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Rundbrief 2 2012 - Verband für sozial-kulturelle Arbeit eV

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zung mit diesen Gästen zeigte deutlich die Akkulturationsbestrebungender Leitung der Toynbee-Halle. ImJahr 1902, so hieß es in einem Jahresrückblick LeonKellners, der in der „Welt“ unter dem Pseudonym LeoRafaels schrieb:„Voriges Jahr hatten wir nämlich das allerniedrigsteMenschenmaterial in die Toynbee-Halle gelassen, uman ihm einen Erziehungsversuch zu machen. Wir hattenWochen hintereinander arbeitsscheue, skandalsüchtige,rücksichtslose Burschen geduldet und unsvon ihnen allerlei Schabernack gefallen lassen, in derHoffnung, sie würden mit der Zeit durch die Toynbee-Halle zu besseren Sitten bekehrt werden. Diese Hoffnungging leider nur an einigen wenigen Rowdies inErfüllung; die übrigen mussten in diesem Winter vonunserer Anstalt ferngehalten werden.“(Leo Rafaels 1903/8/5)In den Sommerhalbjahren ersetzten regelmäßigeKurse in Hebräisch, Französisch, Englisch, Stenographieund Buchhaltung die Vortragsabende. Sonntagsnachmittags wurden Ausflüge in die Umgebung Wiensunter fachlicher Begleitung von Naturforschern unternommen.Ebenfalls am Sonntag wurden Kindernachmittageangeboten. Deren Teilnehmerzahl war auf120 begrenzt.Die Toynbee-Halle stand in den ersten Jahren unterzionistischer Leitung. 1904 wurde sie aus finanziellenGründen von den liberalen Juden der B`nai B`rith Loge„Eintracht“ übernommen.Die Toynbee-Halle wechselte mehrere Male innerhalbder Brigittenau ihren Standort, bis sie schließlich1914 im „Josefine Mendl Wohlfahrtshaus“ in derDenisgasse ihren endgültigen Ort fand. Während desersten Weltkriegs wurde die Toynbee-Halle zu einerBetreuungsstelle <strong>für</strong> Flüchtlingskinder umfunktioniert.In der Nachkriegszeit lag die Tätigkeit danieder. Inder „Jüdischen Presse“ wurde Anfang 1927 bekanntgegeben, dass der Verein „Jüdische Toynbee-Halle“seine Tätigkeit „in der vor dem Krieg üblichen Weise wiederaufnimmt“ (Jüdische Presse 13/1927/2/17). DieToynbee-Halle bestand trotz finanzieller Schwierigkeitennoch bis in die dreißiger Jahre und wurde gemeinsammit dem Orden B`nai B`rith 1938 aufgelöst.In Wien gab es auch ein Volksheim „Beth HaAm“ 4 . Eswurde 1912 in der Wiener Leopoldstadt vom „JüdischenVolksverein <strong>für</strong> die Leopoldstadt“ gegründet.„Das Volksheim, das mit einem Lesesaal, einer Versammlungshalle,einem Rechtsschutzbureau undeinem Kreditinstitute in Verbindung stehen wird, sollein Wahrzeichen jüdischer Regeneration und Selbsthilfeund ein Brennpunkt öffentlichen jüdischenLebens werden“ (Die Welt 1910/44/1169). SeinenStatuten zufolge sollte die Förderung des Zusammenlebensder Juden in den westlichen Bezirken Wiensdurch die Veranstaltung von Kursen, Vorträgen undDiskussionsabenden sowie durch gesellige Zusammenkünfteerreicht werden. Das Motto des Jahresberichtes1912 – „Eine Stunde Wissenschaft und guteWerke in dieser Welt sind seliger als alle Freuden derkünftigen Welt“ (Hödl 1994, 165) - zeigt, dass dieUnterschiede zur Toynbee-Halle nicht sehr groß waren,dass das Volksheim vielleicht sogar als zionistischeFortsetzung der Toynbee-Halle gesehen werden kann.Im Volksheim haben zahlreiche zionistische Vereineihre Heimat gefunden, wie der „Jüdische Volksverein<strong>für</strong> die Josefstadt“, der „Jüdische Nationalverein <strong>für</strong>Österreich“, die Verbindung jüdischer Akademiker„Theodor Herzl“ und der Verein „Nes Zionah“. DieRedaktion der „Jüdischen Zeitung“ hatte ebenfallsihren Sitz dort.1919 entstand im Volksheim die erste Wiener Erziehungsberatungsstelle.In eine Vortragsreihe AlfredAdlers brachten Eltern ihre Kinder zur Erörterung vonErziehungsschwierigkeiten mit. Daraus entwickeltesich eine „Beratungsstelle <strong>für</strong> Erziehung“. DiesesModell strahlte auf viele Wiener Schulen aus.4 Beth Ha Am (hebr.) = Haus des VolkesVon Wien aus strahlte die Idee der Toynbee-Hallen nachganz Europa aus. Bereits 1901 konnte man in der„Welt“ lesen, dass in Brünn und Drohobycz Toynbee-Hallengegründet worden sind und sich außerordentlichenZuspruchs erfreuten (Die Welt 1901, 4/14 und 7/11).In Brünn bekam die Toynbee-Halle eine Lesehallemit Zeitschriften und eine Bibliothek, von Drohobyczberichtet die „Welt“: „Selbstverständlich ist unsereToynbee-Halle ein Volksheim im kleinen Stile, den siemuß den localen Verhältnissen angepasst sein“(Die Welt 1901/6/12).1905 berichtet dieselbe Zeitschrift aus Krakau, dasses nach längerem Bemühen und einigen Widerständengelungen sei, eine Toynbee-Halle zu gründen, undselbst in der Kleinstadt Jamnitz in Mähren hat ein„Comite` … den ersten derartigen Abend veranstaltet,der sehr befriedigend ausgefallen ist.“(Die Welt 1901/44/13)Von der Toynbee-Halle in Prag las man zum ersten Malin der „Welt“ 1901:„Zugunsten des Fonds einer zu begründendenToynbee-Halle in Prag veranstaltet die dortige Vereinigung‚Fraternitas’ einen Unterhaltungsabend.Mehrere Damen des zionistischen Frauenvereinshabe diese Woche die Wiener Toynbee-Hallebesucht, um deren Einrichtung kennen zu lernen.“(Die Welt 1901/7/11). Ein Jahr später, 1902,fand die konstituierende Versammlung statt mitUnterstützung vieler jüdischer Vereine. Ziel war es,„neben der Verbreitung der Bildung auch eine Nivellierungder Standesunterschiede zu schaffen“ (DieWelt 1902/6/12). Während des ersten Weltkriegesmusste die Toynbee-Halle ihre <strong>Arbeit</strong> einstellen, inihren Räumen richtete der Orden B´nai B´rith eineSchule <strong>für</strong> Flüchtlingskinder ein. Zu Beginn der 20erJahre wurde vor allem unter dem Einfluss GustavFlussers 5 , der in der Loge Bohemia des Ordens5 Gustav Flusser (1885 – 1940) lehrte an der Univer-B`nai B`rith aktiv war und es 1928 bis zu ihremPräsidenten schaffte, die <strong>Arbeit</strong> der Toynbee-Hallewieder aufgenommen und regelmäßige Vortragsabende<strong>für</strong> Erwachsene, Kindernachmittage sowieWeiterbildungskurse abgehalten. Namhafte in- undausländische Referenten waren zu Gast. Die Aufgabeder Toynbee-Halle war Gustav Flusser zufolge„das Hervorrufen des jüdischen Bewusstseins inallen Kreisen der Prager jüdischen Bevölkerung, insbesondereder heranwachsenden jüdischen Jugend,die kräftige Betonung der jüdischen Idee, die Verbreitungder jüdischen Sprache und Literatur unddie Vertiefung in die wichtigsten Abschnitte unsererGeschichte“ (Flusser 1923, 143 in: Koeltzsch, S.7).1926 schrieb Flusser in einem Rückblick, dass sichein ständiges Publikum herausgebildet habe, alteund junge Männer vor allem, die zum großen Teilaus der unteren Schicht des Prager Mittelstandesstammten (vgl. Koeltzsch, S.7).1903 reiste Bertha Pappenheim 6 zum ersten Malnach Galizien und Weißrußland „zum Zwecke, Informationenüber den jüdischen Mädchenhandel unddessen Bekämpfung einzuziehen“ (Pappenheim,Rabinowitsch 1904, 67), der damals die jüdischenOrganisationen in Deutschland beunruhigte. In einemReisebericht schrieb sie auch über Toynbee-Hallen,dort „wird die gesellschaftliche Erziehung des Volkesgefördert … und bekommen die besitzenden Klassendie Möglichkeit, sich dem Volk zu nähern … So gibt eszionistische Toynbeehallen in Lemberg und Tarnopol“(ebda. S.92ff.)sität Prag Mathematik und Betriebswirtschaftslehre.Er war auch <strong>sozial</strong>demokratischer Abgeordneter imParlament. 1940 verhungerte er im KonzentrationslagerBuchenwald.6 Bertha Pappenheim (1859 – 1936), jüdische Sozialarbeiterinund Frauenrechtlerin, gründete 1904 denJüdischen Frauenbund. 1907 eröffnete sie das Mädchenheimin Neu-Isenburg und war 1917 maßgeblichan der Gründung der Zentralen Wohlfahrtsstelle derJuden in Deutschland beteiligt.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quäker Nachbarschaftsheim e.V. in Köln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .www.quaeker-nbh.de2425

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