ist noch kein Gottgeworden!) – aber wir wollen sehen!“125. — Drei Dokumente. (Matth. 15)[<strong>GEJ</strong>.02_125,01] Da rief Ich sogleich alles Volk zusammen, das zum Teil hieraus den Genesenen und zum Teil aus den ziemlich vielen Einwohnern der Stadtbestand, die an diesem Tage, als am Vorsabbat, einen Feiertag machten.[<strong>GEJ</strong>.02_125,02] Als das Volk beisammen und der Saal nahezu vollgefüllt war,sagte Ich zum Volke: „Höret zu, und vernehmet Mich wohl! (Matth.15,10) Waszum Munde eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht; aber was zum Munde— 275 —


ausgeht, das verunreinigt den Menschen. (Matth.15,11) Mit ungewaschenenHänden das Brot essen, verunreinigt keinen Menschen. Das sage Ich euch allenund hebe somit für ewig solche Menschensatzung auf!“ – Da fing alles Volk anzu jubeln und lobte Mich.[<strong>GEJ</strong>.02_125,03] Da traten aber auch die Jünger zu Mir und fragten Mich undsprachen: „Hast Du wohl gemerkt, wie grimmig sich die Pharisäer geärgerthaben, als sie Dich solches Wort aussprechen hörten?“ (Matth.15,12)[<strong>GEJ</strong>.02_125,04] Sage Ich laut zu den Jüngern: „Alle Pflanzen, die nicht Meinhimmlischer Vater gepflanzt hat, werden ausgereutet. (Matth.15,13) Lasset siefahren! Sie sind blinde Blindenleiter. Wo aber ein Blinder einen Blinden führt,da fallen doch sicher beide in den Graben! (Matth.15,14) Diese können sichärgern wie sie wollen; denn ihr Vater ist ein anderer als der unsrige. Unser Vaterist oben – und der ihrige unten!“[<strong>GEJ</strong>.02_125,05] Als die Pharisäer solches vernahmen, da wurden sie gelb, grünund feuerrot vor Zorn und Wut; und der Oberste sagte, mit zwar bebenderStimme: „Wir haben nun genug gehört! Er hat Gott und uns gelästert! Nunwissen wir, mit wem wir es zu tun haben, und wer dieser Jesus aus Nazareth ist!Lasset uns daher von dannen ziehen und laut verkünden dem Hohenpriester,welch ein Mensch dieser Nazaräer ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_125,06] Sagt der Hauptmann: „Man kann wohl in eine Stadt kommen,wie ihr, nach eigenem Willen; aber das Hinauskommen liegt im Willen desMachthabers über die Stadt! Es ist wohl bald gesagt: ,Lasset uns hinausziehen!‘;aber da tritt der Machthaber entgegen und spricht: ,Ihr bleibet!‘“ – Das letzteward mit einer Donnerstimme hinausgedröhnt.[<strong>GEJ</strong>.02_125,07] Über die letzten Worte: „Ihr bleibet!“ erschraken die Pharisäeraber auch derart, daß sie alle erdenbleich wurden, zu beben begannen und keinWort mehr über ihre Lippen zu bringen imstande waren.[<strong>GEJ</strong>.02_125,08] Als der Hauptmann sah, daß seine Anrede auf sie einenmörderischen Eindruck gemacht hatte, da sagte er weiter: „Bevor ich euchwerde abziehen lassen, werden wir miteinander noch viel zu reden haben, undihr werdet mir zuvor noch ein Paar Kontrakte und ein Zeugnis mit eurerHandschrift im Beisein des Volkes unterfertigen; aber sowohl die Kontrakte alswie das Zeugnis auf Leben und Tod! Wohl verstanden! Denn sowie ich durchmeine scharfhörigen Spione erführe, daß ihr nur einen Punkt der Kontrakte nichthieltet, so seid ihr noch am selben Tage des Todes, und möchtet ihr euch auchhinter tausend Tempeln verbergen!“[<strong>GEJ</strong>.02_125,09] Hier ließ sich der Hauptmann von seinen Dienern sogleich einSchreibzeug bringen und schrieb folgendes: „Kontrakt Nr. 1: Wenn einer voneuch es wagen sollte, über Jesus von Nazareth auch nur ein schmählich Wort zureden, entweder untereinander oder zu jemand Fremdem, was augenblicklichaufkommen wird, der verfällt dem Gerichte und dem Tode! – Kontrakt Nr. 2:Wer von euch von alledem, was sich hier zugetragen hat und hier geredet ward,— 276 —


in Jerusalem und im Tempel nur eine Silbe fallen ließe und Jesus dem Herrn einböses Zeugnis gäbe, ob im Tempel oder in einem andern Hause, der verfällt dempeinlichen Gerichte und darauf dem martervollsten Tode! Und niemand tröstesich mit dem: ,Es wird doch wohl sicher nicht aufkommen!‘ Wie schon gesagt,im selben Momente, als wo ihr immer nur eine Silbe von dem aussagen werdet,was in den zwei Kontrakten euch zu schweigen geboten ist, werden es meineSpione erfahren, und mit euch wird es geschehen, was euch in diesen Kontraktenverheißen ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_125,10] Darauf schrieb der Hauptmann das Zeugnis, das also lautete:„Wir samt und sämtlich bekennen am Ende mit unserer Handschrift zur Steuerder Wahrheit pro memoria aeterna (zur ewigen Erinnerung), daß wir denbekannten Raub der kaiserlichen Steuern und Schätze aus dem Pontus und ausKleinasien begangen und solche durch eine allerschmählichste List denÜberbringern abgenommen haben, aber bei dem Transporte nach Jerusalem inKis durch den Jesus von Nazareth verraten worden sind, wennschon nichtmündlich, so doch durch seinen Einfluß. Wir wären zwar vom Richter Faustussamt und sämtlich zum Tode verdammt worden – aber Jesus von Nazareth hatsich für uns verwendet, und wir kamen unverletzt davon! – Dies ist eineWahrheit, für die wir unser Leben einsetzen!“[<strong>GEJ</strong>.02_125,11] Als der Hauptmann diese drei Stücke fertiggeschrieben hatte,las er sie ganz ruhig den Pharisäern und Schriftgelehrten vor. Bei jeder Zeilewurden ihre Gesichter länger und länger, und als sie das Zeugnis verlesenhörten, da erst schlugen sie die Hände über den Häuptern zusammen undschrien: „Was, das sollen wir unterschreiben?!“[<strong>GEJ</strong>.02_125,12] Sagt der Hauptmann: „Ja, es ist reine Wahrheit! Wollt ihrsolche aber nicht, so stehen dort schon die Büttel mit Ruten, Geißeln und scharfenBeilen versehen!“ – Hier sahen sich die Pharisäer um und ersahen die Schreckensmänner.Da verlangten sie aber auch gleich ohne Widerrede Schreibzeug.Der Hauptmann aber erinnerte sie noch, ihre wahren Namen zu unterschreiben,da ein falscher Name jedem den Tod brächte. Da unterschrieben sie ihre wahrenNamen, und wer aus dem Volke schreiben konnte, mußte sich als Zeuge unterschreiben.[<strong>GEJ</strong>.02_125,13] Als die drei Dokumente also in der Ordnung waren, sagte derHauptmann: „Nun habe ich das, was ich von euch schon lange gern gehabt hätte,und ihr wißt es, was ich habe. Was ihr zu beachten habt, wißt ihr auch, undsomit sind wir fertig. Nun möget ihr schon ziehen, wohin ihr wollt! Bis an dieGrenze wird euch sicheres Geleit gegeben!“[<strong>GEJ</strong>.02_125,14] Hierauf packten diese Pharisäer und Schriftgelehrten auchsogleich zusammen, und es dauerte keine halbe Stunde, so hatten sie Genezarethauch schon hinter dem Rücken, ganz stille, ohne Wort und Laut.— 277 —


126. — Des Herrn Warnung vor der bösen List der Templer[<strong>GEJ</strong>.02_126,01] Als diese Prüfer und Untersucher schon über Berg und Talwaren, da sagte der Hauptmann: „Herr, diese werden hoffentlich schweigen;denn diese drei Schnüre dürften halten! Übrigens ist es volle Wahrheit, daß ich'sbinnen längstens acht Tagen erfahre, was einer von ihnen noch so geheimirgendwo möchte geredet haben; dazu ist ihr Glaube noch stärker denn meineweit ausgebreiteten Kundschafter, und ihre große Furcht ist ihr Zuchtmeister. Dastehe ich dafür, daß von ihnen keiner auch nur eine Silbe von alledem zu jemandemreden wird, was er hier erlebt hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,02] Sage Ich: „Ja, sie werden schweigen, aber desto größer wirdihr geheimer Zorn sein; denn das, was ihnen hier in hinreichendstem Maßebegegnet ist, wird keiner von ihnen je vergessen. Sehet aber euch alle wohl vor;denn ihre geheime Bosheit ist groß und hat keine Grenzen! In ihren Herzenhausen Teufel, und diesen ist kein Mittel zu schlecht, sich an dem zu rächen, dersie beleidigt hat! Darum sehet euch vor! Diese werden nun brüten und brüten!Das Zeugnis aber, das sie unterfertigen mußten, ist noch das beste Bindemittel!Daher werden sie wohl stille sein; aber sie werden euch mehr böswilligeKundschafter auf den Hals senden als ihr ihnen und werden gegen euch falscheZeugen dingen. Darum sehet euch vor, Ich habe es euch deshalb zuvor gesagt!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,03] Sagt der Hauptmann: „Herr, ich danke Dir aus dem vollstenHerzen für diese Warnung! Da ich aber nun das weiß, so soll es jedem Fremdenin der Folge ganz absonderlich zu Mute werden, besonders aber einem Jerusalemer,der in dieses Gebiet kommen wird! Wahrlich, dem sollen glühende Kohlenüber dem Kopfe angeblasen werden! Nur einen einmal ergreifen, und es solleinem zweiten für immer die Lust vergehen, einen Kundschafter der Teufel zumachen!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,04] Sage Ich: „Ja, ja, darum seid auf eurer Hut; denn diese Art istdem Äußern nach geschmeidig wie eine Taube, dem Innern nach aber ist siegiftiger denn eine ägyptische Ringelschlange! Sie werden kommen in allerleiGestalt und werden reden diese und jene Sprache, bald als persische Kaufleute,bald als Griechen und bald als Ägypter, auch als Römer, und werden schwer zuunterscheiden sein von wahren Angehörigen der genannten Nationen. Aber soihr sie streng untersuchen werdet, da werdet ihr schon finden, wes GeistesKinder sie sind!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,05] Sagt der Hauptmann: „Oh, noch viel mehr Dank Dir, o Herr!Nun weiß ich's ganz genau, was ich in der Zukunft werde zu tun haben; undsollte sich wo ein trüber Fall zeigen, da wirst Du mir's ja wohl gestatten, daß ichDeinen mir über alles heiligen und mächtigen Namen werde anrufen dürfen undsagen: ,O du großer allmächtiger Geist meines Herrn und Meisters Jesu!Erleuchte mein Herz, auf daß es licht werde in ihm!‘, und Du wirst solch meinRufen sicher auch bis ans Ende der Welt vernehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,06] Sage Ich: „O Freund und Bruder, bleibe du also in Mir, und— 278 —


Mein Geist wird in dir sein, dir zur Hilfe zu jeder Zeit bei Tag und bei Nacht!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,07] Sagt die neben Mir stehende Jarah: „Aber Herr, Du redest ja,als wenn Du uns schon bald verlassen möchtest!? O ich bitte Dich, bleibe dochnoch einige Tage bei uns; denn Du bist ja mein Leben! Wie könnte ich ohneDich leben? Du mußt hier bleiben, ich lasse Dich nicht von hier! Ohne Dichmüßte ich ja sterben!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,08] Sage Ich ganz freundlich: „O du Meine allergeliebteste Jarah,dich werde Ich ewig nicht verlassen! Und werde Ich Mich der Person nach nachetwelchen Tagen von hier Meines Amtes wegen entfernen auf einige Zeit, sowerde Ich aber dennoch im Geiste gleichfort bei dir sein, und du wirst mit Mirreden, und Ich werde dir eine wohl vernehmbare Antwort geben auf jede deinerFragen; dessen kannst du vollends versichert sein! – Verstehst du das?“[<strong>GEJ</strong>.02_126,09] Sagt die kleine Jarah: „Ja, Du mein allerliebster Herr Jesus,das verstehe ich recht gut und weiß, daß Dir nichts unmöglich ist; aber lieb ist esmir dennoch, so Du auch Deiner Person nach noch längere Zeit bei uns verweilest.Denn siehe, nun, da Du bei uns bist, sieht alles so verklärt und himmlischaus; ich kann mir nun schon den Himmel nicht schöner und herrlicher vorstellen.Daher mußt Du mir zulieb wohl noch auch persönlich einige Tage hierverweilen!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,10] Sage Ich: „Nun ja, es ist ja unmöglich, solch einer Liebe etwasungewährt zu lassen, besonders wenn sie sich den allerbesten Teil erwählt hat!Sei du nur frohen Mutes; deine Liebe wird nimmer allein dastehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,11] Das macht die Jarah ganz heiter, daß sie darob zu Ebahlspringt und sagt: „Sieh, Vater Ebahl, der Herr bleibt noch bei uns, und dasimmer!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,12] Sagt Ebahl: „Mein liebes Kind, das ist eine große Gnade füruns, der wir alle zusammen nicht wert sind; denn Er ist ein Herr Himmels unddieser Erde! Was Er tut und tun will, das liegt in Seinem ewigen, unergründlichenRatschlusse verborgen, demnach jedes Haar auf unserem Haupte alsogezählt ist wie der Sand des Meeres, und wir Menschen können darin nichtsändern. Aber dieser Meinung bin ich auch, daß es bei Ihm, vor dem tausendJahre wie ein Tag sind, eben auf einen Tag nicht ankommen wird, kürzer oderlänger bei uns zu verweilen. Daher halte du Ihn nur fest und laß Ihn nicht aus;denn dich hat Er unter uns am liebsten!“[<strong>GEJ</strong>.02_126,13] Sagt die Jarah: „Oh, ich werde Ihn schon recht festhalten undgar nimmer auslassen!“127. — Der Herr spricht über den Geist der Liebe[<strong>GEJ</strong>.02_127,01] Da komme Ich von rückwärts still zur Jarah, hebe sie vomBoden auf und sage: „Aber du Mein allerliebstes Kindchen, wie wirst du Michwohl halten können? Siehe, Ich bin ja viel stärker denn du!“— 279 —


[<strong>GEJ</strong>.02_127,02] Sagt die Kleine, als Ich sie wieder auf den Boden stelle: „Dasweiß ich wohl, daß Du endlos stärker bist als ich, kaum ein Mücklein vor Dir;denn Du trägst mit Deiner allmächtigen Willenskraft Himmel und Erde undhältst das Meer in seiner Tiefe; wie sollte ich mich in der Stärke mit Dir messenwollen?! Aber das meine ich, daß Du, weil ich Dich gar so unbeschreiblichliebhabe, meiner Liebe zu Dir zulieb Dich wirst ein wenig über die Zeit haltenlassen!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,03] Sage Ich: „Ja, da hast du wieder recht; denn mit der Lieberichtet man bei Mir alles aus! Die Liebe zu euch Menschen zog Mich ja aufdiese Erde! Wer aber Liebe hat wie du, der kann mit Mir dann freilich schonmachen, was er will! Denn solche Liebe ist ja eben Mein Geist in dem Herzendes Menschen. Und was solche Liebe verlangt und will, das geht aus aller Tiefeder göttlichen Ordnung, und du kannst Mich deshalb mit deinem Herzen schonso hübsch festhalten, und Ich werde Mich von deinem Herzen ewig nimmertrennen![<strong>GEJ</strong>.02_127,04] Jedoch an Meiner erscheinlichen Person liegt nichts, sondernallein nur an Meinem Geiste! Was Ich tue, siehe, das tut nicht Meine Person,sondern allein nur Mein Geist; aber dir zuliebe werde Ich dennoch ein paar Tagehier verweilen, – denn morgen ist Sabbat und übermorgen ein Nachsabbat!Diese beiden Tage werde Ich noch hier verweilen, dann aber werde Ich weiterziehen,und zwar nach Sidon und Tyrus, – werde aber dann schon wiederkommen und vielleicht den halben Winter bei euch zubringen.“[<strong>GEJ</strong>.02_127,05] Sagt ganz entzückt die Kleine: „Oh, Gott dem heiligen Vateralles Lob darum! Nun bin ich schon zufrieden!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,06] Alle bewunderten das zwölf Jahre alte Mägdlein und stauntenüber ihren Verstand. Und ein Alter sagte: „Oh, das ist eine besondere GnadeGottes! In dieser zarten Haut steckt ein Gottesengel! Gestalt und Geist zeugendafür.“[<strong>GEJ</strong>.02_127,07] Sagt ein anderer: „Jawohl! Das Mägdlein zählt erst zwölfJahre und etwa ein halbes darüber; aber sie sieht aus wie eine Maid vonsechzehn Jahren! Ihr Leib ist völlig ausgebildet, und ihre Seele läßt nichts zuwünschen übrig. Die hat wahrlich Kopf und Herz am rechten Flecke! Glücklich,wer einmal diese als Weib in sein Haus führen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,08] Solches vernimmt die Jarah und sagt: „Ein Herz, das Gottliebt, bedarf der Liebe eines selbstsüchtigen Bräutigams nicht; denn es ist schonals Braut eingeführt in das Haus Gottes! Ich weiß die Menschen zu lieben inihrer Not und Gutes zu tun den Armen zu jeder Stunde bei Tag und Nacht; aberdie gewisse Liebe eines jungen Mannes kenne ich nicht und werde sie auch niekennenlernen, – außer sein Herz ist gleich dem meinen erfüllt allein von derreinsten Liebe zu Gott!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,09] Sagt ein anderer alter Jude: „Ei, ei, Mägdlein! Deine Redeklingt zwar wohl, als käme sie aus dem Munde eines Engels; aber du bestehst— 280 —


dennoch auch aus Fleisch und Blut, und wenn einmal deine Jahre kommenwerden, dann wirst du es schon sehen, ob Fleisch und Blut beim Menschennichts zu reden haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,10] Sagt die Jarah: „Daß der Mensch kein Gott ist, das weiß ichschon seit meinen frühesten Jahren; aber der Mensch kann durch seine rechteLiebe zu Gott ein Meister seines Fleisches und Blutes werden, der sicheren HilfeGottes zufolge. Wem aber Gott hilft, dem hilft Er ganz und nicht zur Hälfte, wasihr heute früh selbst an eurem kranken Fleisch und Blut erfahren habt! Denn daswar nicht Menschenhilfe, sondern das war Gottes Hilfe!“ – Nach diesen WortenJarahs verstummen die Alten, und es getraut sich keiner mehr, ihr ein Wort zuentgegnen.[<strong>GEJ</strong>.02_127,11] Ich aber sage zur Jarah, sie bei der Hand fassend: „Gut hast dues gemacht! Du sprichst ja schon wie ein ausgemachter Prophet!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,12] Sagt lieblächelnd die Jarah halblaut zu Mir: „Ist leicht prophetischreden, wenn man bei Dir ist und Du einem die Worte ins Herz und in denMund legst! Hätte ich aus mir selbst geredet, da wären gewiß recht vieleDummheiten herausgekommen!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,13] Sage Ich auch so halblaut: „Könnte wohl sein, Meine allerliebsteJarah! Aber von nun an wirst du stets so weise zu reden imstande sein,nur mußt du Mir nicht etwa einmal untreu werden, wenn du älter wirst!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,14] Sagt die Jarah: „Herr, wenn das möglich wäre, da laß michlieber sterben!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,15] Sage Ich: „Nun, nun, es wird etwa wohl unmöglich bleiben!?“[<strong>GEJ</strong>.02_127,16] Sagt die Jarah, Mich fest um die Mitte fassend und an ihreBrust drückend: „Ja, so etwas muß ewig unmöglich bleiben! Denn man müßtenur wahnsinnig werden, so man gäbe ein Pfund reinsten Goldes um ein Pfundstinkenden Moders!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,17] Sage Ich: „Also hältst du doch auch etwas aufs Gold?“[<strong>GEJ</strong>.02_127,18] Sagt die Jarah: „Ja, aufs Gold der Seele alles! Das irdischeGold aber habe ich nur des Beispieles wegen angeführt.“[<strong>GEJ</strong>.02_127,19] Sage Ich: „Nun, nun, Ich habe dich schon verstanden; aberweil Ich dich eben gar so liebhabe, so muß Ich dich ja auch ein wenig necken!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,20] Sagt die Jarah: „O necke Du mich nur, ich werde Dich darumdoch nicht weniger lieben! Denn das weiß ich ja schon seit lange her, daß Gottdie Menschen, die Er besonders liebt, mit allerlei Leiden heimsucht! So Du, oHerr, mich so recht, recht zu necken anfangen wirst, dann wirst Du mich erstganz liebhaben!“[<strong>GEJ</strong>.02_127,21] Sage Ich: „O du Mein liebstes Kindlein, solch reinste Herzen,wie das deine ist, neckt Gott nimmer, sondern nur solche, die Gott zwar sehrlieben, aber dabei dennoch auch mit der Welt dann und wann liebäugeln;— 281 —


solchen treibt dann Gott durch allerlei Neckereien die Weltliebe aus demHerzen, auf daß sie vollends reinen Herzens werden. – Verstehest du solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_127,22] Sagt die Jarah: „O Herr, Du Honigseim meines Herzens, dasverstehe ich wohl recht gut!“128. — Gespräch zwischen den Templern und den Essäern. (Matth. 15)[<strong>GEJ</strong>.02_128,01] Sagt auf der Seite endlich einmal wieder Petrus, so mehr fürsich: „Begreife nicht, wie dies Mägdlein mit dem Verstehen allzeit so geschwindfertig ist! Ich bin doch schon alt und habe doch schon so manches erfahren, abermit dem gar so schnellen Verstehen geht es bei mir durchaus nicht. So versteheich jetzt noch nicht so ganz rein, was Er mit dem Bilde gemeint hat: ,Was zumMunde hineingehet, verunreinigt den Menschen nicht, sondern das vom Mundeherauskommt!‘ So ein Mensch sich erbrechen muß, oder so er hustet und dannausspuckt, wie soll ihn das verunreinigen? Hat doch Moses davon keine Erwähnunggemacht!?“[<strong>GEJ</strong>.02_128,02] Sagen auch die anderen Jünger: „Da geht es dir wie uns; denndas bringen auch wir nicht zusammen! Gehe und frage Ihn in unser aller Namen,wie dies Gleichnis zu verstehen ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_128,03] Da erst trat Petrus zu Mir hin und fragte Mich, sagend: „Herr,deute uns das Gleichnis vom ,zum Munde Ein- und Ausgehen‘ (Matth.15,15);wir alle verstehen es nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_128,04] Sage Ich: „Seid denn ihr auch noch so unverständig?(Matth.15,16) Wie lange werde Ich euch denn noch also ertragen müssen?Merket ihr noch nicht, daß alles, was zum Munde eingeht, in den Bauch kommtund von da durch den natürlichen Gang ausgeworfen wird? (Matth.15,17) Wasaber zum Munde herausgeht, das kommt aus dem Herzen und verunreinigt denMenschen! (Matth.15,18) Denn aus dem Herzen kommen arge Gedanken: Mord,Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse und Lästerungen. (Matth.15,19).[<strong>GEJ</strong>.02_128,05] Das sind Stücke, die den Menschen verunreinigen; aber mitungewaschenen Händen Brot essen, das verunreinigt den Menschen nicht!(Matth.15,20) – Verstehet ihr nun das?“[<strong>GEJ</strong>.02_128,06] Sagen die Jünger: „Ja, Herr, wir danken Dir für dies heiligeLicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_128,07] Sage Ich zum Matthäus dem Schreiber: „Also zeichne du aufdie Speisung in der Wüste, darauf die nächtliche Hierherfahrt, und was sichdabei Besonderes ereignete, und darauf aber gleich, was sich heute zutrug, mitwenig Worten, aber bündig! Alles andere, was sich hier zugetragen hat, laßeinstweilen weg; in der Folge aber kann noch manches nachgetragen werden, –das aber ist ein wesentliches Stück des Evangeliums.“[<strong>GEJ</strong>.02_128,08] Hierauf begeben sich die Jünger wieder in ihr Zimmer, woihrer schon mit Ungeduld die etlichen bekehrten Pharisäer und Schriftgelehrten— 282 —


samt den zwei Essäern harren. Natürlich werden sie gleich klein durchgefragt,wie es mit den Pharisäern und Schriftgelehrten von Jerusalem gegangen sei. Unddie Jünger erzählen ihnen alles haarklein. Da sagen die Pharisäer, Schriftgelehrtenund die beiden Essäer: „Nein, da gehört wahrlich viel Nacht und Verschlagenheitdazu, bei solchen Zeichen und Zeugnissen noch in der bösartigstenDummheit hartnäckig zu verharren! Und was nützt ihnen alle ihre Verschlagenheit?Nun sind sie durch die drei ausgestellten Dokumente auf eine solche Weisegebunden, daß sie sich nicht einmal untereinander ihre Gedanken mitteilendürfen! Sind das aber doch Ochsen und Böcke!“[<strong>GEJ</strong>.02_128,09] Sagen die Essäer: „Die Sache mit Jesus ist so sonnenhell wienur etwas sonnenhell sein kann, und doch solch eine unerhörte Verschlagenheit!Wir sind doch, was Weltverstand betrifft, so gebildet, als man nur immer gebildetsein kann, wenn man alle Schulen Persiens und Ägyptens durchgemacht hatund die Weisen Griechenlands und auch die der alten Juden im kleinen Fingerhat; aber wir abstrahieren hier alle die unerhörten Wundertaten und sagen bloß:Was Seine Rede und die aus ihr hervorgehende tiefste Weisheit betrifft, von derman sonst auf der Erde noch nie eine Spur angetroffen hat, so ist uns diese mehrdenn ein allerhinreichendster Beweis, daß dieser Jesus ein allervollendetsterGott ist. Nun kommen aber auch noch Seine Taten hinzu in einer Art, von derwohl nie einem Menschen etwas geträumt hat; Taten, die nur einem Gottmöglich sein können, in dem sich alle Kräfte der Welt und aller Sterne, derSonne und des Mondes vereinen, oder aus dessen wunderbarst allmächtigemWillen sie auf eine für uns freilich unerklärte Weise ihr Dasein erhielten![<strong>GEJ</strong>.02_128,10] Wir sahen es, wie bei Ihm Wille, Wort und vollendete Tatgerade in eines zusammenfallen. Die Himmel öffnen sich auf Seinen Wink, undzahllose Scharen der anmutigsten Ätherwesen stehen zu Seinem Dienste bereit;Er gebietet es ihnen, und die leeren Speisekammern strotzen vor Fülle derköstlichsten Speisen, und alle leeren Schläuche und Krüge werden voll desköstlichsten Weines! Ja, ist das denn wohl im Ernste nichts?[<strong>GEJ</strong>.02_128,11] Er gebietet dem Meere, und es festigt seine Fläche, ohnedarum Eis zu sein, und die Menschen wandeln auf dem sonst jedem Menschentodbringenden Boden wie auf einem Marmorboden! Und das ist den Finsterlingenalles gezeigt und treu erzählt worden, dazu haben sie heute morgen miteigenen Augen die wunderbare Heilung von etlichen hundert Menschen mitangegafft, und dennoch sind sie dabei verschlagener geblieben als ein Fels, andem seit Tausenden von Jahren wenigstens alle Jahre hunderttausend Blitze ihrezerstörende Kraft versucht haben! Brüder, da hört denn doch alles Menschlicheim Menschen auf! Da ist er entweder ein böses Tier oder im Vollernste einTeufel! – Saget Brüder, haben wir recht oder nicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_128,12] Sagen die Pharisäer und Schriftgelehrten: „Mehr noch alsvollkommen wahr und recht! Denn wenn man bei solchen Erscheinungen nochhart und unbeugsam bleiben kann, dann ist man eventuell ein Teufel!“[<strong>GEJ</strong>.02_128,13] Sagen die beiden Essäer: „Nachdem wir nun glauben, daß es— 283 —


im vollsten Ernste also arge Geister gibt in den Regionen dieser Welt, von denennicht selten Menschen geplagt und zum größten Teil ohne eine fühlbare Plage zuargen Taten verleitet werden, so sind wir denn nun auch vollends eurerMeinung! Denn Menschen, die für ihre Nebenmenschen jedes bessern Mitgefühlesbar sind, die nur gleich den Tigern für ihren Rachen und für ihren Bauchbesorgt sind, sind nicht mehr Menschen, sondern Teufel! Denn sie haben fürnichts anderes mehr einen Sinn, als nur dahin zu trachten, daß ihr Bauch auf dasansehnlichste befriedigt wird! Um diesen einzigen Zweck zu erreichen, ist ihnenauch kein Mittel zu schlecht! Was Gott, was Geist! Der Bauch muß versorgtsein! Alles andere gilt bei ihnen nichts. Kunst und Wissenschaft wird von ihnennur dann als etwas angesehen, wenn durch sie für ihren Bauch die Einkünftevergrößert werden können! – O Herr, sind das Menschen! Ja, ja, das sind dieallereigentlichsten und allerechtesten Teufel!“[<strong>GEJ</strong>.02_128,14] Sagt darauf endlich einmal Judas Ischariot: „Wenn ich nicht zusehr von Seiner wahrhaft göttlichen Allmacht überzeugt wäre, wahrlich, mirfinge an, um Ihn angst und bange zu werden! Denn diese Leute würden, so esmöglich wäre, Gott Selbst von Seinem ewigen Throne herabreißen und sichdann darauf setzen; denn die Templer, denen es nun nach der Vertreibung derSamariter, die ihnen oft stark und scharf auf die Finger hieben, unendlich gutgeht, würden eher das Äußerste wagen, bevor sie sich in ihrem Wohlleben etwasschmälern ließen!“[<strong>GEJ</strong>.02_128,15] Sagt Petrus: „Glaubst du, daß unser Herr mit aller SeinerWundermacht sicher ist vor der Arglist der Templer? So Er vor diesen VaterundMuttermördern nicht als ein Richter mit Feuer und Blitz aus den Himmelnverheerend auftritt, so ist Er in kurzer Zeit trotz aller Seiner Macht und Weisheitein Opfer ihrer nie zu sättigenden Rache! Ja, ein Jude ist zu großen Dingenberufen und kann ein Engel sein; aber über einen schlechten und verdorbenenJuden gibt es auch keinen Teufel, der noch schlechter sein könnte![<strong>GEJ</strong>.02_128,16] Daher solle Er Sich ja vor Jerusalem hüten! Denn kommt Erals ein gefälliger Mensch dahin, so ist Er samt dem Prediger Johannes verloren!Solange dieser in unserer Nähe am Kleinjordan und in Klein-Bethabara (Wüste)lehrte und taufte, war er sicher; als er sich aber erst vor etwa drei Monaten nachdem großen Jordan und in die große Wüste Bethabara begab, da war er auchehestens ein Opfer der Tempelmenschen, die sich gar schlau hinter dem Herodeszu verstecken verstanden. Herodes aber ließ ja auch schon fahnden nach Ihm,unserem Herrn und Meister; hätte er Seiner habhaft werden können, wer weiß,was da schon alles geschehen wäre! Aber der Herr sieht auch in der Ferne derMenschen Herzen und ihre Pläne und weiß ihnen auszuweichen! Denn wer istwohl klüger und weiser denn Er?“[<strong>GEJ</strong>.02_128,17] Sagt ein Pharisäer: „Wenn Er ihnen einmal auszuweichenbeginnt, so ist das schon kein gar gutes Zeichen für Seine volle Sicherheit! Erkann wohl alles Aufsehen vermeiden wollen, solange es nur immer möglich ist,und das allein entschuldigt dann Sein Ausweichen; ist aber nur eine allerleiseste— 284 —


Furcht vorhanden, dann gebe ich nicht viel für Seine Sicherheit! Denn nur zu gutweiß ich's, wo überall und wie der Tempel seine verderblichen Netze ausgespannthält, daß es nahezu eine Unmöglichkeit ist, demselben zu entkommen mitheiler Haut! Aber Er wird nur kein Aufsehen von großer Bedeutung vorderhanderregen wollen, und darum wird Er solchen Gelegenheiten auch solange alsmöglich ausweichen und wird dadurch einen heftigsten, Himmel und Erdeerschütternden Zusammenstoß vermeiden; Er wird der großen Bosheit derMenschen erst dann begegnen, wenn das Übermaß ganz voll sein wird! – Dasglaube ich von Seinem Charakter zu verstehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_128,18] Sagen die Essäer: „Das ist auch unsere Meinung! Denn beisolch einer rein göttlichen Weisheit und bei solch einer Fülle von einer verborgenengöttlichen Kraft wird man der argen Welt gegenüber doch etwa wohlwissen, was man zu tun hat! Wenn wir nur den hunderttausendsten Teil vonSeiner Macht und Weisheit hätten, so wären wir in drei Jahren Herren derganzen Welt! Darum ist uns um Ihn nicht bange! Er müßte Sich nur Selbstfreiwillig der argen Welt hingeben und sagen: ,Da bin Ich, nun erfüllet an Mir,eurem Schöpfer Selbst, das Vollmaß eurer Bosheit, auf daß desto eher über euchkomme das Gericht von oben!‘ – Und da würde Er dennoch nichts verlieren! Erkönnte wohl zugeben, daß die argen Menschen, um ihr Maß voll zu machen,Seinem Leibe Schaden zufügten, ja denselben sogar töteten; aber wer wirdSeinem ewig unverwüstlichen und allmächtigen Geiste etwas anhaben können?Wie gesagt, wir zweifeln gar nicht, daß Er so etwas auch zu tun imstande wäre,aber das wird Seinen Feinden wenig nützen; denn ehe man sich's versehen wird,wird Er als ein unverwüstlicher Richter auferstehen und sie richten mit Feuerund Schwert aus den Himmeln! Wehe dann allen Seinen Feinden und allenTeufeln! Diese werden dann erst qualvollst erfahren, wer Der war, den sie aufallen Wegen und Stegen verfolgt haben! – Was sagt ihr alle zu dieser unsererMeinung?“[<strong>GEJ</strong>.02_128,19] Sagen die Jünger: „Ei, das geschehe nur Ihm nicht, obschonwir unmaßgeblich eure Meinung nicht streitig machen wollen; denn bei Gott istja vieles möglich, was sich ein Mensch gar nie als möglich denken kann undmag!“129. — Der Herr und die beiden Essäer[<strong>GEJ</strong>.02_129,01] Während die Jünger, die Pharisäer und die beiden Essäersolches miteinander reden und der Matthäus seine Aufgabe aufzeichnet, wirdvom Ebahl zu Tische gerufen, und die Jünger und nun ihre Jünger werdenebenfalls zu Tische gerufen und kommen so ziemlich heiteren Angesichts in denSpeisesaal.[<strong>GEJ</strong>.02_129,02] Da frage Ich sie, was sie in ihrem Gemache so lebhaft miteinanderbesprochen hätten.[<strong>GEJ</strong>.02_129,03] Antworten die beiden Essäer: „Herr, Du hast gut fragen, denn— 285 —


was wir nun untereinander geredet haben, das war Deinem Geiste schon vonEwigkeit her so klar wie die Sonne am hellsten Mittage! Aber, daß wir sichernichts Arges über Dich geredet haben, dessen kannst Du vollends versichertsein!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,04] Sage Ich: „Ganz sicher und wahr, und namentlich, was ihrgeredet habt; denn das hat euch nicht euer Fleisch und Blut, sondern der GeistGottes eingegeben. Aber redet davon dennoch nicht wieder zu jemandem etwasWeiteres; denn die Menschen sind blind, dumm und arg! – Nun aber setzen wiruns zu Tische!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,05] Der Tisch war gut bestellt; unsere acht Schiffsknechte hattenihre Zeit mit Fischen zugebracht und dem Ebahl eine Menge der schönsten undbesten Fische ins Haus gebracht, wofür er sie aber reichlichst mit Wein und Brotversehen hat. Diese Fische waren sehr wohl zubereitet, und wir alle verzehrtensie mit viel freudiger Eßlust. Die beiden Essäer, deren Gaumen eine bedeutendeBildung hatte, da diese Schüler des Aristoteles und Epikurs auf die Küche großeStücke hielten, konnten sich über den Wohlgeschmack dieses wahren Fischmahlesnicht genug rühmlich aussprechen. Auch der Hauptmann, samt seinen dreiUnterleitern, konnte den Wohlgeschmack der Fische nicht genug loben und aßnach Herzenslust ein paar recht große Stücke, so daß er sich am Ende schon zufürchten begann, ob ihm das nicht schaden werde.[<strong>GEJ</strong>.02_129,06] Ich aber sagte zu ihm: „Fürchte dich nicht, Mein lieber Julius;denn in Gegenwart des Arztes schadet dir nichts!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,07] Das machte den guten Julius wieder heiter; und dieser MeinSpruch ist dann zum Sprichwort geworden und hat sich bis auf diese Zeit, in dernun das geschrieben wird, unter den Ärzten erhalten.[<strong>GEJ</strong>.02_129,08] Als die Mahlzeit beendet war, fragte der Hauptmann, sagend:„Herr, heute ist ein wunderherrlicher Tag! Wie wäre es denn, so wir denNachmittag über uns ein wenig ins Freie begäben?“[<strong>GEJ</strong>.02_129,09] Sage Ich: „Das ist auch Mein Sinn; aber diesmal wollen wireinen nächsten Berg besteigen!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,10] Sagt der Hauptmann: „Ja, der uns zunächst liegende Berg, demman den Namen ,Morgenkopf‘, glaube in dieser Zunge ,Juitergli‘, gibt, ist aberauch zugleich einer der höchsten und von allen Seiten ungeheuer steil, ein purernahe ganz kahler Steinkoloß! So Du etwa diesen besteigen möchtest, da erreichenwir die Spitze vor der einbrechenden Nacht nicht; und vom Zurückkommenmöchte wohl nicht die entfernteste Rede sein! Auf der Höhe aber die Nachtzuzubringen, das dürfte wohl keinem von uns behagen! Denn es soll auf derHöhe zwischen den Felsklüften zu allen Zeiten Schnee und Eis anzutreffen sein;aber die Aussicht soll etwas unbeschreiblich Lohnendes sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,11] Sage Ich: „Freund, das alles soll uns nicht hindern, denMorgenkopf zu besteigen; wer den Steg weiß, der kommt viel eher hinauf, alsder ihn erst mühsam suchen muß. Machen wir uns daher nur auf den Weg; ehe— 286 —


zwei kleine Stunden vergehen, sind wir alle oben, das heißt, die da Lust haben,den Berg mit uns zu besteigen!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,12] Sagt der Hauptmann: „Herr, auf Dein Wort gehe ich ja gernebis ans Weltende, geschweige auf diesen Berg; und wenn Du den Führer machst,da ist auch an keine Gefahr zu denken! Ich freue mich nun recht darauf! Aberetwas Brot und Wein dürften wir wohl etwa mitnehmen; denn das weiß ichschon, daß man beim Besteigen eines so bedeutenden Berges ganz außergewöhnlichhungrig und durstig wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,13] Sage Ich: „O ja, das könnt ihr schon tun! Aber was werden wirmit Meiner allerliebsten Jarah anfangen? Für die wird der Berg denn doch etwazu beschwerlich zu besteigen sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,14] Sagt die Jarah: „Mit Dir, o Herr, kann mir nichts zu schwersein; ohne Dich aber vermag man ja ohnehin nichts, und ich schon am allerwenigsten!Wenn es nur Dir genehm ist, so gehe ich nicht nur auf diesen Berg,sondern buchstäblich ins Feuer mit Dir, wie ich mit Dir auch als die erste aufsWasser gegangen bin!“[<strong>GEJ</strong>.02_129,15] Sage Ich: „Du verstehst Mir immer aus deinem Herzen einerechte Antwort zu geben, die von Liebe und Wahrheit glüht; darum mache dichnur mit uns auf die Reise, es wird dir dabei nicht zu schwer geschehen!“ – Werwar eher reisefertig als unsere Jarah, und sagte auch: „Herr, wenn es Dir alsogenehm ist, so bin ich schon zur Abreise bereit!“130. — Eine wunderbare Bergbesteigung[<strong>GEJ</strong>.02_130,01] Das Mägdlein war gehüllt in ein blaues Faltenkleid; die Füßemit leichten Schnürschuhen beschuht und das Haupt mit einem aus Stroh rechtkunstvoll geflochtenen Hute bedeckt, ergriff sie Meine Hand und sagte, weil Ichihr auf die erste Rede die Antwort nicht gar zu geschwinde gegeben hatte: „AberHerr, Du mein Leben, ich bitte Dich, sage mir doch, ob ich Dir so genehm bin?“[<strong>GEJ</strong>.02_130,02] Sage Ich: „Das siehst du ja, Meine allerliebste Jarah! Du bistMir ja über alles angenehm! O wären Mir alle Menschen so angenehm wie du,dann wäre es schon gut und recht; aber es gibt in der Welt gar viele Tausendeund abermals so viele tausendmal Tausende, die Mir nicht so angenehm sindwie du! Aber das sind die puren Weltmenschen, und du bist ein Engel! Aber nunheißt es gehen; denn es ist bereits um des Tages dritten Teil!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,03] Auf dieses Wort erhebt sich bis auf die Dienerschaft desHauses alles und macht sich mit Mir auf den Weg. Es versteht sich von selbst,daß die kleine Jarah stets Mir zur Seite herging und der Hauptmann und Ebahlebenfalls.[<strong>GEJ</strong>.02_130,04] Als wir an die Wände kamen, zwischen deren Hohlritzen sichnur ganz enge und äußerst steile Gräben hinaufzogen, da sagte der Hauptmann:„Herr, mit natürlichen Kräften ist da kein Hinaufklettern möglich; denn die— 287 —


Gräben sind ungeheuer steil, naß und hie und da mit allerlei Dorngestrüppeverwachsen! Wenn da keine andern Wege hinaufführen, so kommen wir da mitunsern natürlichen Kräften in zehn Tagen nicht hinauf!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,05] Sage Ich: „Bist denn du schon so müde, und sieh, wir habenschon mehr als ein Drittel des Weges zurückgelegt!? Sieh dich einmal um, unddu wirst es wohl merken, wie hoch oben wir schon sind!“ – Hier sah sich derHauptmann um und erschrak, als er merkte, daß wir uns schon beinahe auf derhalben und steilsten Höhe des Berges zwischen lauter Steinwänden vonsenkrechten Abhängen befanden.[<strong>GEJ</strong>.02_130,06] Nach einigen etwas furchtsamen Verwunderungen sagt derHauptmann in einem etwas furchtfiebernden Tone: „Nein, das begreife, wer eswill und kann! Wie wir alle durch diese Schlucht bis hierher gekommen sind, istmir ein Rätsel! Wir sind wohl schon recht steil gestiegen, aber ich fühlte keinebesondere Beschwerde dabei! Nun aber sind über uns hinan lauter senkrechteWände! Frage: wie werden wir denn über diese hinaufkommen?“[<strong>GEJ</strong>.02_130,07] Sage Ich: „Merkst du denn nicht, daß wir nicht stehenbleiben,sondern in einem fort weiterschreiten?!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,08] Sagt der Hauptmann: „Ja, das merke ich wohl! Aber wenn icheinen Blick voraus hinauftue, so verschwindet rein jede Möglichkeit zumWeitergehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,09] Sage Ich: „Sieh, da muß man denn ein guter, erfahrener Führersein, und man findet den geraden Weg durch alle scheinbaren Hindernissedurch! Sieh, die Kluft vor uns ist schon die Türe zur höchsten Bergkuppe.“[<strong>GEJ</strong>.02_130,10] Sagt der Hauptmann: „Ja, wie aber ist das möglich? Wiekonnten denn wir über alle diese beinahe durchaus senkrecht steilen Wände sobald heraufkommen? Wir sind noch lange keine Stunde unterwegs und sind nunschon der höchsten Bergeskuppe so nahe, daß wir nur noch einiger Schrittebedürfen, und wir sind total oben!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,11] Sagt die ganz heitere Jarah: „Aber Julius, wie magst du dafragen, wo Gott der Herr unser Führer ist?! Er hätte uns alle durch die ganz freieLuft ebensogut heraufheben können als über diese Wände, über die noch nie einMensch seine Füße gleiten ließ! So wir wissen, daß wir es hier mit demAllmächtigen zu tun haben, so ist jede weitere Frage eitel. Wir können nur vorLiebe und vor der Höchstachtung vor Ihm zerfließen und Ihm für ewig aus dertiefsten Tiefe unseres Lebens danken, daß Er uns solch einer nie erhörten Gnadegewürdigt hat. Aber Ihn fragen, wie Seine Allmacht und Weisheit solchesvermag, und wie ihr so etwas möglich sei, finde ich eitel! Und möchte Er uns esauch kundtun, so fragt es sich, wieviel wir davon verstünden, und ob wir dannauch allmächtig würden?! O ja, wenn und insoweit Er es will, können wir ausuns Wunderbares zustande bringen; aber über Seinen heiligen und alleinallmächtigen Willen hinaus sicher ewig nie!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,12] Sage Ich: „O du kleine Weise du! Wer würde in dir so viel des— 288 —


hellsten Lichtes suchen!? Ich sage dir, daß deinesgleichen auf der Erde wohlwenige sind; aber nur eines muß Ich nun bei aller Meiner übergroßen Liebe zudir sagen, und das besteht darin, daß du in Zukunft mit deiner reinen Weisheitviel sparsamer umgehen und nur dann deinen Mund auftun mußt, wenn es imErnste notwendig ist; hier aber ist es nicht notwendig, da, wie du siehst, IchSelbst zugegen bin und es auch verstehe, jedermanns Frage ganz gehörig undgründlich zu beantworten![<strong>GEJ</strong>.02_130,13] „Sieh, wenn unser Freund Julius nicht so ein recht weiserMann wäre, so hättest du ihm nun in seinem Herzen wehe getan; aber er ist einweiser Mann, der es mit allen gut und redlich meint, und hat darum eine Freudean deiner kindlich weisen Belehrung. Aber in der Folge mußt du allzeit sobescheiden als nur immer möglich gegen jedermann auftreten, und du wirst erstdadurch Meine vollwahre Braut sein! – Hast du diese Meine Worte wohl rechtklar in deinem Herzen begriffen?“[<strong>GEJ</strong>.02_130,14] Sagt die Jarah, ein wenig betrübt: „O ja, Herr, aber ich fürchtenun, daß Du mich nicht mehr so liebhaben wirst wie früher, und das machttraurig mein Herz!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,15] Sage Ich: „Sorge du dich um etwas anderes! Ich habe dichjetzt noch um sehr vieles lieber denn vorher!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,16] Sagt die Jarah: „Aber der gute Hauptmann wird mir gramsein!?“[<strong>GEJ</strong>.02_130,17] Sagt der Hauptmann: „O nein, du meine wahrhaft himmlischeJarah! Ich bin dir nur sehr dankbar dafür, daß du mir aus deinem himmlischreinen Herzen auch eine himmlisch reine Wahrheit gesagt hast! O Jarah, wirwerden miteinander noch gar viel zu besprechen haben; denn ich merke es nurzu gut, daß dein reines Herzchen von himmlischer Weisheit voll ist, und wirbleiben darum schon die besten Freunde!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,18] Sage Ich: „Nun, Meine geliebteste Jarah, bist du nun zufriedenmit solcher Bescheidung?“[<strong>GEJ</strong>.02_130,19] Sagt die Jarah: „O ja, jetzt wohl; aber ich werde mich von nunan wohl sehr zusammennehmen müssen! Denn das Vorlautsein ist manchmalwohl so eine kleine schwache Seite von mir gewesen; aber in der Folge soll esnicht mehr sein, – denn Deine Worte sind mir über alles heilig!“[<strong>GEJ</strong>.02_130,20] Sage Ich: „Nun wohl denn, so tun wir noch die etlichenSchritte und betreten sonach des Berges höchste Kuppe!“131. — Auf der Bergkuppe des Morgenkopfes[<strong>GEJ</strong>.02_131,01] In wenig Schritten darauf befanden wir uns schon auf derhöchsten Kuppe, die aber sehr zerrissen, zerklüftet und zerbröckelt aussah undkaum für dreißig kopffeste (schwindelfreie) Menschen einen Standraum bot.[<strong>GEJ</strong>.02_131,02] Das gefiel unserm Hauptmann nicht, und er sagte: „Die— 289 —


Fernsicht ist wohl unbeschreibbar großartig herrlich; aber die schlechte, nachallen Seiten stark abhängige und auch sonst sehr unebene Bergplatte verleidetmir sehr den herrlichen Genuß!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,03] Sage Ich: „Freund, setze dich, so dich der Schwindel befällt,und ihr andern tut dasselbe! Ich aber werde stehenbleiben.“[<strong>GEJ</strong>.02_131,04] Sagt der Hauptmann: „Wäre gut sich niedersetzen, aberwohin? Wahrlich, die Aussicht ist herrlich; man übersieht ganz Galiläa und vonJudäa einen großen Teil, – auch in das Land der Samariter sieht man; aber dieunwirtsame Höhe und die Furcht vor einem möglichen Hinabstürzen verleidetmir ganz abscheulich den Hochgenuß! Ich weiß es, daß mir nichts geschehenkann, und dennoch fürchte ich mich! Warum denn das?“[<strong>GEJ</strong>.02_131,05] Sage Ich: „Weil du das gegenwärtig Unmögliche eines Hinabstürzensnicht begreifst, darin liegt der Grund deiner Furcht. Da sieh Meine liebeJarah an, die springt nun so munter wie eine Gemse herum, während ihreGeschwister und selbst Mein Ebahl vor Furcht bleich dastehen, und doch hat sienoch kein Abgrund verschlungen, weil sie voll des festesten Glaubens ist, daßihr in Meiner Gegenwart nichts geschehen kann. Habt ihr alle den gleichenfesten Glauben, und ihr werdet gleich ihr munter sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,06] Sagt der Hauptmann, unter dessen rechtem Fuße ein Stein, aufden er eben den rechten Fuß stützte, etwas locker ward: „Da möchte der Adlerwohl einen festen Glauben bekommen, den seine Flügel vor dem Sturze sichern;aber ein Mensch wie ich, unter dessen Füßen alle Augenblicke ein Felsstück umdas andere locker wird, kann beim besten Willen zu keiner JarahischenGlaubensfestigkeit gelangen! Ich dürfte auf diesem, kaum zwei Mannslängenbreiten und höchstens bei fünfzig Mannslängen langen Hochriffe des Berges nureinen Jarahischen Gemsensprung versuchen, so läge ich auch bald irgendwoklein zerschmettert unten! Oh, wenn ich mich nur schon wieder unten befände!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,07] Hier springt die Jarah auf den Hauptmann zu und sagt: „Aberich bitte dich, lieber Julius, sei doch nicht gar so furchtsam! Es kann dir jaunmöglich etwas geschehen! Der Herr hat uns über die steilsten Wände heraufgeführt,wir schwebten eigentlich nur neben den Wänden in der Luft herauf;denn es hat solch einen Weg noch nie ein Mensch gemacht, und wem von uns istetwas geschehen bei der nie erhörten Besteigung dieses nach allen Seiten hinnackten und senkrecht steilen Felsriesen? Sind wir aber über die gefährlichstenStellen so gut heraufgekommen, wie sollen wir uns denn hier nun auf einmal zufürchten anfangen, als ob es im Ernste möglich wäre, irgendwo hinabstürzen zukönnen? Geh, du mein lieber Julius, und sei mir zuliebe ein wenig heiterer! Sieh,ich kann kein so furchtsames und trauriges Gesicht sehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,08] Hier will die Kleine den Hauptmann bei der Hand nehmen undihn ein wenig herumführen; aber der Hauptmann schreit laut auf: „Zurück! Nurimmer drei Schritte vom Leibe, du kleine Hexe! Es hätte vorhin nicht vielgefehlt, daß du mit deinem mutwilligen Sprunge mich über die Wände hinabgestoßenhättest! O ich kenne dich, du bist sonst wohl ein selten gutes, liebes und— 290 —


sogar weises Mädchen; aber manchmal kommt dir so ein faunischer Mutwille inden Sinn, und da sage ich: Nur drei Schritte vom Leibe! Ich habe dich sonst sehrlieb; aber hier auf dieser Höhe von wenigstens zweitausend Mannshöhen mußtdu mir stets drei Schritte vom Leibe bleiben! Du hast alles richtig und weisegesprochen; aber ich kann für meinen Schwindel auf solchen Höhen nicht. Ichweiß und glaube, daß uns allen nichts geschehen wird; aber alles dessenungeachtetkann ich mich dennoch des lästigen Schwindels nicht erwehren, und dumußt darum mit mir keinen Scherz treiben!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,09] Sagt die Jarah: „Ah, was fällt dir ein? Wie kannst du aber nurzu der leisesten Vermutung kommen, als könnte ich mit dir einen Scherztreiben!? Sieh, ich bin meiner Sache zu gewiß, daß weder mir noch dir hieretwas geschehen kann, und sprang bloß darum so mutig zu dir Furchtsamstemher, um dich möglichst aufzurichten! Wie kannst du mir darum völlig gramwerden und mich eine Hexe schelten? Sieh, liebster Julius, das war auch nichtfein von dir!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,10] Hier kommen der Kleinen Tränen in die Augen. – Als derHauptmann solches bemerkt, da gereut es ihn, daß er die Jarah so hart angefahrenhat, und sagt: „Nun, nun, sei nur wieder gut! Unten werden wir beide schonwieder miteinander lustwandeln über schöne Rasenplätze; aber hier ist dazu derPlatz ein wenig zu enge, und ich kann, wie gesagt, für meinen lästigen Schwindelnicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,11] Sagt die Jarah: „Der Schwindel ist auch eine Krankheit! DerHeiland aller Heilande ist hier; Ihm, dem es möglich war, so viele Hunderte vonihren Übeln zu heilen, wird es wohl auch möglich sein, dich von deinemSchwindel frei zu machen! Bitte Ihn darum, und Er wird dich heilen!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,12] Sagt der Hauptmann: „Schaue du, meine liebe Jahra, das ist dirnun besser gelungen denn alles Frühere! Das war ein besserer Sprung als deinfrüherer, wo du mich fast über die Wände hinabgestoßen hättest! Und sieh,diesen deinen Rat werde ich auch sogleich befolgen!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,13] Hier wandte sich der Hauptmann bittend an Mich und sagte:„Herr, befreie mich von meiner Furcht und meinem Kopfschwindel!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,14] Sage Ich zu Ebahl: „Gib einen Becher Wein her!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,15] Ebahl reichte Mir sogleich einen kleinen Schlauch voll undeinen Becher.[<strong>GEJ</strong>.02_131,16] Ich füllte den Becher und gab ihn dem Hauptmann mit denWorten: „Da, nimm und trinke, und es wird besser mit deinem Schwindel!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,17] Der Hauptmann nahm sogleich den Becher und trank daraus.Als er den Becher geleert hatte, verließ ihn sogleich alle Furcht und allerSchwindel, so daß er nun ganz heiter ward und sich von der Jarah auf alle Seitendes Berges herumführen ließ und ganz behaglich über die steilsten Wändehinabschauen konnte.— 291 —


[<strong>GEJ</strong>.02_131,18] Als all die andern solches am Hauptmann merkten, baten sieMich auch um die Befreiung von ihrer lästigen Furcht. Und Ich ließ allen Weinreichen, und auf einmal ward die Höhe also belebt, als wäre sie ein Volksgarten.[<strong>GEJ</strong>.02_131,19] Ein Teil betrachtete die weitgedehnten Ländereien, ein zweiterTeil sang sogar Psalmen, ein dritter sah über die Wände hinab und suchte eineStelle, von der ein Rückweg möglich wäre. Da man aber keine solche Stelleentdecken konnte und die Sonne sich schon sehr dem Untergange zu nahenbegann, so kamen besonders die Jünger und sagten: „Herr, noch eine halbeStunde, und die Sonne ist unter; was dann auf dieser Höhe?“[<strong>GEJ</strong>.02_131,20] Sage Ich: „Darum habt ihr euch nicht zu kümmern! Wer daglaubt, der soll heute nacht auf dieser Höhe Gottes Herrlichkeit leuchten sehen.Wir bleiben hier!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,21] Als die Jünger solches vernahmen, wurden sie still undsuchten sich sichere Ruheplätze aus.[<strong>GEJ</strong>.02_131,22] Aber der Hauptmann kam auch und fragte Mich, ob wir etwabald den Rückweg anträten, da die Sonne sich dem Untergange nahe.[<strong>GEJ</strong>.02_131,23] Ich aber sagte zu ihm ebenfalls, was Ich zu den Jüngern gesagthatte, und er ward damit auch zufrieden und setzte sich auf einen festen undziemlich ebenen Fels nieder.[<strong>GEJ</strong>.02_131,24] Nur die Jarah sagte, als die Sonne eben anfing den Horizont zuberühren: „Herr, Du meine Liebe, wir werden ja etwa doch noch nicht heimkehrenvon dieser gar so anmutigen Höhe? Ich möchte da gar so gerne den Aufgangder Sonne sehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,25] Sage Ich: „Wir bleiben hier die Nacht hindurch und werdenuns erst des Morgens am Sabbat heimbegeben; die Nacht hindurch aber wirst duwie alle andern die Herrlichkeit Gottes leuchten sehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_131,26] Darüber ward die Kleine so voll Entzücken, daß sie zu MeinenFüßen niedersank und in eine Art Ohnmacht verfiel, die sie jedoch bald verließ.132. — Vom Wesen der Furcht[<strong>GEJ</strong>.02_132,01] Es fing aber, als die Sonne untergegangen war, von der Mitternachtgegendein sehr kühler und heftiger Wind zu wehen an, so daß alle sichvon neuem zu fürchten begannen, und der Hauptmann sagte: „Nun, wenn dieserWind an der Stärke gleichweg also zunimmt, dann wird er uns am Ende dochnoch in die Abgründe hinabstoßen; auch ist seine bedeutende Kühle eben nichtangenehm.“[<strong>GEJ</strong>.02_132,02] Sage Ich: „Laß den Wind wehen, denn nun ist seine Zeit!Denke aber dabei, daß er nicht Dessen Meister ist, der ihn geschaffen hat durchSeinen Willen und ihn nun hält und wehen läßt, wann Er will!“[<strong>GEJ</strong>.02_132,03] Der Hauptmann war mit dieser Erklärung zufrieden, legte sich— 292 —


aber dennoch so fest als möglich auf den Boden, und die andern folgten seinemBeispiele.[<strong>GEJ</strong>.02_132,04] Nur die Jarah blieb standhaft an Meiner Seite stehen undsagte: „Aber Herr, woher kommt es denn, daß sich diese Menschen so fürchten,da sie doch schon sicher durch gar viele Zeichen werden belehrt worden sein,daß Du ein Herr auch aller Elemente bist!? Besonders wundert mich das vonDeinen eigenen Jüngern! Ah, so Du nicht da wärest, dann wäre es etwasanderes; aber da Du nun hier bist, wundert mich das sehr! – Herr, so Du willst,da sage mir den Grund von dieser Erscheinung!“[<strong>GEJ</strong>.02_132,05] Sage Ich: „Sieh, das macht die noch nicht ganz hinausgeschafftealte Welt in ihren Eingeweiden! Wäre diese wie bei dir schon ganz ausihnen verbannt, so hätten sie gleich dir keine Furcht und könnten auch keinehaben, da der Geist stark genug ist, sich alle Natur untertänig zu machen.[<strong>GEJ</strong>.02_132,06] Sieh, wir stehen nun auf eines Berges Spitze, die noch nie voneinem Menschen betreten ward! Denn wie du siehst, so sind die Felswände nachallen Seiten so steil, daß über dieselben auf eine natürliche Weise weder heraufundebensowenig hinabzukommen ist; du hast es gesehen, wie, nachdem wir mitder natürlichen Kraft den halben Berg erstiegen hatten, sich jede Möglichkeitverlor, weiter über die senkrecht steilen Wände hinaufzuklimmen. Der Hauptmannund alle andern fragten: ,Was nun?‘ – Ich aber stieg mit dir über dieWände voran, und alle folgten uns, ohne im geringsten müde zu werden. – Wiewar denn solches möglich?[<strong>GEJ</strong>.02_132,07] Sieh, das machte der Geist im Menschen möglich! Ich habeauf diese Zeit die Geister im Menschen erweckt, und diese trugen ihre Fleischhüllehierher auf diese Höhe. Da aber ihre Geister solcher Tätigkeit nochungewohnt sind, so begaben sie sich, wie Ich sie nur ein wenig ausließ, wiederin ihren Leib zur Ruhe, und des Leibes Seele ward mit Furcht erfüllt. Wäre aberihr Geist in ihren Herzen vollwach geblieben, so hätten sie keine Furcht; dennder Geist selbst hätte die Seele mit der leuchtendsten Zuversicht erfüllt undihnen die lebendigste Überzeugung ins Herz gelegt, daß ihm alle Natur untertansein muß! Da aber solches der alten Welt wegen, von der ihre Seelen noch einenTeil in sich bergen, nicht für die Dauer stattfinden konnte, so befällt ihre Seelenauch noch immer etwas von der Weltfurcht, die du hier bei ihnen erfährst.[<strong>GEJ</strong>.02_132,08] Die Seele des Menschen lebt sich entweder durch eine falscheRichtung in ihr Fleisch hinein oder durch eine rechte Richtung in ihren Geist,der allzeit eins ist mit Gott, wie das Licht der Sonne eins ist mit ihr. Lebt sichnun eine Seele in ihr Fleisch hinein, das in sich tot ist und nur für einebestimmte Zeit, wenn dem Leibe kein Schaden zugefügt wird, aus der Seele einLeben empfängt, so wird die Seele in allem eins mit ihrem Fleische.[<strong>GEJ</strong>.02_132,09] Wenn die Seele sich aber stets mehr und mehr in ihr Fleischhineinlebt, so daß sie am Ende selbst völlig zu Fleisch wird, dann befällt sieauch das Gefühl der Vernichtung, was eine Eigenschaft des Fleisches ist; unddieses Gefühl ist dann die Furcht, die den Menschen zu allen Dingen am Ende— 293 —


völlig unfähig und kraftlos macht![<strong>GEJ</strong>.02_132,10] Ganz anders aber verhält es sich mit einem Menschen, dessenSeele durch eine rechte Richtung sich schon von frühester Jugend an in ihrenGeist hineingelebt hat! Da sieht die Seele ewig keine mögliche Vernichtung vorsich! Ihr Gefühl ist gleich der Beschaffenheit ihres ewig unvernichtbarenGeistes; sie kann keinen Tod mehr sehen und fühlen, da sie eins ist mit ihremewig lebenden Geiste, der ein Herr ist über alle die sichtbare Naturwelt. Und dieleicht begreifliche Folge für den noch im Fleische lebenden Menschen ist, daßihm jede Furcht ferne ist; denn wo es keinen Tod gibt, da gibt es keine Furcht![<strong>GEJ</strong>.02_132,11] Darum sollen die Menschen auch stets so wenig als möglichum Dinge der Welt sich sorgen, sondern allein darum, daß ihre Seele eins werdemit dem Geiste und nicht mit dem Fleische! Denn was nützt es dem Menschen,so er für sein Fleisch auch die ganze Welt gewönne, aber dafür den größtenSchaden erlitte an seiner Seele? Denn auch diese ganze Welt, die wir nun ineinem ziemlich weiten Umkreise schauen mit allen ihren den Wasserblasengleich flüchtigen Herrlichkeiten, wird vergehen, und dieser ganze Himmel mitseinen Sternen auch zu seiner Zeit; aber der Geist wird bleiben ewig, so wiejegliches Meiner Worte.[<strong>GEJ</strong>.02_132,12] Aber es ist den Menschen, die sich einmal so recht fest in dieWelt hineingelebt haben, unaussprechlich schwer zu helfen; denn sie sehen undsetzen ihr Leben in die eitlen Dinge der Welt, leben in einer beständigen Furchtund sind auf dem geistigen Wege am Ende gänzlich unzugänglich! Nähert mansich ihnen aber auf dem Natur- oder Weltwege, so nützt man ihnen dadurchnicht nur nichts, sondern man fördert nur ihr Gericht und dadurch den Tod ihrerSeele![<strong>GEJ</strong>.02_132,13] Wer aus den Weltmenschen dann seine Seele retten will, dermuß sich eine große Gewalt antun und muß sich in allen Weltdingen auf dasmöglichste zu verleugnen anfangen. Tut er solches mit großem Fleiß und Eifer,so wird er sich retten und zum Leben eingehen; tut er es aber nicht, so kann ihmauch auf keinem andern Wege geholfen werden, außer durch große Leiden vonseiten der Welt her, auf daß er lerne verachten die Welt und ihre Herrlichkeiten,sich zu Gott kehre und so anfange, Seinen Geist in sich zu suchen und sich mehrund mehr zu einen mit Ihm. Ich sage es dir: Der Welt Glückseligkeit ist derSeele Tod! – Sage Mir, du Meine allerliebste Jarah, nun, ob du dieses alles wohlverstanden hast!“133. — Christus, der Mittler zwischen Himmel und Erde[<strong>GEJ</strong>.02_133,01] Sagt die Jarah: „O Herr, Du meine Liebe, Du mein Leben!Durch Deine Gnade in mir habe ich dieses alles wohl verstanden; aber traurig istes, daß die Menschen das nicht einsehen und begreifen können oder wollen! Oh,da wird es dereinst leider viele tote Seelen geben! O Herr, mache Du, daß dochdie Menschen solch heilige Wahrheit vernehmen möchten und sich dann danach— 294 —


kehren; denn mir wird es sonst bald sehr langweilig werden, unter so vielenToten zu leben in dieser Welt!“[<strong>GEJ</strong>.02_133,02] Sage Ich: „Sei getrost; denn darum bin Ich ja Selbst in dieseWelt gekommen! Bisher hat es an wohlgebahnten Wegen gemangelt, und dieHimmel waren getrennt von der Erde; nun aber wird ein gerechter und festerWeg gebahnt werden, und die Himmel werden mit der Erde verbunden werden,daß es darum für jeden ein leichtes werden soll, auf dem gebahnten Wege zuwandeln und auf diesem die nahen Himmel zu erreichen. Doch soll kein Menschin der Freiheit seines Willens nur im geringsten beirrt werden![<strong>GEJ</strong>.02_133,03] Von nun an wird jeder, der es nur fest wollen wird, dieHimmel erreichen können, was bis jetzt nicht möglich war, da zwischen derErde und den Himmeln eine zu große Kluft gelegt war.[<strong>GEJ</strong>.02_133,04] Aber wehe auch nun allen, die davon gute Kunde erhalten undsich aber dennoch nicht daran kehren werden! Diese werden von nun an schlimmerdaran sein denn die Alten, die oft wollten, aber nicht konnten! – Verstehstdu das?“[<strong>GEJ</strong>.02_133,05] Sagt die Jarah: „Herr, ich habe alles verstanden! Die Möglichkeitist gut, aber der freie Wille der Menschen! Die Welt sehen und schmeckensie, aber die Himmel sehen und schmecken sie dennoch nicht; und da wird essein, daß viele den gebahnten Weg nicht werden gehen wollen, und es wird dannschlimmer sein mit ihnen denn bisher! Ich sage es Dir, o Herr, der gebahnteWeg zum Himmel wird von wenigen betreten werden; denn das Schwerste fürden Menschen ist die Selbstverleugnung!“[<strong>GEJ</strong>.02_133,06] Sage Ich: „Sorge dich nicht, die Anstalten zur Besserungwerden von großer Ausdehnung von hier bis nach jenseits ausgebreitet werden!– Unsere Gesellschaft aber ist während unseres Gesprächs samt unserem Hauptmanneingeschlafen; was werden wir nun tun?“[<strong>GEJ</strong>.02_133,07] „Herr“, sagt die Jarah, „das wirst Du schon am allerbestenwissen!“[<strong>GEJ</strong>.02_133,08] Sage Ich: „Jawohl, du hast recht! Ich ließ sie darum aucheinschlafen, und sie sollen das im Traume schauen, was du in der Wirklichkeitsehen wirst. Sieh, bald wirst du die Himmel offen sehen, und alle Engel werdenuns dienen! Morgen soll dieser Berg gen Osten hin eine leicht besteigbareAbdachung bekommen, und wir alle werden auf einem neuen natürlichen Wegevon hier hinab nach Genezareth ziehen können. Darum gib nun wohl acht aufdie Szene, die sich vor deinen Augen entfalten wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_133,09] Nach diesen Meinen Worten erhob die Jarah ihre Augen nachaufwärts und sah eine Weile in den hell gestirnten Himmel hinein. Als sich nachlängerem Schauen noch nichts zeigen wollte, so sagte sie zu Mir mit einereigens lieblichen Stimme: „Herr, Du mein Leben, Du meine Liebe, es will sichnoch immer nichts sehen lassen! Wie wird es denn aussehen, auf daß ich beiirgendeiner hie oder da vorkommenden Erscheinung wissen könne, ob sie zu der— 295 —


von Dir vorhergesagten gehört oder nicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_133,10] Sage Ich: „Meine liebste Jarah, du mußt viel mehr mit deinemHerzen hinaufblicken als mit den Augen deines Kopfes, so werden sich dir baldWunderdinge zu zeigen anfangen im herrlichsten Lichte! Versuche es nureinmal, und du wirst dich gleich überzeugen, daß Ich allzeit recht habe und dievollste Wahrheit rede!“[<strong>GEJ</strong>.02_133,11] Auf diese Meine belehrenden Worte erhebt nun die Jarah mehrihr Gemüt denn ihre Augen aufwärts, und sieh, sogleich öffnen sich alleHimmel, und zahllose Scharen der Engel Gottes schweben im herrlichstenGlanze zur Erde hernieder und singen: „Tauet ihr Himmel alle Gnade denGerechten auf dieser Erde! Denn heilig ist Der, der sie betrat zum Heile derer,die gefallen sind, bevor noch eine Sonne glühte im Gnadenlichte Gottes in dertiefen Unendlichkeit![<strong>GEJ</strong>.02_133,12] Menschenkinder, die Satan gezeugt hat, nimmt Er auf undmacht sie zu Kindern Seiner Liebe![<strong>GEJ</strong>.02_133,13] Darum alle Ehre, allen Ruhm und allen Preis Ihm allein; dennalles, was Er tut, ist wohlgetan, und Seine Ordnung ist Liebe, mit der höchstenWeisheit gepaart. Darum ist Er allein heilig, überheilig, und vor Seinem Namenmüssen sich beugen alle Knie im Himmel, auf Erden und unter der Erde.Amen.“134. — Die Hebung des Galiläischen Meeres[<strong>GEJ</strong>.02_134,01] Als die Jarah solchen Gesang vernimmt, sagt sie ganzentzückt: „Herr, hier ist wahrlich schwer zu unterscheiden, was hier schöner undherrlicher ist, ob der Gesang, die Worte, oder ob das herrlichste tausendfarbigeLicht oder die wunderschönsten Gestalten dieser zahllosen ätherischen Sänger!Ah, jetzt habe ich erst einen Begriff, was so ganz eigentlich die Himmel Gottessind! Oh, jetzt möchte ich gleich sterben, und dann zu diesen schönsten Sängernübergehen! Aber sage mir doch, so es Dir, o Herr, gefällig ist, wer und was denndiese herrlichen Sänger in sich etwa doch sind! Sind sie wirklich das, was sie zusein scheinen, oder sind das bloß nur von Dir für diesen Augenblick neugeschaffeneWesen?“[<strong>GEJ</strong>.02_134,02] Sage Ich: „Das sind Engel und wurden endlos lange ehergeschaffen, als irgendeine Spur von einer materiellen Schöpfung vorhanden war.Berufe nur einen, und du wirst dich überzeugen, daß er wie alle seinesgleichenhöchst vollkommene wahre Wesen sind! Und Ich muß dir hinzu noch dieBemerkung machen, daß, so leicht und ätherisch sie auch aussehen, dennochjedem von ihnen eine so große Stärke, Kraft und Macht innewohnt, daß ausihnen der Kleinste und Schwächste in einem Augenblick die ganze Erde alsozerstören könnte, daß von ihr aber auch nicht das kleinste Stäubchen übrigbliebe!Da du nun das weißt, so berufe einen von ihnen und stelle mit ihm einigeProben an!“— 296 —


[<strong>GEJ</strong>.02_134,03] Sagt die Jarah: „Herr, das getraue ich mir wohl nicht; denn sounbegreiflich schön sie auch sind, so habe ich doch vor ihnen so eine kleineFurcht.“[<strong>GEJ</strong>.02_134,04] Sage Ich: „Aber Kindchen, habe Ich dir nicht ehedem erklärt,was eine Furcht ist? Sieh, darum darfst du dich nun nicht fürchten, sonst müßteIch meinen, daß in deinem Herzen auch noch etwas Weltliches haust. Bist ja beidem Herrn, vor dessen Namen alle diese Wesen ihr Knie beugen; woher solldann deine Furcht kommen?“[<strong>GEJ</strong>.02_134,05] Sagt die Jarah: „Das ist freilich nur zu wahr; aber derungewohnte Anblick solch einer nie geahnten Szene muß ein armes, schwachesMädchenherz ja vom Grunde aus erschüttern! Aber nun werde ich mich schonzusammennehmen, und Du wirst es sehen, daß Deine Jarah auch ohne Furchtsein kann.“[<strong>GEJ</strong>.02_134,06] Auf diese Worte winkte sie gleich einem nächsten Engel, unddieser kam im Augenblick schwebend zu ihr und fragte sie mit der sanftestenund zärtlichsten Stimme: „Jarah, du herrliche Tochter meines Gottes, meinesHerrn von Ewigkeit, was wünscht dein liebstes, reines Herz von mir?“[<strong>GEJ</strong>.02_134,07] Sagt die Jarah, ein wenig verblüfft von dem Glanze und derMajestät des Himmelsboten: „Ja, ja, ja richtig, der Herr, den du hier siehst, sagtmir, daß jeder von euch gar so wundermächtig sei, und ich möchte mich davondurch eine Probe überzeugen; aber was sollte ich dir für eine Probe angeben, daich nichts weiß, als was ich erst jetzt in den wenigen Tagen vom Herrn Jesusgehört habe?!“[<strong>GEJ</strong>.02_134,08] Sagt der Engel: „Höre, du schöne Blume der Himmel, dawerde ich dir im Namen des Herrn gleich aus der Verlegenheit helfen! Siehe daunten das sehr gedehnte und tiefe Meer Galiläas! Wie wäre es denn, so ich esheraushöbe aus seinem weiten und tiefen Becken und hinge es dann in derGestalt eines großen Wasserballes vor deinen Gliedern und Augen frei in dieLuft, etwa auf eine ganze Stunde lang?“[<strong>GEJ</strong>.02_134,09] Sagt die Jarah: „Das wäre zwar ungeheuer wunderbar; aber wokämen unter der Zeit die lieben Fische hin, und endlich die vielen Schiffe, dieteils an den Ufern ruhen und vielfach auch auf dem Meere herumschwimmen?“[<strong>GEJ</strong>.02_134,10] Sagt der Engel: „Das wird meine Sorge sein, daß darobkeinem Fische noch irgendeinem Schiffe ein Schaden zugefügt werde! So du dievorgeschlagene Probe wünschest, wird im Augenblick das beantragte Werk vordir schweben!“[<strong>GEJ</strong>.02_134,11] Sagt die Jarah: „Ja, so dabei keinem Wesen ein Schaden zuteilwerden kann, da magst du das wohl ausführen!“[<strong>GEJ</strong>.02_134,12] Spricht der Engel: „Sieh dich um! Der See ist leer, und all seinWasser bis auf den letzten Tropfen schwebt nun frei in der Luft, deinen Augenwohl beschaulich!“— 297 —


[<strong>GEJ</strong>.02_134,13] Die Jarah wollte hinab in die Tiefe sehen, kam aber mit derStirne gleich an die kalte, nasse Wand des frei und ganz knapp neben derFelswand schwebenden Wasserballs, dessen Gesamtdurchmesser nahezuviertausend Klafter betrug. Als sie solches ersah, da fragte sie ganz kleinlaut:„Aber wie, um des Herrn willen, war dir denn so etwas in einem kaum denkbarkürzesten Augenblick möglich? Und ist der See nun wohl wirklich ganz vomWasser frei?“[<strong>GEJ</strong>.02_134,14] Sagt der Engel: „Jarah, komme mit mir und überzeuge dich!“[<strong>GEJ</strong>.02_134,15] Sagt die Jarah: „Wie wird das möglich sein?“[<strong>GEJ</strong>.02_134,16] Sagt der Engel: „So es mir möglich war, die schwere MasseWasser in einem Augenblick heraufzuheben, so wird es mir ja wohl auchmöglich sein, dich in der schnellsten Schnelle hinab bis auf den tiefsten Grunddes Meeres zu bringen, und dann ebenso schnell wieder zurück! Aber es mußdein Wille sein, sonst kann ich nichts tun; denn ein Fünklein der Freiheit desmenschlichen Willens respektieren wir alle mehr denn alle unsere, von Gott unsverliehene Kraft und Macht! Darum mußt du zuvor wollen, und ich werdedanach handeln!“[<strong>GEJ</strong>.02_134,17] Sagt die Jarah: „Nun gut denn also, überzeuge mich!“[<strong>GEJ</strong>.02_134,18] In diesem Augenblick befand sie sich auf dem staubtrockenentiefsten Grunde des Meeres, und der Engel hob vom Boden eine schönstePerlmuschel auf und gab sie der Jarah zum Gedächtnis und zur Belehrung an dieandern, die dem Leibe nach zwar fest schliefen, aber das alles im Traume zuschauen bekamen.[<strong>GEJ</strong>.02_134,19] Als die Jarah die Muschel noch kaum in dem geräumigen Sackihrer Schürze untergebracht hatte, fragt sie der Engel: „Glaubst du es nun, daßsich nun alles Wasser dieses Meeres im über uns schwebenden großen Ballebefindet, und daß sein weites Bett ganz trocken ist?“[<strong>GEJ</strong>.02_134,20] Sagt die Jarah: „Ja, ja, ich hätte es dir auch sonst geglaubt!Aber nun bringe mich nur schnell wieder zum Herrn hinauf; denn ohne Ihnsterbe ich im nächsten Augenblick!“[<strong>GEJ</strong>.02_134,21] Kaum war das letzte Wort ausgesprochen, und die liebe Jarahstand schon wieder an Meiner Seite auf der Höhe des Berges; und Ich fragte sie,wie ihr das gefalle, und wie sie das so nach ihrer Beurteilung finde.[<strong>GEJ</strong>.02_134,22] Sagt die Jarah: „Herr, daß Dir alle Dinge möglich sind, weißich nur zu gut; wie aber in Deinem Willen und durch Deinen Willen auch imWillen des Engels solch eine Macht zu Hause sein kann, das wird dem Engelselbst fremd sein, geschweige, daß ich Dir davon irgendeinen Grund angebenkönnte! Es ist im höchsten Grade wundervoll; aber begreifen kann ich's nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_134,23] Sage Ich: „Du hast da ganz gut und richtig geantwortet; aber indeinem eigenen Herzen wirst du mit der Zeit schon auch finden, wie Gott solcheDinge möglich sind. – Aber wie gefällt dir denn der Engel?“— 298 —


135. — Eine Liebesprobe der Jarah[<strong>GEJ</strong>.02_135,01] Sagt die Jarah: „Er ist wohl ein unbeschreiblich schönerMensch, da er gerade also aussieht wie ein Mensch; aber neben Dir, o Herr, sindalle Engel und Himmel mit all ihrem Lichte und ihrer gestaltlichen Schönheitsoviel als nichts! Denn all ihre Schönheit bist ja Du nur allein und Selbst! Ichkönnte dennoch keinen lieben!“[<strong>GEJ</strong>.02_135,02] Sage Ich: „Aber bin denn Ich, wie du Mich hier siehst, wohlschöner noch als dieser Engel? Sieh, Meine rauhen, ausgearbeiteten Hände,Meine von der Sonnenhitze ziemlich stark gebräunte Haut und Mein Alter sinddoch wahrlich nicht anziehend, wogegen dieser Engel mit allem ausgerüstet ist,was nur die Himmel schön nennen mögen und können!“[<strong>GEJ</strong>.02_135,03] Sagt die Jarah: „Herr, das Äußere ist für mich nichts, wenn dasInnere nicht völlig Deinem Herzen gleicht; denn Du allein bist der Herr!“[<strong>GEJ</strong>.02_135,04] Sage Ich: „Aber aus den Engeln strahlt überall unverhülltMeine Liebe und Meine Weisheit, die Mir in allem völlig gleicht; so du Michaber nur Meiner Liebe wegen liebst und Ich dennoch der Herr bin, so sehe Ichnicht ein, warum du diesen überschönen Engel nicht also lieben kannst wieMich, da er doch sicher pur von Meiner Liebe und Weisheit zusammengesetztist!?“[<strong>GEJ</strong>.02_135,05] Sagt die Jarah: „Herr, Du meine Liebe, Du mein Leben; ausdiesen zwei Lebenselementen sind ja auch alle Menschen zusammengesetzt, undich kann sie dennoch nicht also über alles lieben wie Dich! Ja, ich liebe gewißalle Menschen und die Dürftigen am allermeisten und biete nach meinen geringenKräften allzeit alles auf, um den Armen Hilfe zu verschaffen; aber so liebenwie Dich kann ich sie dennoch nicht, und so liebe ich auch diesen lieben Engel;aber mein Herz und mein Leben gehört dennoch nur Dir! Nur wenn Du, o Herr,meine gewiß reine Liebe zu Dir hart von Dir wiesest, dann würde ich wohl sehrtraurig werden, aber ich würde mir denken: Er, der Reinste, der Heiligste, hatdeine etwa noch viel zu unreine Liebe Seiner nicht für würdig halten könnenund hat sie darum von Sich gewiesen!“[<strong>GEJ</strong>.02_135,06] Nach diesen Worten fängt die Kleine an zu weinen und sagt,leise schluchzend: „Und es wird auch also sein! Ich habe mich mit meiner Liebezu weit gewagt und bedachte in meiner Einfalt nicht, wer Derjenige ist, denmein Herz so heftig ergriffen hat; darum weist Deine zu heilige Liebe meinenoch viel zu unheilige Liebe ganz sanft von sich und gibt mir einen Engel, dermein Herz zuvor reinigen und die Liebe heiliger ziehen soll. Mich schmerzt eswohl mächtig; aber ich weiß es ja, daß Du allein der Herr bist, und so will ich jaalles erdulden, was Du über mich verhängen magst.“[<strong>GEJ</strong>.02_135,07] Sage Ich: „O du Meine Liebe, was machst du deiner Liebe fürleere Vorwürfe! Wer Mich nicht also liebhat wie du und irgend etwas in derWelt mehr liebt als Mich, der wohl ist Meiner Liebe nicht wert; aber du, derenHerz alle Engel des Himmels Mir nimmer abwendig zu machen vermögen,— 299 —


liebst Mich, deinen Gott und Herrn, ja ebenalso wie die Engel der Himmel undbist darum schon lange selbst ein allerschönster Engel, in den Ich Selbst überalle Maßen verliebt bin! Komm her an Mein Herz und hole dir daraus den vollstenErsatz für diese kleine Prüfung!“[<strong>GEJ</strong>.02_135,08] Auf diese Worte ist die Kleine wieder ganz geheilt undschmiegt sich so fest als möglich an Mich.[<strong>GEJ</strong>.02_135,09] Da spricht der Engel: „O Seligkeit aller Seligkeiten! Was sindalle Himmel gegen den Anblick solch einer Liebe?! Wir vollkommenen Geisterhaben zwar der Seligkeiten schon so endlos viele genossen, daß deren Zahlkeine Zunge mehr auszusprechen vermöchte; aber all die genossenen zahllosenWonnen der Wonnen sind dennoch kein Tau gegen diese, wo Du, o heiligsterVater, Dein Kindlein auf Deine Arme nimmst und es mit sichtlicher höchsterLiebe an Dein heiligstes Herz drückst! Oh, welch eine unnennbare Wonne mußnun dies Dein Kindlein empfinden!?“[<strong>GEJ</strong>.02_135,10] Sage Ich: „Ja, die Wonne ist übergroß für das Kindlein, aberauch für Mich; doch ihr werdet sie auch genießen, wenn es wird vollendet seinund ihr alle am Tische Meiner Kinder werdet gespeiset haben! Nun aber laß dasWasser wieder in sein Becken! Danach wird dir dies Mein Kindlein eine andereArbeit ansagen.“[<strong>GEJ</strong>.02_135,11] Mich mit dem Munde an das wonnetrunkene Köpfchen derJarah wendend: „Gelt, Meine Jarah, du wirst Mir wohl helfen, Meinen Engelnnoch so manche Arbeiten zu schaffen?!“[<strong>GEJ</strong>.02_135,12] Sagt die Kleine mit einer überaus liebewilligen und kindlichunschuldigen, zarten Stimme: „O ja, Dir zuliebe tue ich ja alles über alle Maßengerne! Du darfst ja nur sagen – und ich stürze mich Dir zuliebe in jeglichesFeuer, auch über die Wände dieses Berges ins Meer hinab, so es schon wiederunten ist.“[<strong>GEJ</strong>.02_135,13] Sage Ich: „Und es würde dich dennoch kein Feuer der Erdemehr brennen und zerstören können, weil du schon selbst voll des stärksten undmächtigsten Feuers geworden bist! Auch Steine und Wasser würden dir nimmerschaden können; denn dein Charakter in Meiner Ordnung ist fester denn einDiamant, und dein Gemüt sanfter denn alle Gewässer der Himmel! Kurz, du bistMir schon einmal so ganz ins Herz hineingewachsen, und Ich gebe dir darum dieFreiheit, daß du den Engeln etwas zu vollziehen kundtun kannst, und sie werdenes also vollziehen, als ob Ich es ihnen Selbst geboten hätte. Denke dir sonachnun eine Arbeit aus und sage es dem Engel, der schon mit großer Sehnsuchtharret, von deinem Herzen einen Auftrag zu empfangen, was du willst, und eswird augenblicklich alles in Vollzug gebracht werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_135,14] Sagt die Jarah: „Mein lieber Bote aus den Himmeln, wenn esohne Schaden geschehen kann, so mache im Namen des Herrn, daß dieser Berg,da er auf einem natürlichen Wege zu schwer zu ersteigen ist, einen leicht undgefahrlos besteigbaren Weg habe zum Auf- und Abgehen, auch gegen das Meer— 300 —


hin, wo er sonst nur für die Vögel besteigbar ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_135,15] Der Engel macht bloß eine höchst zierliche Verbeugung vorder kleinen Jarah und sagt: „O du herrliche Gebieterin in des Herrn Namen! Siehdich nun nur um nach allen Seiten des Berges, und du wirst mit mir sicherzufrieden sein! Sieh, wir sind manchmal auch langsam in unseren Handlungen;aber wenn es sein muß auch geschwinder als der Blitz!“136. — Die Macht der Engel. Besuch eines Sternes[<strong>GEJ</strong>.02_136,01] Darauf führt der Engel die Jarah nach allen Seiten des Bergeshin, und sie überzeugt sich, daß der Berg an seiner Höhe zwar nichts verlorenhat, aber nach allen Seiten hin dennoch ohne alle Gefahr bestiegen werden kann,und besonders an der vom See abgewandten Seite, wo er ganz sanft absteigt.[<strong>GEJ</strong>.02_136,02] Als sich die Jarah von allem dem überzeugt hatte, sagte sie:„Die Sache ist so wunderbar, daß ich anfange, auf meine Sinne mißtrauisch zuwerden, und mir gerade denken muß, daß ich auch schlafe und träume! Sage mirdoch ein bißchen etwas davon, wie dir solches möglich war! Früher hast du dasganze Meer heraufgehoben und hast es frei in der Luft wie einen schwebendenTropfen erhalten, und nun hast du den steilen Berg nach allen Seiten hin zugänglichgemacht, und das alles in einem schnellsten Augenblick! Wie, wie ist dirsolches möglich? Du hast deinen Platz nie verlassen und dennoch ist dies allesverrichtet worden! – Ach, das ist doch zu viel für mich armes Erdwürmchen!“[<strong>GEJ</strong>.02_136,03] Sagt der Engel: „Du kannst solches freilich nun wohl nochnicht fassen; aber es wird bald die Zeit kommen, in der dir alles das sonnenklarwerden wird. Soviel aber kann ich dir dennoch vorderhand sagen, daß wir Engelnichts aus uns zu tun vermögen, sondern alles durch den alleinigen, allmächtigenWillen des Herrn, den du gar so liebhast.[<strong>GEJ</strong>.02_136,04] Siehe, die ganze Welt und alle Himmel sind nichts als durchden allmächtigen, allerunerschütterlichst festesten Willen festgehaltene Gedankenund Ideen Gottes; wenn Er nun Seine Idee zurücknimmt und Seine Gedankenauflöst, so vergeht im selben Augenblick das sichtbare Geschöpf; faßt derHerr aber einen neuen Gedanken und hält ihn mit Seinem allmächtigen Willenfest, so ist das Geschöpf schon für jedermann sichtbar da!“[<strong>GEJ</strong>.02_136,05] Fragt die Jarah: „Ja, was habt denn hernach ihr dabei noch zutun?“[<strong>GEJ</strong>.02_136,06] Sagt der Engel: „Wir sind pure Aufnahmegefäße des göttlichenWillens und hernach die Austräger desselben! Sieh, wir sind gewissermaßendie Flügel des göttlichen Willens und sind sonach ganz eigentlich der göttlicheWille selbst, und es genügt ein noch so leiser Gedanke von uns – so wir ihnverbinden mit der Kraft des göttlichen Willens –, da ist dann ein Werk auchschon vollbracht, und daher solche Schnelligkeit in unserem Handeln![<strong>GEJ</strong>.02_136,07] Siehst du jenen hellen Stern dort im Aufgange stehend? Sieh,— 301 —


wenn von hier bis zu ihm hin ein gebahnter Weg führte, wahrlich, die Erde hatnicht so viel des Sandes in den kleinsten Staubkörnchen, als ein Vogel Jahrebrauchen würde, um ihn zu erreichen, geschweige ein Mensch in seiner schnelllaufenden Bewegung; und sieh, mir aber ist es möglich, in einem Augenblickdahin zu gelangen und wieder hierher zurückzukommen! Du wirst meineAbwesenheit gar nicht merken, und ich werde dennoch dort und wieder hiersein! – Glaubst du mir das?“[<strong>GEJ</strong>.02_136,08] Sagt die Jarah: „Warum sollte ich dir so etwas nicht glauben?Aber natürlich kann da von einer Überzeugung von meiner Seite keine Redesein; denn dahin kann und möchte ich auch mit dir nicht also eine Reise machen,wie ehedem hinab in den Meeresgrund!“[<strong>GEJ</strong>.02_136,09] Spricht der Engel: „Warum denn nicht? Sind denn bei Gottnicht alle Dinge möglich? Wenn es dem Herrn genehm ist, so ist mir das gleich!Daß dir nichts geschehen wird, dafür bürge ich und all die zahllosen Engel, diedu helleuchtend nach allen Seiten hin erblickst!“[<strong>GEJ</strong>.02_136,10] Sagt die Jarah zu Mir: „Herr, ist das wohl möglich?“[<strong>GEJ</strong>.02_136,11] Sage Ich: „In der Hand dieses Engels, ja! So du willst, kannstdu dich ihm übergeben, und in wenigen Augenblicken wirst du wieder ganzwohlbehalten hier bei Mir sein; nimm dir aber auch von dort ein Andenkenmit!“[<strong>GEJ</strong>.02_136,12] Nach diesen Worten übergab sich Jarah dem Engel und sagte:„Siehe, ich habe Mut; so du es vermagst, so trage mich dorthin!“[<strong>GEJ</strong>.02_136,13] Da hob der Engel die Jarah von der Erde Boden, drückte sierecht innig an seine Brust und verschwand. – Nach zehn Sekunden war erwieder samt der Jarah hier, die in ihrer Schürze einen Stein hatte, der im Freienso hell leuchtete, als da leuchtet der Morgenstern in seinem schönsten Lichte.[<strong>GEJ</strong>.02_136,14] Als die Jarah sich von ihrem Erstaunen ein wenig erholt hatte,da fragte sie Mich: „O Herr, sind denn alle diese unzähligen Sterne das, wasjener Stern ist, den ich nun wahrhaftig mit meinen leiblichen Augen selbst odermit meinen Gemütsaugen beschaut habe? Denn das ist ja eine ungeheure Welt!Diese Welt scheint mir nun gegen jene so klein zu sein, wie ein Schneckenhausgegen diesen Berg! Menschen, ganz vollkommene Menschen, die in unaussprechlichgroßen und dabei in überaus wunderherrlich erbauten Tempelnwohnen, gibt es auch in jener übergroßen herrlichen Welt; aber diese Menschensind so groß, daß sie den Berg wenigstens dreimal überragen würden, so sieunten am See stünden. Und so ist in jener Wunderwelt alles um viel tausendmaltausend Male größer, aber auch wirklich alles um so viele Male größer dennhier![<strong>GEJ</strong>.02_136,15] Wir standen auf einem überhohen Berge und sahen nach allenSeiten hin eine nimmer enden wollende Fläche. Diese war durchzogen nachallen Seiten hin von den herrlichsten Strömen, deren Wogen also spielten in denstets wechselnden, frischesten Farben eines Regenbogens; das Erdreich aber war— 302 —


ebaut mit den herrlichsten Gärten und Tempeln. Im nächsten Augenblickbefanden wir uns schon unten bei den Tempeln und sahen da die großenMenschen und ihre noch viel größeren Wohntempel. In einiger Entfernung sinddiese Menschen recht herrlich anzusehen; aber in der Nähe sehen sie wandelndenBergen gleich! Ja, ich hätte schon eine recht hohe Leiter ansetzen müssen,wenn ich nur die kleine Zehe eines dortigen Menschen hätte ersteigen wollen![<strong>GEJ</strong>.02_136,16] Kurz, ich könnte Dir mein Leben lang in einem fort erzählen,was ich dort nur in den wenigen Augenblicken gesehen habe; aber das hieße, dieZeit, die Du, o Herr, für etwas Besseres bestimmt hast, mit unnützen Dingenverplaudern! Aber nur das möchte ich von Dir erfahren, ob alle diese zahllosvielen Sterne eben auch solche Welten sind, wie der von mir gesehene eine ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_136,17] Sage Ich: „Ja, Mein Kindchen, und das noch viel größere undviel herrlichere! Aber glaubst du wohl fest, daß du nun in diesen wenigenAugenblicken in jenem Sterne mit Leib und Seele gewesen bist? Sage Mir das!“[<strong>GEJ</strong>.02_136,18] Sagt die Jarah: „Herr, Du meine Liebe, Du mein Leben, wirmachten auf dem Hinfluge vier kurze Abschnitte. Und da zeigte sich bis zumvierten Abschnitt der Stern, den ich jetzt noch gar gut sehe, immer unverändertals Stern; aber beim vierten Abschnitt ward er so groß wie unsere Sonne amTage. Von da an dauerte es nur noch einen allerkürzesten Augenblick, und wirwaren schon in jener herrlichen Welt. Von dem Berge, auf dessen Spitze wirzuerst uns befanden, löste ich auf Anraten des Engels ein Steinchen vom Boden– es ist dies leuchtende Klümpchen – und nahm es zum Beweise mit hierher,daß ich richtig auch dort war. Mehr kann ich Dir zum Beweise meines wirklichenDortseins nicht kundgeben.“137. — Die innere Art, die Schöpfung zu beschauen[<strong>GEJ</strong>.02_137,01] Sage Ich: „Das genügt vollkommen! Aber Ich werde dir nuneine andere Art und Weise zeigen, wie ein in seinem Herzen vollendeter Menschdie Sterne bereisen kann, ohne auch nur eine Linie von dieser Erde entrückt zuwerden; aber freilich ein leuchtend Steinchen kann man da nicht so leicht zumZeugnisse mit herübernehmen! – Nun, du hast dir den Stern gemerkt, den dubereiset hast?“[<strong>GEJ</strong>.02_137,02] Sagt die Jarah: „Ja, Herr!“[<strong>GEJ</strong>.02_137,03] Sage Ich: „Nun, so stelle dir ihn so recht lebendig in deinemHerzen vor, sieh mit deinen Augen einige Zeit unverwandt nach ihm hin undsage Mir, wie er sich dir nach wenigen Augenblicken zeigen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_137,04] Die Jarah tut das sogleich, und nach wenigen Augenblickensagt sie: „Herr, Herr, Du mein Gott, Du meine Liebe, nun sehe ich ihn, wie beimeinem Hinfluge im vierten Abschnitte. Er wird nun immer größer, und seinLicht ist kaum erträglich! Ah, das ist ein erschrecklich starkes Licht; aber zumGlück tut es den Augen kein Wehe! Oh, oh, nun ist das ganze Firmament nur einerschrecklich starkes, ungeheuer mächtig wogendes Lichtmeer! O Gott, o Gott,— 303 —


wie groß und wundervoll sind Deine Werke, und Du wandelst im Fleische alsein schlichter, alles Anspruchs loser Mensch unter den Menschenwürmerndieser Erde![<strong>GEJ</strong>.02_137,05] Oh, oh, oh! Nun bin ich wieder auf demselben Berge und seheringsum dieselbe Gegend voll Herrlichkeiten der Herrlichkeiten! Ich sehe dieselbenTempel wieder, dieselben Menschen und ihre schönen Gärten; auch sehrschöne Blumen sehe ich. Aber die kleinste von ihnen ist größer denn ein Hausauf dieser Erde; die könnte ich mir wohl nicht zum Andenken abpflücken! Ah,nun sehe ich aber auch allerlei Tiere, und die wunderschönsten Vögel sehe ichauch; aber sie sind auch ganz entsetzlich groß! Auf den ungeheuren Bäumenhängen Dir gar selten große Früchte, und dabei bemerke ich auch, wie ein paarMenschen in einem Garten danach mit ihren Händen greifen und sie richtig auchin den Mund stecken! Nun, nun, an solch einer Birne, oder was sie sonst für eineFrucht ist, hätten auf dieser Erde wohl tausend Menschen auf ein ganzes Jahr zurÜbergenüge zu essen!“[<strong>GEJ</strong>.02_137,06] Sage Ich: „Nun gib acht, du wirst jetzt zu einer Art Stadtdieser Welt kommen; sage Mir, wie diese dir gefällt!“[<strong>GEJ</strong>.02_137,07] Die Jarah schlägt bald darauf die Hände über dem Kopfezusammen und schreit förmlich vor Entzückung auf, sagend: „Aber um Deinesallerheiligsten Namens Willen, das ist ja eine Herrlichkeit, von der sich noch nieein Menschenherz hat etwas träumen lassen können! Oh, das ist unbeschreiblich!Welche Tempelreihen! Welche Säulengänge, welche Kuppeln! Nein, diesePracht, Größe und Herrlichkeit! Herr, ich bitte Dich, führe mich zurück; denndiese zu unnennbar überschwengliche Herrlichkeit würde mich töten!“[<strong>GEJ</strong>.02_137,08] Sage Ich: „Nun, so mache deine Augen zu und denke an Michund an die Erde, dann wird es gleich wieder gut sein!“ – Die Jarah tut das undschaut nun ihren Stern wieder als Stern vor sich.[<strong>GEJ</strong>.02_137,09] Als sie sich ein wenig wieder gesammelt hat, fragt sie (Jarah)Mich gleich: „Herr, hat etwa der Engel auch auf diese Weise, wie Du nun, mirjenen Stern gezeigt? Denn ich habe ihn nun um vieles besser gesehen dennehedem und war nur gewisserart bloß geistig dort. Ich meine, der liebe, guteEngel hatte mich scheinhalber nur ein bißchen von hier entrückt und mir dannauch den Stern also gezeigt!?“[<strong>GEJ</strong>.02_137,10] Sage Ich: „Nein, der Engel hat deinen Wunsch vollkommenausgeführt! Und solches war aber auch nur mit dir möglich, weil dein Herz vonLiebe überfüllt ist; mit jedem andern Menschen aber wäre so etwas rein unmöglichzu bewerkstelligen gewesen. Und würde ein Engel, was er zwar wohlkönnte, mit einem gewöhnlichen Weltmenschen das tun, so würde schon dieAnnäherung eines solchen Engels den Weltmenschen augenblicklich töten![<strong>GEJ</strong>.02_137,11] Aber du hast Mich ehedem gefragt, ob alle die Sterne solcheWelten seien; und Ich antwortete dir mit Ja. Nun, so du, Meine allerliebsteJarah, es wünschest, so überzeuge dich auf dieselbe Weise! Sieh, wenn ein— 304 —


weltlicher Jüngling um eine junge Braut freit und sie zu seiner Erwählten macht,so eröffnet er vor ihr auch alle seine Schätze, um sie, die sein Herz liebt, sichgeneigter zu machen; denn, so sie ihn schon nicht möchte seiner Person wegen,so wird sie ihn doch annehmen seiner großen Schätze wegen. Und sieh, Ich tuenun vor dir desgleichen, auf daß du dereinst zur Zeit der Versuchung der Weltnicht abfallest von Meinem Herzen. Darum überzeuge dich nun von MeinenSchätzen, auf daß du einsehen kannst, daß Ich nun nicht so arm dastehe, wie esMein Äußeres den Menschen zu verkünden scheint. Sieh, Ich bin nun einmaldein Geliebter und zeige dir darum auch ein wenig etwas von Meinen großenBesitztümern!“[<strong>GEJ</strong>.02_137,12] Sagt die Jarah: „Herr, Du mein Leben, wenn ich darum nocheinen Stern weiter ansehen wollte, um mich dadurch vor einer Untreue in meinerLiebe zu Dir zu verwahren, so wäre es mir leid, den einen Stern angeschaut zuhaben; denn Du allein bist mir ja endlos mehr denn alle die zahllosen Sterne mitallen ihren Herrlichkeiten! Wahrlich, um Dich über alles zu lieben, brauche ichnichts, ewig nichts, als Dich allein; aber nur Dir zuliebe, weil Du es wünschest,sehe ich auch recht gerne die Wunder Deiner Macht und Weisheit an!“[<strong>GEJ</strong>.02_137,13] Sage Ich: „Höre, du Meine allerliebste Jarah, Ich sehe wohl indein Herz und lese es darin, wie sehr du Mich liebst, und kenne auch deineTreue; aber du bist nun noch mehr ein Kind als ein erwachsenes Mädchen. Bisjetzt warst du gleichfort unter dem Schutze Meiner Engel, und die bösen Geisterder Welt konnten sich dir nicht nahen; wenn aber deine Jahre reifer werden,dann wirst du aus deiner eigenen Kraft der argen Welt und ihren Gelüstenwiderstehen müssen, um dadurch nach Meiner für alle Wesen gestellten unwandelbarenOrdnung aus dir selbst den festen Boden zu gewinnen, auf dem du dichMir erst wahrhaft im Geiste und in aller Wahrheit wirst nahen können. Und sieh,da hat die Welt eine starke Macht über den Menschen, weil die Welt von derHölle aus zum größten Teile beherrscht wird, und es kostet da der Seele manchharten Kampf, um nicht von ihrem eigenen Fleisch und Blut und dadurch dannauch von der Welt verschlungen zu werden![<strong>GEJ</strong>.02_137,14] Deine Gestalt ist eine sehr schöne. Bald werden die Weltjungenihre Augen auf dich werfen und dir Herz und Hand bieten, und es wird dirschwer werden, ihnen zu begegnen. Wenn aber solche Zeit kommen wird, danngedenke in deinem Herzen Meiner und alles dessen, was du auf dieser Höhealles gehört und gesehen hast, und der Sieg über die Welt wird dir ein leichterwerden!“[<strong>GEJ</strong>.02_137,15] Sagt die Jarah etwas traurig: „Aber das muß Dir ja doch schonvon Ewigkeit her klar sein, ob ich Dir je ungetreu werden könnte!? Und siehstDu in mir eine künftige Untreue, wie magst Du mich lieben? Und kannst Du eseiner künftigen Sünderin gestatten, daß sie sich Dir naht?“[<strong>GEJ</strong>.02_137,16] Sage Ich: „Das ist für dich, Meine allerliebste Jarah, noch vielzu hoch! Aber Ich werde dir aus besonders großer Liebe zu dir dennoch etwassagen: Sieh, Ich kann zwar alles wissen schon von Ewigkeit her, was mit einem— 305 —


Menschen wird, wenn Ich es wissen will; aber auf daß der Mensch in der Reifeseiner Jahre völlig frei und unbeirrt handeln kann, so ziehe Ich auf einebestimmte Zeit Meine Augen von ihm ab und nehme keine Wissenschaft vonseinem freien Handeln, außer er bittet Mich inständigst, ihm zu helfen beimfreien Kampfe mit der Welt. Da sehe Ich Mich nach ihm um, helfe ihm auf denrechten Weg und verleihe ihm beim Kampfe mit der Welt die nötige Kraft.[<strong>GEJ</strong>.02_137,17] Und sieh, so will Ich für dich auch keinen Blick in die Zukunfttun, auf daß du frei bleibst in deinem Handeln; aber dafür belehre Ich dich nun,auf daß du zur Zeit der Versuchung dich alles dessen werktätigst erinnern magst.Auch der Schutzengel wird dich in solcher Zeit allein lassen; wenn du aber überdie Welt vollends wirst aus deiner Kraft gesiegt haben, dann wird er wieder zudir treten und wird dir dienen in allen Dingen. – Hast du, Meine allerliebsteJarah, das wohl so ein wenig verstanden?“138. — Eine jenseitige Selbstverleugnungs-Schulwelt[<strong>GEJ</strong>.02_138,01] Sagt die Jarah: „Verstanden hätte ich's wohl, – aber darum istdie Sache dennoch sehr traurig für mich und für alle anderen Menschen; dennaus Tausenden wird kaum einer die volle Kraft haben, aus sich selbst der Weltalso zu begegnen, wie es Dir wohlgefällig wäre!“[<strong>GEJ</strong>.02_138,02] Sage Ich: „Darum bin Ich aber ja in die Welt gekommen, umdurch Meine Lehre und durch Meine Taten jedermann das Mittel in die Hand zugeben, mit welchem er mit leichter Mühe die Welt besiegen kann!“[<strong>GEJ</strong>.02_138,03] Sagt die Jarah: „Wäre schon alles recht, – aber es gibt auf derErde noch eine große Menge Menschen, die von Deinem Worte vielleicht kaumin tausend Jahren etwas vernehmen werden! Womit werden sich dann unter derlangen Zeit diese schirmen vor dem Andrange der Welt? Sie sind doch ebensogutMenschen als wir Juden!“[<strong>GEJ</strong>.02_138,04] Sage Ich: „Es steht mit den Völkern der Erde also wie mit deneinzelnen Kindern eines Vaters: einige, als früher zur Welt geboren, werdenvom Vater anders gehalten als jene, die erst kaum vor zwei, drei, vier bis fünfJahren das Licht der Welt erschauten. Der älteste Sohn ist schon ein Mann vollKraft geworden, und eine Tochter ist mannbar; daneben aber gibt es noch einpaar Kinder in deinem Alter, und drei liegen noch in den Windeln. Sage Mir, obes von dem Vater wohl klug wäre, so er die Kinder in der Wiege genau alsobehandeln würde wie den zum kräftigen Manne herangereiften Sohn!?“[<strong>GEJ</strong>.02_138,05] Sagt die Jarah: „Das wäre freilich wohl sehr dumm von einemsolchen Vater!“[<strong>GEJ</strong>.02_138,06] Sage Ich: „Nun sieh, darin liegt es auch, warum einige Völkererst später zu Meiner Lehre gelangen! Sie sind jetzt noch nicht reif dazu; aberzur rechten Zeit werden sie schon reif werden, und da wird auch Meine Lehre ansie gelangen. – Verstehst du das?“— 306 —


[<strong>GEJ</strong>.02_138,07] Sagt die Jarah: „O ja, das versteh' ich recht wohl; aber welchesLos haben dann die auf dieser Erde bis jetzt noch nicht reif gewordenen Völkerim großen Jenseits zu erwarten?“[<strong>GEJ</strong>.02_138,08] Sage Ich: „Das sollst du sogleich zu sehen bekommen! Siehhin, dort am mitternächtlichen Teile des Himmels steht ein Stern von etwasrötlichem Lichte; fasse ihn also wie den früheren ins Auge deines Gemütes undrichte auch dein irdisch Auge darauf hin, und du wirst in jenem Sterne dieschönste Antwort auf deine Frage bekommen!“[<strong>GEJ</strong>.02_138,09] Die Jarah tut das nun sogleich und sagt schon nach wenigenAugenblicken: „O Herr, Du allmächtigster Schöpfer Himmels und aller Welten,das ist ja noch eine viel größere Welt, denn da war die frühere, und von welcheinem herrlichen Lichte ist sie umflossen! Aber das Licht ist von hellroter Farbe,ein wenig ins Goldgelbe übergehend, während das Licht der ersten Welt ganzrein weiß war. Aber nun wird auch das Licht dieser Welt unerträglich stark! Ah,nun habe ich schon den belebten Boden dieser Welt! Oh, da ist es auchunbeschreiblich herrlich! Welch eine Mannigfaltigkeit! Niedliche, sanft ansteigendeBerge schließen die herrlichsten, fruchtreichsten Täler ein. In den Tälernsieht man auch eine Art von Hütten, die bloß aus einem Dache bestehen, das mitwie Rubin schimmernden Säulen unterstützt ist in guter Ordnung; aber auf denRücken der Berge laufen ohne Unterbrechung solche Hütten fort in unabsehbarenReihen, und so ungeheuer weit nun mein Blick reicht, so sehe ich dennochnichts anderes, und da ist eine solche Hütte der andern so ähnlich wie beimMenschen ein Auge dem andern. Wie ich merke, ruhen die länglich rundenDächer alle auf etwa sieben Mann hohen Rubinsäulen; aber da ist auch eineSäule wie die andere! Von Menschen und anderen lebenden Wesen ist bis jetztnoch nichts zu entdecken gewesen; aber sie müssen hier dennoch auch vorhandensein, – denn davon gibt schon die außerordentliche Kultur dieser überweitgedehntenLänder Kunde![<strong>GEJ</strong>.02_138,10] Aber merkwürdig ist, daß hier in dieser sonst überherrlichenWelt sich alles ähnlich ist! Ein Fruchtbaum sieht dem andern auf ein Haarähnlich, und eine Blume der andern; alles ist in Reihen gesetzt, und man kannum alles in der Welt nichts außerhalb dieser Ordnung finden.[<strong>GEJ</strong>.02_138,11] Es nimmt sich dies alles zwar gar wunderherrlich aus undgewährt einen freundlichen Anblick; aber mit der Zeit müßte dies ewige Einerleieinem Menschen unserer Art und Gattung denn doch etwas langweilig werden!Aber nun bin ich vor einer solchen Hütte angelangt, und sieh, da gibt esMenschen in ganz unserer Art darin! Einer steht auf einem erhöhten Orte undpredigt, und die mehreren hundert anderen hören diesen Prediger mit dergrößten Andacht an![<strong>GEJ</strong>.02_138,12] Da in der nächst anstoßenden Hütte sehe ich mehrere in faltenreicheKleider gehüllte Menschen an einem wohlbesetzten Tische speisen; aberum die Speisenden herum stehen ebensoviele, die der Hunger zu plagen scheint,und diese bekommen nichts zu essen! Ah, da in der dritten Hütte aber sehe ich— 307 —


nun einige wunderschönste Dirnen! Diese stehen bar mutternackt und machensich mit sehr wenig sagenden Männern recht lustig, wandeln hin und her; imHintergrunde aber stehen eine Menge sehr lüstern scheinende Jünglinge undgeben den schönen Dirnen Zeichen, auch zu ihnen zu kommen und sich mitihnen auch ein wenig lustig zu machen. Aber die Jünglinge bekommen keinGehör und scheinen sich darüber gerade nicht zu sehr zu freuen.[<strong>GEJ</strong>.02_138,13] Ah, das sind doch merkwürdige Hauseinrichtungen! So sehrauch äußerlich eine Hütte der andern auf ein Haar gleichsieht, so verschiedenartigscheinen darinnen doch die Beschäftigungen der Menschen zu sein, und dasist doch sicher auch sehr merkwürdig!? Aber wenn es auf dieser ungeheuergroßen Welt allenthalben also aussieht wie in dieser von mir nun geschautenGegend, dann ist mir unsere kleine Erde lieber – bis auf die bösen Menschen!“[<strong>GEJ</strong>.02_138,14] Sage Ich: „Alles das, was du nun siehst, ist nur ein kleinesSchul- und Einübungshaus in der Selbstverleugnung und in der Sichselbstüberwindung.Wandle nun mit deinen Gemütsaugen weiter, und es wird sich dirgleich etwas anderes zeigen!“[<strong>GEJ</strong>.02_138,15] Jarah tut das und schreit bald so auf, daß die Festschlafendenbeinahe aufgeweckt worden wären, so sie nicht Mein Wille wieder in den Schlafversenkt hätte.[<strong>GEJ</strong>.02_138,16] Ich fragte auf den Schrei die Jarah, was es denn gäbe, darumsie gar aufgeschrien habe.[<strong>GEJ</strong>.02_138,17] Sagt Jarah: „O Herr, die Pracht, diese Majestät überbietetwieder alles, was je eines Menschen Sinn fassen kann! Da steht Dir ein Palast sogroß und hoch wie auf der Erde der höchste und größte Berg! Die Mauern sindaus lauter köstlichsten Edelsteinen aufgeführt. Tausend und abermals tausendgoldene Treppen und Galerien zieren von außen diesen ungeheuren Palast, derin seiner höchsten Höhe in eine förmliche Spitze ausläuft. Rings um diesenPalast prangen die herrlichsten Gärten, in denen aber die größte Mannigfaltigkeitdas Auge zu stets neuer Bewunderung auffordert; in den Gärten aber gibt esauch sehr schöne Seen, auf denen für das Vergnügen wahrscheinlich eine großeMenge wunderbarer Kunstwerke herumschwimmen, aber von niemandem geleitetund noch weniger beachtet werden.[<strong>GEJ</strong>.02_138,18] Herr, was bedeutet denn das alles? Wer sind die Bewohnerdieses ungeheuren Palastes, und wozu dienen diese auf den schönen Seen freiherumschwimmenden Kunstwerke aller Art?“139. — Ein Blick in die Sternenweltordnung[<strong>GEJ</strong>.02_139,01] Sage Ich: „Sieh, dieser Palast ist die Wohnung eines Oberlehrersin dieser Gegend, die du bereits gesehen hast. Alle jene Schulhütten stehenunter seiner Aufsicht, und die auf den Seen herumschwimmenden Gegenständewerden zu gewissen Zeiten zum ferneren Unterricht in der hohen Weisheitbenutzt. Wie aber diese Wohnung hier ist, so stehen noch viele hunderttausende— 308 —


loß im Mittelgürtel dieser Lichtwelt, nebst noch einer Menge von Städtengrößter Art. Neben diesem Gürtel, von dem du einen kleinsten nun siehst, gibt esaber in dieser Welt noch sechsundsiebzig Nebengürtel, von denen ein jeder eineganz eigene Einrichtung hat. Diese Welt, sowie die frühere sind eigentlich zweiSonnen gleich der unseren, die bei Tage der Erde Licht gibt, aber mit demUnterschiede, daß die von dir zuerst geschaute bei tausend Male größer ist alsdie Sonne unserer Erde und die, die du gerade jetzt noch schaust, bei viertausendMale größer ist denn die unsrige; aber unsere Sonne selbst ist bei tausendmaltausend Male größer denn diese ganze Erde.[<strong>GEJ</strong>.02_139,02] Die Menschen dieser Erde aber haben einen noch ganz irrigenBegriff von dieser Erde und von der Sonne, vom Monde und von all denSternen; wenn sie aber später einmal besser zu rechnen verstehen werden, dannwerden sie auch zu richtigeren Vorstellungen über die Weltkörper im endlosenSchöpfungsraume gelangen.[<strong>GEJ</strong>.02_139,03] Das aber kannst du wissen, daß um jede solche Sonne inverschiedenen Entfernungen eine rechte Menge solcher Erden, wie diese ist, aufder wir stehen, kreisen, und daß mehrere dieser Erden noch Nebenerden haben,die um sie als stete Begleiter kreisen, gleichwie der Mond um unsere Erde! Soviele eigentliche Erden aber von einer Sonne versorgt werden, so viele eigene,jeder solch eine Sonne umkreisenden Erden entsprechende Gürtel hat dann ebeneine jegliche Sonne, mit Ausnahme der Mittelsonnen, die zum Halten undFühren der Erdsonnen bestimmt sind und um tausendmal tausend Male größersind denn zehnmal tausendmal tausend solcher Sonnen, von denen du nun zweigesehen hast.[<strong>GEJ</strong>.02_139,04] Solch eine Mittelsonne ist nicht mehr in Gürtel, sondern inebenso viele Gebiete auf ihrer Oberfläche eingeteilt, als wie viele einzelneErdsonnen sie zu versorgen hat; und da ist dann jedes einer Erdsonne entsprechendeGebiet dem Flächenraume nach um tausend bis zehntausend Male größerals die Oberfläche jeder einzelnen Erdsonne samt allen sie umkreisenden Erden.Um eine Mittelsonne aber bahnen zum wenigsten tausendmal tausend Erdsonnen.[<strong>GEJ</strong>.02_139,05] Aber dann gibt es noch Mittelsonnen, um die sich abermalstausendmal tausend eben erwähnter Mittelsonnen mit all ihren Erdsonnenbewegen, und abermals Mittelsonnen, um die sich die Mittelsonnen der zweitenGattung bewegen, und endlich einen gemeinsamen Mittelweltkörper, der inunermeßlicher Tiefe eines Mittelsonnengebietes weilt und keine andereBewegung als die um seine eigene Achse hat. Dieser Mittelkörper ist auch eineSonne; aber sie ist so groß, daß alle die zahllosen Erdsonnen, die Mittelsonnenerster, zweiter und dritter Ordnung und alle die Erden und Monde, die um diezahllos vielen Erdsonnen kreisen, nebst den vielen Tausenden von allerleigrößeren und kleineren Schweifsternen, die als werdende Erden in unstetenKreisen um die Erdsonnen bahnen, nicht den hunderttausendsten Teil von ihremKörperinhalte ausmacheten, so diese besprochene Hauptmittelsonne eine hohle— 309 —


Kugel wäre und die obbenannten zahllos vielen Weltkörper sich in ihr befänden.– Jarah, kannst du dir von dem Gesagten nun einen Begriff machen?“[<strong>GEJ</strong>.02_139,06] Sagt die Jarah: „Herr, wer vermag solch eine Größe zufassen?! Einen Begriff kann ich mir nun freilich machen; aber mir wird dabeiganz schwindelig zumute! Ich habe mich nun auch an dieser Sonne satt gesehen,weiß nun aber dennoch nicht, wie ich mir darauf die Frage über das Sein der aufder Erde unreifen Völker im großen Jenseits beantworten soll.“[<strong>GEJ</strong>.02_139,07] Sage Ich: „Nun, so ziehe vorerst deine Augen ab von dergeschauten Sonne und höre Mich dann!“[<strong>GEJ</strong>.02_139,08] Sagt die Jarah: „Herr, es ist schon geschehen!“140. — Jenseitige Entwicklungsperioden[<strong>GEJ</strong>.02_140,01] Sage Ich: „So vernimm Mich! – Sieh, alle solche unreifenMenschen kommen zumeist in jene von dir nun geschaute Sonne und werden inden weitgedehnten Schulen in allen Dingen, die das Leben betreffen, unterwiesen.Also werden die frühverstorbenen Kindlein im Mittelgürtel unserer Sonneunterwiesen und großgezogen, – aber mehr im geistigen Teile der Sonne.[<strong>GEJ</strong>.02_140,02] Die unreifen Seelen erhalten in der von dir geschauten Sonnewieder einen Leib, jedoch ohne Geburt, und dieser wird dann mit der Seeleselbst geistig und kann ins rein Geistige übergehen. Wie aber solche Seelen vonhier nach dort überbracht werden und von wem, das hast du bei der Bereisungder ersten Sonne an dir selbst erfahren. Dieser Engel aber, der hier noch nebenuns steht, ist der Leiter und Beherrscher von all den Welten und Sonnen, vondenen Ich zu dir ehedem geredet habe. Du siehst daraus, welch eine Macht ihmverliehen ist und welch eine Weisheit.[<strong>GEJ</strong>.02_140,03] Aber alle die zahllos vielen Engel, die du nun in weitenReihen um dich her erschaust, haben ein gleiches Geschäft; denn in den ewigenTiefen gibt es für die menschlichen Begriffe noch zahllos viele solcher Sonnenweltengebietemit je einer gleichen, früher beschriebenen Hauptmittelsonne, undjedes solches Sonnengebiet wird von einem dieser Engel beherrscht. Du siehstnun zwar der Engel viele, – aber das ist nicht der zehnmal hunderttausendsteTeil bloß von den großen Herrscherengeln, geschweige von den kleinerenEngeln, denen zur besonderen Aufsicht und Leitung einzelne Sonnen und Erdenund kleinere Weltengebiete anvertraut sind! Und sieh, Ich muß dennoch für allejeden Augenblick in Meinem ewigen Geiste sorgen; und ließe Ich all das dir nunGezeigte einen Augenblick aus Meiner unwandelbaren Sorge, so würde alles indemselben Augenblick vergehen, das Größte wie das Kleinste! – Brächtest dudas mit deinem Geiste wohl zuwege?“[<strong>GEJ</strong>.02_140,04] Sagt die Jarah: „O Herr, wie magst Du mir denn solch eineFrage geben!? Ich, ein Stäubchen dieser Erde, – und Du, in Deinem Geiste deralleinige, ewige, allmächtige Gott! Oh, wenn die blinden Pharisäer von Jerusalemdoch das sehen könnten, da müßten sie doch anderen Sinnes werden! Aber,— 310 —


sie können es nicht sehen und werden es nicht sehen; darum werden sie auch inihrer Verstocktheit und Bosheit zugrunde gehen! Ihre Seelen werden jenseitsetwa wohl auch in jene Sonnenschule kommen?“[<strong>GEJ</strong>.02_140,05] Sage Ich: „Das etwa wohl nicht, Meine allerliebste Jarah; dennsie gehören nicht zu einem unreifen, sondern zu einem vollreifen Volke! Unddie Seelen von einem reifen Volke, wenn sie einmal in alle Bosheit übergegangensind, kommen in die Tiefen der Erde, durch sich selbst genötigt; denn da siepur Materie geworden sind, so ist diese ihr Element, und sie wollen und könnensich von ihr nicht trennen. Es wird zwar alles, ja das Äußerste, aufgeboten. AlleQualen und Schmerzen werden über sie zugelassen, um sie von der Materieloszumachen. Und wird einer von der Materie los, so kommt er dann in dieSchulen, die da bestehen auf dem geistigen Teile dieser Erde; von da erst wird erin den Mond überbracht. Hat er dort jeden Grad der Selbstverleugnung durchgemachtund ist darin stark geworden, so wird er dann in einen vollkommenerenPlaneten erhoben und dort in der rechten Weisheit unterwiesen.[<strong>GEJ</strong>.02_140,06] Wenn dann eine solche Seele in ein rechtes Licht eingegangenist, so wird erst durch solches Licht, so es stärker und stärker wird, die Wärmedes geistigen Lebens erzeugt, und die Seele fängt an, sich mit ihrem Geiste zueinen, so, daß nach und nach ihr ganzes Leben zur Liebe wird. Ist die Liebedann zur nötigen Kraft und Stärke gediehen und in die wahre, innere Lebensflammeübergegangen, so wird's dann in der Seele von innen aus licht und hell,und da erst befindet sich solch eine Seele in dem Zustande, in die eigentlichfreie Welt der seligen Geister aufgenommen zu werden, wo sie dann wie vonKindheit an weitergeführt wird.[<strong>GEJ</strong>.02_140,07] Aber bis eine auf der Erde materiell gewordene Seele imgünstigen Falle dahin gelangt, können immer mehrere Hunderte von Erdjahrenvergehen. – Ich lese aber nun in deinem Herzen, daß du Mich wieder um etwasfragen möchtest, und Ich sage es dir: frage; denn deine Fragen haben einenguten Grund! Aber diesmal richte die Frage an den bei uns stehenden Engel, derwird dir auch eine rechte Antwort geben!“141. — Von der Größe des Menschengeistes[<strong>GEJ</strong>.02_141,01] Hier wendet sich die Jarah an den Engel und fragt ihn, sagend:„Dein Herr und mein Herr hat mich gnädigst an dich, du lieber, holdesterJüngling, gewiesen und hat zu mir gesagt, daß ich dich um etwas Bestimmtesfragen solle, und du werdest mir dann eine rechte Antwort geben. Und so sagemir, warum diese meine irdischen Verwandten, wie auch die Jünger des Herrn,schlafen müssen, während ich wache, und warum muß ich das mit meinesLeibes Augen schauen, oder warum kann ich das, was sie nach der Kündung desHerrn nur im Traume sehen und hören können oder dürfen?“[<strong>GEJ</strong>.02_141,02] Sagt der Engel mit der liebfreundlichsten Stimme: „Du holdseligsteTochter des Herrn bist mit deiner Seele ganz in den Geist übergegangen— 311 —


und hast mit der Materie der Welt nahezu gar keine Gemeinschaft mehr; deinirdisch Auge ist zum Auge deiner Seele geworden, und dein Seelenauge zumAuge deines ewig unsterblichen Geistes. Und du bist darum ganz vollkommenin deiner Lebenssphäre so gestellt, wie eigentlich ein jeder Mensch gestellt seinsollte.[<strong>GEJ</strong>.02_141,03] Jedes Menschen Geist aber ist also beschaffen, daß er gleichdem Geiste Gottes die ganze Unendlichkeit in sich faßt. Wenn du nun einennoch so fernen Stern oder etwas anderes in dein reinstes Gemüt aufnimmst, dasda ist ein Auge des Geistes, und daneben dein Seelenauge durch das fleischlicheAuge dem mit den Augen des Geistes betrachteten Gegenstande zuwendest, soentsteht da ein Konflikt des innern, in deinem Geiste ruhenden Bildes mit deräußeren entsprechenden Form desselben Bildes. Aus diesem Konflikte wird esdann in deiner Seele vollends licht über den beschauten Gegenstand, und dieserstellt sich dir dann so vor, wie er in seiner Art wirklich ist.[<strong>GEJ</strong>.02_141,04] Und ich sage es dir treu und wahr, daß dies alle Menschenvermöchten, wenn sie in ihrem Gemüte also reif und ebenso beschaffen wärenwie du; aber gar wenige gibt es nur, die dir glichen! Diese Schlafenden hier abergleichen eben deiner Seele und deinem Gemüte nicht! Durch ihr irdisch Augeschaut noch lange ihre Seele nicht, und das Auge ihres Geistes ist noch festgeschlossen; darum muß ihre Seele für sich allein erst dadurch befähigt werden,daß ihr durch den Schlaf des äußern Auges alle Weltanschauung benommenwird und sie dadurch mit ihren feineren Sinnen zur Wahrnehmung undAnschauung des Übersinnlichen, ins Geistige Übergehenden gelangen kann.[<strong>GEJ</strong>.02_141,05] Es ist aber der Schlaf dieser hier Ruhenden darum auch einSchlaf eigener Art, zu dem ein Mensch auf einem ganz natürlichen Wege nurselten gelangen kann.[<strong>GEJ</strong>.02_141,06] Gewisse seelen- und geistesstarke Menschen können bei denschwächeren Brüdern solchen Schlaf durch öftere Händeauflegung bewirken,aber die schwachen Menschen vermögen solches an ihren gleich schwachenBrüdern und Schwestern nimmer. Daß aber der Herr bloß durch Seinen Willenalles vermag, daran wirst du wohl ewighin keinen Zweifel mehr in dir aufkommenlassen können?!“[<strong>GEJ</strong>.02_141,07] Sagt die Jarah: „Der Herr segne dich für die mir gegebeneAufklärung, die ich recht wohl begriffen habe! – Aber nun noch eine andereFrage! Sage mir, du lieber, holdseligster Jüngling, wie soll ich mir denn deineunbegreifliche Schnelligkeit erklären?“[<strong>GEJ</strong>.02_141,08] Spricht der Engel: „Allerliebste Tochter Gottes! Das ist etwas,das nur ein reiner Geist fassen kann, da er mit der Zeit und mit dem Raumenichts zu tun hat. Wir sind an uns selbst nichts, sondern das du an uns erschaustmit den Augen deines Geistes, ist Gottes Gedanke, Gottes Idee, Gottes Wort.Wir sind daher ganz reine Geister; keine Materie kann uns irgendein Hindernissein.— 312 —


[<strong>GEJ</strong>.02_141,09] So einen lebendigsten Geist gar nichts hindern kann, so ist seinHier und Dort ja notwendig ein und dasselbe. Keine Materie kann daher eine unsGeistern gleich schnelle Bewegung annehmen, weil sie selbst im allerfeinstenÄther dennoch immer ein Hindernis findet, durch das ihre Bewegung gehemmtwird.[<strong>GEJ</strong>.02_141,10] Es gibt im endlos weiten Schöpfungsraume besonders dieMittelsonnen der dritten Ordnung, nach denen gleich die Hauptmittelsonnekommt. Diese Sonnen bewegen sich in verschieden großen Kreisen um dieHauptmittelsonne in einer für deine Begriffe undenklichen Schnelligkeit, damitsie dadurch von der Hauptmittelsonne in der vorgezeichneten Entfernungbleiben. Ihre Bahnen sind vermöge ihrer großen Entfernung von der Hauptmittelsonnefür deine Begriffe überweit gedehnt.[<strong>GEJ</strong>.02_141,11] Denke dir zum Beispiel diese Erde als eine in der Wahrheitviele hunderttausend Male größere Kugel, als wieviel du nun von ihrüberschaust. Diese große Kugel aber bestände aus lauter Sandkörnchen, wie dusie schon oft am Meeresufer wirst gesehen haben. Nun denke dir die Zahl allerder kleinsten Sandkörnchen, wie viele deren nötig wären, um eine solche ganzeErde auszumachen! Für jedes dieser Körnchen denke dir nun eine Entfernungwie von hier bis zu jenem Sterne, den wir zuerst besucht haben, und du wirstdadurch nahezu den Durchmesser einer solchen Bahn erreichen! Eine solcheBahn durchfliegt eine obenerwähnte Mittelsonne dritter Ordnung freilich erstkürzestens in zehnmal hunderttausend Jahren; aber weil die Bahn eine gar soungeheuer weitgedehnte ist, so muß solch eine Sonne in einem Augenblickschon eine tausendmal so weite Strecke hinter sich haben wie von hier bis zujenem Sterne, den wir zuerst besucht haben![<strong>GEJ</strong>.02_141,12] Du wirst nun meinen und sagen: ,Ja, wenn das, da bewegt sichsolch eine Sonne ja dennoch um tausend Male schneller denn du als ein reinerGeist! Denn wären wir mit der Geschwindigkeit jener Sonne von hier nachjenem Sterne geflogen, so müßten wir ja notwendig um tausend Male früher dortgewesen sein als mit deiner geistigen Schnelle!?‘[<strong>GEJ</strong>.02_141,13] Da sage ich dir, daß die große Schnelligkeit jener Sonne gegenmeine geistige dennoch eine pure Schneckenbotschaft ist! Denn sieh, bei all derfür deine Begriffe ungeheuren Schnelligkeit braucht jene Sonne denn doch nochzehnmal hunderttausend Jahre zum Durchfliegen ihrer weitesten Bahn um dieHauptmittelsonne, während ich oder ein anderer Geist meiner Art dieselbeStrecke in einem so schnellen Augenblick durchfliegen kann, daß du zwischenmeiner Abreise und meiner Wiederankunft nicht den allerkleinst fühlbarenZeitraum merken würdest; ja ich könnte in der gleich kurzen Zeit auch einenviele tausendmal hunderttausend Male größeren Kreis durchfliegen![<strong>GEJ</strong>.02_141,14] Es ist daher zwischen der Schnelligkeit eines Geistes undzwischen der Schnelligkeit einer noch so schnell dahinfliegenden Materie – undmöge diese gesteigert werden, wie sie will – ein unendlicher Unterschied; dennwenn eine noch so schnell bewegte Materie auch in einem Augenblick eine— 313 —


Strecke wie von hier bis zu jenem Sterne durchmacht, so braucht sie zu einernoch einmal so langen Strecke schon zwei Augenblicke, und macht die Materiein einem Augenblick hunderttausend solche Entfernungen durch, so wird sie fürzehn solche Entfernungen auch zehn Augenblicke brauchen, während ich jededenkbare Entfernung in einem und demselben Augenblick durchmachen kann.[<strong>GEJ</strong>.02_141,15] Und sieh, das kann ich und jeder Geist meiner Art, weil füruns in der ganzen ewigen Unendlichkeit kein noch so allerleisestes Hindernisvorhanden ist; die Materie aber findet allerlei Hindernisse selbst im freiestenÄtherraume und kann daher eines Geistes Schnelle nie erreichen! – Sage mirnun, du holdseligste Tochter Gottes, ob du das wohl so ein wenig begriffenhast!“142. — Über die wahre geistige Größe[<strong>GEJ</strong>.02_142,01] Sagt die Jarah: „Begriffen hätte ich's mit der Hilfe diesesmeines Herrn wohl; aber es hat mich dabei schon wieder stark zu schwindelnangefangen! Denn ich habe dabei die vollste Überzeugung gewonnen, daß eingeschaffener Geist eine Ewigkeit zu tun haben muß, nur eine jener nahe schonendlos großen Hauptmittelsonnen durch und durch kennenzulernen, von denendu gesagt hast, daß ihre Anzahl für Menschenbegriffe im endlosen, ewigenRaume eine unendliche sei, von denen jede die Trägerin oder vielmehr Regentinvon um sie in endlos weiten Kreisen bahnenden Mittelsonnen von drei Ordnungenund Erdsonnen ist, deren Anzahl kein sterblicher Geist fassen könnte! Wennaber schon eine solche ungeheuer große Hauptmittelsonne jedem geschaffenenGeiste eine Ewigkeit zu ihrer Besichtigung bietet, wie lange wird er dann mit allden andern zahllosen zu tun haben!?[<strong>GEJ</strong>.02_142,02] Oh, da wäre ich gar nicht gescheit, wenn ich mir so etwaswünschete! Ich bleibe fein bei meiner Liebe zu Hause und denke mir dabei:,Solch eine Sonne ist wohl etwas ungeheuer Großes und ein gewaltigster Zeugevon des Herrn endloser Weisheit und ewiger Macht; aber sie kann den Herrn,ihren Gott und Schöpfer, dennoch nicht so wie ich sehen, begreifen und überalles lieben!‘ – Und siehe, das ist nach meiner Meinung bei weitem mehr, alseine so endlos große Sonne sein in irgendeiner für Menschen nie ermeßbarenTiefe des endlosen Schöpfungsraumes! Und wer weiß, ob der Herr mich dennvielleicht nicht ebenso liebhat wie eine so große Sonne!?[<strong>GEJ</strong>.02_142,03] Und sieh, du holdester Junge, diese unsere Erde könnte aufjener übergroßen Sonne vielleicht kaum als ein bemerkbares Stäubchen angesehenwerden, und doch betritt nun Der ihren Boden, von dessen leisestem Hauchedas Dasein aller der zahllosen Hauptmittelsonnen abhängt! Und so meine ich,daß nicht immer gerade das das Größte in den Augen des Herrn ist, was imendlosen Schöpfungsraume einen kaum meßbaren Teil desselben einnimmt,sondern was innerlich groß ist![<strong>GEJ</strong>.02_142,04] Was bin ich als Kind bezüglich der Körpergröße nur gegen— 314 —


unsere kleine Erde, und doch fühle ich in meiner Brust einen Raum, in dem alledeine Hauptmittelsonnen mit all ihren zahllosen Nebensonnen und Erden zurÜbergenüge Platz haben! Mein kleines Auge übersieht mit einem Blick tausendmaltausend Sterne; es fragt sich, ob solch eine Fähigkeit all den großen Sonneninnewohnt!? – Habe ich recht oder nicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_142,05] Sage nun wieder Ich: „Ganz vollkommen recht hast du, und esist also, und du allein wiegst tausend Sonnenalle auf, die den endlosen Schöpfungsraumerfüllen; aber es ist immer gut für den Menschen, daß er MeineWerke kennt zur Vermehrung der Liebe zu Mir, seinem Vater![<strong>GEJ</strong>.02_142,06] Nun aber fängt es an zu dämmern, und wir werden unsereFreunde zu wecken beginnen! Aber nur nach und nach müssen sie gewecktwerden; du aber mußt von all dem Gesehenen niemandem früher etwas melden,als bis dir Mein und nun auch dein Engel, den Ich dir sichtbar bis zu deinerReife belassen will, aber in anderer Tracht, einen Wink geben wird. Die andernEngel aber sollen nun wieder unsichtbar werden; es sei!“[<strong>GEJ</strong>.02_142,07] Im Augenblick verschwinden die Engel bis auf den einen, derRaphael hieß; und dieser ward bekleidet nach der Art, wie man in Genezarethbekleidet zu sein in der Gewohnheit hatte.[<strong>GEJ</strong>.02_142,08] Als die Jarah nun den Raphael also bekleidet ersieht, sagt sie:„So schon, – so gefällst du mir besser als früher in deiner himmlischen Glorie;denn also siehst du nun vollkommen einem Menschen gleich, und ich will dichrecht liebhaben, – nur fragt es sich, wer unterdessen deine großen Weltenleitungsgeschäfteübernehmen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_142,09] Sagt der Engel: „Sorge dich, du holdeste Tochter Gottes, nichtdarum; denn ich kann immer hier und dort überall sein, ohne daß du von meinerAbwesenheit etwas merken wirst, außer dann und wann einige Augenblicke.Das bleibt sich alles gleich. Übrigens werde ich mich zu dir zurück allzeit sehrbeeilen, denn du bist mir nun schon auch lieber denn alle meine zahllosenSonnen, von denen wir bei guter Gelegenheit noch mehrere miteinanderbesuchen werden. – Aber nun will der Herr die Brüder vom Schlafe wecken;darum müssen wir nun hübsch stille sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_142,10] Sagt die Jarah: „Ja, ja, ich folge ja gerne und bin schon ganzmäuschenstille!“143. — Die Jünger werden vom Schlaf erweckt[<strong>GEJ</strong>.02_143,01] Sage Ich zu Raphael: „Gehe und wecke Mir zuerst MeinenSimon Juda (Petrus)!“[<strong>GEJ</strong>.02_143,02] Raphael erweckt Petrus, und dieser sieht sich voll Staunensum und um und sagt nach einer Weile: „Habe ich denn im Ernste geschlafen?War mir's doch, als ob ich die ganze Nacht hindurch hellwach gewesen wäre!Aber nun sehe ich denn doch, daß ich sehr gut geschlafen habe; aber im Schlafe— 315 —


habe ich so wunderbare Träume gehabt, daß ich mich ähnlicher gar nicht entsinnenkann, sie je gehabt zu haben! Wahrlich, Herr, diese Träume können nichtleere Schäume gewesen sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_143,03] Sage Ich: „Sieh dich ein wenig um, – vielleicht entdeckst dumit dem Berge irgendeine Veränderung, von der es dir sicher auch geträumthat!“[<strong>GEJ</strong>.02_143,04] Petrus sieht sich gleich nach allen Seiten um und sagt: „OHerr, wahrlich, wahrlich, das habe ich im Traume gesehen, und – sieh da – nachallen Seiten hin ist der helle Traum vollkommen verwirklicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_143,05] Petrus wollte noch weiterreden, aber Ich sagte zu ihm: „Weckezuvor die andern Jünger, ehe du weiterredest!“ – Und Petrus tat das.[<strong>GEJ</strong>.02_143,06] Die Jünger erhoben sich vom Boden und verwunderten sichauch über und über, daß sie nun erst gewahr wurden, daß sie geschlafen hatten,während es ihnen in ihrer Seele vorkam, als wären sie die ganze Nacht hindurchvollkommen wach gewesen und hätten unerhörte Wunderdinge geschaut.[<strong>GEJ</strong>.02_143,07] Judas aber sagte: „Ich glaube noch immer nicht, daß ichgeschlafen habe! Habe ich doch mit dir, Simon Juda, das und jenes geredet, unddu wolltest mir nichts gelten lassen und sagtest auch zu mir: ,Alle diese Wunderwerden dich nicht schützen, an uns allen um wenige Silberstücke einen Verräterzu machen!‘, worüber ich ganz toll vor Zorn wurde und dich über eine Felswandhinab ins Meer stoßen wollte; aber da packte mich mein Thomas und riß michauf den Boden zurück! – Sage mir, Bruder Simon, weißt du davon im Ernstenichts?!“[<strong>GEJ</strong>.02_143,08] Sagt Petrus: „Keine Silbe! Ich weiß gar nicht, ob mir von diretwas geträumt hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_143,09] Sage Ich: „Seht euch ein wenig um, ob nicht so manches in derWirklichkeit sich gestaltet hat, was ihr im Traume gesehen habt!“[<strong>GEJ</strong>.02_143,10] Die Jünger begeben sich nun nach allen Seiten des Berges hin,und es erfolgt ein Staunen über Staunen, und Andreas sagt: „Wir haben nunbisher in der kurzen Zeit von einem halben Jahre des Wunderbaren so vielgesehen und vernommen, daß man nun kaum annehmen sollte, als könnte danoch irgend etwas möglich sein, sich noch als ein größeres Wunder darzustellen;und dennoch bleiben uns allen von neuem wieder alle Sinne starr, steif undstumm! Unsere Traumgesichte werden zur Wirklichkeit![<strong>GEJ</strong>.02_143,11] Ich sah den von der Jarah erwählten Engel, der zuerst allesWasser des Meeres in die Höhe hob und es in der freien Luft zu einemungeheuer großen Tropfen machte; und ich sah mit meinen Augen den staubtrockenenMeeresgrund und die schöne Perlenmuschel, die die Jarah zum Gedächtnissevom Boden hob und sie dann in ihrer Schürze verbarg, dann aber, wie derEngel, auf ein Verlangen der holdesten Gottestochter, diesen Berg nach allenSeiten hin leicht besteigbar formte, und das alles in einem schnellsten Augen-— 316 —


lick! – Und seht, das alles ist nun auch wirklich da![<strong>GEJ</strong>.02_143,12] Mit welchen Worten und reinen Taten sollen wir denn nununsern Herrn und Meister zu preisen beginnen? Wo ist denn der Engel, der inunsere Herzen glühende Gedanken legte, die auszusprechen wir Seiner würdigfänden? Oh, zu wie gar nichts werden wir nun vor Ihm, dem allmächtigen,ewigen Gott![<strong>GEJ</strong>.02_143,13] Unsere Väter bebten unter dem Sinai, als Er unter Blitz undDonner dem Moses auf dem flammenden Berge die heiligen Gesetze der Liebegab! Und als Moses vom Berge kam, da leuchtete sein Angesicht vor der göttlichenMajestät stärker denn des Mittags Sonne; und er mußte sich eine dreifacheDecke vor sein Angesicht hängen, damit das Volk sich ihm nahen konnte. Diegeheiligten Seher des Herrn weissagten noch lange nachher, so sie nach vorangegangenerVorbereitung auf eine kurze Zeit mit der Decke Mosis nur amHaupte bedeckt wurden, und wir staunen noch heutzutage über ihre hoheWeisheit! Und hier ist Der Selbst, der auf Sinai donnerte! Sinai ward zur Glutunter dem Tritte Seiner Füße, – und wir können in Seiner allmächtigsten Gegenwartkalt bleiben wie eine schlechte Winternacht?! Darum auf und eilendstenSchrittes zu Ihm hin; denn Er ist allein heilig über heilig! Ihm allein gehört alleEhre, aller Ruhm, alle Liebe und alle Anbetung!“[<strong>GEJ</strong>.02_143,14] Auf die Anrede des Andreas wurden alle Jünger bis auf Judas,der den Andreas einen überspannten Schwärmer nannte, voll liebeglühendenEifers, traten zu Mir hin und brachten Mir ein glühendes „Hosianna“ zumMorgengruße.144. — Eine Lobrede der Jarah[<strong>GEJ</strong>.02_144,01] Auf dieses laute Singen erwachten auch alle die andern nochSchlafenden und stimmten gleich beim Erwachen mit den Jüngern ein; und Ichließ allen Luft machen für ihre Herzen, und die Jarah umklammerte Meine Füßeund weinte vor übergroßer Freude und Seligkeit! Als sie bei einer halben Stundezu Meinen Füßen vor Seligkeit geweint und die Jünger ihren Morgengrußbeendet hatten, da richtete sich die Kleine auf und sagte mit einer bedeutungsvollenStimme: „O Erde, wann, wann wirst du wieder so glücklich sein, vondiesen Füßen betreten zu werden? Fühlst du, stumme Mutter der Laster, wohl,wer Der ist, der dich nun betritt? Nein, nein, du fühlst es nicht, du kannst esnicht fühlen; denn du bist zu tot und zu klein! Wie solltest du das fassen, was fürden unendlichen Raum und für alle die zahllosen Myriaden Wesen in ihm zuundenkbar groß und heilig ist!? Wo soll ich anfangen und wo enden, um SeineHerrlichkeit nur in einem Tautropfen zu besingen? Denn Er, Gott der Ewige, istes ja, der den Tautropfen so gut wie jene endlos großen Lichtwelten schuf! OHerr, o mein Gott, vernichte mich doch; denn nimmer erträgt mein Herz die zuglühende Liebe zu Dir![<strong>GEJ</strong>.02_144,02] Als ich Deine Herrlichkeit noch nicht kannte, da liebte ich— 317 —


Dich wie einen vollkommensten Menschen. Ich ahnte in Dir wohl den reingöttlichenGeist, und mein Herz liebte diesen heiligsten Geist in Dir unaussprechlich;aber dennoch dachte ich mir Dich als einen Sohn des Allerhöchsten! Aber nunhat alles eine andere Gestaltung angenommen! Du bist der Allerhöchste Selbst!Außer Dir gibt es keinen mehr! Vergib daher mir kleinstem Würmchen desStaubes, das da in seiner angestammten Blindheit gewagt hatte, Dich zu liebenwie einen Menschen!“[<strong>GEJ</strong>.02_144,03] Sage Ich: „Mein Kindchen, da gibt es nichts zu vergeben;bleibe du bei dieser Liebe! Denn Ich sage es nun euch allen: Wer Mich nichtliebt, wie du, Meine allerliebste Jarah, Mich geliebt hast und noch liebst, dessenLiebe wird von Mir als gar keine angesehen![<strong>GEJ</strong>.02_144,04] Wer Gott nicht liebt als den vollkommensten Menschen, derkann um desto weniger seinen Nächsten lieben, der ein noch höchst unvollkommenerMensch ist! So es aber geschrieben steht, daß Gott den Menschen nachSeinem Ebenmaße geschaffen hat, was sollte dann Gott anderes sein – so derMensch Sein Ebenmaß ist – als eben auch ein, aber ganz natürlich vollkommensterMensch!? Oder sehe Ich nun anders aus denn ein Mensch, weil du,Mein Kindchen, von Meiner Herrlichkeit ein paar kleinste Tröpfchen gesehenhast?“[<strong>GEJ</strong>.02_144,05] Sagt die Jarah: „O nein, Du siehst noch immer gleich aus, undin meinem Herzen ist es auch nicht anders geworden! Ja, ich möchte Dich schonlieber ganz im Herzen haben vor lauter Liebesdrang! Ich möchte Dich so kräftigumarmen, daß mir die Adern zerreißen könnten, und Dich dann nimmer auslassen;ja, ich möchte Dein Angesicht mit zahllosen Küssen bedecken und garnimmer aufhören, Dich zu küssen! Kurz, ich weiß gar nicht auszusprechen, wasich aus purer Liebe zu Dir alles tun möchte! Aber Du bist nun das allerheiligste,allerhöchste Gottwesen, und ich denke mir denn also in meinem Herzen, daß ichviel zu unwürdig bin, Dich also zu lieben, als wärest Du ein Mensch; aber ichkann mir nun schon denken, was ich kann und mag, so nimmt mein Herz daraufdennoch keine Rücksicht und liebt Dich nur noch heftiger denn zuvor!“[<strong>GEJ</strong>.02_144,06] Sage Ich: „Das ist schon recht also! Es folge deine Seele nurallzeit dem lautern Zuge des Herzens und fache darin eine rechte helle Flammean, so wird es in der ganzen Seele bald helle werden und der Geist Gottes wirdin ihr aufgehen wie eine Sonne, und in seinem Lichte und in seiner Lebenswärmewird erst die Saat Gottes aufgehen und die Seele versehen mit den Früchtendes Lebens für die Ewigkeit![<strong>GEJ</strong>.02_144,07] Aber es kann der Geist Gottes im Menschen nicht gewecktwerden anders denn durch die Liebe zu Gott, und aus solcher Liebe heraus inder Liebe zum Nächsten.[<strong>GEJ</strong>.02_144,08] Darum bleibe du nur gleichfort in deiner Liebe; denn diese istmehr wert für Mich und dich als alle Herrlichkeiten, die du mit deinen Augengeschaut hast!— 318 —


[<strong>GEJ</strong>.02_144,09] Aber nun wollen wir die andern auch vernehmen und unserzählen lassen, was diese Nacht auf sie für einen Eindruck gemacht hat.“145. — Die Realität des gemeinsamen Traumes[<strong>GEJ</strong>.02_145,01] Der Hauptmann fängt an, sich ganz behutsam vom Bodenaufzurichten und sagt: „Herr und Meister! Dir vor allem allen Dank, daß ichnoch lebe auf dieser Höhe! Wie leicht hätte ich bei einem dreimaligen Umdrehenhinab in die Tiefe stürzen können, und mit meinem armseligen Leben hättees für die Welt ein ewiges Ende genommen! Aber ich lebe noch und zwar aufderselben Stelle, an der ich gestern die Ruhe nahm, und das habe ich nur Dirallein zu danken und danke Dir darum auch aus aller Tiefe meines Herzens! Ichbitte Dich aber auch zugleich inbrünstigst, daß Du mich und alle andern vondieser schauderhaften Höhe wohlerhalten möchtest hinab nach Genezarethkommen lassen, und das sobald als möglich; denn solange ich mich noch mitdem Hinabsteigen in meinem Gemüte beschäftigen muß, kann bei mir voneinem guten Mute keine Rede sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_145,02] Sage Ich: „Hast du, lieber Freund, denn in dieser Nacht garnichts geträumt?“[<strong>GEJ</strong>.02_145,03] Sagt der Hauptmann: „Ja, ja, richtig, ja, – hätte vor lauterAngst beinahe den herrlichen Traum vergessen! Ja, wenn dieser Berg so wäre,wie ich ihn gestern im Traume gesehen habe, so wäre es freilich eine Freude, ihnnoch tausend Male zu besteigen; aber ein Traum bleibt ein Traum!“[<strong>GEJ</strong>.02_145,04] Sagt der neben ihm stehende Ebahl: „Mitnichten, Freund! Ichsage es dir, daß diesmal unser gleicher Traum die vollwahrste Realität angenommenhat. Stehe auf und gehe an der Spitze Ränder, und du wirst dich überzeugen,daß unser Berg sogar gegen die Meeresseite hin nun ganz sanft abfällt undallenthalben ohne die geringste Gefahr zu besteigen ist, hinab wie herauf! Ichhabe mich schon von allem überzeugt und sage dir die vollste Wahrheit. Kommund überzeuge dich selbst!“[<strong>GEJ</strong>.02_145,05] Sagt der Hauptmann: „Eine Gesichtstäuschung wird es etwadoch nicht sein?“[<strong>GEJ</strong>.02_145,06] Antwortet Ebahl: „So ich und meine Weiber und Kinder schonauf dieser Gesichtstäuschung nach allen Richtungen hin herumgegangen sind, dawird deine Gesichtstäuschung doch etwa irgendeinen festen Grund haben!?Gehe, erhebe dich vom Boden und überzeuge dich von allem selbst!“[<strong>GEJ</strong>.02_145,07] Auf diese Worte erhebt sich der Hauptmann endlich, sieht sichnach allen Seiten um, findet zuerst die Platte des Berges sehr erweitert und sagt:„Ja, ja, ich sehe im Ernste, daß da in der Nacht große Veränderungen allerwunderbarstvor sich gegangen sind; aber gehe du doch zuerst auf den neuen Boden,damit ich mich überzeuge, daß er wirklich fest ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_145,08] Sagt Ebahl: „Freund, ein so schätzbarer Mann du sonst auch— 319 —


ist, so wirst du mir aber infolge deiner beständigen Zweifelsucht schonzuwider! Gilt mein Wort bei dir denn gar nichts mehr? Wann doch habe ich zudir je ein unwahres Wort geredet, daß du mir nichts aufs Wort glauben willst?Komm her und prüfe selbst, und zweifle dann fürder nicht mehr!“[<strong>GEJ</strong>.02_145,09] Sagt der Hauptmann: „Ja Freund, ja, du hast recht! Ich werdemich selbst von allem überzeugen.“[<strong>GEJ</strong>.02_145,10] Hier bewegt sich der Hauptmann ganz ruhigen Schrittes anden Rand gegen Genezareth, und als er der sanften Abdachung des Bergesgewahr wird, so sagt er, sich dabei hoch wundernd: „Ja, da ist ja der ganze Bergauch übersetzt worden! Als ich gestern von diesem Rande nach Genezarethhinabschaute, da kam es mir so nahe vor, daß ich es mit einem Steinwurfe hätteerreichen müssen; und nun liegt es gut hundert Feldwege von hier, und wirwerden bei sechs Stunden zu gehen haben, bis wir unser liebes Städtchen erreichenwerden![<strong>GEJ</strong>.02_145,11] Nein, wer da noch einen Zweifel hat darüber, daß unser JesusGott und Mensch zugleich ist, dem kann auch kein Gott mehr helfen! Ja, duBruder Ebahl, du hattest vorhin ganz recht, als du mich einen dir widrigenZweifler nanntest; denn ich war es wirklich! Aber nun ist alles Zweifelns bei mirein Ende, und ich glaube und bekenne nun vor euch allen mit einem Eide, daßunser Meister und Heiland Jesus vollkommen ein Gott ist, und außer Ihm esewig keinen zweiten und dritten geben kann; denn weil das mir Geträumte wahrist, so wird auch alles andere vollends wahr sein! Und da ist Er der alleinigeGott und Herr über die ganze Unendlichkeit![<strong>GEJ</strong>.02_145,12] Aber nun gehen wir zur Jarah hin, – die muß uns ihre zweiGedächtniszeichen vorzeigen! Denn ich habe sie im Grunde des Meeres, als einHimmelsgeist das Wasser bis auf den letzten Tropfen heraushob, eine herrlichePerlenmuschel auflesen und in ihre Schürze stecken sehen, und ich sah auch denleuchtenden Stein, den sie aus einer Sonnenwelt mitnahm, in die sie derHimmelsgeist gebracht hatte. Sind die zwei erwähnten Stücke auch also leibhaftigvorhanden wie dieser erneuerte Berg, dann haben wir der Beweise mehr, alswir deren vonnöten haben!“146. — Jarah zeigt ihre Gedenkstücke[<strong>GEJ</strong>.02_146,01] Nach diesen Worten begeben sich der Hauptmann und derEbahl hin zur Jarah und ersuchen sie, daß sie ihnen die zwei bewußten Gedächtniszeichenvorweisen möchte.[<strong>GEJ</strong>.02_146,02] Und die allerliebste Jarah greift sogleich in den großen Sackihrer Schürze, geht den beiden entgegen und sagt: „Da sieh her, du mein lieberJulius, hier sind die beiden Gedächtniszeichen leibhaftig! Glaubst du's nun, undwirst du einmal aus deiner ewigen Furcht heraustreten?“[<strong>GEJ</strong>.02_146,03] Sagt der Hauptmann: „Ja, du meine allerliebste und allerzartesteJarah, mein Glaube steht nun fester denn dieser Berg, und meine lästige— 320 —


Furcht ist mit Hilfe des allmächtigen Herrn auch für immer dahin, – des kannstdu nun vollends versichert sein! Aber deine Gedächtniszeichen sind auch voneinem unschätzbaren irdischen Werte. Die Muschel samt ihrem Inhalte wiegtden Wert von ganz Jerusalem auf; denn sie enthält vierundzwanzig Perlen vonder Größe eines kleinen Hühnereies, von denen eine hunderttausend PfundeGoldes wert ist! Welchen Wert aber dieser höchst harte, durchsichtige undschöner denn der Morgenstern leuchtende Stein hat, dafür hat die Erde keinenMaßstab! Kurz, du bist nun nicht nur geistig, sondern auch irdisch das reichsteMädchen in der Welt! Wahrlich, du bist nun reicher denn alle Könige undKaiser der ganzen Welt zusammen! Wie kommt dir das nun vor?“[<strong>GEJ</strong>.02_146,04] Sagt die Jarah ganz bescheiden: „Das kommt mir gerade sovor, als hätte ich nichts; und diese zwei Gedenkzeichen haben für mich keinenandern Wert als allein den, für den ich sie genommen habe, nämlich als Erinnerungan die unbeschreiblichen Wundertaten Gottes an uns armen, schwachenund sündigen Bewohnern der Stadt und Gegend Genezareth.[<strong>GEJ</strong>.02_146,05] Der Herr wird nicht immer leiblich in unserer Mitte verbleiben,wie Er es mir schon gestern recht klar gesagt hat; aber diese Zeichenwerden uns allzeit lebendigst an Ihn in unseren Herzen erinnern und unsereLiebe zu Ihm von neuem anfachen! – Das ist meine Meinung.[<strong>GEJ</strong>.02_146,06] Aber der Herr hat mir noch ein Zeichen hinterlassen aus dieserWundernacht, die für mich eigentlich der allerhellste Tag war! Dieses Zeichenbleibt auch bei mir sichtbar und späterhin unsichtbar, bis es nach einer gewissenZeit, so ich mich dessen wert erhalten werde, mir wieder sichtbar werden wird.“[<strong>GEJ</strong>.02_146,07] Fragt der Vater Ebahl: „Nun, und wo hast du dieses Zeichen?Magst es uns nicht sehen lassen?“[<strong>GEJ</strong>.02_146,08] Sagt die Jarah, neben der sich der Engel Raphael befindet:„Da, bei mir da, steht es, wenn du nichts dagegen hast!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,09] Sagt Ebahl, der den Engel vom Kopfe bis zum Fuße mit seinenAugen betrachtet: „Das ist freilich ein noch köstlicheres Angedenken! Aber ichfürchte, daß du in diesen gar zu schönen Jüngling viel zu früh bis über dieAugen und Ohren verliebt wirst; und so er dir dann unsichtbar wird, da wirst dudann auch vor lauter Traurigkeit blind und taub werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,10] Sagt die Jarah: „O sorge du dich um etwas anderes! Wereinmal Gott den Herrn also liebt wie ich, für den sind auch alle Schönheiten derHimmel so gut, als wären sie gar nicht vorhanden! Ich aber habe den Jünglingauch sehr lieb; denn er ist sehr weise und überaus stark, mächtig undgeschwinde!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,11] Fragt der Hauptmann, sagend: „Wo ist er denn hergekommen?Ich weiß mich nicht zu erinnern, ihn je in Genezareth gesehen zu haben, unddoch ist er ganz nach der Weise dieses Ortes bekleidet! Ich bewundere seineüberaus reinen, zarten und dabei überaus weichen Züge! In seinem Wesen liegtein wahrer Zauber voll der höchsten Anmut! Wie zart, weich, rein und überaus— 321 —


wohlgestaltet nur seine Füße sind![<strong>GEJ</strong>.02_146,12] Das reine Beinkleid, bis zu den Knien reichend, das blendendweiße Hemd und das über seine Schultern nachlässig hängende, faltenreicheMäntelchen aus einem blauen Stoffe steht ihm aber auch so ausgezeichnet gut,daß man sich wahrlich nichts Geschmackvolleres denken kann, und das rundeHütchen auf seinem Haupte ziert seinen wunderschönsten Kopf schon auf eineWeise, die sich gar nicht beschreiben läßt! Wahrlich, diesem allerholdestenJünglinge könnte ich keine Bitte verweigern! Der könnte mir ein Kaisertumungestraft nehmen, wenn er mich dafür nur liebte![<strong>GEJ</strong>.02_146,13] Nein, je länger ich diesen Menschen betrachte, desto schönerund anziehender kommt er mir vor! Seine Eltern sind wahrlich glücklich zupreisen, solch einen Sohn zu besitzen, und du, meine allerliebste Jarah, kannstdich für solch ein Geschenk wohl für überselig preisen! Wäre noch ein solcherJunge irgend in der Welt zu haben, wahrlich, ich gäbe alle meine Schätze undgroßen Güter darum![<strong>GEJ</strong>.02_146,14] Aber was wirst du mit diesem schönsten Jünglinge nunmachen? Du bist zwar auch ein gar wunderschönes, liebes Mädchen; aber derJüngling übertrifft dich an Schönheit dennoch um vieles. Du gehst nun erst insdreizehnte Jahr, und der Jüngling wird sechzehn haben. So er dein Gemahl wird,nun, so lasse ich mir's wohl gefallen; bleibt er aber nur als ein Gespiele von dir,dann wird dein leicht zündbares Herzchen sicher bald in große Verlegenheitenkommen! Aber sage du uns dennoch, wozu du ihn verwenden wirst!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,15] Sagt die Jarah: „Ihr redet nach eurem Sinne, weil ihr den Geistnicht kennet! Dieser Jüngling wird bis in mein sechzehntes Jahr mein Beschützerund Führer sein und wird mich unterweisen in der Weisheit der HimmelGottes – und euch auch, so ihr ihn werdet hören wollen!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,16] Sagt der Hauptmann: „Nach deinem sechzehnten Jahre aberwird er dann wohl dein Gemahl werden?“[<strong>GEJ</strong>.02_146,17] Sagt die Jarah: „O du mein lieber Julius, das war einmalwieder eine Frage von dir, für die ich dir keine Verbeugung machen kann! Habeich dir denn nicht schon gleich anfangs gesagt, daß dieser Jüngling nach meinemsechzehnten Jahre mich verlassen wird auf eine Zeitlang, wie es der Herrbestimmt hat, was mir auch nichts machen wird; denn mein Herz gehörtvollkommen dem Herrn, der mir bleibet ewiglich! Ist aber mein Herz ein EigentumGottes, so kann es nicht auch dabei das Eigentum eines andern werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,18] Sagt Ebahl: „Ja, ja, meine allerliebste Tochter, du hast wohlnun ganz recht! Aber deine Jahre sind noch nicht da; wenn sie aber kommenwerden, dann wirst du mit deinem Fleische in starke Kämpfe geraten! Wohl dir,so du ihrer Meisterin wirst!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,19] Sagt dazu auch der Hauptmann: „Ja, ja, der Vater hat recht!Du bist nun noch nur ein Kind, und es brennt schon in deinem Herzchen wie ineinem Kalkofen! Jetzt hat es nach seinem Verlangen freilich das Höchste und— 322 —


kann sich nach nichts Geringerem mehr sehnen; aber wenn dieses Höchste sich,um dich auf eine nötige Selbstprobe zu stellen, von deinem Herzen zurückziehenwird, dann wird dein Herz liebehungrig werden! Und wird es lange der höchstenSpeise entbehren, dann wird es bald nach anderen Gegenständen seine langenArme auszustrecken beginnen, um sich zu sättigen! Denn wie da auch schmerzlichist der Hunger des Magens, so ist aber der Liebehunger dennoch umtausendmal schmerzlicher.[<strong>GEJ</strong>.02_146,20] Nehmen wir nur einen Feldherrn, der ein liebloser Tyrannseiner Untergebenen ist! Alle werden sich in einem verzweifelten Zustandebefinden, und wo sie für ihn in den Kampf gehen sollen, da werden sie sich demFeinde ergeben, um sich dadurch ihres lieblosen Herrn zu entledigen. Zeigt aberein weiser Feldherr, daß er seine Untergebenen liebt wie ein Vater seine Kinder,dann mag ein Feind kommen, und sie werden sich mit allem Mute und mit dergrößten Selbstverleugnung für ihren geliebten Feldherrn bis auf den letztenBlutstropfen schlagen und werden den Feind vernichten![<strong>GEJ</strong>.02_146,21] Ja, du meine allerliebste Jarah, die Liebe ist ein gar mächtigDing, und das bedarf stets einer weisen Leitung, so es sich am Ende nicht selbstaufzehren soll!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,22] Sagt nach einer Weile die Jarah, nachdenkend: „Ja, ja, dumagst da nicht ganz unrecht haben; aber das muß man aber ja beim Herrn dochannehmen, daß Er kein tyrannischer Feldherr über ein Ihn über alles liebendesHerz sein wird!?“[<strong>GEJ</strong>.02_146,23] Sagt Julius: „Das eben nicht! Aber – wie ich mich erinnere,was Er geredet hat die heutige Nacht mit dir – Er ist und bleibt Gott, dem sichder menschliche Geist erst dann vollkommen nähern kann, wenn er sich den ihmverliehenen Kräften zufolge selbst gestaltet, gebildet und gefestet hat, währendwelcher Selbstbildungsperiode er von Ihm ganz unbeachtet gelassen wird! Wennaber also, dann ist Gott in solch einer Periode ein notwendiger Tyrann mitverbundenen Augen und fest verstopften Ohren! Und wird bei dir solche dir vonIhm Selbst angekündigte Periode kommen, dann, meine allerliebste Jarah,werden wir darüber weiterreden!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,24] Sagt die Jarah: „Ich vertraue und glaube fest, daß Er michauch dann nicht völlig verlassen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_146,25] Sagt der Hauptmann: „Das wird Er wohl kaum, weil du schonviel vor uns allen voraus hast; aber du wirst bei deiner großen Liebe zu Ihmauch eine kleine und kurz dauernde Verlassung weltengroß und schwer fühlen!– Aber nun gehen wir hin zu Ihm; denn Er scheint etwas vorzuhaben!“147. — Der Gläubigen Verkehr mit dem Herrn im Herzen[<strong>GEJ</strong>.02_147,01] Die drei begeben sich nun zu Mir, und der Hauptmann fragtMich: „Herr, was soll nun geschehen? Wie es mir vorkommt, so hast Du etwasvor!?“— 323 —


[<strong>GEJ</strong>.02_147,02] Sage Ich: „Siehst du denn nicht die herrliche Morgenröte!? –Habet nun alle acht, denn da werdet ihr den schönsten Aufgang der Sonnesehen! Es ist zwar nur der Aufgang der Natursonne; aber er hat dennoch einetiefe geistige Bedeutung, die euch klar werden soll! Denn da begegnet einAufgang dem andern!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,03] Fragt Petrus: „Herr, wie sollen wir das deuten?“[<strong>GEJ</strong>.02_147,04] Sage Ich: „Oh, wie lange werde Ich euch noch zu ertragenhaben! Wir sind nun schon eine geraume Zeit beisammen, und du merkst esnoch nicht, daß durch Mich eurer Seele eine Sonne aus den Himmeln aufgegangenist und noch immer von Tag zu Tag weiter aufgehet?!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,05] Sagt Petrus: „Herr, sei darum nicht ungehalten; Du weißt es ja,daß wir ganz einfache Menschen sind, die es übers nötigste Lesen und ein wenigSchreiben hinaus nie gebracht haben! Hätten wir Dich verstanden, so wäre eineFrage wohl als ein Mutwille zu schelten; aber wir verstanden Deinen Spruchnicht und haben Dich darum gefragt.“[<strong>GEJ</strong>.02_147,06] Sage Ich: „Das ist ganz gut und recht, so man es nicht weiß,daß man mit Mir sich auch im Herzen still besprechen kann; weiß man aber das,so ist nicht die Frage selbst, sondern die unkluge Art zu fragen ein Fehler, undnur den will Ich an euch gerügt haben. Sehet dort die beiden Essäer und dieetlichen Pharisäer, wie sie nun über euch große Augen machen, daß ihr Mich umetwas laut habet fragen mögen, indem ihr als ihre Meister doch wissen solltet,daß Ich jedem Fragenden auch im Herzen still die vollste Antwort zu gebenvermag![<strong>GEJ</strong>.02_147,07] Es ist bei euch zwar wohl auch nicht Unkunde oder Eigensinnschuld daran, sondern eure alte Gewohnheit; aber nehmet euch dennoch für dieFolge mehr zusammen, auf daß die Menschen erkennen mögen, daß ihrwahrhaft Meine Jünger seid, und ihr vor der Welt nicht die Achtung verlieret,die euch für euer neues Amt vor allem not tut.[<strong>GEJ</strong>.02_147,08] Gehet aber nun hin zu euren Jüngern und belehret sie darob,sonst werden sie euch zu fragen anfangen, um was und warum ihr Mich lautgefragt habt!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,09] Sagt Petrus: „Herr, so dürfen wir nimmer ein lautes Wort mitDir wechseln?“[<strong>GEJ</strong>.02_147,10] Sage Ich: „O ja, aber nur alles zur rechten Zeit und wann Iches euch anzeige! – Aber nun geht und tut, was Ich euch geboten habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,11] Darauf gehen die Jünger hin zu den zwei Essäern und denetlichen Pharisäern und sagen zu ihnen: „Es wundere euch nicht, daß auch wirnoch manchmal laut den Herrn ums eine oder andere fragen; denn auch wir sindnoch Menschen und hängen dann und wann an alten Gewohnheiten!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,12] Und die beiden Essäer sagen: „Wir haben es uns auch alsogedacht; denn wir haben nach eurer Lehre in unsern Herzen den Herrn über das— 324 —


gleiche befragt, und es ward uns im Augenblick die hellste Antwort ins Herzgelegt. Es kam uns darum eben etwas seltsam vor, daß ihr laut gefragt habt.Aber wie gesagt, wir haben es uns gleich gedacht, daß bei euch so etwas öfternoch aus purer alter Gewohnheit geschehen kann, und stellten uns aber auchgleich völlig zufrieden; denn wir haben in dieser Nacht doch so merkwürdigeTraumgesichte gehabt, wie wir uns ähnlicher nie entsinnen können, sie je gehabtzu haben. Und was dabei das Wunderbarste ist: ein jeder von uns hat auf einHaar dasselbe geträumt, und alles, was wir in dem merkwürdigsten Traumesahen, verwirklicht sich nun am schon hellen Tage! Nein, so etwas ist noch niedagewesen![<strong>GEJ</strong>.02_147,13] Nun glauben es auch wir fest, daß dieser Nazaräer mehr dennallein ein vollkommenster Mensch ist. Er ist dem Leibe nach wohl ein Menschwie unsereiner, aber in Seinen Eingeweiden und in Seinem Herzen wohnt alleFülle der göttlichen Kraft und Macht, der die ganze Unendlichkeit gehorcht! –Aber nun richten wir nach Seinem Worte unsere Augen nach dem Aufgange, umWunder zu schauen!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,14] Sagt Petrus: „Ob gerade da ein besonderes Wunder zu ersehensein wird, wissen wir kaum; aber wie uns schon jetzt die mit rotem Lichteumsäumten Wölkchen am fernen Horizonte verkünden, werden wir von dieserHöhe das schönste Schauspiel der Schöpfung Gottes erleben und werden darausdie Lehre nehmen können, wie ein gleicher Aufgang unserer Seele zuteil gewordenist und bleiben wird ewig!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,15] Sagt einer der Essäer: „Jawohl, ein Aufgang nicht nur uns,sondern der ganzen Erde, ja der ganzen Unendlichkeit! Denn es scheint uns, daßdiese Menschwerdung des allerhöchsten Gottgeistes nicht bloß dieser Erde undihrer Kreatur, sondern der ganzen Unendlichkeit gilt![<strong>GEJ</strong>.02_147,16] Daß der göttliche Geist sich besonders diese Erde erwählt hat,ist freilich ein etwas unergründliches Ding für unsern Geist, da Er – wie wir nunwissen – zahllose Myriaden der großherrlichsten Lichtwelten hat, auf denen Ermit Sich Selbst die eigene Menschwerdung hätte vornehmen können; aber Erwird es am besten wissen, warum Er gerade die Erde gewählt hat![<strong>GEJ</strong>.02_147,17] Früher, als wir noch der Meinung waren, daß diese Erde dieeinzige Welt im ganzen Universum sei, da wäre die Sache recht gut begreiflichgewesen; denn da wäre nach dem Naturgange der Dinge nichts anderes übriggeblieben.Diese Erde war die einzige, nach unsern Begriffen endlos große Welt,deren Wässer an die des Firmamentes reicheten, und wir glaubten, daß dieSonne, der Mond und die Sterne bloß darum da wären, um mit ihrem Lichtediese Welt zu erleuchten! Aber nun hat auf einmal alles ein ganz anderesGesicht bekommen; wir wissen nun, was all die Sterne, der Mond und die Sonnesind, und wir wissen, wie klein unsere Erde gegen eine Sonnenerde ist.[<strong>GEJ</strong>.02_147,18] Nun läßt sich's denn wohl fragen und sagen: ,Wie kam diesesSandkörnchen, Erde genannt, zu dieser Gnade?‘ Wahrlich, diese Frage wirddereinst noch eine sehr gewichtige werden und wird vielen zu einem gewaltigen— 325 —


Anstoße werden! Darum wäre es wohl nach unserer Meinung nicht ganzüberflüssig, auch über diesen Punkt eine genügende Aufhellung zu bekommen!– Was meint ihr, dürften wir Ihn darüber befragen?“[<strong>GEJ</strong>.02_147,19] Sagt Petrus: „Versuchet es in eurem Herzen! Kommt eineAntwort, so wird es wohl und gut sein, und kommt darauf keine weitere Antwortzum Vorscheine, dann ist es ein Zeichen, daß wir für solch eine Belehrung nochnicht reif genug sind! – Aber nun sehet hin, die Sonne ist dem Aufgange schonsehr nahe; denn die Wölkchen des Morgens leuchten schon so stark, daß man siekaum mehr anblicken kann!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,20] Sagt der Essäer: „Ja wahrlich! Oh, das ist ein unbeschreiblichherrlicher Anblick! Aber merket ihr es nicht, wie dort über den Wolken sichetwas bewegt? Es sieht beinahe so aus, als ob eben über den Wölkchen sichSterne von besonderem Glanze hin und her bewegten! Was mag das doch sein?“[<strong>GEJ</strong>.02_147,21] Sagt Petrus: „Was es eigentlich ist, das wird wohl nur der Herrallein wissen; aber wir Fischer nennen solche eben nicht selten vorkommendenErscheinungen ,Morgenfischlein‘. Wenn diese zu sehen sind, dann läßt sich gutfischen im Wasser, und es kommt gen Abend hin sicher ein Wetter oder zumwenigsten ein starker Sturmwind. Obschon ich im Ernste gestehen muß, daß ichselbst dergleichen Fischlein in solcher Frische und Lebhaftigkeit noch nichtgesehen habe, so ist mir aber dennoch diese Erscheinung nicht fremd; nur läßtsich hier vielleicht, von dieser Höhe aus, diese Erscheinung besser ausnehmenals unten von der Tiefe!“[<strong>GEJ</strong>.02_147,22] Sagt der Essäer: „Wißt ihr was, – gehen wir näher zum Herrnhin! Ich sehe, daß Er mit Ebahl und dessen Kindern spricht. Dort wird wiedervieles enthüllt werden; das müssen wir hören!“148. — Naturbetrachtungen und ihre geistige Entsprechung[<strong>GEJ</strong>.02_148,01] Auf diesen Antrag des Essäers kommen alle mehr in MeineNähe, und Ich berufe die beiden Essäer und sage, daß sie nun auf alles wohl achthaben sollen, was da beim Aufgange zu sehen sein werde; denn es werde darausviel zu lernen sein![<strong>GEJ</strong>.02_148,02] Die beiden Essäer treten nun näher zu Mir und sagen: „Herr,Herr, daß daraus endlos viel zu lernen wäre, das dürfte wohl eine ewigeWahrheit sein; aber wo ist unsere Seele einer so hohen Lehre fähig?! Wir sehenwohl mit lüsternen Augen in die lichtvollen Tiefen Deiner Wunderschöpfungenund erstaunen über die Maßen in unserem Gemüte; aber wir sind viel zu blind,nur die Wunder eines Tautröpfchens zu würdigen und zu begreifen, geschweigedann erst die, die in unmeßbaren Größen und Fernen leuchtend vor uns amFirmamente auf- und niedergehen! Auch über die über den Wölkchen hin- undherschwebenden Lichtpunkte haben wir schon mit dem Jünger Petrus geredet;aber er konnte uns darüber keinen genügenden Bescheid geben. – Wenn es Dir,o Herr, genehm wäre, so könntest Du uns darüber wohl ein paar Wörtlein— 326 —


kundtun!“[<strong>GEJ</strong>.02_148,03] Sage Ich: „Das hat sehr wenig zu bedeuten und ist eine ganznatürliche Erscheinung, gleich der eines mäßig wogenden Meeres. So das Meerwogt und du dich auf irgendeinem rechten Punkte befindest, nach dem diegebrochenen Sonnenstrahlen hinfallen, so wirst du dort ein ähnliches Lichtspielsehen.[<strong>GEJ</strong>.02_148,04] Die Luft, die zum Einatmen für Menschen und Tiere tauglichist, reicht nicht etwa bis zu den Sternen hin, sondern im äußersten Hochstandenur so weit über die Erde, als da ausmachete die vierfache Höhe dieses Berges,vom Meere an gerechnet; nach solcher Höhe ist dann die Erdluft scharfbegrenzt, so wie das Wasser von der Luft, und hat gleich dem Wasser einehöchst glänzende, glatte Oberfläche, die gleich dem Meere sich in einem beständigenWogen befindet.[<strong>GEJ</strong>.02_148,05] Wenn nun das Licht der Sonne auf diese erwähnten Luftwogenfällt, so strahlt es wie aus einem Wasserspiegel zurück; gehen die Luftwogenstark, so werfen sie das aufgenommene Licht dann und wann auch zur Erdeherab, und am leichtesten, wenn scheinbar die Sonne sich noch unter demHorizonte befindet, wo ihre Strahlen gewisserart von unten her auf die Flächedes Luftmeeres fallen. Und so sind diese munter hin und her schwebendenLichter nichts als Widerscheine der Sonne, und ihre Beweglichkeit rührt von derBeweglichkeit der Wogen der Luft her.[<strong>GEJ</strong>.02_148,06] Daß sie aber jetzt, wo die Sonne kaum noch eine scheinbareSpanne unter dem Horizonte steht, besonders über den sehr lichten Wölkchen zusehen sind, hat darin seinen Grund, daß die Luftwogen nun mehr das Licht vonden von der Sonne schon stark beleuchteten Wölkchen aufnehmen und mitdemselben gewisserart ein tändelndes Spiel treiben. – Seht, das ist die ganznatürliche Erklärung dieser Erscheinung![<strong>GEJ</strong>.02_148,07] Aber über all das hat diese Erscheinung auch eine geistigeBedeutung, und diese ist für euren Verstand begreiflich folgende:[<strong>GEJ</strong>.02_148,08] Denkt und stellet euch also die geistige Sonne vor! Das von ihrausgehende Licht wird von der stets wogenden Fläche des geschaffenen Lebensmeeresaufgenommen, und dieses spielt mit solchem Lichte, und es entstehendaraus allerlei Zerrbilder, die wohl noch den matten Glanz von sich strahlenlassen, aber dabei jede Spur der göttlichen Urform zerstören; also ist das ganzeHeidentum und nun auch das Judentum ein solches Verzerren alles rein Göttlichen.[<strong>GEJ</strong>.02_148,09] Wenn ihr aber sehet einen ganz ruhigen Wasserspiegel, und esscheint die Sonne darein, so wird sie aus dem Wasserspiegel in derselbenMajestät und Wahrheit widerstrahlen, als wie ihr sie sehet am Himmel. Undebenso gehört ein ruhiges, leidenschaftsfreies Gemüt, das nur durch eine gänzlicheSelbstverleugnung, Demut, Geduld und reinste Liebe erreicht werden kann,dazu, damit das Ebenmaß Gottes im Geiste des Menschen ebenso rein und wahr— 327 —


widerstrahle wie die Erdsonne aus einem ruhigsten Wasserspiegel.[<strong>GEJ</strong>.02_148,10] Ist das bei einem Menschen der Fall, so ist in ihm alles zurWahrheit gediehen, und seine Seele ist dann fähig, ihren Blick in die Tiefen derSchöpfungen Gottes zu richten und alles schauen zu können in aller Fülle derreinsten Wahrheit. Aber sowie es in ihr zu wogen anfängt, so werden die Urbilderzerstört, und die Seele befindet sich dann schon notwendig auf dem Feldedes Truges und der Täuschungen aller Art und Gattung und kann nicht zurreinen Anschauung gelangen, bis nicht in ihr die völlige Ruhe in Gott eingetretenist.[<strong>GEJ</strong>.02_148,11] Und das ist die wahre Sabbatruhe in Gott, und die Feier desSabbats ist darum von Gott verordnet worden. Der Mensch soll sich da von jederschweren, anstrengenden Arbeit enthalten, weil jede schwere Arbeit die Seelenötigt, dem Fleische ihre Kräfte zu leihen, und dabei mit demselben erregt wird,was den Spiegel ihres Lebenswassers in eine starke Bewegung versetzt, daß siedarum die rein göttliche Wahrheit in sich nimmer klar erkennen kann.[<strong>GEJ</strong>.02_148,12] Die wahre Sabbatruhe besteht demnach in einer vernünftigenFeier von aller schweren Arbeit; ohne Not soll man nicht die Hand an sie legen,aber in der Not ist jeder Mensch verpflichtet, seinem Bruder zu helfen.[<strong>GEJ</strong>.02_148,13] Mehr aber noch, als sich von aller schweren Arbeit enthalten,soll eine jede Seele jede Leidenschaft zur Seite schaffen! Denn die Leidenschaftensind Stürme der Seele; sie wühlen ihr Lebenswasser auf, und GottesEbenmaß wird dann in der Seele also zerrissen, wie das Ebenmaß der Sonne aufden Wogen des Meeres zerrissen wird. Es blitzt wohl das Bild der Sonne ausden Wogen, aber in welcher Verzerrtheit! Und so der Sturm lange währt, soentsteigen dem bewegten Meere bald schwere Dünste und füllen die Himmelsluftder Seele mit schweren Wolken; diese hindern dann das Licht der Geistessonnevöllig, an das Lebensgewässer der Seele zu gelangen, – und die Seelewird finster, kann nicht mehr unterscheiden Wahres vom Falschen und hält dasBlendwerk der Hölle für ein Himmelslicht.[<strong>GEJ</strong>.02_148,14] Eine solche Seele ist dann aber auch schon soviel wie verloren!Es müßten denn starke Winde kommen, das heißt starke Prüfungen vonoben, daß durch sie zerrissen würde das arge Gewölke der Seele, diese sich dannsogleich begäbe in die wahre Sabbatruhe und dadurch zur Ruhe brächte ihrLebensmeer, – ansonst ist für sie keine Rettung![<strong>GEJ</strong>.02_148,15] Seht, das ist der für jedermann brauchbare Sinn geistig, denuns dieser schöne Sonnenaufgang in seinen sonst ganz natürlichen Erscheinungenzeigt! Wer ihn an sich beachten wird, der wird in der Wahrheit und in allemLichte verbleiben, und das ewige Leben wird sein Anteil sein; wer aber dieseLehre in den Wind schlagen und sie nicht beachten wird, der wird sterben fürewig!“— 328 —


149. — Betrachtung des Sonnenaufgangs und der Morgenerscheinungen[<strong>GEJ</strong>.02_149,01] (Der Herr:) „Nun aber gebet weiter acht! Die Sonne strecktgerade ihre Scheibe, besser ihre westlichste Kugelfläche, über den Horizont; wasbemerket ihr nun?“[<strong>GEJ</strong>.02_149,02] Sagen die Essäer: „Sonst wohl nichts als die lichte Fläche, diebedeutend schnell aus der lichten Tiefe heraussteigt; das Lichtfischleinspiel hatsich nun plötzlich verloren, und die Wölkchen werden dünner und verlieren sichebenfalls eins nach dem andern. Und nun steht schon die ganze Scheibe oderKugel über dem Horizonte, und nun kommt auch ein ziemlich kühles Lüftchenvom Morgen her zu uns. Das ist aber auch alles, was wir entdecken.“[<strong>GEJ</strong>.02_149,03] Sage Ich: „Wendet eure Augen auch in die Ebenen und Tälerder Erde hinab und saget, was ihr da sehet!“[<strong>GEJ</strong>.02_149,04] Die beiden Essäer beschauen die Tiefen der Erde und sagendarauf: „Wir sehen die Täler angefüllt mit graulichten Nebeln, auch des MeeresFläche ist mit einem graulichten Dunste überzogen; aus den Tälern aber hebtsich der Nebel und bedeckt hie und da schon die niederen Hügel. – Soll etwa dasalles auch irgendeine geistige Bedeutung haben?“[<strong>GEJ</strong>.02_149,05] Sage Ich: „Ganz sicher, umsonst und ohne geistige Anregunggeschieht nichts auf der Erde! Wir aber wollen nun sehen, welch eine Bedeutungdas hat![<strong>GEJ</strong>.02_149,06] Die Sonne entspricht völlig dem Wesen Gottes; die Erde mitihren Tälern, Flächen, Hügeln, Bergen, Flüssen, Strömen, Seen und Meeresflächenaber entspricht völlig dem Außenmenschen.[<strong>GEJ</strong>.02_149,07] Die Nebel, die sich zwischen die Sonne und die Erde stellen,entsprechen den mannigfachen leeren und kleinlichen Sorgen der Menschen,durch die das Licht der Sonne nur hie und da spärlich durchbrechen kann, unddie Nebel steigen aufwärts und bedecken sogar die Berge; die Hügel und Bergeaber entsprechen der besseren Einsicht der Menschen auf dieser Erde. Diesebessere Einsicht wird ebenfalls getrübt durch die kleinlichen und nichtigenSorgen der halbblinden Menschen.[<strong>GEJ</strong>.02_149,08] Darum kommen aber nun Morgenwinde und treiben die Nebelvon den Bergen und Feldern, auf daß sie zunichte werden und die Berge undFelder von der Sonne frei beleuchtet und erwärmt werden können, auf daß ihreFrüchte des Lebens zur Reife gelangen mögen. – Ich meine, diese Entsprechungwerdet ihr wohl verstehen!?“[<strong>GEJ</strong>.02_149,09] Sagen die beiden Essäer: „Ja Herr, die ist klar wie die Sonnedort! Oh, welch eine Herrlichkeit in dieser großen heiligsten Lehre! Oh, wasalles wissen doch die Menschen nicht, das sie doch so wissen sollten, als siewissen, daß sie leben! Herr, die uns nun gegebene Lehre von der wahren Sabbatruhein Dir soll unsere Sache sein, sie einzuführen bei den Menschen. Dieseübertrifft alles bisher Gesagte und von Dir Gelehrte; denn wir sehen in allen— 329 —


vorhergehenden Lehren nur eine Vorbereitung zur leichteren Beachtung dieserheiligsten Lehre! Wahrlich, dazu mußten sich auch alle Himmel auftun, auf daßden Menschen wiedergegeben werde diese heiligste Lehre der Lehren! – Abernun kommt eine ganz andere Frage, und das an uns![<strong>GEJ</strong>.02_149,10] Wie sollen wir Dir, o Herr, aber denn würdig danken für dieserein überhimmlische Lehre? Wir fühlen in der tiefsten Tiefe unseres Herzens,daß wir ihrer eigentlich gar nicht wert sind; Deine alleinige Gnade und Liebenur konnte sie uns geben! O Herr, gib uns doch ein Gebot, wie wir Dich darumloben und preisen sollen!“[<strong>GEJ</strong>.02_149,11] Sage Ich, beiden Essäern Meine Hände auf die Achselnlegend: „Meine lieben Freunde, tut danach, und ihr werdet Mir dadurch einenicht mindere Freude machen, als Ich sie euch nun gemacht habe! Und euerLohn wird kein geringer sein, so ihr auch die andern Menschen dazu bewegenwerdet.“150. — Die Essäer werden vom Herrn beauftragt, Schulhäuser zu erbauen[<strong>GEJ</strong>.02_150,01] (Der Herr:) „Errichtet danach eine Schule und lehret dieJünger die Feier des Sabbats halten, und haltet sie selbst an jedem Tage ein paarStunden hindurch, und ihr werdet alsbald die große Segnung dafür in euchwahrzunehmen beginnen![<strong>GEJ</strong>.02_150,02] So ihr aber eine Schule errichtet und erbauet dafür ein großesHaus, so sollen dessen Mauern frei sein von jeglicher Sperre und von jeglichemSchlosse! Werdet wahre Freimaurer eurer Schulhäuser, und der ProphetenSchulen wird euer neues Werk sein; aber es sei eure Hauptsorge dahin gerichtet,daß ihr alle Meine Lehre, die schon gegeben ward und noch gegeben wird, treubewahret und nicht, gleich den Pharisäern und Ältesten, darunter menget eureSatzungen! Eure gegenwärtigen Satzungen müssen vom Grunde ausgereutetwerden, und Mein Wort muß vollauf an deren Stelle kommen, und das in derfreien Tat, ansonst Mein Geist nicht wirken könnte nach der Verheißung, dieden Menschen gegeben ward durch den Mund der Propheten!“[<strong>GEJ</strong>.02_150,03] Die Essäer danken nun für diese Belehrung und versprechen esMir mit allem Ernste, daß sie das alles buchstäblich beachten werden; nurmöchte Ich ihnen dafür stets den gerechten Schutz und die hinreichende Kraftverleihen, alles dieses rein göttliche nicht nur für sich, sondern für viele andereMenschen, die es danach dürsten wird, ins ersprießliche, für alle Zeiten heilsameWerk zu setzen![<strong>GEJ</strong>.02_150,04] Sage Ich: „An Mir wird es nie fehlen; aber sehet nur ihrdarauf, daß unter euch in der Folge keine Rangstreitigkeiten entstehen! DerErfahrenste von euch sei wohl der Leiter und Führer eurer Sache; aber er bildesich darum nie ein, mehr zu sein, als da ist einer der Geringsten unter euch!Aber damit sei gar nicht gesagt und gemeint, daß die Schwächeren ihm darumdie gebührende Achtung versagen sollen. Er werde geliebt und geachtet, und— 330 —


sein Rat werde von allen befolgt also, als wäre er ein Gesetz; wehe dem, der sichvergriffe an ihm! Wahrlich, der soll von Mir mit zornigen Augen angesehenwerden![<strong>GEJ</strong>.02_150,05] So ihr aber erwählet einen Vorsteher und Leiter eurer Sache,so betet und prüfet, daß nicht einem Unwürdigen das Amt verliehen werde; dennein schlechter, unkluger Leiter ist einer Gesellschaft das, was ein schlechterHirte ist seiner Herde. So er sieht den Wolf kommen, da ergreift er zuerst dieFlucht, und die Schafe überläßt er dem Wolfe, oder er wird am Ende selbst zueinem Wolfe und also zum Würger seiner Lämmer geistig, wie es nun die Pharisäerund ihre Hohenpriester sind. Sie gehen in Schafskleidern einher, aberinwendig sind sie reißende Wölfe! Sie geben kaum den Mücken eine Nahrung;aber was sie für eine Mücke gaben, dafür verlangen sie ein ganzes Kamel![<strong>GEJ</strong>.02_150,06] Darum werdet nicht denen gleich! Sie wohnen in Gemächernvon Steinen gemauert, die stets also wohl verwahrt und versperrt sind, daß janiemand zu ihnen kommen kann und auch nicht kommen darf, auf daß janiemand käme hinter ihre Betrügereien; und würde auch ein Mutiger es wagen,in ein solches Templergemach einzudringen, so würde er als ein Schänder desHeiligtums erklärt und gleich darauf gesteinigt![<strong>GEJ</strong>.02_150,07] Darum sagte Ich zu euch, daß ihr eure Schulhäuser frei undoffen erbauen sollet, auf daß jedermann aus- und eingehen kann, so er will!Jedes Geheimnis schwinde aus eurer Schule! Wer da will, den weihet ein,insoweit er es fassen kann; denn Ich verkaufe euch in Meiner Lehre keine Katzeim Sacke, – Ich sage euch alles offen und klar und tue mit nichts geheim, außer,wo es die Klugheit fordert zum Wohle jedes Menschen. Darum seid auch ihroffen gegen jedermann, bei dem ihr einen guten Willen sehen werdet! Aberdennoch seid dabei auch klug; denn so weit braucht die Offenheit nicht zugehen, daß man den Schweinen zum Fraße vorwürfe die edlen und kostbarenPerlen![<strong>GEJ</strong>.02_150,08] Ich Selbst hätte euch allen noch gar vieles zu sagen; allein ihrwürdet es jetzt noch nicht fassen und ertragen. Aber wenn der Geist der vollenWahrheit in euch wach werden wird, so wird er euch selbst in alle Weisheitleiten; und dieser Geist ist das göttliche Ebenmaß in euren Herzen, und ihr selbstwerdet ihn in euch erwecken durch die rechte Sabbatfeier. – Saget, ob ihr dasalles nun begriffen habt?!“[<strong>GEJ</strong>.02_150,09] Sagen die Essäer, ganz zerknirschten Herzens: „Ja, Herr! Wersollte Deine heiligen Worte nicht verstehen? Das sind ja nicht Worte gleichdenen eines Menschen! Deine Worte sind ja alle wesenhaft, sie sind durchausLicht, Wärme und Leben! So Du, o Herr, sprichst, so fühlen wir in uns einwesenhaftes Werden, so, daß es uns vorkommt: mit jedem Worte aus DeinemMunde entsteht irgendeine unermeßlich große, neue Schöpfung, – und wirfühlen in uns ein unendliches neues Werden![<strong>GEJ</strong>.02_150,10] Wir verstehen aber dennoch den für uns nötigen Sinn Deinerheiligsten Worte, obschon zu deren endlicher Wirkung wir ewig nie gelangen— 331 —


werden; denn wir fühlen es und empfinden es lebendig in uns, daß Deine hierausgesprochenen Worte nicht nur uns, sondern der ganzen ewigen Unendlichkeitgelten! – O, so jauchze denn, du Erde, die du aus den zahllosen Welten erkorenwarst, daß der Herr der Ewigkeit mit Seinen Füßen deinen Boden betritt undSeine heiligste Stimme in deiner Luft ertönt! – O Herr, wie viele Wesen werdendoch aus jedem Deiner Worte und aus jedem Hauche Deines Mundes!? Oh, laßDich von uns loben, lieben, preisen und anbeten; denn Dir allein gebührt allesdas!“151. — Das gesegnete Frühstück auf dem Berge[<strong>GEJ</strong>.02_151,01] Sage Ich: „Gut, gut, Meine lieben Freunde und Brüder! Wirwollen nun nach diesem Seelenmorgenmahle auch um eines für den Leib unsumsehen! – Ebahl, hast du noch etwas Vorrat?“[<strong>GEJ</strong>.02_151,02] Sagt Ebahl: „Herr, es ist wohl noch etwas da, aber nicht mehrviel, denn es ist gestern abend fast alles aufgezehrt worden; etwas Brot undWein ist aber dennoch vorrätig!“[<strong>GEJ</strong>.02_151,03] Sage Ich: „Bringe alles her, auf daß Ich es segne, und wirwerden alle in Genüge zu essen haben und eben also zu trinken!“ – Ebahl ließnun sogleich einen halben Laib Brot und etwa noch für drei Becher Wein, derim Schlauche zurückgeblieben war, zu Mir hinbringen, und Ich segnete das Brotund den Wein und sagte: „Teile es nun aus, und so etwas übrigbleibt, da werdenwir auch hier das Morgenmahl halten!“[<strong>GEJ</strong>.02_151,04] Ebahl teilt nun das Brot aus und bricht, um auszukommen, nurkleine Stücke von dem halben Laibe; aber es will der halbe Laib nicht kleinerwerden. Da er aber sieht, daß der halbe Laib nicht kleiner wird, obschon er allenBerggästen für mehrere Mundvoll hintangegeben hatte, so fängt er an, größereStücke hintanzugeben; aber auch da wird der halbe Laib nicht kleiner. Als ernun sieht, daß die Berggäste bei Appetit sind, so beginnt er die Austeilung nocheinmal von vorne und bricht nun noch größere Brocken vom Laibe; und als erherumkommt bei den etlichen dreißig Menschen, die da mit uns den Berg bestiegenhaben, so hat er noch ein tüchtiges Bröckchen in der Hand und sagt zu Mir:„Herr, das habe ich noch erübrigt. Wird es wohl genügen für Dich, für denRaphael, für die Jarah und für mich?“[<strong>GEJ</strong>.02_151,05] Sage Ich: „Gib es nur der Jarah, daß sie es austeile, dann wirdes wohl genügen!“ – Ebahl tut das, und die Jarah gibt davon zuerst Mir einStück, dann ihrem Raphael, dann dem Ebahl und dann erst sich das Übriggebliebene,und wir hatten auch alle genug.[<strong>GEJ</strong>.02_151,06] Aber der Hauptmann bemerkte und sagte: „Warum hast du,Freund Ebahl, denn mich nicht auch zu dieser letzten Teilung genommen? Hastdu mich denn dieser für zu wenig wert gehalten?“[<strong>GEJ</strong>.02_151,07] Sage Ich: „Freund, wolle darob nicht ärgerlich werden! Dennsieh, Ebahl rechnete auf Nichtsübrigbleiben, darum er mit der Austeilung— 332 —


anfangs auch so spärlich als möglich begann; er wollte dich nicht auch unter dieZahl derer bringen, auf die am Ende nichts gekommen wäre! Da aber nachMeinem Willen dennoch etwas übrigblieb, so ist damit erst die zweite Teilungunternommen worden. Liegt dir aber an der zweiten Austeilung viel, die durchausum nichts besser ist denn die erste, so sage es, und Ich trete dir gerneMeinen Anteil ab.“[<strong>GEJ</strong>.02_151,08] Sagt der Hauptmann: „Nun, nun, es ist schon alles wieder gut;mir ist nun nur eine altrömische Rangesdummheit durchs Gehirn gefahren, – binaber schon wieder ganz in der Ordnung! Aber was mich hier am meistenwundert, ist, daß der himmlische Raphael das Brot mit solcher Lust verzehrt, alswäre er der Hungrigste unter uns allen! Das ist wahrhaft sehr merkwürdig! Er istdenn doch mehr Geist denn ein Fleischmensch und ißt so, als wäre er jemals aufder Erde geboren worden! Das gefällt mir ungemein! – Aber ich fühle, daß daspure, zwar äußerst wohlschmeckende Brot dürsten macht, und so möchte ichbald etwas zum Trinken bekommen.“[<strong>GEJ</strong>.02_151,09] Sage Ich zu Ebahl: „Teile nun den Wein aus, und fange beiunserem Freunde Julius an!“[<strong>GEJ</strong>.02_151,10] Sagt der Hauptmann: „Herr, ich bitte Dich, trinke doch Duzuerst; denn irgendeine Rangordnung muß ja doch auch bei Tische sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_151,11] Sage Ich: „O ja, Ich bin Selbst dafür; aber da wir hier keinenTisch haben und auch nicht zu Gaste geladen sind, so nehmen wir den Weinnach dem natürlichen Bedürfnisse zu uns! Der am meisten durstig ist, der trinkezuerst, und die weniger Durstigen folgen ihm – jeder nach seinem Bedürfnisse!“[<strong>GEJ</strong>.02_151,12] Mit diesem Bescheide war der Hauptmann denn auch zufrieden,trank den ihm dargereichten Becher bis auf den letzten Tropfen aus undsagte: „Herr, ich danke Dir! Das war eine wahrhaft himmlische Stärkung, undnoch nie hat mir der Wein an einem Morgen so gemundet wie jetzt hier; das istaber auch ein Wein, wie es auf der Erde keinen zweiten gibt.“[<strong>GEJ</strong>.02_151,13] Sage Ich: „Uns alle freut es, daß es dir nun so wohl behagt aufdieser Höhe!“[<strong>GEJ</strong>.02_151,14] Sagt der Hauptmann: „Herr, vergib es mir, wenn ich vielleichtin meiner guten Laune etwas Ungeschicktes sage! Aber mir kommt es nun vor,daß hier sogar der Satan voll des besten Mutes werden sollte!“[<strong>GEJ</strong>.02_151,15] Sage Ich: „So du ihn sehen und sprechen willst, kann erhierher berufen werden, und du kannst dich dann gleich überzeugen, ob es ihmhier behaglich vorkommen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_151,16] Sagt der Hauptmann: „Wenn es im Ernste einen persönlichenSatan gibt, so mag er hier ja erscheinen!“152. — Satan erscheint auf dem Berge[<strong>GEJ</strong>.02_152,01] Als der Hauptmann solches ausspricht, so geschieht ein— 333 —


mächtiger Blitz, begleitet vom stärksten Donner, und der Satan steht in großerRiesengestalt ganz feurig vor dem Hauptmanne, stampft mit einem Fuße soheftig auf den Boden, daß der ganze Berg um und um erbebt, und spricht zumHauptmann: „Was willst du, elendester Mutterschänder, von mir!? Warumberiefst du mich auf diese Höhe, die mir tausend Male peinlicher ist als allesHöllenfeuer!?“[<strong>GEJ</strong>.02_152,02] Sagt der Hauptmann, etwas sehr stark aufgeregt über denAnruf ,Mutterschänder‘: „He, Feind aller Menschen und Gottes Selbst, mäßigedich; denn dir steht es nicht zu, zu richten im Angesichte Gottes, deines Herrn!Habe ich gesündigt im Schlafe in großer Betäubung meiner Sinne, so habe ichnur mir, nie aber dir in etwas geschadet. Ich glaube aber, daß Gott mehr ist denndu, und Er hat mich noch nie also begrüßt wie du elender Lügner! Es ist wohlwahr, daß es einmal geschah, daß ich meine Mutter beschlafen habe in meinemvierzehnten Jahre; aber ich ward dazu verleitet durch meine Mutter. Denn sieverkleidete sich in eine üppigste Griechin und trug über ihr ohnehin nochäußerst schönes Gesicht eine feine griechische Larve, kam in der Nacht zu mir,entdeckte mir alle ihre mächtigen Reize und verlangte mich. Denn meine Mutterwar damals kaum achtundzwanzig Jahre alt; als sie mich als Erstling gebar,zählte sie dreizehneinhalb Jahre. Ich war in Rom bekannt als einer der schönstenund reizendsten Jünglinge; was Wunder, daß meine eigene Mutter für michentbrannte und sich maskierte, um mich zu genießen! Elender! So ich als einfeuriger Römer sonach in einer vermeinten üppigsten und reizendsten Griechinmeine Mutter beschlief, bin ich darum ein Mutterschänder? Kannst du, blinderHöllenesel, den je einen Mörder oder Totschläger schelten, der vom Dache fielund am Boden in seinem Falle einen Menschen traf und dadurch tötete?! – Redenun, du alter Höllenesel!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,03] Spricht der Satan, ganz ergrimmt über die Beschimpfung vonseiten des Hauptmanns: „Ich sehe nur auf die Tat, und nicht, in welcher Art siebegangen ward; bei mir gibt es keine mildernden Umstände, und du bist von miraus als gerichtet anzusehen, gehörst der Hölle an und wirst meiner Macht nichtentrinnen!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,04] Sagt der Hauptmann: „Da sieh hin, du alter, blinder Höllenesel!Wer ist Der, der mir hier zur Rechten steht, kennst du Ihn, ist dir der Jesusvon Nazareth nicht bekannt?“[<strong>GEJ</strong>.02_152,05] Als der Hauptmann Meinen Namen ausspricht, reißt es denSatan mit aller Gewalt zu Boden nieder, und er bedroht den Hauptmann, daß erdiesen ihm allerwidrigsten Namen nimmer aussprechen möchte. Er kenne denNazaräer und fluche demselben, weil er der Gottheit die Macht entreißen wolleund es gar nicht viel mehr fehle, daß er ein Herr Himmels und aller Welt werde![<strong>GEJ</strong>.02_152,06] Sagt der Hauptmann: „Blinder Höllenesel! Was Er vonEwigkeit war, das ist Er noch und wird es ewig bleiben; und Er allein wird michund dich richten, und ewig nicht du alter, böser, blinder und allerdümmsterHöllenesel! Wenn du schon ein gar so mächtiges Wesen bist, warum reißt dich— 334 —


denn gar so leicht der pure Name des heiligen Nazaräers also zusammen, alswärest du nie gestanden? Sieh, wie schön und löblich es hier ist, und wie gut eswir alle haben! Wärst du kein so erzdümmstes Höllenvieh, wie leicht könntestdu es ebenso gut haben wie wir! Kehre um und erkenne in deinem Herzen, wenndu noch eines hast, daß Jesus der Herr Himmels und der Erde ist, und du wirstuns sicher gleichgestellt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,07] Da grinst der Satan: „Hast du schon wieder den mir allerwidrigstenNamen aussprechen müssen?! Wenn du schon von nichts Besserem zureden weißt, so umschreibe doch wenigstens den Namen; denn er peinigt michmehr denn zehntausend Höllen in ihrer höchsten Feuerwut! Zudem bin ich einGeist und muß das bleiben ewig eures Heiles willen und kann mich daher niebekehren zu eurem Gott und eurem Herrn! Ich bin einmal und für alle Male fürewig verdammt, und für mich gibt es kein Heil mehr!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,08] Sagt der Hauptmann: „Wenn mir das jemand anders als dugesagt hätte, würde ich's glauben; aber dir glaube ich nichts, außer, daß duwirklich der alte, dumme Höllenesel bist! So du dich bekehren wolltest, da weißich nur zu gut, daß du mit deinem ganzen Anhang vom Herrn angenommenwürdest; aber bei dir ist es nur eine hartnäckigste Bosheit, aus der heraus duselbst dich ewig nie bekehren willst, weil es dir eine Art höllischer Freudemacht, Gott dem Herrn trotzen zu können infolge deines freien Willens. Aberich sage es dir, daß der Herr vor dir noch lange Sein Herz nicht völlig verschlossenhat, und hat dich noch lange nicht gerichtet! Kehre dich daher zu Ihm, undEr wird dich aufnehmen und dir vergeben alle deine Milliarden mal MilliardenFrevel und Sünden![<strong>GEJ</strong>.02_152,09] Ich bin ein Heide und habe in meiner Jugend angebetet dieNatur und die Schnitzwerke, gemacht von Menschenhänden und hervorgegangenaus ihrer Phantasie; aber ich, als ein schwacher, blinder Fleischmensch,habe es dennoch bald eingesehen, daß ich mich auf Irrwegen befunden habe, aufdenen kein Ziel zu erreichen ist.[<strong>GEJ</strong>.02_152,10] Du aber bist seit deinem Urbeginne als ein reiner Geistgeschaffen worden von Dem, der nun im Herzen dieses heiligen Nazaräerswohnt, und dem sichtbar Himmel und Erde vollkommenst untertan sind. Dir istdas reine Erkennen der ewigen Wahrheit ein leichtes, während ich lange inNacht und Nebel herumtappen mußte; du darfst sonach nur wollen, und dusitzest wieder im alten Urlichte. Wende dich daher an den Herrn, der hierwunderbarstermaßen körperlich unter uns weilt, und ich stehe dir mit allem, wasmir samt meinem Leben eigen und heilig ist, dafür, daß du angenommen wirst!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,11] Sagt Satan: „Ich kann das nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,12] Sagt der Hauptmann: „Und warum nicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_152,13] Schreit der Satan: „Weil ich es nicht will!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,14] Sagt nun denn auch der Hauptmann mit einer sehr erregtenStimme: „So hebe dich im Namen Jesu von hinnen; denn nun fängt es mich an— 335 —


is zum Erbrechen zu ekeln vor dir! Du bist sonach höchst eigenwillig eineunverbesserliche Höllenbestie, und in mir ist jedes Mitleid wegen deiner ewigenPein und Qual für ewig entschwunden. Der Herr richte dich, du alterHöllenesel!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,15] Auf diese Worte des Hauptmanns stürzte der Satan wie vomBlitze getroffen auf den Boden und brüllte also gewaltig wie ein hungrigerLöwe; aber Ich winkte dem Engel Raphael, daß er ihn aufs Korn nehme.[<strong>GEJ</strong>.02_152,16] Da trat der Engel schnell hin zwischen den Hauptmann undSatan und sagte: „Satan! Ich, ein allergeringster Diener des Herrn Jesus JehovaZebaoth, gebiete aufs unwandelbarste Muß, daß du dich augenblicklich hebestvon diesem Orte und dieser Gegend, die du lange mit deinem bösen Hauche fürTiere und Menschen heillos gemacht hast!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,17] Sagt der Satan, ganz vom Grimme entbrannt: „Wohin soll ichziehen?“[<strong>GEJ</strong>.02_152,18] Sagt der Engel: „Wo deine Diener deiner harren und dichverfluchen! Gehe und weiche! Amen!“[<strong>GEJ</strong>.02_152,19] Mit diesen Worten des Engels erhob sich der Satan gleicheinem nach allen Seiten hin flammenden Balle und floh unter großem Knallgetösein Blitzesschnelle gen Mitternacht.[<strong>GEJ</strong>.02_152,20] Der Engel aber riß auf den Boden an der Stelle, da der Satanstand und lag (es war ein Steinblock von mehreren fünfzig Zentnern), undschleuderte ihn mit solcher Gewalt über den ganzen Berg weit ins Meer hinein,daß der Stein schon in der Luft durch ihren Widerstand in den nichtigsten Staubaufgelöst ward.[<strong>GEJ</strong>.02_152,21] Und alle verwunderten sich allerhöchlichst über solch eineGewalt des Engels, und der Hauptmann sagt: „Ha, das wäre ein Steinschleuderer!Der gäbe allein mehr aus als zehn römische Legionen! Übrigens danke ichDir, o Herr, auch für diese Offenbarung; denn nun habe ich denn auch denewigen Feind aller Liebe, alles Lichtes und alles Guten und Wahren sozusagenpersönlich kennengelernt und habe mich schnell überzeugt, was es mit ihm füreine Bewandtnis hat. Den bessert keine Ewigkeit und kein Feuer mehr![<strong>GEJ</strong>.02_152,22] Es sind bei Gott wohl alle Dinge möglich; aber hier glaubeich, daß es auch der göttlichen Allmacht schwer gelingen wird, diesen Geist zurReue und Buße zurückzubewegen. Denn wird ihm der freie Wille belassen, soändert er sich ewig nimmer; wird er ihm aber nicht belassen, so hat er aufgehört,Er zu sein, und es gibt dann keinen Satan in der ganzen Unendlichkeit mehr. Ihnaber mit möglichst größten Qualen und Schmerzen zur Besserung bewegenwollen, hieße mit einem Siebe Wasser in ein durchlöchertes Gefäß schöpfen!Das Weiseste wäre nach meiner Ansicht noch, ihn für alle Zeiten der Zeiten inirgendein Gefängnis gefangenzunehmen und zwar schmerzlos; so würde er zumwenigsten auf die lebenden Menschen keinen Einfluß nehmen können!“— 336 —


[<strong>GEJ</strong>.02_152,23] Sage Ich: „Freund, das sind Dinge, die du jetzt nimmer fassenkannst; einst aber werden sie dir klar werden! Die irdische Zeit hat dafür freilichkein Maß, – wohl aber eine ganze Urgrundmittelsonne! Wann diese einmal zuEnde kommt, dann auch wird die noch immer mögliche Umkehr des Satansnicht mehr ferne sein; aber wo wird dann schon sein diese Erde und dieseSonne?! Denn ein Körper, wie da ist die Urgrundmittelsonne, braucht einen fürdich undenklich langen Zeitraum, bis all das in ihr gerichtete Leben, das nuneine scheinbar tote Materie ist, bis aufs letzte Stäubchen sich auflöst ins freie,geistige Leben![<strong>GEJ</strong>.02_152,24] Aber, wie gesagt, solches kannst du nun noch lange nichtfassen! Solches fassen jetzt auch die Engel nicht; aber es wird bald eine Zeitkommen, in der du im nun dir Gesagten keinen Zweifel finden und Dingeglauben wirst, von denen du jetzt noch keine Spur hast! Doch nun nichts Weiteresmehr davon! Machet euch aber nun auf, und wir werden uns ganz gemachauf die Rückreise begeben!“153. — Der Abstieg vom Berge[<strong>GEJ</strong>.02_153,01] Spricht die Jarah, die während der sichtbaren Anwesenheit desSatans ihr Angesicht mit einem Tuche bedeckte: „Herr, nun gehe ich gernezurück in die Stadt; denn die Gegenwart des Einen hat mir für alle Zeiten dieseHöhe verleidet, obschon sie mir anderseits unbeschreibbar denkwürdig verbleibenwird. Meine Füße werden sie nie wieder betreten!“[<strong>GEJ</strong>.02_153,02] Sage Ich: „Nun, nun, der ist von da nun ausgetrieben worden,und dein Raphael hat den Platz gleich wieder lauter gemacht; übrigens wird esdir weder zum Schaden noch zu irgendeinem besonderen Nutzen gereichen, obdu je wieder diese Höhe besteigst oder nicht. Die beste Höhe zu besteigen aberist das eigene Herz; wer in dessen Innerstes gedrungen, hat der Lebensaussichthöchste Höhe errungen! – Aber nun gehen wir, denn es ist bereits die dritteStunde des heutigen Sabbattages verronnen. Gehet aber nun nur alle Mir nach,und wir werden auf dem nächsten und besten Pfade nach Genezareth gelangen!“[<strong>GEJ</strong>.02_153,03] Sagte der Hauptmann: „Herr, es ist ehedem, so ich mich nichttäusche, die Rede gewesen, als wollten wir etwa noch den ganzen heutigen Taghier zubringen!?“[<strong>GEJ</strong>.02_153,04] Sage Ich: „Du hast denn diesmal Mich ein wenig falschverstanden; darunter ward ja nur die Höhe der Sabbatfeier im Herzen verstanden!Aber nun macht das nichts, gehen wir nur; denn unten harren mehrereLeidende unser! Denen muß geholfen werden, auf daß dann nach MeinemAbgange in dieser ganzen Gegend kein Kranker sich soll vorfinden lassen.“[<strong>GEJ</strong>.02_153,05] Auf diese Meine Worte machte sich denn nun alles auf denWeg, und Ich, die kleine Jarah und der Raphael machten uns auf den Weg undmachten sogestaltig die Wegweiser, und es ging schnell und leicht von demBerge ins Tal nach Genezareth hinab. Nach etwa zwei und einer halben Stunde— 337 —


Zeit waren wir auch schon ganz in der Nähe des Städtchens Genezareth.[<strong>GEJ</strong>.02_153,06] Da rief Ich alle Berggäste zusammen und sagte: „Höret ihr alleMich nun an! Wie Ich es euch schon auf der Höhe angedeutet habe, so sage Iches euch allen nun noch einmal: Alles das auf der Höhe Erlebte und Gesehenebehaltet einstweilen bei euch! Wenn ihr es aber durch ein Großzeichen aus denHimmeln innewerdet, dann prediget solches von den Dächern den Menschen,die eines guten Willens sind; aber der argen Welt soll solches fortwährend alsoverborgen bleiben, gleichwie da verborgen ist die innerste Mitte der Erde! Dennsolches wird ein äußerer Weltsinn nie fassen und würde euch als unsinnigeLeute verdammen! Das aber wäre denn dann auch der ewige Tod seiner Seelen.[<strong>GEJ</strong>.02_153,07] Überhaupt merket euch das: Meine Worte und Lehren undTaten sind köstlicher denn die beispiellos großen Perlen der Jarah; und solchePerlen sind nicht, daß man sie vorwerfe den Schweinen! Darum seid allzeit aufeurer Hut; denn alles, was von oben kommt, ist auch nur für diejenigen, die auchvon oben her sind! Für Hunde und Schweine aber gehört nur der Unflat derWelt; denn ein Hund kehrt zu dem wieder zurück, was er gespien, und dasSchwein wälzt sich in derselben Lache wieder, in der es sich einige Augenblickefrüher gewälzt, besudelt und gänzlich verunreinigt hatte. Lasset euch darumMeinen Rat von Herzen angelegen sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_153,08] Sagt der Hauptmann: „Herr, so wir aber von den Neugierigenbefragt werden, was sich auf der Höhe alles zugetragen hat, was sollen wir dannsolchen Fragern für eine Antwort geben?“[<strong>GEJ</strong>.02_153,09] Sage Ich: „Redet die Wahrheit und saget es, daß Ich es euchallen untersagt habe, solches der Welt kundzutun; und die Frager werden dannnicht mehr weiter in euch dringen, sondern sich damit zufriedenstellen.“[<strong>GEJ</strong>.02_153,10] Mit diesem Bescheide war denn unser Hauptmann auch ganzvollkommen zufrieden, und wir begaben uns nun in die Stadt und in das HausEbahls.154. — Ein Heilwunder in der Herberge Ebahls zu Genezareth[<strong>GEJ</strong>.02_154,01] Als wir im Hause Ebahls ankamen, da kamen sogleich dieKnechte und Diener des Hauses und sagten, daß in der Herberge etwa beihundert Kranke angelangt seien und gefragt haben nach dem Herrn undHeilande Jesus von Nazareth.[<strong>GEJ</strong>.02_154,02] Sage Ich zu den Knechten: „Gehet hin und saget es ihnen, daßsie sich nun ohne Rücksicht auf den Sabbat nur ganz ruhig und wohlgemut nachHause begeben sollen; denn ihr Glaube an die Kraft Meines Wortes hat ihnengeholfen!“[<strong>GEJ</strong>.02_154,03] Mit dem entfernten sich die Knechte, gingen zu den Krankenin der Herberge und staunten nicht wenig, als sie keinen Kranken mehr fanden;denn alle, die da krank waren, wurden in ein und demselben Augenblick gesund,— 338 —


ohne Rücksicht, ob sie Juden oder Heiden waren. Als die Knechte zu ihnentraten, hörten sie nichts als nur einen Lobgesang für die wiedererlangte Gesundheitihres Leibes, und die Geheilten verlangten Mich zu sehen![<strong>GEJ</strong>.02_154,04] Die Knechte aber sagten: „Es steht uns nicht zu, euch solcheszu gestatten; aber wir wollen einen Boten hinsenden. So Er es gestattet, damöget ihr hinziehen und Ihn sehen und sprechen; gestattet Er es aber nicht, somöget ihr euch nach Seinem Worte ganz ruhig und wohlgemut von hier entfernen,– denn Er ist nicht immer in der Verfassung, Besuche anzunehmen undnoch weniger mit Sich reden zu lassen.“ – Mit dem kommt ein Knecht zu Mirund fragt Mich darum.[<strong>GEJ</strong>.02_154,05] Ich aber sage: „Ich habe es euch ja gesagt, daß sie alle ruhigund wohlgemut nach Hause ziehen sollen, und so bleibe es dabei! Was siesuchten, haben sie erreicht, und für etwas Höheres haben sie weder Sinn nocheinen zureichenden Verstand, und so lasset sie denn nach Hause ziehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_154,06] Mit diesem Bescheide kehrt der Bote wieder zurück und sagtden Genesenen das. Diese aber sagen: „Dem man eine Ehre und Lob darbringenwill, da ist es ungeschickt, voraus zu fragen! Man ziehe hin und bringe ihm allerWahrheit und Schicklichkeit gemäß das ihm gebührende Lob und den gebührendenDank, und man wird gut entlassen werden! Gehen wir darum nur ganzmutig hin, und er wird uns, da wir in der besten Absicht der Welt zu ihmkommen, den Zutritt nicht verwehren!“[<strong>GEJ</strong>.02_154,07] Mit diesen Worten begeben sich nun alle zu Mir ins Haus. Siepochen an die Tür unseres großen Speisezimmers, aber niemand sagt: „Kommetherein!“ Aber sie pochen zu wiederholten Malen, und Ich sage zum Ebahl: „Laßsie herein ihres zudringlichen Glaubens wegen!“ – Und Ebahl ging und tat ihnendie Tür auf, und sie traten ins Zimmer, soviel ihrer Platz hatten, und fingen an,Mich allda laut zu preisen, und sprachen ihren Dank aus.[<strong>GEJ</strong>.02_154,08] Ich aber hieß sie schweigen und sagte zu ihnen: „Ein Lob desMundes und ein Dank der Lippen hat keinen Wert bei Gott, also auch bei Mirnicht! Der sich Mir nahen will, der nahe sich Mir mit seinem Herzen, so werdeIch ihn ansehen; aber ein leeres Geplärr des Mundes, bei dem das Herz wederetwas denkt und noch weniger etwas fühlt, ist vor Meinen Augen das, was da istein faules Aas vor den Nüstern der Nase. Was ihr suchtet, das ward euch zuteil;etwas anderes kennet ihr nicht, und euer leeres Lob behagt Mir nicht! Darumbegebet euch nach Hause, und machet diesem Hause keine Ungelegenheiten!Hütet euch aber vor der Unzucht, Hurerei, vor Fraß und Völlerei, – sonst falletihr ehest wieder in noch ärgere Krankheiten, als von welchen ihr bis jetzt behaftetund geplagt waret!“[<strong>GEJ</strong>.02_154,09] Diese Worte gingen den Genesenen zu Herzen, und sie fragtensich untereinander, wie Ich das habe wissen können, daß sie ihre Krankheitzumeist ihrer Geilheit zu verdanken hätten. Es überfiel sie eine Furcht vor Mir,da sie sich zu denken begannen: ,Er kann noch mehr von unseren eben nichtsehr löblichen Handlungen ans Tageslicht bringen! Wir gehen darum!‘ – Darauf— 339 —


verließen sie das Zimmer und begaben sich dahin, von wannen sie gekommenwaren.[<strong>GEJ</strong>.02_154,10] Dies fiel dem Hauptmann auf, und er fragte Mich und sagte:„Wie ist das, daß diese nun sich so plötzlich verloren haben? Du hattest kaumihrer Sünden gedacht, und es trieb sie solches wie mit einer großen Gewalt zurTür hinaus!“[<strong>GEJ</strong>.02_154,11] Sage Ich: „Das sind so rechte Hurenhelden! Sie treibenUnzucht aller Art, und ein Ehebruch ist bei ihnen eine schon ganz gewöhnlicheSache geworden; bei ihnen sind die Weiber kommun (Gemeingut), und eineJungfrau zu notzüchtigen, ist bei ihnen ein purer Lebensscherz! Aber unter ihnengibt es auch Knabenschänder und solche, die mit Mägden auf eine unnatürliche,stumme sodomitische Art sich belustigen, weil sie sich dadurch vor bösenAnsteckungen verwahren wollen, aber deshalb in andere, noch schlimmereKrankheiten verfallen. Darum denn habe Ich diese Menschen so hart empfangenund entlassen; denn diese kann nur ein hartes Wort noch zu irgendeiner Besserungbringen.“[<strong>GEJ</strong>.02_154,12] Sagt der Hauptmann: „Von welcher Gegend sind sie dennher?“[<strong>GEJ</strong>.02_154,13] Sage Ich: „Aus der Gegend der Gadarener. Mehr gen Abendhin sind ein paar Flecken und vier Dörfer. Die Bewohner sind ein Gemisch vonJuden, Ägyptern, Griechen und Römern. Sie haben wenig – und eigentlich garkeine Religion, und ihr Gewerbe besteht zumeist im Züchten der Schweine unddem Handel damit nach Griechenland und Europa, wo dieser Tiere Fleischgegessen und ihr Fett als eine Würze der Speisen genossen wird. Es sind daherdies schon dem Gewerbe nach pur unlautere Menschen; aber ihre äußere Unlauterkeitwäre eben keine Sünde, so sie nicht in ihrem Tun und Lassen selbst umvieles ärger denn ihre Schweine wären. Ihr Tun und Lassen stellt sie tief unterdie Schweine, und es wird mit ihnen schwer etwas auszurichten sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_154,14] Sagt der Hauptmann: „Nun, es ist sehr gut, daß ich das weiß.Jene Gemeinden stehen noch unter mir, und ich werde es sicher nicht ermangelnlassen, diesen Menschen einen Sittenwächter hinzustellen, der sie selbst bei dergeringsten Ungebührlichkeit ganz gehörig auf die Finger zu klopfen verstehenwird, nach der gegebenen Instruktion. Na, wartet, euer geiles Leben soll euchschon morgen auf eine Art verleidet werden, daß es euch nimmer gelüsten soll,unreinste Begierden in dem Herzen aufkommen zu lassen und darauf denselbengewissenlos zu frönen![<strong>GEJ</strong>.02_154,15] Herr, ich bin zwar nur ein Mensch, habe es aber durch meinstets in Sachen der Regierung geschäftiges Leben dahin gebracht und habe esnur zu vielfach erfahren, um nun klar einzusehen, daß es für den gemeinenMenschen am allerbesten ist, so er mit einem ehernen Zepter regiert und dannund wann mit Ruten zum Guten gepeitscht wird. Wo das in einem großenMenschenvereine nicht der Fall ist, da geht ehestens alles aus den Fugen!“— 340 —


[<strong>GEJ</strong>.02_154,16] Sage Ich: „Ja, ja, hier hast du recht, – aber nur in der dirangezeigten Gemeinde; wirst du aber allenthalben das von dir Vorgestellteanwenden, so wirst du mehr Schaden als Nutzen anrichten! Die Arznei muß sichstets nach der Krankheit richten, und nicht umgekehrt. Aber, wie gesagt, bei derangezeigten Gemeinde wird sie, das ist deine Arznei, wenigstens das Gutebezwecken, daß diesen Menschen ihre Geilheit sehr verleidet wird. Aber dieZuchtrute muß nicht in der Hand des Zornes, sondern in der Hand der wahrenLiebe geführt werden!“155. — Eifer der Liebe[<strong>GEJ</strong>.02_155,01] Sagt der Hauptmann: „Herr, das sehe ich nun recht gut ein,aber dennoch weiß ich aus meinem Leben um einen besonderen Fall, wo alleLiebe nichts auszurichten vermochte; und der Fall war folgender: Es dienteunter den vielen Soldaten, die unter mir stehen, ein junger, riesenhaft kräftigerIllyrier. Sein Schwert wog fünfzig Pfunde, und er dirigierte es dennoch mit einerLeichtigkeit, als hätte er eine Feder in der Hand. Dieser bezahlte Krieger, einenPanzer und einen Schild tragend, leistete in einer Schlacht mehr denn hundertandere Krieger. Im Kriege war er demnach gut zu gebrauchen, – aber nicht alsoim Frieden; da war er ränkesüchtig, und es verging keine Woche, in der er nichtirgendeinen neuen ärgerlichen Spektakel zum Vorschein gebracht hätte. Ichbehandelte ihn stets liebevoll, stellte ihm das Böse und Schändliche seinerbegangenen Spektakel so anschaulich als möglich vor und verwies ihm solcheseine mutwillige Spektakelmacherei. Da gelobte er mir allzeit völlige Besserungund hielt sich darauf auch einige Tage ganz nüchtern und bescheiden; aber eswährte so etwas nie über zehn Tage, so kamen schon wieder Klagen von allenSeiten, und wir mußten darauf natürlich Schadenersätze leisten. Fragte man ihn,warum er denn doch um aller Welt willen so etwas tue, so gab er allzeit dieselbeAntwort und sprach: ,Ich übe mich in der Kriegskunst, und da verschone ichaußer den Menschen nichts, und mein Schwert muß an verschiedenen Gegenständenversucht werden!‘[<strong>GEJ</strong>.02_155,02] Solche seine Kriegsübungen aber bestimmten ihn nicht selten,irgendeiner Herde Ochsen, Stiere, Kühe und Kälber einen Besuch zu machenund ihnen die Köpfe auf einen Hieb abzuhauen. Einmal hatte er einer Herde vonkomplett einhundert Ochsen die Köpfe abgeschlagen und brüstete sich hernachmit solcher seiner Heldentat, die uns eintausend schwere SilbergroschenSchadenersatz kostete! Da wurde ich denn auf den Menschen doch so voll Zorn,daß ich ihn gleich selbst vor Wut hätte in Stücke zerreißen mögen.[<strong>GEJ</strong>.02_155,03] Ich aber ließ ihn mit schweren Ketten an einen Baum knebeln,seine Hände und Füße noch extra mit starken Stricken binden und ihn dannstäupen eine ganze Stunde hindurch, daß er darob in eine große Schwächeverfiel. Da ließ ich ihn dann in eine Pflege bringen, in der er in zwanzig Tagenwieder völlig hergestellt ward. Und sieh, das hat diesen Menschen, mit demfrüher alle Liebe nichts ausrichtete, total umgeändert; er ward darauf der gelas-— 341 —


senste und bescheidenste Mensch, den ich nach einem Jahre zum Unterführermachte, und er dankt mir nun für jene exemplarische Züchtigung noch heute,ohne die er nie ein Unterführer geworden wäre. Aber zu solcher Züchtigunghätte mich nimmer die Liebe zu bewegen vermocht, sondern allein der gerechteZorn über den Menschen; und so meine ich, daß ein gerechter Zorn oft denMenschen gegenüber heilsamer ist denn zu viel noch so reiner Liebe!“[<strong>GEJ</strong>.02_155,04] Sage Ich: „O ja, aber das ist dann nicht Zorn im eigentlichstenSinne, sondern nur ein besonderer Eifer der Liebe im Herzen, der eine heilsameKraft innehat. Mit dem wirke auch Ich, wenn es irgend not tut. Hätte die Liebesolchen Eifer nicht, so wäre die Unendlichkeit noch bis jetzt völlig wesenleer;nur dem großen Eifer der Liebe Gottes verdankt alle Kreatur ihr Dasein.[<strong>GEJ</strong>.02_155,05] Und so war das, was dein Herz zur gerechten Züchtigung jenesmutwilligen Söldlings bestimmte, nicht Zorn und aus ihm hervorgehenderRachedurst, sondern ein besonderer Eifer deiner Liebe zu jenem Söldling, derdir ob seiner Tauglichkeit sehr am Herzen lag. Denn hättest du einen rechtenZorn über jenen Menschen bekommen, so hättest du ihn töten lassen; aber derLiebe Eifer zählte die nötigen Rutenhiebe, und du ließest ihn nur so langestäupen, als du es berechnen mochtest, daß er solche Stäupung ertragen werde.[<strong>GEJ</strong>.02_155,06] Also magst du mit jenen Gemeinden nötigenfalls wohl auchvorgehen; aber der erste Versuch geschehe dennoch durch die reine Liebe unddurch eine rechte Belehrung. Denn so die Menschen die Einsicht überkommen,daß man ihnen nur ihres Heiles willen scharfe Gesetze gibt und ein unerbittlichesRichteramt dazustellt, so werden sie sich solches alles gefallen lassen;erscheinen aber die scharfen Gesetze nur als eine tyrannische Willkür desMachthabers, so bessern sie niemanden und machen am Ende noch die Engelder Gemeinde zu Teufeln, die nichts suchen werden, als wie sie sich rächenkönnten an dem, der sie allzeit für nichts und wieder nichts plagt ohne Ende undohne irgendeinen ersichtlichen Grund. – Verstehest du solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_155,07] Sagt der Hauptmann: „Ja, Herr, das ist mir nun schon wiedersonnenhelle, und ich werde noch heute einen Boten mit einer Order an den dortigenUnterführer abgehen lassen, und morgen haben es jene Gemeinden schonzur Darnachachtung vorgelegt. Ich werde mich darum denn nun auch auf einigeAugenblicke zu meinen Leuten begeben und werde solches sogleich ausfertigenlassen.“156. — Über die geschlechtlichen Verhältnisse der urgeschaffenen Engel[<strong>GEJ</strong>.02_156,01] Nach diesen Worten begibt sich der Hauptmann nach Hause;aber der Ebahl bittet ihn, nicht lange auszubleiben, da das Mittagsmahl baldbereitet sein werde. Und der Hauptmann spricht im Gehen: „Ich werde, wennnichts besonders Wichtiges vorgefallen ist, sogleich wieder hier sein; und istetwas Wichtiges vorgefallen, so werde ich einen Boten hierhersenden.“[<strong>GEJ</strong>.02_156,02] Darauf eilt der Hauptmann flugs von dannen und verwundert— 342 —


sich nicht wenig, als er nach Hause kommt und sich von seinen Unterführernalles erzählen läßt, was unter der Zeit vorgefallen ist, wie er seine Order für dieobbesagten Gemeinden auf Pergament und mit der Schrift seiner Hand geschriebenauf seinem Arbeitstische liegend findet. Er durchliest sie schnell und findetalles genau also, wie er sich's gedacht hatte. Er sendet nun gleich um einenschnellfüßigen Boten, und sieh, es kommt in römischer Soldatenkleidung ebenunser Engel Raphael und bietet dem Hauptmanne seine Dienste an.[<strong>GEJ</strong>.02_156,03] Der Hauptmann erkennt anfangs den Engel nicht und meint, ersei ein junger Krieger, der etwa von Kapernaum her ihm von Kornelius zugeteiltworden sei. Er fragt ihn daher, ob er sich's wohl getraue, diese ziemlich entlegeneSendung an den Unterkommandanten von Gadarenum zu übernehmen.[<strong>GEJ</strong>.02_156,04] Sagt der Engel: „Herr deiner Macht, gib sie mir nur, und ichwerde sie mit der Schnelligkeit eines abgeschossenen Pfeiles an Ort und Stellebringen, und in wenigen Augenblicken sollst du die Antwort zurück in deinenHänden haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_156,05] Da erst besah sich der Hauptmann seinen Mann, erkannte inihm den Engel Raphael und sagte darauf: „Ja, ja, dir ist so etwas wohl möglich;denn nun erst habe ich dich erkannt!“[<strong>GEJ</strong>.02_156,06] Darauf übergab der Hauptmann dem Raphael die Order, unddieser war in einer kleinen Viertelstunde schon auch mit der Antwort zurück, inder der Kommandant von Gadarenum bestätigte, die Order von einem artigenjungen Krieger richtig erhalten zu haben, und er werde sie auch nach ihremGeiste sogleich in Vollzug setzen.[<strong>GEJ</strong>.02_156,07] Der Hauptmann wunderte sich nun über die SchnelligkeitRaphaels nicht mehr, sondern darüber nur, wie Raphael nun dennoch eineViertelstunde zu dieser Botschaft hatte verwenden können.[<strong>GEJ</strong>.02_156,08] Sagt Raphael: „Das war die Schreibzeit deines Unterkommandantenin Gadarenum. Es nehme dich darum nicht wunder; denn ich bedurftekeiner Zeit. – Aber nun gehen wir miteinander zu Ebahl; denn das Mittagsmahlist bereitet, und die Gäste haben Hunger auf die tüchtige Reise vom Bergeherab.“[<strong>GEJ</strong>.02_156,09] Der Hauptmann geht nun sogleich mit dem Engel, der aber vordem Hause Ebahls wieder in seiner angenommenen Genezarether Kleidungerscheint; und der Hauptmann fragt ihn, wohin er nun so schnell die Kleidungdes Soldaten gebracht habe.[<strong>GEJ</strong>.02_156,10] Der Engel aber lächelte und sagte: „Siehe, wir haben es leichterals ihr; denn wir tragen unsern überaus reichlichst bestellten Kleiderschrankin unserem Willen; was wir antun wollen, mit dem sind wir denn auch vollaufbekleidet. Würdest du mich aber sehen in meinem Lichtgewande, da würdest duerblinden, und dein Fleisch würde sich auflösen vor mir; denn gegen das Leuchtenmeines Kleides ist das Leuchten der irdischen Sonne die barste Finsternis.“— 343 —


[<strong>GEJ</strong>.02_156,11] Sagt der Hauptmann: „Freund der Menschen dieser Erde! Dieerstere Eigenschaft, sich ohne Stoff, bloß aus seinem Willen heraus, bekleidenzu können, wie man will, gefällt mir sehr, und die armen Menschen könnten siebesonders in der Winterszeit sehr gut gebrauchen; aber das ebenso möglicheüberstarke Leuchten deines Lichtgewandes, vor dem keines Menschen Lebenbestehen könnte, gefällt mir nicht, wenigstens jetzt auf dieser Welt nicht. Darumwollen wir darüber auch keine weiteren Forschungen anstellen. Aber einesmöchte ich von dir noch erfahren; weil wir gerade nun so allein beisammen sindund uns vor niemandem zu genieren brauchen, so könntest du mir solches wohlenthüllen, und dieses eine besteht darin: Gibt es unter euch auch einengeschlechtlichen Unterschied?“[<strong>GEJ</strong>.02_156,12] Sagt der Engel: „Das ist zwar eine etwas ungeschickte Frage;aber weil sie bei dir rein dem Wissenstriebe entstammt, so will ich dir daraufauch mit Nein antworten! Was wir urgeschaffene Geister sind, so ist bei unszahllosen allein nur das männlich-positive Wesen als völlig ausnahmsloswaltend; aber es ist dennoch in jedem von uns auch das weiblich-negativePrinzip vollkommen gegenwärtig, und so stellt ein jeder Engel in sich dievollkommenste Ehe der Himmel Gottes dar. Es hängt ganz von uns ab, ob wiruns in der männlichen oder in der weiblichen Form zeigen wollen, und das allesin einer und derselben geistigen Haut.[<strong>GEJ</strong>.02_156,13] Darin aber, daß wir in uns selbst ein Zweiwesen sind, liegtauch der Grund, daß wir nie altern können, weil sich in uns die beiden Pole ewiggleichfort unterstützen; aber bei euch Menschen sind die Pole getrennt in einegeschlechtlich getrennte Persönlichkeit und haben darob, als jeder für sichseiend, keine Unterstützung in sich.[<strong>GEJ</strong>.02_156,14] So aber die getrennten persönlichen Pole sich äußerlich berühren,da verlieren sie und gleichen einem Weinschlauche, der stets runzliger wird,je mehr man ihn seines geistigen Inhaltes beraubt hat. Könntest du dir aber einenWeinschlauch denken, der in sich gleichfort das erzeugen könnte, was man ausihm nimmt, so würdest du an seiner Oberfläche nimmer dessen Form alt aussehenmachende Falten und Runzeln entdecken. – Verstehst du solches wohl?“[<strong>GEJ</strong>.02_156,15] Sagt der Hauptmann: „Ganz klar ist mir die Sache noch nicht;aber so ein wenig einen Dunst habe ich nun wohl. Wir werden darüber schonnoch mehreres miteinander bei günstiger Gelegenheit reden. Nun aber wollenwir ins Haus gehen; denn man wird uns schon erwarten!“[<strong>GEJ</strong>.02_156,16] Sagt der Engel: „Ja, ja, das wohl, und ich fühle auch schon inmir das, was ihr Hunger nennet.“[<strong>GEJ</strong>.02_156,17] Sagt der Hauptmann: „Oho, du bist doch ein reinster Geist!?Wie wirst du materielle Kost genießen können?“[<strong>GEJ</strong>.02_156,18] Sagt Raphael lächelnd: „Besser denn du! Bei mir wird alles,was ich in mich hineinnehme, völlig verzehrt und ins beschauliche Lebenumgestaltet, – bei dir nur das, was deiner isolierten Lebenspolarität entspricht,— 344 —


das Unentsprechende aber wird dann durch den natürlichen Gang von dirhinausgeschafft; und so bin ich ja viel besser daran denn du in Hinsicht desEssens und Trinkens!“[<strong>GEJ</strong>.02_156,19] Sagt der Hauptmann: „Wird denn auch im Himmel gegessenund getrunken?“[<strong>GEJ</strong>.02_156,20] Spricht der Engel: „O ja, aber nicht auf die Weise, wie auf derErde, sondern geistig! Wir haben das Wort Gottes von Ewigkeit auch in uns, wieaus eben dem Worte Himmel und alle Schöpfung bestehen und mit demselbenüberall erfüllet sind; und dieses Wort ist vorerst unser wesenhaftes Sein und fürsolches Sein auch das einzige, wahrhaftigste Lebensbrot und der wahrhaftigeLebenswein. In unsern Adern rollt er wie in euren das Blut, und unsere Eingeweidesind voll des Brotes Gottes.“[<strong>GEJ</strong>.02_156,21] Sagt der Hauptmann: „Oh, das ist ungeheuer weise gesprochen;das fasse ich wohl nicht, das muß mir der Herr Selbst näher enthüllen! –Aber nun haben wir etwa wohl die höchste Zeit, ins Haus zu treten und wollenuns darum in keine weiteren Besprechungen mehr einlassen.“157. — Über Almosengeben und Gedenktagefeiern[<strong>GEJ</strong>.02_157,01] Während der Hauptmann solches noch spricht, kommt ihmunsere fromme Jarah entgegen und sagt: „Aber ihr bleibet lange aus! Du meinlieber Raphael scheinst dich auch schon nach der faulen Weltzeit richten zuwollen! Wahrlich, das ging nicht so schnell wie unsere Reise nach jener entferntenSonne! Kommet jetzt nur schnell herein; denn die Speisen sind schon aufdem Tische!“ – Beide gehen nun schnell hinein und begrüßen Mich auf dasfreundlichste.[<strong>GEJ</strong>.02_157,02] Der Hauptmann wollte Mir seinen Dank für Meine Fürsorgedarbringen, aber Ich sagte zu ihm: „Freund, Mir genügt dein Herz! Die Speisenhaben schon auf euch gewartet, darum heißt es jetzt vor allem dem Leibe dienötige Stärkung geben und darauf erst sich wieder an das Geistige wenden.“[<strong>GEJ</strong>.02_157,03] Alle danken nun und fangen an, ganz wacker zu essen und zutrinken, und der Hauptmann betrachtet immer den Engel, wie dieser so rechtwacker in die Schüsseln greift und seinem Weinbecher auch recht fleißigzuspricht.[<strong>GEJ</strong>.02_157,04] Der Hauptmann kann sich am Ende nicht mehr halten und sagtso halb scherzweise: „Nun, nun, die reinen Geister haben wahrlich einen gesundenAppetit! Mein guter Raphael ißt hier für drei; nein, so etwas hat wohl dieErde noch nicht erlebt!“[<strong>GEJ</strong>.02_157,05] Sagt Ebahl: „Es wundert mich nun auch über die Maßen; aberich sehe noch etwas, das mich mehr noch wundernimmt denn sein ziemlichstarkes Essen. Sieh, in seiner Schüssel wird daran nichts weniger! Hier giltwahrlich der Weisheit Spruch: ,Was der Himmel nimmt, das gibt er im nächsten— 345 —


Augenblick wieder!‘ Dieser Tisch soll von mir als ein bleibendes Heiligtum füralle Zeiten bei meinen Nachkommen in allen Ehren aufbewahrt werden, undalljährlich soll ein Fest dahin gestellt sein, daß an diesem Tische alle Armen desOrtes sollen gespeist und getränkt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_157,06] Sage Ich: „Laß du den Tisch Tisch sein und bleibe du, wie duwarst! Und wenn ein Armer zu dir kommt und du etwas hast, so unterstütze ihnan jeglichem Tage; aber ein jährliches Festessen nützt weder dem Armen nochdir etwas, und Ich habe daran keine Freude. Der Meiner gedenkt, der tue das alleStunden des Tages; ein jährliches Gedenken aber kann Ich nicht brauchen![<strong>GEJ</strong>.02_157,07] Wenn du solch ein Fest bestimmtest, da glichest du ja denTemplern zu Jerusalem, die auch dreimal im Jahre Gedächtnisfeste feiern und andenselben, wegen des Gebrauchs, den Armen Brot austeilen lassen, als könntedann der Arme von solch einem Stückchen Brot von einem Feste bis zumandern ohne weitere Nahrung leben! O des Unsinns solcher lächerlichen Feste!Die Pharisäer wohl nehmen an solchen Festtagen so viel an reichen Opfern ein,daß sie von dem Ertrage nur eines Festes hundert weitere Jahre ganz gut lebenkönnten; aber der Arme soll sich begnügen, so er im Jahre dreimal ein kaum einachtel Pfund schweres Stück Brot bekommt. O der großen Narrheit, Dummheit,Blindheit und selbstsüchtigen Bosheit! – Darum laß du diesen Tisch das sein,was er ist, und du wirst darauf das Mir angenehmste Fest feiern, so du täglichnach deinen Kräften einen oder den andern Armen an diesem oder auch aneinem andern Tische sättigst![<strong>GEJ</strong>.02_157,08] Und käme ein und derselbe Arme an jeglichem Tage zu dir, sofrage ihn ja nicht, ob er anderswo nichts bekomme; denn solches würde demArmen ein banges Herz machen, daß er sich dann lange nicht wieder getraute,zu dir zu kommen, und dein gutes Werk verlöre dadurch allen Wert vor Mir![<strong>GEJ</strong>.02_157,09] Ich will es aber auch nicht, daß du den noch kräftigen Müßiggängern,die Arbeiten zu leisten fähig sind, das Brot der Armen teilen sollst;denen, so sie kommen, gib eine ihren Kräften angemessene Arbeit! Werden siedir eine oder die andere Arbeit verrichten, da gib ihnen auch zu essen und zutrinken; werden sie aber die Arbeit nicht annehmen, so gib ihnen auch nichts zuessen! Denn wer da Kräfte hat, aber nicht arbeiten will, der soll auch nichtessen![<strong>GEJ</strong>.02_157,10] Siehe, wenn du danach deine Handlungen einrichten wirst, sowirst Mir du allzeit ein angenehmstes Gedenkfest bereiten; aber mit deinembeabsichtigten Jahresfeste bleibe du Mir allzeit vom Halse! Denn ein solchesJahresfest ist der größte Unsinn, den ein Mensch begehen kann, weil damitniemandem in irgend etwas gedient ist, – außer dem Festveranstalter, der aneinem solchen Jahresfeste irgendeinen Opfernutzen sich verschaffen kann![<strong>GEJ</strong>.02_157,11] Um was ist denn die Zeit eines Jahres besser denn die einesTages? Wer zum Beispiel den Geburtstag seines Vaters ehrt einmal im Jahre,der sollte ja auch an jedem Tage die Geburtsstunde ehren, was sicher besserwäre denn der jährliche Geburtstag!— 346 —


[<strong>GEJ</strong>.02_157,12] Ich sage es dir, alle dergleichen Gedächtnisfeste der Menschenhaben vor Mir keinen Wert, außer sie werden täglich, ja stündlich im Herzenlebendig begangen. So sind die Neumonde, die Jubeljahre, das Fest der BefreiungJerusalems aus der Gewalt Babylons, das Fest der Wiedererbauung derStadt und des Tempels, das Fest Mosis, Aarons, Samuels, Davids und Salomonsleere Dinge, an denen der Wahrheit nach kaum soviel liegt als an dem Regen,der vor tausend Jahren ins Meer fiel.[<strong>GEJ</strong>.02_157,13] Anfangs werden diese Feste wohl in einer Art religiösenAufschwungs begangen, und die Festanten erinnern sich dabei der Person oderirgendeiner bedeutenden Handlung, die sie selbst erlebt haben, noch sehrlebhaft. In der zweiten, dritten, vierten oder gar zehnten Generation wird es zueiner leeren Zeremonie, bei der Tausende kaum mehr wissen, warum sie begangenwird, – und späterhin geht die ganze Sache ins eitle Heidentum über.[<strong>GEJ</strong>.02_157,14] Übrigens will Ich damit wahrhafte Gedächtnisfeste nichtaufgehoben haben; aber sie müssen nebst der Alljährlichkeit auch die Täglichkeitim Herzen führen, ansonst sie als tot und somit wirkungslos anzusehen sind.Aber hier mit dem Tische bleibe es, wie Ich es dir gesagt und gezeigt habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_157,15] Sagt Ebahl: „Soll alles genauest beachtet werden, was Du, oHerr, nun allergütigst und allerwahrst gezeigt hast; aber dafür wollen wir dieTagesfeste in unseren Herzen desto emsiger begehen und wollen uns dabei nachallen unsern Kräften in der Nächstenliebe üben und durch sie die herrlichstenGedächtnisfeste begehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_157,16] Sage Ich: „So ihr in dem verbleiben werdet, da werde auch Ichverbleiben in euch, und man wird daraus erkennen, daß ihr wahrhaft MeineJünger seid![<strong>GEJ</strong>.02_157,17] Nun aber haben wir gegessen und getrunken zur Genüge;erheben wir uns darum vom Tische und begeben uns hinaus zu unsern Schiffern,und sie werden euch so manches Seltene zu erzählen wissen! Hier hätten wirwenig Ruhe, da in einer Stunde wieder eine Karawane aus Bethlehem hieranlangen wird, darunter einige junge Erzpharisäer, mit denen Ich durchaus inkeine Berührung kommen will; sehet, daß sie heute noch bis nach Sibarahfortgeschafft werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_157,18] Sagt der Hauptmann: „Dafür wird gesorgt sein! Denn nun istmir auf der Erde kein Mensch widerwärtiger denn ein Erzpharisäer!“ – Aufdiese Worte erheben wir uns alle und eilen hinaus zu unseren Schiffern ansMeer.158. — Der 47. Psalm Davids[<strong>GEJ</strong>.02_158,01] Wir treffen die acht Schiffsleute gerade beim Lesen derPsalmen Davids. Als sie uns erschauen, da erheben sie sich vom Boden, begrüßenuns, und ihr Meister geht auf Mich zu und sagt: „Herr, Du allein könntestuns aus einer Verlegenheit retten! Gestern gen Abend hin kamen etliche Phari-— 347 —


säer und Schriftgelehrte zu uns und verlangten eine Überfahrt gen Zebulon undChorazin, und wir verweigerten ihnen solche mit dem, daß wir nicht Herren,sondern nur Knechte des Schiffes seien und nun am Vorsabbat mit der Lesungder Psalmen zu tun hätten. Da verlangte ein junger Schriftgelehrter die Psalterrolleund schlug auf den 47. Psalm und las:[<strong>GEJ</strong>.02_158,02] ,Frohlocket mit Händen, alle Völker, und jauchzet Gott mitfröhlichem Schalle; denn der Herr, der Allerhöchste, ist erschrecklich, eingroßer König auf dem ganzen Erdboden. Er wird alle Völker unter uns zwingenund die Leute unter unsere Füße! Er erwählt uns zum Erbteil, die HerrlichkeitJakobs, den Er liebt. Gott fährt auf mit Jauchzen, und der Herr mit hellerPosaune. Lobsinget, lobsinget Gott, lobsinget, lobsinget unserem Könige! DennGott ist der König auf dem ganzen Erdboden; darum lobsinget Ihm klüglich!Gott ist auch der König über alle Heiden; Gott sitzt auf Seinem heiligen Stuhle.Die Fürsten unter den Völkern sind versammelt zu einem Volk vor dem GottAbrahams; denn Gott ist sehr erhöht bei den Schilden auf Erden!‘[<strong>GEJ</strong>.02_158,03] Als er solchen Psalm schon gelesen hatte, fragte er ganz vollErnstes: ,Verstehet ihr diesen Psalm?‘ Und wir mußten seine Frage leider mitNein beantworten. Heute aber haben wir uns seit früh unsere Köpfe zerbrochen,wissen aber dennoch nicht mehr denn gestern. Tausend Male haben wir an Dichgedacht; wenn Du, o Herr, es wolltest, so könntest Du uns darüber wohl einkleines Lichtlein geben!“[<strong>GEJ</strong>.02_158,04] Sage Ich: „Sehet an dies Mägdlein, das Ich an der Hand führe!Fraget sie darum, die wird euch darüber schon ein rechtes Licht geben!“[<strong>GEJ</strong>.02_158,05] Sagt der Schiffsknechtmeister: „Dies Mägdlein kann kaumvierzehn Sommer haben! Woher käme ihr die Weisheit des Salomon?“[<strong>GEJ</strong>.02_158,06] Sage Ich: „Ja, ja! Nicht nur die Weisheit des Salomon, sonderndie Weisheit der Weisen der Erde und sehr vieles darüber wohnt in ihrem reinstenHerzen! Bis jetzt ist es noch keinem Menschen gelungen, hinter die Sternezu schauen; fraget sie, und sie wird es euch verkünden! Den berühmten ,Steinder Weisen‘ trägt sie in ihrer Schürze; darum wird sie euch den kurzen, aberdennoch inhaltsreichen Psalm wohl zu enthüllen imstande sein. Versucht es nur,und ihr werdet euch überzeugen!“[<strong>GEJ</strong>.02_158,07] Sagt der Schiffsknechtmeister zu seinem Gefährten: „Sie siehtaber im Ernste schon ganz entsetzlich gescheit aus! Nur ist sie dabei von einerwahrhaft engelschönen Gestalt, was eben nicht zu Gunsten ihrer Weisheitspricht! Denn bis jetzt habe ich es noch immer erfahren, daß die schönstenMädchen auch immer die dümmsten waren, was etwas ganz Natürliches ist. Dieschönsten Kinder werden zu sehr verzärtelt und einbilderisch gemacht undlernen darum wenig oder nichts; mit einem minder schönen Kinde aber machtman gewöhnlich nicht viel Aufhebens. Man straft es leicht bei jeder Ungezogenheit,das Kind wird dadurch demütig und bescheiden, es gehorcht, duldet undlernt dabei recht viel. Aber wir wollen sehen, was dies im vollsten Ernstehimmlisch schöne Mädchen uns über unsern Psalm zu geben imstande sein— 348 —


wird.“[<strong>GEJ</strong>.02_158,08] Hierauf wendet sich der Schiffsknechtmeister an die Jarah undbefragt sie darum, und diese sagt mit der liebfreundlichsten Miene von der Welt:„Liebe Freunde, nicht, als hätte ich solches irgend erlernt und wüßte nun darumwie ein Schriftgelehrter, sondern ich fühle es lebendigst in mir, daß das, wasDavids prophetischer Geist vor mehreren hundert Jahren geweissagt hat, nun vorunsern Augen in die vollendetste Erfüllung gekommen ist. Solches solltet ihr jaauch auf den ersten Wurf in euch wahrgenommen haben![<strong>GEJ</strong>.02_158,09] Habt ihr nicht gesehen, wie Er, von dem David spricht, undder nun hier unter uns weilet körperlich, auf dem Meere gewandelt ist, als wärees ein trockenes Land, und sahet ihr nicht, wie Er nun in wenigen Tagen bloßdurch Sein Wort Tausende von allerlei Kranken geheilt hat? Die Blindenbekamen ihr Gesicht, die Tauben ihr Gehör, die Aussätzigen wurden rein, dieLahmen und Krummen gerade! Und da sehet diesen vor uns stehenden Berg;wie sehr machte eine Nacht ihn verändert! Wer kann die Berge versetzen unddas Meer heben aus dem Grunde? Wer ist Der, dem alle Engel und alle dieElemente gehorchen?! Seht, da vor uns stehet Er körperlich; Diesen meinteDavid![<strong>GEJ</strong>.02_158,10] Dem sollen wir mit Händen frohlocken durch Werke wahrer,echter Nächstenliebe, und Ihm sollen wir entgegenjauchzen mit der reinenStimme der Wahrheit ohne Trug, ohne Falsch und ohne Hinterlist! Denn wehejedem, der Ihm mit dem unreinen Schalle der Lüge entgegenjubeln möchte!Denn wie lieblich und sanft Er auch ist den Gerechten, ebenso erschrecklich istEr denen, die Lüge, Falschheit und Trug in ihrem Herzen bergen, wie es auchgeschrieben steht: ,Erschrecklich ist es, zu fallen in die Hände Gottes; denn Gottist ein allmächtiger König über den ganzen Erdboden, vor Ihm kann sichniemand irgendwo verbergen!‘[<strong>GEJ</strong>.02_158,11] Er ist nun da, durch die Macht Seiner Lehre alle Völker zunötigen, unter uns zu treten, um unseres Heiles teilhaftig zu werden, und dieLeute, darunter zu verstehen sind die Kinder der Welt, zum Gericht unter unsereFüße zu legen! Denn nur uns hat Er zu Erben des ewigen Lebens gemacht; jawir sind Sein Erbteil! Er ist es, von dem Jakob sagte: ,O Herr, Du allein bistmeine Herrlichkeit!‘ Und dieweil Jakob solches im Herzen bekannte, so ward erein Liebling Gottes, ein Liebling Dessen, der hier unter uns weilet![<strong>GEJ</strong>.02_158,12] Aber Er wird nicht immer also unter uns verweilen, sondernbald wieder auffahren in Seine ewigen Himmel, und zwar mit der fröhlichenStimme der ewigen Wahrheit, durch die Er eine neue Erde und einen neuenHimmel geschaffen hat, für alle Ewigkeiten der Ewigkeiten; und Er ist und wirdsein der Herr, und der helle Klang Seiner Posaune, die da ist das zu uns geredeteWort, wird solches verkünden aller Kreatur auf und in der Erde und auf undüber allen Sternen, geistig und materiell.[<strong>GEJ</strong>.02_158,13] Diesem also sollen wir nach der Aufforderung Davids lobsingen;denn Dieser ist unser Gott und unser alleiniger König ewiglich!— 349 —


[<strong>GEJ</strong>.02_158,14] Da wir aber wissen, was Er ist, so sollen wir mit reinem undweisem Herzen Ihn ehren und lobpreisen, und nicht nach Art der heuchlerischenPharisäer, die sich einem falschen Jehova mit ihren Lippen nahen, aber dabei ihrHerz vor diesem wahren und lebendigen Jehova verschließen und sich von Ihmentfernen.[<strong>GEJ</strong>.02_158,15] Er ist aber nicht nur unser Gott und König, sondern auch derder Heiden auf dem ganzen Erdboden; denn Er allein sitzet über allen Menschenund über die ganze endlose Schöpfung auf dem ewigen Stuhle Seinerunbegrenzten Macht und Herrlichkeit. Vor Ihm müssen sich alle Fürsten derErde versammeln, wie ihre Völker vor ihnen; denn Er ist der alleinige GottAbrahams, Isaaks und Jakobs. Er allein ist erhöhet durch Sich über alles, auchüber alle Schilde der Mächtigen dieser unserer weiten Erde![<strong>GEJ</strong>.02_158,16] Daß Er zu uns kam, das ist eine selbst den Engeln unbegreiflicheGnade! Aber als Er kam, kam Er nicht unangekündigt; denn es haben davonalle Propheten geweissaget. Aber viele der Weissagungen konnten von denMenschen wegen der stets wachsenden Härte ihrer Herzen nicht verstandenwerden. Nun aber ist Der Selbst gekommen, von dem die Propheten geweissagthaben, und Er Selbst offenbaret Sich allen Menschen, die da eines guten Willenssind.[<strong>GEJ</strong>.02_158,17] Denen aber, die ein böses und hochmutsvolles Herz haben,kann Er nicht anders denn erschrecklich sein! Denn die Bosheit hat gleichfortdie allmächtige ewige Gerechtigkeit zum unerbittlichsten und unbestechlichstenRichter über sich! Gleichwie eine gute, fühlbare Waage schon einen merklichenAusschlag gibt, so man nur ein Haar auf der einen Seite hinzulegt, ebenso kannvor Ihm, der hier ist, keine noch so geringe Falschheit, Verkehrtheit, Bosheit,Ungerechtigkeit und jede andere Ungeschlachtheit des Herzens bestehen!Darum muß Er erschrecklich sein jeglichem Sünder, in dessen Brust ein hartes,verstocktes und böses Herz hänget. – Verstehet ihr nun den 47. Psalm Davids?“159. — Von der Feindesliebe[<strong>GEJ</strong>.02_159,01] Sagt der Schiffsknechtmeister: „Herrlichstes Mädchen! Wergab dir solch eine Weisheit? Wahrlich, du bist weiser denn Abraham, Isaak undJakob!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,02] Sagt die Jarah: „Habe ich euch doch soeben gezeigt, wer Derist, der nun unter uns ist; wenn aber unbestreitbar also, wie möget ihr nochfragen und sagen, woher mir solche Weisheit ward, oder wer sie mir gegebenhat? Da vor uns allen steht der große, heilige Geber aller guten Gaben! Er alleinist weise, und Er allein ist vollkommen gut! Wer Ihn liebt und glaubt in seinemHerzen, daß Er aus Sich heraus ist der Herr Jehova Zebaoth von Ewigkeit, indessen Herz wird Er Sein unerschaffenes ewiges Licht geben, und es wird dannhelle werden im ganzen Menschen; und ein solcher Mensch wird dann sein vollder wahren göttlichen Weisheit durch und durch. – So ihr irgendein Verständnis— 350 —


habt, da muß es euch nun klar sein, wie es nun um uns alle steht!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,03] Sagt der Schiffsknechtmeister: „Ja, ja, du allerliebstes Engelchen!Wir verstehen es nun wohl, und es wird wohl also sein, wie du es uns nunerklärt hast; aber die gestern abend von uns verlangten, nach Zebulon undChorazin überbracht zu werden, die werden das nicht annehmen und daher nochweniger fassen. Wir sind ganz einfache Menschen, und bei uns braucht es kaumeines Wunders, daß wir es glauben; aber bei jenen wird ein Wunder nochschlechtere Früchte erzeugen denn kein Wunder.“[<strong>GEJ</strong>.02_159,04] Sagt die Jarah: „Deshalb wird Er ihnen aber auch erschrecklichwerden; denn die Winde werden Sein Wort über alle Erde hinaustragen!Wehe dem, der es hören, fassen und am Ende dennoch verwerfen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,05] Sage Ich zu den Knechten: „Nun, wie gefällt euch derVerstand dieser Meiner Tochter?“[<strong>GEJ</strong>.02_159,06] Sagen die Knechte: „Herr und Meister! Wenn Du im ErnsteDer bist, der Du nach der weisesten Rede dieses allerliebsten Engels von einemMädchen sein sollst, so ist es ja kein Wunder mehr, daß dies Mägdlein alsoweise ist; denn Der zu Bileams Zeiten vermochte dem Esel zu lösen die Zungealso, daß sie dem Bileam weissagen konnte, Dem muß es ja ein noch leichteressein, eine sprachgewandte Zunge eines vierzehnjährigen Mädchens für dieWeissagung geschickt zu machen![<strong>GEJ</strong>.02_159,07] Wir glauben es nun alle, daß Du das bist, als was Dich unsdies Mägdlein laut vor unsern Augen und Ohren bezeichnet hat, und es bedarfdazu keines neuen Wunders mehr! Aber, da Du, o Herr, das bist, so sieh anunsere große Schwachheit und wandle sie um in eine gerechte Stärke, daß wirdadurch uns schützen können vor den allzeitigen Feinden des Lichtes und derWahrheit! Denn es ist wahrlich traurig, daß wir Juden nun bei den Heiden Lichtund Wahrheit suchen müssen. Jerusalem ist, anstatt allen Menschen eine hellsteLeuchte zu sein, ein Pfuhl der gröbsten Nacht und Finsternis und eine Mördergrubedes alten reinen Geistes der Juden geworden; und so wir nun Licht undWahrheit wollen, müssen wir in Sidon und Tyrus es suchen gehen bei denGriechen und Römern! Darum, Herr und Meister, da Dir alle Dinge möglichsind, so gib uns Licht und Kraft, daß wir die Wahrheit erschauen und sie dannbeschützen können vor den Feinden!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,08] Sage Ich: „Der Friede sei mit euch und unter euch! Keinerdünke sich zu sein über den andern! Ihr alle seid gleich Brüder; aber der sich amgeringsten zu sein dünkt und will aller andern Knecht und Diener sein, der istunter allen dennoch der Meiste und der Höchste! So Ich euch aber zu Knechtenbegehre, da seid ihr in aller Wahrheit auch Meine Macht. Und so ist jeglicherKnecht seines Herrn Stärke, – aber der Herr ist darob des Knechtes Gerechtigkeit!Liebet euch untereinander, tut Gutes euren Feinden, segnet jene, die euchfluchen, und bittet für jene, die euch verwünschen! Vergeltet Böses mit Gutem,und leihet euer Geld nicht denen, die es euch hoch verzinsen können, so werdetihr des Segens und der Gnade Gottes in Fülle in euch haben! Daraus wird euch— 351 —


dann das Licht, die Wahrheit und alle Macht und Kraft in aller Kürze zuteilwerden; denn wie ihr ausmesset, also wird es euch wieder rückgemessenwerden!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,09] Sagt ein unterer Knecht: „Herr, wir sehen und fühlen es, daßDeine Lehre wahr und echt ist; aber wir fühlen es auch, daß sie schwer zu haltensein wird! Es ist sicher sehr löblich und himmlisch schön, denen Gutes zu tun,die da bemüht sind, uns gleichfort einen Schaden zuzufügen; aber wer kann deroft nur zu schmählichen Bosheit der Menschen mit einer stets gleichen Geduldentgegentreten? Und es fragt sich sehr, ob man dadurch dem bösen Willen derMenschen nicht noch mehr Vorschub leistete, als so man sie für ihre böse Tatzüchtigt. So man Diebe und Mörder für ihre Untaten noch belohnete, da würdenbald wenig Menschen mehr der Erde Boden betreten! Darum muß man demFeinde allzeit eine feste Stirne bieten und muß um sein Haus ein dornigesBollwerk ziehen, auf daß dem Feinde für immer die Lust vergehe, einem zuschaden. So wird das des Feindes Sinn sicher eher zur Freundlichkeit stimmen,als so man ihm noch obendrauf für die einem erwiesene Untat eine Wohltatentgegen erweise!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,10] Sage Ich: „Ja, ja, das ist wohl recht gut menschlich gedacht,aber von Göttlichem ist dennoch keine Spur dabei. Durch die Strafe wirst du denMenschen, der dir Übles tat, wohl abschrecken, daß er es nicht so leicht wiederversuchen wird, dir einen Schaden zuzufügen, – aber freund wird er dir darumnimmer! Hast du ihm aber für etwas Arges, das er an dir begangen hat, zurrechten Zeit, da er in eine Not kam, eine Wohltat erwiesen, so wird er seineSünde, die er an dir beging, einsehen, wird sie tief bereuen und wird von derStunde an dein glühendster Freund werden![<strong>GEJ</strong>.02_159,11] Und so wird die für seine arge Tat ihm erwiesene Wohltat ihnbessern für immer; aber die dafür erlittene Strafe wird ihn für dich zu einemnoch sechzigfach größeren Feind umgestalten![<strong>GEJ</strong>.02_159,12] Entstand die erste an dir begangene Sünde etwa nur mehrdurch eine Art Mutwillen und Schadenfreude, so wird die zweite Sünde dir ausZorn und Rache zugedacht werden; darum sage Ich es euch noch einmal: Tutdas, was Ich euch vorhin gesagt habe, so werdet ihr der Gnade Gottes undSeines Segens in aller Fülle teilhaftig werden![<strong>GEJ</strong>.02_159,13] Denn wer von Mir tatsächlich gesegnet sein will, der mußMein Wort, darin alle Gnade, alles Licht, alle Wahrheit und alle Macht wohnt,auch tatsächlich annehmen, ansonst es unmöglich wäre, ihm irgendeine Gnadezu erteilen.[<strong>GEJ</strong>.02_159,14] Nehmet euch aber alle ein Beispiel an Mir; denn Ich bin vonganzem Herzen sanftmütig und demütig und habe mit jedermann die größteGeduld! Scheint die Sonne nicht im gleichen Maße über Gute und Böse, überGerechte und Ungerechte, und fällt der fruchtbare Regen nicht auf das Feld desSünders so gut wie auf das Feld des Gerechten? Seid demnach in allemvollkommen, wie da vollkommen ist der Vater im Himmel, und ihr werdet der— 352 —


Gnade und alles Segens aus den Himmeln in Überfülle haben! – Verstehet ihrwohl solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_159,15] Sagen nun alle: „Ja Herr, wir verstehen es nun alle recht wohl!Es ist schon also alles wahr, gut und somit in der vollsten Ordnung, und wirwerden uns auch alle die möglich größte Mühe geben, das alles buchstäblich zubeachten; aber bei allem dem wird uns wenigstens der Anfang eine große Mühekosten!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,16] Sage Ich: „Ja, Meine lieben Freunde, in dieser Zeit braucht dasHimmelreich Gewalt! Die es nicht mit Gewalt an sich reißen, werden es nichteinnehmen! Ein jeder aber, der sich einen Kampf antut des Himmelreichswegen, ist ein Weiser und ein kluger Baumeister. Ein weiser und klugerBaumann aber baut sein Haus nicht auf den losen Sand, sondern auf einen festenFelsengrund; und so dann kommen Stürme und Wasserfluten, da können siedem Hause nichts anhaben, denn es steht auf einem Felsen.[<strong>GEJ</strong>.02_159,17] Also ist es auch bei dem Kampfe in sich um das Himmelreich.Wer es einmal in sich erkämpft hat, der hat es unverwüstbar für ewig auf sichgezogen. Da mögen was immer für Weltstürme über ihn kommen, und siewerden ihm nichts anzuhaben imstande sein. Aber wer es da in sich nichterkämpft hat mit allem Aufwande seiner Kraft und seines Mutes, der wird in denStürmen der Welt mitgerissen werden und wird verlieren auch noch, was erschon hatte! – Dieses alles merket euch wohl; denn es werden Zeiten kommen,in denen ihr dieses alles gar sehr benötigen werdet!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,18] Sagen nun die Schiffsknechte: „Wir können Dir, o Herr, füralles das nichts als nur einen schlichten Dank darbringen und sehen es nun nurzu klar ein, daß der Mensch aus sich Gott dem Herrn nichts geben kann, was ernicht zuvor von Ihm empfangen hätte; aber nimm Du, o Herr, diesen unsernDank dennoch also, als wäre er vor Dir etwas, und gebiete, was wir Dir zur Ehreund zur Liebe tun sollen!“[<strong>GEJ</strong>.02_159,19] Sage Ich: „Ich habe es euch schon gesagt; tut das, – es bedarfda nichts Weiteres mehr! – Erzählet uns aber nun, was ihr in dieser Nacht allesgesehen und allenfalls auch gehört habt; denn Schiffsleute sehen in der Nachtoftmals recht seltene Dinge. Aber fasset euch in der Erzählung kurz und setzetnichts hinzu, noch lasset geflissentlich etwas weg, um das ihr wißt!“160. — Erzählung der Schiffer über ihre Erlebnisse in der vergangenenNacht[<strong>GEJ</strong>.02_160,01] Wir alle setzen uns nun um die Schiffer auf den schönenRasen. Nur Raphael bleibt stehen, und ein Schiffsknecht sagt zu ihm: „Bursche,setze dich auch, der Rasen ist ein Gemeindegut, und da braucht fürs Daraufsitzenkein Mensch etwas zahlen!“[<strong>GEJ</strong>.02_160,02] Der Engel aber sagte: „Erzählet ihr nur fort; ich werde michschon setzen, wenn ich des Stehens müde werde! Zudem könnte es denn doch— 353 —


geschehen, daß von euch einer oder der andere das Gleichgewicht verlöre, undich kann da schneller bei der Hand sein, jemandem wieder auf die Beine zuhelfen.“[<strong>GEJ</strong>.02_160,03] Sagt der eine Schiffer: „Du wohl du, du fünfzehnjährigerMilchbursche! Dir hängen noch die Windeln an den Beinen, und du traust dirdie Kraft zu, unsereinen aufzuheben, so er fiele? Das heißt, mein Lieber, sich einbißchen zuviel zutrauen!“[<strong>GEJ</strong>.02_160,04] Sagt der Engel: „Fanget einmal zu erzählen an nach demWunsche des Herrn; das andere wird sich dann schon zeigen, wenn es allenfallsnötig werden sollte!“[<strong>GEJ</strong>.02_160,05] Darüber stellt sich der etwas rohe Schiffsknecht zufrieden, undder Schiffsknechtmeister beginnt folgende Erzählung: „Es war so um die ersteNachtwache, da ward es auf einmal sonderbarerweise helle wie am Tage; aberwir sahen nirgends etwas Leuchtendes und dachten uns, es müsse allenfalls etwahinter den Bergen ein indisches Feuer brennen in großem Maße, und es werdevon selbem die Luft also helle gemacht. Nur war die Helle offenbar zu stark, alsdaß wir sie als von einem indischen Feuer abstammend hätten erkennen sollen;aber sei ihm nun wie ihm wolle, die Helle war einmal beinahe die ganze Nachtvorhanden und ward manchmal so stark, daß wir uns im hellsten Tage zu befindenwähnten. Daß es uns dabei dennoch ein wenig unheimlich zumute war, läßtsich leicht denken. Es kamen auch mehrere aus der Stadt zu uns und meinten,das Meer leuchte so stark.[<strong>GEJ</strong>.02_160,06] Aber wir alle wurden nur zu bald einer andern Erscheinunggewahr, und diese war noch um vieles merkwürdiger! Wir wollten nun alle dasMeer in einen größern Augenschein nehmen. Und sieh – aber ich bitte, uns danicht auszulachen! –, es war kein Tropfen Wasser darin, und unser Schiff ruhteauf trockenem Boden; wir aber hatten da Gelegenheit, die ganze Tiefe desMeeres zu schauen. Es war schauderhaft! Unser Schiff lehnte auf einemvorspringenden Felsen; aber auf allen Seiten des Felsens war auch ein Abgrundvon mehreren hundert Mannshöhen. Da in die Bucht gen Genezareth hinein aberist durchgängig nur ein seichter Grund, und wir wandelten darin herum undklaubten eine Menge recht schöner und seltener Muscheln und Schneckenzusammen.[<strong>GEJ</strong>.02_160,07] Als wir aber ganz harmlos mit unserm Sammeln beschäftigtwaren, seht, da geschah auf einmal ein heftigster Blitz, dem ein überaus starkerDonner folgte. Wir flohen jählings ans Ufer, vergaßen darob unsere gesammeltenschönen Muscheln und getrauten uns dann aber auch nicht mehr, dieselbenholen zu gehen, und sie blieben darum bis auf ein paar, die ich in den Sackgesteckt hatte, dort, wo wir sie fanden. Aber erst nachdem etwa in der drittenNachtwache das Meer wieder so wie zuvor die Ufer füllte und bespülte, fiel esuns stets mehr und mehr auf, was dies mit dem doch schön großen Meere füreine Bewandtnis hatte haben müssen, daß es auf einmal so gänzlich bis auf denletzten Tropfen sich irgendwohin hat verlaufen können!— 354 —


[<strong>GEJ</strong>.02_160,08] Aber da sagte zu uns ein alter Mann, der auch hier zu Hausesei, solches täten dann und wann die erzürnten Berg- und Luftgeister und strafetendadurch die Wassergeister! Wir lachten zwar, aber in der Not ist schon eineschlechte Erklärung besser denn gar keine. Etwa in der vierten und letztenNachtwache ward es dann erst etwas dunkler, und wir gingen in unser Schiffund legten uns ein wenig zur Ruhe. Als wir aber wach wurden, stand die liebeSonne schon ziemlich hoch, und wir sahen uns um ein Morgenmahl um. – Dasist in Kürze alles, was wir in dieser Nacht erlebt und beobachtet haben.“161. — Der Schiffsknecht und Raphael[<strong>GEJ</strong>.02_161,01] Als der Schiffsknechtmeister diese seine Erzählung beendethatte, da glitt der früher rauhe Schiffsknecht bei einem etwas ungeschicktenTritte aus beim Gehen ins Schiff, aus dem er seine Muscheln holen wollte, derenauch er einige in der Eile mitgenommen hatte – d.h. in der Nacht aus demtrockenen Meeresgrunde –, und fiel seiner ganzen Länge nach hin, als ob er niegestanden wäre. Da fingen die andern Knechte an, ihn auszulachen und sagten:„Das ist doch gleichfort der alte ungeschickte Mensch!“ – Da ärgerte sich dernoch am Boden Liegende.[<strong>GEJ</strong>.02_161,02] Aber Raphael sprang hinzu, half ihm schnell wieder auf dieFüße und sprach: „Siehst du nun, was das ist, daß ich stehengeblieben bin? Dennmir ist es schon so im Geiste vorgegangen, daß du heute fallen wirst; und nunbist du richtig gefallen, und ich, als dein schwacher Milchbursche, konnte dich,hoffentlich doch schnell genug, vom Boden heben und dir dadurch wieder denungehinderten Gebrauch deiner etwas ungeschickten Füße verschaffen!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,03] Brummt der Schiffsknecht in seinen dicken Bart hinein: „Nunja, das ist wohl gut; aber solche Burschen sind auch oft voll heimlichenBummelwitzes und machen, daß unsereinem etwas begegnet! Oh, ich kenneschon solche Schliffel! Du scheinst sonst ein ganz ehrlicher Bursche zu sein, –aber ein Bursche bist du einmal, und das ist genug! Ein jeder Bursche aber hatimmer etwas Schliffelhaftes im Leibe. Daher bleibe mir nur immer wenigstensdrei Schritte vom Leibe!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,04] Sagt Raphael: „Freund, du irrst dich an mir himmelgroß! Aberich vergebe es dir; denn du weißt es ja nicht, wen du in mir vor dir hast.“[<strong>GEJ</strong>.02_161,05] Sagt der Schiffsknecht: „Nun, nun, was wird man in seinemfünfzehnten Jahre etwa auch schon sein? Höchstens so ein Prinz aus Rom odervon woanders her! Oder bist du etwa gar ein so ein bißchen allmächtigesAnhängsel von unserm lieben Herrgott?“[<strong>GEJ</strong>.02_161,06] Sagt Raphael: „Ja, ja, so etwas dergleichen! – Aber nun holenur deine Muscheln aus dem Schiffe!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,07] Der mürrische Schiffsknecht begibt sich darauf ins Schiff undkommt nach einigen Augenblicken mit ein paar Muscheln und einer Nautilusschneckewieder zu uns zurück und zeigt sie uns.— 355 —


[<strong>GEJ</strong>.02_161,08] Die drei Stücke waren recht schön, aber natürlich von keinemabsonderlichen Werte, und Raphael sagt zu ihm: „Als Angedenken sind sie gutgenug, aber Wert ist keiner darin! Was wirst du nun damit machen?“[<strong>GEJ</strong>.02_161,09] Sagt der Schiffsknecht: „O Milchbube! Auf diese Weise kannman wohl Sperlinge, aber keine ergrauten Schiffer fangen! Du möchtest mirdiese Stücke abtreiben, so ganz umsonst; aber der alte Dismas ist nicht sodumm, wie er vielleicht aussieht! Diese drei Stücke kosten drei Silbergroschenund werden um keinen Pfennig billiger hergegeben; wenn du die drei Groschenhast, so gib sie her, und ich gebe dir diese drei schönen Stücke darum!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,10] Sagt Raphael: „Wegen der drei Groschen, das wäre mir wohldas wenigste; aber daß du eine Sache verkaufen willst, die streng genommennicht einmal dein volles Eigentum ist, das ist mir nicht recht! Sieh, in dieserBucht hat von alters her kein Mensch das Fischerrecht denn allein die Bürgervon Genezareth, oder der, dem sie es verpachten. Du hast diese drei Muschelnsonach auf dem Grunde Ebahls, der dies Wasser im Pachte hat, aufgelesen, undsie sind somit streng genommen dessen Eigentum; wenn er dir sie erst ganzschenkt, dann sind sie dein, und du kannst sie dann auch als dein Eigentumbehandeln.“[<strong>GEJ</strong>.02_161,11] Sagt Dismas: „Da sehe man einmal diesen Milchbuben an!Der spricht ja wie ein Richter aus Rom! Du wärest mir ein sauberer Rechtspatron!Du disputiertest mir noch meinen schlechten Rock vom Leibe! – Das Meerist allenthalben des Schiffers Grund und Boden; was ihm das Wasser gibt, ob ineiner Bucht oder draußen auf der offenen See, das gehört niemandem denn ihmallein, und damit sind alle deine einstudierten Rechtsgrundsätze zu Bodengeschlagen! Denn ein bißchen kennt sich auch unsereiner beim Recht aus!Darum drei Silbergroschen, – und die drei Stücke gehören Dir!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,12] Sagt Raphael: „Wird nichts daraus! Solange sie unser Ebahlnicht als dein Eigentum erklärt, kann ich sie dir nicht abkaufen!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,13] Hier wendet sich Dismas dennoch an Ebahl und fragt ihn, waser zu der Behauptung des Buben sage.[<strong>GEJ</strong>.02_161,14] Sagt Ebahl: „Unser Raphael hat, streng genommen, recht, undich könnte allerdings diese drei Stücke als mir gehörig in Besitz nehmen; aberder von solch einem Rechte nie Gebrauch macht und machen wird, das bin ich,und somit gehören die drei Stücke nun leiblich dir, – geistig aber gehört ohnehindie ganze Erde Gott dem Herrn, und somit auch diese drei Muscheln!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,15] Mit diesem Bescheide ist unser Dismas auch vollkommenzufrieden und fragt nun den Raphael, sagend: „Nun, wie sieht es denn nun ausmit den drei Silbergroschen?“[<strong>GEJ</strong>.02_161,16] Sagt Raphael: „Da sind sie; gib aber die drei Stücke demEbahl, der sie aufbewahren wird zu einem Gedächtnisse an diese Zeit!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,17] Dismas nimmt die drei Groschen und legt die drei Stücke vor— 356 —


Ebahl hin; dieser aber gibt sie der Jarah und sagt: „Da, bewahre sie auf nebendeinen andern Gedenksachen; sie sollen für uns einen großen Wert haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,18] Jarah übernimmt die drei Stücke mit vieler Freude und sagt:„Oh, das sind wundervoll schöne Dinge! Welch ein herrlicher Farbenglanz ausihnen spielt! Wahrlich, da kann und muß man ja mit Hiob ausrufen: ,Wieherrlich sind, o Gott, Deine Werke! Wer ihrer achtet, hat keine eitle Lust daran!‘Wer lehrte die Schnecke sich so ein schönes Haus zu erbauen?! Ohne Balkenund Ziegel steht es herrlicher da, als Salomon war in seiner strahlendstenKönigspracht!“[<strong>GEJ</strong>.02_161,19] Hierauf wendet sie sich an Raphael und dankt ihm für diesesschöne Geschenk, fragt ihn aber zugleich, da sowohl die Schnecke als die beidenMuscheln ihres lebenden Inhaltes bar waren, wohin die einst in diesen schönenGehäusen lebenden Tiere gekommen seien.[<strong>GEJ</strong>.02_161,20] Und Raphael sagt: „Meine liebste Jarah, die Tiere sind schonvor mehreren tausend Jahren gestorben und somit auch schon lange verwest;aber die Gehäuse können noch mehrere Tausende von Jahren bestehen undwerden dadurch weder an ihrer Form noch an ihrer Schönheit etwas Besonderesverlieren. Ihre Materie ist reinster Kalkstoff, und dieser verwest im freienZustande, besonders unter dem Wasser, nimmer! Soviel darfst du vorderhandwohl wissen; was darüber hinausgeht, das wirst du dereinst erst jenseits in allerTiefe kennenlernen!“ – Da erstaunt die Jarah sehr, als sie von solch einem Alterhört.162. — Empfang der Pharisäer in Genezareth[<strong>GEJ</strong>.02_162,01] Aber in dem Augenblick kommt die Nachricht aus der Stadt,daß die etlichen angesagten neugebackenen Pharisäer und Schriftgelehrten ausBethlehem angekommen seien, und zwar mit der geschriebenen und vomTempel signierten Order, daß die Bürger von Genezareth sie sogleich ohneSäumnis bei strengster Ahndung unentgeltlich nach Nazareth zu Wasser oder zuLande zu befördern haben![<strong>GEJ</strong>.02_162,02] Sagt Ebahl, ganz entrüstet über solche Forderungen von seitendes Tempels: „Herr, das geht jahraus und jahrein so; Du bist nun erst kaum fünfTage hier und hast bereits den vierten Zug dieser Müßiggänger erlebt, die da imLande in einem fort hin- und herziehen und jeden Ort, den sie auf ihrem Zugeüberfallen, oft ärger zurichten als ein Heuschreckenheer! Wenn es im Jahre etwazehn Male vorkäme, nun, so ließe ich mir die Sache noch gefallen; aber in jederWoche zwei, drei bis vier solche Züge auszuhalten und ihnen noch dazu jedenmöglichen Vorschub zu leisten, da muß sogar ein Engel ungeduldig werden undbettelarm auch noch obendrauf! Was soll ich nun tun? Wahrlich, ich tue allenArmen gerne nach meinen Kräften Tag für Tag alles mögliche Gute; aber diesenLumpen, diesen wahren Martermeistern der armen Menschheit, möchte ich allenTod und alle Teufel auf den Hals wünschen!“— 357 —


[<strong>GEJ</strong>.02_162,03] Sage Ich: „Freund, laß das gut sein; mit der Geduld wirst dudennoch stets am weitesten kommen! Übrigens überlaß du das nur unseremFreunde Julius; der wird sie sicher schnell weiterbefördern, und sie werden sichdann solche Vorschubleistungen wohl merken und sich nach und nach viel seltenernach dem Orte Genezareth begeben!“[<strong>GEJ</strong>.02_162,04] Sagt der Hauptmann zu seinem Unterführer: „Gehe eiligst hin,nimm zwanzig Mann und begib dich schnell in die Stadt! Erkläre den unverschämtenWichten, daß dieser Ort sich wegen der starken Militärbesatzunggleichfort im Belagerungszustande befindet, den niemand ohne eine ausdrücklicheOrder von seiten irgendeines römischen Oberkommandanten ungeahndetbetreten darf! Und hat er ihn betreten, so werden ihm nach der empfangenenZüchtigung die Augen verbunden und die Ohren mit weichem Lehm verstopft;alsdann werden ihm Hände und Füße gebunden! Also zubereitet wird er in eineBarke gebracht, alldort auf Stroh gelegt und sodann an den angesagten Ortbefördert, allwo er wieder von allen den Hand-, Fuß-, Aug- und Ohrfesseln freizu machen und nach gegebener schärfster Strafandrohung beim Wiederbetreteneines solchen Militärortes ohne rechtsgültige Erlaubnis von seiten irgendeinesrömischen Militäroberkommandanten ans Land mit einem Handstoße zu setzenist. Haben die Bethlehemiten keine solche Ausweisung, so behandelt sie ohneAusnahme also! Haben sie Geld, so können sie sich mit zweihundert PfundenSilbers von der Züchtigung loslösen, aber von den vierfachen Fesseln nicht!Haben sie aber kein Geld, oder wollen sie keines fahren lassen, so soll ein jedervor der Vinkulierung (Fesselung) fünfzehn Rutenhiebe auf den bis an dieLenden entblößten Rücken erhalten! Dixi, fiat!“ (Ich habe gesprochen, es geschehe!)[<strong>GEJ</strong>.02_162,05] Auf diese Worte des Hauptmanns eilte der Unterführer zurStadt mit zwanzig Mann, fand daselbst im Hause Ebahls vierzehn Mann Pharisäerund Schriftgelehrte, die des Hauses Dienerschaft mit allen Flüchen belegten,weil sie ihnen nicht völlig nach ihrem frechsten Sinne dienen wollte.[<strong>GEJ</strong>.02_162,06] Als der Unterführer sie nach der Erlaubniskarte fragte, dasagten die Frechen: „Wir sind Gottes Priester; hier ist des Tempels Zeichen, undmehr bedürfen wir in der ganzen Welt nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_162,07] Sagt der Unterführer: „Dieser Ort befindet sich einstweilen imbeständigen Belagerungszustande; da besteht ein strengstes kaiserliches Gesetz,demzufolge ohne alle Ausnahme niemand Fremdes einen solchen Ort ohne diegewisse gesetzlich dokumentierte Karte betreten darf! Unwissenheit des Gesetzesentschuldigt da niemanden! Da ihr, wie ich sehe, die bewußte Karte nichthabet, so zahlet ihr entweder zweihundert Pfunde Silbers Strafe oder, so es euchlieber ist, ihr bekommet ein jeglicher fünfzehn Rutenhiebe auf den entblößtenRücken! Darauf werdet ihr mit den euch bekannten vierfachen römischenFesseln belegt und an den von euch zu bestimmenden Ort gebracht. Solches hatnun alles ohne die geringste Widerrede zu geschehen; denn jede Zögerung undjedes trotzige Widerwort zieht eine doppelte Verschärfung nach sich!“— 358 —


[<strong>GEJ</strong>.02_162,08] Als die Pharisäer und Schriftgelehrten solche Anrede vernehmen,rufen sie Ebahls Hausmeister und fordern ihn auf, ihnen sogleich diezweihundert Pfunde Silbers zu borgen. Dieser aber sagt: „Hat euch mein Herrdoch nie rufen lassen; wie soll er nun für euch zahlen? Denn euch etwas borgen,hieße sein Geld ins Meer werfen! Ihr habt draußen doch vierzehn belastete Esel!Machet nur dieser Tiere Last um zweihundert Pfunde leichter, und ihr werdetdadurch eure Rücken vor den scharfen Rutenhieben sicherstellen! Ich gebe euchkeinen Stater!“[<strong>GEJ</strong>.02_162,09] Als die Pharisäer und Schriftgelehrten solche Äußerung vondem guten und getreuen Hausmeister Ebahls vernehmen, machen sie ein sehrsaures Gesicht, begeben sich unter der ihnen sehr unliebsamen Begleitung desUnterführers hinaus zu ihren Lasttieren und entledigen diese mit leichter Müheihrer um zweihundert Pfunde Silbers zu schweren Last.[<strong>GEJ</strong>.02_162,10] Als der Unterführer das Geld versorgt hat, legt er ihnensogleich die bekannten Fesseln an und läßt sie samt ihren Lasttieren auf einegeräumige Barke bringen, allwo sie wie die Kälber aufs Stroh gelegt und danachmit der ganzen scharfen Begleitung zu Wasser dahin befördert werden, wohin zukommen sie angaben. Die jungen Leute von Pharisäern und Schriftgelehrtenjammern freilich ganz entsetzlich; aber es nützt ihnen solches nun einmal nichts.– Der Unterführer aber kommt nach einer Stunde wieder zu uns heraus underzählt uns, wie er alles genauest befolgt habe, was ihm der Hauptmannanbefohlen hatte.[<strong>GEJ</strong>.02_162,11] Und der Hauptmann belobt ihn und fragt ihn darauf, wohin erdas abgenommene Geld gelegt habe.[<strong>GEJ</strong>.02_162,12] Und der Unterführer sagt: „Herr, ich habe es unterdessen dembiedern Hausmeister Ebahls zur Aufbewahrung gegeben; du aber kannst nachhermit den zweihundert baren Pfunden Silbers machen, was du willst.“[<strong>GEJ</strong>.02_162,13] Sagt der Hauptmann: „Alles ganz gut, und diese Kerle werdenan unser Genezareth denken! Werden sie hier durchlaufen, oder nehmen sie dieRichtung durch den oberen kleinen Arm, oder werden sie etwa gar durch dieBahn gehen, die zuoberst des kleinen Arms, resp. vom selben nur durch eineganz schmale Erdzunge getrennt, ins Meer gehet, aber dennoch tief und breitgenug ist, eine Barke von etlichen dreißig Menschen Ladung zu tragen, ohne desBodens Schlamm zu berühren?“[<strong>GEJ</strong>.02_162,14] Sagt der Unterführer: „Um jedes lästige Aufsehen hintanzuhalten,des heutigen Sabbats der Juden wegen, habe ich sie auf die Bahn verwiesen.“[<strong>GEJ</strong>.02_162,15] Sagt der Hauptmann: „Wieder ganz gut und weise! Du sollstbald befördert werden, das sagt der Hauptmann Julius dir! – Die werden sich dasGenezareth merken und so bald nicht wieder hierherkommen!“— 359 —


163. — Der Hauptmann Julius erzählt einige Erlebnisse mit den Templern[<strong>GEJ</strong>.02_163,01] (Der Hauptmann:) „Ich sage es euch: Mit diesen Menschenmuß man geradewegs schonungslos verfahren, sonst ist mit ihnen nicht mehrauszukommen. Ich war der Mensch sicher nie, daß mich je darob eine Art Lusthätte anwandeln können, so ich, durch Umstände gedrungen, irgendeinenböswillig verstockten Sünder habe züchtigen lassen müssen; allzeit erwog ichgenau alle Umstände, die den Menschen zu einem Verbrechen mochten verleitethaben. Aber diesen jüdischen Tempeldienern könnte ich sogar höchst eigenhändigmit Lust die Köpfe vom Rumpfe schlagen, und das darum, weil sie imErnste die größten und hartnäckigsten Verbrecher an der armen Menschheitsind. Wahrlich, es geht ihre eigentliche, mit einer höchst miserablen Farbe voneiner religiösen Moralität übertünchte Tendenz, wenn man sie so recht ins Augefaßt, ja mehr als ins Teuflisch-Scheußliche über![<strong>GEJ</strong>.02_163,02] Ich selbst habe mich mit meinen Augen und Ohren überzeugt,als ich in Jerusalem stationiert war, wie sie einem Menschen, der noch ein paarGroschen in seiner Tasche hatte, auf Leben und Tod zusprachen, sein Geld inden Gotteskasten zu legen! Der gute, aber natürlich schwache Mensch legtewirklich einen Groschen in den Kasten und entschuldigte sich damit, denzweiten Groschen deshalb nicht in den Kasten legen zu können, weil er weitnach Hause habe und ohne diesen einen Groschen am Wege verschmachtenmüßte! Aber das half nichts! Die Pharisäer machten ihm die Sache begreiflich,daß es für seine Seele im höchsten Grade heilsam sei, Gott und Seinem Tempelzuliebe und zur Ehre am Heimwege zu verhungern! Behalte er aber denGroschen, den Gott durch ihren Mund von ihm verlangt, so könne seine Seeleewig nie zur überaus angepriesenen Anschauung Gottes gelangen, und ihr Loswerde sein, ewig zu brennen in den Flammen des Zornes Gottes! Der Menschward darauf blaß, fing an zu zittern, griff mit bebender Hand nach seinemletzten Groschen und legte selben auch in den Gotteskasten. Darauf murmeltendie Kerle etwas wie ein Gebet über den armen Teufel und hießen ihn danngehen.[<strong>GEJ</strong>.02_163,03] Ich aber ging dem traurigen Menschen nach, und als wir unsganz außerhalb des Tempels befanden, trat ich zu ihm und sagte zu ihm in einemfreundlich-ernsten Tone: ,Guter Freund, wie könnt ihr denn gar so schwach sein,euch von diesen Räubern eure letzte Habe herausschwätzen zu lassen!? Was dieim Tempel zu euch geredet haben, daran haben sie selbst noch nie geglaubt; abersie wissen, daß schwache Menschen sie in ihrer Blindheit für allwissendeHalbgötter halten, schrecken ihnen darum alle ihre Habe heraus und verprassensie dann in großem Wohlleben, während der Arme am Wege des Hungers stirbt.– Da habt ihr zwei andere Groschen wieder und begebet euch nach Hause!Kommet aber ja nicht wieder hierher! Denn ich sage es euch: Dies sein sollendeGotteshaus ist eine Räuberhöhle und Mördergrube, an der ein wahrer Gottnimmer ein Wohlgefallen haben kann!‘[<strong>GEJ</strong>.02_163,04] Der Mensch sah mich eine Weile ganz verblüfft an, nahm das— 360 —


Geld aus meiner Hand und sagte endlich: ,Großer Herr! Du mußt mehr wissendenn ich; du wirst schier recht haben!‘ – Darauf verließ er mich und begab sichin seine Heimat.[<strong>GEJ</strong>.02_163,05] Ähnliche Begebnisse habe ich im Tempel tausendmal gesehenund gehört; ja ich war zugegen, als ein solcher Pfaffe eine Tochter bearbeitete,deren Mutter reich war, aber als eine vernünftige und heller denkende Frau denGotteskasten im Tempel noch nie mit einem Groschen bereichert hatte. DerPfaffe zeigte es der Tochter wie sonnenklar, daß sie ewig verloren sein werde,so sie sich nicht alle Mühe gäbe, die Mutter heimlich total zu bestehlen und dasGeld in den Gotteskasten zu legen. Glücklicherweise war die Tochter, so wieihre Mutter, stark samaritanischer Gesinnung, und es gelang dem Heuchler undBetrüger nicht, die Tochter zum Diebstahl zu verleiten, worüber ich eine großeFreude hatte.[<strong>GEJ</strong>.02_163,06] Ich habe mir bei solchen Gelegenheiten mehr denn einmalgedacht: So ich Landpfleger in Jerusalem wäre, wäre der Tempel schon langevon all dem Geschmeiße gereinigt worden! Aber als ein einem römischenLandpfleger höchst untergeordneter Mensch kann ich nichts machen und tun,denn seine Befehle in Vollzug zu bringen.[<strong>GEJ</strong>.02_163,07] Mit dem Pontius Pilatus aber ist und bleibt nichts anzufangen;er ist ein Naturforscher, ein Busenfreund der Gelehrten von Pompeji und Herkulanum,und kümmert sich ums Regierungsgeschäft wenig, läßt Herodes und dieTempler nach ihrer Willkür schalten und walten, wenn sie nur ihren Tribut nachRom pünktlich und richtig bezahlen. Glücklicherweise stehe ich hier nicht unterdem Stabe des Pontius Pilatus, sondern unter dem des Kornelius, und dieserunter dem des weisen und höchst gerechten alten Vaters Cyrenius, der gleichmir ein abgesagter Feind Jerusalems ist, und so kann ich in solcher meiner freienund von Jerusalem gänzlich unabhängigen Stellung die Pharisäer und Gottesleugnervon Schriftgelehrten ganz gehörig bedienen, so sie mir in den Wurfkommen; und Du nun, mein wahrer Gott und Herr, wirst mir das doch sicher zukeiner Sünde anrechnen!?“164. — Über die Nachfolge Jesu[<strong>GEJ</strong>.02_164,01] Sage Ich: „Von Mir aus bist du rein; nur das beachte du stetsbei deinen die Menschen leitenden Handlungen, daß du dabei nie vergissest, daßda auch der Sünder dein Bruder ist![<strong>GEJ</strong>.02_164,02] Fühlst du Zorn in deinem Herzen über den die gerechte Strafeverdient habenden Sünder, dann lege die Zuchtrute aus der Hand; denn durchdeinen Zorn wird sie nicht zum heilsamen Wegweiser, sondern zur Schlange,die in die Wunde, die sie dem Wanderer durch ihren Biß verursachte, keinenheilsamen Balsam, sondern ein tödliches Gift haucht, das dem Verwundeten denTod bringt.[<strong>GEJ</strong>.02_164,03] Glaube auch nicht, daß du dir dadurch einen Feind vom Halse— 361 —


geschafft habest, so du ihm den Tod geben ließest! Denn war er dir im Erdenlebennur ein einfacher Feind, so wird er nach dem Leibestode als ein freier Geistdir ein hundertfacher werden und dich quälen mit hunderterlei Übeln dein Lebenlang, und du wirst kein Mittel finden können, das dich befreite von deinemunsichtbaren Feinde.[<strong>GEJ</strong>.02_164,04] Darum, wenn du jemanden züchtigest, da züchtige ihn mitLiebe und nie mit dem Zorne! Treibe es darum in der Folge auch mit den Pharisäernnicht zu bunt! Denke dir: ,Siehe, das sind blinde Leiter der Blinden!‘ DieWelt aber ist es, die sie blind macht; diese aber ist des Satans, den du hastkennengelernt.[<strong>GEJ</strong>.02_164,05] Sieh, in Mir ist alle Macht und Gewalt über Himmel undErden. Ich könnte sie alle mit einem Gedanken vernichten, und dennoch ertrageIch sie mit aller Geduld bis zur rechten Zeit, da ihr Maß voll geworden.[<strong>GEJ</strong>.02_164,06] Auch Mich erzürnen die Menschen und machen durch ihreUnverbesserlichkeit Mein Herz traurig; aber Ich ertrage sie dennoch undzüchtige sie stets mit der Liebe, auf daß sie sich bessern und eingehen möchtenins Reich des ewigen Lebens, dafür allein sie erschaffen worden sind. Willst dudemnach ein rechter Richter sein, so mußt du in allem Mir nachfolgen![<strong>GEJ</strong>.02_164,07] Es ist wohl leichter, ein Urteil über jemanden auszusprechen,als ein Urteil über sich ergehen lassen; wer aber das Urteil eines Menschen, derverurteilt ward, auf sich nimmt und dann für das rechte Emporkommen desVerurteilten sorgt, der wird dereinst groß heißen in Gottes Reich. – Dies nunGesagte merket ihr alle euch wohl! Denn so Ich es also anordne und also habenwill, so könnet ihr es doch nicht anders haben und machen wollen!? Ich bin derHerr über Leben und Tod! Ich allein weiß es, was das Leben ist, und was dazuerforderlich ist, um es für ewig zu erhalten und dasselbe zu genießen in allerGlückseligkeit![<strong>GEJ</strong>.02_164,08] Werdet ihr leben nach Meiner Lehre, so werdet ihr das Lebenerhalten in aller Glückseligkeit; werdet ihr aber dawiderhandeln, so werdet ihr esverlieren und eingehen in den Tod, welcher ist alles Lebens unglückseligsterZustand, ein Feuer, das nie erlischt, und ein Wurm, der nie stirbt!“[<strong>GEJ</strong>.02_164,09] Sagt der Hauptmann: „Herr, ich sehe die Notwendigkeit allesdessen nur zu wohl ein, aber auch zugleich die ungeheure Schwierigkeit, strengdanach zu leben. Kleine Hügelchen zu planieren, ist wohl keine große Kunst;aber wo sich uns ganze Berge von Schwierigkeiten und Hindernissen entgegenstellen,da ist es dann schon rein unmöglich, einen geraden Weg weiter fort zumachen. Da, Herr, mußt Du uns helfen!“[<strong>GEJ</strong>.02_164,10] Sage Ich: „Eben darum bin Ich aber ja auch in diese Weltgekommen, um euch allen da Hilfe zu geben, wo ihr aus euch selbst ewig keinenAusweg mehr gefunden hättet! Darum vertrauet und bauet allzeit auf MeinenNamen, und es wird euch dadurch das unmöglich Scheinende möglich werden!– Nun aber wollen wir uns wieder ins Haus begeben; denn die Sonne ist dem— 362 —


Untergange nahe gekommen.“[<strong>GEJ</strong>.02_164,11] Es fragt aber der Oberschiffsknecht, bis wann sie das Schiff zueiner allfälligen Abreise in der Bereitschaft halten sollen.[<strong>GEJ</strong>.02_164,12] Sage Ich: „In jeder Stunde müsset ihr zur Abfahrt bereit sein,auf daß, so da kommt der Herr des Schiffes vor der Zeit, er euch nicht faul unduntätig finde, euch dann entziehe den Lohn und euch tue aus dem Dienste! Doch– Gott dienen ist leicht, aber den Menschen dienen ist schwer!“[<strong>GEJ</strong>.02_164,13] Fragt weiter der Oberschiffsknecht: „Herr, wenn etwa morgendie Pharisäer, die gestern wahrscheinlich als Missionare und Bekehrer nachJesaira gezogen sind, um die dortigen, zumeist zum Griechentum übergegangenenJuden wieder für den Tempel zu gewinnen, wieder hierherkämen undwollten sich mit uns über den 47. Psalm in eine Disputation einlassen, wie sieuns solches versprochen haben, was sollen wir zu ihnen sagen?“[<strong>GEJ</strong>.02_164,14] Sage Ich: „Da verheißet ihr ihnen sieben gute Groschen, so sieden Psalm euch gut erklären; erklären sie ihn euch schlecht, so sollen sie nichtsbekommen, und können sie ihn euch gar nicht erklären, dann sei an euch dasRecht, von ihnen sieben gute Groschen zu verlangen und sie dann unter Androhungvon militärischer Hilfe, so sie die Zahlung verweigern würden, zunehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_164,15] Sagt der Hauptmann: „Kommt dann nur zu mir, und sie sollensiebenmal sieben Groschen zahlen ohne alle Gnade und Schonung!“[<strong>GEJ</strong>.02_164,16] Damit geben sich die Schiffsknechte völlig zufrieden, und wirbegeben uns in die Stadt und allda ins Haus Ebahls, allwo die Dienstleute, da dieSonne schon untergegangen ist, vollauf beschäftigt sind, uns ein gutes Abendmahlzu bereiten. Der Hauptmann aber übernimmt die zweihundert PfundeSilbers und übergibt sie dem Ebahl mit den Worten: „Nimm sie in deinen Besitzals eine kleine Entschädigung für die vielen hundert und abermals hundertArmen und Kranken, die du verpflegt hast, und von denen du nie auch nur einenStater verlangt hast! Du bist aber auch wahrlich der einzige Mensch in dieserStadt, der es verdient, ein Mensch zu sein! Alles andere Volk von dieser Stadtverdient den ehrenhaften Namen nicht; denn es ist total tot, kümmert sich umnichts und macht und bricht auch nichts! Meinet ihr, die Wunder alle, die hier indiesen etlichen Tagen ausgeübt worden sind, haben auf dies Volk etwa irgendeinenEindruck gemacht? Mitnichten! Diese Memmen schlendern umeinander, alsob nichts da wäre! Ja, sie haben sich wohl heilen lassen, die da krank waren,bedankten sich aber kaum dafür und denken heute auch kaum mehr daran, daßsie krank waren, und daß sie von ihrer Krankheit vollkommen wunderbarstgeheilt worden sind! Darum ist mein Ebahl auch der einzige Mensch in dieserStadt; alles andere ist wahrlich mehr Tier als Mensch!“[<strong>GEJ</strong>.02_164,17] Ebahl übernimmt das Geld mit dem Bemerken, daß er es nurfür die besten und den Menschen dienlichsten Zwecke verwenden werde.— 363 —


165. — Szene zwischen Raphael und Jarah[<strong>GEJ</strong>.02_165,01] Auf diese Verhandlung bringen die Diener auch schon Weinund Brot und eine Menge bestens zubereiteter Fische, und alles begibt sich anden wohlbesetzten Tisch. Unsern Raphael zieht die Jarah an den Tisch und setztihm einen großen Fisch vor, daß er ihn äße. Aber Raphael sagt: „LiebsteSchwester, das wäre wohl zuviel für ein Nachtmahl; darum lege mir einenkleineren Fisch vor!“[<strong>GEJ</strong>.02_165,02] Sagt die Jarah: „Oh, sah ich dich doch heute mittag mehreresolche Fische verzehren, und so wirst du für den Abend wohl auch mit dem zuEnde kommen! Iß nur! Siehe, mein Herr Jesus ist wohl ein endlos größerer underhabenerer Geist denn du, und dennoch ißt Er nun schon den zweiten Fisch mitsichtbarer Lust, trinkt dazu Wein und ißt stets auch ein Stück Brot darunter; tuedu desgleichen! Jetzt bist du einmal Mensch mit uns und mußt unser Menschlichesdarum nicht geringschätzen, weil du sonst ein erster Engel Gottes bist!“[<strong>GEJ</strong>.02_165,03] Sagt Raphael: „Nun, wenn du es schon durchaus also willst, somuß ich mich deinem Willen ja wohl fügen; denn du bist einmal schon ein zuliebenswürdiges Kind, und man kann dir aus Liebe zu dir nichts abbieten(abschlagen).“ – Darauf nahm Raphael den ganzen, wenigstens gut fünf Pfundewiegenden Fisch in die Hand, führte ihn zum Munde und verzehrte ihn in einemkaum glaublich schnellsten Augenblick.[<strong>GEJ</strong>.02_165,04] Als solches die Jarah bemerkte, sagte sie ganz verblüfft: „Aberum des Herrn willen! Wo hast denn du den großen Fisch nun so schnell hingebracht?Freund, bei solch einer Eßfähigkeit könntest du wohl auch ein gebratenesMeerungeheuer mit großer Leichtigkeit verzehren! Der große Fisch, indessen Bauche Jonas drei Tage schmachtete, wäre am Ende für dich nur einSpaß, ihn mit einem Bissen in den Magen zu schieben!?“[<strong>GEJ</strong>.02_165,05] Sagt Raphael: „Auch viele Tausende von solchen Fischenwären mir sozusagen nur ein Scherz, sie unters Dach zu bringen. Aber hiergenügt der mir von dir dargereichte; er hat mir wahrlich recht wohl geschmeckt.Ich hätte ihn auch langsam, dir gleich, verzehren können; aber da würdest du aufden Gedanken gekommen sein, daß ich schon völlig ein irdischer Mensch sei, –und das wäre nicht gut für dich, weil du sogestaltig in meine Person, resp. Formverliebt werden könntest! Nun ich dir aber bei Gelegenheit zeige, daß ich nochkein vollendeter Erdenmensch bin, so schreckt dich das zurück, und du bleibstdabei leicht in deinem und ich in meinem Geleise. Du wirst schon noch mehreresolcher mutwilligen Stückchen von mir erleben! So ich will, kann ich auch rechtschlimm werden; aber da hat mein Schlimmsein stets einen weisen Grund.“[<strong>GEJ</strong>.02_165,06] Sagt die Jarah: „Das gefällt mir aber nicht von dir, wenn duetwa nur durch eine schlimme Handlung irgendeinen guten Zweck erreichenwillst! Siehe hier den Herrn, der allein meine Liebe ist; der erreicht auch ohneeine schlimme Handlung lauter gute Zwecke! Warum du nicht? Ich bin derMeinung – und die laß ich mir nicht nehmen –, daß das Schlimme allzeit wieder— 364 —


Schlimmes hervorbringt, und nur das Gute wieder das Gute. Wer bei mir etwasGutes durch etwas Schlimmes erreichen will, der irrt sich gewaltig, – und wäreer ein tausendfacher Engel! Das sage ich dir, daß du mir ja mit nichts Schlimmemkommst, sonst kannst du mir vom Halse bleiben! Ich bin nur ein schwachesMädchen, ja ein Würmchen vor dir; aber dennoch wohnt in meinem HerzenGottes Liebe, und diese verträgt nichts auch nur scheinbar Schlimmes. –Verstehst du, mein lieber Raphael, das?“[<strong>GEJ</strong>.02_165,07] Sagt Raphael: „O ja, das ist schon noch zu verstehen, und ichverstehe es darum auch wohl; aber daß du mich mit meiner zeitweiligenSchlimmheit nicht verstanden hast, geht klar aus dem hervor, weil du michdarob reprimandiert (zurechtgewiesen) hast; wenn du mich erst wirst verstandenhaben, dann wirst du gegen mich nicht ärgerlich werden! Damit du aber siehst,daß das himmlische Schlimmsein auch eine glänzende Tugend ist, so will ich dirsolches durch ein kurzes Beispiel recht handgreiflich klarmachen.[<strong>GEJ</strong>.02_165,08] Sieh, wir Himmelsgeister haben eine weite Sehe; deinGedanke reicht nicht so weit, als wir mit einem Blicke in größter Klarheit durchschauen!Da fügt es sich denn wohl sehr oft, daß hie und da, besonders aufdieser Erde, die Menschen so recht mutwillig böse werden. Wir ziehen ihn, denMenschen, hundert Male von einer großen Gefahr zurück, aber es juckt undtreibt ihn gleich wieder, sich von neuem in dieselbe Gefahr zu begeben. Wennalles das dennoch nichts hilft, dann lassen wir endlich zu, daß der Mensch sichendlich wieder aus Mutwillen in die Gefahr begibt, und wir lassen ihn dann sorecht fest anrennen, daß ihm darob nicht selten auf längere Zeit das Hören undSehen vergeht. Und er, dadurch gewitzigt, wird dann aus der Erfahrung klug,läßt seinen Mutwillen und oft bösen Aberwitz fahren und wird dann ein wie aussich gebesserter Mensch.[<strong>GEJ</strong>.02_165,09] So können oft die Eltern ihre Kinder nicht oft genug undhinreichend wirksam vor diesen und jenen Spielereien, die oft sehr gefährlichwerden können, warnen; da kommen wir mit unserer himmlischen Schlimmheitund machen, daß sich solche Kinder bei ihren verbotenen Spielen recht empfindsambeschädigen, ja manchmal lassen wir es sogar darauf ankommen, daß dabeiein oder das andere Kind den Ungehorsam sogar mit dem Tode bezahlen muß,zum abschreckenden Beispiele für die andern. Die Kinder werden dadurchabgeschreckt, bekommen endlich eine große Furcht vor den verbotenen gefährlichenSpielen und kehren nicht mehr zu denselben zurück. Es tritt dann bei ihnender Spruch als wirkend ein: ,Ein gebranntes Kind fürchtet das Feuer!‘[<strong>GEJ</strong>.02_165,10] Auch bei dir habe ich schon ein paar Male vor etlichenErdjährchen eine ähnliche himmlische Schlimmheit ausgeführt, und sie hat dirsehr gute Dienste geleistet, darum du hernach bald ein wahrhaft frommes Kindgeworden bist. – Nun, was sagst du jetzt zu meinem Schlimmsein?“— 365 —


166. — Von der Liebe, Sanftmut und Geduld[<strong>GEJ</strong>.02_166,01] Sagt die Jarah so halblaut, ein wenig betroffen: „Nun ja, wennalso, dann muß es wohl freilich recht sein; hättest du mir das früher gesagt, sohätte ich dir sicher nichts eingewendet! So man bei der bekannten Unantastbarkeitder Freiheit des menschlichen Willens durch alle möglichen sanften Mittelnichts auszurichten imstande ist, dann bleibt wohl freilich nichts mehr übrig, alsein schlimmes Mittel in Anwendung zu bringen. Nun, nun, wir werden unsschon noch verstehen, nur mußt du nicht gleich so heftig werden! In sanfterRedeweise gefällst du mir sehr; aber wenn du, mit deinen Worten dich förmlichüberstürzend, heftig wirst, dann ist aus deinem Munde selbst die reinsteWahrheit nicht gut anzuhören.[<strong>GEJ</strong>.02_166,02] Ich meine denn also, daß in der Folge wenigstens auch allenoch so vollkommenen Geister der Himmel sich also zu reden bemühen sollten,wie da redet der Herr und Schöpfer aller Geister, Sonnen, Welten undMenschen! Des Herrn Rede in noch so ernsten Dingen klingt gleichfort so sanft,als wie sanft da ist die Wolle eines Lammes, und Seine Worte fließen wie Milchund Honigseim. Also aber sollte sich dann auch ein jeder Lehrer und Führernach Ihm richten; denn in einem sanften Redeton liegt nach meiner Beurteilungdennoch stets die größte Kraft! Wer da schreit und heftig spricht, der beleidigtoft, wo er eigentlich heilen wollte. Sieh an das gleich freundliche Angesicht desHerrn gegen Freund und Feind; und wen kann es wundernehmen, wenn Krankegesund werden, wenn Er sie nur ansieht?! Also, mein liebster Raphael, mußtauch du sein in Rede und Tat gegen mich und gegen jedermann, dann wird jederdeiner Tritte über diese Erde hin von Segen triefen!“[<strong>GEJ</strong>.02_166,03] Darauf ziehe Ich die Jarah an Meine Brust und sage zu allen,die hier gegenwärtig sind: „Das ist bis jetzt Meine vollendetste Jüngerin, zu derIch wahrlich Meine Engel in die Schule senden kann; denn diese hat Mich amtiefsten ergriffen und lebendigst aufgefaßt. Aber sie besitzt darum Meine Liebeauch im vollsten Maße.[<strong>GEJ</strong>.02_166,04] Wahrlich, so ihr hinausgehen werdet und werdet lehren dieVölker in Meinem Namen, da gedenket der Worte, die dies überliebe und zarteMägdlein nun zu Meinem Engel geredet hat, und eure Schritte und Tritte werdenvon allem Segen begleitet sein! Seid geduldig und in allem voll Sanftmut, sowerdet ihr den vollsten Segen streuen in die Herzen der Menschen! – Aber MeinEngel Raphael mußte also reden, damit er diese Meine allerliebste Jarah zu dergegebenen Lehre verlockte; im übrigen aber ist er ebenfalls so sanft wie einesanftkühlende Abendluft und so weich wie die zarteste Wolle eines Lammes.“[<strong>GEJ</strong>.02_166,05] Diese Worte merkten sich alle wohl und waren vollkommendamit einverstanden. Nur der Hauptmann bemerkte und sagte: „Dies ist allesgöttlich, rein und wahr; aber so ich eine zu sanfte Sprache redete mit meinenSoldaten, so würde ich damit wohl eine schlechte Figur machen, und die Soldatenwürden mir kaum gehorchen! So ich aber so recht zu blitzen und zu donnernanfange, da geht dann alles gut und sicher!“— 366 —


[<strong>GEJ</strong>.02_166,06] Sage Ich: „Es ist hier aber auch nicht so sehr von eineräußeren als vielmehr von einer inneren, wahren Sanftmut die Rede. Wo esabsolut nötig ist, von der himmlischen Schlimmheit einen weisen Gebrauch zumachen, da tue man das; denn die eigentliche Regel aller Weisheit ist: ,Klugsein gleich den Schlangen und dabei dennoch sanft gleich den Tauben!‘“[<strong>GEJ</strong>.02_166,07] Sagt der Hauptmann überfreundlichen Angesichtes: „Herr, nunhabe ich alles; also ist durch alle Himmel hindurch gerechtfertigt die Handlungeines Gerechten! Aber man muß dabei sich auch aufs Rechnen verstehen, aufdaß man sich in der vermeinten Klugheit nicht verrechne, und da meine ich nachder Kunst des Euklid, daß man zu einer bestimmten Größe von Klugheit einegleiche Größe von Liebe, Geduld und Sanftmut hinzuaddiert, und man wirddadurch ein fehlerfreies Resultat herausbekommen!“[<strong>GEJ</strong>.02_166,08] Sage Ich: „Ja, ja, also wird die Rechnung am besten gestelltund des gesegnetsten Resultates vollkommen sicher sein, und alle Gerechtigkeitund jegliches Gericht wird darin seine volle Rechtfertigung haben! Das ist einGrund, auf dem sich bauen läßt; wo aber kein Grund ist, da läßt sich auch keinGebäude aufführen. Leget sonach allenthalben solchen Grund, bevor ihr bauenwollt, und eure Mühe wird keine vergebliche sein![<strong>GEJ</strong>.02_166,09] Ihr seid aus Gott und sollet daher auch in allem Gott gleichsein; Gott aber läßt Sich Zeit im Schaffen. Zuerst wird der Same, daraus derKeim. Aus dem Keime erst erwächst der Baum; dieser aber treibt zuerstKnospen, dann Blätter, dann Blüten und endlich erst die wohlschmeckendeFrucht, in die abermals der Ursame gelegt ist und zur weiteren Fortpflanzung inder Frucht ausgereift wird.[<strong>GEJ</strong>.02_166,10] Wie es aber zugeht mit einer Pflanze im kleinen, also geht esauch zu mit einer ganzen Welt. Die Sonne steigt nicht unangekündigt über denHorizont, und einem Sturme gehen allzeit warnende Boten voran, die allzeitwohl zu erkennen sind.[<strong>GEJ</strong>.02_166,11] Wenn denn Gott Selbst in allen Dingen solch eine Ordnungdes Nacheinanderwerdens allerstrengst und mit der größten Geduld und Ausharrungbeachtet, so werdet wohl auch ihr, als Meine wahrhaftigen Jünger, Mir inallem dem Nachfolge tun, was Ich euch gezeigt und wozu Ich euch den Weggebahnt habe, auf daß ihr nicht irre werdet am selbstgemachten Wege! – Habtihr alle das wohl verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_166,12] Sagt der Hauptmann: „Herr, ich für meinen Teil habe alleswohl verstanden und glaube, daß sich unter uns wohl niemand mehr befindet,der diese übersonnenhellen Wahrheiten aus den Himmeln nicht verstanden hätte.Dir allein allen Dank und alle Ehre darum!“[<strong>GEJ</strong>.02_166,13] Sage Ich: „Du meinst es wohl, daß diese meine Worte alle hierAnwesenden verstanden haben?! Ja, sie haben das auch verstanden, auch dereine hat es verstanden – mit seinem Gehirne, aber nicht mit seinem Herzen!“[<strong>GEJ</strong>.02_166,14] Auf dies Wort wurden alle verlegen, und die Jünger fragten— 367 —


Mich, wer es sei, den Ich gemeint habe.[<strong>GEJ</strong>.02_166,15] Ich aber sagte: „Noch ist es nicht an der Zeit, solches vomDache herab kundzutun; wenn aber die Zeit kommen wird, da werdet ihr euchdieser Meiner Worte wohl erinnern. Wer von euch aber nun irgendeine Vermutunghegt, der behalte sie in seinem Herzen; denn vor der Zeit soll kein Baumgefällt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_166,16] Nach solchen Meinen Worten begriffen die Jünger wohl, daßIch den Judas Ischariot gemeint hatte; aber sie schwiegen und gaben durch keinZeichen ihre begründeten Mutmaßungen kund.[<strong>GEJ</strong>.02_166,17] Es fragten Mich aber Matthäus und Johannes, ob sie solcheherrlichste Lehre wohl aufzeichnen dürften zum Besten der Menschen.[<strong>GEJ</strong>.02_166,18] Sage Ich: „Ihr möget die Lehre der Liebe, Sanftmut undGeduld wohl auf ein eigenes Blatt vorderhand anmerken, – aber nicht zu dem imHauptbuche bereits Geschriebenen; denn Ich werde davon noch mehrmals redenund werde es euch schon anzeigen, wann ihr es aufzuzeichnen habt. – Nun aberwollen wir ruhen und uns abermals in der inneren Selbstbeschauung üben,welche da ist eine wahre Sabbatfeier in Gott!“[<strong>GEJ</strong>.02_166,19] Auf diese Worte aus Meinem Munde ward alles stille imHause, und wir saßen also bei drei Stunden.[<strong>GEJ</strong>.02_166,20] Nach dieser Zeit aber sagte Ich: „Nun ist der Sabbatvollbracht, und wir können nun auch unsern Gliedern eine nötige Ruhespenden!“ – Darauf begab sich alles zur Ruhe des Fleisches, und es ward schonziemlich spät am Morgen, als wir die Lager verließen.167. — Abschied des Herrn und Abfahrt nach Sidon und Tyrus. (Matth.15)[<strong>GEJ</strong>.02_167,01] Nach eingenommenem Morgenmahle beschäftigten wir unsmit allerlei, und Ich gab dem Ebahl so manche Landwirtschaftsregel, wie erseine Felder bebauen und seine Obst- und Weingärten behandeln solle, auf daßsie ihm stets eine reiche Ernte gäben, die er sicher allzeit am besten verwendenwerde. Ich zeigte dem Ebahl, wie er das Obst veredeln und vermehren könne,und lehrte ihn mehrere nützliche Kräuter kennen, die seither in die Küche aufgenommenworden sind. Also zeigte Ich ihm auch mehrere Wurzelfrüchte, dieebenfalls als gute Nährmittel allzeit verwendet werden können und zeigte ihmauch die Zubereitung alles dessen, sowohl der Kräuter wie der Wurzeln. Kurz,in den zwei noch darauffolgenden Tagen, die Ich noch in Genezareth zubrachte,lehrte Ich den Ebahl noch so manches in der Landwirtschaft kennen, was zuvornoch kein Jude kannte. Im gleichen lehrte Ich ihn auch, daß er auch das Fleischder Hasen, Kaninchen, der Rehe und Hirsche, so und so zubereitet, allzeit alseinen reinen und wohlschmeckenden Braten genießen könne, ohne dadurchunrein zu werden, zeigte ihm aber auch zugleich die Zeit an, in der solche Tierezu fangen und zu töten sind. Und also zeigte Ich ihm noch so manches und— 368 —


manches, worüber der biedere Ebahl sehr erfreut war.[<strong>GEJ</strong>.02_167,02] Zugleich legte Ich mit Meinen Jüngern für die Jarah einenkleinen Küchengarten an, bepflanzte ihn mit allerlei nützlichen Pflanzen,Kräutern und Wurzelgewächsen und empfahl ihr, diesen Garten recht sorgsamzu pflegen. Sie versprach Mir das auch unter vielen Freudentränen, und wennIch jüngst wiederkäme, so solle Ich den Garten schon in dem blühendstenZustande antreffen. Und so war nun im Hause Ebahls alles in der bestenOrdnung.[<strong>GEJ</strong>.02_167,03] Also war unter allerlei nützlichen Beschäftigungen derSonntag, der Montag und der Dienstag vergangen, und Ich machte Anstalten zurWeiterreise. Aber der Hauptmann, der Ebahl samt seinen Weibern und Kindern,und darunter besonders die Jarah, baten Mich allerinständigst, die Nachthindurch noch in ihrem Hause zu verweilen; und Ich verweilte denn auch bis anden Mittwoch morgen.[<strong>GEJ</strong>.02_167,04] Am Morgen aber kamen einige von den Schiffsknechten undsagten, wie die Pharisäer von Jesaira wohl am vorhergehenden Tage zu ihnengekommen wären, aber des 47. Psalms auch nicht mit einer Silbe mehr erwähnt,sich aber dafür desto emsiger nach Mir erkundigt hätten, um Mich zur Verantwortungzu ziehen, darum Ich ganz Jesaira von Jerusalem abwendig gemachthätte. Aber sie (die Schiffsknechte) hätten ihnen auf derlei Fragen gar keineRede und Antwort gegeben, wohl aber von ihnen die etlichen Silbergroschengenommen, die die Pharisäer mit viel Unwillen und Schimpfen an sie bezahlthätten, – worauf sie dann wieder ihr Schiff bestiegen und ihre Reise, nach derAussage der Schiffer, nach Kapernaum genommen hätten, wahrscheinlich umMich dort näher auszukundschaften, für was sie eigentlich vom Tempel wie vonHerodes bedungen wären.[<strong>GEJ</strong>.02_167,05] Als Ich solches von den Schiffsknechten treu erzählt vernahm,da gebot Ich den Schiffern, binnen einer Stunde das Schiff zur vollen Abfahrt inBereitschaft zu halten, und die Schiffer gingen hin und richteten das Schiff wohlzu.[<strong>GEJ</strong>.02_167,06] Als aber die Jarah, die des Morgens in ihr Gärtchen gegangenwar, ins Zimmer kam und auch sogleich vernahm, daß Ich alsogleich ausziehenwerde, da fing sie an bitterlich zu weinen und bat Mich, ob Ich denn nicht nocheine Stunde länger verweilen könnte. Es drücke ihr förmlich das Herz ab, so siesich vorstellen müsse, daß sie Mich nun, Gott weiß wie lange, nicht wiedersehenwerde.[<strong>GEJ</strong>.02_167,07] Ich aber gab ihr Trost und die volle Versicherung, daß sieMich sogar leiblich gar bald wieder sehen werde; geistig aber solle sie mit Mirreden, wann sie nur immer wolle, und Ich werde ihr die vollkommenste Antwortklar und deutlich in ihrem Herzen aussprechen. Zudem werde ihr an MeinerStelle der Engel Raphael sichtbar belassen, der sie führen werde den rechtenWeg. – Damit war die Weinende beruhigt.— 369 —


[<strong>GEJ</strong>.02_167,08] Darauf segnete Ich das ganze Haus Ebahls und zog dannhinaus ans Meer, allwo das Schiff unser harrte. Daß Mich das ganze HausEbahls, der Hauptmann und noch eine große Menge andern Volkes hinausbegleitete,versteht sich von selbst.[<strong>GEJ</strong>.02_167,09] Die beiden Essäer und die bekehrten etlichen Pharisäer undSchriftgelehrten aber baten Mich, Mich dahin begleiten zu dürfen, wohin Ichzöge.[<strong>GEJ</strong>.02_167,10] Ich aber sagte: „Bleibet ihr, auf daß es der Welt nicht vor derZeit zu bunt wird! Denn die Vögel haben ihre Nester und die Füchse ihreLöcher; aber des Menschen Sohn hat auch nicht einen Stein also, daß Er ihn alsvolles Eigentum lege unter Sein Haupt. Da Ich aber keinen irdischen Besitz habeund dennoch eine große Schar von Menschen mit Mir nehme, so würde man zusagen anfangen: ,Woher ernährt er sie? Hat er doch keine Äcker, keine Wiesenund keine Herden! Er ist entweder ein Dieb oder sonst ein Betrüger!‘ Umsolches zu vermeiden, bleibet ihr hier, und ihr Essäer gehet zu euren Brüdernund erzählet ihnen alles, was ihr gesehen und gehört habt; sie alle werden sichumändern und werden eines bessern Sinnes werden![<strong>GEJ</strong>.02_167,11] So ihr Pharisäer und Schriftgelehrten aber etwa vom Tempelzurückberufen werdet, um über Mich Aufschlüsse zu geben denen, die Mir nachdem Leben streben, so redet nichts von all den Werken, aber desto mehr undoffener von Meiner Lehre! Fürchtet euch nicht ihrer, die im äußersten Fallewohl euren Leib töten, aber der ewig fortlebenden Seele keinen weitern Schadenzufügen können! Sie werden euch jedoch nicht angreifen. Verstoßen sie euchaber, so ziehet zu den Essäern; diese werden euch mit offenen Armen aufnehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_167,12] Sagt der Hauptmann: „Oh, ihr möget auch bei mir verbleiben;ich mache euch zu Römern, gebe euch römische Kleidung und ein Schwert, undihr werdet dann sicher volle Ruhe haben vor dem Tempel und dessen sehr argenDienern.“[<strong>GEJ</strong>.02_167,13] Sage Ich hierzu: „Ja, ja, auch das könnet ihr tun! Seid stetsklug gleich den Schlangen und sanft gleich den Tauben, so werdet ihr mit derWelt am besten auskommen!“[<strong>GEJ</strong>.02_167,14] Nach diesen Worten stieg Ich mit Meinen etlichen, in allemzwanzig Jüngern ins Schiff, und, da ein guter Wind kam, fuhr es mit großerSchnelligkeit ans jenseitige Meeresufer in der Richtung gen Sidon und Tyrus(Matth.15,21), welche Städte aber freilich noch hübsch ferne vom GaliläischenMeere am Mittlandsmeere (Mittelländisches Meer) lagen.168. — Szene mit dem kananäischen Weibe bei Tyrus. (Matth. 15)Genezareth – Zu Schiff über die Bucht und dann zu Fuß nordwärts in RichtungTyrus – Rückkehr zum Galiläischen Meer – Berg am Ufer (Zweite Volksspeisung)– Zu Schiff nach der Herberge bei Magdala – Zurück zum Berg am Ufer –— 370 —


Zu Fuß nach der Hütte des Markus bei Cäsarea Philippi. (Kap.168-244)[<strong>GEJ</strong>.02_168,01] Als wir das Schiff am jenseitigen Ufer verließen, hatten wirauf griechischem Gebiete noch einen starken Marsch zu Fuß zu machen, um nurin das Gebiet von den beiden Städten zu gelangen. Als wir bis an die Grenze desGebietes von Tyrus kamen und dasselbe schon stark gen Abend überschritten,lief ein Weib, das aus Kana in Galiläa gebürtig war, aber in diese Gegend hineinen Griechen schon vor fünfzehn Jahren geheiratet hatte und Mich am Wegeerkannte, uns nach und schrie: „Herr, Du Sohn Davids, erbarme Dich meiner!Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt!“ (Matth.15,22) – Ich aber ließ sieschreien, sagte zu ihr kein Wort und zog den Weg vorwärts.[<strong>GEJ</strong>.02_168,02] Da aber das Weib zu gewaltig schrie, daß es den Jüngernschon lästig ward, traten diese zu Mir, hielten Mich auf und sagten: „Laß siedoch von Dir! Denn nun schreit sie uns schon bei einer halben Stunde die Ohrenallerlästigsterweise voll! (Matth.15,23) Willst oder kannst Du ihr nicht helfen,so schaffe doch, daß sie uns verlasse, sonst werden die andern Menschen, dieauch auf diesem Wege wandeln, noch auf den Glauben kommen, wir hätten demWeibe etwas angetan, und werden uns aufhalten und mit allerlei Fragen belästigen!“[<strong>GEJ</strong>.02_168,03] Sage Ich darauf zu den Jüngern: „Ich bin nicht gesandt, dennnur zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel.“ (Matth.15,24)[<strong>GEJ</strong>.02_168,04] Die Jünger sahen auf diesen Meinen Bescheid einander großan und wußten nicht, was sie daraus hätten machen sollen; und Judas Ischariotbeschuldigte Mich einer Inkonsequenz im höchsten Grade, indem er zu Thomassagte: „Man möchte aber manchmal schon aus der Haut fahren vor Ärger überso manche faustdicke Widersprüche in seinem Reden und Handeln! Bei diesemWeibe, das bei ihm Hilfe sucht, ist er ganz allein zu den Schafen vom HauseIsrael gesandt; aber wo er den Römern, die doch noch mehr Heiden sind denndieses arme, halb griechische und halb jüdische Weib, alle mögliche Hilfe hatangedeihen lassen, da dachte er nicht daran, daß er nur zu den Schafen vomHause Israel gesandt ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_168,05] Sagt zu ihm Thomas: „Ich kann dir diesmal freilich nicht ganzunrecht geben; aber dennoch bleibe ich bei dem, daß Er hier einen besonderenGrund haben wird, demzufolge Er diesem Weibe gar nicht helfen will!“[<strong>GEJ</strong>.02_168,06] Während aber die Jünger also untereinander ihre Meinungentauschen, kommt das Weib Mir nahe, fällt vor Mir auf ihre Knie und spricht:„Herr, hilf mir!“ (Matth.15,25)[<strong>GEJ</strong>.02_168,07] Ich aber sah das Weib an und sagte: „Es ist nicht fein, daß manden Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde!“ (Matth.15,26)[<strong>GEJ</strong>.02_168,08] Darauf sagte das Weib: „Ja, Herr, – aber doch essen dieHündlein die Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen!“ (Matth.15,27)[<strong>GEJ</strong>.02_168,09] Diese Antwort setzte alle Jünger in Erstaunen, und Petrus— 371 —


emerkte insgeheim: „Nein, das ist stark! Soviel Weisheit habe ich nur seltenbei einer Jüdin gefunden; und das Weib ist von Geburt auf eine Griechin,obgleich zu Kana in Galiläa geboren! Ich kenne sie und habe ihr schon manchenFisch verkauft, aber freilich schon vor fünfzehn bis sechzehn Jahren.“[<strong>GEJ</strong>.02_168,10] Ich aber sah an das Weib und sagte zu ihr: „O Weib, deinGlaube ist groß; dir geschehe, wie du es willst!“[<strong>GEJ</strong>.02_168,11] Da erhob sich das Weib, dankte und eilte von dannen nachihrer Behausung und fand ihre Tochter gesund. (Matth.15,28) – Die Leute aber,die daheim bei dem Mägdlein waren, erzählten der Heimgekommenen, wie derTeufel sichtbar, unter gewaltigem Toben und Fluchen, vor einer halben Stundeausgefahren sei. Da erkannte das Weib, daß dies um dieselbe Zeit geschah, alsIch an der Grenze des Gebietes von Tyrus zu ihr sagte: „O Weib, dein Glaube istgroß; dir geschehe, wie du es willst!“[<strong>GEJ</strong>.02_168,12] Es war aber Abend geworden, und die Jünger fragten Mich, obIch wohl ganz nach Tyrus ziehen werde, oder ob sie sich hier an der Grenze desGebietes nach einer Herberge umsehen sollten, da die Stadt Tyrus von da nochbei drei Stunden Weges entlegen wäre.[<strong>GEJ</strong>.02_168,13] Ich aber sagte zu den Jüngern: „Wißt ihr was? Wenden wir unsvon da statt gen Abend, allwo Tyrus liegt, gen Mittagmorgen (Südost)! Alldakommen wir abermals ans Galiläische Meer. Gleich vom Ufer aus erhebt sichein schöner Berg, dessen ganz freie Kuppe wir von hier aus in zwei Stundenleicht erreichen; dort wollen wir übernachten.“[<strong>GEJ</strong>.02_168,14] Auf diese Meine Worte gingen wir von da fürbaß, kamen nacheiner Stunde ans Galiläische Meer und zugleich an den Fuß des Berges, dessenKuppe wir auch recht gemächlich in einer Stunde erreichten.[<strong>GEJ</strong>.02_168,15] Auf der Höhe angelangt, setzten wir uns aufs weiche Alpengrasund ruhten daselbst, ohne gerade gleich einzuschlafen. (Matth.15,29)169. — Von der Besessenheit[<strong>GEJ</strong>.02_169,01] Nach einer Weile der genossenen Ruhe sagte Petrus: „Herr,ich begreife nun schon so manches, aber das Besessensein – besonders unschuldigerKinder – vom Teufel, und daß sie von solch einem argen Bewohner ihresLeibes oft auf die erbärmlichste Weise geplagt werden, das begreife ich nicht!Wie solch einen Unfug Deine Weisheit und Deine Ordnung zulassen kann! DasTöchterchen des Weibes, das uns heute nachlief, dürfte kaum 13-14 Jahre altsein, und nach der Aussage der Mutter ist es bereits sieben volle Jahre hindurchvon einem Teufelsgeiste auf eine kaum glaublich böse und schmerzlichsteWeise täglich bei sieben Stunden lang gepeinigt worden. Warum mußte denn soetwas zugelassen werden?“[<strong>GEJ</strong>.02_169,02] Sage Ich: „Das sind Dinge, die euer Verstand jetzt noch nichtvom Grunde aus fassen kann! Aber da wir hier ganz ungestört beisammen sind,— 372 —


so will Ich euch gleichwohl einige Winke davon geben; und so vernehmet Mich![<strong>GEJ</strong>.02_169,03] Die Erde ist die Trägerin von zweierlei Arten von Menschen.Die eine und bessere Art stammt von oben, ursprünglich schon, darunter zubegreifen sind die Kinder Gottes. Die andere und eigentlich schlimme Art aberstammt pur von dieser Erde ab; ihre Seele ist gewisserart eine Zusammensetzungvon einzelnen Lebensteilchen, die, vom Satan genommen, in der Massedes Erdkörpers als Materie gefangengehalten werden, von dieser dann durch diePflanzenwelt in die Tierwelt übergehen, sich durch die vielen Stufen derTierwelt endlich dann als eine Potenz, bestehend aus zahllosen Urseelenteilchen,zu einer Weltmenschenseele ausbilden und bei den besonders ungesegnetenZeugungen in den Leibern der Weiber Fleisch annehmen und weiter, gleich wiedie Kinder des Lichtes aus der geistigen Sphäre der Himmel, in diese Weltgeboren werden.[<strong>GEJ</strong>.02_169,04] Nun, solche Kinder, da ihr ganzes Wesen aus dem Satangenommen ist, sind dann auch stets mehr oder weniger der Gefahr ausgesetzt,von irgendeinem bösen Geiste, das heißt von der schwarzen Seele eines einst aufdieser Erde schon im Fleische gelebt habenden Teufels von einem Menschen,besessen zu werden, was aber besonders da am ehesten geschehen kann, wo einesolch junge, aus dem Satansteile der Erde genommene Seele eine gute undhimmlische Richtung zu nehmen beginnt. Weil dadurch ein Lebensteil sich ausder Sphäre der Hölle entreißt, so verursacht solches der gesamten Hölle einenunerträglichen Schmerz, darum sie dann auch alles aufbietet, um solch eineVerwundung zu verhüten.[<strong>GEJ</strong>.02_169,05] Du fragst nun freilich, wie solches der Hölle denn doch einenSchmerz verursachen könne; denn eine solche Seele müsse der Hölle gegenüberja doch noch ums Unnennbare kleiner und geringfügiger sein, als da ist einHärchen am Menschen dem ganzen Menschen gegenüber. Und Ich sage dir, daßdies allerdings richtig geurteilt ist; aber ergreife du an deinem Leibe das kleinsteHärchen und raufe es aus, und du wirst dabei gewahr werden, daß du beim Aktedes Haarausraufens nicht bloß an der Stelle des Härchens, sondern wohl imganzen Leibe einen unausstehlichen Stechschmerz verspüren wirst, der dich zurVerzweiflung brächte, so er nur eine Stunde gleichfort währte.[<strong>GEJ</strong>.02_169,06] Aus dieser dir nun gegebenen Erklärung kannst du nun schonein wenig tiefer einsehen, warum auf der Erde das Besessensein vorkommt undbis ans Ende dieser Erde vorkommen wird.[<strong>GEJ</strong>.02_169,07] Dieses Besessensein aber hat für den Besessenen auch seinentschieden Gutes; denn eine solche Seele, deren Leib von irgendeinem Teufelin Besitz genommen wird, wird durch die Qualen ihres Fleisches offenbarstgeläutert und vor dem bösen Eingehen in ihren Leib bewahrt. Zur rechten Zeitaber kommt dann schon die Hilfe von oben, und eine Weltseele ist dann totalgewonnen für den Himmel. – Sage, ob du die Sache nun etwas begriffen hast!“[<strong>GEJ</strong>.02_169,08] Sagt Petrus: „Ja Herr, das ist mir nun ganz klar geworden; aberdann wäre es ja beinahe besser, einem noch so schwer Besessenen gar nicht zu— 373 —


helfen!?“[<strong>GEJ</strong>.02_169,09] Sage Ich: „Wenn jemand kommt und dich um Hilfe angeht, sosollst du sie ihm nicht vorenthalten; denn da sorgt schon Meine Vorsicht dafür,daß irgendein Beteiligter nicht eher in diesen Fällen zum Hilfesuchen gelangt,bis es beim Besessenen gerade an der Zeit ist, daß ihm eine rechte Hilfe werde.Darum ist sie denn auch keinem Suchenden vorzuenthalten! – Verstehest dudenn nun auch diese gleich vollwichtige Erklärung?“[<strong>GEJ</strong>.02_169,10] Sagt Petrus: „Ja Herr, Dir allein allen Dank, alle Liebe und alleEhre darum! So gibt es in der Welt denn doch nichts, woraus für den in göttlichenDingen Verständigen nicht gleichweg die höchste Liebe und WeisheitGottes vollauf ersichtlich wäre!“[<strong>GEJ</strong>.02_169,11] Sage Ich: „Ja, also ist es, darum sollt ihr denn auch bei allennoch so widerwärtigen Erscheinungen auf dieser Erde nicht verzagen; denn derVater im Himmel weiß darum und weiß es am besten, aus welchem Grunde Ersie zuläßt![<strong>GEJ</strong>.02_169,12] Also sind die meisten Krankheiten, die die Menschen zudurchleiden haben, nichts als Verhütungen, daß die Seele nicht eins werde mitdem Fleische, das sogar bei den Kindern des Lichtes aus dem gebannten Satangenommen ist; nur ist bei den Kindern des Lichtes ein Unterschied darin, daßihre Leiden, wenn die Seele fleischlich werden will, vom Himmel aus verfügtwerden. Aber auch die Schmerzen der Kinder der Welt werden dahin aus denHimmeln verordnet und zugelassen, sind aber im Grunde doch Schmerzen derHölle, die der Leib des Weltkindes als ein voller Teil der Hölle gleichsammitfühlt, wenn die Hölle dadurch in einen großen Stechschmerz versetzt wird,so ihr durch den gewaltigen Einfluß der Himmel ein Teil ihres Gesamtlebensvom Grunde aus abgerissen wird! – Verstehst du nun auch solche Meine Erklärung?“[<strong>GEJ</strong>.02_169,13] Sagt Petrus: „Ja Herr, auch diese Erklärung verstehe ich; Dirwie allzeit alle meine Liebe für ewig!“170. — Die Wunderquelle[<strong>GEJ</strong>.02_170,01] Sage Ich: „Habt ihr es wohl gemerkt, daß uns niemand sahbesteigen diesen Berg, und daß wir uns hier gelagert haben?“[<strong>GEJ</strong>.02_170,02] Sagen die Jünger: „Herr, wir haben auf dem ganzen, gut zweiStunden langen Wege keinen Menschen gesehen, wollen darum aber ja nichtbehaupten, daß uns niemand gesehen habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,03] Sage Ich: „Das Weib hat uns dennoch gesehen und entdeckt,daß wir hier Lager genommen haben, und das genügt, daß morgen dieser Hügelvon Tausenden betreten werden wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,04] Sagen die Jünger: „Herr, wir sind so müde nicht; verlassen wirdarum etwa nach Mitternacht diesen Berg und begeben uns woandershin, allwo— 374 —


uns das allzeit lästige Volk nicht finden wird, und wir können also dann etlicheTage ausruhen!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,05] Sage Ich: „Wir werden aber dennoch hier bleiben! Denn es istalso des Vaters Wille, daß Ich hier heile allerlei bresthafte Menschen von ihrenleiblichen Übeln. Darum werde Ich Mich drei volle Tage auf diesem Bergeaufhalten. Am Morgen könnt ihr irgendwohin gehen und für uns auf die dreianberaumten Tage mäßig viel Brot herschaffen!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,06] Sagt Judas Ischariot: „Da werden wir weit zu gehen haben;denn das ist eine offenbare Wüste, und unter drei bis vier Stunden Weges findenwir nirgends einen Ort, wo wir Bäcker antreffen!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,07] Sagt Petrus: „Dafür werde schon ich Sorge tragen; denn andieses Meeres Ufern ist mir kein Ort fremd, und ich weiß es, wohin man zugehen hat, um Brot zu bekommen. Zwei Stunden Weges höchstens hin undebensoviel hierher zurück!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,08] Sage Ich: „Nun gut, so sorge du, Simon Juda, darum! Den duberufst, der soll dein Begleiter sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,09] Sagt Petrus: „Herr, wir sind unser etliche zwanzig; so aberzehn mit mir gehen, so bringen wir des Brotes und auch der schon gebratenenFische für drei Tage zur Übergenüge.“[<strong>GEJ</strong>.02_170,10] Sage Ich: „Also ist es gut; nun aber lasset uns ruhen!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,11] Darauf suchte sich jeder ein Plätzchen aus, das ihm zur Ruhedie meiste Bequemlichkeit bot, und so ward es bald stille auf dem Berge. AlleJünger schliefen bald ein; nur Ich allein blieb wach und schlief erst gegenMorgen ein wenig ein. Als Ich mit dem Sonnenaufgange erwachte, war Petrusauch schon mit einer Menge Brotes an Ort und Stelle; denn er verließ schon beidrei Stunden vor dem Aufgange den Berg und fand unten am Ufer des Meeresein mit Brot beladenes Schiff, das von Magdala herkam und damit nach Jesairasteuern wollte. Petrus aber nahm dem Schiffe nahezu die Viertelladung ab, undMatthäus, der junge Zöllner, bezahlte die ganze Abnahme. Zugleich führte diesSchiff auch gute, frisch gebackene Fische, von denen der gute Petrus auch eineganze Kiste voll nahm, die ebenfalls der Matthäus bezahlte. Mit allem dem warnun dieses Berges Höhe versehen; aber eines mangelte, und das war eine guteQuelle. Wasser war auf dem ganzen, ziemlich gedehnten Berge aber auch nichteinmal tropfenweise anzutreffen, und der geringe Weinvorrat reichte kaum füreinen halben Tag.[<strong>GEJ</strong>.02_170,12] Da traten zu Mir Petrus und Mein Johannes, und beidesprachen: „Herr, Du bist mehr denn Moses! So Du sprächest zu diesem schönenweißen Felsblock, daß er Wasser gäbe, so würde sicher sogleich das reinsteWasser hervorquellen!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,13] Sage Ich: „So ihr beide hinreichend Glauben habt, so legeteure Hände auf den Stein und gebietet ihm in Meinem Namen, daß er Wasser— 375 —


gäbe, und es soll an der Stelle, die ihr mit euren Händen angerührt habt, sogleicheine Menge des besten, reinsten und wohlschmeckendsten Wassers geben!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,14] Als die beiden solches vernahmen, da suchten sie sich gleicheine passende Stelle aus auf dem Steine und legten ihre Hände darauf. Aber derStein wollte dennoch kein Wasser geben! Als sie bei einer Stunde lang ihreHände auf dem Steine gehalten hatten, da fing derselbe an sich zu rühren undschob sich bald über zehn Schritte von der früheren Stelle; denn dieser Steinblockwar vor mehreren tausend Jahren einmal da von der Höhe herab als einMeteor aufgestürzt und hatte dadurch die einzige Wasserquelle dieses Bergesderart verstopft, daß der Quelle aber auch nicht ein Tropfen Wasser mehr entrinnenkonnte. Da aber nun der Stein auf diese Weise von der alten Stelle abgehobenward, so war denn auch sogleich die beste und sehr reichliche Quelle amTage, und zwar gleich einem bei fünf Schuh tiefen Bassin, das – wie schongezeigt – der Stein vor mehreren tausend Jahren durch seinen Aufsturz verursachthatte.[<strong>GEJ</strong>.02_170,15] Und so war denn nun dieser Berg auch mit dem besten Wasserfür immer versehen (und ist es noch bis zur Stunde). Aber weder Petrus nochJohannes begriff, wie der Stein durch die pure Auflegung ihrer Hände zumgleichwie freien Fortbewegen gekommen ist. Es versuchten hernach auch alleandern Jünger, ihre Hände an den Stein zu legen, um zu erfahren, ob er nochweiterginge. Aber diese richteten mit dem Steine nichts aus.[<strong>GEJ</strong>.02_170,16] Als aber Petrus und Johannes ihre Hände wieder auf den Steinlegten, so fing er sogleich wieder an, sich weiterzubewegen. Da fragten Michdie andern Jünger: „Herr, warum können denn wir das nicht zustande bringen?“[<strong>GEJ</strong>.02_170,17] Sage Ich: „Weil euer Glaube hie und da noch ein wenigwurmstichig ist und der gerechten Kraft ermangelt. Aber Ich sage es euch: Soihr einen rechten Glauben hättet und möchtet nicht zweifeln an dem, was ihrbewirken wollt, wahrlich, ihr könntet auf einen ganzen Berg eure Hände legenund ihm gebieten, und er würde seine Stelle gleich diesem ziemlich schwerenSteine verlassen und sich woandershin bewegen. Aber dazu ist euer Glaube nochviel zu schwach! Ja, Ich sage euch noch mehr! So ihr einen wahren, festenGlauben besäßet, so könntet ihr zu jenem hohen Berge, den wir bei Genezarethbestiegen haben, von hier aus sagen: ,Hebe dich und falle ins Meer!‘, und derBerg würde sich heben und fallen ins Meer nach eurem Worte und Willen!Doch, was ihr nun noch nicht vermöget, das werdet ihr dennoch dereinst vermögen!– Nun aber lasset uns das Morgenbrot nehmen; denn es wird dann gar nichtlange mehr hergehen, und wir werden von Menschenmassen nahezu erdrücktwerden! Den Vorrat des Brotes und der Fische aber leget auf jenen Stein, derdurch euch von hier weitergerückt worden ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_170,18] Wir nahmen darauf das Morgenbrot zu uns, und nachdem wires mit etwas Fischen verzehrt hatten, legten die Jünger den noch bedeutendenVorrat auf den großen, weißen Stein, und wir besahen uns die schöne Gegend,die weit ausgebreitet vor uns nach allen Seiten hin lag. Man konnte von diesem— 376 —


Berge ganz gut bei einem heiteren Wetter hie und da das Ufer des großen Mittelmeereserschauen und die Türme von Sidon und Tyrus und noch eine großeMenge anderer Ortschaften; kurz, die Fernsicht von diesem Berge war überausreizend und wetteiferte mit mehreren viel höheren Bergen, zu deren Besteigungman oft einen vollen Tag vonnöten hatte. Die ganze Höhe maß über die Meeresflächenach den Maßbestimmungen dieser Zeit etwas über viertausend Fuß. DasPlateau war so weit und geräumig, daß man darauf eine recht große Stadt hättesetzen können; nur die Zugänge waren von allen Seiten ziemlich steil, und manmußte sich bei manchen Stellen eine ziemliche Mühe gefallen lassen, um sie zuüberwinden. An mehreren Stellen war dieser Berg sogar unersteiglich; aber vonder Seite, von der wir ihn bestiegen hatten, war er ziemlich gut zu besteigen.Und von dieser Seite her vernahmen wir denn auch nach einer etwa stündigenBetrachtung der schönen Fernsicht eine Menge Menschenstimmen, darunterviele Schmerzenslaute von jung und alt und von männlich und weiblich.171. — Großes Heilwunder auf dem Berge (Matth. 15)[<strong>GEJ</strong>.02_171,01] Als Judas Ischariot solches vernahm, schlug er die Hände überdem Kopfe zusammen und sprach: „Nein, da wird es mir denn doch endlicheinmal zuviel! Da kommen ja gleich wieder nicht etwa Hunderte, sondernTausende von Menschen, und das sicher mehr Kranke als Gesunde! Lebe wohl,du stiller Friede dieser Höhe! Das wird wieder ein Getummel und Getümmelwerden, und von einer Ruhe wird keine Rede mehr sein können!“[<strong>GEJ</strong>.02_171,02] Sage Ich: „Was kümmert denn dich das? Zu dir kommt sicherkeine Seele, und die Kranken wirst du nicht gesund zu machen brauchen; geht esdir bei Mir zu unruhig und zu bunt zu, so ziehe nach deiner Heimat und besuchemit deinen Töpfen wieder die Märkte! Solange du bei Mir sein willst, mußt dudich fügen in Meine Anordnungen, weil auf Meinen Wegen und Stegen Ichallein der Herr bin! Werde Ich aber jemals zu dir kommen und mit dir ziehen aufdeinen Wegen und Stegen, dann werde Ich Mich in deine Anordnungen fügenund dich als Herrn deiner Sache anerkennen! Hier aber, meine Ich, ist es etwadoch wohl der umgekehrte Fall?!“[<strong>GEJ</strong>.02_171,03] Sagt Judas Ischariot, in sich hineinbrummend: „Nun ja, nun ja,– ich darf nur den Mund auftun, so ist schon alles gefehlt! Kann ja für alleZukunft auch so stumm bleiben wie ein Stein!“[<strong>GEJ</strong>.02_171,04] Sagt endlich auch einmal wieder der weise Nathanael: „Daswäre von dir einmal ein weiser Zug, den ich bei dir aber noch immer vermißthabe. Ja, reden zu rechter Zeit, ist eine schöne Sache für den, der etwas zu redenhat und zu reden versteht; aber für einen Dummen ist das volle Schweigen nochum vieles schöner!“[<strong>GEJ</strong>.02_171,05] Während Nathanael also noch einige WeisheitssprücheSalomons dem Judas Ischariot ins Gedächtnis rief, kamen schon an verschiedenenSeiten des großen Bergplateaus eine übergroße Menge Menschen von allen— 377 —


Gegenden zum Vorschein und brachten mit sich Lahme, Blinde, Stumme,Krüppel aller Art und noch viele andere mit allerlei Krankheiten Behaftete undlegten alle die vielen Leidenden, derer bei fünfhundert an der Zahl waren, ineinem weiten Kreis um Mich herum, als wie zu Meinen Füßen, und baten Mich,daß Ich sie heilete. Und siehe, Ich heilte sie mit einem einzigen Wort und sagtedann zu den Geheilten: „Stehet nun auf und wandelt!“ (Matth.15,30)[<strong>GEJ</strong>.02_171,06] Da merkten es zuerst die Blinden, daß sie sahen so gut undrein, als wären sie frisch geboren worden. Gleich darauf merkten es auch dieStummen und gaben Antwort und Rede auf jegliche Frage. Darauf erst versuchtenes die Lahmen und die Krüppel, ob ihre kontrakten (gelähmten) und zumTeil ganz verdorrten Glieder in der Ordnung seien. Es war aber darunter auchnicht einer, der da hätte sagen können: ,Mir ist dennoch nicht vollkommengeholfen worden!‘ In gleichem Maße wurden auch alle andern Kranken völliggesund.[<strong>GEJ</strong>.02_171,07] Als das Volk ersah, daß die Stummen redeten, die Blindensahen, die Lahmen wohlgemut gerade gingen und allerartige Krüppel undandere Kranke vollauf gesund waren, da verwunderte es sich über alle Maßengewaltig und fing an, laut zu preisen den Gott Israels. (Matth.15,31) Und sieblieben darauf bis an den dritten Tag bei Mir auf dem Berge, obwohl sie schonam zweiten Tage ihren mitgenommenen Mundvorrat bis auf den letzten Brosamenaufgezehrt hatten.[<strong>GEJ</strong>.02_171,08] Man kann hier füglich fragen, was denn diese Volksmasse diezwei andern Tage hindurch auf dem Berge gemacht hat. – Darauf kann in Kürzegeantwortet werden, daß sich alle die etlichen tausend Menschen beiderleiGeschlechts in Meiner Lehre von Mir und von den Jüngern haben unterweisenlassen. Merkwürdig aber war es, daß da unter den etlichen Tausenden auch nichteiner war, der da ergriffen hätte die Partei der Pharisäer und Schriftgelehrten. ImGegenteile wußten sie dazu noch eine Menge löblicher Stücklein zu erzählen,die sie bei verschiedenen Gelegenheiten mit den Templern erlebt, dabei aberauch nur zu oft die bittersten Erfahrungen gemacht und darauf bitter beklagthatten, mit diesen blinden Zeloten je in Berührung gekommen zu sein.172. — Des Herrn Voraussage über die Zukunft Seiner Lehre[<strong>GEJ</strong>.02_172,01] Es waren darunter auch eine Menge Griechen, die im höchstenGrade über die Lehre erstaunten, und einer von ihnen sagte: „Ja, das ist eineLehre aus dem Fundamente der Natur! Da ist nichts Positiveres, nichts Willkürliches,das da sich ausgedacht hätte ein Mensch, damit er als Gesetzgeber ausMillionen von Menschen, die seine Gesetze zu beachten haben, sich am bestenbefände, so seine Gesetze beachtet werden, sondern diese Lehre enthält Gesetze,die vorerst das Leben des Menschen urgrundsächlich bedingen und somit auchhöchst geeignet sind, dasselbe unter den besten, reinsten und wohltuendstenVerhältnissen für ewig zu erhalten. Da sieht nirgends ein Eigennutz und nochweniger irgendeine Herrschsucht heraus, sondern da ist gesorgt wie für jeden— 378 —


einzelnen an und für sich, also auch für eine zahllose Allgemeinheit! Wahrlich,durch diese Lehre, so sie erkannt und dann allgemein beachtet würde, müßte dieErde selbst ja schon zu einem Himmel werden![<strong>GEJ</strong>.02_172,02] Aber, und das ist ein großes Aber, dazu wird eine total neueGeneration vonnöten sein! Der unverbesserliche Mist von Menschen muß vonder Erde vertilgt werden, sonst wird es ewig nimmer anders auf dieser Erde! DerLuxus und der Bequemlichkeitssinn hat eine zu hohe Stufe erreicht, der Mächtigereweiß sich die arme, schwache und ohnmächtige Menschheit zunutze zumachen; und darum leben nur wenige Menschen im Glücke, und die ungeheureMenge von Menschen muß darben! Und so kommt es dann, daß der arme Teufelam Ende an einer Vorsehung Gottes verzweifelt, der Reiche und Mächtige abervor lauter Glück und Wohlergehen Gott vergißt, und die Folge ist, daß am Endebeide des Teufels werden müssen![<strong>GEJ</strong>.02_172,03] Ja, Herr und Meister, Deine Lehre hat in sich die reinste göttlicheWahrheit, ja ich möchte sagen: Sie ist schon an und für sich pur Leben.Aber leider wird sie von der nichts glaubenden hohen Welt sicher nicht adoptiertwerden, weil diese sich schon einmal auf der Erde eine solche Stellung gegebenhat auf dem Wege des Heidentums, daß sie dabei irdisch sehr gut bestehen kann.Adam wäre denn trotz seines gepriesenen Edens ein armer Schlucker gegeneinen Cäsar Augustus oder gegen einen Lukullus und mehrere Hunderte dergleichen.,Das kann man sich durch den Zeus, Apollo, Merkur usw. verschaffen;man kann an der Seite dieser Phantasiegötter endlos gut leben! Wozu dannWahrheit, wozu Liebe, Sanftmut, Geduld und Weisheit?‘ Also werden dieGroßen und Mächtigen der Erde philosophieren und Deine wahrhaft heiligeFreundschaftslehre gegen jedermann verfolgen, wie da verfolgt wird ein Lammvon den hungrigen Wölfen.[<strong>GEJ</strong>.02_172,04] Wie wird der sich je in Deine göttliche Freundschaftslehrefinden, dem die Sklaverei seiner Nebenmenschen das höchste Bedürfnis zuseinem Wohlleben ist? Ja, Herr und Meister und allein wahrer Heiland derarmen leidenden Menschheit, gehe hin, tue Wunder, predige die ewige Sklavereiund zeige es dem schmachtenden Volke, daß ein Cäsar allein das Recht hat, aufder Erde zu leben, alles Volk aber nur insoweit, als es dem Cäsar beliebt! Zeugeweiter laut, daß der Cäsar das unbestreitbare Recht habe, über jedermanns Lebenund Tod zu verfügen nach seiner Willkür und einzuziehen alle Schätze undGüter der Erde, so werden Dir bald königliche Kleider angetan werden, und Duwirst einhergehen in großer Pracht und Majestät![<strong>GEJ</strong>.02_172,05] Aber da Deine Lehre die allgemeine Brüderschaft predigt undin einem jeden Menschen ein Gotteskind darstellt, so wirst Du, lieber, für michwahrhaft heiliger Meister, samt Deiner Lehre verfolgt werden über alle denkbarenMaßen.“[<strong>GEJ</strong>.02_172,06] Sage Ich: „Freund! Was du hier geredet hast, ist leider wahr;es wird bei den großen und mächtigen Heiden manchen harten Kampf kosten,bis bei ihnen Meine Lehre vollen Eingang finden wird! Aber wird sie bei ihnen— 379 —


einmal dennoch Eingang finden, so werden eben die Cäsaren und die KönigeMeine wirkendsten und eifrigsten Apostel sein! Sie selbst werden die Götzentempelniederreißen und an deren Stellen erbauen Gotteshäuser, in denen sichdie Brüder alle einfinden und allda geben werden dem einen, allein wahren Gottdie Ehre, und ihre Kinder werden in den Gotteshäusern unterwiesen werden inder Lehre, die Ich nun gebe zum zeitlichen und ewigen Heile den Menschen.[<strong>GEJ</strong>.02_172,07] Aber das wird freilich nicht von heut auf morgen geschehen,sondern nach der rechten Zeit und den rechten Umständen; denn zuerst muß derSame ausgestreut werden, dann keimt er und bringt am Ende viele Frucht.[<strong>GEJ</strong>.02_172,08] Daß aber diese Meine Lehre nebenher von der eigentlichenWelt, die nicht sterben wird, allzeit Anfechtungen erleben wird, das weiß Ich umeine Ewigkeit schon zum voraus.[<strong>GEJ</strong>.02_172,09] Ja, diese Meine allersanfteste Lehre wird mit der Zeit sogar dieblutigsten Kriege anfachen, aber es kann solches auch nicht vermieden werden;denn das Leben ging hervor aus einem gewaltigen Kampfe in Gott, ist und bleibtdarum ein fortwährender Kampf und kann nur durch den geeigneten Kampferhalten werden! – Verstehest du solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_172,10] Sagt der Grieche: „Herr und Meister, das ist für unsereinen zutief! Das magst Du und Deine Schüler wohl fassen; aber für mich ist das etwaszu Unbegreifliches und unergründlich Tiefes!“[<strong>GEJ</strong>.02_172,11] Sage Ich: „Ja, ja, das meine Ich auch; aber dennoch ist undbleibt es ewig also, wie Ich es dir nun geoffenbart habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_172,12] Auch alles andere Volk ward voll Staunen über solche MeineRede, und mehrere machten unter sich die Bemerkung und sagten: „UnserAltvater, der weise Grieche, aus Pathmos gebürtig, hat wahrlich recht kluggesprochen; aber man merkte es dennoch klar, daß aus dem Menschen nur einMensch sprach. Wenn aber dieser noch recht junge Mann und Meister spricht,so ist es, als ob nicht er, sondern Gott Selbst aus ihm spräche; und jedes Wortaus seinem Munde dringt also zum Herzen wie ein alter guter Wein und machtdasselbe fröhlich durch und durch.“ – Dergleichen Bemerkungen sind nochvielfach gemacht worden, besonders am dritten Tage, wo dies Volk schon mehrund mehr in Meine Lehre eingeweiht war.173. — Wunderbare Speisung der Viertausend (Matth. 15)[<strong>GEJ</strong>.02_173,01] Noch ist hier zu bemerken, daß das Volk vor lauter Freude undVerwundern über Meine Freundlichkeit und über Meine Lehre darauf vergaß,daß es nichts mehr zu essen und zu trinken hatte. Gegen Abend hin aber meldetesich dennoch der Hunger, und sie fingen an, sich gegenseitig zu fragen, ob unterihnen niemand einen Mundvorrat hätte. Aber das Fragen war eine vergeblicheMühe; denn sie hatten schon an dem vorhergehenden Tage allen ihren mitgenommenenVorrat bis auf den letzten Brosamen aufgezehrt.— 380 —


[<strong>GEJ</strong>.02_173,02] Als Ich solches nur zu gut merkte, rief Ich die Jünger zu Mirund sagte zu ihnen: „Höret! Es jammert Mich des Volkes; denn es verharretenun schon drei Tage bei Mir und hat nun nichts mehr zu essen. Ich aber will esnicht hungrig von Mir entlassen, auf daß es nicht verschmachte auf demHeimwege (Matth.15,32); denn einige aus diesem Volke sind von weit hergereist. Gebet ihr ihnen zu essen!“[<strong>GEJ</strong>.02_173,03] Sagen die Jünger: „Herr, Du weißt ja um unsern auch ziemlichzusammengeschmolzenen Vorrat! Hier ist eine Wüste, woher werden wir so vielBrot nehmen, um dieses Volk zu sättigen?“ (Matth.15,33)[<strong>GEJ</strong>.02_173,04] Darauf fragte Ich die Jünger, sagend: „Wie viele Laibe Brothabt ihr noch in eurem Vorrate?“[<strong>GEJ</strong>.02_173,05] Und die Jünger antworteten: „Sieben Laibe noch und etlicheFischlein, die noch gut sind.“ (Matth.15,34)[<strong>GEJ</strong>.02_173,06] Da sagte Ich zu den Jüngern: „Bringet die Brote und dieFische her!“[<strong>GEJ</strong>.02_173,07] Und die Jünger gingen und brachten die Brote und die Fische.Ich aber segnete beides, Brot und Fische. Darauf behieß Ich, daß sich das Volklagere am Boden. (Matth.15,35) Als sich das Volk gelagert hatte, nahm Ich dasBrot und die Fische, dankte dem Vater, der in Meinem Herzen wohnte in allerFülle, für den Segen, brach darauf beides in Stücke und gab diese den Jüngern,und diese gaben sie dem Volke. (Matth.15,36) Und sieh, alle aßen nachHerzenslust und nach dem Bedürfnisse ihres Magens und wurden satt. Siekonnten aber über die volle Sättigung hinaus nicht mehr essen, und es blieben soviele Brocken übrig, daß man mit denselben sieben große Körbe voll klaubte.(Matth.15,37) Derer aber, die da gesättigt wurden, waren viertausend Mann undnoch einmal soviel Weiber und Kinder, die nicht in die Rechnung zu nehmensind. (Matth.15,38)[<strong>GEJ</strong>.02_173,08] Als aber das Volk also gesättigt worden war, da behieß Ich esnun wieder nach Hause zu ziehen. Und das Volk erhob sich bald, da es mit demTage schon ziemlich nahe dem Untergange stand; es dankte Mir groß und kleinund jung und alt und begab sich dann auf den Heimweg.[<strong>GEJ</strong>.02_173,09] Als sich nach einer halben Stunde das Volk schon sehr verlaufenhatte und außer Mir und den Jüngern sich niemand mehr auf des BergesHöhe befand, da begab auch Ich Mich mit den Jüngern vom Berge hinab ansMeeresufer, an dem gerade ein Schiff feierte und auf eine Fracht wartete. Wirkamen diesem Schiffe darum sehr willkommen. Als aber die Schiffsleute Micherkannten, da verbeugten sie sich tief vor Mir; denn sie kannten Mich von Kanain Galiläa aus. Sie forderten darum auch keinen Schiffslohn von Mir, sondernbaten Mich um den Segen für ihr neu unternommenes Geschäft.[<strong>GEJ</strong>.02_173,10] Und Ich sagte zu den Schiffern: „So es euch nicht zu sehr ausdem Wege ist, so lenket das Schiff an die Grenze von Magdala, allwo Ich etwaszu tun habe!“ – Und die Schiffer lösten das Schiff von den Uferklötzen, und es— 381 —


kam bald ein günstiger Wind und trieb das Schiff in kurzer Zeit bis an dieGrenze des Gebietes von Magdala. (Matth.15,39)174. — Pharisäer und Sadduzäer versuchen den Herrn (Matth. 16)[<strong>GEJ</strong>.02_174,01] An der Grenze aber war eine große Herberge, allwo sich stetseine Menge von Menschen aller Art und Gattung – als Juden, Griechen, Römer,Ägypter, Samariter, Sadduzäer, Essäer, auch mehrere Pharisäer und Schriftgelehrte– befanden, und als Ich mit Meinen Jüngern allda ankam, so erkundigtensich natürlich vor allem die Pharisäer und Schriftgelehrten, wer Ich sei und werMeine Jünger. Aber an diesem Abende erfuhr niemand etwas, wer wir seien.[<strong>GEJ</strong>.02_174,02] Aber in dieser Herberge war eine Magd, die auch auf demBerge mit vielen aus dieser Gegend zugegen war und von ihrem bösen Aussatzegereinigt ward. Diese Magd erkannte Mich, fiel vor Mir auf ihre Knie niederund dankte Mir abermals für die ihr erteilte Heilung. Das sahen etliche Pharisäerund fingen an zu vermuten, daß Ich der für sie berüchtigte Jesus aus Nazarethsei.[<strong>GEJ</strong>.02_174,03] Am Abend Meiner Ankunft ließen sie Mich und Meine Jüngerin aller Ruhe; aber unter sich beratschlagten sie sich mit den Sadduzäern dieganze Nacht hindurch, wie sie Mich etwa fangen könnten mit Wort und Tat amkommenden Tage, der gerade ein Nachsabbat war.[<strong>GEJ</strong>.02_174,04] Als Ich am Morgen mit Meinen Jüngern im Freien dasMorgenbrot verzehrte und zugleich denselben kundgab, daß hier an diesem Ortenicht viel zu machen sein werde, da gingen die Pharisäer und Sadduzäer ausdem Hause, traten gleich ganz herrscherisch keck zu Mir und fingen an, Michmit allerlei Fragen unter sehr freundlicher Larve zu versuchen, und lobten sogarviele Meiner Taten, die voll Ruhmes wären, um Mich dadurch etwa so rechtgeschwätzig zu machen, – worin sie sich aber ganz gewaltig irrten. Ein Sadduzäersagte sogar: „Meister, siehe wir wären geneigt, dir zu folgen und deineJünger zu werden, wenn du als ein Gotteskind und Gottessohn, wie dich nunschon viele Menschen also benamsen, uns darum ein Zeichen gäbest aus denHimmeln! (Matth.16,1) Wirke vor unsern Augen ein Wunder, und du kannst unsdein nennen!“[<strong>GEJ</strong>.02_174,05] Als Ich aber ihre Herzen durchschaute, da fand Ich nichts denneitel Böses; jegliches Wort, das sie redeten, war eine allerabgefeimteste Lüge,und Ich sagte darum zu den verschmitzten Fragern und Forderern: „Des Abendssaget ihr: ,Oh, es wird morgen schön werden; denn der Himmel ist rot!‘(Matth.16,2) Und des Morgens saget ihr: ,Oh, es wird heute ein bös Wetterwerden; denn der Himmel ist rot und trübe!‘ O ihr argen Heuchler! DesHimmels Gestaltung könnet ihr beurteilen; warum denn nicht auch die großenZeichen dieser Zeit in der Sphäre des geistigen Lebens der Menschen?(Matth.16,3) So ihr von andern nach eurem Geständnisse so außerordentlicheDinge vernommen habt und sagt, daß ihr die Schrift verstehet, muß es euch— 382 —


nicht auffallen, daß durch Mich alles das gewirkt wird, wovon die Prophetengeweissagt haben?! Eure Miene wohl wißt ihr also süß zu machen wie Milchund Honigseim, aber euer Herz ist voll Galle, voll Haß, voll Hurerei und vollEhebruch!“[<strong>GEJ</strong>.02_174,06] Auf diesen Bescheid traten die Versucher als im höchstenGrade getroffen und verletzt ab und getrauten sich kein Wort mehr an Mich zurichten; denn alles Volk, das sich um Mich versammelt hatte, richtete sehrfragende Blicke auf sie, und sie fanden es für geraten, sich mit Mir in keineweitere Besprechung mehr einzulassen.[<strong>GEJ</strong>.02_174,07] Als aber diese Versucher sich weidlichst aus dem Staubegemacht hatten, belobte Mich das Volk, daß Ich diesen Zeloten so recht handfestdie nackteste Wahrheit unter ihre Nüstern gerieben habe.[<strong>GEJ</strong>.02_174,08] Ich aber kehrte Mich nicht zum Volke, das im Grunde auchnicht zu dem besten zu zählen war, sondern sagte so wie im Vorbeigehen zu denJüngern: „Diese böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen von Mir; aberes soll ihr kein anderes gegeben werden denn das des Propheten Jonas!“(Matth.16,4) Darauf ließ Ich das Volk und noch mehr die Versucher stehen undging mit Meinen Jüngern eiligst davon, bestieg das noch harrende Schiff undbehieß das Schiff wieder dahin zu lenken, von wo es am Abende ausgelaufenwar.[<strong>GEJ</strong>.02_174,09] Als wir aber also am heitersten Tage hinübergefahren warenunter mancherlei Besprechungen über die Orte und über die Menschen, wo wirgut aufgenommen waren, und wieder am Fuße jenes Berges uns befanden, aufdessen Kuppe tags vorher mit sieben Broten und etlichen Fischlein so vieletausend Menschen gesättigt worden waren, da erst erinnerten sich die Jünger,daß sie an der Grenze von Magdala vergessen hatten, Brot zu kaufen und mitzunehmen(Matth.16,5); denn es war schon ziemlich spät am Nachmittage, und derHunger hatte sie daran am meisten gemahnt. Sonach beschlossen einige ausihnen, irgend in dieser Umgegend sich Brot zu verschaffen oder gar nachMagdala eine Rückfahrt zu machen, weil man von hier bei gutem Winde leichtin einer Stunde nach dem Orte Magdala gelangen konnte.[<strong>GEJ</strong>.02_174,10] Als Mich aber darum die Jünger um den nötigen Rat fragten,da sagte Ich zu ihnen: „Tut, was ihr wollt! Sehet aber wohl zu und hütet euchvor dem Sauerteige der Pharisäer und Sadduzäer!“ (Matth.16,6) – Als die Jüngersolches von Mir vernahmen, da dachten sie bei sich im geheimen: „Aha, dahaben wir's! Das ist ein leichter Verweis, darum wir kein Brot mit uns genommenhaben!“ (Matth.16,7)[<strong>GEJ</strong>.02_174,11] Da Ich aber solch ihre ängstlichen Gedanken nur zu baldmerkte, so sagte Ich zu ihnen: „O ihr noch immer Kleingläubigen! Was bekümmertihr euch doch, daß ihr nicht habt Brot mit euch genommen?! (Matth.16,8)Vernehmet (soviel als: verstehet) ihr denn noch nicht? Gedenket ihr nicht mehran die fünf Brote unter die fünftausend vor der Genezareth-Fahrt, und wievielKörbe davon übrigblieben?! (Matth.16,9) Auch etwa nicht mehr an die gestrigen— 383 —


sieben Brote unter die viertausend ungezählt der Weiber und Kinder, und wieviele Körbe ihr da aufhobet?! (Matth.16,10) Wie möget ihr das doch nichtverstehen, daß Ich nicht das Brot, das ihr nicht mitgenommen habt, meine, soIch zu euch sage: ,Hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer und Sadduzäer!‘(Matth.16,11), – worunter zu verstehen ist die falsche Lehre, die dieseMenschen mit allerlei süßen, fromm scheinenden und freundlichen Gebärden,treuen Versicherungen und Verheißungen unters Volk streuen und sich dabeiheimlich den Rücken voll lachen, so sie einen tüchtigen Fischfang von armen,dummen Seelen gemacht haben.[<strong>GEJ</strong>.02_174,12] Wer predigt schärfer als eben die Sadduzäer von der Unsterblichkeitder menschlichen Seele, wer so wie sie von einem ewigen Eden und voneiner ewigen Feuerqual in der Hölle, – und sie selbst für ihre Person glaubenvon all dem kein Jota und sind dabei die größten Gottesleugner! Verstehet ihrnun einmal, was Ich unter dem Sauerteige gemeint habe?“ – Darauf erst verstandendie Jünger, daß Ich nicht gesagt hatte, daß sie sich hüten sollten vor demBrotsauerteige, sondern vor der argen Lehre der Pharisäer und Sadduzäer.(Matth.16,12) – Wir aber verblieben diese Nacht im Schiffe, das uns zur Not mitBrot und etwas Fischen versehen hatte.[<strong>GEJ</strong>.02_174,13] Am nächsten Tage aber sandte Ich etliche Jünger voraus genCäsarea Philippi, auch eine kleine, etwas befestigte Stadt im griechisch-galiläischenGebietsteile, etwas landeinwärts vom Galiläischen Meere gelegen. Siesollten sich nach Meiner Beheißung zum voraus in dieser Gegend herum erkundigen,was da die Menschen von Mir hielten, und ob sie von Mir schonüberhaupt irgend etwas vernommen hätten.[<strong>GEJ</strong>.02_174,14] Und mehrere Jünger, die in dieser Gegend wohlbewandertwaren, eilten nach eingenommenem Morgenbrote sogleich in die obbezeichneteGegend und erkundigten sich fleißig über das, was die dortigen Menschen vonMir hielten, und ob und wieviel sie irgend von Mir vernommen hätten. Dievorausgesandten Jünger aber erstaunten nicht wenig, als sie gewahrten, daß dieganze von Mir früher noch nie betretene Gegend von Meinem Namen kleinangefüllt war und jeder Mensch von Mir eine Menge zu erzählen wußte. Denndie Jünger taten, als ob sie von Mir auch nur durch Hörensagen etwas wüßten,und so hatten die Befragten einen desto größeren Spielraum, von allerlei Dingenzu erzählen.[<strong>GEJ</strong>.02_174,15] Daß darunter manche allerkolossalste Übertreibungen stattfanden,läßt sich leicht denken; so war darunter eine, deren Weitererzählung dieJünger dem Erzähler ganz allerernstlichst untersagt haben. Diese Erzählungbestand in nichts Geringerem, als daß Ich Mich bald zu einer riesenhaftestenGröße ausdehnen und dabei aber gleich wieder zu einem kaum fingergroßenZwerge zusammenschrumpfen könnte; auch wäre Ich bald sehr alt, bald wiederganz blutjung. So hätte man Mich auch schon als ein vollkommenes Weibgesehen. Ja einige darunter wußten noch mehr; denn sie hätten gehört, daß Ichauch ganz beliebig die Gestalt eines oder des anderen Tieres annehmen könnte.— 384 —


–[<strong>GEJ</strong>.02_174,16] Daß die Jünger solche Sagen den Erzählern verwiesen, wirdein jeder Mensch wohl gründlich von selbst einzusehen imstande sein; aber wiees möglich war, daß solche Absurditäten und andere von ähnlichem Kalibersogar in den Orten, wo Ich gelehrt und geheilt hatte, haben zum Vorscheinkommen können, das ist ein Etwas, das noch in dieser Stunde so manchemEngel des Himmels förmlich ein Rätsel ist. Daher datiert sich aber auch derWust von etlichen fünfzig Evangelien, die bei der ersten großen morgenländischenKirchenversammlung als apokryphisch verbrannt worden sind, was sehrgut war; denn im Grunde sind denn doch nur die beiden Evangelien Johannisund Matthäi völlig authentisch (echt), und die Apostelgeschichte, die Briefe unddie Offenbarung Johannis. Die beiden Evangelien des Markus und Lukas aberhaben auch ihren entschiedenen und heiligen Wert, obschon sie in manchenkleinen Begebenheiten von dem des Matthäus abweichen. – Da wir nun solchesebenfalls wissen, so wollen wir in der evangelischen Wanderung wieder weiterziehen.175. — Der Herrn einer armen Hütte bei Cäsarea Philippi. (Matth. 16)[<strong>GEJ</strong>.02_175,01] Während die etlichen vorangesandten Jünger sich mit derAuskundschaftung der Gegend und der Menschen um Cäsarea Philippi beschäftigten,blieb Ich noch bis nahe gen Abend in der Bucht am Berge; aber etwa einpaar Stunden vor dem Untergange verließ Ich mit den übrigen Jüngern dieBucht, kam auch gen Abend hin in die Gegend von Cäsarea Philippi(Matth.16,13) und fand die vorangesandten Jünger bei einer ärmlichen Hütte,deren höchst schlichte Einwohner gerade damit beschäftigt waren, den schonmüde und hungrig gewordenen Jüngern ein Abendmahl zu bereiten.[<strong>GEJ</strong>.02_175,02] Die Hausleute aber fragten sogleich die schon dort seiendenJünger, wer wir wären, und diese entdeckten es ihnen auch ohne Anstand, daßIch eben derselbe Jesus sei, von dem sie früher so manches gesprochen hätten.[<strong>GEJ</strong>.02_175,03] Als der Hausherr solches vernahm, da ließ er förmlich allesvon sich fallen und fiel vor Mir nieder und sprach: „Was habe ich armer, sündigerMensch denn je Gutes getan, darum du mir nun solch eine unschätzbarsteGnade erweisest? O du heilig großer Mann aus den Himmeln, zu uns armenSündern auf diese Erde gesandt! Wie soll ich als ein armer und höchst einfacherMensch dich darum würdigst ehren und preisen? Was soll ich dir tun, daß es dirwohlgefiele?“[<strong>GEJ</strong>.02_175,04] Sage Ich: „Lieber Freund, stehe auf und siehe, daß auch wirein Abendmahl bekommen, bestehend aus Brot, Fischen und etwas Wein; dannsorge für ein leidliches Lager, und du hast alles getan, was Ich von dirwünsche!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,05] Hier erhebt sich sogleich der arme Hausherr und sagt mit eineretwas traurigen Miene: „Guter Meister, was ich habe, gebe ich her, da meiner— 385 —


Hütte eine solch große Ehre und Gnade widerfahren ist; denn ich weiß es, daßdu ein Sohn Davids und dazu noch ein großer Prophet bist. Brot und Fische habeich wohl noch im Vorrate für heute und morgen, aber mit dem Weine sieht esetwas schlecht aus, nicht nur bei mir, sondern in dieser ganzen Gegend; auch inder nicht weit von hier liegenden Stadt Cäsarea Philippi sieht es mit dem Weinesehr erbärmlich aus. Etwas Himbeeren- und Brombeerensaft besitze ich wohl,aber er ist schon etwas alt und darum sauer; wir trinken ihn nur mit Wasser undetwas Honig gegen den Durst.[<strong>GEJ</strong>.02_175,06] Aber einige Töpfe voll gestockter Ziegenmilch habe ich; wenndir vielleicht davon etwas genehm wäre, so brächte ich gleich einige hierher. MitBrot ist das wahrlich eine gute Speise!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,07] Sage Ich: „Nun, so bringe, was du hast! Aber Ich sehe, daß dumehrere Weinschläuche in deinem Hause birgst; so du keinen Wein je erntest,wozu sind dann die Schläuche?“[<strong>GEJ</strong>.02_175,08] Sagt der arme Hüttenbesitzer: „Ja, ja, Schläuche habe ichwohl, weil ich ein Schlauchmacher bin; aber es war noch in keinem je einTropfen Wein da drin! Ich habe deren nun bei fünfzig für den kommendenMarkt in der Stadt fertig und verkaufe das Stück um einen guten Groschen.“[<strong>GEJ</strong>.02_175,09] Sage Ich: „So geh und nimm die Schläuche und mache sie allevoll mit Wasser!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,10] Fragt der arme Hüttenmann: „Guter Meister, wofür wird denndas hernach gut sein?“[<strong>GEJ</strong>.02_175,11] Sage Ich: „Freund, frage nicht, sondern was Ich dir sage, dastue, dann wirst du glücklich sein zeitlich und ewig!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,12] Auf diese Worte berief der arme Hüttenmann sogleich seinWeib und seine schon erwachsenen acht Kinder, darunter sechs Töchter undzwei Söhne, und ging und machte am Brunnen die fünfzig Schläuche bald voll.Als die Schläuche alle vollgefüllt waren, da fragte er Mich, was er damit nunanfangen solle.[<strong>GEJ</strong>.02_175,13] Da sagte Ich zu ihm: „Bringe sie alle in die kühle Steingrotte,an deren Eingang der Hinterteil deiner Hütte angebaut ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,14] Der arme Hüttenmann, der in dieser Grotte sein Stroh hatte,breitete dasselbe am Boden aus und legte die mit Wasser gefüllten Schläuche inguter Ordnung nacheinander auf das Stroh, und als er mit der Arbeit fertig war,kam er wieder hervor und sagte: „Herr und Meister, es ist alles geschehen, wiedu es anbefohlen hattest! Ist damit vielleicht noch etwas Weiteres zu besorgen?“[<strong>GEJ</strong>.02_175,15] Sage Ich: „Nun ist schon alles in der besten Ordnung. Geheund nimm aber nun etliche deiner besseren Steinkrüge und fülle sie von einemder fünfzig Schläuche, von welchem du willst, verkoste aber auch von dengefüllten Krügen, wie sie dir schmecken; bringe sie dann hierher und sage esuns, wie dir das Wasser, also zubereitet, schmeckt!“— 386 —


[<strong>GEJ</strong>.02_175,16] Der Arme geht sogleich, nimmt zwölf Krüge und läßt sie vollan. Schon beim Anlassen kommt ihm ein ausgezeichneter Weingeruch in dieNüstern, und als er erst den flüssigen Inhalt verkostet, da weiß er sich vor lauterVerwunderung ordentlich gar nicht mehr zu helfen und sagt zu seinen ihmhelfenden Kindern: „Höret, das faßt keines Menschen Verstand! Das Wasser,mit dem wir die Schläuche gefüllt haben, und von dem ich nun die Krügevollgelassen habe, ist zum alleredelsten, besten Weine geworden! Kostet es undüberzeuget euch selbst!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,17] Die Kinder kosteten und konnten sich auch nicht genugverwundern über dieses Wunder; und der älteste Sohn sagte: „Vater, du weißtes, daß ich in der Schrift gut bewandert bin. Ich kenne alle die Propheten undihre Taten; aber eine solche Tat hat von ihnen keiner verübt! Dieser sonderbareMensch muß offenbar mehr denn ein Prophet sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,18] Sagen auch die Töchter: „Ja, ja, Vater, es kommt uns auch alsovor! Das ist am Ende gar der Elias, der noch einmal auf die Erde kommen soll,um die Menschen auf die Ankunft des großen Messias vorzubereiten! Oder amEnde ist das etwa gar schon der große Messias Selbst?“[<strong>GEJ</strong>.02_175,19] Sagt der Vater: „Da ist eins wie das andere möglich! Hm, hm,wie aber das doch so plötzlich und unerwartet gekommen ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,20] Während der arme Hüttenmann noch so simulierend spricht,kommt sein Weib herbeigeeilt und sagt, fast ganz außer Atem vor Entzückung:„Kommet, kommet und sehet, was da geschehen ist in unserer Hütte! UnsereSpeisekammer ist von allerlei guten Speisen und des besten Brotes ganz vollgeworden! Das kann niemand anders getan haben als derselbe Meister, der voreiner Stunde zu unserer Hütte kam und von uns eine Unterkunft und ein Nachtmahlverlangte!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,21] Sagt der Mann: „Das liegt wohl außer allem Zweifel! Aberwie? Wer gibt uns darüber einen Aufschluß? Was ist er? Wer ist er? Sagenwir: ,Er ist ein Prophet!‘, so sagen wir offenbar zu wenig. Sagen wir: ,Er ist einEngel!‘, so haben wir damit nicht viel mehr gesagt. Sagen wir aber: ,Er ist einGott!‘, da dürften wir denn doch zuviel sagen; denn ein Gott ist ja nur ein Geist;der aber hat Fleisch, Blut und Knochen, und es ließe sich da erst fragen, ob eram Ende denn doch nicht so etwa ein griechischer Zeus oder Apollo sei. Abernun heißt es, in aller Demut, Liebe und Dankbarkeit den Wein hinaustragen undBrot und Fische, und was wir nur immer Eßbares haben; denn diese Wohltat istunbezahlbar groß!“[<strong>GEJ</strong>.02_175,22] Nun kam der arme Mann mit den gefüllten Krügen und seinWeib und seine Kinder mit Brot, Fischen und noch andern eßbaren Dingen. Undder Mann, sich tiefst vor Mir verbeugend, sagte mit einer höchst demütigklingenden Stimme: „O Herr und Meister! Wer bist du denn, daß du solcheDinge allein durch den Willen vermagst? Ich bebe vor höchster Ehrfurcht vordir! Ein Mensch wie unsereiner kannst du nicht sein; wer und was aber bist duhernach denn, auf daß wir dich würdig ehren könnten?“— 387 —


[<strong>GEJ</strong>.02_175,23] Sage Ich: „Sieh, Mein Freund, Ich will dir etwas sagen, unddaraus kannst du dir dann selbst ein Urteil schaffen! Wenn du am frühenMorgen merkst, daß es heller wird im Aufgange und sich nach und nach derHimmel zu röten beginnt, so sagst du: ,Die Sonne wird bald aufgehen!‘ Es wirdaber auch heller am Aufgange, wenn der Mond sich dem Aufgange nahet; aberder matten Helle folgt keine Morgenröte, und so der volle Mond endlich aufgehtund die Erde matt beleuchtet mit seinem halben Lichte, so öffnet dennoch keinBlümchen den zarten Kelch, um einzusaugen den kalten, matten und nichtbelebenden Strahl![<strong>GEJ</strong>.02_175,24] Die schon mit starkem Lichte umflossenen Boten, der Sonnenahen Aufgang verkündenden lichten Wölkchen sind wohl schon um sehr vielesheller denn der Mond in seinem Vollichte; aber würde diesen Boten keine Sonnefolgen, so sähe es bald auf der ganzen Erde also aus wie in der eigentlichenstarren Mitternachtgegend dieser Erde, dahin neun volle Monde hindurch keinSonnenstrahl gelangt. Und so, sieh, geht es entsprechend auch in der ewigenWelt des Geistes zu, durch die allein diese materielle entstand und nun fortbesteht.[<strong>GEJ</strong>.02_175,25] Es tauchen allerlei Lehrer und Propheten auf und lehren dieMenschen so und so; es ist hie und da auch etwas Wahres daran, aber nebeneinem Funken Wahrheit wandeln stets Tausende von Lügen einher und gebensich neben dem einen Wahrheitsfunken das Ansehen, als wären sie selbstWahrheit. Und sieh, alle solche Lehrer, Propheten und ihre Lehren gleichen demScheine des Mondes, der sein Licht stets wechselt, und oft dann, wenn zurNachtzeit sein Licht am nötigsten wäre, gar nicht scheint.[<strong>GEJ</strong>.02_175,26] Aber es gibt neben den falschen Lehrern und Propheten auchechte und wahre, aus deren Augen, Herzen und Mund Gottes Licht strahlt. Diesegleichen den lichtumflossenen Wölkchen, die der Sonne nahen Aufgang verkünden;bliebe es aber nur bei den, wenn auch noch so strahlenden Wölkchen, denechten und wahren Propheten nämlich, so würde es in den Herzen der Menschenmit der Zeit dennoch also auszusehen anfangen, als es aussieht auf der eigentlichenMitternachtgegend der Erde, nämlich eisstarr, kalt und tot. Aber den echtenLichtwölkchen, die der Sonne vorangehen, folgt die Sonne selbst, und bei ihremersten Lichtstrahle, den sie über die noch grauen Gebirge auf die Fluren der Erdefallen läßt, wird alles wach, voll Freude und voll Lebens: Die Vöglein singender aufgehenden Mutter des Lichtes und der Wärme ihre reinen Psalmen entgegen,die Mücken und Käferchen erheben sich in die lichtdurchdrungene Luft undsummen der herrlichen Tagesmutter ihre Begeisterung zu, und die Blumen derFelder heben ihre königlich geschmückten Häupter empor und öffnen ihrenbalsamreichen Mund, um der großen Welterwärmerin den herrlichsten Duftentgegenzuhauchen.[<strong>GEJ</strong>.02_175,27] Aus dieser höchst wahren Darstellung aber kannst du nunschon so viel herausfinden, um in dir zur Klarheit zu gelangen, auf daß du Michauf den Standpunkt in deinem Herzen setzest, der Mir gebührt! Weder das Licht— 388 —


der Sterne, noch das des Mondes und für sich ebensowenig der goldne Glanz derMorgenwölkchen ist imstande, dem in der Materie dieser Erde gefangenenLeben die Fesseln zu lösen und es dann hervorzulocken in die selbständig tätigeFreiheit; solches vermag allein das Licht der Sonne.[<strong>GEJ</strong>.02_175,28] Wer aber kann dann unter den Menschen Der sein, dessenStimme und Willen alle die in der Materie gefangenen Geister gehorchen undsich fügen in alles, was Er will, – und wer Der sein, von dessen Ankunft alleechten Propheten geweissagt haben?“[<strong>GEJ</strong>.02_175,29] Hier stutzt der arme Mann gewaltig und geht sehr nachdenkendmit den Seinen in die Hütte, um uns ja nicht beim Abendessen zu genieren.176. — Das Zeugnis der Jünger über Christus. (Matth. 16)[<strong>GEJ</strong>.02_176,01] Wir verzehren nun das Abendbrot und des HüttenmannesFamilie errichtet für uns ein möglichst gutes Lager. Aber im Hause sagt er zuseinem Weibe und zu seinen Kindern: „Höret! Das wird ohne weiteres derverheißene Messias sein! Also Jehova Selbst allerleibhaftigst, die ewigeUrsonne der Geisterwelt, der alle die vom Gotteslichte erfüllten Propheten alslichte Morgenwölkchen vorangegangen sind! Ja, ja, nun weiß ich wohl, woranich bin; aber was nun tun?! Ich getraue mich beinahe kein Wörtchen mehr zureden mit Ihm, dem ewig Allerheiligsten, dem nun für uns unsichtbar sicherzahllose Scharen der Engel dienen, die von Ihm in jedem Augenblicke neueBefehle erhalten und sie mit Gedankenschnelle hinübertragen zu den Sternenund an alle Enden der Welt! Und Dieser bleibt heute in unserer armen Hütte,dem alle ewigen Himmel und deren Eden zu Gebote stehen![<strong>GEJ</strong>.02_176,02] O frohlocket, und bebet dabei aber auch vor Freude; denn Erbleibet bei uns in dieser Nacht! Dieser höchsten Gnade ist die ganze Erde nichtwert, geschweige diese unsere allerärmlichste Hütte, und dazu wir, die wir vollvon allen Sünden sind!“[<strong>GEJ</strong>.02_176,03] Als sich aber der Hüttenmann mit seiner Familie während desLagermachens über Mich also besprach, fragte Ich denn auch Meine Jünger,namentlich jene, die heute der Auskundschaftung halber vorangeschickt wordenwaren, sagend: „Wer, sagen denn so die Leute in der Umgegend, daß Ich sei?“(Matth.16,13)[<strong>GEJ</strong>.02_176,04] Antworten darauf die gefragten Jünger: „Etliche sagen ganzim Ernste, Du seiest der wieder vom Tode erstandene Johannes der Täufer.Wieder andere meinen und sagen, Du seiest Elias, von dem es geschriebenstehe, daß er noch einmal zur Erde kommen werde vor dem großen Messias undwerde rufen alle Menschen zur Buße und wahren Umkehr zu Gott. Noch anderemeinen, Du seiest der Prophet Jeremias, von dem auch noch eine Sage im Volkebestehe, daß er vor dem Messias kommen werde aus den Himmeln. Auch, sagensie, könntest Du von den andern Propheten einer oder der andere sein(Matth.16,14); denn bevor etwa der große Messias käme, werden Ihm alle— 389 —


Propheten vorangehen! – Das sind so die annehmbaren Hauptsagen von Dir; esgibt aber auch noch eine Menge anderer über Dich, die wir aber nach derAnhörung derselben den Menschen verwiesen und sie dafür auf eine bessereMeinung über Dich brachten. Aber viele meinen noch, Du seiest ein verkappterZeus der Griechen.“[<strong>GEJ</strong>.02_176,05] Sage Ich: „Nun gut, ihr habt Mir nun kundgetan, was ihrvernommen habt; aber Ich möchte jetzt auch noch aus eurem Munde vernehmen,für wen so ganz eigentlich denn ihr Mich haltet. Ich frage euch nicht etwa eitel,sondern ganz ernstlich; denn Ich merke nach so manchen Gelegenheiten, die füreure Sinne Mein Tun und Lassen dann und wann scheinbar ans Irdische streifenlassen, daß ihr sodann über Mich auch gleich anders urteilet in euren Herzen undMich nicht völlig für das ansehet, als für was ihr Mich ansehet, so von Mirirgendeine große Wundertat ausgeübt wird! Darum saget Mir endlich einmalganz offen, für wen ihr Mich so nach einer völlig reifen und nüchternen Überlegungeures Verstandes so ganz im wahrsten Ernste haltet!“ (Matth.16,15)[<strong>GEJ</strong>.02_176,06] Da stutzten alle Jünger und wußten bis auf Simon Juda nicht,was sie Mir auf diese Frage antworten sollten. – Judas Ischariot sagte zuThomas: „Jetzt rede! Du bist ja immer so klug und weise! Das sollte dir ja einreiner Scherz sein, auf die sonderbare Frage des Meisters eine gültige Antwortzu finden!“[<strong>GEJ</strong>.02_176,07] Sagt Thomas: „Rede du, wenn du so weise bist! Ich halte ihnfür das, für das er sich selbst schon lange ausgegeben hat! Er sagt von sich nieanders als: ,Ich bin ein Sohn des Menschen, und Gott ist Mein wie euer allerVater!‘ Wenn er sich selbst ein solches Zeugnis gibt, welch anderes Zeugniskönnen denn dann wir ihm im eigentlichsten Wahrheitssinne geben aus unsselbst heraus? Er verrichtet freilich Taten, die seit Moses und den andernPropheten noch nie ein Mensch verrichtet hat. Allein wenn wir die Sache sorecht beim Lichte betrachten, so werden wir finden, daß es dennoch der GeistGottes ist, der durch einen erwählten reinen Menschen solches alles verrichtet!Dem Geiste Gottes aber wird es einerlei sein, ob er durch einen erwähltenMenschen Berge versetzt oder vernichtet, oder ob er irgendein kleineres Wunderdurchs Wort des Propheten gelingen läßt!“[<strong>GEJ</strong>.02_176,08] Sagt Judas Ischariot: „Du hältst ihn sonach nur für einenPropheten?“[<strong>GEJ</strong>.02_176,09] Spricht Thomas: „Allerdings, und für den größten, den je dieErde getragen, – was zwar nicht sein, sondern Gottes Verdienst ist! Denn Gottallein kann den Menschen erwecken zu einem Propheten, wie Er solches mitSamuel getan hat, da dieser noch ein Kind war, und wie Er, Gott allein nämlich,sogar den Esel des falschen Propheten Bileam zu einem wahren Prophetenmachte und durch den Esel dann auch Bileam selbst. So wir dieses recht auffassenund das Zeugnis, das Jesus sich selbst gibt, nämlich, daß er nur einMenschensohn sei, obgleich er auch die wundertätige Gotteskraft, die in einerbesonderen Fülle in ihm vorhanden ist, dann und wann als das göttliche Ich— 390 —


ausspricht, da können wir ihm meiner unmaßgeblichen Meinung nach dochunmöglich ein anderes Zeugnis geben, als das er sich allzeit selbst gibt! Er istsonach ein vorzüglichster Gottessohn, wie auch wir es sind, wennschon nicht indem höchst ausgezeichnetsten Grade wie er.“[<strong>GEJ</strong>.02_176,10] Sagt Judas Ischariot: „Wie ist es denn aber dann mit dem, daßihn denn doch viele für den verheißenen Messias halten und die besseren Römerund Griechen sogar für den allein wahren allmächtigen Gott?!“[<strong>GEJ</strong>.02_176,11] Sagt Thomas: „Die haben auch recht; denn die Kraft Gottes,die in ihm ist, ist auch der allein wahre Messias, und ohne weiteres auch JehovaSelbst.“[<strong>GEJ</strong>.02_176,12] Darauf gibt sich Judas Ischariot zufrieden, und Ich, obschonIch solches vernahm, schwieg dazu.[<strong>GEJ</strong>.02_176,13] Petrus aber merkte Mein Schweigen, erhob sich und sagte:„Herr, ich merke sogar unter den Brüdern verschiedene Meinungen über Dich!Erlaube es mir darum, daß ich der Brüder wegen auch mein Zeugnis über Dichlaut und vernehmlich ausspreche!“[<strong>GEJ</strong>.02_176,14] Sage Ich: „Tue das! Wie lauten demnach deine Worte?“[<strong>GEJ</strong>.02_176,15] Sagt Petrus, resp. Simon Juda: „Aus dem tiefsten Lebensgrundemeines Herzens sage und bekenne ich's nun vor aller Welt laut: Du bistChristus, des lebendigen Gottes Sohn!“ (Matth.16,16)[<strong>GEJ</strong>.02_176,16] Und Ich sagte zu Petrus: „Selig bist du, Simon, des Jona Sohn;dein Fleisch und Blut hat dir das nicht geoffenbart, sondern Mein Vater, der imHimmel ist! (Matth.16,17)[<strong>GEJ</strong>.02_176,17] Ich sage dir nun aber auch unter einem: Du bist Petrus, einFels; auf diesen Felsen will Ich bauen Meine Gemeinde, und die Pforten derHölle sollen sie nicht überwältigen! (Matth.16,18) Und Ich will dir des HimmelreichesSchlüssel geben! Alles, was du auf Erden binden wirst, das soll auch imHimmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das soll auch imHimmel gelöset sein!“ (Matth.16,19)[<strong>GEJ</strong>.02_176,18] Da sagte Petrus: „Herr, ich danke Dir für diese hohe Gnade,deren ich mich für den völlig Unwürdigsten halte, weil ich stets ein groberSünder war und leider noch bin; aber was da betrifft das Binden und Lösen, sogestehe ich es auch offen, daß ich's nicht verstehe und nicht weiß, was ichdaraus machen soll. Du könntest mir die Sache wohl ein wenig klarer machen,so Du solches wolltest!“[<strong>GEJ</strong>.02_176,19] Sage Ich: „Es wird dir solches alles zur rechten Zeit völlig klarwerden; vorderhand aber verbiete Ich euch allen solches strenge, daß ihr nun vorder Zeit ja niemand davon etwas meldet, daß Ich Jesus der wahre Christus sei!“(Matth.16,20)[<strong>GEJ</strong>.02_176,20] Nach dieser wichtigen Besprechung fragt Matthäus der Schreiber,ob er solches alles aufzeichnen solle.— 391 —


[<strong>GEJ</strong>.02_176,21] Sage Ich: „Das hiesige Wunder nicht, und des Gesprächeszwischen Thomas und Judas Ischariot brauchst du nicht zu erwähnen; aber wohldessen in der Hauptsache, was Ich mit Petrus abmachte. Schreibe du nur allzeitalso, wie Ich dir die Worte ins Herz legen werde, und es wird dann alles rechtund richtig sein!“ – Mit dem war denn auch der Schreiber zufriedengestellt undbegab sich darauf bald zur Ruhe; wir aber blieben bei dem Tische sitzen bis genMitternacht, und des Hauses Leute kamen dann auch und leisteten uns eine rechtangenehme Gesellschaft.177. — Der Hüttenbesitzer Markus erzählt Templergreuel[<strong>GEJ</strong>.02_177,01] Der Hüttenmann, der Markus hieß, wußte uns eine Menge zuerzählen von den Pharisäern und sein wollenden Schriftgelehrten. Unteranderem erzählte er viel von den geheimen Grausamkeiten der Templer, und wiesie alsogleich jedermanns unversöhnliche Todfeinde sind, so sie bei diesem oderjenem irgendeine geistige und somit prophetische Ader nur ahnen! Es würdenviele solcher geistigen Menschen ganz geheim ums Leben gebracht! Man ladesie ganz freundlichst ein, mache ihnen eine Ehrenbezeigung um die andere unddrücke ihnen vor lauter Freundschaft die Hände. Seien sie aber einmal in desTempels hintere Gemächer, die von den Hauptpharisäern bewohnt werden,gelangt, dann sei es um sie für diese Welt geschehen; denn da komme keinermehr ans Tageslicht! Es sei, sagte weiter Markus, unbegreiflich, wie Gottsolchen Greueln so lange zusehen könne. In Sodom und Gomorra sei es wohlschlecht zugegangen, aber gegen das, wie es nun in Jerusalem zuginge, wäreSodom und Gomorra kaum das, was da ist ein Regentropfen gegen das Meer;und doch habe Gott damals trotz der vielfachen Vorbitte Abrahams diese Städteund alle andern zu ihnen gehörigen Ortschaften mit Feuer vom Himmel herabuntergehen lassen! Nun aber bei dieser Masse von Greueln jeder erdenklichenArt, die in Jerusalem Tag für Tag begangen würden, tue Gott der Herr, als wüßteEr nicht darum und kümmerte Sich auch um die ganze Menschheit nicht mehr!Worin denn etwa doch solches einen Grund haben könne?![<strong>GEJ</strong>.02_177,02] Auf solch seine ganz gute Frage sagte Ich zu ihm: „Freund,Gott weiß um alles, was da geschieht! Er kennt alle die zahl- und namenlosenGreuel der Pharisäer und Schriftgelehrten; darum aber kam Ich denn ja in dieWelt, damit diese Schlangenbrut und dies Natterngezüchte an Mir Selbst ihrGreuelmaß vollmache; und wird dies vollgefüllt sein, dann erst wehe dieserargen Brut!“[<strong>GEJ</strong>.02_177,03] Sagt Markus: „Ja Herr, Meister und freundlichster Wohltäterder Menschen! Wenn Dir nicht auch die Macht eigen ist, mit einem HaucheTausende von Menschen in die andere Welt hinüberzublasen, dann bist Du sehrzu bedauern, so es Dir je in den Sinn käme, Dich in Jerusalem sehen zu lassenund dort wundertätig zu zeigen! Ich bin Dir hier zwar ein höchst schlichterMann, verstehe aber dennoch so manches, wovon sich freilich kein Pharisäernoch je etwas hatte träumen lassen; aber ich bin dabei so pfiffig und spiele im— 392 —


Angesichte der Pharisäer, mit denen ich sehr oft zusammenkomme, einen soblitzdummen Teufel, daß ihnen dabei jede Spur von einer Mutmaßung, alsbesäße ich irgend geheime Kenntnisse, benommen wird.[<strong>GEJ</strong>.02_177,04] Weil sie mich denn schon seit einer geraumen Zeit als einenunmäßig dummen Trottel kennen und der Meinung sind, man könne mir einenSteiß und ein Antlitz zeigen, und ich möchte beides kaum voneinander unterscheiden,so lassen sie mich denn auch oft ganz ungehalten hinter ihre schwärzestenGeheimnisse blicken! Und da bin ich Dir schon auf Dinge gekommen,von denen ich Dir offen gestehen muß, daß ich dabei schon einige Male total anGottes Dasein zu zweifeln anfing! Denn ich dachte so bei mir: Wenn es einenallmächtigen, höchst weisen, gerechten und guten Gott gibt und Ihm an derMenschheit, wie uns die Schrift lehrt, etwas gelegen ist, so ist es Ihm ja unmöglich,solchen Greueln zuzusehen! Es gibt keinen Gott! Der Mensch ist nachPlato ein Abkömmling des Affen dem Leibe nach, und der Seele nach einAbkömmling der reißenden Bestien. Darum muß an der Spitze einer starkenGemeinde ein starker und weiser Simson stehen, der dem zusammengesetztenTiere, das sich Mensch nennt, mit der schärfsten Zuchtrute das Doppeltierischeherunterfegt und ihn nach Jahren insoweit zahm macht, daß er nur wenigstensein halber Mensch wird![<strong>GEJ</strong>.02_177,05] Mit solchen und oft noch ärgeren Gedanken beschäftigte sichmein Gemüt, wenn ich mit oft denn doch zu entsetzlich greuelhaften Geheimtatender von Dir ganz richtig bezeichneten Schlangenbrut zusammenkam!Darum, wie gesagt, Herr und Meister, liegt es Dir daran, bald aus dieser Weltauf die grausamste und schmerzvollste Art befördert zu werden, da ziehe Duimmerhin nach Jerusalem, und Du wirst es erfahren, daß ich Dir die vollsteWahrheit gesagt habe, ohne irgendein besonderer Prophet zu sein![<strong>GEJ</strong>.02_177,06] Um Dir nur so einen kleinen Geheimzug, der aber die Heiligkeitdes Tempelmistes schon ums wenigstens Tausendfache übertrifft, kundzutun,erzähle ich Dir nur so ganz kurz, was ich erst vor kurzem selbst erlebt habe.Wer aber diese Schwarzbrut auf solchen übersatanischen Gedanken gebrachthat, ist mir nicht bekannt. Der Satan sicher nicht, – denn so weit kann seinArgsinn nicht reichen!“178. — Eine Templergeschichte[<strong>GEJ</strong>.02_178,01] (Markus:) „Es ist in der Hintergegend vom sogenannten Kleinasieneine von Menschen bewohnte Gegend, in der die Weiber zumeist unfruchtbarsind. Was daran die Schuld ist, weiß ich Dir nicht darzutun. Übrigens ist eseine ausgemachte Tatsache, daß, so jene Weiber von Juden oder Samaritenbeschlafen werden, sie ebensogut fruchtbar werden als die unsrigen. Nun, diePharisäer, die ihre bösen Apostel in alle Welt aussenden, haben jene unfruchtbarenWeiber schon seit lange her kennengelernt und sind oft karawanenweisedahin gezogen, um die unfruchtbaren Weiber fruchtbar zu machen! Das war sogewisserart ein stets gutbezahlter Freundschaftsdienst. Aber es blieb nicht bei— 393 —


diesem Dienste, weil nach und nach die kleinasiatischen Männer jener bezeichnetenGemeinden einsehen gelernt haben, daß sie die sehr Betrogenen sind; dennihre Weiber sind dennoch nicht so ganz eigentlich schwanger geworden in derFruchtbarkeitsanstalt, welche die Missionare Jerusalems an der Grenze jenerGemeinden errichtet haben schon vor vielen Jahren, sondern die Missionarekauften hierzulande und auch in Judäa neugeborene Kinder zusammen, ließensolche in die besagte Anstalt bringen, in der die sonst zwar sehr schönen undüppigen, wenn schon unfruchtbaren Weiber zehn Monate verbleiben mußten.Nach Ablauf der zehn Monate aber, in welcher Zeit so ein Weib von den geilenAposteln des Tempels nahezu zu Tode beschlafen ward, wurde dann solcheinem Weibe ein solches angekauftes Kind unterbreitet, und zwar auf eine sopfiffige Art, daß sogar das Weib glaubte, daß das Kind von ihr sei! Aber wiegesagt, mit der Zeit kamen die Männer der schönen und üppigen Weiber denndoch hinter den Betrug, und zwar durch einen ehrlichen Samariten, der denKleinasiaten zeigte, wie es die vermeinten frommen Apostel Jerusalems, derStadt Gottes, trieben.[<strong>GEJ</strong>.02_178,02] Da kamen die betrogenen Männer der Gemeinde zu den,Aposteln‘ in die Befruchtungsanstalt und hielten ihnen ganz ernstlich vor, wassie von einem Bürger Sichars vernommen hätten, und die befruchteten Weiberhätten ihnen auch dasselbe eingestanden![<strong>GEJ</strong>.02_178,03] Die ,Apostel‘ aber, mit allen Betrugssalben gesalbt, fandenbald einen ganz gesunden Ausweg, beschrieben den sich beschwerendenMännern die Samariten von einer solchen Seite, daß die Beschwerdeführer imvollsten Ernste einzusehen anfingen, daß eben die Samariten, die von Gott schonseit vielen Jahren verfluchten Abtrünnlinge der Juden, die alleinige Schuld ander Unfruchtbarkeit ihrer Weiber trügen.[<strong>GEJ</strong>.02_178,04] Dadurch aber verfielen die guten Samariten in einen zwiefachenRacheschwur, und zwar zuerst in den der Pharisäer wegen der Denunziation(Anzeige) und Verdächtigung bei den Hinterkleinasiaten, und dann fürszweite bei den Besitzern der unfruchtbaren Weiber selbst, die nach der Erklärungder Pharisäer fest zu glauben anfingen, daß die Samariten lauter argeZauberer seien und solches schon vor vielen Jahren den Hinterkleinasiatenangetan hätten, weil einmal ein Samarite dort wegen Beschlafung eines Weibeserschlagen worden ist. Aber sie, die Pharisäer nämlich, wüßten ein Gegenmittel,das sie den mit unfruchtbaren Weibern vermählten Männern gegen eine guteBezahlung anraten und noch leichter selbst verschaffen könnten! – Jetzt, lieberguter Meister, kommt erst das Wahre, resp. echt Übersatanische, zumVorscheine!“[<strong>GEJ</strong>.02_178,05] Sage Ich: „Erzähle nur also fort! Wäre es auch nicht nötig fürMich, so ist es aber dennoch um so nötiger für diese Meine Jünger, daß siesolches erfahren.“[<strong>GEJ</strong>.02_178,06] Fährt Markus mit seiner Erzählung fort, sagend: „Worinbesteht denn eigentlich das von den Aposteln Jerusalems um vieles Geld angera-— 394 —


tene Mittel zur Fruchtbarmachung der Hinterkleinasiatinnen? Es besteht nachdem weisen Rate der ,Apostel‘ in nichts Geringerem als: Die Hinterkleinasiatensollen sich das Blut von den Kindern der Samariten verschaffen und solchesentweder in frischem Zustande oder aber auch getrocknet und als Pulver einnehmen,wenn sie mannbar geworden sind, und alsdann die Weiber, bevor sie sichbeschlafen lassen; solches würde die Zauberkraft der Samariten zerstören unddie Weiber wieder vollends fruchtbar machen! – Aber wie das Blut der samaritischenKinder bekommen? – Dafür werden schon gegen guten Lohn und gegengute Worte die Apostel des Tempels Sorge tragen![<strong>GEJ</strong>.02_178,07] Der Vertrag ward gemacht und von den betreffenden Hinterkleinasiatenangenommen. Was aber geschah darauf und geschieht in einem sehrausgebreiteten Maße noch heute? Die Pharisäer machten darauf eine förmlicheJagd, wie und wo sie nur konnten, auf die Kinder der Samariten und tundasselbe noch heutzutage.[<strong>GEJ</strong>.02_178,08] Solche Kinder von ein bis zwölf Jahren werden in die bewußteBefruchtungsanstalt geschafft, dort eine Zeitlang gut genährt, besonders mitNährstoffen, die zur Vermehrung des Blutes taugen. Zeigt es sich, daß so einKind voll Blutes ist, so wird es der Kleider entblößt, in die Schlachtkammergeführt und dort den eigens bedungenen und bediensteten Schlächtern übergeben.Diese unterbinden den unglücklichen Kinderchen mit starken Bändernknapp am Leibe Hände und Füße, dann knebeln sie die also unterbundenenKinderchen an einen Pfahl, der in der Mitte einer Wanne angebracht ist, verbindendazu den Armen die Augen und schneiden dann den also himmelschreiendZubereiteten an Händen und Füßen die Adern auf. Während die Armen alsoverbluten und natürlich nach dem Verlaufe von wenigen Augenblicken zuLeichen werden, lassen es sich die ,Apostel Gottes‘ aus Jerusalem, der StadtGottes, so ganz mir und dir nichts wohl geschehen. Die entseelten Leichnameder also gemordeten Kinder werden dann in einem eigens dazu erbauten großenOfen verbrannt und ihr also gewonnenes Blut entweder frisch oder aber auch imbeschriebenen getrockneten Zustande für den bewußten Zweck verkauft. DieHölle muß dieses überhöllische Mittel gesegnet haben; denn die Weiber, diesolches Blut genießen, sollen im Ernste nun fruchtbar sein![<strong>GEJ</strong>.02_178,09] Für so etwas sollte denn der liebe Gott, so Er keine altejüdische Fabel ist, denn doch ein Gegenmittel finden; aber es rührte sich vonoben her bis zur Stunde noch nichts! Gott kann noch immer ganz geduldig undgemächlich solch namenlose Greuel ansehen, so wie Er vor etwa dreißig Jahrenin Bethlehem hatte zusehen können, wie durch ein allertyrannischestes MachtgebotKinder männlichen Geschlechts von ein bis zwölf Jahren bei fünftausend ander Zahl an einem Tage sind hingerichtet worden, und das auf die grausamsteArt von der Welt![<strong>GEJ</strong>.02_178,10] Gott ist höchst gut, weise und voll Barmherzigkeit, wie ich esgelernt habe aus der Schrift; aber so ich, als in alle die Greuel eingeweiht, dieSache so recht beim hellen Lichte betrachte, da kann ich mich des Gedankens— 395 —


wohl kaum erwehren, daß es entweder gar keinen Gott gibt, oder, gibt es einen,so kümmert Er Sich lange um die Menschen dieser Welt nicht! Kann mir aberdas jemand verargen? Sicher kein reeller und gleich mir menschenfreundlicherMensch, auch ein Gott nicht! Denn in meiner Brust schlägt noch ein Herz, dasder armen Menschheit mit aller Liebe zugetan ist![<strong>GEJ</strong>.02_178,11] So aber in Dir, Herr und Meister, irgend etwas Göttlichessteckt, so wirke Du denn doch auch in dieser Sphäre ein Wunder und zerstöreund vernichte solche höllischen Scheusale! Ich zweifle nicht im geringsten, daßDir solches gelingen sollte; denn was ich heute an Dir erlebte, ist mir mehr alseine allerhinreichendste Bürgschaft, daß Dir, so Du es nur willst, nichts unmöglichsein kann! Denn Du bist offenbar mehr denn alle Propheten zusammen!“179. — Der Jünger Aufregung über die Templergeschichte[<strong>GEJ</strong>.02_179,01] Sage Ich: „Freund! Das, was du Mir nun erzähltest, ist kaumein Schattenriß von dem, was Ich sehe und weiß; aber dir fehlt es an der tieferenKenntnis der göttlichen Ordnung, und so beschuldigst du sogar mit einigemRecht die dir scheinbare Saumseligkeit Gottes. Aber weil du ein beispiellosehrlich und rechtlich gutes Herz besitzest, so will Ich volle sechs Tage hindurchbei dir und den Deinen verharren und will dir in solcher Zeit eine genügendeAufhellung über alles geben, wo es bei dir nun noch finster ist. – Da es aber nungegen Mitternacht geworden ist, so laß uns auf die für uns bereiteten Lagerkommen!“[<strong>GEJ</strong>.02_179,02] Sagen die Jünger: „Herr, heute ist's uns schon einerlei, ob wirauf den Lagern wachen oder hier im angenehmen Freien; denn die Erzählungdes Freundes Markus hat uns so total den Schlaf benommen, daß wir nun umalles in der Welt nicht mehr einzuschlafen imstande wären! Wahrlich, jederTropfen Blutes in unsern Adern siedet nun vor Grimm und Wut gegen die allerreißendstenBestien von den bewußten Menschen, die aus dem Tempel hervorgehen!Wahrlich, bei so bewandten Umständen wäre es ja doch um vieletausend Male besser, so man nie geboren worden wäre! Herr, so laß denn nungleich Feuer vom Himmel über diese Bestien regnen! Denn das, was wir nungehört haben, übertrifft ja bei weitem alles, was Schlechtestes wir auch immervon dieser bestialischen Menschheit vernommen haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_179,03] Sage Ich: „Eben deswegen müsset ihr den doppelten Rauschein wenig ausschlafen! Morgen, wenn ihr nüchterner sein werdet und ruhigerenBlutes, werden wir leichter darüber zu urteilen imstande sein!“ – Auf dieseMeine Worte begaben sich denn alle ohne weitere Einsprache zur nötigen Ruhe.[<strong>GEJ</strong>.02_179,04] Der Morgen des nächsten Tages kam schnell, und Ich und dieJünger erhoben uns bald von unseren, nach Kräften gut bereiteten Lagern.[<strong>GEJ</strong>.02_179,05] Als wir ins Freie kamen, da sagte Simon Juda: „Herr, ich habezwar eine recht gute Weile geschlafen; aber die Erzählung unseres GastwirtesMarkus geht mir nicht aus meinem Gemüte. Nein, das ist unerhört! So etwas ist— 396 —


noch nie dagewesen! Wahrlich, manchmal kann ich selbst Deine Geduld undLangmut nicht fassen! Wenn ich bedenke, wie Du so manchmal mit uns, die wirdoch an Dir hängen wie die Haare an unserem Leibe, so ganz kurz gebundenbist, und ehe man sich's versehen hat, strafst Du unsereinen entweder mit einemWorte oder mit einem Blick, daß man es nachher nicht leicht wieder wagt, Dichum etwas laut zu fragen; aber solchen Greueln kannst Du ganz gemütlich etlicheJahrhunderte zusehen, und sie genieren Dich nicht! Wo unsereins rein aus derHaut springen könnte, da kannst Du ganz geduldig zusehen; wo aber unser Augeund Gemüt wenig oder nichts sieht oder findet, da bist Du wieder vollends daund tust, als ob das Heil der ganzen Schöpfung davon abhinge![<strong>GEJ</strong>.02_179,06] Siehe, Herr, das sind denn doch Dinge, die wir unmöglich zufassen imstande sind; und der Markus hat eben nicht ganz unrecht, wenn er alsodenkt von Gott, wie er sich gestern ganz treuherzig gut ausgedrückt hat. Es istwohl sicher und wahr, daß Du, o Herr, alle solche Märtyrer in der Ewigkeit fürdie minutenlangen Leiden, die ihnen auf dieser Erde zuteil wurden, mehr alshinreichend entschädigen kannst und auch wirst – aber bei all dem ist esdennoch eine ganz verzweifelt schrecklich bittere Sache, von den mutwilligargen Menschen dieser Erde oft übernatürlich schmerzlich gemartert zu werden!Und, Herr, einige qualvollste Augenblicke werden dem Gequälten auch zu einerkleinen Ewigkeit!“[<strong>GEJ</strong>.02_179,07] Sage Ich: „Ich habe es euch schon gestern – dir, sowie demMarkus – gesagt, daß Ich solches in der Zeit Meines Hierverweilens schon nähererörtern werde; wartet demnach, bis es an der Zeit sein wird, und es soll euchdann schon hinreichend helle werden! Gehet nun aber lieber hin und helfet demMarkus seinen Fischfang ans Ufer bringen; denn er ging heute schon frühe andie Arbeit, und Ich habe sie ihm gesegnet. Darum gehet hin und helfet ihm dievielen und guten Fische ans Land schaffen und in seine Fischbehälter setzen!“180. — Der gesegnete Fischzug. Vom Tempelmist[<strong>GEJ</strong>.02_180,01] Auf diese Worte eilten alle Jünger hin und halfen nach Kräftendem Markus und seinen Kindern. Die zwei Söhne waren zwar junge undkräftige Leute, aber die vier älteren Töchter waren zusammen nicht so stark wieeiner der zwei Söhne.[<strong>GEJ</strong>.02_180,02] Als mit der kräftigen Hilfe der Jünger die Fische alle untergebrachtwaren, kam Markus zu Mir, der Ich auf einer recht niedlichen und bequemenRasenbank saß, und sagte, noch ganz vom Schweiße triefend: „Herr undMeister! Du magst nun sagen, was Du nur immer willst, so behaupte ichdennoch fest, daß Du von meinem heutigen, nie erlebt herrlichen und reichstenFischfange ebensogut die Ursache bist, als Du gestern abend meine fünfzigSchläuche mit dem köstlichsten Weine angefüllt hast, wofür ich Dir denn auchvor allem meinen innigsten Dank abzustatten alsogleich hierhergeeilt bin. Undsomit danke ich Dir, o Herr und Meister, mit dem gerührtesten und dankerfülltestenHerzen für alle die übergroßen und wunderbarsten Wohltaten, die Du mir— 397 —


und den Meinen in so überschwenglich reichlichstem Maße hast angedeihenlassen![<strong>GEJ</strong>.02_180,03] Ich hatte heute das große Zugnetz ausgesetzt, das da eineLänge hat von einhundertfünfzig Ellen und eine rechte Tiefe von sieben Ellen,und siehe, alle Räume des Netzes waren voll von den herrlichsten und köstlichstenFischen! Und nun strotzen meine ziemlich großen zehn Behälter von denFischen, die wir heute mit dem einzigen und ersten Zuge ans Land gebrachthaben! Wenn es Dir genehm ist, so lasse ich sogleich einige Stücke als Morgenmahlzubereiten; mein Weib versteht solches aus der Kunst!“[<strong>GEJ</strong>.02_180,04] Sage Ich: „Tue das; denn Mich gelüstet es danach! Hernachkannst du aber auch mehrere Lägel voll in die Stadt Cäsarea Philippi durchdeine Kinder tragen lassen, und sie werden einen guten Erlös machen!“[<strong>GEJ</strong>.02_180,05] Markus machte eine tiefe Verbeugung, eilte darauf in dieKüche zu seinem Weibe und ordnete das Morgenmahl an, dessen Bereitung dasWeib und die sechs Töchter sogleich und alleremsigst vornahmen. Die zweiSöhne aber füllten zwei große Lägel voll der schönsten Fische und, da sie ihrMorgenbrot schon verzehrt hatten mit etwas Wein, fuhren sie damit in die kaumeine Stunde von da entlegene Stadt.[<strong>GEJ</strong>.02_180,06] Als sie ihr Fuhrwerk, das aus einem Karren, vor den zwei Eselgespannt waren, bestand, auf dem Marktplatze aufgestellt hatten, so waren auchschon eine Menge Käufer bei der Hand und kauften ihnen in wenigen Augenblickenalle die Fische ab um einen guten Preis; denn solch ausgezeichnete Fischekosteten schon damals pro Stück einen guten Groschen. Da die beiden beizweihundert Stück mitgenommen hatten, so lösten sie auch bei zweihundertGroschen, was für jene Zeit mehr war denn jetzt (zur Zeit Lorbers) zweihundertTaler. Nach ein paar Stunden kamen die beiden, reich mit Geld beladen, wiedermit den leeren Lägeln und dem Karren nach Hause und übergaben dem VaterMarkus das Geld, der darüber eine große Freude hatte und die beiden Söhne sehrbelobte.[<strong>GEJ</strong>.02_180,07] Die Söhne aber fragten den Vater, ob sie noch einmal in dieStadt fahren sollten, da viele, die noch kaufen wollten, nichts mehr bekamen.Der Vater gestattete ihnen solches, und sie füllten abermals die Lägel und fuhrendamit in die Stadt und verkauften die zweite Fuhre besser und schneller denn dieerste.[<strong>GEJ</strong>.02_180,08] Markus aber wußte sich vor lauter Dank nicht zu helfen; dennihm war nun auf einmal aus seiner vieljährigen Not geholfen.[<strong>GEJ</strong>.02_180,09] Während aber die beiden Söhne die erste Fuhre in die Stadtschafften, hatten wir bei zwanzig bestbereitete Fische zum Morgenmahleverzehrt, und am Brote und Weine hatte es dabei nicht gemangelt. Wir hattenuns dabei noch über manches besprochen, besonders aber blieben als Hauptgegenstandimmer die Diener des Tempels, und des Markus älteste Tochter, einMädchen von neunzehn Jahren, zeigte uns einen alten Topf, der mit dem— 398 —


Tempelmiste zur Hälfte angefüllt war, und fragte, ob dieser Mist wohl, nach denWorten der zudringlichen Verkäufer, die Felder und Gärten auf die beschriebene,unerhörte Weise befruchte.[<strong>GEJ</strong>.02_180,10] Da erhob sich ein Gelächter unter den Jüngern, denen dieseTempelprellerei nicht unbekannt war, und Thomas sagte: „O der Schändlichkeit!Das treiben die Gottesdiener schon bei fünfzig Jahren. Es haben sich wohl schonwürdige Hohepriester dagegen aufgelehnt, richteten aber wenig aus; denn dieserMist trägt nun dem Tempel jährlich wenigstens zweitausend gute Groschen. DieMenschen aber sind blind genug und glauben am Ende sogar, daß durch solchenUnrat ihre Felder, Äcker und Gärten gesegnet werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_180,11] Sagte darauf die älteste Tochter: „O lieber Freund, das ist nichtalso! Die meisten Menschen glauben kaum mehr denn ich an diesen Betrug;aber was kann man da tun? Kauft man den Verkäufern diesen Mist nicht ab, sokann man es darauf bald mit der ganzen Hölle zu tun bekommen. Zugleich sinddie Verkäufer dieses Unflates so zudringlich und grob und roh, daß man ihnenam Ende ganz gerne von ihrem Unflate etwas abkauft, um ihrer dadurch nurloszuwerden. Schüttet man dann den Mist vor ihren Augen ins Wasser, somachen sie sich daraus gar nichts mehr und gehen ihren Weg weiter; denn siewissen es ja, daß man ihnen nach einem Jahre den Tempelmist dennoch wirdwieder abzukaufen genötigt werden.“[<strong>GEJ</strong>.02_180,12] Sagt Petrus: „Ja, ja, Betrug, Lug und Trug allerart sind dieTugenden der Tempeldiener, die sich Gottesdiener nennen! MenschlicheGesichter tragen sie wohl, aber ihr Inneres ist aus der Hölle! Warum, o Herr, Duso etwas zulässest und duldest, das weißt wohl nur Du allein und sonst niemandin der ganzen Welt!“[<strong>GEJ</strong>.02_180,13] Ich aber sage zu allen: „Lassen wir nun das, es ist nahezuMittag! Der Tag ist schön und eben nicht zu warm; darum wollen wir ein wenigin der freien Gegend uns umsehen, ob es da nirgends ein Plätzchen gäbe, vondem aus man eine gute Aussicht in die Ferne haben könnte. Ein solches Plätzchenwollen wir uns dann zurichten, um die Tage unseres Hierverweilens mitallerlei Besprechungen zuzubringen.“[<strong>GEJ</strong>.02_180,14] Darauf sagt Markus: „Herr, gerade ein paar hundert Schritteüber meiner Wohnhütte, und eigentlich über der Grotte, an die meine Hütteangelehnt ist, befindet sich noch in meinem spärlichen Besitze ein solches Plätzchen,wie Du eines wünschest; die Kuppe des Hügels ist mit einem alten schattigenKastanienbaume geziert, um den ich eine geräumige Rasenbank gemachthabe. Von dieser Bank aus genießt man die schönste Aussicht über diese ganze,weitgedehnte Gegend. Man sieht Cäsarea Philippi ganz und übers Meer, soweitdas Auge reicht. Bei sehr heiteren Tagen sieht man leicht bis gen Genezarethund weiter bis Kis, und sogar Sibarah wollen einige schon gesehen haben; aberdazu sind meine Augen zu schwach, und ich kann diesen Ort nicht ausnehmen, –aber aufwärts bis nach Gadarena sehe ich leicht und andere Ortschaften in dieschwere Menge.“— 399 —


[<strong>GEJ</strong>.02_180,15] Sage Ich: „Nun denn, so wollen wir uns diesen Punkt wählenund unsere Zeit alldort so nützlich als tunlich zubringen. Führe uns dennhinauf!“[<strong>GEJ</strong>.02_180,16] Markus, der Hüttenmann, führte uns auf einem zwar sehrschmalen, aber sonst eben nicht unbequemen Pfade auf das Plätzchen, das imErnste nichts zu wünschen übrigließ; man sah gen Cäsarea Philippi, ebensoübersah man das ganze Galiläische Meer und eine Menge Ortschaften.181. — Markus und die pharisäischen Zehntjäger[<strong>GEJ</strong>.02_181,01] Zugleich aber bemerkten wir auch, wie etliche Pharisäer ausder Stadt Cäsarea Philippi gerade auf dem Wege zu der ärmlichen Wohnhüttedes Markus sich recht emsig bewegten. Sagte Matthäus, der junge Mautner(Zolleinnehmer) aus Sibarah, der schon einmal bei Kapernaum, als ein Krankergeheilt ward, den man durch das angerissene Hausdach und durch die Zimmerdeckeder Volksmenge wegen vor Mir herabließ, die Pharisäer mit seinemMunde sehr bedient hatte: „Diese Brut muß Kunde von Deinem Hiersein erhaltenhaben! Aber durch wen? Es müßten nur des Markus Söhne, die zweimal mitden Fischen zur Stadt gefahren sind, uns verraten haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,02] Sagt der alte Markus: „Das ist schon möglich; denn so bravsonst meine Söhne sind, so haben sie aber doch das Übel, daß sie gerneplaudern, wodurch sie schon so manches Unheil angezettelt haben. Ich werdeaber gleich hinabgehen und werde sie fragen.“[<strong>GEJ</strong>.02_181,03] Sage Ich: „Bleibe du deshalb nur ganz ruhig hier! Denn wederdeine Söhne noch irgend jemand anders aus der Gegend hat Mich verraten,sondern sie kamen zu dir rein der Fische wegen hierher; sie wollen einGeschenk von etwa hundert Fischen, von denen sie welche in der Stadt gesehen,aber nicht gekauft haben. Du weißt es ja, daß sie überall den Zehnt zu nehmenberechtigt sind, wo es irgendeine Ernte gibt; nun ist aber solch ein reicher Fischfangauch eine recht reiche Ernte, und sie meinen denn auch ein Recht zu haben,davon den Zehnt zu verlangen. Gehe darum hinab und gib hundert Fische, undsie werden dich beloben und werden die Fische nehmen und mit ihnen ganzruhig alsogleich wieder nach Hause ziehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,04] Sagt Markus: „Aber wie werden sie hundert Fische weiterschaffen?“[<strong>GEJ</strong>.02_181,05] Sage Ich: „Darum kümmere dich nicht, das wird schon ihreSorge sein! Sieh nur hin, da sie uns schon ziemlich nahegerückt sind, und duwirst in ihrer Mitte ein Lasttier einhertraben sehen; dessen Rücken ist schon mitallem zum Weiterbringen der Fische Nötigen versehen.“[<strong>GEJ</strong>.02_181,06] Markus sieht schärfer auf die kleine, sich seiner Behausungnahende Karawane und entdeckt nun gar leicht das, worauf Ich ihn aufmerksamgemacht habe, und sagt: „Herr, es ist schon also, wie Du gesagt hast! Aber nuneile ich schnell hinab, und es sollen die hundert Fische in der großen Wanne— 400 —


schon für sie bereitet dasein, was sie sicher ein wenig stutzig machen wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,07] Sage Ich: „Gehe und tue das! Aber wenn sie dich fragen, wiedu solches wissen konntest, da sei auf eine kluge Antwort bedacht; doch miteiner Lüge darfst du sie nicht abfertigen!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,08] Markus geht, läßt sogleich hundert Fische aus den Behälternherausheben und sie in die große Wanne tun. Als er kaum mit der Arbeit fertigwar, da kamen auch schon die etlichen jungen Pharisäer und fragten nach demFischer Markus. Markus meldete sich bald und sagte, da er sich noch bei derFischwanne befand: „Hier bin ich, und hier in der Wanne befindet sich, um dasihr wahrscheinlich gekommen seid! Es ist der für euch gewissenhaft bemesseneFischzehnt, bestehend aus hundert Stück der auserlesensten Fische, die inunserem Meere je gefangen wurden!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,09] Die Pharisäer sind ganz verblüfft über solch eine Anrede, undeiner von ihnen sagt: „Alter, bist du denn ein Prophet, daß du schon zum vorausweißt, warum wir aus der Stadt hierhergekommen sind?“[<strong>GEJ</strong>.02_181,10] Sagt Markus: „Dazu braucht man wahrlich kein Prophet zusein, sondern man braucht bloß fünf gute Sinne zu haben und ein bißchenVerstand dazu, und man bringt es leicht auf ein Haar heraus, warum ihr herausgekommenseid! Da, da nehmet die Fische und ziehet in Frieden wieder weiter!Ich habe heute noch viel zu tun, und der Mittag ist nicht ferne; wir haben heuteviel gearbeitet und müssen uns ein Mittagsmahl bereiten gehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,11] Sagt einer der Pharisäer: „Du solltest aber uns zu den hundertStücken noch dreißig hinzutun als Strafe; denn es war nicht fein, daß du uns, alsden Dienern Gottes, die beständig für dein Heil zu Gott dem Allmächtigenflehen, nicht gleich nach dem Fange die Erstlinge durch deine Kinder in dieStadt gesandt hast!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,12] Sagt Markus: „Da, da sind nicht dreißig, sondern vierzig Stücknoch hinzu! Und nun bitte ich um eure Zufriedenheit, und – daß ihr mich baldwieder verlasset!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,13] Sagen die Pharisäer: „Wir haben von Gott das Recht, zukommen, wann wir wollen, und also auch zu gehen! Lade die Fische in unseremitgebrachten Lägel, und wir wollen dann gleichwohl sogleich weiterziehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,14] Markus befiehlt sogleich seinen Kindern, den Willen derPharisäer zu erfüllen, und sie legen denn auch sogleich Hand ans Werk undfüllen die Lägel der Pharisäer mit den nun einhundertvierzig Fischen.[<strong>GEJ</strong>.02_181,15] Als die Arbeit beendet ist, sagt Markus: „Nun ist alles erfüllt,was ihr verlangt habt. Seid ihr zufrieden?“[<strong>GEJ</strong>.02_181,16] Sagt ein sehr keck aussehender junger Pharisäer: „Nein, undnoch hundert Male nein! Denn du redest mit uns als wie mit dir lästigenWeltleuten und vergissest, daß wir Diener des allmächtigen Gottes sind, die dichmit einem Hauche für ewig verderben können! Dein trotziges Benehmen gegen— 401 —


uns soll daher nicht nur mit einhundertvierzig Fischen, sondern mit derWegnahme aller deiner Habe geahndet werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,17] Hier wird es dem Markus zu bunt. Er läuft in die Hütte undkommt sogleich mit einer Pergamentrolle heraus zu den Pharisäern, auf der esmit großen Buchstaben geschrieben stand, daß er durch und durch ein Römer seiund als solcher von allen Rechten eines freien Bürgers Roms den vollenGebrauch machen könne, so er nur wolle.[<strong>GEJ</strong>.02_181,18] Fragt der kecke Pharisäer, nun etwas verblüfft, und sagt:„Nun, wie lange ist man denn schon ein Heide? Denn man war unseres gutenWissens noch vor kurzem ein Jude!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,19] Sagt Markus: „Markus war nie ein Jude, sondern ein geborenerRömer, der bei dreißig Jahren dem Mars gedient hat mit Schwert, Helm undSchild. Aber dieser Markus ward auf eine Probezeit von drei Jahren einunbeschnittener Jude; da er aber, abgesehen von der erhabeneren Gotteslehre derJuden, sich nur zu bald überzeugt hatte, was die Priester dieser erhabenerenGotteslehre für ehrlose, heimlich ihren Gott und ihre Lehre mit Füßen tretendeund die arme Menschheit bei jeder Gelegenheit hinters Licht führende, ärgsteund gewissenloseste Heuchler sind, die ihrem Gott wohl aufs Gesicht vor demblinden Volke dienen, ihre Herzen aber in aller Tiefe der Hölle begraben haltenund darum auch auf das gewissenloseste mit dem Blute der unschuldigstenKinder der Samaritaner einen allerschändlichsten Handel treiben, so bin ichwieder ein voller Römer geworden und werde als solcher auch sterben! Nehmtnun euren Raub und ziehet damit heim! Ich gebe ihn euch nur, weil ich vorkurzem ein unbeschnittener Jude war drei Jahre hindurch!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,20] Sagen die Pharisäer: „Aber Markus, wie ist das möglich, daßdu nun auf einmal ein gar so gescheiter Mensch geworden bist? Wir kennen dichja schon lange als einen Menschen von großer Geistesbeschränktheit! Duwußtest vor uns oft ja kaum, ob du ein Mann oder ein Weib seiest; wie bist dudenn nun auf einmal mit solchen Geistesfähigkeiten versehen worden?“[<strong>GEJ</strong>.02_181,21] Sagt Markus: „Das war eine sehr römisch pfiffige Maske, umals ein allerdümmster Kerl so ganz leicht hinter alle eure bösen Schliche, Streicheund Schändlichkeiten zu kommen! Ich stehe aber dennoch dafür, daß ichMoses und alle die Propheten besser denn ihr verstehe, – obschon ich in der Tatein Römer, aber im Herzen schon lange ein echter Jude bin!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,22] Sagen die Pharisäer: „Ohne die Beschneidung kann niemandein Jude sein und sich Gott nahen!“[<strong>GEJ</strong>.02_181,23] Sagt Markus: „Eure Art, sich Gott zu nahen, habe ich auch nieangestrebt, sondern allein im Herzen nach der Lehre des Propheten Jesaja, unddas genügt mir. Sollte ich aber darum von Gott verdammt werden, weil ich michnicht habe beschneiden lassen, so wird euch das wenig kümmern. Ich aberdenke: Gott ist weiser denn alle Menschen, und endlos weiser und besser undgerechter denn ihr, und sieht nur auf ein reines, beschnittenes Herz und nicht auf— 402 —


die Beschneidung der Vorhaut, die bloß einen irdischen Zweck haben mag,geistig aber im Grunde des Grundes eine Dummheit ist. Als Jude im Herzengebe ich euch aber dennoch den Zehnt; aber ich gebe ihn freiwillig, und ihr habtkeinen Funken Rechtes, einen von mir, als römischem Bürger, zu fordern. Gehetaber nun, sonst nehme ich die Fische zurück und lasse euch leer heimziehen! –Habt ihr mich wohl verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_181,24] Auf diese energische Rede unseres Markus sagen die Pharisäerkein Wort mehr und ziehen mit den Fischen heim.182. — Des Herrn Voraussage über Sein Sterben und Auferstehen[<strong>GEJ</strong>.02_182,01] Markus aber ordnet schnell ein Mittagsmahl an, begibt sichauf das bewußte Plätzchen zu uns hinauf und erzählt uns alles haarklein, wie ermit den Pharisäern verfahren sei.[<strong>GEJ</strong>.02_182,02] Ich belobe ihn darum und sage: „Markus, Ich sage dir, diesemVolke ward es gegeben von Anbeginn her, und die große Verheißung, die ihmgegeben ward, hat nun ihre vollste Erfüllung erreicht. Da aber dieses Volk alsoverstockt ist und nicht erkennen will die große Zeit seiner Heimsuchung,sondern sein Heil sucht im Pfuhle dieser Welt, die vergehen wird gleich einemTraumbilde, so wird es zugelassen werden, daß es voll mache das Maß seinerGreuel, daß es töte seinen Gott und Herrn![<strong>GEJ</strong>.02_182,03] Alsdann wird ihm genommen werden alle Gnade und allesLicht und alles Recht und wird euch Heiden gegeben werden; denn ihr habteinen guten Willen und habt als Blinde das erkannt, was die sehenden Judenverworfen haben.[<strong>GEJ</strong>.02_182,04] Darum kommt nun das Licht zu euch von oben und macht, daßihr werdet sehenden Herzens; aber des Lichtes Kinder werden hinausgestoßenwerden in die äußerste Finsternis. Unter fremden Völkern sollen sie die Brosamensuchen, und der Name ,Volk‘ wird ihnen genommen werden, und siewerden fürder kein Volk mehr sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_182,05] Sagt Markus: „Also könnte es denn doch dahin kommen, daßsie in ihrer großen Wut Dich irgend ergriffen und Dich töteten dem Leibe nach,gleichwie sie solches nahe allen ihren Propheten getan haben?“[<strong>GEJ</strong>.02_182,06] Sage Ich: „O ja, das werden sie wohl an Mir tun! Aber da wirdihre Rechnung zum Ende gelangen!“[<strong>GEJ</strong>.02_182,07] Sagt Markus: „Ja, ja, wie ich es gestern nacht gesagt habe:Diese Brut ist jedes erdenklichen Verbrechens fähig! Darum hüte Du Dichsolange als tunlich vor der sogenannten Stadt Gottes, denn diese wird Dichtöten, außer Du wendest alle Deine Vorsicht und göttliche Allmacht dagegen an;denn die Diener des Tempels kenne ich aus- und inwendig! Wer es wagt, ihreLehre, die schon lange eine Lehre des bösen Geistes ist, anzutasten, derbekommt einen Kampf mit der gesamten Hölle. Ihre Freundschaft ist Fluch, und— 403 —


ihr Fluch ist der Tod. Das Leben eines Menschen ist ihnen gleich dem Lebeneiner Mücke, deren kein Mensch achtet ihrer zu großen Geringfügigkeit wegen.“[<strong>GEJ</strong>.02_182,08] Sagen die Jünger: „Wie wir unsern Herrn und Meister kennen,so wird dennoch alle ihre noch so abgefeimte Bosheit an Seiner Weisheitzerschellen; denn Er, der dem Tode gebieten kann, Er, der die Toten wieder zumLeben erwecken kann, wird schwer zu töten sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_182,09] Sage Ich: „Ja, Er wird wohl gar nicht zu töten sein inEwigkeit, und doch wird Er getötet werden zu einem Zeugnisse wider sie, aufdaß ihr ihnen gegebenes Maß voll werde! Haben sie sich an den Heiligen Gottesvergriffen, so werden sie sich auch an Mir vergreifen und werden dadurch zuSchöpfern ihres höchst eigenen Gerichtes werden! Wer aber selbst etwas alsowill, dem geschieht kein Unrecht, so er verworfen wird! Haben sie aber denvielen Boten das getan, was da war ein unaussprechlicher Greuel, so werden sieauch Dessen nicht schonen, der die Boten vor Sich herkommen ließ.[<strong>GEJ</strong>.02_182,10] Aber der für sie höchst fatale Umstand wird darin bestehen,daß der Getötete nach kaum drei Tagen als ein mächtigster Überwinder desTodes und aller Seiner Feinde zum ewigen Troste Seiner Freunde und Brüderunversehrt, vollkräftig und durch und durch vom Leben durchglüht aus demGrabe hervorgehen wird! Dann werden sie unter großer Furcht und verzweiflungsvollemZagen Rat halten, wie sie den vom Tode Erstandenen wieder tötenkönnten; aber sie werden dazu keinen Rat mehr zu fassen imstande sein, und ihrFall wird bald darauf erfolgen.[<strong>GEJ</strong>.02_182,11] Also wird es geschehen, und die Weissagung von Mir wirddarin ihre vollste Erfüllung finden.[<strong>GEJ</strong>.02_182,12] Zwar werdet ihr traurig sein und große Angst empfinden umMeinetwegen; aber eure Traurigkeit, Furcht und Angst wird bald in großeFreude verwandelt werden, so ihr den Getöteten wieder mit aller Macht überalles Leben und über allen Tod unter euch wie jetzt erschauen werdet!“[<strong>GEJ</strong>.02_182,13] Sagt Markus: „Wenn also, dann ist es wahrlich nicht zuschwer, sich gewisserart nur pro forma töten zu lassen! Unter solchen Umständenkannst Du dann schon nach Jerusalem wandeln, wenn Du willst; denn Dirkann nichts geschehen! So Du ein Herr über Leben und Tod bist, wer kann Dichdann töten? Und tötet er Dich, oder ist er des Wahnes, Dich getötet zu haben,und Du gehst nach der Tötung lebendiger zum Kampfe mit den Feinden hervor,als Du vor der Tötung warst, da möchte ich nicht stecken in der Haut DeinerFeinde; die wird dann verzehren das Feuer aller Angst und Furcht. Und all ihrRaten, Sinnen und Trachten wird zuschanden werden für zeitlich und ewig!Denn dadurch erst werden alle ihre allerschändlichsten Greueltaten ans hellsteTageslicht vor aller Menschen Augen treten, und ihr effektives Dasein hat seinvon der besseren Menschheit lange ersehntes Ende erreicht für ewig. O Herr undMeister! Führe das nur recht bald und ganz sicher und gewiß aus! Ich bin zwarschon alt geworden und werde die Erde nicht so lange mehr mit meinen Fußtrittenbelästigen, als ich sie schon belästiget habe; aber das möchte ich denn doch— 404 —


noch erleben, und mein Tod soll dann ein leichter sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_182,14] Sage Ich: „Die Sache ist zwar noch nicht völlig bestimmt, daßes also geschehen müsse; aber eher ja denn nein! – Aber nun ist es schon starküber des Tages Mitte hinaus mit der Zeit, und unsere Leiber begehren auchirgendeine Stärkung; darum wollen wir uns wieder hinabbegeben und wolleneine Leibesstärkung zu uns nehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_182,15] Sagt Markus: „Ja, da hast Du wieder ganz vollkommen recht;das Mittagsmahl wird bereitet sein, und so gehen wir hinab! Nach dem Mahlekönnen wir dann ja, so es Dir, o Herr, eine Freude macht, wieder auf diesesPlätzchen uns begeben.“[<strong>GEJ</strong>.02_182,16] Sage Ich: „Für den Nachmittag werden wir etwas anderesunternehmen. Morgen wieder soll dies Plätzchen uns willkommen sein. Jetztgehen wir aber!“183. — Der Besuch des Cyrenius wird gemeldet[<strong>GEJ</strong>.02_183,01] Als wir nach wenigen Augenblicken unten ankamen, so warauch das Mittagsmahl bereitet, und wir setzten uns an den großen Tisch imFreien, der unter dem dichten Schatten einer Kastanie errichtet war. WohlzubereiteteFische, Brot, Wein und gute, frische Feigen wurden im rechten Maßeaufgetragen, so daß wir, in allem bei dreißig an der Zahl, zur Übergenüge zuzehren hatten. Sehr gemütlich ward das Mahl eingenommen, und Markus, dergesprächige, alte, biedere Kriegsmann, erzählte uns so manches aus den Erlebnissen,und das mit einer ihm angeborenen Redesalbung. Meine Jünger aberhatten dabei die Gelegenheit, die Welt so recht enthüllt vor sich zu sehen undsich davon so manches zum Besten der Menschheit herauszunehmen, die späterihrer Leitung anvertraut ward.[<strong>GEJ</strong>.02_183,02] Nach der über zwei Stunden andauernden Tischsitzung kamaus der Stadt ein Bote zu Markus und hinterbrachte ihm die Nachricht, daß deralte Oberstatthalter Cyrenius um die Mitte des Tages in Cäsarea Philippiangekommen sei; er möge sonach als ein dem Oberstatthalter wohlbekannterKrieger hinkommen und ihm seinen bekannt ärmlichen Zustand vortragen, undder Oberstatthalter werde für ihn nach Möglichkeit etwas tun.[<strong>GEJ</strong>.02_183,03] Sagt Markus zum Boten: „Sage du zu meinem alten Kriegsgefährten,daß ich mich ihm zu Füßen legen und ihm viele Male danken lasse fürseine gnädigste Erinnerung an meinen stark ärmlichen Zustand! Ich werde aberdiesmal von seiner Gnade keinen Gebrauch machen können, so ich darum in dieStadt gehen soll, weil ich Gäste habe, deren Oberster, Herr und Meister michwunderbarst aus aller meiner früheren Ärmlichkeit riß. Dieser Herr und Meisterversprach mir, sechs volle Tage hindurch bei mir zu verweilen, und so würde iches für eine große Sünde halten, Ihn auch nur einen Augenblick zu verlassen.Sollte mein alter Kriegsgefährte es aber nicht zu tief unter seiner hohen, kaiserlichenWürde halten, zu mir heraus einen Lustgang zu tun, so solle hier alles— 405 —


aufgeboten werden, ihn seiner so würdig als möglich zu empfangen!“[<strong>GEJ</strong>.02_183,04] Sagt der Bote: „Ganz gut, ich werde dem hohen Gebieterwortgetreu alles so wiedergeben, wie du es mir gesagt hast!“ – Mit demempfiehlt sich der Bote, besteigt sein Maultier und entfernt sich eiligst.[<strong>GEJ</strong>.02_183,05] Als der Bote aber über Stock und Stein war, sagte Markus:„Ich glaube es nicht, daß der hohe Statthalter mir solche meine Antwort übeldeuten wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_183,06] Sage Ich: „Sorge dich um etwas anderes! Ich sage es dir: Wieer es vernehmen wird, daß offenbar Ich hier Mich befinde, da wird er auch nichtzehn Augenblicke lang säumen, sich zu entschließen, hierherzukommen, und duwirst da erst die Gelegenheit bekommen, von der Herrlichkeit Gottes dir einenBegriff zu machen! Denn sei versichert, daß Mich Cyrenius kennt Mein Lebenlang!“[<strong>GEJ</strong>.02_183,07] Sagt Markus: „Das wird schon alles so sein; aber er ist ein zuhochgestellter Mann in der Welt und muß darum so manches vermeiden derdummen Menschen wegen, was er sonst sicher tun würde, und so zweifle ichdenn doch so hübsch stark, daß er mir die hohe Gnade des Besuchs erweisenkönnen wird.“[<strong>GEJ</strong>.02_183,08] Sage Ich: „Ehe du dreimal aufs bekannte Plätzchen hinaufundwieder zurückkommst, wird er dasein: Der Bote wird ihm kaum dieNachricht hinterbringen, und Cyrenius, der sein Mahl noch nicht eingenommenhaben wird, wird ohne alles Säumen alles liegen- und stehenlassen und wird mitseiner ganzen Begleitung hierhereilen, um Mich zu sehen und zu sprechen.[<strong>GEJ</strong>.02_183,09] Sage es aber deinem Weibe und deinen Töchtern, daß siesogleich noch ein Mahl für ihn und seine Leute richten sollen; denn da er in derStadt kein Mahl nehmen wird samt seinen Leuten, so wird ihm auch ein solchesMahl sehr erwünscht und willkommen sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_183,10] Markus ruft sogleich sein Weib und seine sechs Töchter ausder Hütte und sagt, daß sie für den ankommenden Oberstatthalter Cyrenius einMahl bereiten sollen, und zwar in Menge für ungefähr noch einmal dreißigPersonen![<strong>GEJ</strong>.02_183,11] Das Weib sieht den Markus ganz verblüfft an und weiß nicht,ob so etwas Ernst oder Scherz sei. Aber Markus schafft (weist) sie dennochgleich in die Küche, und das Weib macht sich an die gebotene Arbeit.[<strong>GEJ</strong>.02_183,12] Zugleich aber gebot Markus seinen beiden Söhnen, daß sieüber den Hügel hinausschauen sollten, und so sie irgendeine glänzende Scharaus der Stadt kommen sähen, so sollten sie ihn sogleich benachrichtigen. Diebeiden Söhne eilten alsbald über den Bug (Wegbiegung) hinaus bis zur Stelle,von der man recht gut bis Cäsarea Philippi sehen konnte, und entdeckten dieglänzende Schar schon am Ende der breiten Straße ihre Schritte in den schmalenFußsteig einlenken, auf dem man in einer kleinen Viertelstunde ganz leicht die— 406 —


Behausung unseres Markus erreicht.[<strong>GEJ</strong>.02_183,13] Als die beiden Söhne solches ersahen, eilten sie nahe atemloszurück und erzählten, was sie gesehen.[<strong>GEJ</strong>.02_183,14] Da fragte Mich Markus, sagend: „Herr und Meister, da werdenwir ihm denn doch entgegengehen müssen in aller echt römischenGebeugtheit!?“[<strong>GEJ</strong>.02_183,15] Sage Ich: „O mitnichten! Den sein Heil zu Mir drängt, derkommt schon, ob wir ihm auch nicht entgegengehen! Cyrenius aber ist einStarker im Geiste und bedarf nicht, daß man ihm entgegengeht; nur wo einSchwacher an Seele und Leib den Weg zu uns eingeschlagen hat, dem müssenwir wohl entgegengehen, auf daß er nicht ermüde am halben Wege, da liegenbleibeund verderbe!“184. — Markus empfängt und begrüßt CyreniusGenezareth — Zu Schiff über die Bucht und dann zu Fuß nord wärts in RichtungTyrus — Rückkehr zum Galiläischen Meer — Berg am Ufer (Zweite Volksspeisung)Zu Schiff nach der Herberge bei Magdala — Zurück zum Berg am Ufer— Zu Fuß, nach der Hütte des Markus bei Cäsarea Philippi.[<strong>GEJ</strong>.02_184,01] Als wir solche Worte kaum zu Ende geredet hatten, so vernahmenwir schon vom Buge herab eine Menge Menschenstimmen. Es warCyrenius mit seinem ganzen Gefolge; und der von Mir in Nazareth in des Jairusneuer Gruft vom vollsten Tode erweckte Knabe Josoe ritt neben dem Cyreniusauf einem kleinen Saumrosse, mit schönen römischen Kleidern angetan.[<strong>GEJ</strong>.02_184,02] Als Cyrenius auf den ziemlich geräumigen Platz vor der Hüttekam, fragte er die beiden Söhne, ob dies die Behausung des alten KriegersMarkus wäre.[<strong>GEJ</strong>.02_184,03] Und die Söhne sagten in tiefster Verbeugung: „Ja, mächtigerHerr und Gebieter!“[<strong>GEJ</strong>.02_184,04] Bei dieser Gelegenheit tritt auch schon Markus in der echtrömischen Gebeugtheit vor den Cyrenius hin und sagt: „Hoher Herr und Gebieter,nichts in der Welt hätte mich abhalten können, deinem allergnädigsten Rufeauf der Stelle des Augenblicks Folge zu leisten! Aber ich beherberge einen Gastnebst mehreren Seiner Jünger und Begleiter, der unfehlbar ein Gott sein muß,weil Er Dinge bloß durch Seinen Willen bewirkt, die noch nie ein Sterblicherauf dieser Erde gewirkt hat. Und siehe, diesen Gast aus den Himmeln konnte ichunmöglich verlassen, zumal Er mich mit Wohltaten überhäuft hat und meineHütte nun keine ärmliche, sondern eine sehr reiche ist; denn ich besitze nun beifünfzig Schläuche des allerbesten Weines und meine fünf großen Fischbehältervoll von den alleredelsten und besten Fischen! Ebenso strotzt meine Speisekammervon allerlei der besten Speisen, und Salz und Holz habe ich auch für meinLeben lang zur Übergenüge! Was sollte ich alter Mann nun noch mehreres— 407 —


suchen und verlangen wollen? Aber nicht nur ich, sondern auch meine achtKinder sind bestens versorgt; denn ich habe heute schon bei vierhundertGroschen eingenommen, was bei mir schon sehr viel Geld haben heißt, und ichwerde dabei sicher noch mehrere Hunderte von guten Groschen aus derselbenQuelle lösen, wie ich die vierhundert heute ganz ehrlich und redlich gelösthabe.“[<strong>GEJ</strong>.02_184,05] Sagt Cyrenius: „Das ist schon alles ganz gut, und es freut michsicher mehr denn dich, daß ich dich, als einen meiner ältesten Kriegsgefährten,so ganz glücklich treffe; aber nun führe mich zu deinem Wundergaste hin!Dessentwegen bin ich vorzüglich zu dir aus der Stadt gekommen; denn nach desBoten Aussage vermute ich, daß dein Wundergast der göttliche Jesus ausNazareth ist, dem ich ewig nie genug werde zu danken imstande sein für dieendlos großen Wohltaten, die Er mir geistig und leiblich erwiesen hat. Führemich darum nur gleich zu Ihm hin!“[<strong>GEJ</strong>.02_184,06] Cyrenius hatte Mich darum nicht gleich entdeckt, weil Ich mitden Jüngern noch beim Tische saß, der unter der dichten Beschattung einesgroßen Kastanienbaumes stand, dessen dicht und dick belaubte Äste stellenweisebis zur Erde hinabhingen. Markus führte den Cyrenius samt dem KnabenJosoe sogleich unter den Kastanienbaum zu Mir.[<strong>GEJ</strong>.02_184,07] Als Cyrenius Meiner ansichtig ward, kamen ihm gleich dieTränen in die Augen vor Freude, Mich wiederzusehen, und er sprach: „Ja, ja, Dubist es, wie ich mir's gedacht habe! Oh, wie endlos glücklich und selig bin ichnun abermals, daß mir die unbeschreibliche Gnade der Himmel zuteil ward,Dich, der Du allein mein alles bist, nach vielen verstrichenen Tagen wiedereinmal zu sehen, zu sprechen und durch den Hauch Deines Mundes neu gesegnetund für ewig belebt zu werden! O Herr, Du mein über alles treu undwahrhaft geliebtester Jesus, Du ewiger Herr der ganzen Welt und aller Himmel!Ein wie großer Schuldner bin ich Dir doch, und zwar fürs erste für jede Lebensminuteund fürs zweite für die übergroße Wohltat, die durch Deine nie ergründbareWeisheit in Kis mir zuteil ward, daß ich zu den geraubten Steuergeldernwieder gelangt bin! O Herr, wie oft an einem jeglichen Tage denke ich dochdaran, aus welch einer schrecklichen Verlegenheit Du mich durch DeineWeisheit in Kis errettet hast! Und wenn ich so bei mir daran denke, da kommenmir stets des Dankgefühls Tränen in die Augen, und ich muß Dich dann weinendanbeten!“[<strong>GEJ</strong>.02_184,08] Sage Ich: „Freund und Bruder, komm und setze dich an MeineRechte, und dein Gefolge soll sich auch setzen zum andern Tische dort unterdem Feigenbaume! Es wird sogleich das Mittagsmahl aufgetragen werden, dasIch für dich und dein Gefolge schon zum voraus bestellt habe; denn Ich weiß es,daß ihr heute noch wenig zu eurer Stärkung zu euch genommen habt. – Wasmacht aber Mein Josoe, und wie verträgt er sich mit seinem zeitweilig zu ihmkommenden Engel?“— 408 —


185. — Die Lehrmethode des Engels[<strong>GEJ</strong>.02_185,01] Hier tritt der schon viel stärker aussehende Knabe Josoe zuMir hin und spricht: „Herr und Leben alles Lebens, ich bin völlig gesund, undmir schmeckt das Essen und Trinken noch gleichweg sehr wohl; aber mit demEngel, der aus Sichar mich alle drei Tage auf einige Augenblicke lang besucht,bin ich eben nicht sehr zufrieden, weil er bei allem, was ich ihm sage, stetsetwas einzuwenden hat! Ich lasse mich gewiß recht gerne belehren über alles,was nur immer gut, wahr und nützlich ist; aber so mir jemand heute sagt: ,EineBirne und dann noch eine Birne hinzu, macht zwei Birnen!‘, und läßt mir esdann bei der nächsten Gelegenheit nicht gelten, so ich ihn mit seinen Wortenschlagen will, wenn er das nächste Mal Mir aufbinden will, daß eine Birne undnoch eine Birne auch drei, vier, fünf, ja am Ende gar eine unendliche AnzahlBirnen wären und überhaupt eins und eins nicht nur zwei, sondern geistig jededenkbare Zahl darstellen könnten, – dann werde ich stets etwas ärgerlich undzerhadere mich nahe allzeit mit meinem geistigen Lehrer und Erzieher! Dennbei ihm gilt beim nächsten Besuche das nie mehr als eine allein dastehendefesteste Wahrheit, was er mir beim vorhergehenden als eine feste Wahrheitdargestellt hatte. Kurz, er kommt manchmal mit Dingen, gegen deren Annahmesich gleich jedes Haar sträubt! Daher möchte ich Dich, o Herr über alle Himmelund Welten, wohl bitten, dem Geistlehrer aus Sichar zu sagen, daß er mit mirvernünftiger verfahren solle – oder aber mich in der Zukunft verschone mitseinen Besuchen!“[<strong>GEJ</strong>.02_185,02] Sage Ich: „Ah, Mein lieber Josoe, ertrage du ihn nur! Er führtdich in die rechte Weisheit der Himmel ein; denn die Rechnungen der Geistersehen ganz anders aus als die dieser Welt! Wollte Ich nach der Weise derHimmel mit dir reden, so würdest du wohl nichts verstehen; aber Ich rede, alsnun Selbst Mensch mit Fleisch und Blut, nur menschlich nach der Weise dieserErde mit den Menschen von den Dingen des Geistes, und siehe, die Menschenärgern sich über Mich, weil sie Mich nicht verstehen – und viele auch nichtverstehen wollen! Dein dann- und wanniger Geistlehrer lehrt dich schon recht;aber du wirst seine Lehre auf dieser Erde erst in deinem Alter heller zu fassenanfangen; ganz fassen aber wirst du das erst dereinst drüben, wo sich keineTrübungen aus dem Fleische und Blute in deine reine Seele mengen werden: –Hast du Mich verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_185,03] Sagt Josoe: „O ja, Herr der Unendlichkeit, Dich verstehe ichleichter als meinen Geistlehrer! Aber wenn der mir sagt, daß im Grunde desGrundes der Zorn und die Liebe eines seien, dann kehrt sich bei mir wohl dasOberste zum Untersten und das Unterste zum Obersten; also auch, wenn er sagt,daß ebenso im Grunde des Grundes Himmel und Hölle eines seien! Dasbegreife, wer es will; für meinen Verstand ist das ein allergrößter Widerspruch!“[<strong>GEJ</strong>.02_185,04] Sage Ich: „Auch da hat der Engel wieder recht, und es ist also!Ich werde dir dafür ein kleines Beispiel geben, und du wirst die Sache sicher einwenig heller sehen. Und so höre Mich!— 409 —


[<strong>GEJ</strong>.02_185,05] Siehe an die Sonne! Wenn sie zur Winterszeit an manchenTagen so recht angenehm und mild warm scheint, wie sehr erquickt dich ihrLichtstrahl; aber wenn in den Sandwüsten Afrikas ihr glühendheißer Strahlsogar den weißen Sand zu schmelzen beginnt, und du würdest unter solchemLichtstrahle der Sonne zu wandeln haben, da würde dir solcher Strahl zur Hölle!– Verstehst du das?“[<strong>GEJ</strong>.02_185,06] Sagt Josoe: „O ja!“[<strong>GEJ</strong>.02_185,07] Rede Ich weiter: „Gut, höre aber weiter! Die Nacht ist aufeinen heißen Tag gewiß eine große Freundin und Wohltäterin der müdenMenschheit; lassen wir aber die Wohltäterin etwa nur dreißig Tage lang währen,und alle Menschen werden sie zu verwünschen und zu verfluchen anfangen!Denn es würde eine so lange andauernde Nacht die Erde in eine solche alleserstarren machende Kälte versetzen, daß am Ende in ihr kein organisches Lebenmehr bestehen könnte! Siehe, da würde die große Wohltäterin der Menschen jaschon wieder zur barsten Hölle![<strong>GEJ</strong>.02_185,08] So du an einem heißen Tage eine Wanderung machst, und derDurst fängt an, dich zu quälen, und du kommst dann zu einer reinen und reichenWasserquelle, wie himmlisch erquickt dich ein Labetrunk aus der reinen Quelle!Aber tiefer unten im Tale sammelt sich dasselbe Wasser in einem weiten undtiefen Becken zu einem See. Wenn du dort hineinfällst, so findest du darin denunvermeidlichen Tod! Da siehe wiederum: Dasselbe Wasser, das dich auf derhochliegenden Bergstraße so himmlisch erquickt hatte, wird dich unten im tiefenSee töten und dir somit zur zeitweiligen Hölle werden:[<strong>GEJ</strong>.02_185,09] Also trinkst du auch gerne einen kleinen Becher guten Weines;trinke aber auf einmal einen ganzen vollen Schlauch aus, und der Wein wirddich töten und wird dir alsonach abermals zur Hölle werden:[<strong>GEJ</strong>.02_185,10] Du gehst gern auf einen hohen Berg, und die Aussicht in dieweiten Fernen erquickt dein Herz. Aber laß einen Berg auf dich fallen, so wirder dich töten und wird dir also wieder zur Hölle werden![<strong>GEJ</strong>.02_185,11] Der Wind, so er an einem heißen Tage sanft kühlend überdeine Stirne streicht, wie sehr erquickt er dein ganzes Gemüt! Lassen wir ihnaber zu einem Sturme werden, der die Bäume zu entwurzeln beginnt, wird erdich dann auch noch erquicken? Sicher nicht! Denn da wirst du die Fluchtergreifen und wirst suchen eine Stelle, in die der Sturm nicht dringen kann. Undso wird derselbe Wind, der dich vorher erquickte, in seiner vollen Kraft dirabermals zur Hölle![<strong>GEJ</strong>.02_185,12] Darum ist einem jeden Menschen in allen Dingen ein gewissesMaß gegeben, nach seiner Kraft, Wesenheit und Beschaffenheit. Wenn er darinverbleibt, so ist er in der rechten Ordnung, in die ihn Gott gesetzt hat, und alles,was ihn umgibt, ist für ihn ,Himmel‘; wenn er aber in was immer diese Ordnungüberschreitet und eine Welt auf seine schwachen Schultern legt, so wird dieseihn zermalmen und ihm zur ,Hölle‘ werden!— 410 —


[<strong>GEJ</strong>.02_185,13] Und so ist ein rechtes Maß in allen Dingen den Menschen wieden Geistern ein ,Himmel‘; das Übermaß in denselben Dingen aber ist demnachden Menschen wie den Geistern eine barste ,Hölle‘! – Verstehst du solchesnun?“[<strong>GEJ</strong>.02_185,14] Sagt Josoe: „Ja, jetzt verstehe ich's freilich wohl und habedarob eine große Freude! – Warum aber erläutert mir der Geistlehrer seineLehrsätze nicht also, daß ich sie verstünde wie nun?!“[<strong>GEJ</strong>.02_185,15] Sage Ich: „Auch das hat wieder seinen weisen Grund! Würdedir dein Geistlehrer alles so sonnenklar machen, so würdest du nie zum Selbstdenkenund endlich zum Selbstbestimmen kommen; so aber nötigt er dich zumDenken und Selbstbestimmen, und siehe, das ist dann schon die rechte himmlischeArt und Weise, zu lehren! Wenn es nötig sein wird und du zur rechtenReife gelangt sein wirst, dann wird dir der Geistlehrer schon auch für jede Lehredie sonnenhellsten Bilder hinzufügen; aber vorerst mußt du selbst recht tätigenGeistes werden, sonst könntest du unmöglich tiefere Wahrheiten der Weisheitder Himmel fassen! – Bist du nun vollends im klaren?“[<strong>GEJ</strong>.02_185,16] Spricht Josoe: „Ja Herr, jetzt erst begreife ich ganz, wie ichmit meinem Geistlehrer aus Sichar daran bin; und mir kommt nun auch einegroße Liebe zu ihm!“[<strong>GEJ</strong>.02_185,17] Sage Ich: „Und diese Liebe wird dir die Beispiele schaffen! –Jetzt aber kommt etwas für den Leib; das Weib, die Söhne und die Töchter desMarkus kommen schon mit einer vollen Ladung von Speisen und Getränken!Esset nun nach Bedarf, und stärket euch, auf daß es euch weder hungere nochdürste; denn in Meiner Nähe soll nie jemand hungern und dürsten, sondern einjeder vollends gesättigt werden, leiblich und geistig!“[<strong>GEJ</strong>.02_185,18] Cyrenius und der Knabe Josoe sind beide schon recht hungrigund durstig und greifen darum recht wacker zu; auch die Gefolgsleute lassensich nicht bitten, sondern folgen ganz wacker dem Beispiele des Cyrenius.186. — Des Cyrenius Geschenk an Markus[<strong>GEJ</strong>.02_186,01] Als das Mahl nahe ganz aufgezehrt ist, ruft Cyrenius denMarkus und dessen Weib, dankt ersterem für das gute Mahl und dessen sichnoch immer gleichgebliebene Gastfreundschaft, das Weib aber belobt er seinerbesten Kochkunde halber; denn so wohlschmeckend zubereitete Speisen habe ernoch nie gegessen, namentlich aber die Fische, deren üppiger Wohlgeschmackalles andere bei weitem übertraf.[<strong>GEJ</strong>.02_186,02] Nach dieser Lobeserteilung aber sagt Cyrenius zum Markus:„Du, mein alter Kriegsgefährte, aber gehe hin dort zum weißen Maultiere! Aufseinem Rücken trägt es etwas für dich und deine Familie. Du hast entbehrt langegenug und hattest zu kämpfen gegen allerlei Not und Drangsal; solchem deinemeben nicht zu beneidenden Zustande soll denn nun auf einmal abgeholfenwerden! Du wirst in den beiden Säcken so viel Gold und Silber finden, daß du— 411 —


dir gar leicht ein besseres Wohnhaus erbauen und zu dem neuen bessern Hauseeinen Acker und Wiesengrund kaufen können wirst, auf daß du so vom Ackerbaueganz gut wirst leben können samt deiner Familie! Was die Säcke nochdarüber enthalten dürften, das behalte als einen guten Notpfennig; denn solangewir auf dieser Erde nach dem Willen des Herrn zu leben haben, dürfen uns auchdie Mittel nicht völlig mangeln, um leben zu können![<strong>GEJ</strong>.02_186,03] Solange wir keine Götter sind, müssen wir arbeiten und imSchweiße des Angesichts uns unser Brot verdienen, – der eine auf diese und derandere auf eine andere Art; ein jeder aber hat zu tun genug und darf die Händenicht in den Schoß legen. Aber wer wie du schon einmal gearbeitet hat zurGenüge, der kann sich's dann in seinen alten Tagen schon ein wenig bequemergeschehen lassen. Gehe demnach hin und nimm die kleine Gabe in Empfang,und der Herr segne sie dir!“[<strong>GEJ</strong>.02_186,04] Unter Tränen dankte Markus dem Cyrenius – und nebenCyrenius aber auch gewisserart hauptsächlich Mir; denn er sagte: obschon dieGabe vom Cyrenius komme, so sei er aber dennoch mehr denn völlig überzeugt,daß Ich der Grund von allem sei; darum danke er Mir vor allem![<strong>GEJ</strong>.02_186,05] Ich aber sagte: „Nimm zwar, was man dir gibt, und gebrauchees; aber lege ja keinen Wert darauf! Denn wie gemessen da auch jede irdischeGabe ist, so ungemessen ist jedoch das irdische Leben der Menschen! Heute bistdu noch der Herr deiner Schätze, und morgen fordert man deine Seele von dir!Was kannst du dann geben, um zu retten deine Seele vor dem ewigen Tode?[<strong>GEJ</strong>.02_186,06] Darum suche ein jeder vor allem das Gottesreich, und allesandere wird ihm nach Bedarf hinzugegeben werden![<strong>GEJ</strong>.02_186,07] Was er aber empfängt, das empfängt er nicht, daß er es zusammenhäufe,sondern daß er es klug und weise benütze zum eigenen und deranderen Besten. Du wirst finden der wahrhaft Armen die Menge; deren Notsolle erquicken dein Herz, weil dir nun die Mittel geistig und leiblich gegebensind, solche Not zu lindern und fröhlich zu machen das traurige Herz des armenBruders![<strong>GEJ</strong>.02_186,08] Siehe, jedes fröhliche Herz, das du erquickt hast in MeinemNamen, wird dir dereinst zu einem neuen Himmel voll Seligkeiten ohne Maßund Zahl werden und wird dir schon auf dieser Erde eine Labung bereiten, diedir kein anderes Erdenglück geben kann, und wird in dir gebären den wahrenFrieden, – einen Frieden, den die Welt nicht kennt! Und so denn gehe hin undnimm alles in Empfang!“[<strong>GEJ</strong>.02_186,09] Und der Alte ging mit seinen zwei Söhnen, nahm die großenund stark gefüllten Säcke in Empfang und brachte sie in gute Verwahrung.Nachdem er wieder zum Vorschein kam, dankte er noch einmal für alles undfragte Mich, was etwa für den Nachmittag geschehen solle.[<strong>GEJ</strong>.02_186,10] Sage Ich: „Richte deine Schiffe her, und wir werden ein wenigauf dem See herumfahren, da der heutige Tag so schön und windstill ist! Du— 412 —


kannst heute auch noch einmal das große Netz ins Meer werfen und sollst einenzweiten gesegneten Zug und Fang machen!“[<strong>GEJ</strong>.02_186,11] Markus befiehlt darauf sogleich seinen Söhnen und den vierälteren Töchtern, daß sie die Fahrzeuge in gute Ordnung bringen sollen, sowieauch das große Netz, und auch nachsehen sollen, ob der eingezäunte großeFischbehälter noch gut erhalten ist; und habe er irgendein Loch, da solle essogleich nach Möglichkeit gut verstopft werden mit Gestrüpp und Steinen.[<strong>GEJ</strong>.02_186,12] Sagen die Söhne: „Vater, solches haben wir vor vier Tagenschon getan, und es dürfte darum wohl noch alles in der besten Ordnung sein, daseit der Zeit kein Sturm getobt hat; aber wir wollen dennoch nachsehen, damitwir auch für diesen Augenblick in der vollsten Gewißheit sein können.“ –Darauf entfernten sich die Söhne, besahen alles und kamen bald mit derNachricht zurück, daß da noch alles im besten und brauchbarsten Zustande sichbefinde.[<strong>GEJ</strong>.02_186,13] Sage Ich: „So gehen wir hinaus und besteigen die kleinenSchiffe, von denen jegliches dennoch ganz gut zwölf Personen gefahrlos tragenkann!“ – Darauf erhob sich alles und folgte Mir nach.187. — Die Gesellschaft auf dem Meere[<strong>GEJ</strong>.02_187,01] Als wir ans Ufer kamen, schoben die Söhne sogleich dasgrößte und beste Schiff vor uns hin, das wir denn auch sogleich bestiegen unduns auf die dazu bereiteten Bänke niederließen. Die beiden Söhne aber ergriffendie Ruder und machten also unser Fahrzeug sich ziemlich schnell entfernen vomUfer. In Meinem Schiffe aber befanden sich nebst Mir Cyrenius, der KnabeJosoe, der alte Markus und Petrus, Johannes und Jakobus. Alle andern Jüngerfuhren auf den andern Schiffen uns nach, sowie das Hofgefolge des Cyrenius. Inunserem Schiffe aber war auch das große Fischernetz in guter Fischerordnungzusammengelegt.[<strong>GEJ</strong>.02_187,02] Als wir etwa bei fünf Feldweges weit vom Ufer uns entferntbefanden, fragte Markus, sagend: „Herr, sage es uns, wo wir das Netz auswerfensollen!“[<strong>GEJ</strong>.02_187,03] Sage Ich: „Dies werde Ich schon tun zur rechten Zeit; aberjetzt und hier noch nicht! Wir sind noch keine halbe Stunde auf dem Wasser undwollen darum nicht sogleich dessen Ruhe stören und dessen Geister wecken, dieuns am Ende sehr necken könnten, aber mehr gen Abend hin und näher demsichern Ufer werden wir dann schon das Netz auswerfen. Jetzt aber wollen wirnichts anderes tun, als ruhen mit der Ruhe des Meeres. Will aber von euchjemand etwas wissen, so steht es ihm frei, Mich zu fragen.“[<strong>GEJ</strong>.02_187,04] Sagt Cyrenius: „Was mir im Hause des Markus besondersauffällt, ist, daß dessen vier ältere Töchter ebenso kräftig beim Rudern sind, alsdessen zwei, man kann sagen gigantisch starke Söhne! – Du, Markus, warsteinst wohl auch ein wenig ein Athlet; aber deine Söhne haben dich jedoch bei— 413 —


weitem überholt!“[<strong>GEJ</strong>.02_187,05] Sagt Markus: „Jawohl, aber heute kommt mir ihre Kraft selbstetwas außergewöhnlich vor; denn ihre Ruder spielen so kräftig und emsig, daßdarob das Schiff wie vom Winde genötigt über die Meeresfläche dahingleitet.Wahrlich, bei dieser Bewegung könnte man in einem halben Tage bis nach Kisoder gar bis gen Sibarah kommen, wo man doch sonst gut bei zwei Tage zu tunhätte! Bis nach Genezareth aber käme man also in ein paar Stunden und nachJesaira in vier.[<strong>GEJ</strong>.02_187,06] Wenn mich meine alten Augen nicht trügen, so entdecke ichauch nun schon den hohen Berg, der von hier aus zur Linken die Stadt Genezarethdeckt! Sieht zwar wohl sehr blau und somit ferne aus, – aber das tut nichts;der Geschwindigkeit dieser Bewegung weichet bald jede noch so blau aussehendeFerne! Aber nur die ausdauernde Kraft meiner beiden Söhne kann ichnicht genug bewundern! Da bist Du, o Herr, auch schon sicher mit Deinemallmächtigen heiligen Willen mit im Spiele!?“[<strong>GEJ</strong>.02_187,07] Sage Ich: „Ja, lieber Freund Markus, Ich muß mit MeinemWollen und Willen wohl gar endlos vielfach mit im Spiele sein überall, wo esnur immer irgendein Werden, Sein und Bestehen gibt, vom Größten bis zumKleinsten, ansonst der endlose Raum nur zu bald wesenleer wäre; und so magdenn ja nun auch Mein Wille mit deinen Söhnen gar wohl tätig sein.“[<strong>GEJ</strong>.02_187,08] Sagen darauf die auf diesem Schiffe anwesenden drei Jüngerunter sich: „Es ist mit unserem Herrn und Meister oft doch sonderbar! Dann undwann spricht Er ganz als der alleinige Herr Himmels und der Erde und handeltdann auch danach; dann und wann ist Er aber wieder ganz Mensch und läßt vonSeiner Göttlichkeit nichts merken! Es ist zwar alles unbegreiflich weise, was Erspricht und tut; aber daß Er Sich in jüngster Zeit sollte von Pharisäern zu Jerusalembis zum Tode mißhandeln lassen, bei all Seiner göttlichen Macht undWeisheit, das wäre denn doch etwas, das man durchaus nicht weise nennenkönnte! Denn was gewinnt am Ende die Menschheit von solch einer Mißhandlung?Sie wird am Ende irre und wird sagen: Da seht das Los des Gewaltigen,daß Er am Ende dennoch ein Opfer des noch Gewaltigeren wird! Er, der dieToten erweckt und Berge versetzt, sollte doch auch imstande sein, mit einemWorte das Tempelgesindel zunichte zu machen!?[<strong>GEJ</strong>.02_187,09] Zu Noahs Zeit mußte alle Menschheit untergehen bis auf Noahund dessen kleine Familie, und doch waren damals die Menschen bei weitemnicht so schlecht, wie sie im allgemeinen jetzt sind; und weil nun aber dieMenschen im allgemeinen schon derart böse und arg sind, wie sie sicher nichtleicht noch böser und ärger sein könnten, so will Er Sich darum von ihnen nunSelbst dazu noch mißhandeln lassen, anstatt daß Er sie züchtige ärger denn zuSodoms und Noahs Zeiten! Kurz, manche Handlung von Seiner Gottseite istnoch um vieles unbegreiflicher als etwas, das noch nie ein Dasein hatte!“— 414 —


188. — Des Johannes Rede über den Unterschied der natürlichen undgeistigen Auffassung[<strong>GEJ</strong>.02_188,01] Sagt Johannes, der den redenden Simon Juda bloß ganzaufmerksam angehört hatte: „Mit bloß weltlichen Sinnen die Sache betrachtet,kann ich dir keinen Widerspruch tun; aber für die Sehe des Herzens hat all dasdenn doch ein ganz anderes Gesicht! Denn die göttliche Weisheit richtet sich janie und nimmer nach der selbst eines noch so weisen Menschen![<strong>GEJ</strong>.02_188,02] Weißt du denn, warum auf dem Erdboden gar so zahllos vieleGattungen von Pflanzen und Gesträuchen vorkommen, die gar keine Früchtetragen? Und so sie schon welche tragen, da sind diese für unsern Verstanddennoch zwecklos, und niemand weiß es, wofür sie etwa gut sind! Eben einegleiche Mannigfaltigkeit entdeckt man unter den Tieren. Von der kleinstenBlattmilbe bis zum die Meere beherrschenden Leviathan, sage, wozu sind siealle bis auf unsere wenigen Haustiere? Welchen Zweck können wohl die wilden,reißenden Bestien haben? Was nützen der Menschheit die Bären, Löwen, Tiger,Hyänen und noch eine Menge der uns noch unbekannten reißenden Bestien?Wer, guter Freund, kann dir den Grund von so höchst verschiedenen Gestaltungender Tiere geben? Wozu die vielen Sterne am Himmel? Warum leuchtet derMond nicht stets zur Nachtzeit? Wozu sein Lichtwechsel? Wozu ist er so ganzeigentlich da? Sieh, das alles und noch viel tausendfältiges anderes begreifen wirnicht, und es kommt unserem Verstande wie eine Torheit vor, wenn wir so rechtkritisch darüber nachdenken! Aber bei Gott dem Herrn hat alles das sicher einenhöchst weisen Grund, und so darf es uns denn nun, da uns die außerordentlicheGelegenheit gegeben ist, den Herrn persönlich vor uns wirken zu sehen, garnicht wundernehmen, so wir nicht alles fassen können, was Er tut und nochferner tun wird; denn für alles wird Er offenbar in und für Sich den allerweisestenGrund haben! – Bist du da nicht meiner Ansicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_188,03] Sagt Simon Juda: „Jawohl, jawohl, du hast ganz recht, undman kann dir füglichstermaßen wohl nichts dagegen einwenden! Aber das bleibtdenn doch auch ewig wahr, daß dem denkenden Menschen so manche AnordnungGottes gerade so vorkommt, als ob jemand im vollsten Ernste behauptenmöchte, daß zwei Fische und abermals zwei Fische zusammen sieben Fischeseien!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,04] Sage Ich: „Ja, ja Simon, also sieht es wohl aus; aber was demMenschenverstande als unmöglich erscheint, kann bei Gott noch gar wohlmöglich sein! Nimm das kleine Netzlein, das zu deinen Füßen liegt und wirf eshinaus ins Meer! (Simon tut dies.) – Nun hebe es wieder zurück und sage, wieviele Fische sich darin befinden!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,05] Sagt Simon: „Herr, genau vier Stück!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,06] Sage Ich: „Siehe nach und zähle; denn es sind deren sieben!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,07] Simon sieht nach und zählt und findet nun genau sieben Fischeim Netze. Darüber verwundert er sich hoch und sagt: „Ja, ja, bei Gott sind alle— 415 —


Dinge möglich!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,08] Und Ich sage zu ihm: „Darum schwätze künftighin nicht einunnützes Zeug; denn es ist besser zu schweigen, denn leeres und unnützes Zeugzu schwätzen! Verstehe solches, – sonst bist du um nichts besser denn einblinder Pharisäer!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,09] Sagt Simon Juda: „Herr, Du weißt es doch, wie sehr ich Dichliebe, und doch verweisest Du mir nun, so ich etwas sage aus mir, das Gesagtestets auf eine ziemlich bittere Weise, daß ich darob nun kaum mehr irgend nocheinen Mut habe, Dich je wieder laut um irgend etwas zu fragen! Ich nehme zwarvon Dir alles mit der größten Liebe und Geduld an; aber einer inneren kleinengeheimen Trauer kann ich mich nicht erwehren, weil gerade ich das leidige ZielDeiner Schärfe bin!“ – Hierauf wendet er sich gegen das Meer und beschautdasselbe mit einem etwas wehmütigen Blick.[<strong>GEJ</strong>.02_188,10] Johannes aber geht zu ihm hin und sagt: „Sieh, Bruder, dirgeschieht es jetzt nun etwas schwer ob der sanften Zurechtweisung von seitendes Herrn; aber sieh, des Herrn Liebe und Weisheit weiß es wohl überaus gut,warum sie solches an dir getan hat, und so du einen recht tiefen Blick in deinHerz tätest, da würdest du den Grund bald und leicht selbst finden!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,11] Sagt Simon: „Nun, was soll es denn sein? – Sage du es mir!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,12] Spricht Johannes: „Sieh, Bruder, was das Erkennen und denlebendigen, unerschütterlichsten Glauben betrifft, so bist du unter uns offenbarder Stärkste und nach dem Zeugnisse des Herrn ein wahrer Fels; aber dabei hastdu dennoch Stunden, in denen dich so eine leise Art von Selbstgefühlübermannt, und siehe, ein solches Selbstgefühl ist so ein wenig mit dem, wasman Hochmut nennt, ziemlich nahe verwandt! Und das wird es sein, was derHerr durch so manche dir zukommende Demütigung aus dir herausschaffenwill! Ich habe das schon bei manchen anderen Gelegenheiten wahrgenommenund hätte es dir schon lange gern gesagt aus wahrster und aufrichtigster Bruderliebe;aber es hat sich dazu nie eine so recht schickliche Gelegenheit geboten.Da sich nun eben eine solche Gelegenheit ergeben hat, so dachte ich daran undhabe es dir gesagt, wie ich es schon lange lebendigst in mir gefühlt habe. Duwirst es sicher in dem guten Liebesinne aufnehmen, in und aus welchem ich esdir gesagt habe, und wirst mir darob nicht gram sein!?“[<strong>GEJ</strong>.02_188,13] Sagt Simon Juda: „Ja, ja, du wirst auch darin ganz vollendsrecht haben; aber nur begreife ich es nicht, warum Er unsereinen auf so etwasnicht wenigstens einmal aufmerksam macht, indem Er doch sonst nicht wortkargist! Man würde sich dann ja um vieles leichter danach richten, was da nachSeinem rein göttlichen Sinne vollkommen Rechtem ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,14] Sagt Johannes: „Das könnte Er zwar tun; aber Er tut esdennoch nicht, und siehe, das muß schon auch wieder seinen guten Grundhaben![<strong>GEJ</strong>.02_188,15] Mir kommt es also vor, als ob Er es haben wollte, daß ein— 416 —


jeder Mensch sich zuerst vollkommen selbst finden müßte, bevor der Herr amEnde Seine alles Leben vollendende Hand an ihn legt und mit Seinem LichteWohnung nimmt in des Menschen Herzen.[<strong>GEJ</strong>.02_188,16] Aus diesem mir als vollwahr dünkenden Grunde sagt der Herrdenn auch niemandem direkt die Fehler des Lebens vor, sondern bloß indirektdurch gewisse Rüttler, durch die Er dann die Seele zwingt, sich selbst näher zubeschauen, ihre Fehler an Seinem Lichte zu erkennen, sie von sich zu bannenund sogestaltig dann völlig in die Ordnung des Herrn einzugehen. Das, Bruder,ist so meine unmaßgebliche Meinung, und ich bin nahe dafür, daß es also seinwerde. – Was bedünket es dich darüber?“[<strong>GEJ</strong>.02_188,17] Sagt Simon, etwas nachdenkend: „Ja, du dürftest auch darinvollends recht haben; denn unter uns allen erkennst du wahrlich am tiefsten undam schärfsten des Herrn Sinn! Dein Wort soll in der Folge für mich sehr maßgebendwerden!“[<strong>GEJ</strong>.02_188,18] Bei dieser Gelegenheit wendet sich Simon wieder nach Mirhin und macht eine dankbare Miene darob, daß Ich durch den Bruder Johannessolches habe offenbaren lassen seinem Herzen; Ich aber bedeute Simon, daß ernun, da die Söhne des Markus anfangen, das große Netz ins Meer zu breiten,diesen nach seiner guten Kenntnis in diesem Fache behilflich sei.[<strong>GEJ</strong>.02_188,19] Und Simon tut nun solches mit der größten Freude von derWelt; denn ein Liebeblick von Mir ist dem Simon mehr denn alle Schätze derWelt, und es sollte auch bei allen Menschen so sein, die wahrhaft Mir nachfolgenund dadurch das wahre ewige Leben erreichen wollen.189. — Ein Militärschiff naht. Der reiche Fischzug[<strong>GEJ</strong>.02_189,01] Während aber des Markus Söhne – ihnen Hilfe leistend Simonund noch etwelche in unserem Schiffe anwesenden Jünger – mit dem Auswerfendes großen Netzes beschäftigt waren, ruderte von der Gegend Genezareths eingroßes Fahrzeug gerade auf uns zu. Es kam näher und näher; und als es kaummehr einige Faden von uns entfernt war, so entdeckte ein Sohn des Markus, daßdies ein römisches Militärschiff sei, auf dem sich mehrere Soldaten befänden.[<strong>GEJ</strong>.02_189,02] Sagt Cyrenius: „Wäre meiner Weltstellung wegen doch einwenig unangenehm, so mich meine Soldaten hier in diesem vor der Welt füreinen Oberstatthalter doch etwas zu unansehnlichen Schiffe träfen! Wenn manihnen doch ein wenig ausweichen könnte!“[<strong>GEJ</strong>.02_189,03] Sage Ich: „Fürchte du, was zu fürchten ist; aber vor dembrauchst du dich wahrlich nimmer zu fürchten! Denn siehe, wenn die Sonnehoch am Himmel steht, so erscheint sie um vieles kleiner, als wenn sie nahe andem Horizonte schwebt, – auch mag auf ihrer Höhe niemand nach ihr sehen,weil sie allda jedes Auge beleidigt; wenn sie aber fein nieder steht, da blicktalles freudigsten Gemütes nach der entweder kommenden oder scheidendenMutter des Tages.— 417 —


[<strong>GEJ</strong>.02_189,04] Möchte dies Schifflein noch so herrlich geziert sein, so wird esdadurch zur Erhöhung deiner Würde nichts beitragen, – denn was du bist, dasbist du, ob du auf der Spitze des Ararat stehst oder auf einem Maulwurfshügel;aber die wahre Achtung, gepaart mit Liebe, wirst du nur dort am meisten zugenießen bekommen, wo die Menschen am leichtesten zu dir kommen können!Und Ich sage es dir noch obendrauf, daß dir eben diese Zusammenkunft vongroßem Nutzen sein wird, wovon du dich bald überzeugen wirst.“[<strong>GEJ</strong>.02_189,05] Cyrenius ist nun voll der gespanntesten Aufmerksamkeit überdiese Meine Worte, was da etwa das römische Soldatenschiff bringen werde. Daes aber eines widrigen Windes wegen etwas aufgehalten ist, völlig zu uns zustoßen, so meint Cyrenius, ob es nicht rätlich wäre, dem römischen Schiffenachzusteuern.[<strong>GEJ</strong>.02_189,06] Ich aber sage: „Mitnichten; denn wir werden mit selbem nochfrüh zur Genüge zusammenkommen, und es wird dir da an Gelegenheit nimmermangeln, alles mögliche, was dich angeht, zu erfahren nach allen Umständen.Für jetzt aber sehen wir nur ganz ruhig dem Fischfange zu!“[<strong>GEJ</strong>.02_189,07] Als Cyrenius solches vernahm, begnügte er sich und sah nunganz gemütlich zu, wie die Fischer das große Netz im Meere auszuspannenbegannen, das sich gar bald mit großen Fischen derart zu füllen begann, daßman genötigt war, ans Ufer zu steuern. Als wir etwa nach einer halben Stundedas Ufer erreichten, und zwar an der Stelle, allwo sich der im Meere eingefriedetegroße Fischteich befand, da ward von allen Seiten das große Netz an desTeiches Friedung gezogen, und es war eine solche Menge der größten undkostbarsten Fische im Netze, daß darauf alle Meine Jünger, Markus samt allenseinen Kindern und sogar die Dienerschaft des Cyrenius bei anderthalb Stundenzu tun hatten, um alle die gefangenen Fische aus dem Netze in den eingefriedetenSeeteich zu schaffen.[<strong>GEJ</strong>.02_189,08] Und als die Fische sich bereits im Teiche befanden, dawimmelte es darin vor der großen Menge der Fische; denn es waren deren übersiebentausend an der Zahl, und der Teich war voll, daß er keine tausend Stückmehr hätte fassen können. Darob war der alte Markus aber auch fröhlich, daß ersich vor lauter Fröhlichkeit kaum zu helfen wußte. In einem fort ging sein Mundvor lauter Danksagung über Danksagung über.[<strong>GEJ</strong>.02_189,09] Ich aber sagte zu ihm: „Freund, du bist nun sehr dankbar fürdiese von Mir dir erwiesene Wohltat; aber du wirst heute noch eine andere Gabeerhalten bei der Gelegenheit, wenn das Römerschiff hier landen wird! Die Gabeaber wird nicht bestehen weder in Fischen noch in Gold und Silber, sondern purin Meinen Worten, die dir den Weg zum ewigen Leben bahnen werden. Daraufachte du dann mit deinem ganzen Hause, und es wird in deiner Seele licht undhelle werden für diese Zeit und für die Ewigkeit! – Hast du Mich wohl verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_189,10] Spricht Markus: „Ja Herr! Mein Herz sagt es mir: Markus,alter, verrosteter Krieger, heute soll dein Leben vom alten Roste befreit werden!— 418 —


Eine Stimme der Himmel Jehovas wird dein Ohr vernehmen, und deine Seelewird fühlen die große Nähe deines Heiles für ewig! – Und so hoffe ich dennauch, heute noch Wunderbarstes zu erleben.“190. — Die neuen Gäste[<strong>GEJ</strong>.02_190,01] Die Söhne des Markus hatten noch kaum das Netz zum Trocknenan die zu dem Zwecke am Ufer befestigten Pfähle gehängt, so war das großeRömerschiff auch schon so nahe am Ufer, daß man mit den Schiffsleuten redenkonnte; und diese forderten die Söhne des Markus auf, mit etwelchen Nachen andas große Schiff zu kommen und die Reisenden ans Ufer zu bringen, weil diesesvermöge seines Tiefganges sich nimmer völlig dem Ufer nahen könne. DieSöhne taten das sogleich, und Meine Jünger staunten nicht wenig, als sie unterden vielen römischen Soldaten und anderen Bürgerpersonen auch den HauptmannJulius und am Ende gar den Ebahl mit der Jarah entdeckten.[<strong>GEJ</strong>.02_190,02] Aber zugleich trug das Schiff auch fünf eingefangene argeStraßenräuber, die an den Pässen zwischen Judäa und Samaria ihr Unwesentrieben und schon so manchen Mord verübt hatten. Diese waren als Rabbisgekleidet und sahen sonst recht freundlich aus; aber dennoch wohnte in einesjeglichen Herzen eine volle Legion der ärgsten Teufel, die diese fünf Räubernötigten, auf die unbarmherzigste Weise von der Welt die Wanderer auszuraubenund sie dann, um nicht verraten zu werden, ohne alle Schonung zu ermorden.Derlei Räuber wurden aber heimlich von den Pharisäern gebilligt, weildadurch die Zusammenkünfte zwischen den ketzerischen Samariten und denJuden auf gar vielen Stellen nahe gänzlich unmöglich gemacht wurden. Davonwußten aber auch die Römer und waren darum solchen Räubern um so feindlicher.Und es ging solchen Verbrechern dann schon allzeit erschrecklichschlecht; denn auf sie wurden stets die peinlichsten Todesstrafen angewendet.[<strong>GEJ</strong>.02_190,03] Neben den erwähnten fünf Haupträubern aber befanden sichnoch etliche politische Verbrecher, die heimlich, auch vom Tempel ausgehend,allenthalben Propaganda gegen die Römer anzettelten; der ganze Transport aberwar nach Sidon bestimmt.[<strong>GEJ</strong>.02_190,04] Ich aber verbarg Mich ein wenig, auf daß Mich Ebahl, dieJarah und der Julius nicht sogleich fanden, und gebot es auch den Hausleutenund dem Cyrenius, Mich nicht sobald zu verraten; denn es befanden sich aufdem Schiffe auch etwelche Pharisäer, die Meinetwegen von Jerusalem geheimabgesandt waren, obschon sie laut vor der Welt einen andern Grund im Mundeführten.[<strong>GEJ</strong>.02_190,05] Cyrenius empfing den Julius mit der größten Freundlichkeit,was den Hauptmann Julius höchst angenehm wundernahm; denn fürs erste hatteer das höchste asiatische Staatsoberhaupt hier nicht vermutet, und fürs zweitewar des Cyrenius Art gegen seine untergeordneten Diener stets eine sehr ernste,obschon im Vollmaße gerechte.— 419 —


[<strong>GEJ</strong>.02_190,06] Cyrenius besprach sich sogleich mit Julius wegen der Verbrecher,und ob Julius über sie schon irgendein Urteil gefällt habe. Denn mit einemschon gefällten Urteile sah es bei den Römern unerbittlich schlimm aus; eskonnte dasselbe nur allein vom Kaiser noch widerrufen werden. Aber Juliushatte eben noch kein Urteil gefällt und wollte solches erst in Sidon vomOberstatthalter Cyrenius selbst fällen lassen; er bat darum den Cyrenius auch,nach der Kundgabe der bösen Taten von den fünf Raubmördern und von denetwelchen politischen Verbrechern, daß er die Verbrecher nach Recht sogleichverurteilen möchte.[<strong>GEJ</strong>.02_190,07] Spricht Cyrenius zu Julius: „Du hast sehr wohl und weisegehandelt, daß du diese Bösen noch nicht verurteilt hast! Ich werde sie aber auchnicht sogleich verurteilen; denn es befindet sich nun noch ein Größerer undMächtigerer in unserer Nähe, und diesen werden wir hier in dieser Causa(Sache) urteilen lassen. Laß die Verbrecher darum gut bewachen, bis dieserMächtigste und Weiseste kommt!“[<strong>GEJ</strong>.02_190,08] Spricht Julius: „Höchster Gebieter über Asien! Befindet sichetwa gar der Kaiser auf asiatischem Boden?“[<strong>GEJ</strong>.02_190,09] Sagt Cyrenius: „Nein, liebster Julius, aber Einer, der vollwahrüber alle Reiche der Welt gebietet, und darum auch über den gekrönten Sohndes Augustus, meines Bruders! Es ist Zeus mit aller Seiner göttlichen Machtunter uns Sterbliche von den Himmeln gekommen; Seine Worte sind Werke,und Sein Wille ist eine vollbrachte Tat!“[<strong>GEJ</strong>.02_190,10] Cyrenius aber redete zu Julius darum also römisch von Mir, daer daran dachte, Mich nicht zu verraten, und auch nicht wußte, daß Julius Michauch schon kannte.[<strong>GEJ</strong>.02_190,11] Und Julius sagte darum: „Höchster Gebieter, wir leben nun ineiner Zeit der Wunder über Wunder, und die Götter müssen ein großes Wohlgefallenan den Sterblichen haben; denn auch ich hatte erst vor wenigen Tagen diesonderbarste Gelegenheit von der Welt, einen Menschen kennengelernt zuhaben, dem vom Zeus nichts abging als etliche tausend Blitze in seiner Hand!Ein Jahr wäre viel zu kurz, um dir das alles zu erzählen, was dieser offenbarsteZeus bei mir in Genezareth und zumeist im Hause des biederen Wirtes Ebahlgewirkt hat!“[<strong>GEJ</strong>.02_190,12] Cyrenius machte dabei ganz große Augen und war etwasverlegen, was er darüber nun dem Julius sagen, oder worüber er ihn weiterfragen sollte. Denn er gewahrte es augenblicklich aus der Erzählung, daß Ich eswar; aber er wollte den Julius nicht stören in seinem Glauben. Dasselbe war aberauch bei Julius der Fall; denn auch er hatte sich das sogleich gedacht, alsCyrenius den allmächtigen Zeus ihm beschrieb.[<strong>GEJ</strong>.02_190,13] Keiner hielt den andern für einen umgestalteten Römer, und sogeschah es, daß sich die beiden so lange foppten, bis Ich Selbst am Ende zumVorschein kam und dadurch die gegenseitigen Zweifel löste, – was Ich jedoch— 420 —


ei einer guten Stunde lang verschob.191. — Über die Lehrmethode der Engel und der Weltschulen[<strong>GEJ</strong>.02_191,01] Auch Ebahl und Jarah bekräftigten die Aussage des Julius undmachten nun eben dieses seltensten Wundermenschen wegen eine Reise nachSidon, um möglicherweise etwa doch noch einmal dort mit ihm zusammenzukommen,dieweil die Tochter eine zu große Sehnsucht nach ihm hätte. Cyreniusverwunderte sich zum Scheine sehr darüber, wie das junge, vielleicht noch kaumdreizehn bis vierzehn Frühlinge zählende Mägdlein schon so verliebt wäre,indem er (Cyrenius) zugleich bemerkte, daß da ohnehin ein gar überaus wunderlieberund schöner Junge stets an ihrer Seite wandle. Es sei das dann um sosonderbarer, wie das zartschönste Mägdlein neben einem gar so schönstenJünglinge in einen doch schon ältlichen Mann, wie eben der gewisse Mensch-Zeus einer sei, auch noch so sterbensverliebt werden könnte.[<strong>GEJ</strong>.02_191,02] Wer die Jarah aus den früheren Begebnissen in Genezarethkennt, dem dürfte es noch sehr bekannt sein, daß eben die Jarah nicht leichtlichjemand eine gute Antwort schuldig blieb, und so sagte sie denn auch zuCyrenius: „Hoher Herr und Gebieter! Wie magst du Den nun vor uns verleugnenund Ihn zählen unter die toten Götter Roms eines nichtigen politischen Grundeswegen, – und doch guckt Sein Gotteslicht und Seine Gnade allenthalben vielfachaus allen deinen Teilen mit einer großen Strahlenmasse hervor!?[<strong>GEJ</strong>.02_191,03] Sieh, ich fühle Seine Nähe, und du fühlst sie so gut wie ich, –und doch magst du Ihn gewisserart verleugnen; sieh, das ist nicht ganz löblichvon dir, so wie es auch von Julius nicht sehr löblich ist, daß auch er den Allerheiligstenund Allergerechtesten in einer gewissen Hinsicht vor dir, o hoherHerr, verleugnet![<strong>GEJ</strong>.02_191,04] Übrigens ist es aber auch mehr noch durchaus nicht löblichvon dir, daß du mich des gewisserart gemeinen Verliebtseins beschuldigst; dennich liebe Ihn ja nur, wie das wohl ein jeder Mensch tun sollte, als meinen Schöpfer,als meinen Gott und Herrn, und bete Ihn an in meinem Herzen so rein, wiees einem sterblichen Mädchen nur immer möglich ist. So aber das, – wie bin ichdenn hernach gemein verliebt in Ihn? Da frage diesen meinen Begleiter undLehrer, der wird es dir besser denn ich zu zergliedern imstande sein; denn erbesitzt mehr Kraft in allen Dingen als alle Weisen der Welt und alle Helden allerReiche der Erde, mit der alleinigen Ausnahme Dessen, den ich hier suche.Darum frage du nur diesen Jungen, und du wirst von ihm schon die völlig rechteAntwort erhalten!“[<strong>GEJ</strong>.02_191,05] Cyrenius wollte nun den Jüngling fragen, aber der KnabeJosoe hinderte ihn daran; denn er sagte zu Cyrenius heimlich: „Laß dich mitdem Jüngling ja nicht ein; denn das ist auch einer, wie es der ist, der dann undwann mich besucht! Denn diese Art Wesen können nichts Unreines vertragen,somit auch keine unziemende Frage; ihr Leben und ihr Sein ist ja nichts als— 421 —


Gottes Flammenlicht.“[<strong>GEJ</strong>.02_191,06] Spricht Cyrenius zu Ebahl: „Ist das deine Tochter doch, unddu bist ein Jude; darum ist es zum Erstaunen, daß in ihr so viel von der tiefstenWeisheit steckt! Das kann sie doch nicht binnen etlichen Tagen von demMeister der Meister und noch weniger von dem gewissen Jünglinge gelernthaben!? Denn diese Art Lehrer, obschon höchst selten auf dieser Erde, machenmit dem Unterrichte an uns sterblichen Menschen eben auch nicht zu übergroßeFortschritte! Solches weiß ich aus der Erfahrung bei meinem Sohne Josoe, denzwar ich nicht gezeugt, aber dennoch für alle Zeiten als Sohn angenommenhabe. Zu ihm kommt auch zuweilen so ein Rabbi. So sie aber eine Zeit miteinanderverkehren, da weiß man am Ende wahrhaftig nicht, wer da eigentlich rechthat; denn da haben bei oft sehr verschiedener Meinung am Ende nur zu oft beiderecht. Der ganze Unterricht ist eigentlich nichts als ein Weisheitskampf, auswelchem am Ende beide Parteien als Sieger hervorgehen.[<strong>GEJ</strong>.02_191,07] Mein Josoe ist oft so hitzig gegen seinen mystischen Meister,daß er ihn geraden Weges fortschafft; aber der Meister läßt sich dadurch nichtim geringsten irremachen, behauptet seinen oft mit Händen zu greifendenUnsinn und läßt erst gegen Ende etwas Licht durchschimmern. Und so bin ichder Meinung, daß solches auch der schöne Rabbi bei deiner Tochter tun wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_191,08] Sagt Ebahl: „Ja, ja, hoher Gebieter, es ist völlig also. Ich fürmich wenigstens kann daraus nie so recht ganz klug werden, wer da am Endevollends recht hat. Die Sache bleibt zumeist unentschieden. Von irgendeinempositiven Lehren ist da nie eine Rede. Der junge Geist sucht nur irgendeineVerwirrung in die Begriffe des Zöglings zu bringen, und dieser muß sie dannaus sich selbst ordnen, so gut es geht. Von irgendeinem Dareinhelfen ist daschon gar keine Rede, und es bleibt darum am Ende immer etwas Unentschiedenes.Will der Zögling seines Rabbi Einwürfe vollends zunichte machen, so mußder Zögling ihm aber schon mit so nagelfesten Gegeneinwürfen entgegenkommen,daß sich der Rabbi weder nach links noch nach rechts mehr wenden kann.Das ist dann ein Beweis, daß der Zögling vollends recht hat; aber ohne dieerwähnten nagelfesten Gegenbeweise hat der Zögling stets unrecht – und stellteer auch die gerechteste Behauptung auf! Oh, meine Jarah hat ihren Rabbi schonganz entsetzlich in der Schlinge gehabt; er hätte sich am Ende kaum mehr selbstzurechtgefunden, so ihn nicht das Mädchen wieder zurechtgebracht hätte, was erselbst eingestand.[<strong>GEJ</strong>.02_191,09] Wahrlich, die eigentlich himmlische Unterrichtsweise ist oftwirklich höchst sonderbar! Da unterrichtet gewöhnlich der Schüler den Lehrer,und der Lehrer begnügt sich immer sehr, so er von seinem Jünger irgend etwasgelernt hat. Aber die Sache geschieht dennoch stets auf eine wahrhaft himmlischfreundliche Weise, und ich wohne solcher Unterrichtsweise sehr gerne bei; dennman lernt daraus dennoch in einer Stunde mehr als von den Weltrabbis in einemJahre.[<strong>GEJ</strong>.02_191,10] Bei den Weltrabbis ist und bleibt der Zögling leiblich und— 422 —


geistig stets ein Sklave seines Rabbi; denn er kann nur das lernen, was sein oftleiblich und noch ärger geistig verkrüppelter Rabbi selbst kann und weiß. Ob'snun falsch oder wahr ist, um das darf sich der Zögling bei schwerer Strafe nichterkundigen! Was kümmert es so einen pausbackigen Weltrabbi, welche innerengeistigen Anlagen und Fähigkeiten sein Zögling besitzt?! Da heißt es allzeit:Vöglein, friß oder stirb! Kurz, die Unterrichtsweise dieser Zeit gleicht völligeinem Helme, der auf alle Köpfe paßt, und einem Bette, in dem alle Menscheneine bequeme Ruhe genießen sollen! Der Riese Goliath würde sicher einmerkwürdiges Gesicht dazu machen, so man ihm eine Wiege der Kinder zurRuhestätte anwiese![<strong>GEJ</strong>.02_191,11] Ich habe nicht selten Kinder gesehen, die schon in ihrer zartestenJugend einen wahren Riesengeist bekundeten. Was hätte aus ihnen werdenkönnen, wenn sie ihrer Fähigkeit gemäß wären erzogen und unterrichtet worden!Man lehrte sie aber gleich den Schwächlingen nur Körbe flechten und ließ ihrenGeist sogestaltig verkümmern! Und das halte ich für ein größtes Unrecht! Dennwas hätte so ein in seiner Art ausgebildeter Geist der Menschheit alles fürDienste leisten können! Und – was nützt er in seiner Verkümmertheit? Er flichtKörbe und fängt am Ende Fische und Muscheln![<strong>GEJ</strong>.02_191,12] Aber eben darin merke ich den ungeheuren Unterschiedzwischen dem Unterrichte der eitlen und zumeist dummen Weltrabbis und dernun wunderbarst unter uns seienden Himmelsrabbis. Diese erziehen den Geistfrei und helfen ihm gewisserart auf die Beine dadurch, daß sie ihn durch allerleiFragen wecken in der Art, von welcher eben ein Menschengeist ist; die Weltrabbisaber suchen den Geist nur zu unterdrücken und zu töten – und erziehen dafürden Kot für und um den Kot! – Sage, hoher Gebieter über ganz Asien, habe ichrecht oder nicht?!“[<strong>GEJ</strong>.02_191,13] Sagt Cyrenius: „Vollkommen, mein sehr schätzbarer WirtEbahl! Das war schon lange auch meine Ansicht; aber was hat sich da bis jetztdagegen tun lassen? Ich sage es offen: Nichts, gar nichts! Denn uns selbst fehlteder rechte Grund, und woher sollten den hernach die Weltrabbis erhalten haben?Diese armen Teufel müssen am Ende denn doch nur alle Kinder das lehren, wassie gewissermaßen zuvor selbst von uns gelernt haben, – und so sind sie notwendigblinde Leiter der Blinden![<strong>GEJ</strong>.02_191,14] Wir haben nun zwar von dem Einen kennengelernt die große,heilige Wahrheit und können nun gar wohl das Licht von der Finsternis unterscheiden;aber bis unser Licht allen Menschen dieser Erde zuteil wird, da wirdnoch so mancher Korb von irgendeinem Riesengeiste geflochten werden! Sagemir doch, was am Ende aus deinem gar so wunderlieben Töchterchen wird!? Sieist wahrlich ein Riesengeist und wird nun dazu noch von einem Himmelsrabbiunterwiesen. Sage, wozu wird es sich am Ende bequemen!? Zu einer Hausfrausicher kaum!“[<strong>GEJ</strong>.02_191,15] Sagt Ebahl: „Hoher Gebieter! Sehen wir unsere Mädchenschulenan! Wie sind sie vertreten? Wahrlich, hoher Gebieter, auf eine Art, daß es für— 423 —


die Menschheit eine barste Schande ist! Und ich meine darum: Eine guteMädchenschule wäre ja auch nur überaus zu wünschen; denn eine Mutter, einEtwas, das nur aus einem Mädchen werden kann, ist doch stets der Kinder ersteund vorzüglichste Lehrerin. Hat sie Geist, Herz und Kopf am rechten Flecke,wie man zu sagen pflegt, da werden auch ihre Kinder gewiß ihre Gebäude nichtauf dem Sande des Meeres erbauen und kaum irgend weiterhin in einen Irrtumgeleitet werden können. Wenn aber die Mütter, wie es bisher nur leider zuhäufig der Fall war, dümmer oft denn ein Regenwurm sind, ja da ist auch vondem Mutterunterrichte wahrlich sehr wenig oder gar nichts zu erwarten! – Sage,hoher Gebieter, ob ich auch da recht habe oder nicht!“192. — Über die Zehnt- und Tributrechte des Tempels[<strong>GEJ</strong>.02_192,01] Sagt Cyrenius: „Auch da hast du vollkommen recht, und icherkenne nun in dir einen höchst weisen Biedermann und muß dich zu irgendeinemVorsteher mit vielen Vollmachten ernennen!“[<strong>GEJ</strong>.02_192,02] Sagt Ebahl: „Wird schwer halten, da ich noch stets ein Judebin, dem es vom Tempel aus auf das strengste verboten ist, irgend Ämter undWürden von Rom aus anzunehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_192,03] Sagt Cyrenius: „Nun, was wird es wohl sein, so ich dich zueinem Bürger Roms mache? Und bist du das, so kannst du jede erdenklicherömische Amtswürde annehmen, und wir würden den Tempel ganz absonderlichzu züchtigen verstehen, so er sich dagegen stemmte! So du demnach willst,mache ich dich zu einem Bürger Roms!“[<strong>GEJ</strong>.02_192,04] Sagt Ebahl: „Hoher Gebieter, wahrlich nicht des Ansehens undder hohen Würde eines römischen Bürgers willen, sondern der puren Freiheitwegen, die jedem biederen Bürger Roms verliehen ist, nehme ich deinen Antragan! Ich werde im Herzen wohl für ewig ein echter Jude verbleiben, – denn mankann ja der lebendigsten Überzeugung, daß das echte, alte und wahre Judentumvollwahr aus den Himmeln zu den Menschen kam, und daß darin allein das Heilzu suchen und zu finden ist, in sich nicht entgegen sein; aber der Außenweltgegenüber will ich also ein Römer sein wie einer, der inmitten Roms von einertadellosen Römerin geboren worden ist.“[<strong>GEJ</strong>.02_192,05] Sagt Cyrenius: „Gut, sogleich sollst du aus meinen Händen aufPergament den zu allen Zeiten gültigen und mit allen Rechten eines Bürgers derStadt Rom belehnten Brief erhalten! Wenn du dann solchen Brief den Templernvorweisen wirst, so werden sie dich ganz sicher in der vollsten Ruhe lassen, unddu wirst dann der Menschheit mehr zu nützen imstande sein, als es bishergeschehen konnte; und darum: ich will es, und so geschehe es!“[<strong>GEJ</strong>.02_192,06] Hierauf winkte Cyrenius seinem Geheimschreiber, und dieserbrachte alsbald den Brief. Cyrenius schrieb seinen Namen darunter undüberreichte den Brief sogleich dem Ebahl.[<strong>GEJ</strong>.02_192,07] Ebahl, ganz gerührt von der Güte des Oberstatthalters, dankte— 424 —


dem Cyrenius aus vollstem Herzen und sprach am Ende seiner Dankrede:„Wahrlich, so eine Ehre habe ich hier in der Nähe der Stadt Cäsarea nie erhofft!Dieser Brief soll meinerseits aber auch von den besten Wirkungen für dieMenschheit begleitet werden, und das um so mehr, als mir auch im Briefe dasRecht und die kaiserliche Vollmacht zukommt, aus jedem biederen Juden einenrömischen Bürger zu machen, dem dann so wie mir selbst alle Rechte undVorteile eines römischen Bürgers zukommen. Wahrlich, unsere Gegend sollbald eine Menge römischer Bürger zählen, und die Abschiede der Pharisäer ausdiesen Gauen sollen sich mehren wie das Gras im Frühjahre! Oh, das wirdherrlich sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_192,08] Sagt der nebenstehende alte Markus: „Bruder, du hast zwarrecht, daß du dich darüber sehr freust; denn es ist eine große Sache, ein BürgerRoms zu sein! Ich bin es von Geburt aus; aber nichtsdestoweniger muß ich denTempelpfaffen dennoch gleich den Juden jährlich einen gewissen Tribut bezahlen.Von den Juden nehmen sie nur den Zehnt, von uns Römern aber nach einemgewissen, beim römischen Hofe erschlichenen Rechte den Tribut, – und manmuß sich mit ihnen abzufinden verstehen, wenn man aus dem harten Tribute inden alten Zehnt gelangen will. Nur diese Tributpflichtigkeit römischer Bürger anden Tempel sollte von Rom aus den Templern wieder ohne alles Bedenkengenommen werden; fürs erste ist die Tributsteuer zu hart, und fürs zweite machtsie den Tempel zu mächtig, – und beides ist schlecht.[<strong>GEJ</strong>.02_192,09] Bei dem gegenwärtigen Verbrechertransporte nach Sidonbefinden sich eben wieder etliche Aufwiegler, die ganz sicher vom Tempel ausfür ihr Werk besoldet worden sind. Es ist zwar wahr, daß die Tributpflichtigkeitnur in einigen Fürstentümern Kanaans als eine außerordentliche Last besteht undder Tempel nur dort sein Recht zu vertreten hat, wo es noch als von Romaufrechterhalten erscheint; aber die Templer begnügen sich damit nicht, machenÜbergriffe mittels falscher Urkunden, die sie als neue von Rom ausgehendvorweisen, und zwingen die römischen Bürger, sich zum wenigsten mit ihnenauf den Zehnt abzufinden. Ich habe noch heute morgen ihnen den Fischzehntentrichten müssen, ansonst sie mir sicher alle erdenklichen Anstände gemachthätten.[<strong>GEJ</strong>.02_192,10] Meine Meinung wäre demnach diese: Man sollte dem Tempelso bald als möglich alle Zugeständnisse Roms ohne irgendeine Ausnahmenehmen; denn sonst läuft Rom Gefahr, in Asien bald Aufstände über Aufständezu bekommen, und bevor vierzig Sommer um sind, wird Rom die sehr verdrießlicheEhre bekommen, Kanaan und das andere Asien zum zweiten Male vomAlpha bis Omega erobern zu müssen! – Das ist meine Meinung, auf die ich nunviel halte, weil ich die Verhältnisse des Tempels sehr genau kenne und sie aberauch tiefst verabscheue.“[<strong>GEJ</strong>.02_192,11] Sagt Cyrenius: „Auch für dieses verkrüppelte Beil wird sichein Stiel finden lassen! Aber wenn die Templer sich unterfangen, auch in dieserGegend den Tribut zu begehren und daraus ihren alten Zehnt zu kreieren, so— 425 —


werden wir wohl unversäumt ein wohlgenährtes Donnerwetter nach demTempel abgehen lassen; denn das ist wieder eine Eigenmächtigkeit von seitender Templer, die mit der Zeit für Rom wahrlich die übelsten Folgen habenkönnte.[<strong>GEJ</strong>.02_192,12] (Sich zum Hauptmann Julius wendend:) „Du, Julius, wirstnoch heute einige Stücke weiße, von mir unterfertigte Rollen bekommen, aufdenen du nach deinem guten Sinn für den Tempel einige kurze Sätze verfassenwirst! – Du verstehst mich!?“[<strong>GEJ</strong>.02_192,13] Sagt Julius: „Wäre alles wohl und recht, wenn das VierfürstentumJudäa nur nicht dem gefräßigen Herodes verpachtet worden wäre, nahe mitallen Herrscherrechten! Dazu sitzt in Jerusalem noch ein saumseliger Landpfleger,Pontius Pilatus nämlich, der sehr froh ist, wenn ihm die Menschen Friedenund Ruhe gönnen; mit dem ist sonach nicht viel zu machen! Aber es kommt danoch ein fataler Umstand dazu, der sehr wohl zu erwägen ist: Gib du demTempel tausend noch so schwere Gesetze, und er wird durch alle gleich einemProteus sich durchdrängen, – und ich frage, was sich da dann noch Weiteresunternehmen läßt.[<strong>GEJ</strong>.02_192,14] Mit irgendeiner zu sichtbaren äußeren Gewalt gegen denTempel ziehen, wäre eine sehr gewagte Sache; denn das Volk hängt daran undhält namentlich in Judäa die Priester für Halbgötter und als Vermittler zwischenihrem Gott und den Menschen. Täte man sonach dem Tempel irgendeineersichtliche Gewalt an, so hätte man aber auch sogleich den brennendstenAufstand in ganz Judäa am Halse; darum ist da sehr viel Vorsicht vonnöten,bevor man mit dem Tempel im vollen Ernste etwas unternehmen will![<strong>GEJ</strong>.02_192,15] Ah, dahier in Galiläa und namentlich in Genezareth, das sichim ewigen Ausnahmezustande befindet, und wo das Volk schon sehr aufgeklärtist, läßt es sich recht wirkungsreich gegen die Schwarzen zu Felde ziehen; aberin Judäa läßt sich das durchaus nicht tun! Daher heißt es: Wenn gegen denTempel etwas zu unternehmen ist, so muß vorher Rat gehalten werden![<strong>GEJ</strong>.02_192,16] Der Tempel wußte sich auf allerlei Schleichwegen von Romaus allerlei Privilegien zu verschaffen, die wir respektieren müssen, solange wirdas Glück und die Ehre haben, Römer zu sein. Wenn die Sache sich aber alsoverhält, so werden mir die Chartae albae (weiße, d.h. unbeschriebene Urkunden)wenig oder gar nichts nützen! In meiner Gegend aber bin ich selbst ohnehinCharta alba zur Genüge! – Übrigens kann ich immer welche gebrauchen.[<strong>GEJ</strong>.02_192,17] Für Genezareth und dessen ziemlich weite Umgegend habe ichden Templern das Tribut- und Zehnterpressen derart vertrieben, daß sie sichwohl für alle Zeiten ihre Habgier sicher haben vergehen lassen, und wenn ichrecht unterrichtet bin, so hat auch schon unser biederer Oberste Kornelius inKapernaum schon lange dasselbe getan, – und so ist Galiläa bis auf einigeherodianische Bedrückungen so ziemlich frei von den Tempelplackereien; aberim mächtigen Judäa wird das zu erzwecken noch lange nicht möglich sein. Dasist so meine Meinung. – Du, hoher Gebieter, aber kannst dennoch anordnen, was— 426 —


du willst, und ich werde stets dein bereitwilligster Diener und Knecht sein!“193. — Die Behandlung der Übeltäter und Besessenen[<strong>GEJ</strong>.02_193,01] Cyrenius belobte hier den Julius, sagte aber auch ganz gut undweise: „Liebster Julius, du weißt, daß ich große Stücke auf dich halte, und daßmir dein klarer Verstand allzeit wohl gefiel; aber das, was du jetzt gesprochenhast, scheint denn doch nicht so ganz auf deinem Grunde und Boden gewachsenzu sein. Das hast du auch von dem gewissen Einen in dein Gemüt aufgenommen!“[<strong>GEJ</strong>.02_193,02] Sagt Julius: „O sicher; denn die Wahrheit liegt nicht im Feuer,sondern in dessen sanftem Lichte nur; und somit bin ich seit Seiner Bekanntschaftauch viel sanfter und nachgiebiger geworden. Oh, könnte ich doch nureinmal noch in meinem Leben mit Ihm irgendwo zusammenkommen!“[<strong>GEJ</strong>.02_193,03] Sagt auch die nebenstehende und auf alles achthabende Jarah:„Oh, das ist auch mein alleiniger und einzigster Wunsch!“[<strong>GEJ</strong>.02_193,04] Während dieses Gesprächs kam Ich unbemerkt hinter Juliusdaher. Nur Cyrenius bemerkte Mich und sagte auf Meinen Wink zu Julius: „Du,siehe dich ein wenig um! Hinter dir steht jemand, als wollte er mit dir reden!“[<strong>GEJ</strong>.02_193,05] Julius sieht sich schnell um und fällt nahezu in eine Ohnmachtvor Freude, Mich hier zu sehen, und Jarah macht einen Schrei der höchstenEntzückung und fällt Mir wie eine Tote an die Brust; und Ich mußte sie bei einerhalben Stunde also ruhen lassen, bis sie aus ihrer seligen Betäubung wieder zusich kam.[<strong>GEJ</strong>.02_193,06] Da es aber schon stark gegen den Abend zu gehen begann, sosagte Ich zum alten Markus: „Du wirst nun wieder dafür sorgen, daß wir einreichliches Abendmahl bekommen; laß an Fischen, Brot und Wein keinenMangel haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_193,07] Sagt Markus: „Herr, was werden wir aber mit den Verbrechernmachen, die dort am Meere an Pfählen angebunden, von Soldaten bewacht,wahrscheinlich ihr Urteil unter der größten Bangigkeit erwarten?“[<strong>GEJ</strong>.02_193,08] Sage Ich: „Die lassen wir heute siebenfach schmachten, dervielen argen Geister wegen, von denen sie besessen sind, und niemand darfihnen weder etwas zu essen noch etwas zu trinken reichen, ansonst sie nicht zuheilen wären! Du, Mein Bruder Julius, aber stelle ihnen noch heute ein Urteilvor, demnach sie morgen den peinlichsten Tod durch langsames Verbrennen denganzen Tag über erleiden sollen! Morgen erst sollen sie dann begnadigt werden,und Ich werde sehen, ob sie freizugeben sind. Die übergroße Angst wird ihreargen Einwohner mürbe machen, und sie werden sich nach und nach zu empfehlenbeginnen. Bindet sie aber wohl fest an die Pfähle, sonst werden sie euch vielzu schaffen machen![<strong>GEJ</strong>.02_193,09] Die sieben politischen Aufwiegler, weil sie sich in nichts— 427 —


Bedeutendem versündigt haben, lasset etwas leichter; denen verkündiget einescharfe Züchtigung mit Ruten und lasset ihnen darauf etwas Brot und Wasserreichen! Am Morgen wird es sich zeigen, ob ihnen die Strafe nachzulassen seinwird oder nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_193,10] Auf diese Worte sagte Cyrenius zu Julius: „Also gehe dennhin, zerbrich den Stab und verkündige ihnen, was sie morgen zu erwarten habensollen!“[<strong>GEJ</strong>.02_193,11] Julius erhebt sich sogleich, wandelt mit einigen Unterleiternhinüber an das Gestade, das von der Wohnung des Markus bei fünfhundertSchritte entfernt lag. Dort bei den an die Uferpfähle fest angebundenen Verbrechernangelangt, befiehlt er den Soldaten, die Verbrecher noch fester an diePfähle zu knebeln. Als die Soldaten solches mit Stricken und Ketten bewerkstelligthaben, da erst verkündigt Julius den fünf Raubmördern, was sie am nächstenTage, vom Morgen angefangen, werden zu gewärtigen haben! Ebenso verkündeter den sieben politischen Verbrechern die scharfe Züchtigung.[<strong>GEJ</strong>.02_193,12] Als die fünf Raubmörder solch ein Urteil vernehmen, dafangen sie zu heulen, zu zagen und zu verzweifeln an und schreien, man mögesie alsbald töten; denn solch einen peinlichsten Zustand könnten sie unmöglichertragen! Ebenso schreien die sieben um Gnade und Erbarmung. Aber Juliusentfernt sich alsogleich und hört weder das gräßliche Geschrei der fünfRaubmörder noch der sieben anderen Verbrecher an.[<strong>GEJ</strong>.02_193,13] Als er bei uns wieder ankommt, sagt er (Julius): „Das istwahrlich keine Kleinigkeit! Dieses Geheul, die verzweifelten Gesichter, Gebärden,vor denen sich ein jedes Tier entsetzen müßte! Nun, ich bin froh, aus ihrerNähe mich nun wieder zu befinden! Es ist kaum zu glauben, – aber das Hauptder Medusa dürfte kaum ein menschlicheres Aussehen haben! Bin nun im Ernstesehr begierig, was die Kerle morgen für Physiognomien (Gesichtsausdrücke)haben werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_193,14] „Siehst du“, sage Ich zu Julius, „das ist die Wirkung der argenGeister in ihnen! Die werden die große Angst kaum bis zum Morgen ertragenund werden sich, wie Ich's gesagt habe, zum größten Teile empfehlen, und wirwerden morgen eine leichte Arbeit haben, die Menschen ganz zu erlösen.“[<strong>GEJ</strong>.02_193,15] Fragt Cyrenius: „Was wird aber dann mit ihnen zu geschehenhaben? Werden wir sie wohl ganz freigeben können, oder werden wir siedennoch eine Zeit in Gewahrsam zu behalten haben?“[<strong>GEJ</strong>.02_193,16] Sage Ich: „Allerdings; denn ohne den hinreichendsten Unterrichtkönnen sie auf gar keinen Fall völlig freigelassen werden! Auch die siebennicht; denn kein Mensch wird die Sünde so schnell los, als wie schnell er inirgendeine Sünde gefallen ist! Als Zeit für die fünfe wird kaum ein volles Jahrgenügend sein, und für die sieben ein halbes Jahr. – Und so denn wollen wir nunin Ruhe das Nachtmahl froh erwarten!“— 428 —


194. — Der Jarah weise Reden[<strong>GEJ</strong>.02_194,01] Sagt darauf der alte Markus: „Herr und Meister aller Meisterder Welt! Du hattest früher zu mir gesagt, daß ich heute noch gar vieles undSeltenstes über des Menschen Bestimmung vernehmen werde und werde auchkennenlernen das Reich Gottes. Ja wahrlich und überaus wunderbar! Ich habenun den Tag über schon so vieles gehört, gesehen und erlebt, wie sonst frühermein ganzes Leben hindurch nie; und so finde ich nun Deine Weissagung alsvöllig bestätigt an mir, und ich werde darum nun alles tun, damit auch unseremüden Glieder nicht unbefriedigt sich zur Ruhe begeben sollen.“[<strong>GEJ</strong>.02_194,02] Sage Ich: „Ja, ja, siehe du nach, ob die Köchinnen mit ihrerKunst schon bald zu Ende sind! Nach dem Mahle wird noch so manchesvorkommen, was dich in das Gottesreich abermals näher einweihen wird.“[<strong>GEJ</strong>.02_194,03] Sagt Markus: „Aber Herr, was ist das denn mit diesem liebenMädchen, das Dich noch immer festhält und Deine Brust mit Tränen benetzt;wird es Dich, wie es scheint, etwa wohl gar nicht mehr auslassen?!“[<strong>GEJ</strong>.02_194,04] Sage Ich: „Frage du darob das Mädchen, es wird dir keineAntwort schuldig bleiben!“[<strong>GEJ</strong>.02_194,05] Markus fragt nun die himmlisch schmachtende Jarah.[<strong>GEJ</strong>.02_194,06] Jarah aber richtet sich sogleich auf und sagt: „Höre, du lieber,alter Freund! Wer Den hier einmal ergriffen hat, der darf Ihn nimmer auslassen;denn läßt er Ihn aus, so hat er dadurch auch sein ewiges Leben ausgelassen undsomit verloren für immerdar. Das, was ich körperlich tue, das sollet ihr alle imHerzen tun, wie auch ich es vor allem im Herzen tue![<strong>GEJ</strong>.02_194,07] Wer sein Leben liebt, den Herrn des Lebens aber oft leichtsinniggenug der Welt wegen fahren läßt, der wird sein Leben auch verlieren, weiler den Herrn des Lebens verloren hat. Wer aber sein Leben nicht achtet und nurdas ,Leben‘ heißt in seinem Herzen, dem Herrn alles Lebens allein zu leben, derwird das Leben erhalten für ewig, und stürbe er auch tausendmal dem Leibenach![<strong>GEJ</strong>.02_194,08] Siehe, ich habe den Herrn, als Er zu uns kam, zuerst erkannt inmeinem Herzen und liebe Ihn allein über alles; ja, wenn Er es jetzt von mirverlangte, daß ich sterben solle für Ihn, so wäre der Tod mir ein Labsal! Dennich weiß und fühle es ja lebendigst, daß die Liebe zu Ihm ewig nimmer sterbenkann, weil es ihr unmöglich ist, eine Sünde zu begehen, die da allein ist einwahrer Tod der Seele. Ist aber des Menschen Seele tot, dann ist auch der ganzeMensch tot. Das merke dir wohl, du alter Mann; denn ich bin aus der Schule desHimmels, welcher ist die Liebe und die Wahrheit und das Leben. Was ich dirnun gesagt habe, ist Lehre aus den Himmeln, und du magst sie darum wohlbeachten!“[<strong>GEJ</strong>.02_194,09] Als der alte Markus solches von der Jarah vernommen hatte,sprach er, ganz von einem höheren Enthusiasmus durchdrungen: „O du Kind aus— 429 —


den Himmeln, viel zu gut und zu rein für diese schmutzige Erde! Wahrlich,wenn der Herr dies mein Haus leiblich wieder verlassen sollte, dann werde ichzu dir kommen, himmlische Weisheit zu erlernen! Oh, welch ein Unterschiedzwischen dir und meinen Töchtern! Du bist schon eine Sonne, und meineTöchter sind kaum ein Abglanz der großen Himmelsleuchte in einem kleinstenTautröpfchen! O Ebahl, wie glücklich bist du doch, ein Vater solch eines Engelszu sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_194,10] Hier fielen dem alten Markus Tränen aus den wonnetrunkenenAugen, und er ging schnell in die Küche, nach dem Abendmahle zu sehen, underzählte es seinen Töchtern, welche Lehre er von dem Mägdlein aus Genezaretherhalten habe, und die Töchter staunten und baten ihn, daß er nach dem Mahleihnen Gelegenheit verschaffen möge, daß sie sich mit solch einem himmlischenKinde ein wenig besprechen dürften.[<strong>GEJ</strong>.02_194,11] Markus war darüber sehr erfreut und versprach ihnen solcheszu bewirken, nur sollten sie sich befleißen, mit dem Abendmahl bald fertig zuwerden. Und die Töchter sprachen: „Vater, in einer kleinen Viertelstunde wirdalles in der besten Bereitschaft sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_194,12] Mit dem ging Markus wieder aus der Küche und beauftragtedie Söhne, schnell Wein und Brot zum voraus auf die Tische vor dem Hause zustellen und auch dafür zu sorgen, daß es am Lichte nicht mangeln werde; aufden Tischen sollen mehrere wohlgefüllte Lampen brennen, und der andereHofraum solle mit den Fischerfackeln über und über die ganze Nacht hindurcherleuchtet werden! – Alles das ward schnell ins Werk gesetzt, und als es etwasdunkel geworden war, brannten schon auf allen Tischen eine Menge Lampen,und den ziemlich weiten Hofraum erhellten die bewußten Fischerfackeln. Balddarauf wurden gar köstlich bereitete Speisen auf die Tische gebracht, alswohlbereitete Fische, Brot, Wein und allerlei Obst.[<strong>GEJ</strong>.02_194,13] Vor dem Essen sprach die Jarah einen Psalm Davids vor undbat Mich darauf um die Segnung der Speisen und der Getränke; und Ich tat dies,und wir alle setzten uns darauf an die Tische, verzehrten ganz wohlgemut dievorgesetzten Speisen und wurden heiter beim mäßigen Genusse des Weines. Ichsaß zwischen dem Cyrenius und der lieblichsten Jarah; Cyrenius saß Mir zurLinken und Jarah zur Rechten; neben der Jarah saß ihr Raphael und dem gegenüberder alte Markus. Diesem aber fiel es auf, wie der Raphael die Speisenverzehrte; denn so Raphael entweder einen Fisch oder ein Stück Brot, einObststück oder einen Becher Wein an den Mund brachte, so verschwand allesvor dem Munde, und Markus sah den Jüngling weder kauen, noch irgendeineSpeise verschlingen.[<strong>GEJ</strong>.02_194,14] Josoe, der Ziehsohn des Cyrenius, der gleich neben Cyreniussaß, bemerkte die stille Verwunderung des alten Markus und sagte: „AlterKrieger Markus! Was gefällt dir an dem Rabbi Raphael so gut, daß du deineAugen gar nicht von ihm abwenden kannst?“[<strong>GEJ</strong>.02_194,15] Spricht der Alte: „Ja, du mein hoher Sohn meines Herrn und— 430 —


meines Gebieters, das ist eine ganz sonderbare Erscheinung! Dieser Junge führtSpeise und Trank zum Munde, öffnet den Mund nie, kaut nicht und verschlingtnichts; aber die Speisen verschwinden vor seinem Munde! Wie das? Wie gehtdas zu? Das ist ja schon wieder ein Wunder! Was soll ich daraus lernen?“195. — Materie und Geist[<strong>GEJ</strong>.02_195,01] Sagt Josoe: „Du sollst daraus lernen, daß in den Himmel nichtsMaterielles eingehen kann, also, wie dieser Engel jede materielle Speise vordemins Geistige auflöst und von ihr dann nur das Reingeistige aufnimmt. DerJüngling ist ein reinster Geistmensch aus den Himmeln und stellt sonach auchden Himmel in kleinster Gestaltung vor; die Speisen aber stellen uns Weltmenschendar, die wir jetzt noch begraben sind in unserer Materie. Diese ist zwarnun auch wie diese Speisen schon recht gut zubereitet worden am Feuerherdedieses großen Meisters, der uns solches gelehrt hat und Sich nun noch leiblichunter uns befindet, – aber dennoch können wir mit diesen unseren Leibern nichtin das Himmelreich eingehen.[<strong>GEJ</strong>.02_195,02] Wenn wir aber von Gott aus berufen werden, diese Welt zuverlassen, dann wird zuvor ein Engel Gottes mit uns ebenfalls machen, wiedieser nun tut mit der Speise, das heißt, er wird in einem Augenblick alles demGeiste Angehörige aus der Materie frei machen, die Materie der vollen Auflösungübergeben, die Seele aber und ihren Lebensgeist, sowie alles, was in derMaterie der Seele angehört, in vollkommenster Menschengestalt vereinigend indie reine Welt der Geister hinüberführen nach dem ewigen, unwandelbarstenWillen Gottes! – Siehe, das ist es, was du aus dem dir sonderbar vorkommendenEssen des mächtigen Himmelsjünglings lernen kannst und sollst!“[<strong>GEJ</strong>.02_195,03] Sagt Markus, ganz erstaunt über die Weisheit des Josoe: „Ichhabe schon früher einmal bemerkt, daß du ein bei weitem über dein Alter hinausweiser Junge bist; aber für so weise hätte ich dich nicht gehalten! Du hast mireine überaus wichtige Lehre gegeben, für die ich dir allzeit überaus dankbarverbleiben werde; aber weißt du, des Menschen Wissensdurst wird immerstärker, je mehr er weiß, und so juckt es mich nun, auch noch über deine Lehrehinaus zu erfahren, wie denn solch eine Auflösung der Materie bewirkt wird!“[<strong>GEJ</strong>.02_195,04] Sagt Josoe: „Freund, es ist zwar nicht gut, wenn der Menschgar zuviel weiß; aber das kannst du dir ja wohl merken! Sieh, die Materie isteigentlich nichts anderes als durch den allmächtigen Willen Gottes fixiertesGeistiges. Ein solcher Engel aber ist nun nichts anderes als der personifizierteAusdruck des allmächtigen Willens Gottes; er kann durchaus nichts wollen alsallein das nur, was Gott will.[<strong>GEJ</strong>.02_195,05] Will also Gott irgend die Materie auflösen, so wird diese vonsolch einem allmächtigen Gotteswillen in der Gestalt eines Menschen ergriffen,das Fixum oder Bindegericht wird aufgehoben, und alle Materie verschwindetaugenblicklich aus dem Dasein, geht in ihr urgeistiges Element über und bleibt— 431 —


dann entsprechend das, was sie ursprünglich war, nur veredelt und vervollkommnet.[<strong>GEJ</strong>.02_195,06] Zahllose früher vereinzelt gewesene Kräfte werden vereinigtzu einem großen, vollkommenen Individuum, und das wird sein ein vollendeterMenschgeist nach dem Willen Gottes ewig! – Hast du solches verstanden?“[<strong>GEJ</strong>.02_195,07] Sagt Markus: „Jawohl, verstanden habe ich es wohl, aber nunfrage ich dich um nichts mehr; denn deine Weisheit ist zu schwindelnd hochüber meinem Naturverstande! Aber was ich hören möchte, das wäre: dich redenhören mit dem dir gleich weisen Mädchen Jarah; das müßte ein wahrer geistigerHochgenuß sein, wie man in den Himmeln kaum einen bessern je wird habenkönnen!“[<strong>GEJ</strong>.02_195,08] Sagt Josoe: „Siehe, das ist nun schon etwas eitel von dir! – Dasiehst du zwei volle Becher Wein! Wäre es wohl klug, so man den einen vollenin den andern vollen überschütten möchte? Würde bei solch einer Arbeit nichtder edle Wein für nichts und wieder nichts auf den Boden verschüttet werden?Wozu wäre so etwas dann gut? Was ich weiß, das weiß sicher auch dasMägdlein, und es könnte somit weder ich von ihr, noch sie von mir irgend etwaslernen! Daher werden wir uns solche Mühe wohl ersparen. Rede lieber du mitdem herrlichen Kinde Gottes! Du und deine Töchter, dein Weib und deineSöhne werden recht vieles von ihr zu erlernen imstande sein; denn bis jetzt hatauf dieser Erde noch nie irgendeine Maid, von Gott aus bestimmt, solche Erfahrungengemacht, wie eben dieses Mädchen. Es weiß unaussprechlich vieles, wasaußer dem Herrn kein Mensch auf der ganzen, großen Erde weiß und irgendkennt. – Verstehst du solches?“196. — Jarah löst dem Josoe den gordischen Knoten[<strong>GEJ</strong>.02_196,01] Sage Ich zu Josoe: „Aber Mein lieber Josoe, woher weißt dues denn, daß die Liebe Meiner Jarah sich in einer so großen Weisheit befindetund in Dingen Kenntnisse besitzt, die außer Mir niemandem bekannt sind?“[<strong>GEJ</strong>.02_196,02] Sagt Josoe: „Herr, wie sollte ich das denn nicht wissen, undwie fragst Du mich darum, wo doch Du es bist, der mir solches in mein Herzund aus diesem auf meine Zunge gelegt hat, was ich erkennen solle und wasreden?!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,03] Sage Ich: „Ganz gut, Mein lieber Josoe; weil du das weißt, sogib uns denn auch darüber einen genügenden Aufschluß, warum eigentlich – daMir ja ohnehin die Gedanken deines Herzens selbst in ihrer tiefsten Tiefe schonlange eher bekannt sind und sein müssen, als du sie gedacht hast – Ich dichgefragt habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,04] Hier stutzt Josoe und sucht in sich eine rechte Antwort; aber eswill sich keine finden lassen. Nach einer Weile sagt er etwas kleinlaut: „Herr,dafür läßt sich in der noch übergroßen Beschränktheit meines Erkennens durchauskeine vernünftige Antwort finden, wenigstens von mir nicht; Du müßtest— 432 —


mich nur also pro forma (zum Schein) gefragt haben, als wie da fragt ein Rabbiseinen Jünger um etwas, was er als Rabbi sicher schon lange eher gewußt hatdenn sein Jünger. Aber dabei ist dennoch ein endlos großer Unterschiedzwischen Dir und einem seinen Jünger prüfenden Rabbi! Dieser weiß wohl, waser selbst weiß, aber das weiß er ohne Prüfung dennoch nicht, ob auch seinJünger das weiß. Du weißt aber nur zu klar und hell nicht nur alles, waszunächst ich weiß, sondern Du weißt auch um die geheimsten Gedanken allerMenschen und Engel – und fragst mich!? Sieh, eben darin liegt der für michunentwirrbare Knoten Gordius'! Da ich aber noch lange kein Alexander bin, sovermag ich ihn nicht zu lösen!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,05] Sage Ich: „Sage Mir, warum fragt denn dich der dann undwann aus Sichar zu dir kommende Jüngling um etwas also, als wüßte er durchausnicht darum, da er doch sicher darum nur zu gut weiß!? Ja, er läßt sich sogarvon dir belehren und tut, als wäre er dein Jünger!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,06] Sagt Josoe: „Herr, das ist ja eben meine stete Klage über ihn,daß er bei seiner sicher ungeheuren Weisheit stets nur von mir lernen will; undfrage ich ihn um etwas, so sagt er stets: ,Ja sieh, darum habe ich dich ebenfragen wollen!‘ Ich aber frage eben und habe Dich schon heute am Morgengefragt, was das für eine Unterrichtsweise ist. Es hatte wohl früher der Vater derJarah eine recht weise Ansicht von solch einer Unterrichtsmethode entwickelt,die ich wohl auch bei Deiner an mich gestellten Frage in Anwendung bringenkönnte; aber ich bin mit seiner Ansicht dennoch nicht völlig einverstanden undkann sie darum zur erläuternden Antwort auf Deine ganz gordisch geformteFrage nicht in die vollgültige Anwendung bringen.[<strong>GEJ</strong>.02_196,07] Bei schon in allerlei Kenntnissen wohlbewanderten Jüngern istsolche Lehrweise wohl die beste von der Welt, weil dadurch der noch immerhinbeschränkte Jünger überaus tätig zum Selbstdenken, -fühlen und -finden geleitetwird; aber wenden wir solch eine Lehrweise bei einem Jünger an, der noch allerElemente zur Wissenschaft total bar ist, so möchte ich da doch sehen, wann undwie bei solch einer Unterrichtsweise der Jünger das Alphabet und endlich dasLesen einer Schrift sich zu eigen machen wird auf einem natürlichen Wege ohneWundertat![<strong>GEJ</strong>.02_196,08] Dafür taugt also die sonst gute Ansicht des Ebahl nicht, und sokann ich sie hier auch nicht benützen. Ich sage es Dir, o Herr, darum ganz glattheraus, daß ich Dir auf Deine gordische Frage keine Antwort zu geben imstandebin. Du wirst darum schon uns allen die Gnade erweisen wollen, Deine FrageSelbst zu beantworten!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,09] Sage Ich: „Wie wäre es denn, wenn uns solch eine Frageunsere liebste Jarah erläutern möchte?“[<strong>GEJ</strong>.02_196,10] Sagt Josoe etwas betroffen: „Das kann sie immerhin, wennsie's vermag! Freilich, wenn Du, o Herr, ihr die Antwort ins Herz geben wirst,dann wird sie wohl leicht zu antworten haben!“— 433 —


[<strong>GEJ</strong>.02_196,11] Sage Ich: „Das werde Ich eben diesmal nicht tun, und sie wirddie Antwort selbst bringen müssen!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,12] Sagt Josoe: „Nun, da möchte es ihr vielleicht eben nicht umsehr vieles besser ergehen als mir!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,13] Sage Ich mit freundlichster Miene: „Nun, wir wollen sehen!Sage uns demnach, du liebste Jarah, warum sogestaltig Ich den lieben Josoe umetwas gefragt habe, um das Ich sicher schon lange vorher gewußt habe!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,14] Sagt die Jarah, ein wenig verlegen: „Herr, so ich reden darfund gewisserart muß, so scheinst Du dem lieben Josoe diese gordische Frage,wie er sie benannt hat, bloß aus einer, seine stark aufsprühende Seele ein wenigdemütigenden Ursache gegeben zu haben. Denn er meinte zuvor, daß er mit mirdarum nichts zu reden brauche, weil er alles das wisse, um was ich weiß, undwir beide könnten sonach miteinander nichts reden; ein solches Besprechenhieße einen vollen Becher in einen zweiten vollen Becher überschütten. Aberder liebe Josoe vergaß dabei, daß Du die Gaben des Geistes sogar unter DeineEngel verschieden ausgeteilt hast, und daß dadurch selbst ein vollkommensterGeist von einem andern vollkommensten Geiste noch gar vieles lernen kann![<strong>GEJ</strong>.02_196,15] Ich aber meine: Wenn Du, o Herr, also fragst, so fragst Du auskeinem andern Grunde, als um irgendeinen ein wenig Aufbrausenden zu einerdemütigenden Selbsterkenntnis zu führen! Und soviel ich mit meiner beschränktenErkenntnis in meinem Herzen erschaue, so hast Du dem lieben Josoe auseben diesem Grunde solch gordische Frage gegeben.[<strong>GEJ</strong>.02_196,16] Er hatte zwar ehedem, sich etwas widersprechend, demMarkus gegenüber wohl die Bemerkung gemacht, daß ich durch Deine GnadeErfahrungen gemacht habe wie bisher kein Mensch auf der ganzen weiten Erde;und doch hält er sich für einen ebenso voll gefüllten Becher! Wenn er mir abersolch außerordentliche Erfahrungen zugesteht, so begreife ich im Ernste nicht,warum er mit mir sich in kein Gespräch einlassen wollte. Ich meinesteils aberbin dennoch der Meinung, daß ich trotz meiner sicher unerhörten Erfahrungenvon ihm dennoch etwas lernen kann und halte meinen Becher für durchaus nochnicht so voll, daß in ihm von seinem vollen Becher nichts mehr Raum fände.[<strong>GEJ</strong>.02_196,17] Und, wie ich's nun bemerkt habe (hier schmunzelte die Jarahein wenig), so scheint denn sein Becher auch noch nicht gar so enorm voll zusein, daß dann von meinem Weine in seinem übervoll sein sollenden Becherkein Tropfen mehr Raum fände![<strong>GEJ</strong>.02_196,18] Ich will aber übrigens damit durchaus keine irgend nur imgeringsten gehässige Bemerkung über Josoes ein wenig zu hoch sprudelndesSelbstgefühl gemacht haben, sondern weil ich aufgefordert ward, so redete ich,wie es mir ums Herz war; ich glaube darum eben keine gar zu große Sündebegangen zu haben! Beging ich sie aber, so will ich sie auch nach Kräftenwieder gutmachen!“[<strong>GEJ</strong>.02_196,19] Sage Ich: „Nein, nein, durchaus nein! Dein treuestes Herz liegt— 434 —


ja zu offen vor Mir, und du hast Meinem lieben Josoe sogar einen großen Diensterwiesen; denn er war in dem von dir ganz kindlich weise berührten Punkte auchwirklich etwas schwach, und diese Schwäche hätte ihn mit der Zeit wirklich aufirgend kleine Abwege zu bringen vermocht. Jetzt aber ist er geheilt auch indieser Sphäre, und er wird nun wohl sich mit dir sehr gerne in ein erheiterndesGespräch einlassen; denn er hat eine gute Art sich auszudrücken.“197. — Über die Wissensbeschränktheit des irdischen Menschen[<strong>GEJ</strong>.02_197,01] (Ich, Mich zu Josoe wendend:) „Was sagst du nun zu dertreffenden und gelungensten Antwort der lieblichsten Jarah?“[<strong>GEJ</strong>.02_197,02] Sagt Josoe: „O Herr alles Lebens, dies holdeste Mägdlein istsicher schon lange kein irdisch Mädchen mehr; sie, die herrlichste Jarah, ist einpersonifiziertes Himmelslicht erster Größe, dagegen ich kaum ein kleinstesSternlein bin! Wohl habe auch ich durch Deine Gnade Erfahrungen gemacht wiebisher wenig Sterbliche, – denn es ist kein Scherz, nahezu zwei Jahre meinemGefühle nach in der Welt der Geister und mit dem verwesten Leibe in der Gruftzugebracht zu haben und endlich mit vollstem Bewußtsein durch Deine Gnadeund durch Dein wunderbarstes Erbarmen auf diese Erde zurückgekehrt zu sein;aber dennoch gestehe ich nun laut, daß ich mich kaum für würdig fühle, diesemMädchen ein schwacher und talentloser Schüler zu sein. Wenn sie mir die Liebeerweisen will, mich in so manchem etwas wenig nur zu belehren, so werde ichsolches alles mit dem größten Danke von der Welt allerbereitwilligst annehmen.“[<strong>GEJ</strong>.02_197,03] Sagt die Jarah: „Ja, mein liebster Josoe, du bist ein Königssohnund ich die Tochter eines Juden, der nur ein Gastwirt in Genezareth ist –also irgend irdisch genommen, wäre es wohl sehr anmaßend und keck, mich dirzu nahen; willst du dich aber von deiner Höhe zu mir Armen herablassen, sosollst du ein Paar ausgebreitete Arme und ein offenes Tor in meiner bescheidenen,ärmlichen Hütte finden!“ – Auf diese vielsagende Anrede macht Josoegroße Augen und weiß kaum, was er dem Mädchen erwidern soll.[<strong>GEJ</strong>.02_197,04] Cyrenius aber sagt zu Josoe: „Siehe, mein Josoe, das willsoviel gesagt haben als: du sollst dich zur Jarah hinübersetzen und mit ihr reden.Gehe und tue das; denn ich wäre selbst sehr begierig zu hören, was ihr allesmiteinander verhandeln werdet!“[<strong>GEJ</strong>.02_197,05] Sagt Josoe: „Ah, von dem, daß ich mich zu ihr setzen soll, hatdie gute und liebste Jarah in ihrer Sprache nichts merken lassen, wohl aber vondem, daß ich mit ihr reden soll, so ich mich so tief herablassen könnte als einKönigssohn! Freilich scheint es die Jarah mir denn doch nicht völlig anzukennen,daß ich fürs erste durchaus kein Königssohn bin, und fürs zweite, daß dergewisse Geburtshochmut meiner Natur noch bei weitem ferner steht als derHimmel von dieser Erde. Ich bin allein für die Wahrheit! Was unter ihr ist,verachte ich tiefst; was aber über ihr steht als Geheimnisse Gottes in sich, das— 435 —


ete ich an und verlange nicht nach der Klarheit dessen, was sich nicht ziemt fürdie Würmer und für den Staub dieser Erde![<strong>GEJ</strong>.02_197,06] In Gott ist die Fülle der unendlichsten Weisheit; in uns aberwohnt davon kaum ein Sonnenstäubchen groß! Alles, was wir wissen, ist einloses Stückwerk, und wir finden den Weg vom Alpha bis Beta nimmer,geschweige bis zum Omega. Am Himmel leuchten Myriaden von Lichtern; werkennt sie? Wir kennen die zwei großen nicht, geschweige die zahllos vielenkleinen; Gottes Weisheit aber ist da allenthalben also zu Hause wie das Augenlichtim Auge![<strong>GEJ</strong>.02_197,07] Was Gott uns offenbaren will, das wissen und kennen wir;darüber hinaus aber waltet für des Menschen Seele eine zwar heilige, dochimmerhin unendliche Nacht. Und der Mensch soll es nie wagen, dieser endlosenNacht heiliges Dunkel lichten zu wollen; denn diese Nacht würde ihn verschlingenwie das Meer ein Steinchen, das irgendein mutwilliger Junge in dasselbeschleuderte.[<strong>GEJ</strong>.02_197,08] Wir Menschen sind Gefäße, denen vorderhand nur einbestimmtes Maß gegeben ist. Ist dieses voll, so kann man dasselbe nicht nochvoller machen; wird dem Menschen aber dereinst ein größeres Maß gegeben, dawird er noch gar vieles in dasselbe hineintun können, und es wird dennoch nichtübergehen so leicht, wie es nun der Fall ist.[<strong>GEJ</strong>.02_197,09] Es haben zwar wohl die Menschen auf dieser Erde schon einverschieden großes Maß; das meine gehört aber offenbar zu den kleinsten. Dielieblichste Jarah ist offenbar reichlicher damit versehen worden als ich, und ichkann darum mit ihr nicht als ebenmäßig auftreten; wenn sie mir aber von ihremgroßen Überflusse will etwas zukommen lassen, so werde ich solches allzeitdankbarst annehmen. Aber hinab zu ihr kann ich mich dennoch nicht setzen;denn einmal ist sie weiser denn ich, und fürs andere Mal würde es sich für michwohl gar nicht schicken!?“198. — Was ist Wahrheit[<strong>GEJ</strong>.02_198,01] Sage endlich einmal Ich wieder zum Josoe: „Höre du, Meinlieber Josoe! Du hast nun recht weise gesprochen, und es ist darin viel Gutesund Wahres; aber Ich muß dich dabei dennoch auf so manches aufmerksammachen! Darum gib du nun sehr wohl acht; denn sieh, mit einem Weisen, wie dueiner bist, kann schon auch Ich etwas tiefer Mich fassen![<strong>GEJ</strong>.02_198,02] Du sagtest: ,Ich bin allein für die Wahrheit; was unter ihr steht,verachte ich, was aber über ihr steht als Geheimnisse Gottes in sich, das bete ichan und verlange nicht nach der Klarheit dessen, was sich nicht ziemt für dieWürmer und für den Staub dieser Erde! In Gott ist die Fülle aller Weisheit, inuns Menschen aber wohnt davon kaum ein Sonnenstäubchen groß!‘[<strong>GEJ</strong>.02_198,03] Ja, es ist ganz gut, rein, recht und billig, nur für die Wahrheitzu sein; aber diesem Grundsatze wirft sich eine mächtige Frage schnurgerade in— 436 —


die Quere und bildet sogestaltig mit deinem in sich ganz löblichsten Grundsatzeein vollkommenes Kreuz! Kannst du oder irgendein anderer für dich dieseFrage, die Ich dir geben werde, lösen, dann ist Meine Schulter des Kreuzes lediggeworden.[<strong>GEJ</strong>.02_198,04] Sage du Mir daher: Was ist die Wahrheit, für die du alleinbist? Ist es eine Wahrheit, was du siehst? Sieh, es ist alles ein Dunstgebilde vonheute bis morgen, und es kann das, was für heute noch eine volle Wahrheit ist,für morgen schon lange keine Wahrheit mehr sein! Siehe hin, dort im letztenDämmerlichte der lange untergegangenen Sonne schwebt ein Wölklein inGestalt eines Fischleins! Sage Mir, für wie lange wird dieses Wölkleins gegenwärtigeGestalt eine Wahrheit bleiben? Siehe, der nächste Augenblick wirddieses Wölkchens gegenwärtige Gestaltung schon einer Lüge zeihen![<strong>GEJ</strong>.02_198,05] Wenn Ich dir drei Birnen vorlege, so sagst du, das sei eineWahrheit, daß da vor dir drei Birnen liegen; Ich aber sage es dir, daß eine jededer drei Birnen mehrere Samenkörner in sich hat, aus jeglich welchem in derFolge eine zahllose Menge von Bäumen entstehen können, die am Ende dieganz gleichen Birnen in höchster Zahllosigkeit zum Vorschein bringen werden!Sind demnach vor dir wirklich nur drei Birnen, die in sich schon eineabgeschlossene unveränderbare Größe bilden, oder sind sie bloß nur dreiScheingrößen, hinter denen, gleich den Kriegern im Bauche des hölzernenTrojaner Pferdes, sich noch eine Unzahl gleicher und auch noch ganz andererGrößen verborgen halten?[<strong>GEJ</strong>.02_198,06] Wo fängt die Wahrheit an, und wo hört sie auf? Ist der Menscheine Wahrheit, also wie er ist? Sieh an ein Kind, und siehe endlich an einenGreis! Siehe an eine von Menschenhänden erbaute Stadt! Ist sie eine volleWahrheit? Sieh, heute steht sie noch, und morgen kann sie schon zerstörtwerden![<strong>GEJ</strong>.02_198,07] Siehe, für den allein, der in sich durch und durch selbstWahrheit ist, ist auch alles Wahrheit; für den aber, der in sich das nicht ist, ist jaauch notwendig alles andere nur das, was er selbst vorderhand ist.[<strong>GEJ</strong>.02_198,08] Eine Wahrheit aber, die nur zeitlich wahr ist, ist schon darumkeine volle Wahrheit, weil in ihr keine Beständigkeit zu Hause ist; die volleWahrheit aber muß unwandelbar für ewig das sein im Vollmaße, was sie fürjeden einzelnen Augenblick ist. – Was ist demnach die eigentliche, volleWahrheit?“199. — Das Geheimnis des Urgrundes aller Weisheit[<strong>GEJ</strong>.02_199,01] Josoe macht hier große Augen, denkt hin und her und weißnicht, was er Mir darauf für eine Antwort geben soll.[<strong>GEJ</strong>.02_199,02] Cyrenius aber sagt: „Herr, das ist aber auch eine Frage, an dersich alle Weisen und Philosophen die Zähne bis auf die letzte Wurzel ausgebissenhätten! Erlaube, Du mein göttlichster Freund, – nach Deinen für mich allzeit— 437 —


heiligsten Worten ist dann ja alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen,keine volle Wahrheit, sondern gut zur Hälfte hin eine Lüge!? Wer kann dahernach ganz auf ein gegebenes Wort irgendein volles Vertrauen fassen? DieseDeine Frage hat mich selbst wahrlich ein wenig trübe gemacht. Du wirst diesmalwahrlich schon so gut sein müssen und Deine Frage Selbst beantworten; dennauf der ganzen Erde löst Dir kein Weiser aus sich dieses Rätsel!“[<strong>GEJ</strong>.02_199,03] Sage Ich: „Sei du darob ganz unbesorgt! Hier an diesemTische sitzen etwelche, die dir darüber sicher ohne Mein besonderes Hinzutuneine ganz genügende Antwort als Löse (Lösung) Meiner Frage an Josoe zugeben imstande wären; denn sie wissen schon beiläufig, von wannen der Windkommt. Aber Ich will, daß in der lösenden Beantwortung Meiner allerdingsetwas höher gestellten Frage Meine Jarah dem Josoe zu Hilfe kommen soll! Undso (Mich zur Jarah wendend) versuche du, Meine liebste Jarah, ob du in deinemHerzen eine rechte Antwort auf Meine Frage findest!“[<strong>GEJ</strong>.02_199,04] Spricht das Mägdlein, ein wenig lächelnd: „Wahrlich, michbefremdet es recht sehr, daß der sonst so weise Josoe auf diese gar leichte Fragenicht sogleich in sich eine taugliche und vollösende Antwort gefunden hat! –Was kann sonst die volle, ewige Wahrheit sein als Gott Selbst, der, vonEwigkeit alle Vollendung in Sich fassend, im Geiste stets ein und derselbe ist,also für ewig in und für Sich unwandelbar, weil in Ihm als der endlosestenVollendung in Sich Selbst keine weitere Wandelbarkeit denkbar ist. Gott ist deralleinige und ewige Urgrund alles Seins. Alles, was da ist, ist nichts anderes alsnur Seine fixierten Ideen; ihr Sein ist sonach auch ein Gottessein, und ihr Lebenist Gottes Leben.[<strong>GEJ</strong>.02_199,05] In Gott ist darum alles vollste, ewige Wahrheit, weil außerGott nichts irgendwo etwas sein kann, – in uns Menschen aber nur insoweit, alswir eins mit Seinem heiligsten Geiste sind durch die reine Liebe zu Ihm. Diereine Liebe zu Gott verbindet uns mit Gott und macht, daß wir eins mit Ihmwerden; sind wir aber das, da wird alles reinstes Licht, wohin wir uns auchwenden mögen. Und dieses Urlicht in der höchsten Reinheit des Geistes ist danneben die ewige, unwandelbare Wahrheit. – Dies, scheint mir, ist die allein richtiglösende Antwort auf die Frage des Herrn an den lieben Josoe.“[<strong>GEJ</strong>.02_199,06] Sage Ich zu Cyrenius: „Nun, was sagst du zu dieser BeantwortungMeiner dem Josoe gegebenen Frage? Glaube aber ja nicht, Ich hätte ihrsolche wunderbar in ihr Herz gelegt; sondern sie hat solche gefunden auf ihremganz eigenen Grund und Boden. Und Ich sage es dir und auch allen, die ihr beiMir sitzet an diesem Tische: da ist auch nicht ein Wort zuviel oder zuwenig, undist für ewig vollwahr.[<strong>GEJ</strong>.02_199,07] Aber wie kommt sie dazu und Josoe nicht, der sich vorgenommenhatte, allein für die Wahrheit zu sein? Seht, das macht ihre unbegrenzte,reinste Liebe zu Mir; solche ihre Liebe verbindet ihr Herz mit dem Meinen, undsogestaltig kann sie sich stets auf dem kürzesten Wege alles Licht und somitauch alle Weisheit holen aus der von ihr selbst bezeichneten Urquelle alles— 438 —


Lichtes, alles Seins und aller Wahrheit, die für ewig unwandelbar ein unddieselbe ist in Mir.[<strong>GEJ</strong>.02_199,08] Und du, Mein lieber Josoe, der du allein für die Wahrheit bist,was sagst du nun zur Jarah, die gewisserart rein nur für die Liebe ist?“[<strong>GEJ</strong>.02_199,09] Sagt Josoe, ein wenig verlegen: „O Herr, ich sehe nun wohlden finstern Fleck in mir; aber ich finde es nicht, wie ich ihn aus mir brächte!Ich habe der Jarah sehr unrecht getan, und das muß gutgemacht werden, und soDu, o Herr, nichts dawider hast, so werde ich mich dennoch nun sogleich zu ihrhinaufsetzen!“[<strong>GEJ</strong>.02_199,10] Sage Ich: „O nicht im geringsten; denn sieh, die ganze Gesellschaftfreut sich auf eure gegenseitige Unterredung! Ich sage es dir: An ihrerSeite wirst du erst das finden, für das du allein sein willst!“ – Auf diese MeineWorte erst erhebt sich Josoe schnell und setzt sich zwischen die Jarah und ihrenEngel Raphael.200. — Josoe und Jarah im Gespräch[<strong>GEJ</strong>.02_200,01] Als Josoe sich bei ihr befindet, reicht er ihr die Hand und sagt:„Sei mir nicht gram, du liebste Jarah! Denn sieh, ich konnte es ja doch unmöglichwissen, daß du als ein Kind von etwa kaum fünfzehn Jahren eine größereWeisheit besitzest als alle Weisen der Erde, die vor uns gelebt haben; aberzugleich bitte ich dich denn nun auch, daß du mir recht vieles von deiner verborgenenWeisheit enthüllen möchtest!“[<strong>GEJ</strong>.02_200,02] Sagt die Jarah: „Und du mir von der deinigen; denn du weißtauch vieles, was mir noch sehr fremd sein dürfte!“[<strong>GEJ</strong>.02_200,03] Sagt Josoe: „Das wird sehr mager sein; denn mein Weisheitsgefäßscheint fürs erste sehr klein und fürs zweite obendrauf noch, gleich einemSiebe, total durchlöchert zu sein! Kurz, viel wird bei mir nicht herauskommen,weil eben nicht viel darin ist; somit fange nur du an! Ich bin auch wahrlichderart verlegen, daß ich nun im Ernste nicht wüßte, irgendwo etwas zu ergreifen,das sich schickete, hier darüber etwas zu sagen. Im Angesicht der höchsten,göttlichen Weisheit hat der Mensch schwer zu reden, – aber dafür desto leichterzu hören und zu schweigen. Aber du, holdeste Jarah, hast eine gute Brücke zurgöttlichen Weisheit; von der kannst du dir holen, wann und was du willst!Darum mache du nur den Anfang, und ich werde, wie gesagt, dich hören!“[<strong>GEJ</strong>.02_200,04] Sagt die Jarah: „Aber siehe, hoher Josoe, das würde sich ja garnicht schicken! Denn ein Mädchen darf doch nicht vorlaut sein!? Fragen kannstdu mich wohl, und ich werde dir antworten; und so ich dich frage, dann wirstauch du mir antworten!“[<strong>GEJ</strong>.02_200,05] Sagt Josoe: „Ja, ja, fragen wäre leicht, wenn man nur gleichwüßte, um was! Solange man noch ein ungebildetes Kind war, da freilich wardas Herz voll von allerlei Fragen; aber seit man selbst beinahe alle die Fragen in— 439 —


sich mehrfach beantwortet hat, ist eine neue Frage um vieles schwerer denn eineAntwort auf was immer für eine Frage. Darum möchte ich dich wohl bitten, daßdu eine Frage an mich tätest; denn du bist in vieles eingeweiht und kannst michdarum auch um vieles fragen.“[<strong>GEJ</strong>.02_200,06] Sagt die Jarah: „Nun, im Namen meines Herrn denn, weil dues durchaus nicht anders willst, so will ich dir gleich wohl eine Frage geben, unddu sage es mir, warum Gott der Herr als die höchste Liebe und Weisheit eszuläßt, daß besonders in dieser unserer Zeit namentlich die sogenannten DienerGottes und die privilegierten Ausspender des Wortes Gottes eben die gewissenlosestbösesten, hoffärtigsten und herrschsüchtigsten Menschen sind und ohnealles Gewissen die schändlichsten Taten, gewöhnlich im geheimen, ungestraftausüben. Warum haben sie keine Furcht vor Gott, dessen Macht und Herrlichkeitsie doch vor allen Menschen unter dem glänzendsten Zeremonienpompe mitüberlauter Stimme verkünden? – Siehe, das ist eine gar gewichtige Frage fürdiese unsere Zeit!“[<strong>GEJ</strong>.02_200,07] Sagt Josoe: „Ja, wichtig ist diese Frage sicher; aber aufmeinem Grunde ist darauf wahrlich keine Antwort zu finden, und du wirst dasdarum wohl selbst beantworten müssen!“[<strong>GEJ</strong>.02_200,08] Sagt Cyrenius: „Aber mein allerliebster Sohn Josoe, etwaswirst du ja doch wohl zu sagen wissen!? Wahrlich, dein immerwährendesEntschuldigen wird mir nun schon etwas langweilig! Wohl weiß ich es und habees nun erfahren, daß die lieblichste Jarah dir an Weisheit stark überlegen ist;aber gar so leer bist du meines Wissens ja dennoch auch nicht, daß du auf soeine Frage gar keine Antwort in dir finden solltest. Sage darum doch etwas!Fehlest du, – nun, so gibt es hier ja doch Weise zur Genüge um den Tisch, diedich auf den rechten Weg leiten können!“[<strong>GEJ</strong>.02_200,09] Sagt Josoe: „Lieber hoher Vater und Gebieter! Gebieten istleicht; aber das Gehorchen hat endlos viel Bitteres in sich, – besonders wennman, wie ich nun, gar nicht von ferne hin imstande ist, sich gehorsam erweisenzu können![<strong>GEJ</strong>.02_200,10] Denke dir die höchste Güte, Liebe und unbegrenzte WeisheitGottes einerseits, und denke dir anderseits die Greueltaten alle, die ungestraftzumeist von den sogenannten Gottesdienern sicher zu jeder Stunde des Tagesund der Nacht ausgeübt werden an der armen Menschheit! Halte dir diesekontroversen Verhältnisse so recht nahe ans Gesicht der Seele, und du wirst essicher samt mir nur zu klar empfinden, daß auf solch eine Frage eine gediegensteAntwort viel schwieriger ist, als zu bestimmen, was drei und abermalsdrei zusammen für eine Summe geben! Versuche es nur jemand anders, und erwird es hoffentlich nur zu bald innewerden, daß die von der Jarah gestellte Frageganz sicher keine Kleinigkeit ist!“[<strong>GEJ</strong>.02_200,11] Sagt Cyrenius: „Nun, nun, ich sehe es wohl ein, daß man einenhohen Grad von Weisheit besitzen muß, um die Frage der Jarah nur zu einigerGenüge beantworten zu können; aber sehr lieb wäre es mir auf jeden Fall,— 440 —


darüber ein genügendes Licht zu bekommen. Denn über diesen Punkt habe icheben schon am meisten nachgedacht, – aber auch noch nie irgendeinen nurhalbwegs vernünftigen Grund gefunden. Ich glaube, wenn denn außer unseremallerliebsten Herrn und Meister und der holdesten Jarah im Ernste die gegebeneFrage niemand sollte beantworten können, so werden wir denn alle uns an Dich,o Herr und Meister, wenden; Du wirst uns da sicher den rechten Grund aufdecken,wie Du – so mich mein Gedächtnis nicht täuscht – solches auch verheißenhattest.“[<strong>GEJ</strong>.02_200,12] Sage Ich: „Allerdings, so sich damit die Jarah nicht zurechtfindensollte; aber Ich meine, sie wird, wenn sie so recht aufmerksam ist, denNagel so ziemlich mit dem ersten Streich auf den Kopf treffen! Versuche es,liebste Jarah, und zeige, daß Ich dir in Genezareth nicht umsonst ein Gärtchenangelegt habe!“201. — Jarahs Beobachtungen in ihrem Gärtchen[<strong>GEJ</strong>.02_201,01] Als Jarah solches vernimmt, richtet sie sich ganz ordentlichwie ein Redner empor und sagt: „Gut denn! Das Gärtchen ist voller Segen vonoben, und ich will ja gerne meinen kindlichen Fleiß, den ich freilich nur erstwenige Tage an demselben verwendet habe, hier allen zum besten geben!Materiellen Gewinn hat mir das Gärtchen zwar noch wenig abgeworfen – wasaber für die sehr kurze Zeit seines Bestehens auch gar nicht zu verlangen wäre –;aber dessenungeachtet hat das Gärtchen mir schon einen desto größeren geistigenGewinn abgeworfen![<strong>GEJ</strong>.02_201,02] Ja, das Gärtchen ist für mich ein rechtes Buch der tiefstenWeisheit, und ich habe daraus in wenigen Tagen schon bei weitem mehr gelernt,als was mir Salomo in aller seiner Weisheit hätte eröffnen können; und so istdenn auch die Antwort auf meine ehedem dem Josoe gegebene Frage in ebendem Gärtchen schon vor ein paar Tagen glänzend zum Vorschein gekommenund ist nun mein volles, vom Herrn Selbst mir eingeräumtes Eigentum! Dennwäre die volle Antwort nicht in mir, – wahrlich, nie hätte ich solch eine Fragegegeben auf ein blindes Glück hin, daß sie vielleicht jemand anders beantworteauch für mein Verständnis![<strong>GEJ</strong>.02_201,03] Oh, ich habe die sicher volle Antwort in mir, und diese giltnicht nur für jetzt, sondern sie wird gelten für alle Zeiten, solange es irgendGottes Wort und mit demselben sich am meisten beschäftigende Priesterschaftenauf dieser lieben Mutter Erde geben wird! Das aber ist die volle Antwort auf dievon mir dem lieben Josoe gegebene Frage:[<strong>GEJ</strong>.02_201,04] Ich legte zu Hause verschiedene edle und gute Fruchtsamenins fette Erdreich meines Gärtchens. Einige davon keimten schon am nächstenTage, und am zweiten Tage waren die Triebe schon bei vier Finger hoch überdem Erdboden.[<strong>GEJ</strong>.02_201,05] Ein Mädchen, und ganz besonders ich, ist immer sehr neugie-— 441 —


ig, und so trieb mich meine unersättliche Neugierde, bei wenigstens einigenstark aufkeimenden Samen zu sehen, was denn so ganz eigentlich am Ende ausden Samenkörnern wird, wenn aus denselben schon so recht starke Triebe überdem Erdboden zum Vorscheine kommen. Ich grub darum einige aus und besahmir die Sache so recht genau und aufmerksam. Und seht – wie man auf römischzu sagen pflegt: Sapienti pauca sufficiunt! (Dem Weisen genügt wenig!) –, ichfand das Samenkorn verwest und das es umgebende Erdreich mit einem Moderschimmelgemengt! Aus diesem Grabe sproßte das zarte Pflänzchen, und vomSamenkorne war, wie gesagt, nichts mehr übrig als etwa ein bißchen von deräußeren, das Samenkorn von außen umgebenden und schützenden harten undsomit schwerer unverweslichen Schote.[<strong>GEJ</strong>.02_201,06] Neben dieser sehr denkwürdigen Erscheinung aber fand ichauch, wie leider mehrere Samenkörner ohne Keim ganz von dem Moderschimmelaufgezehrt waren, und es fand sich da durchaus nichts vor, woraus irgendeinFruchtkeim hätte hervorwachsen sollen oder können; wohl aber entging esmeinen scharfen Augen nicht, wie sich eben über solchen ganz verwestenSamenkörnern ganz kleine und zarte Pflänzchen aus dem Boden keimendzeigten, die mit den guten und edlen Keimen nicht die leiseste Ähnlichkeithatten. Aha, dachte ich mir, da hast du es! Diese falschen Keime sind sicherauch ein Produkt aus den guten, ins fette Erdreich gelegten Samenkörnern; aberdas hungrige Erdreich hat sich bloß damit gesättigt und ließ nicht zu, daß daemporkeimte der rechte, gute Keim. Aber was hilft es ihm an Ende? An derStelle des einen edlen Keimes schießen dreißig unedle empor und entziehen demBoden vielleicht am Ende bei hundertmal mehr des fetten Nährstoffes, als diesdas eine gute Pflänzchen getan hätte; denn alles, was gut und edel ist, das istauch vollgenügsam in jeder Hinsicht, sei es, was es wolle.[<strong>GEJ</strong>.02_201,07] Das Gold braucht nicht wie das Blei ewig geputzt zu werden,um zu glänzen; man putzt es einmal ordentlich, und es glänzt dann Jahrhundertehindurch. Eine Rebe wächst fruchtbringend auf dem schlechtesten Boden; aberdie Disteln und Dornen suchen gewöhnlich das beste Erdreich aus. Die gutenund edlen Haustiere sind selten gefräßig, während ein Wolf, eine Hyäne unddergleichen Bestien mehr gleich Tag und Nacht in einem fort fressen möchten.Also ist auch der wahrhaft edle und gute Mensch genügsam, während der arge,finstere Weltmensch an nichts ein Genüge hat. Man gebe ihm hunderttausendPfunde Goldes, und er wird darauf sicher sein sehnlichstes Verlangen haben,sobald als möglich noch einmal soviel zu bekommen, und es wird ihm sehreinerlei sein, ob die andern Menschen auch alle verhungern aus Armut! Eserzeugt aber stets ein Geiz den andern![<strong>GEJ</strong>.02_201,08] Seht, das Erdreich meines Gärtchens war also teilweise unedelund geizig und wollte sich mästen mit meinen edlen Samenkörnern, die ich indasselbe gelegt habe! Was aber ist die bittere Folge? Seht, es muß darauf stattdes einen edlen, genügsamen Pflänzchens hundert gefräßige, unedle ernähren![<strong>GEJ</strong>.02_201,09] Und seht, wie es dem dummen, geizigen und selbstsüchtigen— 442 —


Erdreiche ergeht, so ergeht es auch den Menschen auf der Erde, die sich hierschon einen Himmel voll der seligsten Genüsse haben schaffen wollen! Siemüssen am Ende allen ihren mühevoll gesammelten Vorrat dennoch fahrenlassen,und hundert andere vergeuden ihn dann auf eine oft sehr liederliche Weise.– Das ist nun ein Vorbild zu meiner kommenden vollen Antwort auf meineFrage. Fasset dieses Bild so recht tief in euer Gemüt, und ihr werdet die Antwortbeinahe von selbst finden!“ – Hier denken alle darüber nach und können nichtgenug staunen über des Mädchens große Weisheit.202. — Anwendung des Entsprechungsbildes der Jarah[<strong>GEJ</strong>.02_202,01] Das Mädchen aber wendet sich unterdessen an Josoe und fragtihn überaus liebfreundlich, sagend: „Und dir, mein liebevoller, hoher Nachbar,fällt auch noch kein rechtes Licht in dein Herz?“[<strong>GEJ</strong>.02_202,02] Sagt Josoe: „Holdeste und wunderbar weiseste Jarah! Mir istes wohl, als sähe ich etwas wie durch ein vors Gesicht gehaltenes Tuch; abervon irgendeiner Klarheit ist da noch lange keine Rede. Darum fahre du nur fort,die Sache aufzuhellen; denn an mir hast du sicher deinen alleraufmerksamstenZuhörer! Die Sache ist zu wichtig, als daß man da auch nur ein Wort unbeachtetlassen könnte; und das scheinen auch alle am Tische und alle unsern TischUmstehenden tiefst zu fühlen, darum sie sichtlich nach der Fortsetzung ängstlichgieren. Fange du darum nur wieder an, deine Antwort bis ans Endefortzusetzen!“[<strong>GEJ</strong>.02_202,03] Nach diesen Worten fängt die Jarah abermals an, ihreAntwortrede weiterzuführen und sagt: „So ihr das vorangeschickte Naturbild,das ich als erste geistige Ernte meines Gärtchens vor euch hingestellt habe, einwenig nur überdacht habt, so dürfte euch das nun Nachfolgende gar leicht undganz helle einleuchtend werden. Habet darum recht wohl acht, und höret undsehet![<strong>GEJ</strong>.02_202,04] Die Menschen dieser Erde sind, geistig genommen, gleichdem Erdreich meines Gärtchens, und das Wort Gottes, das zuerst durch dieUrväter, von Adam angefangen, und später durch die Patriarchen und durch dievon Gott Selbst geweckten Propheten unter die Menschen aus den Himmelnkam, ist wieder gleich den edlen und guten Samenkörnern, die ich ins Erdreichmeines Gärtchens legte. Wie aber kein Samenkorn alsogleich, wie es insErdreich gelegt wird, schon zur neuen, vervielfältigten, reifen Frucht wird,ebenalso ist dies auch mit dem Worte Gottes der Fall.[<strong>GEJ</strong>.02_202,05] So das Wort Gottes durch die Anhörung desselben in dasGemüt des Menschen kommt, so muß es durch die Taten, welche gleich sind derbelebenden Nährkraft des Erdbodens, – und zwar, wie im Gottesworte angeordnet,gegen unsere Brüder und Schwestern hin – belebt und dadurch zum rechtenErkeimen, zum Zwecke der wahren und vollkräftigen Frucht des geistigenLebens in Gott, zur segensreichen und dadurch vollreifen Frucht werden! Wenn— 443 —


aber Menschen – darunter zunächst diejenigen zu verstehen sind, die das Wortzuerst aufnehmen, als Propheten und Priester, um, so es in ihnen zur Reifekäme, dasselbe dann in der vollsten Echtheit weiter auszusäen auf dem großenAcker aller Menschen dieser Erde für alle Zeiten der Zeiten – gleich dem Erdreiche,das das edle Samenkorn selbst verzehrt, um sich daran zu mästen, selbesnur für sich als ein Mittel verwenden, durch das sie allein fett zu werden hoffen,so ist es dann ja gar nicht etwas zu unnatürlich Wunderbares, wenn auf demAcker der sogestaltig offenbar falschen Propheten und Priester für den großenAcker der Laienmenschheit am Ende nichts als böses Unkraut, Dornen undDisteln erkeimen und zur argen Reife gelangen![<strong>GEJ</strong>.02_202,06] Obschon es aber also geschieht, so ist das im Allgemeinen wieim Sonderheitlichen dennoch nicht wider die göttliche Ordnung und wider diegöttliche Weisheit; denn sehet, wenn die edle Frucht reif wird, so wird allesStroh und alle Frucht gesammelt und in die Scheunen gebracht, das Unkrautaber bleibt auf dem Felde und düngt unwillkürlich das Erdreich, das dadurch füreine nächste Aussaat kräftig wird und voll Gier, bald eine neue edle Fruchtsaatin sich aufzunehmen und sie zu beleben.[<strong>GEJ</strong>.02_202,07] Also ist es denn auch in der Tat mit uns Menschen. Wären wirschon von jeher gesättigt mit der reinsten Wahrheit, wie sie kommt aus demMunde Gottes, wahrlich, so würde uns wenig gelüsten nach einer ferneren,neuen Wahrheit![<strong>GEJ</strong>.02_202,08] Gott der Herr aber sieht solches zum voraus und läßt es darumzu, daß die stumpfgewordene Menschheit eine Zeitlang mit Schweinefutterbedient wird, und daß ihr Erdreich durchs Unkraut recht nährkräftig wird; darauferst schmeckt dann der in der Nacht nach Licht schmachtenden Menschheit diereine und edle Frucht des reinen Wortes Gottes, wie das nun soeben bei undunter uns der handgreifliche und der allerseligste Fall ist.“203. — Der Materialismus und seine Vertreter[<strong>GEJ</strong>.02_203,01] (Jarah:) „Wahrlich, es geschehen unerhörte Greuel auf sicherallzeitige Veranlassung der sogenannten Diener Gottes! Aber die Menschen, diedavon sichere Kunde erhalten und doch selbst auch in der Gottesschrift nichtunkundig sind, fragen dann nach und nach untereinander sich denn doch, unddas von Tag zu Tag mehr: ,Was soll das? Was ist Gottes Wort? Kann das GottesWille aus dem Sinne Seines Wortes sein, daß die Verkünder des Gotteswortes,Seines Liebewillens, Seiner Gnade, Seiner Sanftmut und Seines Friedens zulauter allerhabgierigsten, herrschsüchtigsten, selbstsüchtigsten, lieblosesten undfrechsten Teufeln an ihren Nebenmenschen werden?‘[<strong>GEJ</strong>.02_203,02] Und sehet, solche Fragen sind gut; denn sie sind die erstenTriebfedern, durch die die Menschheit zur wahren Selbsttätigkeit gelangt, ohnedie sie je weder aus einer guten und noch weniger aus einer argen, gewisserarthöllischen Nötigung in die wahre geistige Freiheit übergehen kann, ohne die es— 444 —


für die Seele und ihren Geist kein ewiges Leben gibt.[<strong>GEJ</strong>.02_203,03] Es ist wahr, man wird bei der Betrachtung über das Treibender Priesterschaften oft von gerechtem Ärger zerrissen und nahezu ganz aufgelöst,und man möchte oft aus vollem Halse schreien: ,Herr! Hast Du denn keineBlitze, keinen Hagel, keinen Schwefel und kein Pech mehr, um diese Menschentigerzu züchtigen mit der äußersten Schärfe Deines göttlichen Zornes?‘ Aber daspricht eine sanfte Stimme aus dem Innersten des Herzens und sagt: ,Sei klugund weise, und siehe, wohin du trittst? Siehst du am Wege eine Natter lauern, soweiche ihr aus; denn der ganze Erdboden ist noch lange nicht mit lauter Natternbedeckt!‘[<strong>GEJ</strong>.02_203,04] Es muß ja auch die Nacht sein, so gut wie der Tag, damit derMensch den Wert des Lichts erkenne. Am Tage hat wohl kein Mensch irgendeinBedürfnis nach einem Lampenlichte; kommt aber die Nacht, dann fühlt ein jederMensch ganz schmerzlich den Mangel des Lichtes und zündet, so gut er eshaben kann, sich irgendein Licht an, und ein schwacher Schimmer schon machtihm freundlicher seine Kammer als der oft gänzliche Lichtmangel.[<strong>GEJ</strong>.02_203,05] Sehet, wenn der Herr die Menschen dieser Erde so recht mitallerlei irdischen Gütern versieht, da werden sie bald übermütig und fangen an,zu sehr für ihren Leib zu sorgen, und ihre Seele, in der der göttliche Geistwohnt, wird dann bald, gleich wie das edle Samenkorn von dem dasselbeumgebenden zu sättigungsgierigen Erdreich, aufgezehrt, statt daß sie zur Erkeimungdes göttlichen Geistes in ihr zum ewigen Leben aus dem Leibe dieStärkung bekäme in gerechtem Maße, wie solche von Gott verordnet ist, und zuwelchem Endzwecke Gott der Seele denn auch so ganz eigentlich den Leibgegeben hat. Wo aber die Seele dann von ihrem Leibe aufgezehrt ist, dortkommen dann aber natürlich statt der edlen Früchte auch nur Dornen, Distelnund allerlei anderes böses Unkraut zum Vorscheine, von denen man dannwahrlich keine Trauben und keine Feigen ernten kann![<strong>GEJ</strong>.02_203,06] Ein solcher Mensch ist aber dann geistig auch so gut wie tot!Er weiß nichts mehr von dem, was irgend des Geistes ist. Er leugnet allesGeistige und vermaterialisiert alles. Außer der groben Materie gibt es für solcheinen Menschen nichts mehr; sein Bauch und seine sinnlichste Haut sind seinezwei alleinigen Gottheiten, denen er Tag und Nacht bereit ist, jegliches Opfer zubringen. Für solche Menschen gibt es dann keinen Gott mehr, und wenn endlichsolche Menschen, wie es nun leider nur zu sehr der Fall ist, gar noch Priesterund Gottesdiener werden, da wird man doch hoffentlich nicht lange zu fragenbrauchen und sagen: ,Warum sind denn diese puren Knechte des Fleisches, fürdie im Grunde des Grundes Seele, Geist, Gott und Seine Himmel nichts alsveraltete, poetisch phantastische Redebilder sind, Priester und Gottesdienergeworden?‘ Man sehe nur ihre überdicken Bäuche an, und man hat auch dievollste Antwort lebendig vor sich![<strong>GEJ</strong>.02_203,07] Solchen Ausspendern des Wortes Gottes ist es dann wohlfreilich einerlei, ob sie ihre ihnen anvertrauten Gemeinden mit Brot aus den— 445 —


Himmeln oder mit Unflat aus den ekelerregendsten Pfützen sättigen; wenn siedafür nur ganz majestätisch gut bezahlt werden! Es darf uns aber eben darumauch gar nicht zu sehr wundernehmen, wenn wir von seiten des Tempels nichtselten Dinge vernehmen, vor denen wir nicht selten vor Entsetzen beinahe ganzstarr und steif werden.[<strong>GEJ</strong>.02_203,08] Hat der pure Leibmensch es einmal dahin gebracht, daß er vonder Würde, ein Mensch zu sein, kaum mehr fühlt als ein Pilz des Waldes, derirgendeinem Erdmoder entwuchs, – was edler Menschliches soll man da dannvon solch einem Modermenschen erwarten? Man lasse ihn wie eine ekligeNatter am Wege kauern und züngeln und suche sich irgendeine natterlose Stelleauf der weiten Mutter Erde. Denn der Herr ist mit jedem, der Ihn wahrhaft sucht,und verläßt den nimmer, der sich in seinem Elend an Ihn wendet![<strong>GEJ</strong>.02_203,09] Wir alle, die wir an den Ufern unseres Binnenmeeres wohnen,waren schon lange ein Spielzeug des Tempels. Man verschonte Judäa soviel alsmöglich; aber dafür mußten wir Galiläer den Templern schon seit langem alsbarste Sündenböcke einerseits und anderseits als Melkkühe dienen, – aber dafürhaben, wir das Gute, daß uns viel früher das herrlichste Licht in allem und überalles aufgegangen ist, während sich Judäa noch in der tiefsten Nacht befindet.[<strong>GEJ</strong>.02_203,10] Wir verspürten zuerst die überaus selbstsüchtige Gefräßigkeitder Tempelerde, worunter ich natürlich die Priesterschaft verstehe, und machtenuns soviel als möglich frei von ihnen. Und wir, als auch ein edles Gotteskorn,vergeudeten unsere innere Lebenskeimkraft nicht zur Füllung des großenTempelbauches, sondern wir kehrten uns nach der in uns selbst stets mehrerkannten Gottesordnung und stehen darum nun schon als vielfach gesegneteFrucht frei auf dem großen, schönen Acker Gottes. Die Judäer, Mesopotamierund die gen Mittag Wohnenden aber werden noch lange nicht dahin gebrachtwerden, daß sie einsehen, wie sie vom Tempel aus nun die festweg betrogenstenNarren sind![<strong>GEJ</strong>.02_203,11] In dieser meiner so ziemlich gedehnten Antwort auf meineFrage wird hoffentlich sicher ein jeder von den hier anwesenden Gästen erkennen,daß das Mädchen aus Genezareth schon recht gut weiß, was sie aus denFügungen und Zulassungen Gottes zu machen hat! Du, o Herr, aber vergib esmir gnädigst, daß ich vor Dir und dazu an Deiner heiligsten Seite gar so langeund gar viel, mitunter vielleicht auch unnützes Zeug, geplaudert habe! Ich wollteaber dadurch ja durchaus nicht die Stärke meiner Erkenntnis zeigen, sondern,weil sich denn die Gelegenheit also ergab, alles nur so herauszusagen, wie esmir ganz getreu und wahr ums Herz war!“204. — Josoe und Jarah über Judas[<strong>GEJ</strong>.02_204,01] Sage Ich: „Liebste Tochter Meines Herzens, Ich sage es dir:Nicht ein Wort zuviel oder zuwenig hast du gesprochen! Darum aber sage Ich esauch euch allen und rate es euch, alles, was dies Mädchen nun geredet hat, zu— 446 —


ehalten, es wohl zu beachten und danach zu handeln. Will aber jemand irgendeineGegenbemerkung machen, so erhebe er sich und rede!“[<strong>GEJ</strong>.02_204,02] Auf diese Meine Aufforderung kam unser Judas Ischariot zumVorschein und sagte: „Mit gar allem bin ich nicht einverstanden, obschon ichsonst dieses Mädchens Weisheit tiefst bewundere; denn es spricht ja wie einbestens geschriebenes Buch.“ – Darauf schwieg er.[<strong>GEJ</strong>.02_204,03] Der Knabe Josoe aber fuhr ihn förmlich an und sagte: „O dufürchterlich unsinniger und über alle Maßen dummer Mensch! Hast du dennnicht vernommen, welches Zeugnis der Herr Selbst der holdesten Jarah gegebenhat, und du willst nicht mit allen Punkten ihrer Antwortrede einverstanden sein?Oh, so fahre denn heraus mit deiner unbefriedigten, übergroßen Dummheit, undwir werden es sehen, von welchem Unflate sie erfüllt ist! Da öffne deinedümmsten Augen, du alter Ochse, und sieh, hier neben mir sitzt ein Gottesengelaus der Himmel höchstem; sein Wesen ist pur Licht. Hier ersiehst du die junge,weise Rednerin aus dem Herzen Gottes und neben ihr hoffentlich den HerrnSelbst, dessen Geist Himmel und Erde und alles, was da ist, erschuf, und duwillst dennoch über das Zeugnis Gottes hinaus mit etwas in der Rede der holdestenJarah nicht ganz einverstanden sein?! Sage mir, wer du bist, daß du nun garso unverschämt mit Gott rechten willst!“[<strong>GEJ</strong>.02_204,04] Diese sehr energischen Worte des Josoe machten den Judassehr schüchtern, und er zog sich sogleich wieder zurück und setzte sich ganzruhig auf seine Bank; denn es hatte ihn eine große Furcht vor dem gewisserartnun Sohne des hohen Cyrenius ergriffen, und er rührte sich nicht auf seinemSitze.[<strong>GEJ</strong>.02_204,05] Josoe aber redete weiter und sprach: „Ist das nicht einer derHauptjünger? Mir kommt sein Gesicht bekannt vor, ich habe ihn in Nazarethgesehen! Ja, ja, er ist es, und zwar derselbe, der schon in Nazareth immergehadert hat, so ich mich nicht irre, mit einem gewissen Jünger Thomas!“[<strong>GEJ</strong>.02_204,06] Sagt Jarah: „Laß das, hoher Josoe! Siehe, hätte jener Jüngereine so leichte Auffassungsfähigkeit wie du und, dem Herrn allein alles Lob,auch ich, so würde er, gleich den andern seiner Brüder und Gefährten, schweigenund in seinem Herzen darüber sehr nachdenken; dieweil er aber sicher einsehr hartes Herz besitzt, so faßt er jegliche höher und tiefer liegende Wahrheitschwer! Und nimmt er auch etwas an, so kann er es nicht durchgängig unterbringen,weil in seinem zusammengeschrumpften Herzen etwas göttlich Großes undErhabenes nimmer völlig Platz haben kann! Darum laß du den Menschen undkümmere dich seiner nimmer!“[<strong>GEJ</strong>.02_204,07] Sagt Josoe: „Hast abermals wieder vollkommen recht! Aberweißt du, so eine kleine Zurechtweisung schadet ihm übrigens sicher nicht imgeringsten; denn ich weiß es, daß dieser Mensch im hohen Grade vorlaut ist. Ermöchte stets so ein Erster unter seinen Gefährten sein, und es sollen sich alle beiihm Rat holen. Das geschieht natürlich nie, weil die andern bei weitem weiserund vollverständiger sind denn er, und das ärgert ihn heimlich, und er ist darum— 447 —


so nebenher stets etwas kleinweg rachsüchtig, was ihm aber nichts nützt; denn erwird, wie nun besonders von dem Jünger Thomas, der ein recht weiser Mann ist,auf eine eben nicht zu sanfte Weise zurechtgewiesen!“[<strong>GEJ</strong>.02_204,08] Sagt die Jarah: „Ja, ja, du denkst ganz richtig und gerecht;denn ich erinnere mich nun auch so einer kleinen Haderei in Genezareth! DerHerr weiß es sicher besser denn wir beide, warum Er diesen Jünger in SeinerGesellschaft duldet; ich hätte ihm schon lange den Weg gewiesen! Der Menschhat für mich etwas ganz besonders Abstoßendes, und ich möchte nicht vieldarum setzen, ob durch ihn nicht einmal die ganze Gesellschaft in sehr großeUngelegenheiten gelangen wird; denn ich traue solchen Menschen nie, diejemandem, der mit ihnen spricht, nicht ins Auge zu schauen vermögen! Siescheinen sich stets zu fürchten, als könnte ihr unstetes Auge einen Verräter ihresbösen Herzens machen. Und diese üble, mir durchaus nicht gefallen könnendeEigenschaft besitzt eben jener Jünger! Nun, aber der Herr duldet ihn dennochund muß dafür sicher irgendeinen weisesten Grund haben!“[<strong>GEJ</strong>.02_204,09] Sage Ich zu Jarah: „Meine Tochter! Siehe, du selbst hast jaeben vorher in deiner Rede den Grund recht überaus herrlich dargestellt, ausdem für jedermann überklar hervorgeht, warum von Mir aus neben dem Weizenauch das Unkraut geduldet wird. Und siehe, der ist auch so ein Stück Unkrautauf Meinem guten Acker; wenn aber der gute Weizen gesammelt wird in MeineScheuern, da wird er als Unkraut auf dem Felde stehenbleiben und verbranntwerden zur Düngung des schweren Bodens und zur Leichtermachung desselben![<strong>GEJ</strong>.02_204,10] Es muß zwar der Boden locker sein, wenn im selben die edleFrucht gut gedeihen soll, – aber, weißt du, zu locker darf er wohl auch nichtsein; denn in einem zu lockeren Boden können die Wurzeln keinen irgend festenGrund erreichen. Kommen dann Hitze und darauf wie gewöhnlich großeStürme, da verdorren dann gerne die Wurzeln samt dem Fruchtstengel. Undkommt darauf ein Sturm, so werden solche Fruchtstengel leicht entwurzelt,verdorren dann auf dem Felde und bringen keine Frucht! Darum braucht dieZucht des Gotteskindes stets einen mehr schweren denn lockeren Grund undBoden; und dieweil also, muß man sich's denn schon gefallen lassen, so sichirgend neben dem Weizen aus dem schweren Boden auch ein Unkraut zeigt!Denn es wird nicht gesammelt für eine Ernte, sondern es bleibt zur Düngung desBodens, auf daß eine nächste Aussaat zu einer noch reichlicheren Ernte gereiftwerde, als das bis jetzt der Fall war. – Hast du Mich verstanden?“205. — Verschiedene Völker bedürfen einer verschiedenen Führung[<strong>GEJ</strong>.02_205,01] Sagt die Jarah: „O ja, Herr, Du meine alleinige Liebe, wahreKinder bedürfen einer festeren Erziehung denn die Kinder der Sklaven; denn dieKinder des Hauses werden nach ihren Eltern, oder auch mit ihnen für dasgesamte Hauswesen zu sorgen habend, erzogen, während die Kinder derSklaven nur so viel zu wissen brauchen, als ihr stets gleicher und höchst einförmigerDienst erfordert! Freilich wäre da noch sehr zu fragen, warum Gott der— 448 —


Herr es zuläßt, daß auf dieser Erde ein Mensch dem andern als ein allzeitelender Sklave dienen muß und der Herr des Sklaven sogar vom Kaiser aus dieMacht über sein Leben und über seinen Tod hat.“[<strong>GEJ</strong>.02_205,02] Sage Ich: „Ja, meine liebste Tochter, um das zu erörtern in derFülle, würde uns alle viel zu weit führen; aber ein paar Gleichnisse will Ich dirund dadurch auch all den andern darüber geben. Wer sie fassen wird, dem wirdnebst dem noch so manches klar werden; und darum merket und horchet wohlauf Mich:[<strong>GEJ</strong>.02_205,03] Man hat verschiedene Getreidearten, als den glatten und bärtigenWeizen, die zweizeilige und vierzeilige Gerste, das hohe Korn, den Hafer,den großen Maisweizen; dann hat man die Linsen, die Wicken und verschiedeneGattungen von Bohnen; und sehet, diese verschiedenen Gattungen brauchenauch stets einen verschiedenen Boden, ohne den sie gar nicht gedeihen würden.Eine Getreideart braucht einen festen Lehmboden, die andere auch einenLehmboden, der aber stets gut gedüngt sein muß, ansonst aus dem Getreidenichts wird. Wieder braucht eine andere Getreideart einen lockeren und steinigen,und eine andere einen sandigen Boden. Manche Getreideart benötigt einenfeuchten und wieder eine andere einen trockenen Boden. Das alles lehrt dieMenschen die Erfahrung.[<strong>GEJ</strong>.02_205,04] Gleichermaßen brauchen verschiedene Menschen auch eineverschiedene Erziehung, je nachdem ihre Herzen und Seelen vorderhandbeschaffen sind. Wie es sich aber mit einzelnen Menschen als Kinder oft ein unddesselben Vaters verhält, also verhält es sich auch mit ganzen Gemeinden undmit ganzen, großen Volksstämmen. Da ist ein Volksstamm, der braucht eineweiche, also mehr lockere Behandlung, und er gedeiht zum großen Segen deranderen Völker der Erde. Ein anderer Volksstamm braucht wieder eine harteBehandlung, ansonst er bald ausarten und verkümmern würde zum Fluche derNachbarvölker. Wieder hat ein Volksstamm eine entschiedene Neigung zumTyrannisieren und zum Herrschen über seine Nebenmenschen. Für die Seelensolcher Menschen ist dann nichts besser, als daß sie auf viele Jahre in einerechte Sklaverei verfallen, da sie so recht durch und durch gedemütigt werden.Haben sie sich in der Demütigung wohl zurechtgefunden, und ertragen sie ihrLos endlich mit aller Geduld und ohne Murren, dann werden sie wieder zufreien Bürgern der Erde und werden nun als eine veredelte Frucht auf dembesten und fettesten Boden sicher bald überaus üppig fortkommen.[<strong>GEJ</strong>.02_205,05] Sehet, das ist nun ein Bild, das eben für euch alle ganz leichtzu begreifen sein sollte, indem ihr doch schon so manches begriffen habt![<strong>GEJ</strong>.02_205,06] Um aber diese recht sehr wichtige Sache noch anschaulicherzu machen, so stelle Ich euch die Teile des menschlichen Leibes dar, von denenauch ein jedes Glied einer anderen Form, darum einer anderen Behandlung und,so es krank ist, natürlich auch eines anderen Heilmittels bedarf, damit es genese.So jemand einen Schmerz im Auge fühlt, muß er dagegen sicher ein ganzanderes Mittel gebrauchen als gegen den Schmerz in einem oder dem andern— 449 —


Fuße. Wer da ein Leiden im Bauche hat, muß es anders behandeln, als hätte ereines in einer oder der andern Hand, und so muß bei den Krankheiten des Leibesauch darauf gesehen werden, ob sie junge, oder alte und hartnäckige Übel sind.Ein junges Übel läßt sich oft mit einem leichten Mittel beheben, während einaltes einer starken Medizin nahezu auf Leben und Tod benötigt, um aus demLeibe geschafft zu werden. Die Menschen aber entsprechen mit ihren Seelenimmer auch den einzelnen Gliedern ihres Leibes. Je nachdem dann irgendeineSeele mehr einem edleren oder unedleren Gliede ihres Leibes entspricht, destomehr muß sie auch entsprechend also behandelt werden wie das einzelne Glied,dem sie entspricht.[<strong>GEJ</strong>.02_205,07] Aus diesem Bilde sind dann auch wieder die verschiedenenVerhältnisse der Menschen bezüglich ihrer seelisch-sittlichen Sphäre ebensoverschieden zu behandeln wie ihre einzelnen Glieder, denen sie in ihrer seelischsittlichenSphäre entsprechen. Ein gar schlechter Zahn im Munde muß am Ende,wenn alle anderen Mittel nichts helfen, ausgerissen und vertilgt werden, damit erdie gesunden Zähne nicht anstecke; ebenso ein unverbesserlicher böser Menschaus einer Gemeinde, auf daß nicht die ganze Gemeinde durch ihn verdorbenwerde. Ebenso muß oft ein ganzes Volk, wenn schon nicht physisch, so dochmoralisch vertilgt werden, auf daß am Ende nicht alle Völker der Erde durchdasselbe verdorben werden.[<strong>GEJ</strong>.02_205,08] Sehet nach in der Chronika, und ihr werdet es finden, welchein großes Volk einst die Babylonier, die Niniviten, die Meder, die Perser, dieÄgypter, die alten Griechen und vor ihnen die Phönizier und die Trojanerwaren! Wo sind alle diese Völker nun? Wo sind die Gomorriten und dieSodomiten und wo die Völker der zehn Städte? Ja, physisch bestehen sie wohlnoch in ihren verwahrlosten Nachkommen, die aber nirgends mehr einen Namenhaben und auch nie wieder unter dem alten Namen zu irgendeinem Volke dieserErde werden; denn es ist kaum etwas noch irgend Schlechteres denn ein alterName, an dem viel eitler, nichtssagender Ruhm klebt. Solcherart Menschen oderVölker halten sich am Ende eines solchen uraltberühmten Namens wegen fürvieles besser und ehrwürdiger als irgendeine junge Völkerschaft, die durchSanftmut, Demut und Liebe gegen ihre Brüder sich im vor Gott gerechtestenund somit seelisch gesündesten Zustande befindet.[<strong>GEJ</strong>.02_205,09] Wenn ihr das nun so nur mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet,so werdet ihr es bald finden, wie gut und gerecht der Vater im Himmel ist!Denn diese Erde hat einmal die feste Bestimmung, daß auf ihr für die ganzeUnendlichkeit Kinder des Geistes Gottes erzogen werden, und es ist darumnötig, daß der Boden stets mehr hart und mager als zu locker und zu fett gehaltenwird.[<strong>GEJ</strong>.02_205,10] Das mit dem edlen Getreide aufschießende Unkraut hindertdarum, weil es mit wächst und reift, das gesegnete Gedeihen der edlen Fruchtnicht, dieweil es nachderhand dennoch wieder zum Düngen des hie und da zuhart und mager gewordenen Erdreichs gar sehr dienlich ist. Kurz und gut: Was— 450 —


Gott zuläßt, ist gut, und am Ende ist dem vollends reinen Menschen dennochalles rein, was die Erde in und auf sich und über sich trägt. – Saget, ob ihr alledies nun von Mir Gesagte ganz verstanden habt!“[<strong>GEJ</strong>.02_205,11] Sagt Cyrenius: „Herr, wer aber sollte Dich da auch nichtverstanden haben? Das ist ja alles sonnenhelle!“[<strong>GEJ</strong>.02_205,12] Sage Ich: „Gut denn, und so soll uns Josoe darüber einesichere Ansicht geben!“206. — Josoes Entschuldigungsrede[<strong>GEJ</strong>.02_206,01] Sagt Josoe: „O Herr, meine Ansicht darüber wird wahrlichsehr unsicher ausfallen! Ich verstehe es wohl so im ganzen, was damit gesagtwerden will, und ich kann von mir nicht geradehin behaupten, als hätte ichsolches nicht klar genug verstanden; aber darüber eine gewisse sonnenhelleReflexion zu machen, dazu fühle ich mich viel zu schwach. Daher wäre es schonwieder gut, so mich auch noch hier meine allerholdeste Jarah vertreten möchte.Denn so ich auch, mir vorkommend, noch so weise rede, da ist aber dennochirgend etwas am Ende da, dem sehr widersprochen werden kann! Und so ist esmir denn wohl um vieles lieber, zuzuhören, als selbst zu reden. Ah, so jemandetwas vorbrächte, das da nur im geringsten falsch und unrichtig wäre, dannwerde ich schon lebendigerer Zunge werden; aber zur Entwicklung der übermeinen Erkenntnishorizont zu hoch liegenden Wahrheiten fühle ich mich nochlangehin zu schwach, – und so bleibe ich schön fein und ganz bescheiden stille,laß gerne die Weiseren für mich reden und horche als ein stiller Bewunderer zu,wie einem weisen Gemüte hohe Worte ebenso leuchtend entströmen wie derMorgensonne ihre Lichtstrahlen. Zudem finde ich es, wenigstens für mich, ganzüberflüssig, über etwas ohnehin schon Sonnenhelles noch weitere Reflexionenzu machen. Wer wohl wird am hellsten Mittage noch irgendeine Lampe anzünden,um das Licht der Sonne dadurch zu unterstützen? Wer aber an den hellstenLichtworten, die nun aus Deinem heiligen Munde geflossen sind, noch irgendeinenZweifel haben kann, nun, der melde sich, und man wird ihn anstandslos aufdie richtige Fährte führen![<strong>GEJ</strong>.02_206,02] Wohl weiß ich es, daß man Dir, o Herr, sozusagen blindlingsgehorchen soll, so Du von jemandem etwas willst; aber hier muß ich mich, undzwar infolge der rechten Demut meines Herzens, als ungehorsam erweisen!Denn gar leicht könnte Dein Verlangen, o Herr, für mich auch eine Art Prüfungsein, ob ich mich von meinem angeborenen, mich selbst oft überschätzendenSelbstgefühle werde so weit hinreißen lassen und gleich mit meiner nochobendrauf sehr schlecht bestellten Nachtlampe herausfahren werde, um dieSonne damit etwa doch noch heller zu machen, als sie ist! Aber da sagt mirglücklicherweise mein ruhiges Herz: ,Eitler Knabe, nimm dich in acht, der Herrprüft dich! Siehe, daß du in der Gnade bestehst vor Ihm!‘ Vernehme ich aber soetwas, oh, da kenne ich mich dann aber auch sogleich aus und bleibe aufmeinem bescheidenen Platze! – Habe ich recht oder nicht, mich also durchgän-— 451 —


gig zu verhalten?“[<strong>GEJ</strong>.02_206,03] Sage Ich: „Mein lieber Josoe, recht und dennoch nicht ganzrecht; denn, wenn Ich von dir etwas verlange, so weiß Ich es sicher warum! Undwillst du dein Heil vollends in allem gefördert wissen, so mußt du Mir Folgeleisten in allen Dingen, sei es, was es wolle. Und verlangete Ich selbst deinesLeibes Leben, so müßtest du es lassen mit Freuden; denn Ich werde niemandesLeibesleben verlangen zum Unheile dessen, der es für Mich lassen würde![<strong>GEJ</strong>.02_206,04] Aber Ich weiß, was dir nun so ganz eigentlich die Zunge einwenig gelähmt hat. Siehe, du warst ehedem ein wenig vorlaut darin, daß du vondir behauptetest, daß du nur für die Wahrheit allein seiest! Ich zeigte es dir aber,daß du noch lange nicht wußtest, was die Wahrheit ist; und weil die Jarah, alsein harmloses Mädchen aus Genezareth, dich hernach offenbar ein wenigbeschämte, da sie Meine Frage an dich auf eine überaus glänzende Weise beantwortete,so hast du darauf so ein wenig den Mut verloren. Aber siehe, diesedeine kleine Mutlosigkeit ist im Grunde keine so ganz rechte Demut, sondernvielmehr eine heimlich gekränkte Eitelkeit deines Gemütes! Und sieh, das istnun denn auch so ein kleiner Mitgrund, warum du dich nun so schwer zumReden entschließest! Ich will aber, daß du solchen Mitgrund in dir nun völligbesiegen sollst; denn es ist einem etwas eitlen Gemüte besser, ein wenig ausgelachtzu werden, als auf dem Wege der triumphierenden Gelungenheiten sichvon allen Seiten her bewundert und geschmeichelt zu fühlen! Darum rede du nurzu, so Ich von dir etwas zu reden verlange! – Und so gib du uns über MeineBelehrung vom Sklaventume nun nur immerhin irgendeine sichere Ansicht!“207. — Josoes Auffassung über die Zulassung der Sklaverei[<strong>GEJ</strong>.02_207,01] Sagt Josoe: „In Deinem Namen will ich's in aller möglichenKürze wohl versuchen; ob aber meine Ansicht eine ganz sichere sein wird, dasdürfte freilich wohl eine ganz andere Frage sein.[<strong>GEJ</strong>.02_207,02] Die Füße des Menschen stehen offenbar im Lebensrange tieferdenn die Hände; aber trügen die Füße den Menschen nicht zum Wasser, sokönnten sie von den Händen dann nicht von ihrem Staube und Schmutze gereinigtwerden. Darum, meine ich, ist der Sklavendienst im allgemeinen ebensonotwendig wie der Herrendienst. Wenn die Füße gleiten, fällt der ganze Mensch,und es ist darum sicher gut und nützlich, auf die Füße, welche mit allem Rechtedie Sklaven des Leibes genannt werden können, oft mehr achtzuhaben denn aufalle anderen Leibesglieder. Stumpf und willenlos müssen die Füße den schweren,dabei ganz müßigen Leib Tagreisen weit tragen und bekommen als Lohnam Ende nichts als höchstens eine reinigende Erfrischung bei irgendeinerQuelle, während nach einer zurückgelegten Reise der ganze, bei der ganzenReise müßig gewesene Leib sich stärkt mit Speise und Trank. Aber was können,was wollen die Füße dazu sagen? – Nichts, – denn sie sind dazu geschaffen![<strong>GEJ</strong>.02_207,03] Und so meine Ich denn, daß das Sklaventum eine Notwendig-— 452 —


keit ist, die nie abgestellt werden kann, wenn die Menschheit in der ihr gegebenenOrdnung verbleiben soll; es müßte nur sein, daß mit der Zeit die Menschenirgendein anderes Bewegungsmittel erfänden, – da freilich könnte der Sklavendienstder Füße entbehrlich gemacht werden. – Und so glaube ich, könnte esdenn mit der Zeit mit dem Sklaventume vor sich gehen![<strong>GEJ</strong>.02_207,04] Besser wäre es allerdings, so man das die Menschheit entwürdigendeSklaventum gänzlich entbehren könnte; aber das dürfte noch langewähren, bis solch eine glückliche Zeit die Erde küssen wird.[<strong>GEJ</strong>.02_207,05] Der Sklave ist wahrlich von der freien Menschheit als Unkrautunter den Menschen angesehen. Aber es wird durch dieses seltene Unkraut derfreie Mensch gar sehr gedüngt und wird dabei träge und vollends selbstuntätig, –und das halte ich für sehr schlecht. In dieser Hinsicht wäre es wieder besser, soes kein Sklaventum gäbe. Aber wenn anderseits das Sklaventum wiederum eineSchule der Demut ist, da ist es freilich auch wieder eine unerläßliche Notwendigkeitfür die zu hoch gestiegene Menschheit; denn nach der babylonischenGefangenschaft waren die Israeliten wieder ein ganz gutes Volk geworden, – nurschade, daß die Gefangenschaft nicht wenigstens ein volles Säkulum gedauerthat! Denn bei der Befreiung waren meines Erachtens noch zu viele darunter,denen der frühere Glanz des Judenreiches noch zu sehr vor den Augenschwebte, weshalb sie dann auch nichts Emsigeres zu tun hatten, als den altenGlanz wieder herzustellen. Und als da wieder erbauet waren die Mauern und derTempel, so war der alte Hochmut auch wieder bei der Hand, und es ging daraufbald wieder und eigentlich noch schlechter zu in Jerusalem denn früher vor derbabylonischen Gefangenschaft. Vierzig Jahre waren sonach offenbar zuwenig;aber so in hundert Jahren wäre allen unseren Vätern der Sinn für Glanz, Prachtund Hochmut sicher gänzlich vergangen für Jahrhunderte hindurch![<strong>GEJ</strong>.02_207,06] Zwar ist das alles nur so meine sicher noch sehr unreifeMutmaßung und wird ohne Zweifel ihre sehr tüchtigen und wohlgegründetenGegensätze haben; aber ich rede nur also, wie ich's fühle. Denn so jemand füreine schlechte Tat eine Maulschelle bekam, so wird er das Übeltun eben nichtum vieles länger meiden, als der Schmerz angedauert hat; so er aber von Gottaus für eine schlechte Tat mit einem lang andauernden und sehr schmerzlichenLeiden heimgesucht wurde, so wird er die Sünde, durch die er sich ein so schweresund schmerzliches Leiden zugezogen hat, sicher kaum je mehr wiederbegehen![<strong>GEJ</strong>.02_207,07] Darum kann ich mir ein recht lang anhaltendes Sklaventumnicht anders als nur vollkommen zweckdienlich denken, und sehe nun auch dieeiserne Notwendigkeit dieses Standes ein und denke mir: So ein recht guter undwilliger Sklave ist im Grunde viel mehr ein vollkommener Mensch als der Freie;denn der Freie ist geistig ein Sklave seiner Sinne, während der materielle Sklavegeistig ein ganz freier Mensch sein kann.[<strong>GEJ</strong>.02_207,08] Denn es ist ein großer Unterschied zwischen einem Menschen,der ein Herr seines Willens ist – was bei einem rechten Sklaven vollends der— 453 —


Fall sein muß –, und zwischen einem Menschen, dessen Wille keinen Gehorsamkennt, und bei dem alles geschehen muß, was er will.[<strong>GEJ</strong>.02_207,09] Und somit lobe ich mir nun erst ganz das Sklaventum undwünsche, daß es im ganzen nie ein Ende nehmen soll! Denn ich meine: Sobalddiese Hauptschule für die wahre Demut ein Ende nehmen wird, so wird dieMenschen der Erde ein großes Elend heimsuchen![<strong>GEJ</strong>.02_207,10] Freilich wohl wäre es zu wünschen, daß die Menschen allelebten nach Deiner Lehre, so wäre das Sklaventum ein tollstes Unding und einVerbrechen an den Rechten der Menschheit; aber solange irgend das nicht derFall ist und vielleicht noch lange nicht sein wird, ist und bleibt das Sklaventumder hochmütigen Menschheit ein wahres Evangelium aus den Himmeln, auf dieErde zur Besserung der Menschheit verordnet. –[<strong>GEJ</strong>.02_207,11] Das wäre nun so meine schwache Reflexion über Dein Wortbezüglich des Sklaventums; ich bitte Dich, o Herr, aber nun auch, daß Du darindie Fehler, die ich allenfalls gemacht habe, mir gnädigst anzuzeigen geneigtwärest, auf daß ich auch in dieser Sphäre in die volle Wahrheit einzudringenvermöchte!“[<strong>GEJ</strong>.02_207,12] Sage Ich: „Lieber Josoe, da hast du in allem ganz recht, und esläßt sich da wenig oder gar nichts vollrechtlich einwenden; bloß was die Dauerder babylonischen Gefangenschaft betrifft, hast du dich ein wenig in deinemEifer verstiegen. Denn sieh, jede Gefangenschaft und auch jedes Sklaventum istim Grunde dennoch nichts als ein von Gott zugelassenes Strafgericht! EinGericht aber ist und bleibt leider stets nur eine äußerste Nötigung zur Besserungund hat darum gewöhnlich für die Seelen der Menschen mehr eine schlechtedenn eine gute Wirkung; denn wer das Schlechte nur der schlechten Folgenwegen meidet und das Gute tut der guten Folgen wegen, der ist noch sehr fernedem Reiche Gottes. Nur der, welcher das Gute eben darum tut, weil es gut ist,und das Schlechte meidet des Schlechten selbst wegen, ist ein vollkommenerMensch. Denn solange sich der Mensch nicht aus sich selbst ans wahre Lichtbefördert, bleibt er ein Sklave im Geiste und somit tot für das Reich Gottes. –Der äußere Zwang bringt die Menschen noch auf andere Abwege des sittlichenLiebelebens, davon wir sogleich einige vernehmen werden.“208. — Gesetzeszwang und Liebe[<strong>GEJ</strong>.02_208,01] (Der Herr:) „Sieh, es ging in der Nacht eine Maid daher geringenStandes. Sie war irgendwo in Geschäften ihrer Herrschaft, verspätete sichaber so sehr, daß sie auf dem Rückwege von der Nacht eingeholt wurde. Amhalben Wege aber trifft sie ein Haus, in dem ein frommer Einsiedler wohnt, wiees ähnliche in allen Gegenden Judäas gibt, die des Reiches Gottes wegen, wiesie es vorgeben und auch wirklich in ihrem Lebensplane haben, ein sogenanntesstrenges Leben führen. Die in schon tiefer stürmischer Nacht heimkehrendeMaid pocht an des Klausners Tür und bittet um Einlaß und Herberge für die— 454 —


Nacht.[<strong>GEJ</strong>.02_208,02] Der Klausner geht nun hinaus und ersieht, daß die Flehendeeine Maid ist, durch deren Eintritt seine Hütte ja doch offenbarst verunreinigtwerden könnte. Darum spricht er, von heiligem Eifer ergriffen: ,Betritt, duunreines Wesen, meine gottgeweihte, reine Hütte ja nicht; denn sie würde unreindurch dich und ich endlich unrein durch sie! Ziehe darum weiter und gehe hin,von wannen du gekommen bist!‘ Mit diesen Worten schließt er die Tür undüberläßt ganz leichten Gemütes und froh, dieser ihn verunreinigenden Gefahrlosgeworden zu sein, die weinende Maid ihrem herben Lose. Er kehrt darauffrohen Mutes ins Innere seiner Hütte und preist Gott, daß Er ihn vor solch einerGefahr für seine Seele so gnädigst beschützt hat, und kümmert sich der armenMaid nimmer; ob diese in finsterer Nacht irgend verunglückt oder nicht, das istihm gleich.[<strong>GEJ</strong>.02_208,03] Nach einer Stunde aber kommt dieselbe Maid, vom Sturmeübel zugerichtet, zum Hause eines verrufenen Zöllners, der vor den Augen derreinen Juden ein großer Sünder ist. Dieser hört die arme Maid schon von weitemjammern, da er an seiner Schranke Wache hält und auch sonst kein Freund vomfrühen Sichschlafenlegen ist, daher man ihm auch von der reinen Judenseite denBeinamen ,Ordnungsloser Lump‘ gegeben hat.[<strong>GEJ</strong>.02_208,04] Dieser sündige Lump aber zündet schnell eine Fackel an undeilt der jammernden Maid entgegen; und als er sie daherhinkend und weinendfindet, tröstet er sie, nimmt sie auf seinen kräftigen Arm, trägt sie in sein Haus,reicht ihr Speise und Trank und bereitet ihr ein gutes und weiches Lager. AmMorgen aber beschenkt er sie noch, sattelt darauf zwei Lasttiere und läßt sie, siebegleitend, also ihre noch ziemlich ferne Heimat ganz gestärkt und wohlgemuterreichen. –[<strong>GEJ</strong>.02_208,05] Siehe, der Klausner ist ein strenger Büßer und lebt gleichfortin einem sich selbst auferlegten Strafzwange und vermeidet alles sorgfältigst,was irgend seine als rein geglaubte Seele nur im geringsten verunreinigenkönnte, und meint, daß Gott an ihm schon ein bedeutend großes Wohlgefallenhaben müsse; zugleich aber liegt es ihm auch sehr daran, daß die Welt ihn füreinen makellosen Heiligen Gottes halte, und das um so mehr, weil es von ihmallgemein bekannt ist, daß sein Gemach noch nie von einem weiblichen Fußebetreten ward. Natürlich trägt ihm solch eine sittliche Reinheit auch so mancheProzente in seine Hütte, die sicher in eine Abnahme kämen, so irgend am Endedennoch verraten werden könnte, daß seine Hütte doch einmal verunreinigt warddurch den Fuß einer Maid, von der man denn doch nicht wissen könne, wann sieallenfalls ihre unreine Zeit habe.[<strong>GEJ</strong>.02_208,06] Dem Zöllner aber ist das einerlei, ob die Welt schwarz oderweiß von ihm spricht, sein Haus hält man stets für das unreinste und zwar so,daß ein echter Jude es ja nicht betreten wird, weil er sich darin auf wenigstenszehn Tage lang verunreinigen könnte. Daher ist dem Zöllner denn auch einerlei,was die Leute von ihm und seinem Hause reden, und er handelt darum frei nach— 455 —


dem Drange seines Herzens und denkt sich dabei: ,Bin ich schon ein großerSünder und voll Unlauterkeit, so will ich aber dennoch Barmherzigkeit üben, aufdaß ich dereinst auch Barmherzigkeit vor Gott finden möge!‘[<strong>GEJ</strong>.02_208,07] Sage du Mir, Mein lieber Josoe: Welche von den beidenwürdest du am Ende den Vorzug geben?“[<strong>GEJ</strong>.02_208,08] Sagt Josoe lächelnd: „Oh, ohne alle Umstände dem Zöllner;denn wenn es auf der Welt lauter solche Klausner gäbe, da sähe es mit demLeben der Menschen bald ein Ende habend und somit übel aus! Der dummeKlausner könnte mir mit seiner sittlichen Reinheit alle Stunde zehnmal gestohlenwerden! Wahrlich, hätte ich den Himmel zu verleihen nach dem Tode, sowäre der Klausner sicher der letzte, dem ich im untersten Himmel den letztenPlatz anwiese, und er käme mir nicht weiter, als bis er würde wie der Zöllner! –Habe ich recht oder nicht?“209. — Über innere Sittenreinheit[<strong>GEJ</strong>.02_209,01] Sage Ich: „Vollkommen; denn also ist es auch! Und Ich sagees, wer da nicht wird wie der Zöllner, wird in Mein Reich wahrlich nicht eingehen;denn auch Mir kann alle die lieblose Sittenreinheit für ewig gestohlenwerden![<strong>GEJ</strong>.02_209,02] Ja, eine freie, wahre, innere Sittenreinheit mit der wahren,alles opfernden Nächstenliebe ist bei Mir über alles; aber eine solche, wie wirsie beim Klausner gesehen haben, gilt bei Mir nicht einen Stater. Wer rein ist,der soll bloß rein sein im Herzen vor Gott, aber die Welt soll nicht viel wissendavon; denn wenn die ihn darum lobt, so wird er von Mir wenig Lob zu erwartenhaben.[<strong>GEJ</strong>.02_209,03] Am besten aber ist es, wenn der Mensch stets sagt: ,O Herr, seimir, dem Sünder, gnädig!‘, und urteilt über niemand Arges, betet für seineFeinde und tut sogar noch jenen zu aller Zeit Gutes, die Übles von ihm redenund wo möglich ihm auch Übles zufügen.[<strong>GEJ</strong>.02_209,04] Wahrlich, wer das ist und tut, der ist nicht nur rein vor Mir –und hätte er auch noch so manche Sünde auf sich, die ihn sein Fleisch dann undwann zu begehen nötigte –, sondern er ist dabei vollauf Mein Bruder und mitMir ein König der Himmel und aller ihrer Herrlichkeiten! Denn wird einesMenschen Fleisch oft auch von argen Dämonen gereizt, so wandelt aberdennoch seine Seele gleichfort in Meinem Geiste.[<strong>GEJ</strong>.02_209,05] Es müssen ja auch oft die Engel in die Hölle, in den Pfuhl allerLaster, steigen, und wenn sie zurückkehren, sind sie wieder so rein wie zuvor indem höchsten aller Himmel. Und also ist es nicht selten mit Meinen Brüdern aufdieser Erde: steigen sie auch schon ihrem Äußersten nach manchmal in dieHölle, um auch dort die göttliche Ordnung und Willensmacht aufrechtzuerhalten,so bleibt dennoch ihre Seele rein im Zusammenhange mit Meinem Geiste inihr.— 456 —


[<strong>GEJ</strong>.02_209,06] Kurz, den die Sünde fein demütig macht wie unsern Zöllner,der ist durch die Sünde als ein Engel nur auf einen Augenblick zur Hölle gestiegen,um daselbst Ruhe und Ordnung zu schaffen; sowie er aber zurückgekehrtist, so ekelt es ihn davor, und seine Seele ist rein wie zuvor. Den als Sünder aberseine Sünden nur zum Hochmute treiben, und so der Sünder im Hochmuteverbleibt, der ist schon ein Teufel, ob er äußerlich noch so rein schiene vor denMenschen.[<strong>GEJ</strong>.02_209,07] Ich sage aber zu euch allen: Was immer für Sünder undSünderinnen in euer Haus hilfesuchend kommen, so sollet ihr ihnen nimmer dieTüre weisen, sondern ihnen helfen, als hätten sie nie gesündiget; und habt ihrihnen erst geholfen, so sollet ihr dabei auch alles aufbieten, um die Sünder fürdie Zukunft zu bessern auf dem Wege der Liebe und der Weisheit, aber jenerwahren Weisheit, die stets nur aus der Liebe hervorgeht![<strong>GEJ</strong>.02_209,08] Eine Ehebrecherin ist bei den Juden nach Moses wirklich eineSünderin, die sofort gesteinigt werden soll, und zwar auf dem kürzesten Wegevon jedermann, der ihr nach der Tat zuerst begegnet. Ich aber sage euch: Werdie Flüchtige aufnimmt in sein Haus und sucht sie zu retten doppelt – geistigund leiblich –, der wird dereinst von Mir mit freundlichen Augen angesehenwerden, und seine Schuld wird in den flüchtigen Sand eingegraben werden,dessen Furchen der Wind verwehen soll! Wer aber einen Stein nach ihr wirftund ist selbst nicht frei von jeglicher Sünde, der wird dereinst ein schweresGericht von Mir aus zu bestehen haben! Denn wer Mir wiederbringt, was daverloren war, der soll im Himmelreiche dereinst eines großen Lohnes wertbefunden werden; wer aber da richtet, wenn auch gerecht nach dem Gesetze, derwird dereinst auch gerecht und streng nach Meinem Gesetze gerichtet werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_209,09] Fragt hier Cyrenius: „Herr, was Du nun geredet, ist klar undwahr bis auf einen Punkt, der mir noch etwas unklar ist, und ich möchte darumwohl um eine noch etwas nähere Erörterung bitten. Der unklare Punkt aber ist ––“[<strong>GEJ</strong>.02_209,10] Sage Ich: „Der unklare Punkt ist: wie ein sonst reiner Menschdurch eine an seinem Leibe begangene Sünde in die Hölle steigen, dort Ordnungund Ruhe schaffen und endlich wieder ganz rein aus derselben zurückkehrenkann.[<strong>GEJ</strong>.02_209,11] Sieh, das ist ganz leicht zu verstehen, wenn man nur weiß, waseigentlich die Sünde und die Hölle sowohl im engsten und desgleichen auch imweitesten Sinne ist! – Ich werde somit diese beiden Begriffe eurem Verständnissenäherzubringen versuchen, und so habet denn dabei recht acht mit eurerganzen Seele!“210. — Das Wesen der Materie und der Seele[<strong>GEJ</strong>.02_210,01] (Der Herr:) „Sehet, der Leib ist Materie und besteht aus dengröbsten urseelischen Substanzen, die durch die Macht und Weisheit des göttli-— 457 —


chen und ewigen Geistes in jene organische Form gezwängt werden, die dereinen solchen Formleib bewohnenden freieren Seele in allem Nötigen wohlentspricht.[<strong>GEJ</strong>.02_210,02] Die in einem Leibe wohnende Seele aber ist natürlich anfangsum nicht viel reiner als ihr Leib, weil sie auch der unreinen Urseele des gefallenenSatans entstammt. Der Leib ist für die noch unlautere Seele eigentlich nichtsals eine höchst weise und übergut und zweckmäßig eingerichtete Läuterungsmaschine.[<strong>GEJ</strong>.02_210,03] In der Seele aber wohnt schon der reine Funke des GeistesGottes, aus dem sie ein rechtes Bewußtsein ihrer selbst und der göttlichenOrdnung in der Stimme des Gewissens überkommt.[<strong>GEJ</strong>.02_210,04] Daneben ist der Leib für außen hin mit allerlei Sinnen versehenund kann hören, sehen, fühlen, riechen und schmecken; dadurch bekommtdie Seele allerlei Kunde von der Außenwelt, gute und wahre, schlechte undfalsche.[<strong>GEJ</strong>.02_210,05] Aus dem Urteile des in ihr wohnenden Geistes fühlt sie in sichbald, was da gut und was schlecht ist; anderseits macht sie auch durch dieäußeren Sinne ihres Leibes Erfahrungen von guten und schlechten, wohltuendenund schmerzlichen und anderen Eindrücken, und überdies wird der Seele vonGott, auf dem Wege der außerordentlichen Offenbarung von innen und vonaußen her, durchs Wort, der Weg der Ordnung Gottes gezeigt.[<strong>GEJ</strong>.02_210,06] Also ausgerüstet, kann dann die Seele allerdings ganz nach derleicht zu erkennenden göttlichen Ordnung sich frei selbst zu bestimmenimstande sein, was natürlich nicht anders sein kann, weil die Seele sonst unmöglichzu irgendeiner für ewig andauernden, in sich abgeschlossenen, aber dochfreien Existenz gelangen könnte.[<strong>GEJ</strong>.02_210,07] Denn jede Seele, die fortbestehen will, muß sich durch die ihrgegebenen Mittel selbst als fortbestandsfähig gestalten und gewisserartausbauen, ansonst sie am Ende entweder das Los des Leibes teilen kann, odersie tritt als noch zu dreiviertel unausgebildet aus dem Leibe, der als völligverdorben zur weiteren und gänzlichen Ausbildung der Seele gar nicht mehrtaugt, und dann wird sie genötigt sein, in einer viel unbequemeren Maschine aufeine gewöhnlich sehr traurige und schmerzliche Weise ihre weitere Vollendungfortzusetzen.[<strong>GEJ</strong>.02_210,08] Der Leib aber ist, weil aus lauter in tiefem Gerichte nochseienden Teilen bestehend und darum des Todes fähig, bei und für jedenMenschen die Hölle im engsten Sinne; die Materie aller Welten aber ist dieHölle im weitesten Sinne, in die der Mensch durch seinen Leib gegeben ist.[<strong>GEJ</strong>.02_210,09] Wer nun viel für seinen Leib sorgt, der sorgt offenbar auch fürseine höchst eigene Hölle und nährt und mästet sein Gericht und seinen Tod zuseinem höchst eigenen Untergange.— 458 —


[<strong>GEJ</strong>.02_210,10] Der Leib muß zwar eine gewisse Nahrung bekommen, damiter stets fähig ist, der Seele für die hohen Lebenszwecke die entsprechendenDienste zu leisten; aber wer da zu ängstlich sorgt für den Leib und nahezu Tagund Nacht hadert und arbeitet und handelt, der sorgt offenbar für seine Hölleund für seinen Tod.[<strong>GEJ</strong>.02_210,11] Wenn der Leib die Seele reizt, sich für seine sinnliche Befriedigungin alle Tätigkeit zu werfen, so rührt das stets von den vielen unlauterenNatur- oder gerichteten Materiegeistern her, die so ganz eigentlich das Wesendes Leibes ausmachen. Gibt die Seele den Anforderungen des Leibes zuvielGehör und tut danach, so tritt sie mit ihnen in Verbindung und steigt auf dieseWeise in ihre höchst eigene Hölle und in ihren höchst eigenen Tod. Und tut dieSeele solches, so begeht sie eine Sünde wider die Ordnung Gottes in ihr.[<strong>GEJ</strong>.02_210,12] Verharrt die Seele darin mit Liebe und köstlichem Behagen, soist sie ebenso unrein wie ihres Leibes unreinste und gerichtete Geister, bleibtdadurch in der Sünde, somit in der Hölle und im Tode. Wenn sie auf der Weltauch gleich ihrem Leibe nach fortlebt, so ist sie aber dennoch so gut wie tot,fühlt auch den Tod in sich und hat eine große Furcht vor ihm. Denn die Seelekann in solcher ihrer Sünde und Hölle tun, was sie nur immer will, so kann siedennoch kein Leben finden, obschon sie dasselbe liebt über alle Maßen.[<strong>GEJ</strong>.02_210,13] Sehet, darin liegt auch der Grund, aus dem heraus nun vieletausendmal Tausende von Menschen von einem Leben der Seele nach dem Todeihres Leibes ebensoviel wissen wie ein Stein, der am Wege liegt; und so manihnen irgend etwas davon sagt, so lachen sie höchstens oder werden gar erbost,treiben den Weisen zur Tür hinaus und weisen ihn, solche Dummheiten, dienichts als eine Lüge seien, den Wildschweinen vorzutragen![<strong>GEJ</strong>.02_210,14] Und doch soll ein jeder Mensch längstens bis in sein dreißigstesJahr in sich so weit mit der Bildung seines Ichs fertig sein, daß ihm dasfolgende freieste, seligste Leben nach dem Tode des Leibes so vollbewußt undsicher wäre wie einem Aar der Flug in der hohen freien Luft![<strong>GEJ</strong>.02_210,15] Aber wie weit sind Menschen, die danach erst zu fragen anfangen,noch entfernt davon! Und wie weit aber erst hernach jene, die davon garnichts hören wollen und einen solchen Glauben sogar für eine Dummheit halten,die kaum irgendeiner erheiternden Lache wert sei! – Solche Menschen befindensich demnach ihr ganzes Erdenleben hindurch in der vollsten Hölle und imschon vollsten Tode.[<strong>GEJ</strong>.02_210,16] Nun aber kann sich eine Seele schon ganz gereinigt haben, undes wird ihr oft dennoch eine geraume Zeit gegeben nun zur Mitreinigungzunächst ihres in und an und für sich noch immer unlauteren Leibes und seinerGeister, wodurch der ganz edlere Leibesteil sich endlich auch aus der Seele dieUnsterblichkeit anzieht und jüngst nach dem Tode des gröbsten Teiles seinerWesenheit mit der Seele zu ihrer Vollkräftigung mit erweckt wird.[<strong>GEJ</strong>.02_210,17] Bei solchen schon reinen Seelen geschieht es denn auch, daß— 459 —


sie dennoch dann und wann, so ihre Hölle, das heißt der Leib, nicht selten nochsehr begehrend auftritt, auf eine kurze Zeit in solche ihre eigene Hölle treten,mit andern Worten gesagt, in das Begehren des Leibes und seiner Geister eingehen.Solche Seelen aber können dann nicht mehr völlig unrein gemacht werden,sondern sind nur für so lange unrein, als sie sich im Pfuhle ihrer Leibesgeisteraufhalten; sie aber können es darinnen nimmer lange aushalten und kehrensonach gar bald in ihren ganz reinen Zustand zurück, in dem sie dann wiederebenso rein sind, als wären sie nie unrein gewesen. Dabei aber haben sie in ihrerHölle auf eine Zeitlang Ruhe und Ordnung hergestellt und können sich hernachwieder desto ungestörter im Lichte ihres Geistes bewegen und stärken.[<strong>GEJ</strong>.02_210,18] Wer von euch da ein rechtes Verständnis hat, der wird diesGesagte ganz verstehen; und du, Freund Cyrenius, sage es Mir nun ganz unverhohlen,ob du Mich nun vollends verstanden hast!“211. — Eine soziale Rede des Cyrenius[<strong>GEJ</strong>.02_211,01] Sagt Cyrenius: „Ja, Herr und Meister! Aber es ist dies für michfürwahr eine total neue Lehre, von der vor Dir wohl niemand etwas geträumthat! Das ist aber nun klar, daß Du und sonst niemand vom Alpha bis zumOmega den Menschen und alle Welten mußt erschaffen haben; denn ohne selbstSchöpfer des Menschen zu sein, kann man das nie wissen, außer auf die Art, wiewir nun von Dir.[<strong>GEJ</strong>.02_211,02] Erfahrungen aller Zeiten zeigen, daß es also ist und nie anderssein kann, als wie Du es uns nun erklärt hast; jedoch kein Weiser, wenn er auchdas Übel der Menschheit nur oft zu sehr wahrnahm, wußte von der Wurzeldesselben irgend etwas zu sagen. Woher hätte er aber das auch nehmen sollen?Denn dazu wird eine totalste Kenntnis der Menschennatur von ihrer urgeistigstenbis zu ihrer materiellsten Sphäre hin erfordert.[<strong>GEJ</strong>.02_211,03] Wer aber kann sich irgend diese Kenntnis verschaffen? Werkennt des Menschen Leib von Fiber zu Fiber, von Faser zu Faser usw.? Wer hatje irgendeine Seele frei umherwandeln gesehen? Man weiß es kaum, ob sie eine,und welche Form sie hat, ob sie groß oder klein ist; kurz, man ist da in der vollstenUnkunde. Wenn aber das, woher soll man dann die Kenntnis nehmen überdie sonderbare Natur des Menschen?[<strong>GEJ</strong>.02_211,04] Und doch muß es Mittel und Wege geben, durch die derMensch sich selbst näher kennenlernen muß; denn wenn der Mensch sich selbstnicht erforschen kann, um zu sehen, was er ist, wozu, und was er seiner Naturund Bestimmung nach zu tun hat, um den Zweck zu erreichen, für den er vomSchöpfer aus bestimmt ist, so nützen ihm alle Lehren und alle Gesetze nichts!Seine Seele, wie man es an zahllos vielen Menschen nur zu klar ersieht, wirdsich stets mehr und mehr in ihre Hülle versenken zufolge des leider schmerzlichfühlbaren vielfachen Bedürfnisses des Leibes; denn der Hunger schmerzt, derDurst brennt, die Kälte schmerzt auch, wogegen ein gutes leibliches Versorgt-— 460 —


sein dem viel begehrenden Leibe nicht nur das Notwendige, sondern eine wahreluxuriöse Seligkeit bietet![<strong>GEJ</strong>.02_211,05] Der tierische Teil des Menschen stellt seine Forderungen auchstets so entschieden und schreiend auf, daß dagegen die stillen Forderungen derSeele überhört werden müssen. Wenn aber das, wen kann es da noch wundernehmen,so hunderttausendmal Hunderttausende von dem Wesen ihrer Seelekaum irgendeine Ahnung haben? Denn da hatte sich schon von der Kindheit anihre Seele so sehr mit ihrem Leibe verbunden, daß sie mit ihm vollends eins istund daher in sich auch kein anderes Bedürfnis erkennt als das leidige des Leibesnur.[<strong>GEJ</strong>.02_211,06] Ja, man muß sogar sagen, daß eben bei Menschen, die leiblichzu elend und schlecht versorgt sind, sich auch stets nicht die geringste Spur vonirgendeinem geistigen Bedürfnisse verspüren läßt. Wir haben im mitternächtlichenTeile von Europa Völkerschaften, bei denen aber auch nicht die leisesteSpur von einer geistigen Bildung zu entdecken ist.[<strong>GEJ</strong>.02_211,07] Aber was ist der Grund davon? Die totalste leibliche Unversorgtheit!So ein Mensch geht, mit Keulen bewaffnet, oft Tag und Nacht in dendichten Wäldern herum und sucht sich irgendein Wild zu erlegen. Hat er eserlegt, da verzehrt er es auch heißhungrig, wie man zu sagen pflegt, beinahe mitHaut und Haaren; Frage: Wo sollte, wo könnte bei solch einem Volke vonirgendeinem geistigen Bedürfnisse nur eine leiseste Rede sein? – während mandenn doch zum Beispiel in Rom, wo die Menschheit zum größten Teile leiblichübergut versorgt ist, von einer Seele des Menschen und ihrer Unsterblichkeitschon lange gelehrt und darum auch auf ein moralisches Leben, das hauptsächlichdie Bildung des geistigen Menschen im Auge hat, die meiste Aufmerksamkeitverwendet hat und noch gleichfort verwendet.[<strong>GEJ</strong>.02_211,08] Freilich geschieht es auch leider nur zu häufig, daß dieReichen sich am Ende zu sehr in die Seligkeit ihres Leibes versenken und dabeiauf die Ausbildung ihrer Seele wenig oder nichts halten und am Ende jede Lehrefür die Erfindung irgendeines hungrigen Weisen ansehen; aber sie haben docheine Sprache, durch die man sich ihnen mitteilen kann über so manches,worüber sie am Ende bei all ihrer Sinnlichkeit denn doch so ein wenig zu stutzenanfangen, – was für ihre Seele schon immer ein Gewinn ist.[<strong>GEJ</strong>.02_211,09] Bei Menschen aber, von denen man es noch nicht genau weiß,ob sie eine Sprache haben oder nicht, ist es auch nicht möglich, ein solchesStutzen zustande zu bringen. Wenn aber schon das nicht, auf welche Art erstwäre es dann wohl möglich, sie zu wecken für ein tieferes geistiges Bedürfnisder Seele?[<strong>GEJ</strong>.02_211,10] Darum wäre meine Meinung, daß man zuerst die Menschheitfür den Leib wenigstens gut versorgen sollte, und es dürfte dann doch leichtersein, die Seelen der Menschen stets mehr und mehr für ihre wahren geistigenLebensbedürfnisse zu wecken. Wenigstens sollten die Menschen mit demNötigsten versorgt sein! Denn, wie schon gesagt, ein physisch zu armer Mensch— 461 —


kann nach einer geistigen Bildung auch nicht ein leisestes Bedürfnis haben!Einem hungrigen Magen ist schwer predigen, ehe er nicht Speise und Trank zusich genommen hat. Das ist so meine unmaßgebliche Ansicht. Du, o Herr undMeister, hast wohl ganz recht; denn Du allein kennst Deine Werke ja vollkommen!Aber auch ich glaube nicht ganz unrecht zu haben; denn auch für meineAnnahme spricht die Erfahrung aller Zeiten und Völker.“212. — Die Not als Lehrerin[<strong>GEJ</strong>.02_212,01] Sage Ich: „Wahr und gut, und Ich kann dir durchaus nichtsagen, daß du hier auch nur ein unwahres Wort geredet hast; aber stelle du dieSache auf einem Weltkörper also her, daß alle Menschen ohne ihre besondereArbeit und sonstige Tätigkeit so recht leidlich für den Leib versorgt dastehenund erkennen würden, daß sie sogestaltig ganz ohne Sorgen leben können, – unddu hast in kurzer Zeit deine europäischen Nordvölker allenthalben vor dir![<strong>GEJ</strong>.02_212,02] Deine europäischen Nordvölker aber waren einst in Asien, alsder Wiege des Menschengeschlechtes, ebenso und noch besser mit allemversorgt als nun deine Römer und hatten eine unmittelbare Erziehung aus denHimmeln genossen; und es gab Weise unter ihnen, wie sie bis auf Mich die Erdenicht trug; aber was war die Folge davon? Sie aßen und tranken ganz gemütlich,wurden von Tag zu Tag träger und verfielen von Geschlecht zu Geschlecht inden gegenwärtigen Stand; nun aber in solchem ihrem armseligsten Zustandemüssen sie sich im Schweiße ihres Angesichtes den magersten Unterhalt fürihren Leib verschaffen und sind aber dabei dennoch nicht ganz ohne Weise undLehrer.[<strong>GEJ</strong>.02_212,03] Und siehe, ebensolche ihre Not wird sie nach und nach aufeine Bildungsstufe setzen, die die gegenwärtige Roms bei weitem übertreffenwird in jeder Hinsicht![<strong>GEJ</strong>.02_212,04] Es wäre darum nicht gut, den Menschen also zu stellen, daß erso ganz versorgt wäre dem Leibe nach; denn dann würde er am Ende so trägewerden, daß er sich aber dann auch um nichts mehr kümmern würde. Und diesesBestreben nach der trägen, sorgenlosen Ruhe ist wieder eine Eigenschaft des anund für sich toten Körpers; die Seele, die zum größten Teile ihre formelleKonsistenz sich erst bei gerechter Tätigkeit aus dem Leibe zu schaffen hat,würde in der sorglosen Ruhe des Leibes auch mitruhen, da auch in ihr ursprünglichder Hang zur Untätigkeit überwiegend vorhanden ist.[<strong>GEJ</strong>.02_212,05] Durch die schmerzlichen Bedürfnisse des Leibes aber wird dieSeele zuerst aus ihrer Lethargie geweckt; denn sie fühlt es, daß eine gänzlicheUnversorgtheit des Leibes ihr am Ende mit dem Leibe den Tod brächte. Sie setztdaher in der Not des Leibes alle Hebel in Bewegung und versorgt, so gut esgeht, zuerst den Leib. Da sie aber nun eine große Scheu vor dem Tode hat, sofängt sie dann gar bald an, neben der Tätigkeit für den Leib auch sich mit derForschung des eigentlichen Lebens abzugeben und findet aus ihrer wachgewor-— 462 —


denen Liebe zum Leben bald, daß sie als Seele etwa noch fortlebe, wenn auchder Leib in den Tod gelegt wird.[<strong>GEJ</strong>.02_212,06] Daraus entwickelt sich dann endlich eine Art Glauben an dieUnsterblichkeit der menschlichen Seele. Dieser Glaube wird dann mehr undmehr lebendig und zu einem Bedürfnisse des Menschen.[<strong>GEJ</strong>.02_212,07] Aber denkendere Menschen, deren es allenthalben gibt, sinddann bald nicht mehr zufrieden mit dem alleinigen Glauben und forschendemselben tiefer nach, erproben seine Kraft und suchen, wo dessen Kraft nichtmehr auslangt, ihn mit stärkeren und gewisserart handgreiflicheren Mitteln alsvollends wahr zu erweisen.[<strong>GEJ</strong>.02_212,08] Das Volk hält solche Forscher dann gewöhnlich für von einemHochgeiste befruchtete und geleitete Seher und Hörer, die auf dem Wege derUnterredungen mit Geistern tiefere Kunde vom Leben der Seelen nach demTode erhalten.[<strong>GEJ</strong>.02_212,09] Solche Forscher werden dann vom Volke gewöhnlich zuPriestern erhoben; und diese, wohl einsehend, daß sie dem Volke ein unerläßlichesBedürfnis sind, mißbrauchen am Ende häufig solch ein zumeist unbedingtesVertrauen ihres Volkes, suchen selbst ihren irdischen Nutzen dabei und sindam Ende nichts als pur blinde Leiter der Blinden. Aber es ist dabei noch immeretwas Gutes, nämlich daß dabei das Volk stets in einem wenn noch so schwachenVerbande mit den Himmeln verbleibt.[<strong>GEJ</strong>.02_212,10] Mit der Zeit, wenn der blinde Glaube auch an die Priester einschwacher und immer schwächerer wird, erstehen im Volke wieder neueForscher, die das Alte prüfen und nie ganz verwerfen, das Gute davon mit ihrenneuen Forschungsresultaten verbinden und am Ende eine ganz neue Lehre ansTageslicht fördern, die sich nicht mehr mit dem blinden Glauben begnügt,sondern nur mit der vollen Überzeugung, gegründet auf Tatsachen, die nötigerweisevor jedermanns Augen zur beurteilungswürdigen Schau gestellt werdenkönnen.[<strong>GEJ</strong>.02_212,11] Und sieh, auf diese Weise findet endlich, wenn schon aufmühsamen Arten und Wegen, die jüngste Menschengeneration die Wahrheit undin dieser aus den vielen Erfahrungen auch die Gesetze, nach denen das Lebender Menschen zu leiten ist, auf daß sich die schwer aufgefundene Wahrheit unterden Menschen für immerdar rein erhalte.[<strong>GEJ</strong>.02_212,12] Wenn dann zu solchem Funde, der allein aus der stets zunehmendenTätigkeit der Menschheit von selbst hervorgegangen ist, endlich nocheine außerordentliche Kunde aus den Himmeln zu den Menschen kommt als einmächtiges, wunderbares Licht, dann ist so ein Volk wie ein Mensch für sichgerettet und im Geiste wie neu- und wiedergeboren; und sieh, alles das geht dirnie aus der leiblichen, sorglosen Versorgtheit heraus, sondern aus der Not undSorge der Menschen![<strong>GEJ</strong>.02_212,13] Ich sage es dir: In der Not wird sogar das Tier erfinderisch,— 463 —


geschweige der Mensch.[<strong>GEJ</strong>.02_212,14] Wenn der Mensch durch die Not so recht zum Denkengenötigt wird, dann fängt bald die Erde unter seinen Füßen zu grünen an; ist eraber versorgt, so legt er sich gleich dem Tiere auf die faule Haut und denkt undtut nichts.[<strong>GEJ</strong>.02_212,15] Siehe, Ich dürfte der Erde nur hundert nacheinanderfolgendesehr gesegnete Fruchtjahre geben, und alle Menschheit würde vor Faulheit wiedie Pest zu stinken anfangen; aber da Ich stets gute und schlechte Fruchtjahreauf der Erde miteinander abwechseln lasse, so muß die Menschheit gleichforttätig sein, muß in dem guten Fruchtjahre für ein möglich nächstkommendesschlechtes fürsorgen, um da nicht Hungers zu sterben. Und so bleibt dieMenschheit wenigstens einerseits gleichfort in einer Tätigkeit; wogegen sonstdie Menschheit nur zu bald in die vollste Lethargie übergehen würde. –Verstehst du auch solches?“213. — Die Folge der Wohlversorgtheit[<strong>GEJ</strong>.02_213,01] Sagt Cyrenius: „Herr, Du bist wahrhaft der Meister derMenschheit und bist nun eine lebendigste Schule des wahren Lebens, und ichweiß nun vollkommenst, woran ich bin, und woran alle Menschheit ist. Nur daseinzige geht mir noch nicht recht ein, warum ein Volk, das irgend doch einwenig übers Sklaventum hinaus leiblich versorgt wäre, am Ende in eine völligeLethargie übergehen müßte! Darüber möchte ich noch gerne ein erläuterndesWörtchen aus Deinem Munde, o Herr und Meister, vernehmen!“[<strong>GEJ</strong>.02_213,02] Sage Ich: „O Freund, frage die Geschichte der Völker derErde; siehe an das alte, wohlversorgte Ägypten, siehe an Babel und Ninive,siehe an Sodoma und Gomorra! Ja, siehe an das israelitische Volk in der Wüste,das Ich vierzig Jahre hindurch aus den Himmeln mit Manna versorgt habe! Undso siehe du noch eine Menge fertig gewordener Völker an, und du wirst es nurzu bald finden, wohin die leibliche Wohlversorgtheit alle diese Völker gebrachthat![<strong>GEJ</strong>.02_213,03] Siehe, zum Beispiel wird ein versorgtes Frauenzimmer amEnde nichts mehr tun, als sich putzen und schmücken den ganzen Tag über; amEnde wird sie sogar dazu zu faul und läßt sich von anderen waschen, putzen undschmücken. Aber das dauert auch nicht immer zu lange; am Ende wird solch einverweichlichtes Frauenzimmer sogar zum Sich-bedienen-Lassen zu träge undwird auf diese Weise ein förmliches Schwein, wo nicht gar ein vollkommenesFaultier, wie es deren gibt in Indien und Mittelafrika. Frage: Was ist hernach miteinem solchen Weibe etwa noch anzufangen? Welcher geistigen Bildung ist esnoch fähig? Ich sage es dir: Nicht einmal zu einer Hure taugt es mehr! Das warja auch in Sodoma und Gomorra der Fall, darum eigentlich das Volk anfing, sichmit der Unnatur zu befriedigen! – Verstehst du das?“[<strong>GEJ</strong>.02_213,04] „Wahrlich“, sagt Cyrenius, „so freigebig mit der glänzendsten— 464 —


Weisheit warst Du meines Wissens noch kaum je! Ich muß es offen gestehen, daDu diesmal mir mehr gesagt hast als alle andern Male, in denen ich das Glückhatte, Dich zu hören. Es ist nun alles klar und sonnenhelle, was Du uns hierwahrlich aus der Wurzel der Entstehung und des Seins der Menschheit in allenihren Verhältnissen mitgeteilt hast, – nur etwas geht mir dennoch ab; weiß ichdas auch noch, dann bin ich wahrlich versorgt für die Ewigkeit! Soll ich dieFrage stellen, oder liest Du sie mir schon wieder also aus meinem Herzen?“[<strong>GEJ</strong>.02_213,05] Sage Ich: „Frage diesmal nur, der andern wegen, damit siegleich anfangs auch vollends innewerden, um was es sich da handelt!“[<strong>GEJ</strong>.02_213,06] Spricht Cyrenius: „Nun denn, wolle mich denn gnädigstvernehmen!“214. — Die Widersprüche in der Schöpfungsgeschichte. (Mo. 1)[<strong>GEJ</strong>.02_214,01] (Cyrenius:) „Ich habe in meinem nun schon ziemlich langeandauernden Erdenleben oft und allezeit vergeblich nachgedacht, wie denn soganz eigentlich und, sage, natürlich wahr die erste Menschheit dieser Erde zurErkenntnis eines höchsten Geistwesens und zur Erkenntnis ihres eigenenseelisch-geistigen Teiles gelangt ist. Ich habe darüber die Bücher Ägyptens, dieSchriften der Griechen und die Bücher eures Moses gelesen, auch ist mir einmalein indisches Werk in die Hände geraten, das ich von einem Manne in Rom, derein Indier war, mir habe vorlesen und verdolmetschen lassen; aber ich fandüberall eine gewisse mystische Bildersprache, aus der kein kluger Menschirgend noch klüger werden konnte, und somit auch ich um so weniger, weil ichmir in meiner Jugend schon immer eingebildet habe, daß alle anderen Menschenum vieles klüger denn ich selbst seien. Überall kommen logische Ungereimtheitenvor, die, wörtlich genommen, ein Unsinn sind.[<strong>GEJ</strong>.02_214,02] So zum Beispiel heißt es in eurem Moses: ,Am Anfange schufGott Himmel und Erde, und die Erde war wüste und leer, und es war finster aufder Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Da sprach Gott: ,Eswerde Licht!‘ Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Daschied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und dieFinsternis Nacht. Da ward denn aus Abend und Morgen der erste Tag.‘[<strong>GEJ</strong>.02_214,03] Darauf wird in sehr kurzen Thesen die Scheidung desWassers, das Trockenmachen des Erdreiches und das Erschaffen des Grases, derGesträuche und Bäume berührt. Mit diesem Erschaffen vergehen drei Tage undsomit auch Nächte. Weil Tage und Nächte aber schon von der Erschaffung desersten Lichtes auf der finsteren Tiefe der Erde herrühren, so sehe ich nachherwahrlich nicht ein, warum Gott am vierten Tage abermals nötig hatte, noch zweigroße Lichter zu erschaffen und sie an den Himmel zu setzen, von denen dasgrößere Licht regiere den Tag und das andere, kleinere die Nacht.[<strong>GEJ</strong>.02_214,04] Halten wir das nun mit der Natur der Erde zusammen undbedenken wir, was nach Deiner Erklärung die Sonne, der Mond und all die— 465 —


Sterne sind, so ist ja die ganze Schöpfungsgeschichte Mosis ein so kompletterUnsinn, wie es auf der lieben Erde sicher nirgends einen größeren gibt undgeben kann! Wer kann daraus je klug werden? Wir wenigen wissen es, daß dieErde kein unendlicher Kreis, sondern nur eine sehr große Kugel ist, wie DuSelbst sie schon als ein zartes Kind in Ägypten mir, wie nun später uns vielen,sehr anschaulich und wahr gezeigt hast. Auf der Erde wird es eigentlich nieNacht, weil ein Teil der Erde immer von der Sonne erleuchtet wird. Anderseitsist der Mond ein sehr unbeständiger Patron und kümmert sich ganz blutwenigum die Regierung der Nacht, höchstens einige Tage im Monat.[<strong>GEJ</strong>.02_214,05] Also ist auch das ein Wahnsinn, zu sagen, daß aus Abend undMorgen ein Tag gemacht wird, während es doch jedermann aus der Erfahrungseines ganzen Lebens weiß, daß der Tag stets nur zwischen dem Morgen unddem Abende, nie aber zwischen dem Abende und dem Morgen zu stehenkommt; denn dem Abende folgt doch allzeit sicher die Nacht bis zum Morgenhin, und dem Morgen folgt der Tag bis zum Abende hin, und sonach liegt dochlogisch richtig zwischen dem Morgen und Abend der Tag, und zwischen demAbend und Morgen offenbar die Nacht.[<strong>GEJ</strong>.02_214,06] Obschon das aber an und für sich zum Wahnsinn gerechnetwerden muß, so ist aber doch noch die Diktion, daß Gott erst dann, als Er dasLicht erschuf, eingesehen hatte, daß es gut war, eine Tollheit ohnegleichen!Denn Gottes höchste Weisheit muß doch schon von Ewigkeit her als selbst Lichtalles Lichtes gesehen und gemerkt haben, daß das Licht gut war!?[<strong>GEJ</strong>.02_214,07] In dem Buche der Indier steht vor der materiellen Schöpfungeine Schöpfung der reinen Geister, deren irgend später auch Moses erwähnt.Diese waren pur Licht, und namentlich habe der Erstgeschaffene Lichtträgergeheißen.[<strong>GEJ</strong>.02_214,08] Wenn denn Gott schon bei der Schöpfung der puren Lichtgeisterdoch offenbar den Wert des Lichtes hat erproben können, so Er etwa vorhervon Ewigkeit in der tiefsten Finsternis geruht hatte – was Ihm übrigens gar nichtgleichsieht –, so ist es ja dennoch zum Tollwerden lächerlich, daß Gott nach derSchöpfung des Lichtes auf dieser Erde gewisserart von neuem erst wieder eingesehenhabe, daß das Licht gut war![<strong>GEJ</strong>.02_214,09] Du siehst es Selbst, daß die ganze Schöpfungsgeschichte, wiesie von Moses gegeben wird, ein barster, ja sogar zum Tollwerden ärgerlicherUnsinn ist, so man die Sache nur einigermaßen natürlich nimmt; und es istdarum nicht sehr zu verwundern, daß eben die jüdischen Schriftgelehrten selbstsolcher Lehre, die ein Unsinn ist, bei sich selbst keinen Funken Glauben schenken,sie aber dennoch des Volkes wegen aufrechterhalten und sich dafür rechtgut bezahlen lassen. Das erkennen auch alle Großen Roms und belassen dieSache trotz des groben Unsinns, weil das blinde Volk dennoch darauf großeStücke hält und dabei im Lande sich so hübsch ruhig verhält.[<strong>GEJ</strong>.02_214,10] Daß alle die Prinzipien, die von den Urlehrern an uns herübergekommensind, nichts als leere Märchen und Fabeln – vom Naturstandpunkte— 466 —


aus betrachtet – sind, ist doch offenbar sonnenklar; denn daran kann naturgemäßauch keine halbe Silbe Wahrheit sein. Wenn aber unleugbar also, dann ergibtsich die große und gewichtigste Frage von selbst, und diese lautet, wie ich schonanfangs dieser meiner fraglichen Vorstellung berührt habe: Wie ist der Menschauf dieser Erde geworden? Wie kam er zur Erkenntnis eines Gottes, und wie zurErkenntnis seiner selbst, und wer lehrte ihn zuerst unterscheiden, was gut undwas da böse ist? – Darüber, o Herr, gib uns noch ein Lichtlein, und wir sindgeborgen!“215. — Die Entstehung des ersten Menschen[<strong>GEJ</strong>.02_215,01] Sage Ich: „Liebster Freund, hierüber habe Ich dir eigentlichschon einen so ganz tüchtigen Wink gegeben damit, daß Ich dir die Wirkungender Not der Menschen und Völker darstellte; daß aber übrigens die SchöpfungsgeschichteMosis, wörtlich auf die Schöpfung der Naturwelt angewendet, einalleroffenbarster Unsinn wäre, den ein nur einigermaßen mit dem Gange derWeltnatur vertrauter Mensch auf den ersten Blick als den barsten Unsinn erklärenmuß und dessentwegen den guten Moses als einen Dummkopf ersten Rangesdarzustellen genötigt wäre, ist durchaus nicht in Abrede zu stellen.[<strong>GEJ</strong>.02_215,02] Aber wer den weiteren Verlauf der Mosaischen Bücher nureinigermaßen schärfer ins Auge faßt als irgendeine Fabel des griechischenDichters Äsop, der muß es ja doch bald merken, daß sich Moses in seinerBildersprache bloß nur mit dem beschäftigt, was da die Urbildung der erstenMenschen der Erde betrifft, und somit keineswegs etwa nur die Schöpfungsgeschichteder Erde und des Himmels und all der Geschöpfe auf der Erde und inder Erde behandelt, sondern sich vor allem lediglich und nahezu allein nur mitder ersten Herzens- und Verstandesbildung der Menschen abgibt; darum er auchgleich das Menschlich- Historische daran bindet.[<strong>GEJ</strong>.02_215,03] Die Geschichte aber konnte ja nur ein Produkt der intelligentenBildung der Menschen und nie der stummen geschaffenen Natur sein, diesich völlig gleichgeblieben ist bis auf diese Zeit und auch also verbleiben wirdbis ans Ende aller Zeiten.[<strong>GEJ</strong>.02_215,04] Ebenso ist es auch mit den indischen Büchern der Fall, indenen von der Erschaffung der reinen Geister zuerst, dann von dem Falle einesTeiles derselben unter dem Titel ,Jehovas Kriege‘ und endlich erst von derErschaffung der Sinnenwelt und der Tiere und am Ende von der des Menschendie Rede ist.[<strong>GEJ</strong>.02_215,05] Alles das ist nur geistig zu nehmen und vor allem dahin zuerklären, was da betrifft die sittliche Bildung des Menschen.[<strong>GEJ</strong>.02_215,06] Wer da aber dann, vom Geiste heraus geleitet, die Entsprechungenzwischen der Sinnen- und Geisterwelt wohl innehat, dem kann es dannfreilich wohl auch möglich sein, daraus zu ersehen, wie so ganz eigentlich ausder Geisterwelt die Sinnenwelt hervorgegangen, wie und von woher die Sonnen— 467 —


und am Ende die Planeten und Nebenplaneten und auf all denselben allerleiGeschöpfe entstanden sind.[<strong>GEJ</strong>.02_215,07] Aber das geht nicht gar so leicht; denn da heißt es: zuvor imGeiste völlig erweckt sein. Denn nur der urälteste Zeuge alles Werdens undSeins kann dir jene Labyrinthe vollends erhellen, hinter die noch bis jetzt keinsterbliches Auge gedrungen ist.[<strong>GEJ</strong>.02_215,08] Daß aber über all das hinaus das Alter des Menschengeschlechtesin der Vollendung, wie es jetzt dasteht, dennoch mit den RechnungenMosis, auch der Materie und der Zeit nach, übereinstimmt, dessen kannst duvöllig versichert sein.[<strong>GEJ</strong>.02_215,09] Es gab zwar auf der Erde lange vor Adam auch eine Artmächtiger Tiere, die zwar nicht in der Gestalt, aber desto mehr in einer,wenngleich instinktmäßigen, aber dabei dennoch sehr scharfen Intelligenz demVerstande des darauffolgenden Menschengeschlechtes glichen. Der heutigeElefant ist noch so eine, wennschon psychisch viel unvollkommenere Abartdavon.[<strong>GEJ</strong>.02_215,10] Diese großen Tiere haben auch schon die Erde bebaut undwaren somit die Vorläufer der Menschen. Die Erde war vor dem Menschen vonihnen viele tausendmal tausend Jahre bevölkert.[<strong>GEJ</strong>.02_215,11] Durch diese großen Tiere mußte erst der noch sehr harte Steinbodender Erde erweicht und für das Gedeihen edler Früchte und Tiere tauglichgemacht werden, bevor er endlich fähig war, die zarteste Natur des Menschenleiblich hervorzubringen nach dem Plane der ewigen göttlichen Ordnung, wiesolcher in eine jede, damals zwar noch materiefreie, aber dennoch schon in derLuft der Erde lebende Naturseele gelegt war.[<strong>GEJ</strong>.02_215,12] Als der Boden der Erde völlig reif war, da erst ward einekräftigste Seele aus ihrer freien Luftnatur berufen, sich aus dem fettestenLehmhumus einen Leib nach der Ordnung der in der Seele seienden UrformGottes zu nehmen. Und die erste reifste und kräftigste Seele tat dies, wie sie voninnen aus durch die göttliche Kraft getrieben ward, und es trat sogestaltig dieerste Seele in einen von ihr aus wohlorganisierten frischen und kräftigen Leibund konnte nun völlig schauen alle Sinnenwelt und viele Geschöpfe, die schonalle vor ihr waren.[<strong>GEJ</strong>.02_215,13] Aber das große Tiergeschlecht samt seiner Vorschöpfungverschwand zum größten Teile schon lange vorher von der Erde, als der ersteMensch mit seiner gottähnlichen Majestät die weite Erde begrüßte. Aber dessenungeachtetwerden sich noch zu allen Zeiten Überreste von dieser Vorbewohnerschaftauf und in der Erde vorfinden; aber die Menschen werden nicht wissen,was sie daraus machen sollen.[<strong>GEJ</strong>.02_215,14] Die Weisen aber werden nach und nach dennoch dadurch aufdie Spur geführt werden, daß die Erde älter ist als die kurze Zeit der mosaischenRechnung nur, und Moses wird dadurch auf eine Zeitlang sehr in Mißkredit— 468 —


gelangen. Aber da werden von Mir aus wieder andere Weise erweckt werden,durch die Moses erst in sein vollstes Licht gesetzt werden wird; und von da anwird es nimmer lange währen, daß das volle Reich Gottes auf der Erde Platzgreifen und der Tod von der erneuten Erde für immerdar verschwinden wird.Aber es wird zuvor noch viel Ungemach über den Boden der Erde kommen.[<strong>GEJ</strong>.02_215,15] Ja, der Boden der Erde wird zuvor noch vielfach durch dasBlut und Fleisch der Menschen durchgedüngt werden müssen, und aus solcheinem neuen geistigen Humus erst wird dann die auch leiblich unsterblicheEpoche für diese Erde beginnen, so wie zu Adams Zeiten die Epoche begonnenhatte, in der aus dem fetten Lehmhumus die Seele sich einen vollkommenenLeib in ihrer Gottform bilden konnte.[<strong>GEJ</strong>.02_215,16] Aber die Menschen, die hier im Geiste schon völlig wiedergeborenworden sind in ihrem sterblichen Leibesleben, werden dann für immerüber diese neue Epoche als reine Geister und Engel herrschen, und sie wird ganzihrer Führung anvertraut werden. Hingegen Menschen dieser Zeit, die da keinegeistige Vollendung erreicht haben, werden in dieser neuesten Epoche der Erdezwar wohl mit unsterblichen Leibern auf die Erde gesetzt werden, aber in großerArmseligkeit, und werden sich sehr auf das oft sehr harte Dienen verlegenmüssen, was ihnen sehr bitter munden wird, weil sie sich ihres früheren sehrglücklichen Zustandes in ihren sterblichen Leibern nur zu klar erinnern werden.Diese Epoche wird dann sehr lange währen, bis endlich alles in ein rein geistigesSein übergehen wird nach dem ewigen Plane Gottes. Und siehe, das ist der Gangder Ordnung Gottes, aller Dinge, alles Werdens, Bestehens und Seins!“216. — Der Entwicklungsprozeß eines Weizenkornes[<strong>GEJ</strong>.02_216,01] (Der Herr:) „Siehe an das Weizenkorn! Wenn es in dasErdreich gelegt wird, muß es verfaulen, und aus dem Moder der Verwesung ersterhebt sich der zarte Keim. Was besagt aber das gegenüber der Natur desMenschen?[<strong>GEJ</strong>.02_216,02] Siehe, das Hineinlegen des gesunden, schönen Samens bedeutetentsprechend das erste Werden des Menschen! Es ist gleich dem Eingefleischtwerdender an und für sich schon ganz ausgebildeten Seele, derenvorleiblicher Aufenthalt die Luft, besonders in der Mittelregion der Berge, ist,wo gewöhnlich die Baumregion aufhört, bis zur Schnee- und Eisregion hinauf.[<strong>GEJ</strong>.02_216,03] Wenn eine einmal ganz beisammenseiende Seele die gehörigeplanmäßige Konsistenz in der Luft erreicht hat, so steigt sie tiefer und tiefer biszu den Wohnungen der Menschen herab, bekommt dann aus dem Außenlebensätherkreise,den ein jeder Mensch um sich hat, eine gewisse Nahrung undbleibt, wo sie angezogen wird durch die Homogenität (Gleichartigkeit) ihresWesens.[<strong>GEJ</strong>.02_216,04] Wenn dann irgend Gatten sich durch den Naturtrieb genötigtfühlen, eine Begattung zu begehen, so erhält eine solche vollreife und dem— 469 —


Gattenpaare zunächststehende freie Naturseele aus dem Außenlebensäther einemomentane Kunde, oder sie wird durch die vermehrte Kraft des Außenlebenskreisesder Gatten als homogen angezogen, tritt mit einem gewissen Zwangewährend der Begattungshandlung in den Strom des Mannes und wird durchdiesen in ein kleines Ei gelegt, was man die Befruchtung nennt. Und siehe, vonda an gleicht die Lebensseele dann schon dem Samenkorne, das irgend insErdreich gelegt ward, und macht im Mutterleibe alle die Stadien entsprechenddurch bis zur Ausgeburt in die Welt, die das Samenkorn in der Erde durchgemachthat, bis es den Keim treibt über den Erdboden![<strong>GEJ</strong>.02_216,05] Von da an beginnen dann die verschiedenen Stadien der zuerstäußeren und hernach der inneren Bildung.[<strong>GEJ</strong>.02_216,06] Bei der Pflanze bleiben die Wurzeln in der Erde, dem altenModergrabe des Samenkornes, und saugen von da die materielle Kost. DieseKost aber würde der Pflanze bald den Tod geben, wenn sie nicht geläutert würdedurch den Einfluß des Lichtes der Sonne.[<strong>GEJ</strong>.02_216,07] Des Halmes erster Ansatz hat noch sehr materielle Säfte. Istdieser als Grund ausgebildet, so wird der Halm durch einen Ring gewisserartabgebunden. Durch diesen Ring gehen schon viel feinere Röhrchen, durch dienur ganz dünne und feine Säfte gehen können.[<strong>GEJ</strong>.02_216,08] Aus diesen entsteht dann ein zweiter Stock des Halmes. Daaber auch die Säfte des zweiten Stockes noch grober materieller Art sind undmit der Zeit noch gröber werden, so wird abermals ein Ring gesetzt und dieserzweite Ring mit noch dünneren Röhrchen versehen, durch den nur ganz feineSäfte dringen können zur Ernährung des über ihnen schwebenden Lebensgeistes,ähnlich der Diktion Mosis: ,Und der Geist Gottes schwebte über den Gewässern.‘[<strong>GEJ</strong>.02_216,09] Mit der Zeit aber werden auch diese Säfte oder Wässer für dasüber ihnen schwebende Leben der Pflanze wieder zu grob und könnten dasLeben ersticken; und es wird darum ein dritter Ring, mit gar sehr dünnenRöhrchen versehen, von dem über den Gewässern schwebenden Geiste gezogen.Durch solchen dritten Ring können nunmehr nur äußerst ätherisch zarte und mitdem stets noch über ihnen schwebenden Lebensgeiste schon sehr verwandteSäfte mit Mühe dringen. Der Lebensgeist merkt es aber wohl, ob die Säfte überdem dritten Ringe ihm zur ferneren Ausbildung ganz taugen oder nicht. Findeter sie mit der Zeit noch zu grob und noch zu sehr Spuren des Gerichtes und desTodes enthaltend, so wird noch ein vierter, fünfter, sechster, auch siebenter Ringgezogen, bis endlich die Säfte also ätherisch rein sind, daß in ihnen vorderhandkeine Spur des Todes mehr zu entdecken ist.[<strong>GEJ</strong>.02_216,10] Hier erst wird zu einem neuen Stadium geschritten. Der durchdie allerfeinsten Röhrchen gehende Saft wird nun zur Knospe und zur Blütegeformt, die da mit Organen versehen werden, die alle Fähigkeit besitzen, sichdas höhere Leben aus den Himmeln einzeugen zu lassen.— 470 —


[<strong>GEJ</strong>.02_216,11] Hat die Blüte diesen Dienst geleistet, dann wird sie abgeschiedenals ein eitler Weisheitsprunk, durch dessen Schönheit und Reiz eigentlichder Liebelebensäther angezogen wird, der aber selbst in sich alles ist und keinesweiteren Außenprunkes bedarf. Denn sieh, jede Blume ist eine wohlgeschmückteBraut, die dadurch ihren Bräutigam in ihr Garn zu ziehen trachtet,daß sie sich zuvor recht schmückt! Hat der Bräutigam aber die Braut einmal alssein eigen ergriffen, da wird der flitterige Brautschmuck ehest abgelegt, und derdemütige Lebensernst nimmt seinen Anfang.[<strong>GEJ</strong>.02_216,12] Von da beginnt dann erst die wahre Lebensfrucht sich zuergreifen und zu formen. Und ist dann alle Tätigkeit nur auf die Vollreifwerdungder Frucht verwendet, so verwahrt sich das in der Frucht allen früheren Gefahrenentronnene Leben, wie durch feste Burgen vor irgendeinem noch immermöglichen äußeren Feinde.[<strong>GEJ</strong>.02_216,13] Wo das Leben sich zu schnell auszubilden und auszureifenbeginnt, da wird es denn auch nur wenig fest. Und siehe, wenn da irgendeinäußerer Feind in die Nähe solch eines zu frühreifen Lebens kommt, so zieht ihndieses zu sehr an; er setzt sich damit in eine Verbindung, legt seine Frucht in daszu frühreife Leben der Pflanzenfrucht! Dieses Afterleben zieht dann das zarteLeben der Pflanzenfrucht an sich, verdirbt es und richtet es zugrunde. Diewurmstichigen Früchte sind dafür mehr als ein handgreiflicher Beweis.“217. — Die geistige Entwicklung des Menschen[<strong>GEJ</strong>.02_217,01] (Der Herr:) „Wie aber mit den Pflanzen, so auch mit denTieren und besonders mit den Menschen.[<strong>GEJ</strong>.02_217,02] Nehmen wir an eine zarte, frühreife Maid, bloß nur physisch.Sie zählt noch kaum etwa zwölf Jahre, ist aber schon in allen ihren Leibesteilenderart ausgebildet, daß sie das Aussehen eines mannbaren Mädchens hat. Solcheine Maid reizt dann jeden Mann, der nur ein wenig sinnlicher Natur ist, mächtigerdenn hundert auch noch so schöne, aber an Jahren reife Dirnen. Eine solchefrühreife Maid ist dann ihrem Leibe nach hundert Gefahren ausgesetzt, und esgehört von seiten ihrer Eltern die größte Sorgsamkeit dazu, solch eine zu frühreif gewordene Tochter vor allen den ihren großen Reizen nachstellendenFeinden zu bewahren. Wird sie zu früh einem lüsternen Manne gegeben, so wirdsie leicht verdorben in ihrer Fruchtbarkeit; wird sie zu sehr eingesperrt und vonaller schlimmen Luft abgehalten, so wird ihr Fleisch, wie man zu sagen pflegt,mockig. Sie wird bleich, zehrt ab und erreicht selten ein nennenswertes Alter.Bekommt sie wenig Kost, und das nur eine Magerkost, so wird sie traurig undzehrt am Ende auch früh ab; wird sie gut genährt, so wird sie noch fetter undunbehilflicher und dadurch träge, so daß ihr Blut bald absteht und sie bald dasAussehen einer Leiche überkommt, was dann ihrem Leibe offenbar einen frühenTod bringen muß.[<strong>GEJ</strong>.02_217,03] Das gleiche ist mit einer zu frühzeitigen übertriebenen seeli-— 471 —


schen Bildung der Fall. Wenn daher Kinder von oft nur wenig Talenten zurWeisewerdung mit einer Strenge angehalten werden, als gälte es die Erhaltungeiner Welt, so werden solche Seelen dann matt, weil sie zuvor nicht Zeit hatten,ihren Leib als für alle Fälle brauchbar auszubilden![<strong>GEJ</strong>.02_217,04] Daher braucht alles nach der Ordnung Gottes seine Zeit, undes läßt sich da nirgends ein sogenannter Prachtsprung tun.[<strong>GEJ</strong>.02_217,05] Bei der Ausgeburt des Leibes aus dem Mutterleibe wird derewige Lebenskeim als ein Fünklein des reinsten Gottesgeistes in das Herz derSeele gelegt, gleichwie bei der Frucht einer Pflanze, wenn sie die Blüteabgeworfen hat und sich für sich zu wappnen und zu konsolidieren (festigen,sichern) anfängt. Ist der Leib einmal ausgebildet, so beginnt die Ausbildung desGeistes im Herzen der Seele. Hier muß dann die Seele alles mögliche aufbieten,daß der Geist in ihr zu keimen beginne, und muß ihm förderlich an die Handgehen.[<strong>GEJ</strong>.02_217,06] Die Seele ist hier die Wurzel und der Halm, und der Leib dasErdreich; sie muß dem Geiste kein grobes Wasser zur Nahrung geben.[<strong>GEJ</strong>.02_217,07] Die Ringe, die der Geist zieht, sind die Demütigungen derSeele. Ist der letzte einmal gezogen, dann entwickelt sich der Geist endlich vonselbst und nimmt alles ihm Verwandte aus der Seele in sich auf, konsolidiertsich und nimmt am Ende die ganze Seele, und was im Leibe mit der Seeleverwandt war, in sich auf und ist dann für ewig völlig unzerstörbar, so wie wirsolchen Gang wieder nahezu bei jeder Pflanze mehr oder weniger klar bemerkenkönnen.[<strong>GEJ</strong>.02_217,08] Wenn die Frucht auf dem ordentlichen Wege die naheVollreife erlangt hat, werden in die in ihr ruhenden Körner Lebenskeimfünkleinin zarte, schon vorbereitete Hülschen gelegt; darauf sperrt sich der Kern von derandern Frucht auf eine Zeitlang ganz ab und konsolidiert sich wie für sich, aberdennoch immer zur Hälfte aus dem Lebensäther der ihn umgebenden Frucht.[<strong>GEJ</strong>.02_217,09] Mit der Zeit fängt die äußere Frucht an einzuschrumpfen undzu vertrocknen. Warum denn? Weil ihre Seele ganz übergeht in das Leben desKeimgeistes im Kerne. Und ist die Lebenskraft der Frucht endlich ganz in denLebenskeimgeist übergegangen, so wird der früher durchgängig lebendige Halmin allen seinen Stadien trocken und tot; aber dafür hat sich dann alles Leben derPflanze mit dem Keimleben zu einem gleichen Leben vereinigt und kann alssolches nimmer vernichtet werden, ob es an die Materie des Kernes gebunden istoder nicht.[<strong>GEJ</strong>.02_217,10] Und so siehst du ein und dieselbe Ordnung überall und in allenDingen und dieselben Stadien.“218. — Seele und Leib[<strong>GEJ</strong>.02_218,01] Sagt Cyrenius: „Herr, vergib, hier muß ich eine Zwischenfrage— 472 —


tun! Was geschieht denn mit dem Keimchen des Weizenkornes, so es zermalmt,zu Mehl gemacht, endlich als Brot gebacken und gegessen wird? Lebt auch indiesen Stadien der Lebenskeim noch immer fort?“[<strong>GEJ</strong>.02_218,02] Sage Ich: „Allerdings; denn wenn du das Brot issest, so wirddas materielle Mehl bald wieder durch den natürlichen Gang aus dem Leibegeschafft, das Keimleben aber geht dann als Geistiges sofort in das Leben derSeele über und wird nach entsprechender Beschaffenheit eins mit ihr. Das mehrMaterielle des Lebenskeimes aber, das ihm immer, wie das mosaische Wasserdem Geiste Gottes, zur soliden Unterlage diente, wird Nahrung des Leibes, gehtendlich als gehörig geläutert auch in die Seele über und dient ihr zur Bildungund Ernährung der seelischen Organe als ihrer Glieder, ihrer Haare usw. undüberhaupt zur Bildung und Ernährung alles dessen, was du vom Alpha bis zumOmega an einem menschlichen Leibe findest.[<strong>GEJ</strong>.02_218,03] Daß aber eine Seele aus allen den gleichen Teilen wie der Leibbesteht, davon kannst du dich an dem Engel Raphael, der an unserem Tischesitzt und sich nun mit dem Josoe unterhält, mehr als handgreiflich überzeugen.(Mich zum Engel wendend:) Raphael, komm hierher, und laß dich befühlen vonCyrenius!“[<strong>GEJ</strong>.02_218,04] Der Engel kommt, und Cyrenius betastet ihn und sagt: „Ja, ja,das ist alles Natur und sozusagen im Ernste Materie! Er hat wahrlich ebenso wiewir alle Glieder und dieselbe Form wie unsereins, nur ist alles edler, weicherund um sehr vieles schöner; denn die Anmut seines Gesichtes ist, man kann essagen, unübertrefflich strahlend schön! Es ist zwar durchaus kein Mädchengesicht,sondern ein männliches, mit allem Ernste gegeben, aber dabei dennochschöner als das schönste Mädchengesicht! Ich habe mich früher wahrlich vielzuwenig bekümmert um diesen Gesellschafter. Er wird ordentlich immerschöner, je länger ich ihn betrachte. Mein Himmel, das ist wahrlich sonderbar!(Zum Engel sagend:) Höre, du herrlich schönster Engel, fühlst du auch Liebe indeiner schönsten Brust?“[<strong>GEJ</strong>.02_218,05] Spricht der Engel: „O sicher; denn mein geistiger Leib istgleich der göttlichen Weisheit, und mein Leben ist die ewige Liebe Gottes desHerrn. Und weil mein Leben pur Liebe ist, so muß ich ja doch auch die Liebefühlen, da mein Leben selbst nichts als die purste Liebe ist.[<strong>GEJ</strong>.02_218,06] Wie konntest du als ein sonst so weiser Mann mich doch umso etwas fragen? Sieh, was Gott der Herr von Ewigkeit in Sich Selbst war, istund bleiben wird ewig, das müssen ja auch wir sein, weil wir vollkommen ausIhm und somit auch völlig in allem Sein Wesen sind, gleichwie der Strahl derSonne auch vollends das ist und wirket, als was die Sonne selbst ist! Wenn aberalso, wie dann solch eine Frage?!“[<strong>GEJ</strong>.02_218,07] Sagt Cyrenius: „Ja, ja, das ist schon ganz wahr und richtig,und ich hätte das auch ohne deine Erklärung gewußt; aber ich mußte dich jadoch um etwas fragen, auf daß ich den Ton deiner Rede zu hören bekam. Nunaber sind wir auch schon fertig miteinander, und du kannst dich wieder auf— 473 —


deinen Platz begeben!“[<strong>GEJ</strong>.02_218,08] Sagt der Engel: „Das hast nicht du, sondern allein der Herr mirzu gebieten!“[<strong>GEJ</strong>.02_218,09] Sagt Cyrenius: „Freund, wie es mir vorkommt, so bist du beideiner Schönheit, Weisheit und Liebe aber dennoch so hübsch fest im trotzigenEigensinne!?“[<strong>GEJ</strong>.02_218,10] Sagt der Engel: „O mitnichten! Aber von den Sterblichen kannund darf mir keine Vorschrift gegeben werden; denn bei mir selbst bin ich einHerr und lasse mir von niemand etwas vorschreiben, weil mein Ich nun, abgesehen,daß ich völlig in allem aus Gott bin, ein vollkommen selbständiges Ich ist!Zudem brauche ich mich nicht wie die Menschen dieser Welt vor etwas zufürchten; denn dazu habe ich eine Macht und Kraft, von der dir noch nie etwasgeträumt hat. Willst du aber diese näher kennenlernen, so frage du den HauptmannJulius und meine Jüngerin Jarah und auch die Jünger des Herrn; diesewerden dir davon schon etwas zu erzählen verstehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_218,11] Sagt Cyrenius: „Herr, sage Du ihm, daß er sich wieder aufseinen Platz begeben möchte, sonst fange ich an, mich im Ernste ganz entsetzlichvor ihm zu fürchten; denn mit dem möchte ich wahrlich keine Kirschenverzehren! Er wird stets gröber und hitziger, und es ist mit ihm bei all seinerSchönheit nichts zu machen.“[<strong>GEJ</strong>.02_218,12] Sage Ich zum Engel: „Nun, so begib dich denn wieder aufdeinen Platz!“ – Und der Engel folgt augenblicklich Meinem Wink und begibtsich wieder an seinen alten Platz. Und Cyrenius ist sehr froh darüber; denn erhat vor dem Engel schon in allem Ernste sich sehr zu fürchten angefangen.[<strong>GEJ</strong>.02_218,13] Gleich darauf aber fragen Mich Johannes und Matthäus, ob siedas alles aufzeichnen sollen.[<strong>GEJ</strong>.02_218,14] Sage Ich: „Das könnt ihr tun für euch, aber fürs Volk brauchtihr das nicht aufzuzeichnen; denn das ist noch um zweitausend Jahre zu jung,um das zu fassen. Den Schweinen aber soll man die Perlen nimmer vorwerfen,weil sie solche Kost von der schlechtesten Schweinekost gar nie zu unterscheidenvermögen. Aber für euch und für wenige andere könnet ihr das ja immerhinaufzeichnen.“[<strong>GEJ</strong>.02_218,15] Und die beiden Jünger tun das auch mit entsprechendenBildzeichen zum Unterschiede dessen, was sie auf Mein Geheiß mit den ordentlichenhebräischen Buchstaben niedergeschrieben haben.219. — Die Schöpfung des Himmels und der Erde. (Mo. 1)[<strong>GEJ</strong>.02_219,01] Cyrenius bittet Mich aber um die Fortsetzung der Erläuterungder Mosaischen Schöpfungsgeschichte in der entsprechenden Weise.[<strong>GEJ</strong>.02_219,02] Und Ich sage: „Freund, was Ich begonnen, werde Ich auchvollenden; nur steht es vorderhand und vor der Zeit noch dahin, ob ihr es wohl— 474 —


fassen werdet. Denn um die Mosaische Schöpfungsgeschichte ordentlich zufassen, muß man sehr in der Kenntnis über das ganze Wesen des Menschen sein,zu der es aber ebensoschwer zu gelangen ist, wie zur richtigen und vollenErkenntnis Gottes.[<strong>GEJ</strong>.02_219,03] Und so müßte Ich euch erst den ganzen materiellen, seelischenund geistigen Bau des Menschen von Faser zu Faser und von Fiber zu Fiberzergliedern und endlich zeigen, wie das Seelische sich zuerst aus dem Geistigenund das Materielle aus Seelischem entwickelt und geformt hat, und unterwelchen zahllos vielen Entsprechungen, die wie die endlos vielen Lichtgrademit den ebenso vielen Lichtmangelgraden korrespondieren.[<strong>GEJ</strong>.02_219,04] Ihr sehet aus dem, daß dies so leicht und so geschwind, wie ihres meint, der Fall nicht sein kann; aber Ich werde euch dennoch soviel darübersagen, als ihr vorderhand ertragen könnet, und wofür mit einiger Überzeugungzu fassen ihr schon in eurer Seele mit Erfahrungen und nötigen Vorkenntnissenversehen seid. – Und so horchet denn![<strong>GEJ</strong>.02_219,05] So da Moses spricht: ,Im Anfange schuf Gott Himmel undErde‘, so will Moses damit durchaus nicht den sichtbaren Himmel und die sichtbare,materielle Erde verstanden haben, weil er als ein echter Weiser daran wohlnie gedacht hatte, indem er stets nur die vollste innerste Wahrheit in seinemerleuchteten Sinne hatte. Aber diese seine tiefe Weisheit verhüllte er in entsprechendeBilder, also, wie er zum Zeugnisse dessen sein zu strahlendes Angesichtmit einer dreifachen Verhüllung vor dem Volke verdecken mußte.[<strong>GEJ</strong>.02_219,06] Unter ,Himmel‘ aber, was Moses zuerst als erschaffen anführt,ist zu verstehen, daß Gott die Intelligenzfähigkeit einstens, wie schon in der Zeitaußer Seinem ewigsten und geistreinsten Zentrum, wie gewisserart außer Sichhinausgestellt hat – aber, wie gesagt, nur die Intelligenzfähigkeit. Diese istgleich einem Spiegel, der in der finstersten Nacht wohl auch die Fähigkeitbesitzt, äußere Gegenstände abbildlich in sich, oder vielmehr auf seiner glattestenFläche, vollkommen treu und wahr aufzunehmen und wiederzugeben. Aberin der vollsten Nacht, und daselbst in der ebenso vollen Objektlosigkeit, ist derSpiegel doch offenbarst eine Sache für nichts und wieder nichts![<strong>GEJ</strong>.02_219,07] Moses aber berichtet darum sogleich neben der Hinstellungeines Himmels, oder der Intelligenzfähigkeit außer dem Lebenszentrum Gottes,von einer sozusagen gleichzeitigen Kreierung (Erschaffung) der Erde. Wer undwas aber ist wohl diese mosaische Erde? Ihr meinet wohl: ,Nun, diese, die unsträgt!‘ – Oh, weit gefehlt, Meine Lieben![<strong>GEJ</strong>.02_219,08] Sehet, unter der ,Erde‘ verstand Moses bloß die AssimilationsundAttraktionsfähigkeit (Angleichungs- und Anziehungsfähigkeit) der untereinanderverwandten, hinausgestellten Intelligenzen, die fast ein Gleiches ist mitdem, was einige Weltweise der Ägypter und Griechen Ideenassoziation (Gedankenverbindung)nannten, wo aus verwandten Begriffen und Ideen endlich einganzer mit Wahrheit erfüllter Satz zum Vorschein kommen muß.— 475 —


[<strong>GEJ</strong>.02_219,09] Wenn aber in den von Gott hinausgestellten Intelligenzfähigkeitenzufolge ihrer Verwandtschaft die wechselseitige Anziehung schon wievon selbst mitbedungen war, so ergibt sich auch die dritte Folgerung wie vonselbst, nämlich daß sich die unter sich verwandten Intelligenzfähigkeiten auchwirklich wechselseitig angezogen und ergriffen haben, – für welchen damalsnoch tief geistigen Akt Moses offenbar doch kein tauglicheres und allgemeineresBild aufstellen konnte, als eben das Bild der materiellen Erde, die an und fürsich nichts als eben ein Konglomerat (Zusammengeballtes) von lauter attraktionsfähigenund unter sich, wie in sich verwandten Substantialpartikeln ist.[<strong>GEJ</strong>.02_219,10] Aber ,Es war noch finster auf der Tiefe‘ spricht Moses weiter.Wollte etwa Moses dadurch im Ernste die Lichtlosigkeit auf der neugeschaffenenErde andeuten? Ich sage es euch, davon hatte dem weisen Moses selbst auchim Anfange seines dümmsten Seins nie etwas geträumt! Denn Moses war eintiefer Kenner der Weltnatur und war in ägyptische tiefste Weisheit und Wissenschaftzu eingeweiht, als daß er nicht gewußt hätte, daß die Erde – als ein Kindder Sonne wenigstens um eine milliardmal Milliarden von Erdjahren jünger alsdie Mutter Sonne – bei ihrer Entstehung nicht finster sein konnte; sondernMoses hat damit nur abermals bildlich angedeutet, daß die Intelligenzfähigkeitund die attraktionsfähige Verwandtschaft der Intelligenzen noch kein wie immergeartetes Erkennen, Verständnis und Selbstbewußtsein – was alles identisch istmit dem einen Begriffe ,Licht‘ –, sondern das Gegenteil so lange bedingen muß,bis sie sich ergreifen, sich danach zu drücken, zu reiben und also gewisserartmiteinander zu kämpfen anfangen.[<strong>GEJ</strong>.02_219,11] Habt ihr aber noch nie bemerkt, was da zum Vorscheinkommt, wenn man Steine oder Hölzer stark miteinander zu reiben anfängt?Sehet, da kommt dann Feuer und Licht zum Vorschein! Und sehet, das ist dasLicht, das Moses entstehen läßt im Anfange!“220. — Erde und Licht. (Mose 1)[<strong>GEJ</strong>.02_220,01] (Der Herr:) „Was sonach das Licht zu bedeuten hat, wissenwir; aber es heißt zuvor noch, daß die Erde wüst und leer war! Das ist ganzsicher; denn mit der Fähigkeit allein, etwas in sich aufnehmen zu können, wieauch mit dem schon gefühlten Bedürfnisse dazu, ist noch kein Gefäß vollgemachtworden. Solange aber im Gefäße nichts ist, so lange auch ist das Gefäßwüst und leer.[<strong>GEJ</strong>.02_220,02] So auch ist es bei der Urschöpfung der Fall gewesen. Es warenaus Gott wohl eine zahlloseste Menge von Gedanken und Begriffen durch dieallmächtige Willenskraft Seiner Liebe und Weisheit in alle Räume der Unendlichkeithinausgestellt worden, welche Gedanken und Begriffe wir vorher dieeinzelnen spiegelartigen Intelligenzfähigkeiten genannt haben, und zwar darum,weil jeder einzelne Gedanke gewisserart eine Reflexion (Widerstrahlung) imHaupte von dem ist, was das stets tätige Herz in sich produziert.— 476 —


[<strong>GEJ</strong>.02_220,03] Wie aber ein Gedanke oder ein Begriff für sich noch gleicheinem leeren Gefäße oder auch gleich einem Spiegel im finstersten Keller ist,also ist auch die gesamte gegenseitige (Ideen-)Verwandtschaft noch wüst undleer; und da noch keine Tätigkeit der Intelligenzfähigkeiten untereinander,sondern pure Fähigkeiten zum Sein und zur Tätigkeit vorhanden sind, so ist alsoauch noch, wie schon ehedem bemerkt, alles kalt, feuer- und lichtlos.[<strong>GEJ</strong>.02_220,04] Alle diese noch tat- und regungslosen Gedanken und Ideen dergöttlichen Weisheit werden auch höchst treffend verglichen mit dem ,Wasser‘,in dem auch zahllose Spezifikalelemente wie zu einem einfachen zusammengemengtsind, aus dem aber endlich dennoch alle Körperwelt ihr höchst verschiedenartigesDasein nimmt.[<strong>GEJ</strong>.02_220,05] Aber all die großen Gedanken und daraus entwickelten Ideenin der Weisheit Gottes, und mochten sie noch so wahr gewesen sein, hätten aberdennoch nie irgendeine Realität erhalten können, sowenig als die Gedanken undIdeen irgendeines Weisen der Erde, so ihm zur Realisierung derselben die Mittelfehlen. Ist je irgendeine Wirklichkeit denkbar, die dem Gedanken und den Ideenfolgen soll, so müssen zuerst die entsprechenden Mittel und durch diese diewahre Tätigkeit der Gedanken und Ideen von innen wie von außen her auf dieseeinwirkend und von einer hohen Kraft und Macht ausgehend herbeigeschafftwerden.[<strong>GEJ</strong>.02_220,06] Wenn irgendein Mensch sonach Gedanken zu Ideen verbandund sie bewerkstelligt haben möchte, so muß er, abgesehen, daß er dazu dienötigen materiellen Mittel hat, zu seinen Gedanken und Ideen eine rechtübermächtig große Liebe fassen. Von solcher Liebe werden dann seine Gedankenund Ideen also gehegt, wie da hegt eine Henne ihre Küchlein. Dadurchwerden die Gedanken und die daraus entstandenen Begriffe als schon mehrkonkrete Ideen stets lebendiger und ausgebildeter. Und sehet, solch eine Liebeist eben der Geist Gottes in Gott Selbst, der da, nach Moses, auf dem Wasserschwebte, das an und für sich nichts anderes besagt, als die noch form- undwesenlose unendliche Masse der Gedanken und Ideen Gottes![<strong>GEJ</strong>.02_220,07] Durch diesen Geist belebt, fingen die Gedanken Gottes an,sich zu großen Ideen zu verbinden, und es drängte ein Gedanke den andern undeine Idee die andere. Und seht, da geschieht dann in der göttlichen Ordnung jawie von selbst das ,Es werde Licht!‘ und ,Es ward Licht!‘ Und sonach erklärtsich nach Moses denn auch sogar der natürliche große Schöpfungsakt vonUranbeginn von selbst – mit dem gleichgehend aber endlich auch, und zwarhauptsächlich, der seelische und geistige Bildungsprozeß vom neugeborenenKinde an bis zum Greise und vom ersten Menschen der Erde bis auf unsereZeiten und so fort bis ans einstige Ende dieser Welt – in allem![<strong>GEJ</strong>.02_220,08] Nun kommt im Moses freilich ein Satz, demnach es dasAnsehen hat, als ob Gott erst nach dem sich aus dem Feuer der Liebetätigkeitdes Geistes entwickelten Lichte einzusehen anfinge, daß das Licht gut sei; alleines ist dem bei weitem nicht also, sondern es ist dies nur ein Zeugnis der ewigen— 477 —


und endlosen Weisheit Gottes, laut dem dies Licht ein wahrhaft freies, sich vonselbst aus der Tätigkeit der Gedanken und Ideen Gottes nach der Ordnung derWeisheit entwickeltes Geistlebenslicht ist, durch das die auf diese Weise vonGott hinausgestellten Gedanken und Ideen Gottes sich als selbständige Wesennach eigener Intelligenz weiterhin, natürlich unter dem unvermeidbar beständigenEinflusse Gottes, wie von sich selbst heraus ausbilden können. Dieses wirdsonach durch den Beisatz Mosis verstanden, aber nicht, als ob Gott erst dadurchzur subjektiven Einsicht gelangt wäre, daß das Licht etwas Gutes sei!“221. — Scheidung von Licht und Finsternis (Mo. 1)[<strong>GEJ</strong>.02_221,01] (Der Herr:) „Aber nun kommt etwas, das im Grunde desGrundes schwieriger zu fassen ist als das Vorhergehende. Denn es heißtferner: ,Da schied Gott das Licht von der Finsternis und hieß das Licht Tag unddie Finsternis Nacht.‘ Diese Sache wird aber leichter verständlich, so ihr stattder beiden von Moses aufgestellten allgemeinsten Begriffe die entsprechendenmehr sonderheitlichen nehmt, als für den Tag das schon selbständige Leben undfür die Nacht den Tod, oder für den Tag die Freiheit und für die Nacht dasGericht, oder für den Tag die Selbständigkeit und für die Nacht die Gebundenheit,oder für den Tag das sich selbst schon erkennende Liebeleben des göttlichenGeistes in der neuen Kreatur und für die Nacht die noch unbelebten Gedankenund Ideen aus Gott.[<strong>GEJ</strong>.02_221,02] Diese Ordnung aber findet ihr ebenfalls auch wieder schon ineiner jeden Pflanze, bei der ihr bis zum Ansatze der Frucht noch nichts denn dieNacht findet oder den gierenden Tod, wo der Geist Gottes noch der Vorbildungder Leben tragenden Materie wegen auf dem Wasser der finsteren Tiefeschwebt. Ist die Unterlage aber einmal insoweit solid, daß am Weizenhalme derSchöpfung der letzte Reif unter der Ähre gezogen werden kann und das eigentlichewahre Geistleben sich als ein selbständiges zu ergreifen, zu fühlen und imhellen Selbstbewußtsein sich zu begreifen, zu erkennen und zu verstehenbeginnt, so geschieht da doch eine offenbare Teilung oder vielmehr Scheidungdes Lichtes von der Finsternis, des freien Lebens von dem Gerichtsleben, odereigentlich des unverwüstbaren Lebens von dem zerstörbaren Gerichtsleben, dasda gleich ist dem Tode unter dem allgemeinsten, alles umfassenden BegriffeNacht.[<strong>GEJ</strong>.02_221,03] Und ferner heißt es: ,Da ward aus Abend und Morgen der ersteTag.‘ Was ist der ,Abend‘, und was ist hier der ,Morgen‘? – Der Abend ist hierderjenige Zustand, in dem sich die Vorbedingungen zur endlichen Aufnahmedes Liebelebens aus Gott durch den Einfluß des allmächtigen Gotteswillens zukonstatieren (bekunden) und zu ergreifen anfangen, gleich den einzelnen Gedankenund Begriffen zu einer Idee. Sind diese einmal konstatiert (gediehen) biszum letzten Ringe unter der Fruchtähre, so hat da die Verrichtung des Abendsein Ende, und es beginnt dann die freie und selbständige Tätigkeit zur eigenenSichselbstbildung in der Frucht. Wie die Menschen aber den Übergang der— 478 —


Nacht in den Tag den Morgen nennen, so auch ward entsprechend der Übergangdes vorhergehenden gerichteten, unfreien Zustandes der Kreatur in den freien,selbständigen der Morgen genannt. Und sehet, da hat Moses durchaus keinenlogischen Fehler begangen, so er aus dem Abende und aus dem Morgen denersten und alle darauffolgenden Tage entstehen läßt![<strong>GEJ</strong>.02_221,04] Daß Moses sechs solche Tage aus dem Abende und Morgenentstehen läßt, hat zum Grunde, weil nach sorglicher Beobachtung undForschung ein jedes Ding von seinem Urbeginne bis zu seiner Vollendung alsdas, was es ist, genau im Wege ein und derselben göttlichen Ordnung die sechsPerioden durchzumachen hat, bis es als das, was es vorderhand sein soll, vollendetdasteht, gleich einer vollreifen Weizenähre am abgestorbenen Halme.[<strong>GEJ</strong>.02_221,05] Die Samenlegung ins Erdreich bis zum Erkeimen: erster Tag;von da die Bildung des Halmes und der Saug- und Schutzblätter: zweiter Tag;von da die Bildung des letzten Ringes knapp unter dem sogleichen Ansatze derersten Anlagen zur Bildung der Ähre: dritter Tag; von da die Bildung undEinrichtung der hülsenartigen Gefäße gleich den Brautgemächern zur Einzeugungdes freien, selbständigen Lebens, wozu auch der Blütenstand zu nehmenist: vierter Tag; von da der Abfall der Blüte, die Entstehung der eigentlichen,schon ein freies Leben tragenden Frucht und deren freie Tätigkeit – obschonnoch im Verbande mit den früheren, unfreien Zuständen, aus denen noch einTeil der Nahrung zur Bildung der Häute genommen wird, obschon von da dieHauptnahrung aus den Himmeln des Lichtes und der wahren Lebenswärmegenommen wird – bis zur vollen Ausbildung der Frucht: fünfter Tag; endlich diegänzliche Ablösung der in der Hülse reif gewordenen Frucht, wo der Kern dannschon ganz allein zu seiner vollsten Konsolidierung (Festigung) und eben soallein und nun schon vollkommen selbständig die reine Kost der Himmelverlangt, sie annimmt und sich damit frei sättigt fürs freieste, ewig unzerstörbareLeben: sechster und letzter Tag zur Bildung und vollen Freiwerdung des Lebens.[<strong>GEJ</strong>.02_221,06] Am siebenten Tag tritt dann die Ruhe ein, und das ist derZustand des nun fertigen, vollreifsten und für die Ewigkeit bestandfähig aus denfrüheren Zuständen konsolidierten (gefestigten) Lebens, ausgerüstet mit dervollen Gottähnlichkeit.“222. — Das Endziel der gesamten Schöpfung[<strong>GEJ</strong>.02_222,01] (Der Herr:) „Wenn ihr dies nun von Mir zu euch Gesagte nurso ein wenig tiefer und reifer als die gewöhnlichen Menschen dieser Zeitüberdenken wollet, so werdet ihr, wenn schon gerade nicht in aller Tiefe derTiefen, leicht finden und einsehen, daß Moses mit seiner Schöpfungsgeschichtewohl nur die einzig wahre und mit aller Ordnung der ewigen Weisheit vollkommenübereinstimmende Entstehung und Fortbildung aller Dinge von ihremUrbeginne bis zu ihrer höchsten Vollendung unter seinen trefflichen Bildernverstanden hat.— 479 —


[<strong>GEJ</strong>.02_222,02] Wer Moses aber nicht also versteht, der soll ihn auch gar nichtlesen; denn liest er ihn und versteht ihn aber also verkehrt, so muß er endlich beinur einigem Nachdenken ganz irre werden, und er kommt in einen rechten Ärgerüber die unlogische Dummheit Mosis und über die am Ende sogar böswilligeDummheit aller derer, die eine so unlogische dümmste Lehre, als sogar vomGeiste Gottes eingegeben, den Menschen unter Feuer und Schwert aufdringenohne alle Rücksicht darauf, ob sie auch ihnen selbst als eine allergröbsteDummheit vorkommt.[<strong>GEJ</strong>.02_222,03] Wer aber mit dem nun gezeigten rechten Verständnisse denMoses liest, der wird in ihm nicht nur den umfassendst weisen, sondern auchden vom Geiste Gottes allerdichtest durchdrungenen, wahrsten Propheten erkennen,der die ausgedehnteste Fähigkeit und danebst den festesten Willen hatte, allden Menschen alle Tiefe der Tiefen über Gott und über alle geschaffenen Dingedie vollwahrste Kunde also zu geben, wie er sie in seinem Riesengeiste vomGeiste Gottes Selbst empfangen hatte![<strong>GEJ</strong>.02_222,04] Also entstanden die Sonnen alle für sich, die Erden für sich,und jedes einzelne auf den Sonnen und Erden für sich, und also auch in ihremallgemeinen Zusammenhange. Und so entstand der Mensch im engsten Sinnefür sich, und eben also im allgemeinsten, weil die ganze Schöpfung in aller ihrerAllgemeinheit einem Menschen völlig gleicht und entspricht, und weil jedeseinzelne, vom Größten bis zum Kleinsten, der ganzen geistigen und materiellenSchöpfung ebenfalls dem Menschen entspricht und entsprechen muß, weil derMensch der eigentliche Grund und das Endziel der gesamten Schöpfung ist. Erist das endlich zu gewinnende Produkt all der Vormühen Gottes.[<strong>GEJ</strong>.02_222,05] Und weil eben der Mensch das ist, was Gott durch alle dieVorschöpfungen erreichen wollte und auch erreicht hat, wovon ihr als unwidersprechbareBeweise dastehet, so entspricht auch alles in den Himmeln und aufall den Weltkörpern in allem dem Menschen, wie es Moses auch in seinerSchöpfungsgeschichte dargestellt hat, und wie es auch andere Volkslehrer, wennschon verhüllter, dargestellt haben. Prüfet aber nun alles, und ihr werdet esfinden, daß es sich nur also und unmöglich anders verhält und verhalten kann! –Du, Cyrenius, aber sage es Mir, wie du nun mit Moses zufrieden bist!“223. — Zeugnis des Cyrenius über die Schöpfungsgeschichte[<strong>GEJ</strong>.02_223,01] Sagt Cyrenius: „Herr und Meister, wahrlich, Deine Weisheitgeht über alles, was je die Erde als Weisestes segnete, unendlich hoch und weitdarüber hinaus! Denn ist es schon viel, ein großer Weiser für sich zu sein, so istes aber dennoch endlos mehr, die tiefste und verborgenste Weisheit Gottes mitverständiger Rede also darzustellen, daß sie Menschen, ohne irgendeine besondereWeisheitsbildung zu besitzen, wie wir da sind, leicht und klar fassenkönnen. Das kann nach meiner Ansicht nur Gott allein möglich sein; denn einnoch so weiser Mensch kann am Ende gleich dem Moses seine vom Gottesgeisteempfangene Weisheit nur in entsprechende Bilder einfassen, oder diese werden— 480 —


ihm schon wie Samenkörner gegeben, die er dann gleich einem Sämann insErdreich der Menschenherzen legt. Von solchen Körnern gehen dann wohl somanche entsprechende Früchte hervor; aber die Menschen erkennen die Früchteoft ebensowenig, als sie die in ihre Herzen gestreuten Samenkörner erkannten,und es ist da mit einer solchen Aussaat am Ende wenig geholfen. Ernten dieMenschen deren reif gewordene Früchte ein, so wissen sie aber dann am allermeistendennoch kaum, was sie daraus machen sollen, und wozu sie eigentlichzu verwenden seien.[<strong>GEJ</strong>.02_223,02] Gewöhnlich wird schon von den ersten Ausstreuern derWeisheitssamenkörner eine nie ganz richtige Anwendung gemacht, und um soweniger erst hernach von ihren späteren Nachfolgern; denn würden die allererstenAussäer der Weisheitskörner von deren Früchten einen vollkommen richtigenund wahren Gebrauch gemacht haben, so müßten alle ihre Nachfolger auchunmöglich einen andern als nur einen rechten und wahren Gebrauch davonmachen. Weil aber sicher aus einem unrechten Verständnisse schon die ProphetenFehler wider ihre schwachverstandene Lehre gemacht haben, so waren derleikleine Fehler ganz sicher der Grund von den hernach großen in den späterenNachfolgern.[<strong>GEJ</strong>.02_223,03] Moses und Aaron mögen wohl sehr rein nach der ihnen vomGeiste Gottes geoffenbarten Lehre gelebt haben; ob sie aber ihre Lehre aus Gottkommend ebenso verstanden haben, wie Du sie uns nun enthüllt hast, ist einegroße Frage und ist sehr zu bezweifeln. Denn man kann eine fremde Spracheund deren Schrift wohl recht gut und ganz richtig auf ein Blatt übertragen, ohnedavon irgend etwas aus dem Grunde zu verstehen.[<strong>GEJ</strong>.02_223,04] Aber also, wie Du, o Herr, uns nun die Genesis Mosis erläuterthast, kann kein weiterer Zweifel im Herzen des Menschen übrigbleiben, und dieBefolgung solch einer Lehre sowohl im rechten Verständnisse und in rechter Tatdanach kann dann ja offenbar keine andere als auch nur eine richtige sein.[<strong>GEJ</strong>.02_223,05] Aber da Du, o Herr, nun schon so freigebig geworden bist mitder Enthüllung der tiefsten und verborgensten Wahrheiten, so gib uns allen nochso einen kleinen Aufschluß über den sogenannten ,Fall der Engel‘, als der erstengeschaffenen Wesen, dann vom ,Falle Adams‘ und endlich von dersogenannten ,Erbsünde‘, die als ein schlechtes Erbteil an alle späteren Menschenübergegangen ist. Wenn es nicht zu spät ist und wir solches nur einigermaßen zufassen imstande sind, so tue noch einmal Deinen wahrhaft heiligsten Mund aufund gib uns davon nur so einige feste Winke, auf daß wir auch darin nur so einwenig über die alltägliche Gewöhnlichkeit zu Hause sein möchten!“[<strong>GEJ</strong>.02_223,06] Sage Ich: „Ja, Mein liebster Freund, das ist wohl eine nochhärtere Nuß als die Mosaische Schöpfungsgeschichte selbst, obschon sie eigentlichin dieser völlig enthalten ist und für den emsigen Forscher nun schon wieein Gold am freien Tage liegt. Wenn du aber nur nach einem bloßen festenWinke dürstest und nicht nach einer durchgeführten Lehre, so kann Ich dir solcheinen Gefallen ja recht gerne erweisen; denn zur Aufstellung einer durchgeführ-— 481 —


ten Lehre darüber hätten wir wohl alle zu wenig Zeit, da es nun schon um diedritte Nachtwache geworden ist. – Wer da Ohren hat, der höre!“224. — Über den Fall der Geister, den Fall Adams und die Erbsünde[<strong>GEJ</strong>.02_224,01] (Der Herr:) „Der Fall der erstgeschaffenen Geister oder derfreien und belebten Ideen Gottes im endlosen Raume ist die große Scheidung,von der Moses sagt: ,Da schied Gott das Licht von der Finsternis!‘ Wie abersolches zu verstehen ist im wahren Sinne der rechten und vollrichtigen Entsprechung,habe Ich euch allen bereits zur Genüge gezeigt; der Erfolg davon – dienotwendige materielle Welt, deren große und kleine Teile als Sonnen, Erden undMonde und alles, was in und auf denselben – ist durch den endlosen Raumausgestreut.[<strong>GEJ</strong>.02_224,02] Was aber da betrifft den ,Fall Adams‘, so hat solcher schonfreilich mehr Objektivität als der sogenannte ,Fall der Engel‘, ist aber dabei inder Entsprechung dennoch homogen dem Falle der Engel; nur kommt bei ihmschon wirklich ein positives Gesetz zum Vorscheine, während es sich bei demFalle der Engel noch lange um kein solches Gesetz handeln konnte, weil damalserst mit der großen Entwicklung der frei zu machenden Wesen der Anfanggemacht ward und sonach außer Gott noch keine solche Intelligenz dastand, derman irgendein positives Gesetz hätte geben können.[<strong>GEJ</strong>.02_224,03] Darum geschah unter dem sogenannten ,Falle der Geister‘auch eine notwendige und genötigte Scheidung, während die adamitische, alsschon von ihm selbst ausgehend, eine freie war und sonach keine Nötigung,sondern ein freier Akt des schon in allen seelischen Sphären freien erstenFleischmenschen. Im ganzen ist sie aber dennoch auch ein vorhergesehenerAktus aus der geheimen Ordnung Gottes, die zwar nie als eine absoluteNötigung, aber dennoch als eine Zulassung unter ,du sollst‘ und ,du sollst nicht‘dem freien Willen des Menschen wegen seiner aus der eigenen Tätigkeit zugewinnenden Konsolidierung gegeben wird.[<strong>GEJ</strong>.02_224,04] Es ist da ein Unterschied wie zwischen einem Kindmenschen,der seine eigenen Füße noch nicht gebrauchen kann und daher von einem Ortezum andern hingetragen werden muß, und einem gesunden Manne, der schonlange oft nur schon zu gut und zu fest gehen kann.[<strong>GEJ</strong>.02_224,05] Wer aber einmal selbst gehen kann, den braucht man ja dochnicht mehr gleich einem neugeborenen Kinde an einen Ort hinzutragen, den manmit dem Kinde und für das Kind erreichen will, sondern man zeige ihm dengeradesten und untrüglichen Weg bis zum Orte der Bestimmung. Will dergesund- und starkfüßige Mensch darauf hingehen, so wird er das Ziel auchsicher und gefahrlos erreichen; macht er aber freiwillig Umschweife undUmwege, nun, so muß er sich's dann aber auch selbst zuschreiben, so er dasvorgesteckte Ziel oft um vieles später, schwerer und mühevoller erreicht.[<strong>GEJ</strong>.02_224,06] Und das sehen wir denn auch bei Adam. Hätte er das positive— 482 —


Gebot beachtet, so wäre die Menschheit, resp. die vollkommene Seele desMenschen, nicht zu dem sehr harten, schweren und gebrechlichen Fleischleibegekommen, der nun mit gar vielen Gebrechen und Mängeln behaftet ist.[<strong>GEJ</strong>.02_224,07] Aber der Ungehorsam gegen das positive Gesetz hat denersten Menschen notwendig auf einen weiten Umweg gebracht, auf dem er nundas Ziel um vieles schwerer und um vieles später erreicht.[<strong>GEJ</strong>.02_224,08] Du meinst freilich und sagst bei dir: ,Ei, was kann denn einkleines, bloß moralisches Gesetz, ob es beachtet oder nicht beachtet wird, aufdie gesamte Natur des Menschen für einen gar so wesentlichen Einfluß nehmen?Adam wäre ohne den dummen Genuß sicher ebenso der fleischliche Adamgeblieben, als er es durch den Genuß des Apfels geblieben ist, und er hättedereinst dem Fleische nach sicher ebensogut sterben müssen wie nun noch alleMenschen!‘[<strong>GEJ</strong>.02_224,09] Du hast einesteils wohl recht; aber andernteils auch unrecht.Es ist der Genuß eines Apfels, der eine gesunde und süße Frucht ist, sicher nichttodbringend; denn sonst müßten nun alle Menschen, die Äpfel essen, bald daraufsterben. Also am Apfel selbst liegt wenig oder auch nichts. Aber so er zumGenusse auf eine unbestimmte Zeit verboten wird, und das bloß nur der größerenKonsolidierung der Seele wegen, die Seele aber, ihres freien Willensbewußt, das Gesetz mißachtet und übertritt, so macht sie gewisserart einenDurchbruch in ihrem Wesen, und dieser gleicht dann einer offenen Wunde, dieschwer je völlig zu heilen ist, weil, wenn die Wunde auch vernarbt, durch dieVernarbung eine Anzahl von Gefäßen so beengt werden, daß durch sie fürderdie Lebenssäfte der Seele nicht gut zirkulieren können und darum an der Stelleder Narbe stets einen unbehaglich schmerzlichen Druck ausüben.[<strong>GEJ</strong>.02_224,10] Dadurch aber wird dann die Seele abgezogen, hauptsächlichnur fürs freie Gedeihen des Geistes in ihr zu sorgen, und sie verwendet nun zumgrößten Teil ihre Tätigkeit darauf, daß die Narbe wieder vergehe. – Und sehet,diese Narbe heißt ,Welt‘![<strong>GEJ</strong>.02_224,11] Die Seele will zwar diese Narbe gleichfort loswerden; denn sieschmerzt die Seele im Gefühle der Sorge resp. Weltsorge. Aber je mehr dieSeele sich da abmüht, desto derber wird die Narbe, und je derber sie wird, destomehr Sorge erzeugt sie; und die Seele hat am Ende nichts zu tun, als sich alleinmit der Heilung dieser alten Narbe zu beschäftigen, das heißt, sich sorglos zumachen, geht am Ende selbst nahezu ganz in diese Narbe über und kümmert sichwenig mehr um ihren Geist. – Und sehet, das ist die sogenannte ,Erbsünde‘!“225. — Die Macht der Vererbung[<strong>GEJ</strong>.02_225,01] (Der Herr:) „,Wie aber kann sich so etwas wohl vererben?‘ –wird man fragen. Oh, sehr leicht, besonders in der organischen Seelengestaltung.Was aber diese einmal angenommen hat, das kann ihr Tausende von Jahrenbleiben, wenn solches nicht durch den Geist in ihr wieder in die volle Ordnung— 483 —


gebracht wird. Sehet den Typus eines Volkes an! Stelle Ich euch heute dieGestalt seines Urstammvaters vor, so werdet ihr es alle bald erkennen, daß einebedeutende Ähnlichkeit auf alle seine Nachkommen übergegangen ist. War derStammvater ein guter und sanfter Mann und also auch dessen Weib, so wird amEnde mit wenig Ausnahmen das ganze Volk ein mehr gutes und sanftes sein alsein Volk, das da einen zornmütigen, stolzen und herrschsüchtigen Stammvaterhatte.[<strong>GEJ</strong>.02_225,02] Wenn ein leichter, verwischbarer Zug eines Urstammvatersphysisch und moralisch noch nach ein paar Jahrtausenden in allen seinenNachkommen gar wohl zu erkennen ist, um wieviel mehr ein Zug des erstenMenschen der Erde in allen seinen Nachkommen, indem seine Seele im Anfangeviel empfänglicher und somit notwendig um vieles reizbarer war als die späterenSeelen, denen das Merkmal des Vaters gleich bei der Zeugung im Strome desLebenssamens eingeprägt ward und hernach auf natürlichem Wege nicht mehrverwischt und gar getilgt werden konnte. Leider verunstaltet solche Narbe dieSeele sehr, und Gott hat allzeit alles angewandt, auf daß es irgendeiner Seele aussich möglich werden könnte, solch eine böse Narbe für alle Zeiten vergehen zumachen; aber es wollte die Sache bis auf jetzt herab eben nicht besonders gutgelingen, und Ich kam nun Selbst darum auf diese Erde, um solch eine alte,häßliche Narbe auszutilgen.[<strong>GEJ</strong>.02_225,03] Und Ich werde sie auch tilgen; aber das wird geschehen durchdie vielen Wunden, die in Mein Fleisch geschlagen werden. Solches aber könnetihr nun nicht fassen; wenn es aber kommen wird, dann werdet ihr es auchfassen, und der heilige Geist aller Wahrheit wird euch dann darüber in alleWeisheit leiten.[<strong>GEJ</strong>.02_225,04] Ihr aber habet es ja auch gelesen im Moses, wie er da sprichtvom Fluche Jehovas über die Erde, und wie es da heißt: ,Im Schweiße deinesAngesichtes sollst du dir fürder dein Brot bereiten!‘ Und dann heißt es auchgleich nach dem Fluche über die Erde: ,Dornen und Disteln wirst du tragen.‘[<strong>GEJ</strong>.02_225,05] Seht, so ihr das materiell verstehen möchtet dem äußerenWortlaute nach, so hättet ihr auch, das heißt, so die Sache sich ernstlich alsomateriell verhielte, ein vollstes Recht, Gott einer vollen Unweisheit zu beschuldigen!Aber indem solch eine Diktion (Ausspruch) bloß nur seelisch und eigentlichgeistig zu nehmen und zu fassen ist, so fällt so eine Beschuldigung vonselbst weg, und der Mensch muß es sich immer selbst zuschreiben, wenn anseinem Wesen etwas verschlimmert wird, so wie er es sich auch selbstzuzuschreiben hat, so in irgendeinem Lande die Ernte manchmal schlechterwird, als sie in der Regel sein müßte; denn bei der Witterung hängt nicht allesvon dem Willen Gottes, sondern auch von dem der Menschen ab.[<strong>GEJ</strong>.02_225,06] Wenn eine Seele einmal ihrer selbst vollkommen bewußt istund zum Gebrauche ihrer Vernunft kommt insoweit, daß sie in sich gar wohl dieOrdnung Gottes erschauen und erkennen kann, so muß sie dann für fernerhinwegen ihrer Konsolidierung selbsttätig werden, natürlich nach der in ihr beste-— 484 —


henden und erkannten Gottesordnung. Tut sie aber in irgendeinem Punkte dasnicht, sondern unterläßt das, oder tut dafür gar etwas Entgegengesetztes, so mußsie sich ja offenbar in dem betreffenden Punkte selbst einen nicht leicht vertilgbarenSchaden zufügen, von dem sie sich dann nimmer frei machen kann vonsich selbst heraus, weil alle ihre Tätigkeit dadurch schon mehr oder weniger eineunordentliche wird, aus der offenbar mit der Zeit stets mehr und mehr seelischeBeschränktheiten erwachsen müssen als: allerlei Blindheit, Dummheit, Unverstand,schwache Fassungskraft, Furcht, Mutlosigkeit, Traurigkeit, Angst,Verdruß, Zorn, Wut und am Ende gar die Verzweiflung selbst.[<strong>GEJ</strong>.02_225,07] Und seht, das eben sind die ,Dornen‘ und ,Disteln‘, die das,Erdreich‘, das heißt die verkümmerten Intelligenzfähigkeiten der Seele in ihrselbst hervorwachsen lassen werden, gleich den Schmarotzerpflanzen auf densonst gesunden Ästen der Bäume![<strong>GEJ</strong>.02_225,08] Der ,Fluch Gottes‘ aber ist nichts denn die der sich selbstverdorben habenden Seele kundgegebene, erleuchtende Einsicht, daß sie sichwirklich wider die Ordnung selbst verdorben hat, und daß sie darum aus höchsteigenem Verschulden fürder ihr Brot im Schweiße ihres Angesichtes wirdsuchen müssen.[<strong>GEJ</strong>.02_225,09] Und der ,Schweiß des Angesichtes‘ ist eben die schonbekanntgegebene Sorgennarbe der Seele, die sie sich selbst durch Genuß jenesmosaischen Apfels beigebracht hat, was sie auch ganz gut hätte vermeidenkönnen.226. — Weltsorgen und deren üble Folgen für die Seele[<strong>GEJ</strong>.02_226,01] (Der Herr:) „Und Ich sage es nun euch allen darum, daß ihralle unnötige Sorge von euch verbannen sollet; denn jede Sorge der Welt wegenist eben ein materielles <strong>Band</strong>, durch das sich eine Seele aus der alten adamitischenNarbe mit der Materie verbindet! Je mehr sich aber die Seele mit derMaterie ihres Fleisches verbindet, desto mehr muß die Ausbildung des eigentlichenGeistes Gottes in ihr verkümmern; und je mehr sich dann die Seele durchihre Sorge verbindet mit dem Leibe, der in sich nur ein Gericht, eine leidigeNotwendigkeit und somit der Tod selbst ist, desto mehr verliert sie dann auchdas Bewußtsein und die Erkenntnis des ewigen, unverwüstbaren Lebens in ihr.Je mehr sie sich aber ablöst von diesem <strong>Band</strong>e, desto freier wird sie wieder inallem, und je mehr sie sich dann verbindet mit dem göttlichen Geiste in ihr,desto lebendiger und stets heller wird darauf das Bewußtsein und die Erkenntnisdes ewigen Lebens in der Seele werden.[<strong>GEJ</strong>.02_226,02] Wer daher noch irgendeine große Furcht vor dem Tode desLeibes hat, dessen Seele steht noch in einem starken Verbande mit dem Fleischeund in einem äußerst schwachen mit dem Geiste; denn eine große Liebe zumLeben auf dieser Welt ist ein sicheres Kennzeichen, daß die Seele sich noch sehrwenig bekümmert hat um das ewige Leben ihres Geistes in ihr, und daran schul-— 485 —


det die alte Narbe, die Adam sich selbst und dadurch allen in sein Fleisch eingezeugtenSeelen geschlagen hat.[<strong>GEJ</strong>.02_226,03] Aber dennoch kann sich jede Seele, so sie es recht will, auchvöllig heilen von solch einer bösen Narbe. Denn dafür hat Gott schon gleich inder Gegenwart Adams die sicheren Vorkehrungen getroffen, und Adam selbstist in seiner letzten Zeit nahezu ganz wieder heil gemacht worden. Henoch aberist davon vollends heil gemacht worden; daher er auch in seinem Fleischeumgewandelt worden ist, so wie noch einige der Urväter der Erde. Aber da sichderen Nachkommen dennoch gemischt haben mit den Kindern nicht geheilterVäter, so blieb das alte adamitische Übel dennoch, mehr oder weniger mächtigauftretend, unter den Menschen gleichfort zu ihrer Qual.[<strong>GEJ</strong>.02_226,04] Daher stammen auch die schmerzlichen Geburten der Weiber,und daher die meistens sehr schmerzlichen Todesarten bei den Menschen. Denneine schon durch des Mannes Samenstrom verwundete Naturseele verbindet sichgleich recht hartnäckig zuerst mit dem Fleische der Mutter und muß hernach beider Ausgeburt stets gewaltsam unter allerlei <strong>Band</strong>zerreißungen in die Welthinausgeboren werden. Kinder aber, wie ein Isaak und dergleichen noch eineMenge in der Welt, sind bei voller Schmerzlosigkeit der Mutter aus ihr in dieWelt hinausgeboren worden.[<strong>GEJ</strong>.02_226,05] Also ist es auch mit dem Sterben der Fall. Menschen, die sehram irdischen Leben hängen, und bei denen alle ihre Sorge auf dasselbe gerichtetist, haben schon während ihres kurzen Erdlebens sehr viel zu leiden, werden oftseelisch und bald darauf sicher auch fleischlich krank und sehr elend, und vordem Scheiden aus dem Leibe haben sie stets mit oft unerträglichen Schmerzenzu kämpfen und scheiden in einem höchsten, alles betäubenden Schmerze ausdem Leibe, der gar oft nach der Löse vom Leibe einen langwährenden Nachhallfindet, besonders bei jenen Seelen, denen es auf der Welt in ihren Leibern sorecht wohl und behaglich erging. Dagegen jene Seelen, die auf der Welt zu derheilsamen Überzeugung gelangt sind, daß alle Schätze der Erde der Seele nichtsnützen, weil sie in den Tod sinken müssen wie der Leib, und sich darum von deralten Narbe Adams so frei als möglich gemacht, aber dafür ihren Geist, dasAtma Gottes, in sich gefunden und mit aller der wahren Sorgfalt gepflegt haben–, haben fürs erste wenig mehr eine irgend wie immer geartete Krankheit desLeibes zu bestehen.[<strong>GEJ</strong>.02_226,06] Ist das Leben der Seele einmal mit ihrem Geiste verbunden, sowird denn auch nach und nach ihr Leib eine geistigere Richtung annehmen unddarum gefühlloser werden für die Eindrücke von seiten der äußeren Materiewelt;denn eine jede Krankheit des Leibes entsteht gewöhnlich aus dem Zerreißenirgendeines <strong>Band</strong>es mit der Welt. Kurz, der Leib wird durch die lebenshungrigeSeele mit tausend der verschiedenartigsten Bedürfnisse angestopft. Kann erzufolge klimatischer und tausend anderer Verhältnisse wegen nicht zufriedengestelltwerden, so muß darum ein und das andere <strong>Band</strong> abgerissen werden, undder Leib wird darauf bald krank und sehr leidend, und mit ihm auch die Seele,— 486 —


welche am Ende mit ihrem Leibe die gleiche und eigentlich die vorzüglicheSchmerzträgerin ist.[<strong>GEJ</strong>.02_226,07] So aber die Seele ihren Leib und dadurch sich selbst anmöglichst viele Entbehrungen aus dem Todesbereiche der Welt gewöhnt hat, sowerden am Ende eben nimmer viele <strong>Band</strong>e zwischen den toten Gütern der Erdeund dem Leibe vorhanden sein, und es wird da denn auch wenig mehr zumschmerzlichen Zerreißen sich vorfinden. Ist aber dadurch möglichst aller Grundzu den Krankheiten des Leibes behoben, so möchte Ich dann nachher dochSelbst wissen, woher diese noch in den Leib und in die empfindsame Seelekommen sollten.[<strong>GEJ</strong>.02_226,08] Ja, bei solchen Menschen fühlt der Leib selbst dann vonirgendeinem Schmerze nicht leichtlich mehr etwas, wenn er auch durch äußerearge Mittel gemartert und gepeinigt wird.[<strong>GEJ</strong>.02_226,09] Sehet die bekannten Jünglinge in dem Feuerofen an! Siesangen in aller Lebenslust und priesen Gott. Und wenn schon ihre Leiber mit derZeit von der äußeren bösen Gewalt verzehrt wurden, so empfanden sie aberdennoch keinen Schmerz dabei; denn sie waren schon lange vorher aller <strong>Band</strong>emit der Welt ledig und waren eins mit ihrem göttlichen Geiste. Und so fühltdenn fürs zweite eine solche vollends mit ihrem Geiste vereinte Seele beimLostrennen vom Leibe, mit dem sie schon lange in keinem festen materiellen,sondern nur in einem überzarten, geistigen <strong>Band</strong>e verbunden stand, auch durchauskeinen Schmerz, sondern nur eine all ihr Wesen durchzuckende seligeWollust und verliert beim Trennen unmöglich weder das Bewußtsein, noch dasLicht der seelisch geistigen Sehe, und ebensowenig das Gehör, den Geruch, denGeschmack und den edelsten und allerfeinsten Tastsinn, wie solchen nun unserEngel Raphael besitzt.[<strong>GEJ</strong>.02_226,10] Aber, wie gesagt, um das zu erreichen, muß der Mensch sichzuvor die alte adamitische Sünde vom Leibe schaffen, und das geht auf keineandere Weise, als auf die nur, die Ich euch soeben gezeigt habe: die Weltsorgenmüssen von der Seele freitätig über Bord geworfen werden, ansonst gibt es keinMittel! Werden aber diese hinweggeschafft, dann tritt beim Menschen wiederalles in die alte göttliche Ordnung zurück, und der Mensch ist dann wieder ganzMensch nach der Ordnung Gottes. Und sieh, das ist es, was man mit Rechtdie ,Erbsünde‘ nennt! An und für sich ist es offenbar das Fleisch, das man mitFug und Recht die Erbsünde nennt; entsprechend geistig genommen aber isteben die vielfache Sorge um das Fleisch die schwer vertilgbare Sünde Adamsbei allen seinen Nachkommen.[<strong>GEJ</strong>.02_226,11] Diese Narbe der Seele aber kann durch kein anderes Mittelvöllig getilgt werden, als allein durch das von Mir angegebene und durch nochein Mittel, das aber den Menschen erst nach der Beendigung Meiner Sendung indiese Welt wird gezeigt und gegeben werden zum Heile ihrer Seelen. Johannesder Täufer in der Wüste hat für dieses Mittel bereits einen Vorläufer gemacht.“— 487 —


227. — Über den Geisterfall[<strong>GEJ</strong>.02_227,01] (Der Herr:) „Wie es aber beim Menschen im kleinstenMaßstabe herging, daß er fiel in die Sünde und sich darum verdarb in seinerNatur, nahezu ebenso ging es dereinst auch bei der Erschaffung der reinenGeister aus Gott her.[<strong>GEJ</strong>.02_227,02] Haben die Gedanken und daraus entstandenen großen IdeenGottes sich einmal soweit gefunden und zu einem mit endloser Intelligenzbegabten Wesen nach der Urform Gottes verbunden und sich ihrer freienSelbständigkeit bewußt zu werden angefangen, so war denn auch sicher daserste, um sie vollends frei zu machen, daß ihnen die Gelegenheit zur freienTätigkeit gegeben und gezeigt ward, wie und auf welche Weise sie freitätigwerden und sein können.[<strong>GEJ</strong>.02_227,03] Wie soll aber das geschehen? Soll man ihnen bloß gewisserartsagen: Ihr seid nun lebendig, wie aus euch selbst heraus, und könnet tun, was ihrwollet!? – Da fragt es sich, ob solche Wesen, deren Leben noch keine Erfahrungenhat, sich zu irgendeiner freien Tätigkeit werden anschicken können. Ja, siewerden vielmehr, einem Freßpolypen gleich, sich nur aufs bloße Sättigen ihresWesens mit einer entsprechenden Kost werfen und sonst sicher nichts weiterestun, wie ihr solches bei geistig noch sehr ungeweckten Völkern ganz naturmäßigsehen und erfahren könnet; denn alle ihre Sorge ist auf den Bauch gerichtet, undalle ihre Tätigkeit geht auf die bestmöglichste Befriedigung dieses Leibteileshinaus.[<strong>GEJ</strong>.02_227,04] Ein anderer meint: Man sage ihnen nach ihrer Intelligenzfähigkeit,was sie zu tun haben, und so werden sie wohl danach tätig werden! – Gut,sage Ich, so aber in den noch sehr zur alten Ruhe geneigten Wesen, weil sie aussolcher herausgegangen sind, gar kein Tätigkeitssinn geweckt ist und vorderhandauch nicht geweckt sein kann, die Liebe zur vollen Untätigkeit vorzuwaltenbeginnt und die Wesen sonach dennoch nicht selbsttätig werden, was dann?Nicht wahr, man zwinge sie durch die dem Schöpfer offenbarst innewohnendeAllmacht![<strong>GEJ</strong>.02_227,05] Wäre alles recht; aber wo bliebe dann die absolute Selbsttätigkeit,durch die allein ein geschaffenes Wesen zur vollen unabhängigen freienSelbständigkeit gelangen kann? Siehe, ohne diese ausgesprochene volleunabhängige Selbständigkeit aber bliebe ja jedes geschaffene Wesen eine pureMaschine, die nur nach dem Willen und nach der freien Intelligenz des Maschinenmeisterstätig wird![<strong>GEJ</strong>.02_227,06] Ihr seht aus dem nun schon ganz leicht, daß es sich da mitirgendeinem Muß durchaus nicht tut und tun kann; denn unter ,Muß‘ wirken nurMaschinen, deren es leider auf dieser Erde mit der Erde selbst nur eine noch zugroße und grobe Menge gibt. Auch der endlose Raum ist mit solchen Mußmaschinenallenthalben erfüllt. Denn alle zahllosen Sonnen und Erden und Mondesind pure Maschinen, und alle Körperwesen auf und in ihnen sind es auch, sowie— 488 —


auch der Leib eines jeden Menschen an und für sich nichts als eine kunstvollsteMaschine ist, die durch den freien Willen der Seele in eine mannigfachsteBewegung gesetzt werden kann.[<strong>GEJ</strong>.02_227,07] Wenn aber also, und unmöglich je anders, wie hernach solltendenn die erstgeschaffenen reinen Geistwesen zur bedingten freien Selbsttätigkeitgelangen und daraus allein möglich zur vollen Selbständigkeit? Offenbar nichtund auf gar keine mögliche Weise anders, als durch ein ,Du sollst‘-Gebot,wennschon nicht also positiv wie bei Adam.[<strong>GEJ</strong>.02_227,08] Aber das Gebot allein würde auch umsonst gegeben sein, somit dem Gebote nicht auch zugleich der Trieb oder Reiz zur Übertretung desselbendem neugeschaffenen Wesen mit eingegeben wäre. Ist aber der Übertretungsreizdem Wesen eingegeben, so muß auch irgendeine daraus wie von selbsthervorgehende schlimme Folge als gewisserart eine Strafe eingegeben sein, undes müssen dem Wesen die Folgen gezeigt werden, daß sie wirklich sind, und wieund warum sie einer dem gegebenen Gebote zuwiderlaufenden Handlung allzeitfolgen werden und müssen.[<strong>GEJ</strong>.02_227,09] Ja, man muß dem Wesen sogar zeigen, daß sich möglicherweisefür das Wesen, das das Gebot übertretende Wesen nämlich, wohl anfangsirgendein kurz währender Vorteil erreichen läßt, aus dem es aber späterhin stetseinen lange währenden Nachteil herausziehen wird, dem zu begegnen es dannviel harte Mühe und schmerzliche Anstrengungen kosten wird. Mit allem demversehen, kann erst das neugeschaffene Wesen einen wahren Gebrauch vonseiner freien Intelligenz und der daraus hervorgehenden Tatfähigkeit zu machenbeginnen, gehe es dann wie es wolle, krumm oder gerade, recht oder unrecht.Kurz und gut, das neugeschaffene Wesen wird nun einmal aus sich herausselbsttätig und beginnt dadurch den Hauptakt zur vollen und wahren Selbständigkeit,und das ist es, um was es sich am Ende bei allen geschaffenen Intelligenzwesenhandelt; denn die Selbständigkeit wird dadurch erreicht, so oder so,entweder auf einem kürzeren oder längeren Wege, und der vollen Vernichtungeines einmal geschaffenen intelligenten Wesens ist dadurch vorgebeugt.[<strong>GEJ</strong>.02_227,10] Ob aber das Selbständigsein vorderhand ein seliges oderunseliges ist, das ist dann ein und dasselbe, natürlich dem Schöpfer gegenüber;denn es ist einem jeden Wesen das Tor offen gelassen, auf den vorgezeichnetenWegen zur Seligkeit einzugehen. Will es – wohl und gut fürs Wesen; will esaber nicht – auch gut! Denn daran trägt dann niemand die Schuld als das Wesenselbst. Es behält seine Selbständigkeit ewig. Ob selig oder nicht, das ist dannganz ein Ding; denn im Grunde des Grundes muß es als Geschöpf dennoch derTotalordnung des Schöpfers entsprechen.[<strong>GEJ</strong>.02_227,11] Wissen wir aber nun das, nun, so wird es dann wohl etwanimmer gar zu schwer sein, sich von selbst den Fall der ersten geschaffenenreinen Geister herauszuformulieren; denn auch ihnen mußte ein Gebot gestelltwerden und mit demselben der notwendige Reiz zur Übertretung, verbunden mitmomentanen Vorteilen, und anderseits aber, wenn auch nicht mit dem überwie-— 489 —


genden Reize für die Handlung nach dem Gebote, so aber doch mit der klargestellten Ansicht der ewigen Vorteile, die, wennschon etwas später, aber dochstets sicher der Handlung nach dem gesetzten Gebote folgen werden und folgenmüssen![<strong>GEJ</strong>.02_227,12] Daß nun darauf ein Teil der Wesen das Gebot beachtete undein Teil aber nicht, das geht klar aus der sichtbaren materiellen Schöpfunghervor, welche als ein Gericht oder als die angedrohte Strafe auf die Nichthaltungdes gegebenen Gebotes folgen mußte, und an und für sich, geistig genommen,nichts ist als der längere Weg zur seligsten, vollfreien Existenz dergeschaffenen Geister.[<strong>GEJ</strong>.02_227,13] Anderseits aber ist auch wieder unser Engel, als nun hier unteruns weilend, ein ebenso klarer Beweis, demzufolge dennoch zahllose Heere vondamals frei geschaffenen Geistern das gegebene, wenn auch nicht wie bei Adamfest positive Gebot beachtet haben, und nun ist alle materielle Schöpfung ihrerMacht, Kraft und Weisheit in allem untergeordnet.[<strong>GEJ</strong>.02_227,14] Dieser Engel aber wird für die späteren Menschen freilichwohl wenig Beweis geben können von dem, daß ein übergroßer Teil der erstgeschaffenenreinen Geister durch das gegebene Gebot nicht gefallen ist; aber dasist zur Seligkeit eines jeglichen Menschen auch durchaus nicht nötig; besonderssolange irgendein Mensch noch nicht zur Vollkenntnis seiner selbst durch seinenGeist gelangt ist.[<strong>GEJ</strong>.02_227,15] Gelangt aber irgendein Mensch dahin, so stehen ihm dannohnehin, wie man zu sagen pflegt, in jedem Augenblick alle sieben Himmeloffen, und er kann sich daraus Beweise holen, soviel er derselben nur immerhaben will. Und so ist hiermit schon für alles gesorgt.[<strong>GEJ</strong>.02_227,16] Sage du, Mein lieber Cyrenius, ob du nun von dem Sündenfalleder erstgeschaffenen Geister so einen erklecklichen Begriff dir zu machenimstande bist!“228. — Kraft und Widerstand[<strong>GEJ</strong>.02_228,01] Sagt der nun ganz glückliche Cyrenius: „Herr, Du siehst es jaklarst in meinem Herzen und durchschauest ebenso klar meinen Gehirnkasten,auf daß Du daraus sicher am besten ersehen kannst, ob ich die Sache ganz odernur halb begriffen habe! Ich meine es wenigstens, so wie ich es fühle, daß mirnun die Sache klar ist wie die Sonne am hellen Tage. Aber es können dahinternoch immer Tiefen der Tiefen stecken, von denen bis jetzt vielleicht noch nieselbst dem vollkommensten Engelsgeiste etwas in den Sinn gekommen ist.Allein, ich bin mit dem, was ich nun weiß, vollkommen zufrieden und werde andem zeit meines Lebens in Vollgenüge zu kauen haben; denn das alles geht überden höchsten Horizont des menschlichen Wissens und Erkennens ja schonohnehin endlos weit hinaus![<strong>GEJ</strong>.02_228,02] Nur ein Wesen wird als sicher bestehend mir noch zu einem— 490 —


Rätsel, und das ist der Satan und sein Teufelskollegium. Nur darüber, Herr, nochein erläuternd Wörtlein, und meine Seele ist dann gesättigt bis zum Tode meinesLeibes! Denn damit bin ich noch sehr im unklaren. Was und wer ist der Satan,und was und wer sind dessen Helfershelfer, die man ,Teufel‘ nennt?“[<strong>GEJ</strong>.02_228,03] Sage Ich: „Auch das ist für deine Begriffsfähigkeit etwas zufrüh, um diese Sache im Grunde des Grundes einzusehen. Um dir und euch allenaber auch in diesem Punkte ein mäßig Lichtlein zu verschaffen, will Ich euchgleichwohl auch davon eine kleine Kunde zum besten eures Verstandes geben.Und so höret Mich denn![<strong>GEJ</strong>.02_228,04] Sehet, alles, was da ist, besteht und irgendein Dasein hat, kannnicht anders bestehen, sein und irgendein Dasein haben, als durch einen gewissenbeständigen Kampf.[<strong>GEJ</strong>.02_228,05] Ein jedes Dasein, das göttliche nicht ausgenommen, hat in sichlauter Gegensätze, als verneinende und bejahende, die sich einander stets alsoentgegenstehen wie Kälte und Wärme, Finsternis und Licht, hart und sanft, bitterund süß, schwer und leicht, eng und weit, breit und schmal, hoch und nieder,Haß und Liebe, böse und gut, falsch und wahr, und Lüge und Wahrheit.[<strong>GEJ</strong>.02_228,06] Keine Kraft kann irgend etwas wirken, wenn sich ihr nichteine Gegenkraft entgegenstellt.[<strong>GEJ</strong>.02_228,07] Stellet euch einen tausendfach goliathstarken Menschen vor,dessen Kraft es sicher mit einem ganzen Heere von Kriegern aufnähme! Wozuaber würde ihm alle seine Kraft und Stärke dienen, so man ihn stellete gleichden Wolken in den freien Luftraum? Sehet, ein leisestes Lüftlein, das auf demBoden hier kaum ein Blättchen in Bewegung setzt, würde ihn trotz aller seinerKraft und Stärke dennoch unaufhaltsam fortschieben nach der Richtung, in derdas Lüftchen den Zug hat![<strong>GEJ</strong>.02_228,08] Damit aber der Riese von seiner Kraft einen wirksamenGebrauch machen kann, muß er fürs erste einen festen Boden haben, der ihnträgt und ihm zu einer festen Stütze dient. Der Boden ist also schon ein Gegensatzzu unserem Riesen; denn dem Riesen ist zur Ausübung seiner Kraft diefreie Bewegung nötig, daneben auch ein fester Stillstand der Unterlage, wo ersich mit der festen Ruhe der Unterlage oder des Bodens in Verbindung setzt unddann mit der mit ihm vereinten Ruhkraft des Bodens, auf dem er steht, jeder ihnanstürmenden Bewegung Trotz bietet. So kann der Riese von seiner Kraft erstden rechten Gebrauch machen. Ist der Boden ein Fels, so wird keine stürmischeBewegung gegen solch eine feste Ruhe etwas ausrichten, außer sie wäre in ebendem oder einem höhern Grade heftig, als wie konzentriert an und für sich ineinem Felsen die Ruhe selbst es ist. Ist der Boden aber weich und somit wenigerim Gegensatze mit der sturmähnlichen Bewegungsfähigkeit des Riesen, so wirdfürs zweite die Kraft des Riesen in dem ihm entgegenstehenden Boden zu wenigWiderstand finden, und er wird dann einer viel kleineren ihn bedrängendenKraft kaum trotzen können.— 491 —


[<strong>GEJ</strong>.02_228,09] Stellet euch zum Überflusse des Verständnisses noch vor, daßdieser Riese zum Beispiel die hinreichende Kraft hat, um auf einem festenBoden ein Gewicht von tausend Menschen in die Höhe zu heben! Setzen wir ihnaber auf einen Sumpfboden, der kaum so viel Festigkeit hat, um das Gewichtdes Riesen mit der genauesten Not zu tragen! Lassen wir auf solch einem Bodenden Riesen ein Gewicht von nur hundert oder gar nur zehn Menschen heben,und er wird es sicher nicht vom Boden bringen; denn im Momente, als er dasGewicht zu bewältigen anfangen wird, wird er in den weichen Boden einzusinkenanfangen, und alle seine Kraft wird eine vergebliche sein, weil er unter sichkeine entsprechende Gegenkraft hat.[<strong>GEJ</strong>.02_228,10] Es kann daher keine Kraft für sich etwas wirken, wenn sie sichzuvor nicht mit einer entsprechenden Gegenkraft in eine gewisserart kämpfendeVerbindung setzt. Bei unserem Riesen kämpft offenbar die feste Ruhe desBodens gegen sein Gewicht und gegen seine Bewegung und besiegt diese auchbis zu einem gewissen Grade; und ebendieser Ruhesieg des Bodens wird endlichzur Stütze der bewegenden Kraft und der Maßstab ihrer Stärke.“229. — Vom Wesen Satans[<strong>GEJ</strong>.02_229,01] (Der Herr:) „Wir hätten nun aus diesem hoffentlich soziemlich handgreiflichen Beispiele wohl sicher recht deutlich wahrgenommen,warum ein Sein ohne ein Gegensein so gut wie gar kein Sein wäre, wie dennauch die Kraft unseres Riesen im freien Luftraume so gut wie gar keine inHinsicht auf eine entsprechende Wirkung wäre; es muß darum jedes Seinirgendein Gegensein haben, damit es selbst wirkend sei.[<strong>GEJ</strong>.02_229,02] Dieses Verhältnis muß darum in allem, was da ist, im rechtenMaße vorhanden sein, ansonst es so gut wie gar nicht da wäre.[<strong>GEJ</strong>.02_229,03] Und so muß denn auch das vollkommenste Dasein Gottes insich selbst in jeder Hinsicht auch die ausgebildetsten Gegensätze fassen, ohnedie es eben auch so gut wie gar kein Wesen wäre. Diese Gegensätze sind ineinem ununterbrochenen Kampfe begriffen, aber stets also, daß der stetige Siegder einen Kraft auch stets zur Stütze der gewisserart besiegten Kraft dient, wiewir solches gesehen haben beim steten Siege des festen Bodens über diebewegende Schwerkraft unseres Riesen.[<strong>GEJ</strong>.02_229,04] Wollte nun Gott einmal aus Sich heraus Ihm ähnliche freieWesen erschaffen, so mußte Er sie ja auch mit eben den streitenden Gegensätzenversehen, die Er in Sich Selbst von aller Ewigkeit her in den natürlich bestenund reinst abgewogensten Verhältnissen besaß und besitzen mußte, ansonst Ersicher nie wirkend dagewesen wäre.[<strong>GEJ</strong>.02_229,05] Nun, die Wesen wurden also völlig nach Seinem Ebenmaßegestaltet, und es ward ihnen am Ende darum auch die Fähigkeit notwendigeigen, sich selbst zu konsolidieren aus dem Kampfe der in ihnen aus Gottniedergelegten kämpfenden Gegensätze.— 492 —


[<strong>GEJ</strong>.02_229,06] Jedem Wesen ward Ruhe und Bewegung, Trägheit und Tätigkeitssinn,Finsternis und Licht, Liebe und Zorn, Heftigkeit und Sanftmut undtausenderleiartiges als vollends zu eigen gegeben; nur war zwischen dem Maßedarin ein Unterschied.[<strong>GEJ</strong>.02_229,07] In Gott waren all die Gegensätze schon von Ewigkeit her inder höchst besten Ordnung. Bei den geschaffenen Wesen aber mußten sie erstdurch den freien Kampf in die rechte Ordnung wie von sich selbst heraus alsodurch die bekannte Selbsttätigkeit gelangen.[<strong>GEJ</strong>.02_229,08] Nun, da entstanden dann verschiedene Siege. In dem einenTeile ward die harte Ruhe zum überwiegenden Sieger, und die Bewegung warddadurch zu sehr untergeordnet, daher sie sich denn auch stets gleichfort diegrößte und feurigste Mühe gibt, den Stein zu erweichen und ihn ihr ähnlicherund entsprechender zu machen; anderseits siegte wieder die Bewegung in allenihren Teilen zu sehr und wird darum von der in ihr schwächern Ruhe stetsbekämpft, um mit ihr in ein entsprechendes Verhältnis zu treten.[<strong>GEJ</strong>.02_229,09] Bei vielen Wesen aber haben die Gegensätze ein rechtes Maßnach der Ordnung Gottes erreicht, und ihr Sein ist dadurch ein vollkommenes,weil sie sich durch ihre gleichartigen und gegenseitigen Intelligenzfähigkeitenfortwährend allerbestens unterstützen.[<strong>GEJ</strong>.02_229,10] Nun seht, wo sonach irgendeine Kraft in einem sich freikonsolidierenden Wesen durch ihr überwiegend hartnäckiges Bestreben alleandern Gegenkräfte zum untätigen Schweigen in ihrer Sphäre bringen will undauch zum größten Teile bringt, da tötet sich gewisserart so eine Kraft selbst,dadurch, daß sie sich alle Gelegenheiten aus dem Wege räumt, bei denen sie ihreKraft hätte äußern können. Eine Kraft aber ohne eine entsprechende Gegenkraftist, wie schon gesagt, so gut wie gar keine Kraft, und wie wir solches eben schonaus dem früher angeführten Beispiele unseres Riesen sicher klar haben sehenkönnen.[<strong>GEJ</strong>.02_229,11] Solch eine sich selbst in allem gefangengenommene Kraftmuß dann ja aber auch immer das Bestreben haben, noch mehr Kräfte in sichgefangenzunehmen, um sich selbst in ihrem schmerzlichen Gefangensein ledigerzu machen. Und seht nun, das ist eben das, was man ,Satan‘ und ,Teufel‘ nennt![<strong>GEJ</strong>.02_229,12] Satan ist eine große Persönlichkeit und entspricht der zustarren Ruhe und Trägheit; denn diese geschaffene erste große Persönlichkeitwollte alle anderen Kräfte in ihre Wesenheit vereinen und ist aber darum tot undtatunfähig geworden in sich selbst. Aber die in ihr besiegten anderen Kräfteruhen dennoch nicht völlig, sondern stehen in einer fortwährenden Tätigkeit undpersonifizieren sich dadurch wie selbständig. Durch solche Tätigkeit beleben sieaber das Grundwesen wie mit einem Scheinleben, und dies Leben ist dannoffenbar nur ein Trugleben einem wahren freien Leben gegenüber.[<strong>GEJ</strong>.02_229,13] Solche besiegten und doch den Sieg nicht annehmen wollendenKräfte sind dann das, was man dem Satan gegenüber ,Teufel‘ oder ,böse— 493 —


Geister‘ nennt. – Und so siehst du, Mein liebster Cyrenius, daß Ich dir nun auchso einen kleinen Wink vom Satan und Teufel gegeben habe, wie du denn auchnur so einen kleinen Wink verlangt hast! Willst du aber mehr, so rede, und Ichwill dir Ausführlicheres geben!“230. — Die Belehrung der Urgeister[<strong>GEJ</strong>.02_230,01] Sagt Cyrenius: „Ich habe nun wohl so einen Dunst bekommen,und es kommt mir vor, als verstünde ich so etwas davon, aber von einer gewissenKlarheit ist da noch lange keine Rede. Die Sache scheint in eine solchegeistige Subtilität übergehen zu wollen, mit deren Klarheit es ein ganz anderesEinsehen hat, als wie man ungefähr einsehen kann, daß zwei Birnen undabermals zwei Birnen zusammen vier Birnen ausmachen. Es ist bei mir in dieserHinsicht von einer klaren Einsicht noch lange keine Rede; denn die Abwägungder Kräfte untereinander ist also gestaltig subtil, daß sie in einem Wesen wie ichschwer in ein geordnetes gutes Verhältnis treten können und untereinander inein und demselben Wesen sich also verhalten, daß daraus ein vollkommengottähnliches Wesen wird in allem Tun und Lassen.[<strong>GEJ</strong>.02_230,02] Das, bin ich der Meinung, kann denn doch ein neugeschaffenesWesen, wie wir alle ein ähnliches sind, in sich und aus sich selbst unmöglichje vollkommen zustande bringen, und es kann sonach ja auch nicht gewisserartganz allein die Schuld tragen, ob es sich ganz in der guten Ordnung oderteilweise, wo nicht ganz, wider die gute Ordnung ausgebildet hat; denn werkönnte einem Menschen die volle Schuld seiner Roheit beimessen, so er von derGeburt an nie die volle Gelegenheit hatte, sich in den feinen Sitten, wie sie unterwohlgebildeten Menschen gang und gäbe sind, auszubilden?[<strong>GEJ</strong>.02_230,03] Wie aber läßt es sich denken, daß die primitiven Geistwesen,die sich erst als Urgedanken und Urideen Gottes zu einem Sein ergriffen haben,auch schon jene Einsicht hätten haben können, mit deren Hilfe sie sich nach derOrdnung des Schöpfers alsbald hätten ausbilden können? Das gewisserartpersönliche Urwesen Satans konnte unmöglich die Einsicht eines Michaelhaben, sonst müßte es sich ja gleich dem Michael ausgebildet haben. Kurz, Herr,da bin ich noch sehr in einem Schwanken zwischen Licht und Finsternis undweiß es nicht, wie ich da so ganz eigentlich das Licht recht fassen soll! Wo ichmich demselben zu sehr nahe, da kommt es mir vor, als finge es wie eineFlamme mich zu brennen an; und entferne ich mich vom selben, nun, so wird'sdann wieder finster, und ich stehe wieder an dem Flecke, von dem ich ausgegangenbin.[<strong>GEJ</strong>.02_230,04] Daher wird es wenigstens für mich wohl noch nötig sein, inder behandelten Sache so noch ein wenig mehr Öl in die Lampe meines Verstandeszu geben, auf daß mir diese Sache, wenn auch nur ein wenig, heller wird.Denn jetzt komme ich mir vor wie ein Halbschlafender am Morgen. Einerseitsdrückt die Augen noch der lichtlose Schlaf, anderseits aber bearbeitet danebendes Tages Helle die noch schlaflüsternen Augen also, daß sie sich nimmer— 494 —


vollends dem Schlafe ergeben können. Darum wecke Du, o Herr, nun schonlieber ganz meine Augen, sonst kann es mir leicht noch geschehen, daß ich beiall dieser Morgenhelle ganz gut noch einmal einschlafe in der vollen Erkenntnisder göttlichen Ordnung in aller Weisheit und Liebe!“[<strong>GEJ</strong>.02_230,05] Sage Ich: „Ja, liebster Freund, Ich habe es dir aber ja eben zumvoraus gesagt, daß sich diese Dinge schwer werden in der Fülle fassen lassen!Aber weil denn dir schon gar so darum zu tun ist, etwas tiefer in dieser Sacheeine rechte Einsicht zu besitzen, so will Ich gleichwohl es versuchen, durchBilder und Gleichnisse dir ein etwas helleres Licht zu verschaffen.[<strong>GEJ</strong>.02_230,06] Nur damit bist du aber vollkommen auf einem Sandwege,wenn du meinst, Gott habe den geschaffenen Wesen eher die eigene Selbstbildungüberlassen, als bevor sie die Fähigkeit besaßen, die göttliche Ordnung insich vollends zu erkennen und in aller Tiefe zu erfassen. Da ging viel Unterrichtvoran, und es vergingen lange Zeiträume zwischen dem ersten Werden dererstgeschaffenen Ordnung in den ersten Wesen und der Periode, in der dannsolche Geister ihrer selbsttätigen Bildung anheimgestellt wurden.[<strong>GEJ</strong>.02_230,07] Denke dir den Zeitraum zwischen Adam und dir, und siehe,diese ganze, schon ziemlich lange währende Zeit ist bis zur Stunde noch mitlauter Unterricht von allen Seiten her ausgefüllt worden![<strong>GEJ</strong>.02_230,08] Und nun nach so langer Vorbereitung bin erst endlich IchSelbst da und zeige den Menschen klar die Wege, die sie zu gehen haben ausihrer höchst eigenen inneren Kraft, die bisher die möglichste Bildung für das Pround Kontra (das Für und Wider) erhalten hatte. Mit diesem Meinem Hierseinwird dem Menschen erst die vollste Freitätigkeit zu seiner Lebensvollendunggegeben und mit ihr ein neues Gesetz der Liebe, das im rechten göttlichenVollmaße alle andern Gesetze und alle Weisheit aus Gott in sich faßt.[<strong>GEJ</strong>.02_230,09] Wird ein Mensch von nun an nach diesem neuen Gesetzeleben, so wird er sein Leben auch unfehlbar völlig nach der göttlichen Ordnungausbilden und darauf alsogleich in die Fülle des wahren und freiesten ewigenLebens eingehen können. Wird er aber solch ein neues Lebensgesetz nichtannehmen und sein Tun danach nicht wie aus sich selbst herausgehend einrichten,so wird er auch sicher den Zweck der wahren Lebensvollendung nicht erreichen.[<strong>GEJ</strong>.02_230,10] Niemand aber wird dann sagen können: ,Ich habe es nichtgewußt, was ich hätte tun sollen!‘ Und würde ein Mensch, auch noch so weitvon hier entfernt, dennoch sagen: ,Bis zu meinen Ohren ist der Gottesruf nichtgedrungen!‘, so wird ihm erwidert werden: ,Von dieser Stunde an gibt es keinenMenschen auf der ganzen Erde, der es nicht in sein Herz überkommen hätte, wasda ist unter den Menschen vollends des Rechten.‘[<strong>GEJ</strong>.02_230,11] Einem jeden wird eine warnende Stimme in sein Herz gelegtwerden, die ihm zeigen wird, was da gut und allein wahr ist. Wer diese Stimmehören und sich danach halten wird, der wird zum größeren Lichte gelangen, und— 495 —


dieses wird ihm alle Pfade der göttlichen Ordnung erleuchten.“231. — Die Folgen des Abfalls Luzifers[<strong>GEJ</strong>.02_231,01] (Der Herr:) „Was Kurzes aber ist der Zeitraum von Adam bisauf uns gegen die beinahe für Menschenbegriffe endlose Dauer von der Periodedes ersten Grundwerdens der urgeschaffenen Geister bis zu dem Standpunkte,wo sie in den Vollgebrauch ihres freien Willens gestellt wurden; und wieder,welch ein unmeßbarer Zeitraum seit ihrem Falle bis auf Adam und bis auf uns![<strong>GEJ</strong>.02_231,02] Siehe, es gibt im endlosesten Schöpfungsraume gewisse Urundsomit Hauptmittelsonnen, die wegen ihrer zu großen Entfernung von hier,obschon sie unaussprechlich viele Male größer sind als diese Erde, kaum alskleine glitzernde Pünktlein gesehen werden – und das nur von Menschen, diesehr scharfe Augen haben! Diese Ursonnen haben ungefähr das Alter, wie diePeriode vom Falle der Urgeister bis auf diese Zeiten herab. Und sieh, wollteman das Alter solcher Sonnen nach dem Maße der Erdjahre bestimmen, so wäreman nicht einmal imstande, über die ganze Erde eine Zahl aufzuzeichnen, in derdie endlose Vielheit der Erdjahre genügend enthalten wäre! Und nähmest du fürje tausendmal tausend Jahre dieser Erde ein kleinstes Sandstäubchen, aus derenzahllosen Menge die ganze Erde bestehen kann ihrer Größe, Breite und Dickenach, das Maß des Meeres nicht ausgenommen, so wäre solch eine also berechneteZeitendauer für eine besprochene Sonne noch viel zu kurz.[<strong>GEJ</strong>.02_231,03] Eine solche Periode dauert dann etwa doch schon so hübschlange, und doch ist sie kaum ein Etwas zu nennen gegen die Dauer jener Urperiode,in der Gott aus Seinen Gedanken und Ideen die ersten Geister zu bilden undselbständig zu machen begann. Was geschah in solch endlos langer Periode alleszur Vollbildung des freien Willens der Urgeister![<strong>GEJ</strong>.02_231,04] Und doch gab es am Ende jener endlos langen Bildungsperiodeder Urgeister eine noch übergroße Menge solcher Art, die, obschon sie dierechten Bildungswege Gottes wohl begriffen, aber am Ende von einem sichfreien Verhalten auf diesen Wegen dennoch nichts wissen wollten, sondern desschneller folgenden, wennschon nur kurz dauernden Vorteiles wegen von demgebotenen und wohlgezeigten Ordnungswege Gottes abwichen und den Wegihres höchst eigenen Verderbens betraten.[<strong>GEJ</strong>.02_231,05] Denn der Hauptgeist des Lichtes, dem zahllose andere Lichtgeisterinnewohnten, jeder davon mit zahllos vielen Intelligenzen reichst versehen,sprach bei sich: ,Was bedarf es da noch weiteres? In mir liegen alle Eigenschaftenwie in Gott, und Gott hat alle Seine Kraft in mich gelegt. Nun bin ichstark und mächtig über alles. Er hat alles, was Er hatte, aus Sich heraus hergegeben,und ich habe alles genommen. Nun hat Gott nichts mehr, ich aber habealles; und wir wollen nun sehen, ob der auf die Übertretung des gegebenenGebotes folgen sollende Vorteil wirklich nur von einer kurzen Dauer sein wird.Wir meinen: Mit unserer nunmaligen Allkraft und Macht werden wir uns die— 496 —


Dauer des kurz währen sollenden Vorteiles wohl so hübsch auf Ewigkeitenhinaus zu verlängern imstande sein. Wer wird sie uns zu verhindern imstandesein? Außer uns trägt der endlose Raum, der nun von uns erfüllt ist, keinehöhere Macht und Intelligenz mehr, als da ist die unsrige; wer sollte uns dannden Vorteil streitig zu machen imstande sein?‘[<strong>GEJ</strong>.02_231,06] Sehet, so dachte und sprach der Lichtgeist zu sich selbst unddadurch zu seiner ihm unterstehenden Sondergeisterschar. Gesagt und getan,und die Folge war die Sich-selbst-gefangen-Nehmung in seiner Trägheit, dariner sich stets mehr und mehr verdichtete, und wieder die Folge davon war dieSchöpfung der Materie, ebenfalls ganz auf dem Wege der göttlichen Ordnung;denn der sichere Erfolg des Nichtbeachtens des göttlichen Gebotes war ebensobestimmt vorgesehen, wie der freieste Zustand jener Geister, die das Gottesgebotan und in sich erfüllt haben.[<strong>GEJ</strong>.02_231,07] Und so denn hatte sich durch solchen Fall fürs erste der Hauptgeistund mit ihm alle seine verwandten Untergeister selbst auf das hartnäckigsteund bitterste gefangengenommen. Wie lange es ihm aber gefallen wird, insolcher Gefangenschaft zu verharren, das weiß außer Gott niemand in derganzen Unendlichkeit, auch die Engel nicht.[<strong>GEJ</strong>.02_231,08] Aber das ist gewiß, daß nun aus diesem verlorenen Sohne desLichtes die Sondergeister durch die Macht Gottes wieder erweckt und insFleisch als Kinder der Welt gesetzt werden, und es ist ihnen, gleich wie denKindern von oben, die Gelegenheit gegeben, sich zur höchsten Vollendung derKinder Gottes emporzuheben.[<strong>GEJ</strong>.02_231,09] Alle Materie ist darum Sondergeist, der als Seele in jedemeinzelnen Menschen in ihrem Geiste zum ewigen Leben wiedergeboren werdenkann. Wenn aber aus der Materie einer Welt alle Sondergeister herausgehobensein werden, dann ist auch das volle Ende einer solchen Welt ins Dasein getreten.[<strong>GEJ</strong>.02_231,10] Das aber geht bei einer Welt, wie diese Erde eine ist, freilichwohl so hübsch lange her, aber einmal kommt dann dennoch das Ende herbei.“232. — Hülse und Seele[<strong>GEJ</strong>.02_232,01] (Der Herr:) „Es ist aber dennoch einiges in der Materie, dassich nie völlig in einer Seele finden wird, und dieses besteht in dem bekanntenHülsstoffe, in dem stets irgendeine seelische Sonderpotenz eingeschlossen wirdbis zu einer gewissen Selbständigkeitsreife. Ist die seelische Sonderpotenzeinmal zu einer gewissen Reife gelangt, so zerreißt sie das Hülschen und vereinigtsich dann augenblicklich mit andern schon frei gewordenen ähnlichen oderwenigstens wohl entsprechenden freien Sonderpotenzen und schafft sich dannaus den entsprechenden Elementen der Luft, des Wassers und des Erdreichsalsogleich wieder irgendeine Umhülsung, wie ihr solches bei den Körnern derPflanzen, Bäume und Gesträuche, sowie für jedermann handgreiflich bei den— 497 —


Eiern der Insekten, Vögel und endlich bei den Wassertieren usw. sehen könnt.[<strong>GEJ</strong>.02_232,02] Das Hülstum ist stets nur eine von der Gottesordnung ausgehendeWillensfixierung und hat somit nichts in und für sich seelisch Intelligentes,sondern ist bloß nur ein notwendiges Mittel, durch das eine Seelenintelligenzsich wie aus sich selbst heraus in solch ihrem Isoliertsein mit der Zeit zueinem wirklich völlig selbständigen und freien Wesen ausbilden kann und auchwirklich ausbildet.[<strong>GEJ</strong>.02_232,03] Die Materiewelt ist darum gut zu zwei Dritteilen Seele, undein Dritteil ist seelenlose Hülse als Träger des zuerst sonderlichen und fürweiterhin stets gesammelteren und endlich schon ganz konkreten und reifenSeelenlebens. Die Hülsenmaterie oder der gefestete Gotteswille ist darum aucheine Erlösungsanstalt, durch welche die durch den Fall Satans mitgefallenenSondergeister nach der bestehenden Ordnung wieder jene vollkommen selbständigeFreiheit erreichen können, – wenn schon natürlich auf einem längerenWege, als es die der ersten Periode gewesen wäre.[<strong>GEJ</strong>.02_232,04] Aber da die Zeit Gott nicht beirrt und sie Ihm auch niemalslästig wird, weil Er die vollste Erreichung in der Realisierung Seiner großenIdeen stets wie gegenwärtig vor Seinen allessehenden Augen hat – gleichviel, obdie Zeit kurz oder lange währt –, so sind vor Gott tausend Jahre wie ein Tagoder wie ein Augenblick; und eine Erde kann dann mehr Jahre bis zur vollenEntbindung aller ihrer in ihrer Hülsenmaterie eingeschlossenen Geister vonnötenhaben, als da wäre einer unaussprechlich großen Zahl nach des feinsten Sandesin ihrem ganzen Wesen, so ist solch eine Zeitendauer Gott gegenüber doch amEnde eben auch nichts mehr als nur ein kurzer Augenblick.[<strong>GEJ</strong>.02_232,05] Ja, Ich sage es euch, es gibt im endlosen Schöpfungsraumeschon etwelche Welten, die ihren Dienst vollaus geleistet haben. Sie bestehenaber als Weltkörper dennoch fort und werden auch fortbestehen als Träger derneuen freien Wesen, nur sind sie nun um vieles reiner und gediegener und sindauch in ihrem Gefüge unwandelbar, gleichwie der feste Gotteswille, der SeinerWeisheit und ewig gleichen Ordnung entspricht, ebenfalls für ewig unwandelbarist und sein muß, weil ohne solch eine Festigkeit kein Wesen irgendeine Dauerhaben könnte.[<strong>GEJ</strong>.02_232,06] Denn wenn auch die Wesen nach ihrer geistigen Vollendungein vollkommen freies Sein haben, das vom Gottessein ganz wie unabhängigdasteht, so würde solch eine wie selbständige Unabhängigkeit aber dennochkeine Dauer nehmen und haben können, so diese nicht schon von Ewigkeit hervon Gott aus Seiner Ordnung heraus, und mit derselben eins seiend, zum vorausfestgestellt wäre. Diese Feststellung von Ewigkeit her aber ist so ganz eigentlichfür alle geschaffenen Wesen schon das, wodurch jedem geschaffenen Wesen dieewige Dauer fortwährend verschafft und erhalten wird.[<strong>GEJ</strong>.02_232,07] Aus dem geht aber denn auch nun wie von selbst hervor, daßda gar kein Ding, das irgend von Gott einmal ins wie immer geartete Daseingerufen worden ist, unmöglich je vergehen und zunichte werden kann. Es kann— 498 —


wohl die Form verändern und aus einer minder edlen in eine stets edlere übergehen,auch umgekehrt, wie wir solches beim Falle der erstgeschaffenen Geistergesehen haben; aber vernichtet kann da nichts mehr werden, was Gott einmal inirgendein Dasein gerufen hat. – Sage Mir nun, Cyrenius, ist dir die Sache nunetwas klarer?“233. — Vom Wissen[<strong>GEJ</strong>.02_233,01] Sagt Cyrenius: „Ja, Herr und Meister, nun ist mir die Sache soklar, wie sie einem noch blöden Geiste in seinem irdischen Sein nur immer klarsein kann. Daß ich dabei wohl um so manches und wohl um gar vieles nochfragen könnte, das ist gewiß; aber ich sehe es nun ein, daß das gar zu vieleWissen dem Menschen nicht einmal gut ist, denn er wird dadurch wohl einweiser Mensch, aber dafür kein absonderlicher Tatmensch werden.[<strong>GEJ</strong>.02_233,02] Mir kommt ein Mensch, der zuviel Weisheit besitzt, vor, wieein in allem wohlversorgter, reichster Mann der Erde. Wozu sollte der noch dieErde bearbeiten, wozu die Ochsen spannen vor den Pflug? Seine Schreine undScheuern sind bis zum Giebel gefüllt, seine Keller sind voll der besten Weine,und seine Gemächer strotzen von Gold, Silber, großen Perlen und von denkostbarsten Edelgesteinen. Er sieht, daß da eine weitere Mühe zur Bebauung derErde eine Tollheit und Narrheit wäre; er legt sich daher zur Ruhe und genießtsorglos seine großen Reichtümer.[<strong>GEJ</strong>.02_233,03] Und wie gesagt, ein gleiches Gesicht kann und muß am Endeein Überweiser machen. Der noch in so manchem Unkundige sucht und prüftund hat eine große Freude, wenn er irgendeine neue Wahrheit aufgefunden hat;der Überweise aber kann nicht viel mehr auffinden und ist darum offenbarnotwendig träge geworden, während der Jünger in irgendeinem Weisheitszweigeemsig ist und beinahe Tag und Nacht forscht, um über eine etwas mehr denngewöhnlich verborgene Sache ins möglich klarste Licht zu kommen. Ich weißdaher für jetzt in dieser Sphäre zur Genüge. Was mir aber noch mangelt, daswird mich denn auch in der steten Tätigkeit erhalten. – Habe ich recht odernicht?“[<strong>GEJ</strong>.02_233,04] Sage Ich: „Zuviel und zuwenig taugt nicht viel, aber immerhinnoch besser, etwas zuviel als irgend etwas zuwenig; denn der einen Überflußhat, der kann von solchem dann gar leicht denen mitteilen, die irgendeinenMangel haben, was solchen stets gut zustatten kommen wird. Wer aber zuwenighat, bei dem wird es dann mit dem Mitteilen wohl sicher seine sehr geweistenWege haben. Darum in der wahren Weisheit etwas zuviel stets besser ist dennetwas zuwenig. Aber das sage auch Ich: Es wäre sogar keinem Engel gut, so ergleich Gott allwissend wäre![<strong>GEJ</strong>.02_233,05] Doch dafür ist von Gott aus auch schon gesorgt; denn sowenigein Geist je die ganze Unendlichkeit Gott gleich erfüllen wird, ebensowenigauch wird je eines noch so vollendeten Geistes Weisheit alle die Tiefen der— 499 —


göttlichen Weisheit zu erforschen und zu erfassen imstande sein. – Verstehest duauch das?“[<strong>GEJ</strong>.02_233,06] Sagt Cyrenius: „O ja, das verstehe ich, und es war dies schonvon alters her ein Weisheitsspruch unter uns Römern und war auch schon gangund gäbe bei den Griechen und Ägyptern, und der Spruch lautete ganz kurz:Quod licet Jovi, non licet bovi,* und ich meine, daß dieser Spruch, obschon einEigentum der Heiden, wie sie von den Israeliten benamset werden, auch ganzgut hierher taugt.*) Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt; d.h.: Eines schickt sich nicht für alle.[<strong>GEJ</strong>.02_233,07] Gott gegenüber werden Mensch und Engel wohl für ewig dielieben boves bleiben, und es ist das auch gut; denn ich wenigstens wäre für einezu große Weisheit durchaus nicht zu gebrauchen. Es liegt ja in der Natur derSache, daß jedes geschaffene Wesen am Ende allen Lebensreiz verlieren müßte,so es in der totalsten Unendlichkeit nichts mehr gäbe, was dem Menschengeistenicht ebenso klar und bekannt wäre, wie einem Hausherrn die Gemächer seinesWohnhauses.[<strong>GEJ</strong>.02_233,08] Darum ist das wohl höchst gut und überweise von Jehovaeingerichtet, daß auch ein zwar allervollkommenster, aber dennoch geschaffenerGeist in aller seiner Weisheit der Weisheit Gottes nie um ein Haarbreit näherkommen wird und näher kommen kann; denn was unendlich ist, kann von derEndlichkeit ewig nimmer erreicht werden![<strong>GEJ</strong>.02_233,09] Aber lassen wir nun das; denn darüber noch mehr Worteverlieren, wäre wahrlich sehr unnütz, da es noch eine Menge anderer Dinge gibt,deren Enthüllung uns mehr not tut als die Ausfertigung eines Maßstabes, mitdem der schwache Menschengeist die göttliche Weisheit bemessen könnte. DieLiebe steht offenbar höher denn alle noch so hohe Weisheit der Menschen undGeister.[<strong>GEJ</strong>.02_233,10] Du sagtest ehedem, daß man die alte Seelennarbe durch dasneue Gesetz der Nächstenliebe völlig heilen und sich dadurch von dem altenErbübel ganz frei machen könnte, und es würde dann das vollste Bewußtsein deswahren, ewigen Lebens mit aller Kraft und Klarheit im Menschen wiedereinkehren. Das wäre für den Menschen auf dieser Erde wohl der größte Gewinn;denn erst dadurch würde der Mensch ganz Mensch sein und würde auf der Erdeschon im irdischen Leben entschieden Großes und Herrliches zu leistenimstande sein.[<strong>GEJ</strong>.02_233,11] Mit dem die arme Menschheit stets quälenden Gefühle dessicheren Sterbens und Verschwindens vom Schauplatze des Lebens muß derMensch am Ende allen Mut für eine höhere Tat verlieren, oder er muß sich amEnde in alle die tollen Weltergötzlichkeiten stürzen, um dadurch den Gedankenan den einstigen sicheren Tod zu verscheuchen und so das vergängliche Lebengenießen, als wäre es ein ewiges. Es ist demnach von höchster Wichtigkeit, daßdem Menschen ein solches Gebot gegeben werde, durch dessen Beachtung er— 500 —


das einstige durch Adam verlorene Paradies in sich wieder finden und für ewigbewahren kann. Das Gebot der echten und wahren Nächstenliebe soll uns dasVerlorene wiederbringen.[<strong>GEJ</strong>.02_233,12] Aber da fragt es sich sehr, wie man solch ein allerwichtigstesGebot der Ordnung Gottes gemäß zu beachten hat, um dadurch den großen vonDir verheißenen Zweck – sage – sicher und nicht halb, sondern ganz zu erreichen.“[<strong>GEJ</strong>.02_233,13] Sage Ich: „Das ist von dir aus wahrlich eine gute und wahreBemerkung, und Ich werde dir darüber eine richtige Antwort geben; aber vorerstwollen wir unsern alten Hausmann Markus auch einmal anhören, was er fürBegriffe vom Nächsten hat, dem man alle Liebe zuwenden soll. Darauf erstwerde Ich dann euch die volle und wahre Antwort mit der rechten Erläuterungdarüber geben. Und so sage uns, du lieber Markus, wen nach deiner Ansichtman so ganz wahrhaft für seinen Nächsten halten solle und soll ihm erweisenalle Liebe in der Tat!“234. — Des Markus Ansicht über seinen Nächsten[<strong>GEJ</strong>.02_234,01] Sagt der alte Markus: „Herr, ich bin von allem dem, was ichnun mit meinem Hause vernommen habe, so durch und durch ergriffen, daß ichnun beim besten Willen aber auch nicht ein vernünftiges Wörtlein hervorzubringenimstande wäre, geschweige zu bestimmen, wer mir gegenüber ein rechterNächster ist.[<strong>GEJ</strong>.02_234,02] Natürlich wäre allerdings der mein Nächster, der meinemLeibe am nächsten stände, und so er einer Hilfe bedürftig wäre, müßte ich sieihm geben. Wieder wären meine Nachbarn die Nächsten; wenn sie mich angingenum eine Hilfe, müßte ich sie ihnen nicht vorenthalten. Also sind auch meinWeib und meine Kinder meine Nächsten, und ich muß sorgen für ihr leiblichesund geistiges Wohl und Fortkommen.[<strong>GEJ</strong>.02_234,03] Als ich noch ein Krieger war, da waren auch meine Kameradenmeine Nächsten, und es war meine Pflicht, ihnen im Falle der Not eine Hilfezu leisten. Anderseits ist auch wieder jeder Mensch, welcher Religion er auchangehöre, im Falle der Not mein Nächster, und ich soll an ihm nicht vorübergehen,so er meiner Hilfe bedarf oder mich sich zur Hilfe begehrt.[<strong>GEJ</strong>.02_234,04] Ja, ich meine, daß man sogar einem Haustiere die Hilfe nichtversagen soll, wenn demselben etwas fehlt. Kurz und gut, wie ich in meinembeschränkten Hausverstande mir's vorstelle, der Mensch soll so schön feinGottes Regierung nachahmen und in seinem Tun und Lassen denn doch auchseine Sonne über alle Kreatur leuchten lassen, so wie auch Gott Seine Sonneüber alle Kreatur leuchten läßt.[<strong>GEJ</strong>.02_234,05] Freilich kann der Mensch als ein höchst beschränktes WesenGott seinen Schöpfer nur eben auch höchst beschränkt nachahmen; aber weil erschon die Ähnlichkeit Gottes in sich trägt oder eigentlich nach dem Ebenmaße— 501 —


Gottes erschaffen ist, so soll er auch das in sich vollends ausbilden, wozu ihmalle die Fähigkeiten verliehen worden sind. – Das ist so meine Ansicht, und Du,o Herr, aber wirst uns allen eine richtige Erklärung geben; denn ich höre DeinWort tausend Male lieber, als ich selbst rede. Darum rede Du, o Herr, weiter –vorausgesetzt, daß Du in dieser Nacht noch etwas reden willst!“[<strong>GEJ</strong>.02_234,06] Sage Ich: „Ja, Ich werde reden, obschon die Mitte der Nachtherbeigekommen ist; aber nun machen wir einen kleinen Ruhepunkt undhorchen, ob sich vom Meere her kein Hilferuf vernehmen läßt!“[<strong>GEJ</strong>.02_234,07] Bald auf diese Meine Bemerkung vernahm man vom Meereherüber einen Lärm, aus dem eine Menge von Menschenstimmen sehr wohlvernehmbar waren. Markus und seine Söhne fragten Mich eiligst, ob sie dahinaussollten zur Hilfe allfälliger Unglücklicher, die vielleicht mittels einesschlechten Fahrzeuges den Mitternachtswind zu bestehen haben würden, odereinen Wirbel, der sich vor der großen Bucht gerne ergibt.[<strong>GEJ</strong>.02_234,08] Sage Ich: „Es ist ein schlechtes Fahrzeug voll junger Levitenund Pharisäer. Sie kommen von der Gegend Kapernaums und Nazareths undsind auf dem Wege nach Jerusalem. Sie haben den Weg zu Wasser demtrockenen Wege vorgezogen, weil er fürs erste näher und fürs zweite nicht sobeschwerlich ist; aber sie bekamen in Sibarah nur ein schon ziemlich leckesFischerboot, und es geht ihnen, da sich ein ziemlich starker Mitternachtswinderhoben hat, nun schlecht, – und so ihnen nicht zu Hilfe geeilet wird, da dürftensie wohl untergehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_234,09] Sagt Markus: „Herr, wahrlich, um die ist kein Schade, so sieden lieben Fischen zur Speise werden! Da möchte ich mir mit dem Zuhilfekommenfast ein wenig Zeit lassen. Aber wenn Du es willst, so soll ihnen dennochHilfe gebracht werden.“[<strong>GEJ</strong>.02_234,10] Sage Ich: „Sagtest du doch selbst sehr richtig, der nach demEbenmaße Gottes geschaffene Mensch soll zufolge der ihm dazu verliehenenFähigkeiten Gott in allem ähnlich zu werden trachten und soll auch seine kleineSonne, die er im Herzen trägt, über alle Kreatur leuchten lassen und den alsseinen Nächsten – ob er Feind oder Freund ist – ansehen, der sich in einergroßen Not befindet und einer Hilfe bedarf![<strong>GEJ</strong>.02_234,11] Siehe, deine Worte sind recht und wahr, darum du auchdanach handeln sollst, ansonst die Wahrheit noch lange nicht lebendig in dir zuHause wäre! Denn die pure Wahrheit nützt dem Menschen fürs ewige Lebenwenig oder nichts, solange er sie in sich nicht durch die Tat lebendig gemachthat. Hat er aber das getan, so kommt dann das Licht des ewigen Lebens inStrömen und erleuchtet alle Wirrwinkel der Menschenseele, wie am hellenMittage die Sonne in alle noch so tiefen Täler und Gräben ihr Licht spendet, sieerwärmt und dadurch mit ihrem Leben erfüllt. – Tue darum nun, was du willst!“[<strong>GEJ</strong>.02_234,12] Sagt Markus: „Also nur schnell zur Hilfe, und trüge dasmorsche Schiff lauter Bären, Tiger, Löwen und Hyänen!“— 502 —


[<strong>GEJ</strong>.02_234,13] Sogleich lief der alte Markus mit seinen Söhnen ans Ufer undbestieg auch sogleich ein gutes und ziemlich großes Fischerboot und rudertehinaus an die Stelle, von wo der Ruf nach Hilfe immer gellender ward.235. — Markus rettet schiffbrüchige Pharisäer[<strong>GEJ</strong>.02_235,01] Als Markus in wenigen Augenblicken an das dem Untersinkenschon sehr nahe gekommene Boot kam, hieß er die Unglücksbedrohten schnellin sein Boot übersteigen, nahm das morsche Sibaraher Boot ins Schlepptau underreichte sogestaltig bald das Ufer. Der Geretteten aber waren bei dreißig an derZahl.[<strong>GEJ</strong>.02_235,02] Als sie gerettet im Trockenen waren, so fragten die Levitendenn auch gleich, welchen Lohn der Lotse für seine Mühe verlange, da sieerkannten, daß er ein alter Römer sei. Einen Juden hätten sie sicher nichtgefragt; denn der hätte sich es noch für eine große Gnade halten müssen, daß ihnJehova dadurch würdigte, daß Er durch ihn Seine Diener von einer Gefahr habeerretten lassen. Denn Jehova würde solches dann und wann bloß nur derMenschen willen zulassen, damit sie dadurch eine Gelegenheit bekämen, ihreFestigkeit im Glauben und ihre unerschütterliche Anhänglichkeit an den Tempelzu zeigen, der da sei eine alleinige rechte Gotteswohnung auf Erden, wie sonstkeine in Ewigkeit.[<strong>GEJ</strong>.02_235,03] Aber Markus sagte: „Wenn ich auch ein alter Römer bin, sokenne ich dennoch den wahren Gott besser, denn ihr alle Ihn kennt; denn“, sagteer weiter zu den Geretteten, „kennet ihr Gott, fürwahr, ihr wäret weder Levitennoch Pharisäer, sondern ihr wäret Menschen! Aber weil ihr eben Den nicht imgeringsten kennet, dessen Diener ihr euch zu sein dünket, so sage ich es euch:Verflucht sei der, der seinem Bruder in der Not half und darum einen Lohnverlangt! Denn Gott läßt nie eine gute Tat, die wir in Seinem Namen ausgeübthaben, unbelohnt. Belohnt uns aber Gott, der allein jeden Menschen wahrhaftbelohnen kann, wie und weshalb sollten wir da dann noch von uns gegenseitigeinen Lohn verlangen? Ihr aber seid darum allesamt schlechte Diener Gottes;denn ihr saget es, daß ihr Gott dienet, nehmet aber dafür von den armenMenschen einen oft unerschwingbaren Lohn.[<strong>GEJ</strong>.02_235,04] Darum lernet es nun von mir, einem ergrauten Krieger desmächtigen Roms, wie man dem wahren und ewig lebendigen und allmächtigenGott zu dienen hat, so man von Ihm angesehen und belohnt werden will![<strong>GEJ</strong>.02_235,05] Darum nehme ich auch nie einen Lohn von einem Menschen,dem ich in einer Bedrängnis Hilfe geleistet habe. Habe ich aber für mich undmein Haus gearbeitet, so nehme ich auch den geziemenden Lohn für meineMühe und lasse mir meine Fische, die ich zu Markte bringe, nach Recht undBilligkeit bezahlen. Wollet ihr aber hier etwas zum Essen und Trinken haben, sowerde ich mir solches von euch wohl nach Recht und Billigkeit bezahlenlassen.“— 503 —


[<strong>GEJ</strong>.02_235,06] Sagen die Geretteten: „Wahrlich, aus deiner Rede gehethervor, daß du ein Jude und kein Heide bist; denn so wahrheitstüchtig haben wirnoch nie irgendeinen Heiden reden hören. Oh, wir werden dir darum ewigkeinen Gram bezeigen. Wir sind auch nicht gar so stockfest mit all dem einverstanden,was du mit Recht an uns tadelst und verwirfst; aber wir sind denn nuneinmal schon in dem Strome und müssen wenigstens im Angesichte desTempels mit demselben schwimmen. Hätten wir irgend andere Aussichten, sokehrete kein Mensch dem Tempel eher den Rücken als wir; denn wir glauben,daß Gott nirgends weniger ist als in unserem Tempel. Aber was wollen wir undwas können wir dagegen tun? Oh, wir sehen es so gut wie du, nur zu gut ein, daßder Tempel zu Jerusalem nunmehr nichts anderes ist als eine großartige Betrugsanstalt,hinter der kaum mehr eine wahre Silbe, geschweige irgendein wahresWort mehr besteht; aber diese Anstalt ist nun von der großen Macht Romssanktioniert, und da läßt sich dann nichts mehr dagegen tun.[<strong>GEJ</strong>.02_235,07] Gibt es noch irgendeinen wahren und allmächtigen Gott, sowird Er solch einem Unfuge wohl ohnehin bald ein glorreiches Ende machen;gibt es aber keinen wahren Gott, und ist alles, was wir kennen und wissen,nichts weiter als eine pure alte Dichtung und Fabel, nun, so dichten und fabelnwir denn auch mit, und die Welt, die ohnehin den Betrug lieber hat als dieWahrheit, ist damit vollkommen zufrieden, und wir können da weder von unsnoch von der blinden Welt unmöglich mehr verlangen.“[<strong>GEJ</strong>.02_235,08] Sagt Markus: „Ihr seid wohl schöne Helden und schöneMenschen! Epikur ist euer Lehrer, wenn auch nicht in der Person, weil er schonhübsch lange das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht hat; aber desto mehrfaktisch nach seiner Freßphilosophie. Saget darum, ob ihr etwas essen undtrinken wollt, und es soll eurem Wunsche gewillfahrt werden!“[<strong>GEJ</strong>.02_235,09] Fragt einer: „Was hast du denn dort neben deiner Behausungnoch für wache Gäste? Denn es dürfte nun wohl schon um die Mitternachtsstundesein – und noch so viele Gäste vor deinem Hause? Sind das vielleichtauch Gerettete? Denn das Meer geht heute sehr hoch ohne irgendeinen besonderenWind.“[<strong>GEJ</strong>.02_235,10] Sagt Markus: „Jene Gäste gehen euch wenig an und sind zuhohe römische Herrlichkeiten, als daß ihr euch zu ihnen hinwagen dürftet. Kurz,euer Charakter steht zu tief unter dem jener Gäste. Unter anderen ist auch derHauptmann Julius von Genezareth dort anwesend, so ihr etwa mit ihm etwas zureden habt, so kann ich ihn zu euch hierher bescheiden.“[<strong>GEJ</strong>.02_235,11] Als die jungen Leviten und Pharisäer den Namen hörten,erschraken sie gewaltigst und baten den Markus, daß er sie nur mit diesemverschonen möchte; denn der sei kein Mensch, sondern ein unerbittlichsterTeufel. Denn es waren hier etliche darunter, denen der Julius erst vor etlichenTagen in Genezareth mit Lehm Augen und Ohren hatte verstopfen und sie dannunter militärischer Begleitung gen Kapernaum hatte befördern lassen. Sieüberkam darum auch ein so gewaltiger Schreck, weil sie dachten, Julius werde— 504 —


ihnen solches wieder antun.[<strong>GEJ</strong>.02_235,12] Aber Markus sagte zu ihnen: „Hier habt ihr nichts zu befürchtenaußer eine Revision der Wanderscheine, auf die bekanntermaßen die Römerüberhaupt sehr strenge sind.“[<strong>GEJ</strong>.02_235,13] Sagte einer aus der Zahl der Leviten: „Da ist eigentlich für unsder Stein des Anstoßes. Der Tempel will sich dieser römischen Anordnung nochimmer nicht fügen, und wir unteren Diener des Tempels kommen darum intausenderlei Verlegenheiten, die uns dann kein Mensch mehr vergütet, derTempel nicht und jemand anders auch nicht, und doch müssen wir, vom Tempelaus bemüßigt, allerlei Bereisungen machen von einem Weltende zum andern;und leiden wir irgend Schaden, so wird er uns von keiner Seite her vergütet.[<strong>GEJ</strong>.02_235,14] Wohl sind wir Kinder reicher Eltern, ansonst uns der Tempelsicher nicht in seine Dienste gelockt hätte. Nun aber sind wir schon einmalverdammt in die Gesetze der Mauern und können uns daraus nicht mehr losmachen.Die Folge davon ist, daß wir nun die eigentlichen Sündenböcke für dieganze Welt abgeben müssen. Wir sind nun einmal im Joche der wahrenWeltverdammnis. Mache uns davon los, wenn du solches vermagst! Auf dereinen Seite unsere zelotischen (glaubenseifrigen) Eltern und Verwandten, aufder andern Seite das eiserne Muß des Tempels. Da bewege sich einer frei, der damag und will, wir aber können es nicht!“[<strong>GEJ</strong>.02_235,15] Sagt Markus: „Wißt ihr was? Nach euren Worten taugt ihrdoch nahehin für die Gesellschaft dort vor meinem Hause. Kommet nun mit mir,und ich werde ein gut Wörtlein für euch einlegen! Vielleicht rette ich euch dochaus dem Rachen des Tempels, der nach eurer Aussage gar so ,menschenfreundlich‘um euch, seine Diener, besorgt ist.“[<strong>GEJ</strong>.02_235,16] Sagen die Geretteten: „Wäre alles wohl schön und recht, wennder Julius nicht anwesend wäre; denn wir haben keine Wanderscheine.“[<strong>GEJ</strong>.02_235,17] Sagt Markus: „Nun, so wird er euch welche verschaffen.“[<strong>GEJ</strong>.02_235,18] Sagen die Geretteten: „Das sicher; aber was für welche!“[<strong>GEJ</strong>.02_235,19] Sagt Markus: „Kommt und folget mir! Die Wanderscheinewerden besser ausfallen, als ihr meint; denn der Julius ist, wie ich, ein Freundvon offenen Gemütern.“[<strong>GEJ</strong>.02_235,20] Auf dieses Zureden von seiten des alten Markus und seinerbeiden Söhne lassen sich endlich die Geretteten doch bewegen mitzugehen, undMarkus führt sie etwas weilenden Schrittes recht frohen Mutes zu uns.236. — Kritik der Pharisäer über Julius[<strong>GEJ</strong>.02_236,01] Als die ganze Gesellschaft bei uns anlangt, wird ihr alsbaldPlatz gemacht, so daß sie an einem an den unsrigen anstoßenden Tische rechtwohl Platz hat.— 505 —


[<strong>GEJ</strong>.02_236,02] Markus kommt darauf zu Mir und fragt Mich, ob er den GerettetenSalz, Brot und Wein vorsetzen solle.[<strong>GEJ</strong>.02_236,03] Sage Ich: „Frage sie und dein Herz, ob sie etwas verlangen,und ob dein Herz völlig zu geben bereit ist! Verlangen sie, und dein Herz willgeben, so gib! Denn siehe, auch das ist eine Hauptregel der wahren Nächstenliebe!Der Nächste muß verlangen, entweder durchs vernehmbare Wort, durchHilferuf, oder im schlimmsten Falle durch leicht ersichtliche stumme Not, unddein Herz muß alsogleich aus Liebe fest wollen, danach tätig zu sein; dann istdie Nächstenliebe wahrhaft in der göttlichen Ordnung ausgeübt worden, und dieWirkung davon für die Seele und für den Geist des Gebers wird da nicht untermWege verbleiben. – Verstehst du solches?“[<strong>GEJ</strong>.02_236,04] Sagt Markus: „Ja, Herr, ich verstehe es nun vollkommen undwerde nun alsogleich solcher Deiner Belehrung nachkommen.“[<strong>GEJ</strong>.02_236,05] Sage Ich: „Gehe, aber mache Mich nicht ruchbar bei ihnen!Man darf ihnen noch nicht zuviel trauen; denn in ihrem Herzen wohnt noch tiefeNacht, und ihre Seele fasset noch lange keine Wahrheitstiefe.“[<strong>GEJ</strong>.02_236,06] Darauf begibt sich Markus schnell zu den Geretteten hin undfragt sie, ob und was sie nun zur Stärkung ihres Leibes benötigen werden.[<strong>GEJ</strong>.02_236,07] Sagt einer: „Freund, wir sind zwar hungrig und durstig; aberunser ganzes Vermögen besteht nunmehr nur in neun roten Groschen. Dafürwird sich wahrlich hier in dieser bekannt brotarmen Gegend sicher nicht vielherrichten lassen. Kannst du uns aber dafür doch etwas Erkleckliches geben, sogib es uns, und wir wollen dir die neun Groschen darreichen!“[<strong>GEJ</strong>.02_236,08] Sagt Markus: „Wenn es um euch also steht, so bedarf es auchder neun Groschen nicht, und ihr werdet dennoch zur Genüge zu essen und zutrinken bekommen.“[<strong>GEJ</strong>.02_236,09] Hierauf ruft Markus sogleich sein Weib und seine Kinder undschafft ihnen, diese neuangekommene Gesellschaft mit Brot und Salz und Weinbestens zu versorgen; denn sonst wäre nun in der Mitternachtszeit wohl nichtleichtlich etwas zu haben. Am Morgen werden sie dann schon besser versorgtwerden. Sogleich wird das Geschaffene herbeigebracht, und die Gerettetengreifen wacker zu und loben das Brot und den Wein über die Maßen.[<strong>GEJ</strong>.02_236,10] Einige sagen: „Das ist ein ägyptischer Königswein.“ Anderehalten ihn persischer Abkunft. Einer aber meint, daß dies ein echter Römerweinsei.[<strong>GEJ</strong>.02_236,11] Markus aber sagt: „Keines von allem, sondern der Wein isthier gewachsen.“ – Darüber verwundern sich alle sehr; denn es war bekannt imganzen Judenlande, daß in Galiläa der schlechteste Wein zu Hause war.[<strong>GEJ</strong>.02_236,12] Nach ziemlichem Genusse des Weines aber ward die neuangekommene Gesellschaft so ziemlich lebendig und fing an – wie man zusagen pflegt –, mit der Wahrheit auszupacken, ohne sich zu genieren vor uns,— 506 —


die wir in ihrer nächsten Nachbarschaft uns befanden.[<strong>GEJ</strong>.02_236,13] Julius, der nun ganz knapp an ihrem Tische saß, fragt einenjungen Pharisäer, so mehr scherzweise als irgend ernstlich, ob er – der Pharisäernämlich – nicht auch in Genezareth etwas zu tun habe.[<strong>GEJ</strong>.02_236,14] Sagt der Befragte: „Herr, wer du auch sein magst, ob einCäsaräer oder ein Genezarether, das ist mir nun gleich; aber dieses Loch voneiner Stadt ist sogar für den Teufel zu schlecht, geschweige für einen ehrlichenMenschen von meiner Art! Mich sieht dies Nest in meinem ganzen Leben sicherzum zweiten Male nimmer. Dort haust ein gewisser römischer HauptmannJulius. Das ist genug; denn mit diesem Namen ist schon alles, was nur immerdes Satans sein kann, gesagt. Wer aus der Zahl der Sterblichen sich je demgenaht hat, der hat auch den Satan persönlich kennengelernt. Seine Person habeich zwar noch nie irgendwo zu Gesichte bekommen; aber seine Befehle habe ichverkostet und schließe daraus, daß seine Persönlichkeit auch seinen unmenschlichstenBefehlen auf ein Haar ähnlich sein wird.[<strong>GEJ</strong>.02_236,15] Jener Julius scheint ein abgesagter Feind der Bewohner vonJerusalem zu sein, ansonst es denn doch nicht möglich sein sollte, gar so barbarischund echt satanisch unbarmherzig mit Menschen unserer Art zu verfahren![<strong>GEJ</strong>.02_236,16] Es ist wohl wahr, daß man besonders den Templern eben nichtsehr gewogen sein kann, so man hinter ihre Tücken, Schliche und allerlei Betrügereiengekommen ist; aber man muß doch auch überall eine Ausnahme machenund erst dann irgendein Urteil richten, so man zuvor alle Verhältnisse genauabgewogen hat, unter denen irgendein Mensch einem Kollegium angehört. Hatder Mensch dasselbe frei gewählt, nun da kann man dann wohl mit Recht sagen:Volenti non fit iniuria.* Aber wie viele gibt es oft als Mitglieder eines wenn anund für sich auch noch so lumpig schlechten Kollegiums, die dazu wider ihrenWillen gezwungen worden sind.*) Dem, der es so haben will, geschieht kein Unrecht![<strong>GEJ</strong>.02_236,17] Ist man ein ehrlicher Richter, der Herz und Kopf am rechtenFlecke hat, so untersuche man zuvor, ob unsereins freiwillig oder gezwungenzum traurigen Mitgliede eines solchen Kollegiums ward! Ist man ein Freiwilliger,dann kann man für jede ausgeübte schlechte Vorschrift von seiten einessolchen ärgerlichen Kollegiums sicher mit allem Rechte gezüchtigt werden. Istman aber, wie es bei unsereinem der Fall ist, ein sozusagen mit glühendemEisen dazu Gezwungener und muß durch den gleichen Zwang die argen Vornahmendes Kollegiums in Vollzug bringen, so sollte man denn doch anders behandeltwerden als ein freiwilliger schlechter Lump.[<strong>GEJ</strong>.02_236,18] Es wird zum Beispiel ein überaus ehrlicher, junger und kräftigerMensch von Räubern und Mördern überfallen und in die Höhle der Räubergebracht. Dort werden ihm die martervollsten Todesarten vorgehalten, so er alsein kräftiger Mensch nicht ein Miträuber und Mörder werden wolle. Jeder nochso leise anscheinende Versuch zum Entfliehen wird schon mit einem marter-— 507 —


vollsten Tode bestraft.[<strong>GEJ</strong>.02_236,19] Es geschieht aber, daß solch eine Räuber- und Mördergesellschaftvom strafenden Arme der Gerechtigkeit erreicht und zur Strafe gezogenwird. Ist es da recht, wenn der junge Mensch nun das Los derer teilen muß, dieihn mit glühenden Eisen zu einem Miträuber gemacht haben? Solch einenUnglücklichen sollte man nur nach aller Möglichkeit und nach allen Seiten hinzu retten suchen, nicht aber am Ende ohne alles Erbarmen ihn, gleich den wirklichenMissetätern, ans Kreuz hängen und ihm die Beine zerschlagen. Gerichtetund verdammt ist bald und leicht, besonders für den, der das Schwert und dieMacht in seinen Händen hat; aber wie, – das ist eine ganz andere Frage![<strong>GEJ</strong>.02_236,20] Nach meinem Gefühle wäre es noch immer besser, so manzehn wirkliche Lumpen, deren Schuld man aber nicht völlig hat erweisenkönnen, laufen ließe, als daß man einen solchen verurteilt, wie ich ihn inmeinem Beispiele angeführt habe; denn solch ein Urteil scheint die allerhimmelschreiendsteVersündigung an den heiligsten Rechten der Menschheit zu sein!Wenn es schon strafbar ist, so man einen glücklichen Menschen so ein wenignur unglücklich macht, wie ungeheuer strafbar muß es dann erst dort sein, woman einen ohnehin schon ohne sein Verschulden allerunglücklichsten Menschennoch unglücklicher macht, anstatt daß man als Mensch doch alles aufbietensollte, ihn aus seinem ersten, höchst unverschuldeten Unglücke nach Möglichkeitzu erretten![<strong>GEJ</strong>.02_236,21] Und siehe, Freund, beinahe um kein Haar besser geht es mituns jungen Templern. Auch wir sind als Söhne wohlhabender Eltern mit Gewaltdem Tempeldienste geweiht worden, ohne eigentlich dem Stamme Levi derGeburt nach anzugehören; denn solch eine Geburt kann man jetzt ums Geldhaben, wie oft man sie will.[<strong>GEJ</strong>.02_236,22] Wir sind nun einmal Leviten und können uns von diesemlieben Stande beim allerbesten Willen von der Welt nimmer losmachen. Ja, wirkönnten zwar für uns wohl entfliehen und könnten als kräftige junge Männerdem Soldatenstande Roms uns anschließen; aber dann hätten wir damit auch denStab alles Verderbens über unsere Eltern und Geschwister gebrochen, und sierettet kein Gott vor dem herrlichen Genusse des verfluchten Wassers. Wer aberdieses scheußliche Giftwasser hat zu trinken bekommen, ist noch allzeit gestorben,und das auf die schmählichste und schmerzlichste Art von der Welt.[<strong>GEJ</strong>.02_236,23] Man erzählt uns wohl, daß vor ungefähr dreißig Jahren einMenschenpaar aus Galiläa nach dem Genusse des Satanswassers nicht gestorbensei. Möglich, – aber wir waren nicht zugegen![<strong>GEJ</strong>.02_236,24] Wer nun unsere Lage von solch einem Standpunkte ausbetrachtet und uns dann gleich andern gemeinsten Menschenbestien behandelnkann, der hat ganz verdammt wenig Anspruch auf die Ehre, ein Mensch zu sein,zu machen! Da scheint das hochtrabende römische ,Fiat iustitia, pereatmundus!‘* eben nicht gar weit her zu sein.— 508 —


*) "Es werde Gerechtigkeit geübt, wenn auch die Welt darüber zugrunde geht!"[<strong>GEJ</strong>.02_236,25] Ich und noch einige von unserer diesmaligen armseligenGesellschaft aber sind eben in Genezareth ohne all unser Verschulden von demgewissen Hauptmann Julius auf eine Weise behandelt worden, wie man keinreißend Vieh ärger behandeln kann, und es wird daher begreiflich sein, warumwir für alle Zukunft diesen Ort, den der Julius beherrscht, wie die ärgste Pestmeiden werden!“237. — Der Entschluß der Pharisäer[<strong>GEJ</strong>.02_237,01] Sagt inzwischen Julius: „Hm, sonderbar von dem Manne, dersonst doch allgemein den verdienten Ruf eines vollkommen streng ehrlichen undvollrechtlichen Mannes besitzt!? Aber kannst du mir denn so mutmaßlicherweisezum wenigsten sagen, was da Julius für einen Grund haben mochte, daß ersich gegen euch so strenge erwies? Denn eine ungerechte Sache muß sich denndoch noch immer irgend wieder gutmachen lassen, ansonst es mit allen gesellschaftlichenVerbänden auf dieser Erde für immer ein volles Ende hätte!“[<strong>GEJ</strong>.02_237,02] Sagt der junge Pharisäer: „Oh, Gründe kann er mehrere gehabthaben; aber sie reduzieren sich am Ende alle darauf hin, daß man vor der Weltdurch argen Zwang gar leicht ein Verbrecher oder zum wenigsten ein irgendeinesVerbrechens verdächtiger Mensch sein kann, ohne es aus sich freiwillig zusein! Sagt ihr doch in eurem Gesetze, daß zu irgendeiner schlechten und darumstrafbaren Tat ein entschieden freier böser Wille erforderlich sei, was erwiesenwerden muß; ansonst müßte man am Ende auch den ans Kreuz heften, der durcheinen Zufall vom Dache fiel und durch diesen Fall ein unter dem Dache ruhendesKind erschlug und tötete![<strong>GEJ</strong>.02_237,03] Wir jungen Pharisäer und Leviten werden nun allzeit vomTempel aus sicher aller ehrlichen Welt gegenüber kaum je in einer respektablenAbsicht abgesandt; ja wir tragen oft geheim so elende Tempelabsichten hinauszu den harmlosen Menschen in die Welt, daß wir sie selbst offenbarst im tiefstenGrunde unseres Herzens verachten müssen! Aber was nützt alles das?[<strong>GEJ</strong>.02_237,04] Wir gleichen da den Kriegern, die von ihren Feldherrengenötigt, in ein Land als Feinde eines in sich ganz ruhigen Volkes einfallen undalles verheeren, bloß irgendeines geheimen feldherrlichen Zweckes wegen, vondem der gemeine Krieger vielleicht die Zeit seines ganzen Lebens hindurchkeine Kenntnis bekommt; er muß als eine Maschine handeln, die höchstens,wenn sie zum Weiterhandeln untüchtig geworden ist, in irgendeinen stummenRuhestand gesetzt wird.[<strong>GEJ</strong>.02_237,05] Ich aber meine, wenn der Tempel mit seinen ruchlosen, geheimenAbsichten eine den Römern sicher schon zu wohl bekannte Anstalt ist, vonder aus Verbrechen über Verbrechen begangen werden, dem Staate so gut wiealler Menschheit gegenüber, so sollten dergleichen gerechte Juliusse das Übelgleich lieber von der Wurzel ausrotten und sich nicht stets an den Zweiglein— 509 —


vergreifen, die bei Gott nicht dafür können, daß sie von einem so schlechtenStamme ins Dasein getrieben worden sind! – Das ist so meine und unser aller,wie wir hier sind, Ansicht. Mache du daraus nun, was du willst; aber ich haberecht vor Gott und allen recht und billig denkenden Menschen!“[<strong>GEJ</strong>.02_237,06] Fragt abermals Julius, sagend: „Das ist alles gut und wahr, undes ist euch in Genezareth offenbar Unrecht geschehen, das euch vergütet werdenwird. Es wäre euch aber auch nicht so hart begegnet worden, wenn ihr in dasHaus des dortigen Gastwirtes Ebahl nicht gar so diktatorisch gedrungen wäret!Aber lassen wir nun das; denn auch zu solch einem Benehmen könnet ihr vomTempel aus die gemessensten Weisungen haben. Aber ich möchte von dir nundenn doch so als Freund jeder guten Sache in Erfahrung bringen, in welcherAbsicht ihr denn so ganz eigentlich vom Tempel aus nach Nazareth und Kapernaumbeordert worden seid.“[<strong>GEJ</strong>.02_237,07] Sagt der Befragte: „Indem du nun durch mein sicher rückhaltlosestesBekenntnis wirst gesehen haben, daß wir in unseren Herzen nicht imgeringsten das sind, als was wir, besonders von den Römern, angesehen werden,so kann ich dir, der du ein Freund alles Guten und Wahren zu sein scheinst, jaauch den geheimen Grund näher bezeichnen. Sieh, es ist in Jerusalem und ganzbesonders im Tempel überaus ruchbar, daß sich in Galiläa ein Mann herumtreibt,der eine neue, antijüdische, eigentlich antitemplische Lehre verbreitet,viele und große Zeichen zur Bekräftigung seiner Lehre verübt, so daß bereitsbekanntermaßen sogar alte und sonst nagelfeste Pharisäer sich zu seiner Lehrebekennen![<strong>GEJ</strong>.02_237,08] Daß solch ein Mann vom Tempel aus wohlweisen Gründennicht mit freundlichen Augen angesehen wird, kannst du dir wohl denken. Nunsind wir bloß zu dem Behufe unter Eid genommen und dann abgesandt worden,um zu eruieren, ob und was es denn so ganz eigentlich mit dem fraglichenManne für eine Bewandtnis habe. Fänden wir ihn, so sollten wir ihn entwederfür den Tempel zu gewinnen suchen oder ihn im Widerstrebungsfalle so klamm(heimlich) von dieser Welt in die andere befördern. – Nun, das war so ganz kurzgefaßt die hohe Absicht des Tempels, deren harmlose und total unschuldigeTräger wir waren.[<strong>GEJ</strong>.02_237,09] Es versteht sich aber übrigens von selbst, daß der bewußte,sicher höchst ehrliche, gute Mann von uns nie etwas zu befürchten gehabt hätte;denn hätten wir ihn auch gefunden, so wäre ihm von uns aus kein Haargekrümmt worden.[<strong>GEJ</strong>.02_237,10] Wie wir vielseitig erfahren haben, soll er im Ernste ein außerordentlicherMensch sein, voll Wahrheit, Ehrlichkeit, Güte und Biederkeit, –Eigenschaften, die wir an jedermann noch stets über alles zu schätzen und zuachten verstehen. Kurz, hätten wir ihn auch irgendwo getroffen und gefunden,so hätte davon von uns aus der Tempel sicher nicht eine Sterbenssilbe erfahren;denn aufs sogenannte Maulhalten verstehen wir uns. Auch für den Tempelhätten wir ihn nie zu gewinnen gesucht; denn den Tempel und seine Nieder-— 510 —


trächtigkeiten kennen wir wie nicht leichtlich jemand anders. Wären wir aber inunseren Herzen auch des eigentlichen Tempelgelichters, so würden wir hiertrotz des ein bißchen genossenen Weines nicht so offen mit dir reden.[<strong>GEJ</strong>.02_237,11] Wir aber haben eine geheime Absicht, abgesehen von allem,was darum unsere Weltverwandten alles um unsertwillen werden zu gewärtigenhaben, nun dem Tempel zu entwischen; denn es ist im selben durchaus nichtmehr zu bestehen. Wir sind darum auch hauptsächlich nächtlicherweile übersWasser in diese Gegend gekommen, um von da irgend nach Tyrus oder Sidon zugelangen und uns dort dem Cyrenius vorzustellen und ihm, der einer der weisestenMänner sein soll, unsere Not vorzutragen. Es ist aber die Meinung desgrößten Teiles von uns, daß wir zuvor dennoch nach Jerusalem auf einemmöglichst kürzesten und von Ungemach freiem Wege gelangen und alldortsehen sollten, von unseren Verwandten wegen einer vorgeschützten frommenGeschäftsreise, im Interesse des Tempels natürlich, ein Geld zu bekommen, mitdem wir dann leicht eine Reise nach Tyrus und Sidon, oder am Ende gar nachRom selbst, unternehmen könnten zur Erreichung unseres Zweckes. Zugleichaber müssen wir zu dem Behufe uns auch ordentliche Wanderscheine verschaffen,ohne welche man in dieser Zeit schwer anstandslos weiterkommt. SolcheScheine aber kosten Geld.[<strong>GEJ</strong>.02_237,12] Es wäre einesteils darum wohl gut und nötig, uns von Hauseaus ein genügend Geld zu verschaffen; aber ich und ein Teil denken da wiederanders und sagen: So wir dem Tempel entweichen, so werden darum unsereAlten, das heißt unsere Eltern und Geschwister, ohnehin vom Tempel aus allesmögliche Ungemach, vielleicht gar das verfluchte Wasser zu bestehen bekommen.Es wäre darum zu himmelschreiend ungerecht, so wir sie zuvor nochgewisserart um ihr Geld bringen wollten, wodurch sie dann am Ende kaumimstande wären, sich im äußersten Falle vom Genusse des gewissen Wassersloszulösen, was im Tempel oft geschieht, daß den Gravierten (Belasteten) dieWahl zwischen – natürlich – viel Geld und dem verfluchten Wasser freigestelltund nun auch fast durchgängig mit Geld als Sühne vertauscht wird.[<strong>GEJ</strong>.02_237,13] Nun, da ist schwer zu entscheiden, was man da tun soll. Ich fürmein Teil bin einmal fürs Nichtnachhausegehen, und das aus den bereitsbekanntgegebenen Gründen und aus noch einem Grunde, den ich für einenHauptgrund halte. Denn holen wir uns nun in Jerusalem vorher noch ein Geldunter einem erdichtet templisch frommen Vorwande, und kommt dann dieGeschichte denn doch sicher auf, so trifft uns alle auch unvermeidlich derTempelfluch im großartigsten Maße und mit dem der Fluch unserer Alten, undunser Glück in der Welt ist gemacht, daß es Gott erbarme! Gehen wir nun aberheimlich, so werden der Tempel und unsere Alten denken, daß wir etwairgendwo verunglückt seien. Unter solchen Rücksichten werden dann derTempel und unsere Alten um uns trauern, und beide werden für uns beten unduns segnen für die ganze, lange Ewigkeit. – Was meinst du, der du ein Freunddes Rechtes und der Wahrheit zu sein scheinst, was ist da das Bessere und wasist da völlig Rechtens?“— 511 —


238. — Des Herrn Rat und Hinweis auf die praktische Nächstenliebe[<strong>GEJ</strong>.02_238,01] Sagt Julius: „Mir gefällt wohl euer Entschluß; aber die Mittelzu dessen endzwecklicher Ausführung können mir nicht gefallen, weil ihnenkeine Wahrheit zugrunde liegt. Freilich ist hier der Fall, daß ihr mit der Verfolgungder vollen Wahrheit im Mittel sowohl als im zu erreichenden Zweckeeigentlich gar nicht zu dem euch vorgesteckten Ziele gelangen könnet. EinMittelweg aber läßt sich da auch nicht so leicht ausfindig machen. Lasset michda ein wenig nachdenken, vielleicht finde ich so einen Weg, auf dem ihr amEnde vor Gott und vor der Welt als gerechtfertigt erscheinet![<strong>GEJ</strong>.02_238,02] Euer Tempeleid ist da freilich meines Erachtens das stärksteHindernis. Wie ist der zu umgehen? Wenn ich diesen um eures dennochvollwahren Gottes willen nicht respektierte, dann kostete es mich nur einesWortes, und ihr wäret vor Gott und vor aller Welt schuldlos frei vom Jocheeures Tempels. Aber euer feierlichst dem Tempel geleisteter Eid hindert mich daganz ungeheuer daran, und ich muß mich darüber beraten mit den vielenWeisen, die an meinem Tische ruhen; und wir wollen dann sehen, wie wir unsaus dieser wahren Scylla und Charybdis* herauszuziehen werden imstandesein.“*) In der griechischen Sage: Seeungeheuer bzw. gefährlicher Meeresstrudel[<strong>GEJ</strong>.02_238,03] Sagt der junge Pharisäer: „Tue du das, und du tust wahrlichein gutes Werk an uns! Sage mir aber doch noch gütigst zuvor, wer so ganzeigentlich die Gäste an deinem Tische sind, auf daß wir ihnen den gebührendenRespekt zollen können! Der alte Herr muß entweder ein gar vornehmer Römeroder mindestens ein sehr reicher Grieche sein!?“[<strong>GEJ</strong>.02_238,04] Sagt Julius: „Lassen wir heute das; denn für derlei Aufklärungenwird sich noch morgen eine mehr als hinreichende Zeit finden lassen! Nunwill ich zu eurem Besten mich lieber mit der Hauptsache beschäftigen.“ Damitwar der junge Mann denn auch zufrieden, und Julius wandte sich darauf ganzunverhohlen an Mich in römischer Zunge, deren Ich sicher auch mächtig war,und sagte: „Herr, was wird da wohl Rechtens sein? Gewalt von meiner Seitewürde alle Eide und alle Tempelgesetze über den Haufen werfen; aber da träteich dann als ein Zerstörer des feierlichsten Gelübdes auf, und die Schuld desEidbruches fiele dann auf mich. Ich halte freilich – unter uns gesagt – auf Eide,die zur Haltung böser Pflichten abgefordert und leider nur zu oft abgelegtwerden, nicht nur nichts, sondern verachte sie tiefst, weil dabei Gott zur Steuerder Falschheit und Schlechtigkeit als Zeuge und Helfer angerufen wird. Aber derTempel zu Jerusalem ist so eine fragliche Sache![<strong>GEJ</strong>.02_238,05] Auf der einen Seite ist er dennoch, wie von alters her, ein füralle Juden geheiligtes Bet-, Opfer- und Reinigungshaus und wird bis zur Stundevon mehreren tausendmal Tausenden in der Hinsicht frommgläubig geheiligt;auf der andern Seite aber werden nun nur zu bekanntermaßen alle Greuel derGreuel darin auf eine allergewissenloseste Weise begangen, wie sonst auf der— 512 —


lieben Erde nicht leichtlich noch irgendwo. Nur von da aus möchte ich wohlgleich jedes Gelübde vom Grunde aus zerreißen und zerstören.[<strong>GEJ</strong>.02_238,06] Sage Du mir darum, was da vollends Rechtens vor Gott undden Menschen ist?! Denn wahrlich, wenn sich da alles so verhält, wie es mirdiese Menschen nun ganz harmlos kundgaben, so dauern mich diese Jungensehr, und ich möchte ihnen helfen.“[<strong>GEJ</strong>.02_238,07] Sage Ich: „Es ist ja doch ehedem ausgemacht worden, wieman die rechte Nächstenliebe ausüben soll. Verlangen sie es, und dein Herz willes auch, da hast du ja schon den ganzen Rat beisammen. Zudem hast du dochselbst nie einen Eid dafür abgelegt, daß du des Tempels arge Gelübde ehrensollest. Wenn aber du durch keinen Eid irgend für den Tempel gebunden bist,was sollte dich hernach hindern zu tun, was dir gut und zweckdienlich dünkt?[<strong>GEJ</strong>.02_238,08] Hast du doch schon oft Gewalt geübt gegen Menschengesellschaften,die an ihre alten Sitten und Gebräuche auch eidlich gebunden waren,und es war solches sogar ganz gut von dir; denn es staken in solchen alten Sittenund Gebräuchen nur zu häufig große geheime Grausamkeiten. Desgleichenkannst du auch hier ganz nach deinem rechtlichen Sinne tun.[<strong>GEJ</strong>.02_238,09] Gewalt von der römischen Seite hebt jede eidliche Verpflichtung,auch vor Gott gültig, für ewig auf, das heißt, wenn derjenige, der im Eidegestanden ist, selbst vollends frei einsieht, daß erstens sein Eid ein wider seinenWillen gezwungener war, und daß zweitens der Eid einen durchgängig und wohlerkenntlich schlechten Zweck hatte, und daß der Eid mehr durch weltliche dennirgend göttliche Gesetze in der Art, wie er ist, sanktioniert ist.[<strong>GEJ</strong>.02_238,10] Einen sogestaltig durch einen bösen Eid gefangenen Menschenaus solch einer argen Gefangenschaft des Satans erlösen, ist selbst dann eingroß-gutes Werk der wahren Nächstenliebe, wenn ein Mensch in der Schwächeseiner Erkenntnis von seinem geleisteten Eide in seinem Glaubensgemüte nochgefangengehalten würde, – geschweige hier, wo das vollste Einsehen desschlechtesten Eides von der Welt von den betreffenden jungen Männern klarsteingesehen wird. Tue du demnach hier nur ganz nach deinem Gutdünken, undMein Freund Cyrenius wird dir dabei sicher seine Oberhilfe nicht versagen!“[<strong>GEJ</strong>.02_238,11] Sagt sogleich Cyrenius: „Nicht nur nicht versagen, sondern,damit mein Julius noch gewissensfreier fürder atmen kann, werde ich an dendreißig Menschen die rechtliche Gewalt ausüben, und der Tempel soll dann vonmir Rechenschaft verlangen!“[<strong>GEJ</strong>.02_238,12] Über solch Mein und des Cyrenius Wort ward Julius über alleMaßen froh, und alle frohlockten über solch eine gute Maßnahme.239. — Julius gibt seinen besten Rat den Pharisäern kund[<strong>GEJ</strong>.02_239,01] Darauf wandte sich Julius abermals zu seinem jungen Pharisäerund sagte: „Nun, Freund, haben wir schon ein rechtes Mittel aufgefunden,— 513 —


durch das ihr samt euren Alten vor dem Tempel und allen seinen Forderungenals vollkommen gerechtfertigt erscheinen müsset und eure Alten am Ende sogareine gerechte Klage wider den Tempel beim römischen Pflegeramte erhebenkönnen, worauf der Tempel sicher zum Ersatze an eure Alten für euren Verlustverurteilt wird, weil ihr zufolge der vom Tempel genötigten Nichtbeachtung derGesetze Roms in Hinsicht der ordentlichen Wanderscheine, von denen derTempel noch bis zur Stunde ganz hartnäckig keine Notiz nehmen will, von unsRömern gefangengenommen und sogleich unter das Militär der Fremdenlegiongesteckt worden seid! Ihr seid sonach nun schon gefangengenommen zu euremBesten. Ist es euch angenehm?“[<strong>GEJ</strong>.02_239,02] Sagen alle: „O Herr, wer du auch sein magst, diesen göttlichenRat hat dir nur ein Gott geben können! Wahrlich, so erreichen wir den gutenZweck für uns und nicht minder für unsere Alten. O Wonne, wie süßschmeckest du, und um wieviel weiser ist das große Rom nun als unser allerschmutzigstesJerusalem! Alter Wirt und Vater dieses Hauses, gehe und bringeuns auf diese für uns überfrohe Kunde noch einen Wein; denn nun muß allesleben, was sich hier befindet! Wir sind ja aus der Hölle in alle Himmel aufeinmal erhoben worden. Die blinden Juden warten noch immer auf einen verheißenenMessias, der sie vom Joche der Römer befreien soll. Und sieh, wir habenaber nun eben bei und in euch, ihr lieben Römer, den echten und allein wahrhaftigenMessias aller Menschen gefunden! Die reine Wahrheit ist der wahreMessias aller Menschen. Diese aber ist nun in eurer Mitte, und so seid ihr mitder vollsten und reinsten Wahrheit unter euch und in euch der einzige und wahreMessias aller rein und bieder denkenden Juden, wie auch aller Menschen, derenGemüter mit allerlei alten, nichtigen und durch und durch verdorbenen Lehrenund daraus abgeleiteten noch schlechtesten Gesetzen gefangengehalten sind.Alter Wirt, geh, geh, und laß uns noch einen Wein aufsetzen auf das Wohlunserer Erlöser und Messiasse!“[<strong>GEJ</strong>.02_239,03] Markus läßt sogleich noch mehr Brot und mehrere Krüge vollWein auf den Tisch der Fremden bringen; und der junge Redner fragt nocheinmal den Julius, wer sich denn doch alles bei der Gesellschaft befinde, undwer er eigentlich selber sei.[<strong>GEJ</strong>.02_239,04] Sagt Julius: „Ich habe es dir ja zuvor gesagt, wem der von dirso sehr verrufene Julius von Genezareth irgendein Unrecht, freilich wider seinenWillen, zugefügt hat, dem wird er es auch zur rechten Zeit wieder gutzumachensich sicher alle mögliche Mühe geben. Und der von euch so gefürchtete Juliusbin ich selbst, und da, mir gegenüber, sitzt der erhabene Oberstatthalter vonganz Asien und Ägypten – Cyrenius, zu dem ihr nach Sidon ziehen wolltet. Undnun, sage mir, wie du mit uns harten, unerbittlichen Römern zufrieden bist!“[<strong>GEJ</strong>.02_239,05] Als der junge Pharisäer solches vernimmt, erschrickt eranfangs sehr samt allen seinen Gefährten; aber er faßt sich bald wieder und sagt:„Hoher Gebieter, bist du uns gram wegen meiner früheren Rede, die dir dochoffenbar nicht sehr schmeichelhaft hat vorkommen können? Aber ich kann da ja— 514 —


unmöglich dafür, wie auch du hast offenbar nicht dafür können, daß du uns mitdurch Lehm verpichten Augen und Ohren nach Kapernaum hast transferierenlassen. Hättest du uns damals gekannt wie jetzt, so hättest du uns solches nichtangetan. Du hieltest uns aber für gewöhnliche Pharisäer schlechtesten Gelichters,und das entschuldigt nun vollkommen deine damalige harte Handlung mituns. Vergib aber nun nur uns und besonders mir; denn du weißt es schon, was,wie und weshalb!“[<strong>GEJ</strong>.02_239,06] Sagt Julius: „Mit freimütigen Menschen rede ich gerne, undnie wird mich die freie Rede beleidigen von Männern, die die Wahrheit ohnealle Furcht und Scheu frei heraus von sich geben ohne irgendeinen Hinterhalt;aber wehe auch denen, die anders denken und fühlen und ganz anders reden!Nichts ist vor mir häßlicher als die Lüge, und ich verdamme sogar eine Notlüge;denn es ist vor Gott und vor allen ehrlichen Menschen besser zu sterben – alssich zu retten durch eine Unwahrheit! Aber wie gesagt, bei euch gefällt mir eureoffene Sprache. Und da mir eure Verhältnisse so ziemlich bekannt sind vonJerusalem und Bethlehem aus, so weiß ich es auch, daß ihr hier so ziemlich ohneVorhalt euer Anliegen vorgebracht habt. Es steckt zwar noch etwas im Hintergrundebei euch; das jedoch ist eine Kleinigkeit, und ihr werdet es auch erreichen,so ihr uns Römern eine wahre und stets offene Treue und brüderlicheErgebenheit erweisen werdet!“[<strong>GEJ</strong>.02_239,07] Sagt der junge Redner: „Hoher Herr, sei auch du ganz offenund sage es gerade heraus, was das ist, das wir noch im Hinterhalte hätten, waszu diesem unserem Anliegen gehört! Denn freilich, wohl gibt es noch somanches in uns, das wir hier nicht haben kundtun können, da fürs erste die Zeitzu kurz war und man fürs zweite in einer so großherrlichen Gesellschaft denndoch über so manches nicht mit der ganzen Tür ins Haus fallen kann, besonderswenn ein höchster Herr als der Oberstatthalter von ganz römisch Asien zugegenist, dessen Höhe und Majestät wir uns nicht einmal ganz offen anzusehengetrauen, seit wir wissen, daß er es ist. Zudem befindet sich auch ein Mägdleinan eurem Tische und ein Jüngling, und da heißt es denn doch: Halte deine Zungeein wenig im Zaume! Wenn wir aber allein beisammen sein werden, dannwerden wir gewiß vor dir, hoher Herr, nichts mehr irgend geheimhalten! Aberda du mit uns armen Sündern schon einmal so gnädig und barmherzig bist, sosage es uns in der Stille, was dir an uns noch als unbehaglich erscheint, und obdas etwa auch irgendein hoher Römer ist, mit dem du zuvor unsertwegenrömisch geredet hast!“[<strong>GEJ</strong>.02_239,08] Sagt Julius: „Nun, das, was ihr mir von euch des Dekorumswegen (des Anstandes wegen) verschwiegen habt, ist ohnehin von keinerBedeutung mehr, weder für mich noch für euch. Aber wohl könnte für euch vonhöchster Bedeutung die Bekanntschaft mit jenem euch auffallenden Manne sein!Aber auch dazu ist heute durchaus keine Zeit mehr; darum morgen dasWeitere!“ – Damit begnügten sich ganz ehrerbietigst die Geretteten und griffenwieder zu Brot und Wein und ließen alles leben in aller Heiterkeit ihrer nunfrohen Gemüter.— 515 —


240. — Jarah gibt Zeugnis vom Herrn[<strong>GEJ</strong>.02_240,01] Am Ende brachte noch einer, der noch etwas Wein im Krugehatte, einen Gesundheitstrank dem weisen Nazaräer in folgender Weise dar:„Auch der, den wir suchten, aber leider nirgends finden konnten, soll leben vonuns aus für immerdar, so er noch irgendwo lebt und in guter Sicherheit ist. Wirwerden seinem Leben, das ein Heil den Menschen ist, ewig nimmer feindwerden. – Oh, hätte er sich nur von uns finden lassen, wir hätten ihm denTempel, so er noch irgend etwas darauf halten sollte, auf eine Art beleuchtet,daß er sicher sich nimmer gleich uns nach ihm sehnen würde! Da wir ihn abernicht finden konnten, so sei ihm, dem guten Leib- und Seelenarzte aus Nazareth,dieser Segenstrank dargebracht!“[<strong>GEJ</strong>.02_240,02] Bei dieser Gelegenheit kamen dem Julius Tränen in dieAugen, sowie dem ganz gerührten Cyrenius. Auch die Jarah bekam Tränen inihre Augen und die meisten Meiner Jünger. Und die Jarah sagte ganz still zuMir: „O Herr, dürfte ich jetzt reden, was könnte und was wollte ich diesendreißig Geretteten doch alles erzählen von Dir!“[<strong>GEJ</strong>.02_240,03] Sage Ich: „Ja, wenn du Mich nicht verrätst, so kannst du schonetwas von dir geben; denn diese Geretteten werden dich mit der allergespanntestenAufmerksamkeit anhören!“[<strong>GEJ</strong>.02_240,04] Sagt die Jarah voll Freuden: „Oh, wenn also, dann werde ichgleich die Gesellschaft um Aufmerksamkeit angehen!“[<strong>GEJ</strong>.02_240,05] Sage Ich: „Nun, so tue das, aber du mußt dich fest halten, daßdu Mir nicht zu weinen anfängst!“[<strong>GEJ</strong>.02_240,06] Sagt die Jarah: „O Herr, das werde ich schon möglichst zuvermeiden trachten!“ – Nach solcher Versicherung erhob sich die Jarah undsagte mit sehr klarer und wohlvernehmlicher Stimme: „Höret, meine liebenFreunde, die ihr soeben einen Segenstrunk auf den von euch gesuchten unddennoch nicht gefundenen Heiland aus Nazareth dargebracht habt! DiesenTrunk teilte ich in meinem Herzen aus der tiefsten Tiefe meines Lebens miteuch; denn ich habe das unschätzbarste Glück gehabt, Seine Bekanntschaft, undzwar in Genezareth selbst, gemacht zu haben. Ich bin darum auch in der beseligendstenLage, euch von Ihm, was da Seinen Charakter und Seine unerhörtenFähigkeiten betrifft, einen zwar kurzen, aber getreuest wahren Entwurf zugeben, so ihr übrigens einen solchen zu vernehmen wünschet.“[<strong>GEJ</strong>.02_240,07] Sagen alle laut: „Ja, ja, holdestes Kind aus Genezareth! Fassedich aber lieber etwas länger als leichtlich etwas zu kurz, das heißt, wenn esdeine zarte Brust nur nicht etwa zu sehr anstrengt!?“[<strong>GEJ</strong>.02_240,08] Sagt die Jarah: „Oh, sorget euch um etwas anderes! MeineBrust ist stark und kann schon etwas ertragen. Sehet und höret denn! So wie ihr,habe auch ich schon so manches von dem neu aufgestandenen Wunderheilandeaus Nazareth gehört. Unsere Gegend aber war gleichfort eine der ungesundesten— 516 —


von ganz Galiläa; denn ein jeder Fremde, der dahin kam und sich dort nur einpaar Tage aufhielt, ward sicher so krank, daß er gar nicht mehr weiterzureisenvermochte. Es gab welche, die oft über ein Jahr lang dort bleiben mußten; denEinheimischen machte es weniger. So ganz kerngesunde Menschen wohl gab esnur sehr wenige; aber doch gab es unter den Einheimischen auch wenige, vondenen man hätte sagen können, daß sie krank seien. Alle Reisenden vermiedendarum sorgfältigst diesen Ort, und wen nicht unerläßlich dringende Geschäftehintrieben, der kam sicher nicht nach Genezareth.[<strong>GEJ</strong>.02_240,09] Als ich von dem bewußten Heilande aus Nazareth zuerstKunde erhielt, da fing ich an, zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs garinbrünstig, zu beten, daß Er den Heiland auch nach dem höchst ungesundenGenezareth möchte kommen lassen. Und sehet, ich ward bald erhört, denn derHeiland aus Nazareth kam bald darauf zu uns nach Genezareth. Und man saheinen Heiland ohne Arzneien und fragte sich geheim: ,Wie wird denn der dievielen Kranken heilen?‘ Aber Er überzeugte uns nur zu bald, daß Er nichts alsnur zu sagen brauchte: ,Ich will, sei oder seid gesund!‘ Und sehet, in einemAugenblick wurden alle, von was für verschiedenen heilbaren oder bekanntunheilbaren Krankheiten sie auch behaftet waren, mit Blitzesschnelle derartgeheilt, daß bei ihnen aber auch keine Spur davon irgendmehr zu entdecken war,als wären sie je krank gewesen! Lahme, Blinde, Taube, Krüppel, Besessene,Gichtbrüchige, Aussätzige und noch viele mit hunderterlei andern Übeln Behaftete,das war dem Heilande eins; Sein Wort und Wille heilte sie alle. Julius, einRömer, ist nebst Hunderten Zeuge davon gewesen.[<strong>GEJ</strong>.02_240,10] Er heilte aber nicht nur die Leiber der Menschen, sondern auchdie Seelen und deren Verständnis, fegte den blinden Aberglauben aus denHerzen der dummen und verirrten Menschen und belehrte die Unwissenden aufeine so klare und leichtfaßliche Weise, daß sich alle darob oft noch mehrverwunderten, als über Seine Heilungen durchs Wort.[<strong>GEJ</strong>.02_240,11] Endlich aber zeigte Er Sich auch als ein vollendetster Herr undMeister der Natur; denn Ihm gehorcht Wasser, Luft, Feuer und Erde, und ichmöchte es sogar behaupten und das für ganz gewiß, daß sich Sonne, Mond undall die Sterne Seinem Worte nicht ungehorsam bezeigen möchten; denn dieEngel der Himmel fügen sich Seinem Willen.[<strong>GEJ</strong>.02_240,12] Mich hatte Er sehr lieb, wie auch ich Ihn über alles, obschonEr äußerlich eben nicht ein schöner Mann ist; denn Er ist mehr klein von Statur,und Seine Hände sind rauh und arbeitnarbig, aber Sein Kopf ist würdevoll undSein Auge wohl das schönste, das mir je zu Gesichte kam. Auch um den Mundhat Er einen überaus freundlichen, wenn danebst auch würdevoll ernsten Zug.Die Stimme Seines Mundes aber kann man eine wahrhaft männlich hinreißendenennen; denn sie klang wenigstens für mein Ohr angenehmer als der schönsteund reinste Gesang.[<strong>GEJ</strong>.02_240,13] Da habt ihr nun so einen möglichst kurzen Entwurf von demallerberühmtesten Heilande aus Nazareth vollkommen der Wahrheit getreu,— 517 —


wofür, wie schon gesagt, hundert der allerbewährtesten Zeugen stehen können. –Wie gefällt euch nun der Heiland, den ihr gesucht und nicht gefunden habt?“241. — Enthüllung der Absichten des Tempels[<strong>GEJ</strong>.02_241,01] Sagen die Pharisäer, große Augen über die BeschreibungJarahs machend: „Neues hast du uns zwar nichts Besonderes erzählt; dennsolches und noch mehreres ist uns von ihm schon zu Ohren gekommen, als wirnoch in Jerusalem waren; und weil ebenso außerordentliche Gerüchte von ihm,man könnte es sagen, schon durch ganz Israel wie beinahe das tägliche Brotgang und gäbe sind, so sind schon mehrere vom Tempel aus abgesandt worden,diesen Mann irgend ausfindig zu machen und ihn in den Tempel zu bringen, woihm dann vom Tempel aus zuerst sicher Anträge gemacht würden, seinewunderbaren Kenntnisse und Eigenschaften allein den Vorteilen des Tempels zuweihen. Und würde er solche Anträge von sich weisen, was sich von ihm mit dervollsten Sicherheit erwarten ließe, da er zugleich ein sehr guter, liebevoller undüberaus weiser Mann sein soll, nun, da würde er auf jeden Fall den kürzerenziehen müssen und einem tiefsten und festesten Kerker schwerlich je entgehen;er müßte denn nur im Ernste allmächtig sein. Denn der Tempel ist nun so arggeworden, daß jetzt anstatt der Menschen gleichwohl der Satan in aller Schlechtigkeitganz gut noch zehn volle Jahre in die Schule gehen könnte, um in alle dieSchändlichkeiten des Tempels vollends einzugehen und sie praktisch einzuüben.[<strong>GEJ</strong>.02_241,02] Darum sagen wir, daß sich der Heiland aus Nazareth wohl niezu den vielen Schändlichkeiten einlassen würde; gegenfalls er aber in jedemFalle ein Opfer des Tempels werden würde.[<strong>GEJ</strong>.02_241,03] Es seien zwar durch die Macht seiner Worte und Werke schongar viele Pharisäer bekehrt worden; aber was hat ihnen alles das genützt? Siehatten am Ende ihre wahre Teufelsnot mit dem Tempelkollegium und habenauch, um im Kollegium wieder mit einiger Behaglichkeit leben und bestehen zukönnen, dazu noch müssen zu lügen anfangen, daß es davor nur gleichweggestaubt hat. Denn das alte Tempelkollegium ist und bleibt schon einmal reindes Teufels, und es läßt sich mit demselben nichts anfangen.[<strong>GEJ</strong>.02_241,04] Wenn der oberste Priester einmal sagt: ,Heute wird die Sonneden ganzen Tag der Erde nicht scheinen!‘, so darf kein unterer Templer nur vonfernehin eine Bemerkung sich erlauben am selben hellichten Sonnentage, etwanur so leise hin, bei der man zu verstehen gäbe, daß die Sonne dennoch scheine.Aus wäre es da für ein ganzes Jahr! Kurz, da darf niemand anders glauben als:die Sonne scheine an dem Tage durchaus nicht, – und müßte er sich vor den oftzu warmen Strahlen der Sonne in den dichtesten Schatten flüchten! Sagt derOberpriester: ,Heute wird sieben Stunden lang nichts denn Blut fließen imBache Kidron!‘ – wehe dem, der auf solchen Spruch etwa doch kein Blut fließensähe! Kommt ein Kranker zum Oberpriester, und dieser sagt: ,Mein Sohn, dubist geheilt, gehe nun, opfere deine Gabe, und kehre dann getrost nach Hause!‘;nun, der Geheilte aber ist darauf ebenso krank und elend, wie er ehedem war.— 518 —


Sagt er aber: ,Mein Freund, ich bin noch so krank wie zuvor und kann daherkein Opfer geben!‘, o Gott, o Gott, da ginge es ihm dann schlecht! Kurz, dasWort des Oberpriesters muß helfen, und fürs Helfen muß gezahlt werden, wennvon einer wirklichen Hilfe auch nirgends eine Spur zu entdecken ist. Und wehedem, der solch eine Nullhilfe nur im geringsten irgend verdächtigen möchte;nun, in dessen Haut wäre wahrlich nicht gut stecken![<strong>GEJ</strong>.02_241,05] Daß bei solchen Heilungen gegen ungeheuer dicke Opfer deinHeiland fürs Tempelkollegium sehr zu gebrauchen wäre, wirst du, liebstes Kind,nun wohl begreifen, wie auch, warum der Tempel stets Jagd auf den gutenHeiland aus Nazareth macht.[<strong>GEJ</strong>.02_241,06] Übrigens danken wir dir, daß du ihn uns näher beschriebenhast. Vielleicht wird auch uns irgend einmal das Glück zuteil werden, mit ihmirgendwo einmal zusammenzukommen. Dem allmächtig guten Jehova alles Lob,daß Er uns aus den Klauen des Tempels befreit hat! Kommen wir aber etwaeinmal als Krieger nach Jerusalem, da freue dich, du heiliges Tempelkollegium!Wir werden dir deine Heiligkeit schon so hübsch auszutreiben verstehen![<strong>GEJ</strong>.02_241,07] Wenn du, liebstes und holdestes Mägdlein, aber von deinemhöchst merkwürdigen Heilande noch etwas Besonderes zu erzählen weißt, soerzähle! Wir wollen dir bis zum Sonnenaufgange mit der größten Aufmerksamkeitvon der Welt zuhören; denn der Mann interessiert uns bis aufs äußerste.“242. — Das Steinwunder des Erzengels Raphael[<strong>GEJ</strong>.02_242,01] Sagt die Jarah: „Ja, meine liebwerten Freunde, von demHeilande aus Nazareth könnte ich euch tausend Jahre hindurch in einem fort dieseltensten Dinge erzählen, wenn es durchgängig schon an der Zeit wäre, alleserzählen zu dürfen, was man alles gesehen und erlebt hat; aber Er hat es mir aushöchst weisen Gründen verboten, und darum darf ich nicht alles von Ihm erzählen,was ich weiß, sondern nur etwas Weniges, dazu Er Selbst mir die billigeErlaubnis erteilt hat.[<strong>GEJ</strong>.02_242,02] Aber ich hatte zuvor zu euch unter anderem auch gesagt, daßIhm, dem guten Heilande aus Nazareth, auch Sonne, Mond und all die Sternegehorchen müßten, dieweil Ihm sogar die Engel der Himmel gehorchen. Und ichbemerkte, daß darob unter euch einige lächelnd den Kopf schüttelten unddadurch gewisserart sagen wollten: ,Liebes Kind, da gehst du in deiner kindlichenEinbildungskraft etwas zu weit; denn die reinen Engel der Himmel gehorchennur Gott allein und sonst niemandem in der ganzen Unendlichkeit!‘ Aberich sage es euch, daß sich hier die Sache dennoch also verhält, wie ich sie euchganz harmlos kundgetan habe.[<strong>GEJ</strong>.02_242,03] Ich hätte euch schon eher dafür den handgreiflichen Beweisgeliefert, so ihr nicht gelächelt und mit dem Kopfe sehr zweifelgebend geschüttelthättet; aber nun will ich darin euren Zweifel aufs Haupt schlagen, und ihrwerdet mich darauf nicht gar so leicht wieder für eine junge verliebte Hascherin— 519 —


(Närrin) ansehen, die in bezug auf den Gegenstand ihres Herzens auf diegewöhnliche Weise, wie sie in der Welt gang und gäbe ist, aus einer Mücke nurgar zu gerne einen Elefanten macht. Oh, das mag wohl bei gar vielen Weltmädchender großen Welt ungezweifelt der Fall sein; aber bei mir ist davon wahrlichauch nicht eine allerleiseste Spur anzutreffen, – wovon ich euch sogleich denlebendigsten und sicher handgreiflichsten Beweis liefern werde.[<strong>GEJ</strong>.02_242,04] Da sehet hin, den Jüngling, der als zweiter zu meiner Rechtensitzt und sich soeben mit dem fest an meiner Rechten sitzenden Sohne des hohenCyrenius bespricht, – für wen haltet ihr diesen Jüngling?“[<strong>GEJ</strong>.02_242,05] Sagen die Befragten: „Nun, für einen Menschen von Fleischund Blut – gleich uns allen!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,06] Sagt die Jarah, dabei nun ein wenig lächelnd und den Kopfschüttelnd: „Weit, ja himmelweit gefehlt, meine liebwerten Freunde! Sehet, dasist ein reinster Erzengel Gottes, den mir eben der berühmte Heiland ausNazareth aus der nahezu von allen gesehenen Unzahl von Engeln auf meinehöchst eigene Wahl zu meiner Leitung, Belehrung und Führung auf eine längereZeit gegeben hat! So ihr aber solches nicht glauben könnet auf mein Wort, sokommet nur her und überzeuget euch davon mit allen euren Sinnen; denn erwird euch zu Diensten stehen auf einige Augenblicke!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,07] Sagt der frühere Redeführer: „Ja, davon muß ich mich denndoch wohl mit Händen und Füßen zugleich überzeugen; denn sonst geht mir dieAussage des sonderbar weise redenden Mägdleins schon rein ins mehr als allertiefstHimmelblaue über!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,08] Nach diesen Worten erhebt sich der junge Pharisäer und gehtganz ehrerbietigst zu Jarah hin und sagt: „Nun, wie wirst du mich von derWahrheit deiner Aussage überzeugen?“[<strong>GEJ</strong>.02_242,09] Sagt die Jarah: „Gehe hin zu dem Jünglinge, der den NamenRaphael führt, der wird dich davon selbst überzeugen!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,10] Der junge Pharisäer tritt darauf gleich zum Raphael hin, undRaphael erhebt sich, sieht dem jungen Pharisäer fest ins Auge und sagt: „Warumzweifelst du an dem, was dir meine Jüngerin von mir kundgegeben hat? Da,ergreife meine Hand, und sage es mir, was du dabei fühlst!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,11] Der Pharisäer tut das sogleich und sagt ganz verwundert: „Hm,merkwürdig, ich fühle eigentlich gar nichts, außer meine höchst eigene, ganzfest geschlossene Hand, in der nun nicht einmal eine Mücke, geschweige deinevolle Hand Platz hätte! Kurz, ich greife dich durch und durch und ersehe daraus,daß du wahrlich nicht wie unsereins aus Fleisch und Blut bestehst.“[<strong>GEJ</strong>.02_242,12] Spricht Raphael: „Hebe einen Stein, der zu deinen Füßen liegt,auf und reiche mir ihn dann!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,13] Der Junge hebt einen Stein auf, der ganz gut seine dreißigPfund wog, sagte aber dabei bemerkend: „Geistig Wesen, wenn meine Hand die— 520 —


deinige durch und durch greift, so wird dieser schwere Stein am Ende wohl auchdurch deine Hände fallen, wie durch die nichtige Luft; denn der Stein wiegtwenigstens dreißig Pfund, und wenn er mir am Ende durch deine Hände aufmeine Füße fällt, so zerquetscht er mir dieselben!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,14] Sagt Raphael: „Wenn dies geschieht, so heile ich sie dir imschnellsten Augenblick darauf. Darum gib du den Stein nur ganz sorglos inmeine Hände!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,15] Darauf gibt der junge Pharisäer den Stein in die Hände desRaphael.[<strong>GEJ</strong>.02_242,16] Als Raphael den schweren Stein zum Erstaunen des Pharisäersin seinen Händen so spielend leicht hält, als hätte er das Gewicht von einemFederflaume, und denselben auch von einer Hand in die andere mit einer soerstaunenswerten Leichtigkeit herumwirft, als wäre er ein leichtester Flaumenball,da sagte der junge Pharisäer: „Höre, du lieblichster Geist oder sonsten was,mit dir sich in einen Kampf einzulassen, wäre nicht gut; da würde man sicherganz entsetzlich den kürzeren ziehen! – Wo aber nimmst du diese ungeheureKraft her?“[<strong>GEJ</strong>.02_242,17] Sagt Raphael: „Siehe, das ist aber ja alles noch nichts; ichwerde nun vor deinen Augen diesen sehr harten Kiesstein auch zum feinstenStaube zerquetschen!“ – Hier zerdrückt Raphael im Augenblick den Stein zusichtlichem Staube, so daß sich auf dem Tische vor dem Raphael nun ein ganzerHaufe weißen, feinsten Staubes befand.[<strong>GEJ</strong>.02_242,18] Als der junge Pharisäer dies zweite Manöver sah, bog er sichvor Erstaunen, und es eilten auch seine Kollegen hinzu, um dies Wunder mehrin der Nähe ansehen zu können.[<strong>GEJ</strong>.02_242,19] Darauf sagt der Engel: „Es ist für einen, dem die Kraft eigenist, eben nicht so schwer, einen solchen Stein zu Staub zu zermalmen, als denStaub dann wieder zu seiner früheren Festigkeit und in seine frühere Formzusammenzudrücken. Denn zermalmen kann jeder Mensch so einen Stein, wennschon gerade nicht mit den Händen, gleich mir, so aber doch mittels sehr harter,eherner Schlägel. Aber das nachherige Zusammenpressen des Steinstaubes wirdwohl kaum einem Menschen möglich sein, – besonders in die frühere Form. Aufdaß du aber siehst, daß mir auch das möglich ist, so gib nun acht und siehe, obdu es mir nachmachen wirst!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,20] Hier schob Raphael den Steinstaub auf dem Tische zusammen,und in einem Augenblick ward der Stein wieder in seiner früheren Form undSchwere auf dem Tische vor dem Engel.[<strong>GEJ</strong>.02_242,21] Bei diesem Manöver gehen dem jungen Pharisäer samt allenseinen Kollegen vor lauter Staunen die Augen über, so daß er nun nichtimstande ist, ein gesundes Wort über seine Lippen zu bringen.[<strong>GEJ</strong>.02_242,22] Aber der Engel sagt zu ihm: „Sieh, das ist aber alles noch— 521 —


nichts! Gib nun acht, ich werde diesen Stein sogar bloß durch meinen Willen imAugenblick völlig zunichte machen!“ – Darauf spricht der Engel zum Steine:„Löse dich in den entsprechenden Äther auf und werde flüchtig, gleich demfeinsten Äther!“ – Auf diese herrschenden Worte war im Augenblick der Steinvöllig unsichtbar geworden, und kein Mensch sah irgendwo mehr etwas vomSteine. – Da fragte der Engel den jungen Pharisäer: „Nun, wie gefällt dir das,mein Freund? Könntest du mir das wohl nachmachen?“[<strong>GEJ</strong>.02_242,23] Sagt der junge Pharisäer: „Höre, du lieber Engelsgeist oderwas du noch irgend bist, das ist etwas Unerhörtes! Nun glaube ich für meinenTeil vollkommen, daß du ein Engel Gottes bist. Nur begreife ich das eine nicht,wie du nämlich einem Menschen dieser Erde bei deiner, man kann es sagen,allmächtigen Kraft untertan sein kannst! Denn solches sagte auch dies Mädchenaus von dem bewußten Heilande aus Nazareth, und ich muß es ihr nun glauben,will ich's oder will ich's nicht.[<strong>GEJ</strong>.02_242,24] Gibt es denn im Ernste ein Mittel auf dieser Erde, durch dasman sich euch untertan machen kann? Wie ist jener Mensch dazu gekommen?Wir wissen aus der Schrift wohl auch Beispiele, wo Engel den Menschen aufGottes Geheiß gedient haben; aber daß und wie du dich nun unter den sterblichenMenschen befindest, davon hat die Schrift wahrlich kein Beispiel aufzuweisen!Nein, nein, Freunde, da geht es auf keinen Fall so ganz geheuer zu! Dukannst zwar wohl ein Engel Gottes sein, aber auch ebensoleicht jemand ganzanders, wo man sagt: ,Jehova, steh uns bei!‘ – Es ist nun Nacht, ja gar Mitternachtauch noch dazu, und da gesellen sich gerne die ,Jehova-steh-uns-bei‘ zuden Menschen. Du scheinst mir zwar für einen gewissen ,Jehova-steh-uns-bei‘viel zu schön, sanft, gut und weise zu sein; aber es sei auf das nicht immer vielzu geben!? Solltest du aber doch so etwas vom ,Jehova-steh-uns-bei‘ zu sein dieverfl- Ehre haben, dann schaffen (halten) wir von der Bekanntschaft mit demmerkwürdigen ,Heilande‘ aus Nazareth eben nicht gar viel; denn das Pröbchenmit dem Steine hat mich nun auf ganz sonderbare Gedanken gebracht, – Jehovasteh uns bei! Man sagt nicht umsonst, daß der Satan auch die Lichtgestalt derHimmel annehmen kann, wann er will! Und wärest du so etwas von einem,Jehova-steh-uns-bei‘, dann möchten wir wohl lieber fliegen als gehen von hier;denn es möchte hier für uns fürderhin eben nicht geheuer sein!“[<strong>GEJ</strong>.02_242,25] Auf diese Worte des jungen Pharisäers wollen nun alle dieFlucht ergreifen; aber Cyrenius hindert sie daran und bescheidet sie wieder anihre alten Plätze. Sie nehmen nun wohl wieder Platz, sitzen aber nun auf ihrenBänken, wie wenn diese mit lauter Nadeln besteckt wären.243. — Die Entschuldigungsrede des jungen Pharisäers[<strong>GEJ</strong>.02_243,01] Julius aber sagt zum sonst sehr offenen jungen Pharisäer:„Wahrlich, ich habe dich anfangs für weiser und vernünftiger gehalten, als dudich jetzt anlässest, – den sichtbar reinsten Engel auch für einen möglichenSatan zu halten! Ah, das geht ja über alles! Kannst du denn unseren Reden und— 522 —


Handlungen als ein nur einigermaßen vernünftiger Mensch nicht entnehmen,daß wir doch sicher nicht des Teufels sind? Will denn nach eurer Lehre derTeufel nicht gleichfort nichts denn eitel Böses nur? Und wir verabscheuen undbestrafen das Böse allzeit; wie sind wir dann des Teufels? Hat sich wohl derSatan je mildtätig und barmherzig gegen jemand erwiesen? Wir aber sind gegenjedermann gerecht, barmherzig und nach Möglichkeit mildtätig. Wie können wireinen Satan unter uns dulden? O ihr noch sehr blinden Narren! Habt ihr noch nieeinen von einem Teufel besessenen Menschen gesehen? Ich habe deren mehreregesehen, aber darunter keinen, der von seinem Einwohner gut behandelt wordenwäre! Wenn ihr uns aber schon in eurer groben Dummheit für des Teufels haltet,für wen haltet ihr hernach die Templer und euch selbst, wo der Tempel – wie esnun doch schon aller besseren Welt bekannt ist – aus lauter Lug und Trug, ausder allerverschmitztesten Bosheit zusammengesetzt ist und ihr eben diesesTempels Diener seid? Ihr selbst gesteht es ein, daß der Tempel nun ganz gutdem Satan zu einer Schule dienen könnte! Und uns, die wir Gutes über Gutesjedermann aus unseren treuen, guten Herzen erweisen, wollt ihr nun auch für desTeufels halten, weil ein Geist aus den Himmeln euch ein kleines Pröbchen vonseiner ungeheuren Macht und Kraft gegeben hat? Ich möchte von euch denn nundoch erfahren, wie hernach das aussehen muß, was bei euch nicht des Teufelsist!“[<strong>GEJ</strong>.02_243,02] Sagt der Pharisäer, nun schon ein wenig mehr gefaßt: „Nun,nun, freundlichster, hoher Julius, mußt uns diese Geschichte nicht gar zu sehr alseine Sünde anrechnen! Denn sieh, womit ein Mensch gefüttert wird, davonerhält sein Leib die Nahrung! Ist das Futter gut, so wird die Ernährung auch gutsein; ist aber das Futter schlecht, so wird auch die Ernährung schlecht sein. Einverwahrloster Mensch, der am Ende mit den Schweinen frißt, der wird auchkeinen andern Unflat von sich lassen als die Schweine selbst! Und so geht es unsnun auch geistig. Jahrelang ist der Magen unserer Seele mit der Schweinskostdotiert (bedient) worden, und es geht das schlechte Überbleibsel nicht so leichtund so geschwind, als man es meint, aus dem Magen der Seele heraus![<strong>GEJ</strong>.02_243,03] Wir haben unsere besseren Ansichten und Erkenntnisse, diefreilich wohl mit noch sehr viel Unflat gemengt sind, einzig dem oft wiederkehrendenUmgange mit Römern und Griechen zu verdanken. Aber sind wir dannwieder nach Jerusalem, und zwar in den Tempel, zurückgekehrt, so genügtenvierzehn Tage, um uns durch allerlei mystisch weise klingende Phrasen wiederso dumm wie möglich zu machen. Was Wunder, wenn bei so einer außerordentlichenGelegenheit sich aus solchen Phrasen in unserer Seele von selbst einigederselben gleich finsteren Wolken am Himmel über unsere ohnehin schwachscheinendejunge Erkenntnissonne hermachen und sie auf Momente derartverfinstern, daß wir darob bei Erscheinungen außerordentlichster Art am Endeuns in ein gleiches Verhältnis mit einem Wanderer in einer finstersten Mitternachtgestellt sehen, dem wohl auf einen Augenblick ein aus den Wolken fallenderBlitz den sehr klippenreichen Pfad erhellt; aber das nützt dem Wandererwenig, da auf eine solche nur momentane Beleuchtung gleich eine noch dickere— 523 —


Finsternis folgt![<strong>GEJ</strong>.02_243,04] Darum habe du mit uns nur Geduld, wir werden uns mit derWeile schon machen! Aber wie gesagt, plötzlich geht das nicht, und ich und wiralle sind nun recht froh, daß wir einzusehen anfangen, warum es eigentlich alsogeht und auch nicht anders gehen kann; denn aus einem harten und rohen Klotzewird nicht nach wenigen Meißelhieben des Bildners schon eine vollendeteMenschengestalt fertig.[<strong>GEJ</strong>.02_243,05] Wir haben von Engeln der Himmel wohl schon gar manchesgehört und gelesen. Die drei Fremden, die Abraham besuchten, waren Engel; beiLot waren Engel; Jakobs Leiter voll Engel ist bekannt; Bileams Lasttier verkündetedem es mißhandelnden Propheten die Gegenwart eines Engels; des jungenTobias Begleiter und Führer war ein Engel; die Israeliten sahen den WürgengelGottes von Haus zu Haus der Ägypter gehen; bei den drei Jungen im Feuerofensah man Engel, – und es ist in der Schrift noch vielfach die Rede davon, daß dieEngel Gottes wie leiblich sichtbar mit den Menschen dieser Erde verkehrthaben. Warum sollte das hier nicht möglich sein?[<strong>GEJ</strong>.02_243,06] Aber hier ist die sichere Anwesenheit eines Engels eine soaußergewöhnliche, daß man sie freilich wohl nicht so schnell fassen kann dervollen Wahrheit nach, als wie schnell man sie glaubt von lange vergangenenZeiten her. Glauben ist leicht, weil man sich stets die vergangene Zeit für besservorstellt, als da ist eine gegenwärtige, die man aus einer gewissen Pietät stets fürderlei göttliche Erscheinungen zu unwürdig hält, ohne zu bedenken, daß es inSodoma und Gomorra eben auch nicht sehr Gott wohlgefällig mag hergegangensein, ansonst Er nicht Feuer vom Himmel über solche Orte hätte regnen lassen.[<strong>GEJ</strong>.02_243,07] Kurz und gut, du mußt es selbst einsehen, daß diese Sache eineganz außerordentliche ist, die ihresgleichen unseres Wissens auf dieser Erdenoch nicht erlebt hat! Daß wir demnach bei den merkwürdigen Pröbchen, durchdie der Engel uns von seiner himmlischen Wesenheit einen Beweis verschaffte,ein wenig aus der Fassung gekommen sind, wird ja auch wohl begreiflich sein,so man alle unsere früheren Lebensverhältnisse wohl erwägt. Daher wolle du,hoher Julius, unser momentan dummes Benehmen uns ja nicht für irgendeineböswillige Sünde anrechnen!“244. — Belehrung der Pharisäer durch Julius[<strong>GEJ</strong>.02_244,01] Sagt Julius: „Nun, ich habe es euch ja ohnehin gesagt, daß esvon eurer Seite eine große Dummheit war, die euch von eurer ersten Erziehungnoch in eurer Seele steckengeblieben ist. Was noch nicht ganz draußen ist, daswird schon noch mit der Zeit ganz aus euch hinausgebracht werden. Auf einmalgeht das freilich wohl nicht; denn eine alte eingewurzelte Dummheit geht oftschwerer aus dem Menschen, als wie schwer man heilt ein altes Gebrechen desLeibes. Aber ein rechtes Mittel kann am Ende beides heilen.[<strong>GEJ</strong>.02_244,02] Wir verargen niemandem seine angeborene und eingefleischte— 524 —


Dummheit, weil kein Dummer dafür kann, daß seine Erziehung keine besserewar. Aber wenn ihm hernach die Gelegenheit kommt, großartige Erfahrungen zumachen und sich mit Menschen zu besprechen, die mächtig sind in der wahrenWeisheit und eine rechte Erkenntnis haben in allen Dingen, die auf dieser liebenErde nur immer vorkommen können, so muß er seine alte Dummheit verlassenund das als allein wahr und gut annehmen, was er gesehen hat, und wie es ihmvon unselbstsüchtigen, die Wahrheit und alles Gute aus ihr suchenden undinnehabenden Männern erklärt wurde. Wenn er sich dawider hartnäckig sträubt,so ist er der Zuchtrute wert; und sollte diese auch nichts fruchten, dann ist einsolcher Mensch aus der Gesellschaft besserer Menschen zu entfernen und ineine Anstalt der Irrsinnigen zu bringen, weil sich an seiner zu hartnäckigen undzu tief eingewurzelten Dummheit die Menschen zu sehr ärgern würden – was danicht gut wäre.[<strong>GEJ</strong>.02_244,03] Aber bei euch ist das sicher nicht der Fall, weil eure Intelligenzschon zu sehr geweckt ward durch das ofte Zusammenkommen mit unsRömern und Griechen, die wir jetzt auf der lieben Erde wohl das erfahrenste undgebildetste Volk sein dürften, trotz all den Vorwürfen, daß wir nicht an den voneuch gepredigten allein wahren Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs glauben. Sowir aber an euch die Frage stelleten, ob ihr daran gar so pichfest glaubet, als esnach euren Worten und Zeremonien zu erwarten wäre, so werden eure verkehrtenund bösen Handlungen, wennschon nicht euer Mund, der noch allzeit einLeumund war, die Antwort laut aussprechen und sagen: ,Wir glauben gar nichts,sondern heucheln vor dem dummen Volke nur einen Glauben und lassen unsaber für solche Heuchelei, die wir aus der Kunst verstehen, so dick wie möglichbezahlen!‘ Wenn ich dann unsern Glauben an euren Gott mit dem eurigenvergleiche, so glauben wir um tausendmal mehr denn ihr![<strong>GEJ</strong>.02_244,04] Ja, wir erkennen, daß euer Gott der allein wahre Gott ist, vondem unsere Götter eigentlich nichts als einzelne, erhabene, Seiner würdigeEigenschaften sind, die die menschliche Phantasie in allerlei Persönlichkeitenumgestaltet hat; aber ihr erkennet weder euren allein wahren Gott und darumnoch weniger Seine erhabensten Eigenschaften, die wir in allegorischen Bilderndarstellen und verehren. Darum müsset ihr nun noch so manches lernen, wohlprüfen und endlich einsehen, wie sich alle die Dinge in der Welt verhalten, undwas etwa Wahres hinter ihnen steckt.[<strong>GEJ</strong>.02_244,05] Habt ihr aber die Wahrheit gefunden, so nehmet sie an undbleibet bei ihr, und denket und handelt danach, so werdet ihr in der Tat GottesKinder sein, während ihr saget wie alle Juden nun sagen, daß sie Gottes Kinderseien, im Herzen aber nicht einmal glauben, daß es einen Gott gibt!“* * *— 525 —


InhaltsverzeichnisAufenthalt Jesu und der Seinen in Kis und Nazareth............................................11. — Über die Bestrafung der Verbrecher........................................................12. — Judas Ischariot als Golddieb.....................................................................33. — Die rechte Anwendung der Wunder- und Heilkraft.................................54. — Besuch und Beschreibung einer Tropfsteinhöhle.....................................95. — Geschichte der gefundenen Schätze.......................................................116. — Entstehung und Einsturz der Tropfsteinhöhle........................................137. — Faustus findet die Schätze im Lagerhaus wohlgeordnet und bewacht...168. — Vom Himmelreich..................................................................................179. — Der Herr zeigt das Wesen von Himmel und Hölle in Beispielen...........1910. — Das Gesetz der Ordnung.......................................................................2111. — Des Herrn und Seiner Jünger Abreise nach Nazareth. (Matth. 13)......2312. — Die zweite Erweckung der Sarah vom Tode........................................2613. — Szene zwischen Jairus und seinem Weibe...........................................2914. — Vom Unterschied der menschlichen und göttlichen Macht.................3215. — Philopolds Zeugnis von der Gottheit Jesu............................................3516. — Der Herr begibt Sich in die Synagoge. (Matth. 13)..............................3717. — Der Herr erklärt einen Jesaja-Text.......................................................3918. — Vom Wesen Gottes und Seiner wahren Anbetung...............................4119. — Die Frechheit und Verwirrung der geistig blinden Pharisäer ..............4220. — Der Templer Angst vor dem römischen Gericht..................................4421. — Cyrenius und die Templer....................................................................4722. — Heilung eines Gichtbrüchigen. Zeugnis der Nazarener über Jesus.(Matth. 13).......................................................................................................4923. — Zurechtweisung der Nazarener. (Matth. 13)........................................5124. — Des Cyrenius Rede über die Nazarener................................................5325. — Über die Unwürdigkeit des Volkes. (Matth. 13)..................................5426. — Winke für Gesetzgeber.........................................................................5627. — Mißhandlung der seelischen Natur durch menschliche Gesetze..........5928. — Von der Freiheit des Geistes................................................................6129. — Der Segen der freien Entwicklung.......................................................6330. — Entwicklung und Gesetz.......................................................................6431. — Des Jairus Rede über die Wunderwirkungen.......................................6532. — Grundzüge vom Wesen Gottes.............................................................6733. — Heilung der kranken Angehörigen eines alten Juden...........................69— 526 —


34. — Szene zwischen den erbgierigen Pharisäern und dem Schwiegersohndes Alten..........................................................................................................7035. — Die Pharisäer lesen den 37. Psalm. Robans weiser Rat........................7236. — Der Pharisäerälteste Roban bei Jesus...................................................7637. — Josa, der Alte, dankt dem Herrn...........................................................7838. — Vom Menschlichen und Göttlichen des Herrn.....................................8139. — Vom Einfluß der Engel auf die Menschen...........................................8240. — Die Liebe zum Herrn............................................................................8441. — Vom Wesen der wahren Liebe.............................................................8642. — Vom jüngsten Tage..............................................................................8843. — Der Herr Jesus und die Seinen beim Fischfang....................................8944. — Persönliches über Borus.......................................................................9145. — Das innere Wesen der Engel................................................................9546. — Von der dienenden Nächstenliebe der Ärzte........................................9747. — Vorschlag an Jairus. Über äußere Zeremonien..................................10048. — Die erbschaftlichen Angelegenheiten des Jairus................................10349. — Des Jairus Abdankung. Der Herr in der Synagoge............................10550. — Reden der Ältesten über die Zustände im Judentum..........................11051. — Eines Redners Zeugnis von der Bundeslade......................................11352. — Die Verteidigungsrede des Ältesten...................................................11553. — Chiwar gibt Zeugnis von den Werken und dem Leben Jesu..............11754. — Der Engel Rat an die bekehrten Templer...........................................12055. — Verhältnis der Völker zu ihren Regenten...........................................12256. — Roban und Kisjonah berichten ihre Erlebnisse..................................12457. — Der Engel Weltendienst. Eine Hülsenglobe.......................................12658. — Der Verkehr der Erdenmenschen mit dem himmlischen Vater.........12859. — Über den großen Kampf im Menschen..............................................13060. — Vom Nutzen der Leidenschaften........................................................13261. — Vom Wert des freien Willens.............................................................13362. — Das Denken im Herzen.......................................................................13463. — Über die Wiederbringung des Verlorenen..........................................13764. — Über Wesen, Leben und Arbeit der Naturgeister...............................13865. — Sagen von Berggeistern. Über Zauberei.............................................14066. — Von Zauberern und Wahrsagern........................................................14367. — Der Herr heilt einen Tobsüchtigen.....................................................14568. — Ein Evangelium an die Wohlhabenden..............................................14769. — In der Gruft des Jairus........................................................................15070. — Auferweckung des Josoe....................................................................152— 527 —


71. — Bab und sein Weib Staunen über das Wunder. Verheißung derUnsterblichkeit an Josoe................................................................................15472. — Der wahre Gottesdienst......................................................................15673. — Das Abendmahl bei Maria..................................................................15774. — Streit zwischen Judas und Thomas.....................................................15975. — Des Herrn Mahnung an Judas............................................................16276. — Über Demut und Selbstverleugnung..................................................16477. — Ein Maßstab der drei Liebearten........................................................16678. — Josoes schlauer Plan...........................................................................16779. — Zwei Engel bieten dem Josoe ihre Dienste an....................................16980. — Cyrenius nimmt Josoe auf..................................................................17181. — Robans Bericht über den neuen Obersten..........................................17382. — Geschichte und Ende Johannes des Täufers.......................................17583. — Szene mit dem neuen Tempelobersten zu Nazareth...........................17784. — Chiwars Zeugnis über Johannes und Jesus.........................................18185. — Der Herr lobt Roban und Chiwar.......................................................18386. — Der neue Oberste Korah und Chiwar in der Synagoge zu Nazareth. .18587. — Chiwar und Korah über die Erweckung der Sarah vom Tode...........18988. — Chiwars Ansicht vom Tempel............................................................19389. — Unterredung zwischen Korah und Chiwar über den Messias. Satanfordert Chiwar zum Kampf heraus................................................................19590. — Korah erinnert sich des Herrn von der Tempelreinigung in Jerusalemher..................................................................................................................19891. — Die Freunde Jesu bei Borus................................................................20192. — Des Herrn Gnade mit der Menschheit................................................20393. — Borus spricht über des Menschen Wesen...........................................20594. — Das Zusammenleben der Freunde des Herrn in Nazareth..................20795. — Heil- und Speisewunder an den fünftausend Menschen in der Wüste.(Matth. 14).....................................................................................................21096. — Die Jünger auf dem stürmischen Meer...............................................21297. — Judas preist die Wunder der Essäer....................................................21598. — Johannes und Bartholomäus erklären dem Judas die Trugwunder derEssäer.............................................................................................................21999. — Die Philosophie der Essäer.................................................................221100. — Die bedrängten Jünger auf dem Meer..............................................224101. — Des Petrus Glaubensprobe. (Matth. 14)...........................................225102. — Ankunft in der Freistadt Genezareth. (Matth. 14)............................227103. — Der Herr mit den Seinen beim Wirte Ebahl.....................................229— 528 —


104. — Der Herr segnet die Familie des Ebahl und tadelt die Essäer..........232105. — Der Herr und der römische Hauptmann...........................................234106. — Des römischen Hauptmanns Welterfahrung.....................................236107. — Der Herr gibt dem Hauptmann Winke über Sein Wesen und SeineMission..........................................................................................................238108. — Verhältnis eines Propheten zu Gott und den Menschen...................240109. — Die Propheten als Gesandte Gottes und deren Unterschied vomWesen des Herrn...........................................................................................242110. — Die gesegnete Wiese. Der Spaziergang auf dem Meer....................243111. — Vom wahren Gebet...........................................................................246112. — Hauszucht und Liebe........................................................................248113. — Das rechte Lob und die Gefahr beim Loben....................................250114. — Jarah über ihre Gebetserfahrungen...................................................252115. — Jarah schaut den Himmel offen........................................................253116. — Die Lehren Jesu sollen Gemeingut werden......................................255117. — Kranke kommen zu Ebahl. Die Gäste von Jerusalem, ihre Mission.(Matth. 14).....................................................................................................257118. — Szene zwischen dem Hauptmann und den Templern.......................259119. — Die Macht der Liebe.........................................................................263120. — Jarahs Träume von der Kreuzigung und Auferstehung des Herrn...265121. — Unterredung zwischen dem Hauptmann Julius und dem Herrn überdie Bosheit der Templer................................................................................267122. — Große Krankenheilung durch Berührung des Mantels des Herrn.(Matth. 14).....................................................................................................269123. — Der Herr und der Oberste. (Matth. 15).............................................272124. — Des Julius scharfe Rede über den Segen des Herrn.........................273125. — Drei Dokumente. (Matth. 15)...........................................................275126. — Des Herrn Warnung vor der bösen List der Templer.......................278127. — Der Herr spricht über den Geist der Liebe.......................................279128. — Gespräch zwischen den Templern und den Essäern. (Matth. 15)....282129. — Der Herr und die beiden Essäer........................................................285130. — Eine wunderbare Bergbesteigung.....................................................287131. — Auf der Bergkuppe des Morgenkopfes............................................289132. — Vom Wesen der Furcht.....................................................................292133. — Christus, der Mittler zwischen Himmel und Erde............................294134. — Die Hebung des Galiläischen Meeres..............................................296135. — Eine Liebesprobe der Jarah..............................................................299136. — Die Macht der Engel. Besuch eines Sternes.....................................301— 529 —


137. — Die innere Art, die Schöpfung zu beschauen...................................303138. — Eine jenseitige Selbstverleugnungs-Schulwelt.................................306139. — Ein Blick in die Sternenweltordnung...............................................308140. — Jenseitige Entwicklungsperioden.....................................................310141. — Von der Größe des Menschengeistes...............................................311142. — Über die wahre geistige Größe.........................................................314143. — Die Jünger werden vom Schlaf erweckt...........................................315144. — Eine Lobrede der Jarah.....................................................................317145. — Die Realität des gemeinsamen Traumes..........................................319146. — Jarah zeigt ihre Gedenkstücke..........................................................320147. — Der Gläubigen Verkehr mit dem Herrn im Herzen..........................323148. — Naturbetrachtungen und ihre geistige Entsprechung........................326149. — Betrachtung des Sonnenaufgangs und der Morgenerscheinungen...329150. — Die Essäer werden vom Herrn beauftragt, Schulhäuser zu erbauen 330151. — Das gesegnete Frühstück auf dem Berge.........................................332152. — Satan erscheint auf dem Berge.........................................................333153. — Der Abstieg vom Berge....................................................................337154. — Ein Heilwunder in der Herberge Ebahls zu Genezareth...................338155. — Eifer der Liebe..................................................................................341156. — Über die geschlechtlichen Verhältnisse der urgeschaffenen Engel..342157. — Über Almosengeben und Gedenktagefeiern.....................................345158. — Der 47. Psalm Davids......................................................................347159. — Von der Feindesliebe........................................................................350160. — Erzählung der Schiffer über ihre Erlebnisse in der vergangenen Nacht.......................................................................................................................353161. — Der Schiffsknecht und Raphael........................................................355162. — Empfang der Pharisäer in Genezareth..............................................357163. — Der Hauptmann Julius erzählt einige Erlebnisse mit den Templern 360164. — Über die Nachfolge Jesu...................................................................361165. — Szene zwischen Raphael und Jarah..................................................364166. — Von der Liebe, Sanftmut und Geduld..............................................366167. — Abschied des Herrn und Abfahrt nach Sidon und Tyrus. (Matth. 15).......................................................................................................................368168. — Szene mit dem kananäischen Weibe bei Tyrus. (Matth. 15)............370169. — Von der Besessenheit.......................................................................372170. — Die Wunderquelle.............................................................................374171. — Großes Heilwunder auf dem Berge (Matth. 15)...............................377172. — Des Herrn Voraussage über die Zukunft Seiner Lehre ...................378— 530 —


173. — Wunderbare Speisung der Viertausend (Matth. 15).........................380174. — Pharisäer und Sadduzäer versuchen den Herrn (Matth. 16).............382175. — Der Herrn einer armen Hütte bei Cäsarea Philippi. (Matth. 16)......385176. — Das Zeugnis der Jünger über Christus. (Matth. 16).........................389177. — Der Hüttenbesitzer Markus erzählt Templergreuel..........................392178. — Eine Templergeschichte...................................................................393179. — Der Jünger Aufregung über die Templergeschichte.........................396180. — Der gesegnete Fischzug. Vom Tempelmist......................................397181. — Markus und die pharisäischen Zehntjäger........................................400182. — Des Herrn Voraussage über Sein Sterben und Auferstehen.............403183. — Der Besuch des Cyrenius wird gemeldet.........................................405184. — Markus empfängt und begrüßt Cyrenius..........................................407185. — Die Lehrmethode des Engels............................................................409186. — Des Cyrenius Geschenk an Markus..................................................411187. — Die Gesellschaft auf dem Meere......................................................413188. — Des Johannes Rede über den Unterschied der natürlichen und geistigenAuffassung..............................................................................................415189. — Ein Militärschiff naht. Der reiche Fischzug.....................................417190. — Die neuen Gäste................................................................................419191. — Über die Lehrmethode der Engel und der Weltschulen ..................421192. — Über die Zehnt- und Tributrechte des Tempels................................424193. — Die Behandlung der Übeltäter und Besessenen...............................427194. — Der Jarah weise Reden.....................................................................429195. — Materie und Geist.............................................................................431196. — Jarah löst dem Josoe den gordischen Knoten...................................432197. — Über die Wissensbeschränktheit des irdischen Menschen...............435198. — Was ist Wahrheit..............................................................................436199. — Das Geheimnis des Urgrundes aller Weisheit..................................437200. — Josoe und Jarah im Gespräch..........................................................439201. — Jarahs Beobachtungen in ihrem Gärtchen........................................441202. — Anwendung des Entsprechungsbildes der Jarah..............................443203. — Der Materialismus und seine Vertreter............................................444204. — Josoe und Jarah über Judas...............................................................446205. — Verschiedene Völker bedürfen einer verschiedenen Führung.........448206. — Josoes Entschuldigungsrede.............................................................451207. — Josoes Auffassung über die Zulassung der Sklaverei......................452208. — Gesetzeszwang und Liebe................................................................454209. — Über innere Sittenreinheit................................................................456— 531 —


210. — Das Wesen der Materie und der Seele..............................................457211. — Eine soziale Rede des Cyrenius........................................................460212. — Die Not als Lehrerin.........................................................................462213. — Die Folge der Wohlversorgtheit.......................................................464214. — Die Widersprüche in der Schöpfungsgeschichte. (Mo. 1)................465215. — Die Entstehung des ersten Menschen...............................................467216. — Der Entwicklungsprozeß eines Weizenkornes.................................469217. — Die geistige Entwicklung des Menschen..........................................471218. — Seele und Leib..................................................................................472219. — Die Schöpfung des Himmels und der Erde. (Mo. 1)........................474220. — Erde und Licht. (Mose 1).................................................................476221. — Scheidung von Licht und Finsternis (Mo. 1)....................................478222. — Das Endziel der gesamten Schöpfung..............................................479223. — Zeugnis des Cyrenius über die Schöpfungsgeschichte.....................480224. — Über den Fall der Geister, den Fall Adams und die Erbsünde.........482225. — Die Macht der Vererbung.................................................................483226. — Weltsorgen und deren üble Folgen für die Seele.............................485227. — Über den Geisterfall.........................................................................488228. — Kraft und Widerstand.......................................................................490229. — Vom Wesen Satans...........................................................................492230. — Die Belehrung der Urgeister.............................................................494231. — Die Folgen des Abfalls Luzifers.......................................................496232. — Hülse und Seele................................................................................497233. — Vom Wissen.....................................................................................499234. — Des Markus Ansicht über seinen Nächsten......................................501235. — Markus rettet schiffbrüchige Pharisäer.............................................503236. — Kritik der Pharisäer über Julius........................................................505237. — Der Entschluß der Pharisäer.............................................................509238. — Des Herrn Rat und Hinweis auf die praktische Nächstenliebe........512239. — Julius gibt seinen besten Rat den Pharisäern kund...........................513240. — Jarah gibt Zeugnis vom Herrn..........................................................516241. — Enthüllung der Absichten des Tempels............................................518242. — Das Steinwunder des Erzengels Raphael.........................................519243. — Die Entschuldigungsrede des jungen Pharisäers..............................522244. — Belehrung der Pharisäer durch Julius...............................................524———— * ————[VH-LIF / 2009]— 532 —

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