44 SOZIALE UNGLEICHHEITEINE EINFÜHRUNG 45bunden ist, sei es in der Herkunfi:sfamilie, in der späteren eigenen Familie oder derArbeitswelt). Eingebettet ist dieser Prozess durch die historische Zeit der Geburt(Geburtskohorte) und die damit definierte sozialhistorische »Lagerung« in unterschiedlicheinstitutionelle Gelegenheitsstrukturen (vgl. Mannheim 1964 [ 1 928]).Wie ~ Kar! Ulrich Mayer und Walter Müller in ihrem Beitrag zeigen, definiertdas Geburtsjahr <strong>von</strong> Personen nicht nur ein unterschiedliches Alter zu einem gegebenenZeitpunkt (das heißt, ob Personen im Jahr 2000 beispielsweise 3o oder70 Jahre alt waren), sondern auch die altersspezifische Betroffenheit durch historischeEreignisse und institutionelle Konstellationen: Während zum Beispiel dieim Jahr 2000 30-Jährigen (bzw. 1970 Geborenen) die Schule in den 198oer Jahren,also nach der Bildungsexpansion, besucht haben, gingen die 70-Jährigen (bzw. r 93oGeborenen) während der 1940er Jahre in die Schule; und während Erstere ihrenArbeitsmarkteinstieg in den 199oer Jahren nach der Wiedervereinigung harren, begannenLetztere ihre Erwerbstätigkeit in der Nachkriegszeit in den Ost- oder Westzonen(bzw. in der DDR oder BRD). Angesichts solcher Kohortenunterschiedekann es nach dem Lebensverlaufsansatz die Normalbiografie gar nicht geben undPeriodisierungen <strong>von</strong> Lebenslaufregimen (wie bei ~ Kohli) erscheinen für dieUntersuchung<strong>von</strong> sozialem Wandel als wenig hilfreich.Ähnlich wie~ Klinger in Bezug auf Klassentheorien kritisiert~ Helga Krügerin ihrem Text die Geschlechterblindheit der <strong>Ungleichheit</strong>s- sowie der Lebenslauf-/Lebensverlaufsforschung. 6 Zentraler Kritikpunkt ist dabei die Markt- und Erwerbszenrriertheitder Ansätze und damit die Unterbelichtung der »Analyse <strong>von</strong>Institutionen jenseits des Arbeitsmarktes« (~ Krüger, S. 447, Hervorhebung imOriginal). Zentral ist die Frage, inwieweit Geschlecht als Determinante sozialer<strong>Ungleichheit</strong> (beispielsweise bei Bildungs- und Berufschancen, bei Einkommen,Renten, Armursrisiken und anderem mehr) durch die Standardisierung <strong>von</strong> weiblichenund männlichen Lebens(ver)läufen als »strukturierte Wege durch die Sozialstruktur«(~Krüger, S. 448)- bzw. in den Worten <strong>von</strong> Mayer (~ S. 4n) als »Abfolge<strong>von</strong> Mitgliedschafren/Positionen in institutionellen Ordnungen« - relevantwird. Sie untersucht, ob bereits den institutionellen Regelungen eine Geschlechterdimensioninnewohnt, die unabhängig <strong>von</strong> individuellen Entscheidungen <strong>von</strong>Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern Gestaltungsmacht erlangt. Soist beispielsweise nicht die Ausbildung bzw. das Ausbildungsniveau oder die Entscheidung<strong>von</strong> jungen Frauen für einen bestimmten Beruf- zum Beispiel als Krankenschwester- dafür verantwortlich, dass sie weniger als Männer - zum Beispielals Schlosser- verdienen oder geringere Aufstiegsmöglichkeiten haben, sondern diesoziale Definition und Bewertung dieser Berufe als »weiblich« oder »männlich«und ihre dementsprechende Nähe oder Ferne zu einer » marktzentrierten oder fo-milienzentrierren Lebensführung« (~Krüger, S. 453). Ferner wird die Markt- oderErwerbszentrierrheit des einen (zumindest in Westdeutschland meist: männlichen)Lebensverlaufs unter anderem angesichrs der in sozialstaatliche und familienpolirischeRegelungen eingelassenen Geschlechterordnung erst in Komplementaritätmit einem familienzentrierten (»weiblichen« ) Lebensverlauf ermöglicht. So setztdie allseitige, kontinuierliche und flexible Verfügbarkeie der Arbeitskraft auf demArbeitsmarkt des einen die private bzw. unbezahlte Familienarbeit der anderenvoraus. »Geschlechtersegregierre Institutionen« (~Krüger, S. 457), wie Familie,Ausbildung und Arbeitsmarkt, stellen für sie daher den Mechanismus <strong>von</strong> Geschlechrerungleichheitenin der Erwerbsbeteiligung und in Arbeitsmarktgratifikationen(zum Beispiel Entlohnung und Beförderung) dar - und zugleich eine entscheidendeStellschraube, diese zu beseitigen (siehe dazu weiterführend Gortschall2000).Abschließende BemerkungNach dieser Einführung in die Thematik sozialer <strong>Ungleichheit</strong> und in zentraleBeiträge zur Beschreibung und Erklärung <strong>von</strong> sozialen <strong>Ungleichheit</strong>en bleibt derHerausgeberin und den beiden Herausgebern dieses Readers nur noch zu hoffen,bei den Leserinnen und Lesern das Interesse an den nachfolgenden Texten gewecktzu haben. Beim und nach dem Lesen der Texte wird es für deren Verständnissicherlich hilfreich sein, die eine oder andere Passage der Einleitung erneut heranzuziehen.Darüber hinaus können folgende Bücher für das Verständnis sozialer<strong>Ungleichheit</strong> hilfreich sein:- als Lehrbuch: Rössel, Jörg (2009). Einführung in die Sozialstrukturanalyse.Strukturierte <strong>Ungleichheit</strong>, Lebensstile und soziale Milieus. Wiesbaden: VSVerlag.und als englischsprachige Sammlung<strong>von</strong> gekürzten Originaltexten zahlreicherweiterer <strong>Ungleichheit</strong>sforscherinnen und -forscher: Grusky, David B. (Hg.)(woB). Social Stratijication: Class, Race, and Gender in Sociological Perspective.Boulder, CO: Wesrview Press.6 In ihrem Texr verwendet Helga Krüger die Begriffe Lebenslauf und Lebensverlauf synonym.
LiteraturAlber,Jens (1982), Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat. Analysen zur Entwicklung der Sozialversicherungin Westeuropa, Frankfurt/Main.- (1984), » Versorgungsklassen im Wohlfahrtsstaat«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologieund Sozialpsychologie 36, S. 225-251.Albrow, Marrin (1996), The Global Age: State and Society Beyond Modernity, Cambridge.Allmendinger, Jurta/ Brückner, Erika/ Brückner, Hannah (1992.), »Gendered Retiremenr:The Limitations oflndividual Level Analysis«, in: Walter R. H einz (Hg.), Institutionsand Gatekeeping in the Life Course, Weinheim, S. 187-2.16.Allmendinger, Juna (1994), Lebensverlauf und Sozialpolitik. Die <strong>Ungleichheit</strong> <strong>von</strong> Mannund Frau und ihr öffentlicher Ertrag, Frankfurr/ Main.- (1999), >>Bildungsarmut« , in: <strong>Soziale</strong> Welt so, S. 35-so.Andersson, Lars-Gunnar (1987), >>Appendix A: Sampling and Data Collection«, in:Roben Erikson/ Rune Aberg (Hg.), Welfare in Transition: A Survey of Living Conditionsin Sweden I96S-19SI, Oxford.Andorka, Rudolf/Zag6rski, Kryszrof (198o), Socio-Occupational Mobility in Hungary andPoland, Warschau.Aries, Philippe (1975), Geschichte der Kindheit, München.Atkinson, Amhony B. (1997), >>Bringing Income Distribution in from the Cold« , in: Economic]ournal107, S. 2.97-32.1.(1998), >>Social Exclusion, Poverry and Unemployment«, in: Anrhony B. Atkinson/John R. Hills (Hg.), Exclusion, Employment and Opportunity, Cenrre for Analysis ofSocial Exclusion, London School ofEconomics.- (1999), >> ls Rising Inequality Inevitable? A Critique of the Transadanric Consensus«,in: WIDER Annual L ectures 3·Axhausen, Silke (1992.), >>Auswirkungen der Vereinbarkeitsproblematik eines Zusammenlebensmit Kindern und kontinuierlicher Berufstätigkeit für Frauen«, in: Helga Krüger(Hg.), Frauen und Bildung. Wege der Aneignung und Verwertung <strong>von</strong> Q!Jalifikationen inweiblichen Erwerbsbiographien, Bielefeld, S. 35-86.Backhaus, Klaus (1999), >>Im Geschwindigkeitsrausch«, in: Aus Politik und ZeitgeschichteB31, S. 18-2.4.Baethge, Marrin/Oberbeck, Herben (1986), Zukunft der Angestellten, Frankfurr/ Main.Baltes, Paul B./Reese, Hayne W./Lipsin, Lewis P. (1980), >>Life-Span Developmenral Psychology«,in: Annual Review oJPsychology 31, S. 6s-wo.Band, Henri/ Müller, Hans-Peter (199 8), >>Lebensbedingungen, Lebensformen und Le-