3.7. Einwilligungsverfahren bei Urteilsunfähigkeit<strong>der</strong> älteren PersonBei Urteilsunfähigkeit <strong>der</strong> älteren Person im Hinblick auf eineEntscheidung klärt <strong>der</strong> Arzt o<strong>der</strong> das Pflegepersonal ab, obsie eine Patientenverfügung verfasst hat, ob sie eine Vertrauenspersonbevollmächtigt hat <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> ob ein gesetzlicherVertreter bezeichnet ist.Patientenverfügungen sind zu befolgen, solange keine konkretenAnhaltspunkte dafür bestehen, dass sie dem <strong>der</strong>zeitigenWillen <strong>der</strong> betreffenden Person nicht mehr entsprechen.Falls keine Patientenverfügung vorliegt o<strong>der</strong> wenn ein begründeterZweifel darüber besteht, ob die Willensäusserung nochgültig ist, muss <strong>der</strong> Arzt in jedem Fall die Zustimmung <strong>der</strong>von <strong>der</strong> älteren Person bezeichneten Vertrauensperson bzw.des (allenfalls neu zu bestimmenden) gesetzlichen Vertreterseinholen. Je<strong>der</strong> Entscheid soll sich am mutmasslichen Willen<strong>der</strong> urteilsunfähigen, älteren Person orientieren <strong>und</strong> in ihrembesten Interesse getroffen werden. Falls <strong>der</strong> Entscheid <strong>der</strong> Vertrauenspersonbzw. des gesetzlichen Vertreters dem mutmasslichenWillen <strong>der</strong> älteren Person zu wi<strong>der</strong>sprechen scheint,hat <strong>der</strong> Arzt die Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde zu kontaktieren.Gibt es bei fehlen<strong>der</strong> Patientenverfügung we<strong>der</strong> Vertrauensperson(o<strong>der</strong> lehnt diese den Vorsorgeauftrag ab bzw. ist nichtin <strong>der</strong> Lage, diesen wahrzunehmen) noch gesetzlichen Vertreter,o<strong>der</strong> ist in einer Notfallsituation eine Rückfrage nichtmöglich, haben <strong>der</strong> Arzt, die Pflegenden <strong>und</strong> Therapeutenihre Entscheide im interdisziplinären Austausch, gemässden objektiven Interessen <strong>und</strong> dem mutmasslichen Willen<strong>der</strong> betroffenen Person zu treffen – dies unter <strong>der</strong> Voraussetzung,dass keine an<strong>der</strong>slautenden kantonalen Vorschriftenbestehen. 9 Das soziale Umfeld (Lebenspartner, Verwandte<strong>und</strong> enge Bezugspersonen) ist wenn immer möglich in diesenEntscheidungsprozess miteinzubeziehen.9 Die Behandlung des urteilsunfähigen Patienten, welcher keinen gesetzlichen Vertreterhat <strong>und</strong> auch keine Vertrauensperson bezeichnet hat, ist auf eidgenössischer Ebenenicht ausdrücklich geregelt. Hingegen existieren auf kantonaler Ebene entsprechendegesetzliche Regelungen; diese sind jedoch uneinheitlich. Einige räumen dem Arzt untergewissen Umständen ein Entscheidungsrecht ein (so z.B. Aargau, Appenzell A. Rh.,Bern, Luzern, Thurgau, Zürich [Stand 2003]). An<strong>der</strong>e Kantone sehen in einer solchen Situationeine Vertretungsvollmacht <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> enger Bezugspersonen vor (z.B.Neuenburg, Jura, Tessin). Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e verlangen vom Arzt, dass er bei <strong>der</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsbehördeum die Bezeichnung eines gesetzlichen Vertreters nachsucht (z.B.Genf). Urteilsfähige, ältere, pflegebedürftige Personen in Institutionen <strong>der</strong> Langzeitpflegehaben heutzutage häufig keinen Vertreter in medizinischen Angelegenheiten. ImHinblick auf eine mittelfristige Umsetzung des Prinzips <strong>der</strong> Einwilligung eines Vertretersbei Urteilsunfähigkeit (wie sie z.B. auch die zur Ratifikation vorgesehene Biomedizin-Konvention vorsieht) formuliert diese Richtlinie bewusst die For<strong>der</strong>ung, dass Ärzte,Pflegende <strong>und</strong> Therapeuten ihre Patienten frühzeitig dazu anregen, eine bevollmächtigte«Vertrauensperson» zu bestimmen. Ausserdem wird allen Ärzten geraten, sich imZweifelsfall bei <strong>der</strong> zuständigen Vorm<strong>und</strong>schaftsbehörde juristisch beraten zu lassen.10
4. Behandlung <strong>und</strong> Betreuung4.1. Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> PräventionEs ist ärztliche, pflegerische <strong>und</strong> therapeutische Aufgabe, <strong>der</strong>älteren, pflegebedürftigen Person Massnahmen vorzuschlagen<strong>und</strong> zu ermöglichen, die ihr erlauben, ihre physischen<strong>und</strong> psychischen <strong>und</strong> sozialen Kompetenzen <strong>und</strong> Ressourcenzu erhalten o<strong>der</strong> zu för<strong>der</strong>n. Pflegebedürftige ältere Menschensind beson<strong>der</strong>s häufig bestimmten Risiken (z.B. Sturz, Immobilität,Depression, Ernährungsstörungen, W<strong>und</strong>liegen, Erleidenvon Gewalt, Misshandlung) ausgesetzt. Es ist ärztliche,pflegerische <strong>und</strong> therapeutische Aufgabe, diese frühzeitig zuerkennen <strong>und</strong>, nach Information <strong>und</strong> Zustimmung <strong>der</strong> älterenPerson, die zweckmässigen präventiven Massnahmenzu ergreifen.4.2. AkuttherapieEs ist ärztliche, pflegerische <strong>und</strong> therapeutische Aufgabe sicherzustellen,dass ältere, pflegebedürftige Menschen bei akuterErkrankung Zugang zu einer adäquaten Abklärung <strong>und</strong> Behandlunghaben. Dabei ist auch im Akutspital die durch diePflegebedürftigkeit bedingte spezifische Betreuung (z.B. beiDemenz, Dekubitus o<strong>der</strong> Inkontinenz) zu gewährleisten. 104.3. RehabilitationEs ist ärztliche, pflegerische <strong>und</strong> therapeutische Aufgabe, <strong>der</strong>älteren, pflegebedürftigen Person jene Behandlung (u.a. sozialeKontakte, Physiotherapie, Psychotherapie, Ergotherapie,Logopädie, zahnärztliche Behandlung, Versorgung mit Hörgeräten)<strong>und</strong> Betreuung (u.a. soziale Kontakte, Ernährung,Mobilisation, Aktivitäten, Tagesstruktur) vorzuschlagen <strong>und</strong>zu ermöglichen, die ihr erlauben, ihre physischen <strong>und</strong> psychischen<strong>und</strong> sozialen Kompetenzen <strong>und</strong> Ressourcen soweitals möglich zu erhalten o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>zuerlangen.4.4. Palliative Betreuung 11Der Zugang zu palliativer Medizin, Pflege <strong>und</strong> Betreuungist allen älteren, pflegebedürftigen Menschen rechtzeitig zugarantieren, unabhängig vom Ort, wo sie leben. Sowohl inInstitutionen <strong>der</strong> Langzeitpflege als auch in <strong>der</strong> ambulantenKrankenpflege o<strong>der</strong> im Spital kennen die Ärzte, Pflegenden10 Zur Problematik <strong>der</strong> «Reanimation» vgl. «Reanimationsentscheidungen».Medizinisch-ethische Richtlinien <strong>und</strong> Empfehlungen <strong>der</strong> SAMW.11 Vgl. hierzu «Palliative Care». Medizinisch-ethische Richtlinien <strong>und</strong> Empfehlungen<strong>der</strong> SAMW.11