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Sachverhalt und Lösungsskizze zum 2. Besprechungsfall der Übung ...

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Univ. – Prof. Dr. Henning Radtke<strong>Sachverhalt</strong> <strong>und</strong> <strong>Lösungsskizze</strong> <strong>zum</strong> <strong>2.</strong> <strong>Besprechungsfall</strong> <strong>der</strong><strong>Übung</strong> im Strafrecht für FortgeschritteneSommersemester 2009


Univ. – Prof. Dr. Henning Radtke<strong>Sachverhalt</strong> – <strong>Besprechungsfall</strong> sfall 2P hatte nach einer mehrere Jahre zurückliegenden, traumatischen <strong>und</strong> schmerzvollen Erfahrung mit einemZahnarzt panische Angst vor jeglichen Zahnbehandlungen entwickelt <strong>und</strong> seitdem jede Zahnklinik gemieden.Erst nach langer <strong>und</strong> mühevoller Überzeugungsarbeit konnte <strong>der</strong> mit P befre<strong>und</strong>ete Zahnarzt Z, <strong>der</strong>aufgr<strong>und</strong> ihrer Fre<strong>und</strong>schaft umfassend über dessen panischen Angst informiert war, ihn dazu überreden,einen inzwischen stark schmerzenden Zahn des P von ihm - Z - behandeln zu lassen.Z nutzt diesen Behandlungstermin zur genauen Untersuchung <strong>der</strong> Zähne seines schwierigen Patienten.Dabei stellt er fest, dass neben dem aktuell schmerzenden Backenzahn, <strong>der</strong> in jedem Fall entfernt werdenmuss, auch ein weiterer von Ps Backenzähnen so irreparabel geschädigt ist, dass allein eine Entfernung inBetracht kommt. Zudem ist bei zwei weiteren Zähnen eine komplizierte Wurzelbehandlung erfor<strong>der</strong>lich. Zist sich aufgr<strong>und</strong> seiner umfangreichen Erfahrung bewusst, dass auch ein kurzzeitiges Hinauszögern alldieser Maßnahmen zu starken <strong>und</strong> andauernden Schmerzen <strong>und</strong> damit zugleich zu einer erheblichen Beeinträchtigungdes Kauvermögens bei P führen wird. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kenntnis von Ps Vorgeschichte ist er sichzugleich aber sicher, dass P lieber diese Zahnschmerzen ertrüge, als dass er die Angst vor weiteren Behandlungenüberwinde.Ps Behandlung in <strong>der</strong> Praxis des Z verläuft wie folgt: Ohne den P über die Diagnose bezüglich <strong>der</strong> drei an<strong>der</strong>enkranken Zähne zu informieren, schreitet Z zur Behandlung des den Besuch begründenden erstenZahnes. Nachdem Z dem P vereinbarungsgemäß mittels einer Spritze eine lokale Betäubung verabreicht<strong>und</strong> den aktuell schmerzenden Backenzahn samt Wurzel fast vollständig entfernt hat, entschließt er sich,die Gunst <strong>der</strong> St<strong>und</strong>e zu nutzen <strong>und</strong> die übrigen Behandlungsmaßnahmen durchzuführen. Dabei bietet er Pnoch eine Betäubungsspritze an, um „alles sorgfältig <strong>und</strong> schmerzfrei zu Ende zu bringen“. P nickt. Miteiner zusätzlichen Lokalbetäubung <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Überzeugung, das Handeln <strong>zum</strong> Wohle des P erlaube diese„kleine medizinische List“, entfernt Z die Reste des ersten Zahns, den an<strong>der</strong>en kaputten Backenzahn <strong>und</strong>führt anschließend die Wurzelbehandlung <strong>der</strong> beiden Weiteren zu einem Teil durch. Als P nach <strong>der</strong> Behandlungvon den zusätzlichen Maßnahmen erfährt, ist er entsetzt: Schon die Duldung <strong>der</strong> Entfernung des einenZahns fiel ihm sehr schwer. Seine Bestürzung ist umso größer als er erfährt, dass die einmal begonneneWurzelbehandlung einen weiteren baldigen Termin erfor<strong>der</strong>t, ohne welchen auch diese beiden Zähne verlorensind. Dieses möchte P auf keinen Fall hinnehmen.


Univ. – Prof. Dr. Henning RadtkeDer Gedanke an eine weitere Behandlung, welche in einer Woche stattfinden sollte, lässt P nicht zur Ruhekommen. Sechs Tage nach dem ersten Besuch in Zs Praxis erleidet P angesichts des bevorstehenden zweitenTermins während einer Autofahrt eine Panikattacke. Dabei verliert er die Kontrolle über das Fahrzeug<strong>und</strong> verunglückt tödlich.Strafbarkeit des Z?Bearbeitervermerk: Gegebenenfalls für erfor<strong>der</strong>lich gehaltene Strafanträge sind als gestellt anzusehen.2


Univ. Prof. Dr. Henning RadtkeUniv. – Prof. Dr. Henning RadtkeA. Strafbarkeit des Z gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 1, 2 StGB wegen <strong>der</strong> ersten Lokalbetäubung des PI. Tatbestand1. objektiver Tatbestand des § 223 Ia.) ) Körperverletzung: körperliche Misshandlung o<strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitsschädigungaa.) Körperliche Misshandlung (= jede üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperlicheWohlbefinden o<strong>der</strong> die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigtwird 1 ).Zwar verursacht die Injektion in das Zahnfleisch als solche nur einen minimalen Einstich, sodass die Beeinträchtigung <strong>der</strong> körperlichen Integrität als unerheblich zu bewerten ist. Durchdie Narkose wurde jedoch die Durchblutung des betreffenden M<strong>und</strong>bereichs stark verlangsamt<strong>und</strong> P verlor vorübergehend, aber für einen nicht unerheblichen Zeitraum, das Körperempfindenfür diesen Bereich. Dadurch wurde auch das Kau- <strong>und</strong> Sprechvermögen vorübergehendgemin<strong>der</strong>t. Die körperliche Integrität <strong>und</strong> das körperliche Wohlbefinden wurden dahernicht unerheblich nachteilig verän<strong>der</strong>t. Eine körperliche Misshandlung liegt somit vor.bb.) ) Ges<strong>und</strong>heitsschädigung (= Hervorrufen o<strong>der</strong> Steigern eines wenn auch vorübergehendenpathologischen Zustandes, unabhängig davon, ob das Opfer zuvor ges<strong>und</strong> war o<strong>der</strong> obeine Vorschädigung bestand) 2 .Durch die vorübergehende Hemmung <strong>der</strong> Durchblutung wurde ein pathologischer Zustand<strong>und</strong> somit eine Ges<strong>und</strong>heitsschädigung hervorgerufen.b.) ) Problem: Ausschluss des ärztlichen Heileingriffs aus dem Tatbestand <strong>der</strong> Körperverletzung ?aa.) herrschende Lehre: Eine ärztliche Handlung, die auf die Wie<strong>der</strong>herstellung o<strong>der</strong> Erhaltungdes körperlichen Wohls abzielt <strong>und</strong> im Erfolgsfalle dieses Ziel auch erreicht o<strong>der</strong> <strong>zum</strong>indestkörperliche Beschwerden lin<strong>der</strong>t, stellt ihrem sozialen Sinngehalt nach das Gegenteileiner Körperverletzung dar, so dass bereits <strong>der</strong> Tatbestand des § 223 StGB als nicht erfülltanzusehen sei 3 , sofern dieser lege artis, zu Heilzwecken <strong>und</strong> erfolgreich durchgeführtwerde. Vereinzelt wird dies sogar bei einem misslungenem, aber lege artis durchgeführtenärztlichen Eingriff angenommen. Diese Gr<strong>und</strong>sätze gelten sowohl für neu durchgeführteEingriffe als auch für Eingriffserweiterungen. Diesen Erwägungen folgend, wäre <strong>der</strong> Tatbes-1 Fischer § 223 Rn. 3.2 Fischer § 223 Rn. 4.3 LK-Lilie vor § 223 Rn. 3 ff.; Sch/Sch-Eser § 223 Rn. 30 ff. m.w.N.1


Univ. – Prof. Dr. Henning Radtketand des § 223 I StGB in Bezug auf die Betäubung zur Behandlung des ersten Zahnes nichterfüllt.bb.) st. Rspr: Je<strong>der</strong> Eingriff in die körperliche Unversehrtheit erfüllt den objektiven Tatbestand<strong>der</strong> Körperverletzung, eine sachgerechte Lösung ist allein auf Rechtfertigungsebenemöglich 4 . kein Tatbestandsausschluss.cc.) Streitentscheid 5 (nicht zwingend erfor<strong>der</strong>lich, sofern darauf hingewiesen wird, dassauch die Rspr. an späterer Stelle ebenfalls <strong>zum</strong> Ergebnis <strong>der</strong> Straflosigkeit gelangt).Pro Rspr:- Einer Einschränkung des Tatbestandes, wie sie von <strong>der</strong> Lit. durchgeführtwird, fehlt ein Ansatzpunkt im Wortlaut <strong>der</strong> Norm.- Auch durch Ärzte vorgenommene Handlungen beeinträchtigen die körperlicheIntegrität nicht weniger als an<strong>der</strong>weitige Eingriffe.- Ferner gilt eine solche Erwägung gleichermaßen auch für an<strong>der</strong>e Individualrechtsgüter.Es wird aber von keiner Stimme vertreten, eine Freiheitsberaubungo<strong>der</strong> Sachbeschädigung in guter Absicht <strong>und</strong> im Interessedes Rechtsgutsträgers sei tatbestandlich ausgeschlossen.- Auch wären dann Fälle eigenmächtigen ärztlichen Handelns im bloß objektivenInteresse des Rechtsgutsträgers trotz <strong>der</strong> Verletzung seinerSelbstbestimmungsfreiheit straflos.Pro Lit:- Zweck <strong>der</strong> Heilbehandlung ist an<strong>der</strong>er als <strong>der</strong> typischer Fälle des § 223.- Lösung über Rechtfertigungsebene legt Ärzten hohes Strafbarkeitsrisikoauf.Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 223 I StGB (+/-)<strong>2.</strong> objektiver Tatbestand des § 224 I StGBa.) ) § 224 I Nr. 1 1. Alt. StGB4 BGHSt 11, 112; 16, 309; 35, 2465 Vgl. LK-Lilie vor § 223 Rn. 6; Jescheck/Weigend AT, § 34, III, 3a; Kargl, GA 2001, 538, 541 ff. m.w.N.2


Univ. – Prof. Dr. Henning RadtkeGift (= je<strong>der</strong> organische o<strong>der</strong> anorganische Stoff, <strong>der</strong> unter bestimmten Bedingungendurch chemische o<strong>der</strong> chemisch-physikalische Wirkung nach seiner Art <strong>und</strong> <strong>der</strong>vom Täter eingesetzten Menge im konkreten Fall (h.M.) geeignet ist, ernsthafte ges<strong>und</strong>heitlicheSchäden zu verursachen) 6 .Zwar kann eine Überdosis eines Narkosemittels zu schweren ges<strong>und</strong>heitlichen Schädenbis hin <strong>zum</strong> Tod führen. Für eine solche Überdosis gibt es aber vorliegend keineAnhaltspunkte. Daher ist bei lebensnaher <strong>Sachverhalt</strong>sauslegung von einer ungefährlichenDosis auszugehen Gift (-).b.) ) § 224 I Nr. 2 <strong>2.</strong> Alt. StGBGefährliches Werkzeug (= je<strong>der</strong> Gegenstand, <strong>der</strong> nach seiner objektiven Beschaffenheit<strong>und</strong> nach <strong>der</strong> Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungenzuzufügen) 7 .Z benutzte zwar für die Injektion eine Spritze. Solche Spritzen haben typischerweisesehr kurze <strong>und</strong> schmale Nadeln, da sie für minimale Mengen an Narkose in einemsehr empfindlichen Körperbereich bestimmt sind. An<strong>der</strong>erseits können auch sie unterbestimmten Bedingungen erhebliche Körperverletzungen verursachen. Die Fragenach <strong>der</strong> Gefährlichkeit dieses Gegenstandes kann hier indes offen bleiben, da Z alsArzt die Spritze nicht zu Angriffszweckenen geführt hat. Somit war sie in <strong>der</strong> konkretenTatsituation jedenfalls kein gefährliches Werkzeug.3. subjektiver Tatbestand des § 223 I (+)II. RechtswidrigkeitZ handelte mit einer wirksamen ausdrücklichen Einwilligung des P. Die Körperverletzung ist insbeson<strong>der</strong>enicht sittenwidrig nach § 228. Auch kam es zu einer umfangreichen Aufklärung bzgl. <strong>der</strong>Behandlung dieses Zahnes durch Z. Die Voraussetzungen <strong>der</strong> Einwilligung sind somit erfüllt.Ergebnis: Strafbarkeit des Z nach § 223 I durch Verabreichung <strong>der</strong> ersten Betäubung (-)6 Fischer § 224 Rn. 3.7 BGHSt 30, 375 (377).3


Univ. – Prof. Dr. Henning RadtkeB. Eine Strafbarkeit des Z gem. § 223 I wegen <strong>der</strong> Entfernung des aktuell schmerzenden Zahnsscheidet aus denselben Gründenaus.C. Strafbarkeit des Z gem. § 223 I wegen <strong>der</strong> Entfernung eines zweiten Zahns <strong>und</strong> <strong>der</strong> angefangee-nen Wurzelbehandluzelbehandlung ng an zwei weiteren Zähnen des PI. objektiver <strong>und</strong> subjektiver Tatbestand des § 223 I (+), <strong>zum</strong> Heileingriff s.o.II. Rechtswidrigkeit1. ausdrückliche Einwilligungilligung (P: Umfang <strong>der</strong> Aufklärungspflicht, wesentliche Willensmänn-gel)Z hat P die weiteren Eingriffe verschwiegen. Er hat ihm zwar die weitere Narkose mit <strong>der</strong>Begründung angeboten, „alles sorgfältig <strong>und</strong> schmerzfrei zu Ende bringen“ zu wollen. DieserÄußerung konnte P, <strong>der</strong> nur von einer Zahnbehandlung ausging, nicht entnehmen, dass Zgewillt war auch Eingriffe an an<strong>der</strong>en Zähnen vorzunehmen. Er unterlag insoweit wegen<strong>der</strong> unzureichend umfassenden Aufklärung durch Z einem wesentlichen Willensmangelmangel. PsKopfnicken als Zustimmung zur weiteren Narkose hat sich somit jedenfalls nicht auf dienachfolgenden Behandlungsmaßnahmen erstreckt. Die Eingriffserweiterung – für die eineausdrückliche Einwilligung ebenso erfor<strong>der</strong>lich ist – ist somit nicht von einer ausdrücklicheEinwilligung gedeckt.<strong>2.</strong> mutmaßliche Einwilligung (P: Subsidiarität dieser)Die mutmaßliche Einwilligung ist – von Fällen mangelnden Interesses bei dem Rechtsgutinhaberabgesehen - auf Situationen beschränkt, in denen das Abwarten <strong>der</strong> Entscheidung desüber das Rechtsgut Verfügungsberechtigten diesem jede Wahlmöglichkeit nähme o<strong>der</strong> einAbwarten für ihn <strong>zum</strong>indest mit unverhältnismäßigen Risiken verb<strong>und</strong>en wäre <strong>und</strong> eine ausdrücklicheEinwilligung somit ausscheidet. Z war es möglich, von P eine ausdrückliche Einwilligungeinzuholen. Der mutmaßlichen Einwilligung verbleibt im vorliegenden Fall somitkein eigener Anwendungsbereich 8 .Der weiteren Frage, ob die Handlung des Z im mutmaßlichen Willen des P stand, ist hier zunächstnicht zwingend nachzugehen.8 Vgl. Stratenwerth/Kuhlen AT § 9 Rn. 40; Baumann/Weber/Mitsch AT §17 Rn. 117.4


Univ. – Prof. Dr. Henning Radtke3. Hypothetische Einwilligung (hinsichtlich ihres Charakters als RFG umstr.)Ihre Voraussetzung ist, dass die Handlung dem mutmaßlichen, hypothetisch zu ermittelndenWillen des Rechtsgutsträgers entspricht. Dies ist dann <strong>der</strong> Fall, wenn <strong>der</strong> Rechtsgutsträgerin <strong>der</strong> konkreten Situation in die Tat eingewilligt hätte, wenn er von ihr Kenntnis gehabthätte 9 . Der Wille des Rechtsgutsinhabers wird dabei ex ante beurteilt. Maßgeblich sindinsoweit alle Indizien, die einen Schluss auf die persönliche Einstellung des Betroffenen in<strong>der</strong> Frage zulassen, ob er <strong>der</strong> Tat unter Abwägung des Risikos ihrer Nichtbegehung zustimmenwürde 10 . Nur insoweit solche Anhaltspunkte fehlen, ist auf in <strong>der</strong> Situation des Opfersgemeinhin als vernünftig geltende Erwägungen abzustellen 11 .Z war im Zeitpunkt <strong>der</strong> Tat (vgl. § 8 StGB) ein entgegenstehen<strong>der</strong> Wille des P bekannt. DiesenWillen musste er respektieren, auch wenn ein besonnener <strong>und</strong> vernünftig denken<strong>der</strong>Mensch <strong>der</strong> sofortigen Behandlung zustimmen würde. Hypothetische Einwilligung (-)4. Rechtfertigen<strong>der</strong> Notstand (§ 34 StGB, , P: aufgedrängte Notstandshilfe)a.) Die körperliche Unversehrtheit <strong>und</strong> das körperliche Wohlbefinden in Gestalt ges<strong>und</strong>erZähne bilden ein notstandsfähiges Rechtsgut des F.b.) Bestehen einer Gefahr (= je<strong>der</strong> Zustand, bei dessen Weiterentwicklung <strong>der</strong> Eintritto<strong>der</strong> die Intensivierung eines Schadens wahrscheinlich ist) 12 .Z erkannte, dass es für P ohne einen heilenden Eingriff alsbald zu erheblichen Zahnschmerzenkommen würde. Der Schmerzzustand bedeutet schon für sich genommeneine negative Abweichung von den normalen Körperfunktionen, somit eine Beeinträchtigungdes körperlichen Wohlbefindens sowie <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heit Gefahr (+).c.) Bereits ein kurzzeitiges Hinauszögern <strong>der</strong> Behandlung war für die Vorbeugung<strong>der</strong> Schmerzen nachteilig, die Gefahr war mithin gegenwärtig.d.) Erfor<strong>der</strong>lichkeit <strong>der</strong> Notstandshandlung9 Sch/ Sch-Lenckner vor §§ 32 ff. Rn. 54; Baumann/Weber/Mitsch AT § 17 Rn. 117.10 BGHSt 35, 246, 249 f.; 40, 257, 263; 45, 219, 221ff.; Baumann/Weber/Mitsch AT §17 Rn. 118.11 Geppert, JZ 1988, 1024, 1026; Müller-Dietz, JuS 1989, 280 28<strong>2.</strong>12 BGHSt 18, 271 f.; 26, 176, 179; Gropp AT, § 6 Rn. 118.5


Univ. – Prof. Dr. Henning RadtkeZur Abwehr <strong>der</strong> Gefahr vom Schmerzzustand war die Beeinträchtigung <strong>der</strong> betreffendenZähne in Form ihrer Entfernung bzw. Wurzelbehandlung geeignet <strong>und</strong> auchdas mildeste Mittel von gleicher Wirksamkeit.Zu beachten ist aber, dass P nach seiner geistigen Konstitution gewillt war, die drohendenSchmerzen vorübergehend zu ertragen <strong>und</strong> Z um diesen Umstand auch sicherwusste Fall <strong>der</strong> aufgedrängten Notstandshilfe, welche <strong>der</strong> Notstandshandlungdie Erfor<strong>der</strong>lichkeit nimmt <strong>und</strong> daher insoweit unzulässig ist 13 .Ausnahmen von diesem Gr<strong>und</strong>satz:• Fälle <strong>der</strong> Gefahr für ein indisponibles Rechtsgut (Leben)• Fälle des Missbrauchs des Rechtfertigungsgr<strong>und</strong>es durch den Betroffenenselbst• Fälle des konstitutionell o<strong>der</strong> irrtumsbedingt mangelnden Einsichtsvermögensdes BetroffenenŁ Hier (-).P: Anwendbarkeit des § 34 auf Konstellationen interner Güterkonstellationen nichtentscheidungserheblich.Ł Rechtswidrigkeit (+)III. Schuld1. Erlaubnistatbestandsirrtumbestandsirrtum (= (+), bei Fehlvorstellungen des Täters, die sich auf tatsächlicheUmstände beziehen, welche im Falle ihres wirklichen Vorliegens die Voraussetzungen einesRechtfertigungsgr<strong>und</strong>es erfüllen würden). Z hatte die Vorstellung, dass das Handeln <strong>zum</strong>Wohle des P seine List erlaube. Z hat somit die tatsächlichen Umstände zutreffend ermittelt<strong>und</strong> lediglich rechtlich unzutreffende Erwägungen angestellt Erlaubnistatbestandsirrtum(-)<strong>2.</strong> Erlaubnisirrtum (= (+), wenn <strong>der</strong> Täter über die Existenz eines Rechtfertigungsgr<strong>und</strong>es irrto<strong>der</strong> die Grenzen eines solchen verkennt <strong>und</strong> aus diesem Gr<strong>und</strong> das Vorliegen einer Rechtfertigungannimmt). Z hat die Umstände <strong>der</strong> Tat im Hinblick auf ihre rechtfertigende Wir-13 Kühl AT § 8 Rn. 35; LK-Hirsch § 34 Rn. 25.6


Univ. – Prof. Dr. Henning Radtkekung falsch bewertet. Ein solcher Erlaubnisirrtum ist als indirekter Verbotsirrtum nach § 17StGB zu behandeln.Rechtsfolge: Schuld (-), falls Irrtum unvermeidbar:Z ist im Hinblick auf seine Stellung als Mediziner aufgerufen, durch Einholung einerfachlichen Auskunft, aber auch durch Gewissensanspannung, den Wert <strong>der</strong> Selbstbestimmungsfreiheiteines Patienten zutreffend zu ermitteln <strong>und</strong> so das Unrechtseines Tuns zu erkennen. Vermeidbarkeit des Irrtums (+) kein Schuldausschluss,son<strong>der</strong>n lediglich fakultativ Strafmil<strong>der</strong>ungsmöglichkeit gem. §§ 17 S. 2, 49I StGB.Schuld (+)Strafbarkeit des Z gem. § 223 I wegen <strong>der</strong> Entfernung eines zweiten Zahns <strong>und</strong> <strong>der</strong> angefangee-nen Wurzelbehandlung an zwei weiteren Zähnen des P (+)D. Strafbarkeit des Z gem. § 223 I wegen <strong>der</strong> zweiten Lokalnarkose.I. objektiver <strong>und</strong> subjektiver Tatbestand des § 223 I (+), s.o.II. RechtswidrigkeitAusdrückliche Einwilligung durch Nicken des P nach Hinweis mit Narkose „alles sorgfältig<strong>und</strong> schmerzfrei zu Ende bringen zu wollen“?(+), da sich in <strong>der</strong> Vorstellung des P die Einwilligung gerade auf die restliche Behandlungdes ersten <strong>und</strong> in seiner Vorstellung einzig zu behandelnden Zahns richtete.Z hat den Rest dieses Zahns auch erst nach <strong>der</strong> zweiten Narkose entfernt. Folglichwar die zweite Narkose von <strong>der</strong> Einwilligung des P gedeckt.O<strong>der</strong> aber:(-), bei Abstellen auf den Umstand, dass Z die zweite Narkose im Wesentlichen deshalbverabreichte, um die weiteren, zuvor nicht abgesprochenen Maßnahmen durchzuführen,für die Behandlung nur des ersten Zahns hingegen bereits die erste Narkosevollständig hätte ausreichen können. Dann wesentlicher, die Einwilligung ausschließen<strong>der</strong>Willensmangel bei P.7


Univ. – Prof. Dr. Henning RadtkeBei Alternativlösung: III. Schuld (+), s.o.Strafbarkeit des Z gem. § 223 I wegen <strong>der</strong> zweiten Lokalnarkose (+/-)Hinweis zur Prüfungsreihenfolge:Die Strafbarkeit wegen <strong>der</strong> späteren Zahnbehandlungen wird vor <strong>der</strong> Strafbarkeit wegen <strong>der</strong>zweiten Betäubung geprüft wird, obwohl diese zeitlich vorgeht. Der Gr<strong>und</strong> liegt in <strong>der</strong> ebenerwähnten Alternativlösung, bei <strong>der</strong> die Einwilligung des P in die zweite Narkose als unwirksambewertet wird.Die Rechtswidrigkeit <strong>der</strong> Lokalnarkose hängt nämlich von <strong>der</strong> Rechtswidrigkeit <strong>der</strong> ihr nachfolgendenZahnbehandlungen ab, zu <strong>der</strong>en Erleichterung sie einzig dient; es stellte ein untragbaresErgebnis dar, die Notstandshilfe im Rahmen <strong>der</strong> Zahnbehandlung zu bejahen, dieBetäubung als solche hingegen mangels Einwilligung als rechtswidrig anzusehen. Dahermuss auch in ihrem Rahmen die Notstandshilfe geprüft werden. Würde man nun die zweiteBetäubung vor den weiteren Zahnbehandlungen prüfen, so führte dies <strong>zum</strong> Problem, dassbereits an dieser Stelle auf die Rechtswidrigkeit <strong>der</strong> weiteren Zahnbehandlungen einzugehensein müsste vermeidbare Inzidentprüfung!E. Strafbarkeit des Z gem. § 222 StGB wegen Verursachung <strong>der</strong> Notwendigkeit eines weiteren Ter-mins für P <strong>und</strong> dessen panikbedingten tödlichen UnfallsI. Tatbestand1. Taterfolg: Tod des P.<strong>2.</strong> Das Verhalten des Z war dafür äquivalent kausal.3. objektive Sorgfaltspflichtverletzung: Vorhersehbarkeit <strong>und</strong> Vermeidbarkeit des Erfolgseintrittstritts:a.) Vermeidbarkeit (= (+), wenn eine Überschreitung des erlaubten Risikos gegeben ist). Der Täterdarf ein gefährliches Verhalten nur unter ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen vornehmen o<strong>der</strong>hat die Durchführung des gefährlichen Handelns zu unterlassen. Was ausreichend ist, ist nach <strong>der</strong>Verkehrsanschauung zu bestimmen <strong>und</strong> kann in maßgeblicher Weise durch an<strong>der</strong>e Verhaltensnormenvorgegeben sein. Die Durchführung <strong>der</strong> Behandlung des ersten Zahnes war von einer Einwilligunggedeckt <strong>und</strong> scheidet somit als Anknüpfungspunkt für die Sorgfaltswidrigkeit aus. Die Be-8


Univ. – Prof. Dr. Henning Radtkehandlung <strong>der</strong> weiteren Zähne begründete jedoch eine Strafbarkeit des Z gem. § 223 StGB (s.o.). Siestellt daher auch eine Überschreitung des erlaubten Risikos dar. Vermeidbarkeit (+)Ein an<strong>der</strong>es Ergebnis ergibt sich, sofern oben bzgl. <strong>der</strong> Handhabung des ärztlichen Heileingriffs <strong>der</strong>Lit. gefolgt wurde: Diese hätte aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> medizinisch sinnvollen Behandlung <strong>der</strong> weiteren Zähneden Tatbestand des § 223 StGB entfallen lassen, sodass die Vermeidbarkeit nicht durch § 223 StGBindiziert würde. Die Vermeidbarkeit würde sich insoweit aber aus den Regeln <strong>der</strong> ärztlichen Berufsausübungergeben, die umfangreiche Aufklärungspflichten <strong>zum</strong> Schutze des Selbstbestimmungsrechtesdes Patienten vorsehen <strong>und</strong> hier von Z verletzt worden sind.b.) Vorhersehbarkeit: (= (+), wenn ein umsichtig handeln<strong>der</strong> Mensch aus dem Verkehrskreis desTäters <strong>und</strong> in dessen konkreter Lage aufgr<strong>und</strong> seiner allgemeinen Lebenserfahrung die Möglichkeitdes Erfolgseintritts erkennen konnte) 14 .Z wusste zwar um die Vorgeschichte des P <strong>und</strong> dessen panische Angst vor den Zahnbehandlungen.Dass diese Angst so groß sein würde, dass P während einer Fahrt in Panik die Kontrolle über seinFahrzeug verlieren <strong>und</strong> tödlich verunglücken würde, musste Z jedoch nicht in Rechnung stellen. Esfehlen Z in diesem Zusammenhang Anhaltspunkte dafür, welche spezifischen psychischen Auswirkungendie Angstzustände auf P haben würden. Jedenfalls ist ein tödlicher Unfall im Straßenverkehrkeine Folge des Überwindenmüssens einer panischen Angst vor etwas, mit <strong>der</strong> ein umsichtigerMensch in <strong>der</strong> sozialen Rolle des Z rechnen musste. Z hat deshalb nicht sorgfaltspflichtwidrig imHinblick auf den Tod des P gehandelt. (a.A. unter stärkerer Betonung von Zs Vorwissen vertretbar).Bei Befolgung <strong>der</strong> a.A. sodann:4. Obj. Zurechnung bzw. Schutzzweckzusammenhang:(= (+), wenn <strong>der</strong> Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich in tatbestandstypischerWeise im konkreten Erfolg verwirklicht).Die Zurechenbarkeit des Todes des P könnte ausgeschlossen sein, weil eine Bestrafung des Z nichtdem Schutzzweck des Schutzgesetzes entspräche, das von Z verletzt worden ist. Als Schutzgesetzkommt hier § 223 StGB Betracht, das durch die nicht von einer Einwilligung gedeckte Behandlung<strong>der</strong> weiteren Zähne des P verwirklicht worden ist. Schutzgut des § 223 StGB ist jedoch die körperli-che Integrität <strong>der</strong> angegriffenen nen Person bei dem Angriff selbst sowie das Selbstbestimmungsrechtdes Patienten hinsichtlich <strong>der</strong> Gestattung tung von Eingriffen iffen in dessen körperliche Integrität, nicht aber14 Wessels/Beulke, Rn. 667ff.9


Univ. – Prof. Dr. Henning Radtkedas Leben des Betroffenen in einer von einem vorhergehenden <strong>und</strong> einem künftigen Eingriff deutlichzeitlich <strong>und</strong> räumlich abgetrennten Situation. Schutzzweckzusammenhang (-)Erfüllung des Tatbestandes des § 222 StGB (-)Strafbarkeit des Z gem. § 222 StGB wegen Verursachung <strong>der</strong> Notwendigkeit eines weiteren Ter-mins für P <strong>und</strong> dessen panikbedingten tödlichen Unfalls (-).(F. Gesamtergebnis <strong>und</strong> KonkurrenzenStrafbarkeit des Z gem. § 223 StGB durch die Behandlung <strong>der</strong> weiteren ZähneBei Befolgung <strong>der</strong> Alternativlösung (s.o. bei D.): Zwei Strafbarkeiten des Z gem. § 223 StGB. Beidedieser Fälle bilden sodann ein einheitliches Geschehen, stehen in einem engen zeitlichen Zusammenhang<strong>und</strong> beruhen auf dem einheitlichen Tatentschluss. Folglich stehen sie zueinan<strong>der</strong> in Tateinheit,§ 52 StGB.Literaturhinweise zur Wie<strong>der</strong>holung <strong>und</strong> VertiefungHassemer, JuS 1989, 146Müller-Dietz, JuS 1989, 280 ff.Schmitz, JA 1996, 952 ff.Rönnau/ Hohn, JuS 2003, 998, (1001 ff.)10

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