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Univ. – Prof. Dr. Henning Radtke 1 Übung im Strafrecht für ...

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<strong>Univ</strong>. – <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Henning</strong> <strong>Radtke</strong><br />

Übung <strong>im</strong> <strong>Strafrecht</strong> für Fortgeschrittene<br />

Sommersemester 2009<br />

4. Besprechungsfall<br />

Der Banker B, dessen Gehalt sich <strong>im</strong> Gefolge der Finanzkrise durch den Wegfall von<br />

Bonuszahlungen vermindert hat, möchte dieses Jahr trotz seiner wirtschaftlich schlechten<br />

Verhältnisse nicht bei dem örtlichen Opernball fehlen. Schließlich war er die letzten 10 Jahre<br />

stets anwesend und kann auf keinen Fall vor seinen Freunden den wirtschaftlichen Abstieg<br />

durch Abwesenheit am Opernball offenbaren. Da jedoch die Leasing-Rate für sein<br />

standesgemäßes Auto, einen Mercedes S 63 AMG, in diesem Monat schon abgebucht wurde und<br />

diese den Großteil seines reduzierten Gehalts einn<strong>im</strong>mt, kann er sich die Eintrittskarte nicht<br />

mehr leisten. Er bedient sich daher eines Tricks. B bietet seinem Kollegen K, der bei einer<br />

renommierten deutschen Bank arbeitet und weniger stark prämienabhängig vergütet wird, eine<br />

Eintrittskarte zu besorgen. Dieser n<strong>im</strong>mt das freundliche Angebot des B an. Daraufhin kauft B<br />

mit dem Geld des K eine Eintrittskarte. Er erstellt dann mit der technologisch hervorragenden<br />

Ausstattung der Bank eine täuschend echt aussehende Kopie der Eintrittskarte des K und gibt<br />

dem K das Original.<br />

Am Tag des Opernballs versucht B mit seiner kopierten Eintrittskarte Einlass zu erhalten. Der<br />

Sicherheitsmitarbeiter am Eingang (S) erkennt den B jedoch von den Jahren zuvor wieder und<br />

erinnert sich, wie B dem S <strong>im</strong> letzten Jahr einen Fünf-Euro-Schein zusteckte und dies<br />

überheblich mit dem Ausruf: „Wärst‘ besser Banker geworden!“ kommentierte. Daher kontrolliert<br />

er den B besonders sorgfältig und ihm fällt nach Abgleich mit der Kartenliste sofort auf, dass die<br />

Kartennummer an diesem Abend schon einmal eingelöst wurde. Als er den B darauf anspricht,<br />

sieht dieser seinen Opernballtraum, wie die Träume seiner Lehman-Anleger, zerplatzen und<br />

ergreift die Flucht.<br />

Aufgrund der genauen Beschreibung des S kommt die Polizei dem B auf die Schliche und es<br />

kommt zum Prozess vor dem Amtsgericht. B, der am Abend des Tages vor dem Opernball das<br />

Notebook der Tochter T seiner Nachbarin repariert hatte, redet T ein, er habe ihr diesen<br />

Freundschaftsdienst einen Tag später geleistet. Daraufhin bittet er sie, in dem Prozess für ihn<br />

auszusagen, wobei er auch damit rechnet, dass T vereidigt werden könnte. T weiß aber genau,<br />

dass beide einen Tag früher den Abend zusammen am Notebook verbracht haben, möchte<br />

jedoch aus he<strong>im</strong>licher Verehrung in seinem Sinne aussagen und lässt ihn <strong>im</strong> guten Glauben. Zu<br />

Beginn des Prozess weist der Richter alle anwesenden Zeugen auf ihre Wahrheitspflicht und die<br />

Möglichkeit der Vereidigung hin. Danach wird T vernommen und sagt aus, dass beide am<br />

Tatabend das Notebook repariert haben. Ihre Aussage wird inhaltlich von der Protokollführerin in<br />

das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen. Der Vorsitzende Richter ordnet wegen der<br />

Bedeutung der Aussage von T deren Vereinigung an. Sodann leistet die erst fünfzehnjährige T<br />

unter Beachtung aller Förmlichkeiten den Eid.<br />

Um den Vorwurf des Staatsanwaltes, B habe aus wirtschaftlichen Gründen die Kopie der Karte<br />

erstellt, zu entkräften, lässt B durch seinen Verteidiger den Steuerberater St als Zeugen<br />

benennen. B ahnt nämlich, dass dieser ihm zu seinen Gunsten eine gute wirtschaftliche Lage<br />

bestätigen werde, da beide ein gutes Verhältnis pflegen und St regelmäßig den Mercedes des B<br />

ausleiht. St wird sodann auch durch den Vorsitzenden nach den finanziellen Verhältnissen des B<br />

gefragt. St bescheinigt dem B eine wirtschaftlich sehr gute Position und fügt spontan - und<br />

1


<strong>Univ</strong>. – <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Henning</strong> <strong>Radtke</strong><br />

ungefragt - hinzu, dass er <strong>im</strong> Übrigen das Alibi des B bestätigen könne, denn er sei am Abend<br />

des Opernballs an T’s Haus vorbeigefahren und habe T und B dort gesehen. Auch diese Aussage<br />

wird vom Urkundsbeamten protokolliert. Aufgrund der Beweislage wird B frei gesprochen.<br />

Wie haben sich B, T und St strafbar gemacht?<br />

§ 60 StPO:<br />

Von der Vereidigung ist abzusehen<br />

bei Personen, die zur Zeit der Vernehmung das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet<br />

haben oder die wegen mangelnder Verstandesreife oder wegen einer psychischen Krankheit<br />

1.<br />

oder einer geistigen oder seelischen Behinderung vom Wesen und der Bedeutung des Eides<br />

keine genügende Vorstellung haben;<br />

bei Personen, die der Tat, welche den Gegenstand der Untersuchung bildet, oder der<br />

2. Beteiligung an ihr oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig oder<br />

deswegen bereits verurteilt sind.<br />

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<strong>Univ</strong>. – <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Henning</strong> <strong>Radtke</strong><br />

Lösungsskizze<br />

Tatkomplex 1: Der vergeblich begehrte Einlass<br />

Strafbarkeit des B<br />

A. Strafbarkeit des B gem. § 267 I Var. 1 StGB durch Kopieren der<br />

Eintrittskarte<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

Der objektive Tatbestand erfordert das Herstellen einer unechten Urkunde.<br />

1)Tatobjekt - Urkunde (=eine verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis <strong>im</strong><br />

Rechtsverkehr geeignet und best<strong>im</strong>mt ist und ihren Aussteller erkennen lässt 1 )<br />

Die täuschend echt aussehende Kopie einer Eintrittskarte enthält die Gedankenerklärung,<br />

dass diese Karte zum Besuch des Opernballs berechtigt und ist daher eine verkörperte<br />

Gedankenerklärung.<br />

Problem Kopie: Ist eine Kopie zum Beweis <strong>im</strong> Rechtsverkehr geeignet und best<strong>im</strong>mt? Lässt<br />

sie ihren Aussteller erkennen? Grds. sind nach der h.M. Kopien keine Urkunden. 2 Teilweise<br />

wird die Urkundsqualität bejaht, da Kopien <strong>im</strong> Rechtsverkehr längst wie Originale behandelt<br />

werden. 3 Dagegen spricht aber, dass der Aussteller eines Originals sich nicht zum Inhalt<br />

beliebiger Kopien bekennt. Die h.M. lässt aber ausnahmsweise eine Kopie als taugliches<br />

Tatobjekt zu, sofern diese vom Aussteller als Original gewidmet wurde oder vom Hersteller<br />

mit der Intention erstellt wurde, infolge ihrer guten Qualität <strong>im</strong> Rechtsverkehr den<br />

unzutreffenden Eindruck hervorrufen soll, es handle sich um ein Original. 4 Hier hat B die<br />

Fotokopie so gut angefertigt, dass sie den Eindruck eines Originals erweckt. Auch hatte er bei<br />

der Erstellung die Intention sie als Original <strong>im</strong> Rechtsverkehr zu gebrauchen. Somit liegt eine<br />

Urkunde iSd § 267 StGB vor. (+)<br />

2) unecht (=Unecht ist eine Urkunde, die nicht von demjenigen herrührt, der aus ihr als<br />

Aussteller hervorgeht. Es muss eine Divergenz von scheinbaren und wirklichen Aussteller<br />

bestehen, sog. Identitätstäuschung. 5 ) Aus der Kopie der Eintrittskarte geht als scheinbarer<br />

Aussteller der Betreiber des Opernballs hervor, wirklicher Aussteller ist aber B. Damit liegt<br />

eine Divergenz vor. Die Urkunde ist unecht.<br />

3)Tathandlung – Herstellen (=Hervorbringen einer Urkunde, die den unrichtigen Anschein<br />

erweckt, von dem aus ihr erkennbaren Aussteller herzurühren. 6 ) Durch das eigenhändige<br />

Kopieren bringt B eine Urkunde hervor, die den unrichtigen Anschein erweckt von der Oper<br />

ausgestellt worden zu sein. Damit hat B eine unechte Urkunde hergestellt.<br />

II. Subjektiver Tatbestand<br />

1) Vorsatz (= Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. 7 )<br />

1 Cramer/Heine in Schönke/Schröder, § 267, Rn. 2.<br />

2 BGHSt 24,140.<br />

3 Freund Jus 1991, 723. ff.<br />

4 Erb in MüKo, § 267, Rn. 96.<br />

5 Küper, BT, S. 335.<br />

6 Lackner/Kühl, § 267, Rn. 17.<br />

7 Fischer, § 15, Rn. 3.<br />

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<strong>Univ</strong>. – <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Henning</strong> <strong>Radtke</strong><br />

B wollte hier eine unechte Urkunde herstellen und war sich dessen bewusst. Damit handelte<br />

er vorsätzlich.<br />

2)zur Täuschung <strong>im</strong> Rechtsverkehr<br />

Weiterhin müsste B zur Täuschung <strong>im</strong> Rechtsverkehr gehandelt haben. Hier ist keine Absicht<br />

erforderlich, es genügt sicheres Wissen. 8 B wusste sicher, dass er damit <strong>im</strong> Rechtsverkehr,<br />

nämlich über seine Einlassberechtigung, täuscht. Folglich handelte B auch zur Täuschung <strong>im</strong><br />

Rechtsverkehr.<br />

III. Rechtswidrigkeit (+)<br />

IV. Schuld (+)<br />

V. Ergebnis<br />

B hat sich wegen einer Urkundenfälschung gem. § 267 I Var. 1 StGB strafbar gemacht, indem<br />

er die Eintrittskarte kopierte.<br />

B. Strafbarkeit des B gem. § 267 I Var. 3 StGB durch Vorzeigen der Urkunde<br />

am Eingang<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

1)Unechte Urkunde, s.o. (+)<br />

2)Gebrauchen (=Zugänglich machen der Urkunde ggü. dem zu Täuschenden und Schaffen<br />

der Möglichkeit der Kenntnisnahme 9 )<br />

Hier durch Vorzeigen am Eingang (+)<br />

II. Subjektiver Tatbestand (+)<br />

III. Rechtswidrigkeit (+)<br />

IV. Schuld (+)<br />

V. Ergebnis<br />

Damit hat sich B durch das durch Vorzeigen der Urkunde am Eingang wegen einer<br />

Urkundenfälschung gem. § 267 I Var. 3 StGB strafbar gemacht.<br />

VI. Konkurrenz zur Herstellung<br />

Hat der Täter die unechte Urkunde zunächst hergestellt und gebraucht die Urkunde<br />

anschließend in dem von Anfang an vorgesehenen Rahmen für Täuschungszwecke, so<br />

kommt nur eine einheitliche Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung zum Tragen. 10 Dieses<br />

wird unterschiedlich begründet. Teilweise wird die Urkundenfäschung als ein zweiaktiges<br />

Delikt gesehen, bei dem beide Akte eine deliktische Einheit bilden. 11 Andere meinen das<br />

Gebrauchmachen sei gegenüber den anderen Formen straflose Nachtat. 12 Eine dritte Ansicht<br />

vertritt, dass das Gebrauchmachen das Fälschen und Verfälschen als mitbestrafte Vortaten<br />

verdrängt. 13<br />

8 Cramer/Heine in Schönke/schröder, § 267, Rn. 91.<br />

9 Lackner/Kühl,Strafgesetzbuch,§ 267, Rn. 23.<br />

10 Erb in MüKO, § 267, Rn. 217<br />

11 Cramer/Heine in Schönke/Schröder, § 267 Rn. 79<br />

12 Nürnberg MDR 51, 52.<br />

13 Hoyer in SK, § 267, Rn. 114.<br />

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C. Strafbarkeit des B gem. § 263 I, II, 22 StGB, indem B mit kopierter<br />

Eintrittskarte Einlass erhalten wollte<br />

I. Vorprüfung<br />

1. Strafbarkeit des Versuchs<br />

Der versuchte Betrug ist gem. § 263 II, 22, 23 I StGB strafbar.<br />

2. Nichtvollendung des Delikts<br />

Der Betrug dürfte nicht vollendet sein. Hier wurde B nicht Eintritt gewährt. Daher ist es zu<br />

keiner Vermögensverfügung oder einem Schaden gekommen. Somit ist der objektive<br />

Tatbestand des Betruges nicht erfüllt.<br />

II. Tatentschluss<br />

Der Tatentschluss des Versuches entspricht dem Vorsatz be<strong>im</strong> vollendeten Delikt. 14<br />

1. Täuschen über Tatsachen (=Vorspiegelung falscher und Entstellung oder Unterdrückung<br />

wahrer Tatsachen)<br />

Die Täuschung kann durch Begehen, also Erteilen einer unwahren Information, oder durch<br />

das pflichtwidrige Unterlassen einer zutreffenden Information geschehen. 15 Hier wollte B<br />

durch das Vorzeigen der falschen Eintrittskarte konkludent die unwahre Information<br />

erteilen, er habe eine Eintrittsberechtigung. Somit wollte er täuschen und hatte<br />

diesbezüglich Tatentschluss.<br />

2. Irrtum erregt (=jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung und der<br />

Wirklichkeit. 16 )<br />

B wollte, dass S glaubt, er habe eine Berechtigung. Daher (+)<br />

Ferner war nach Vorstellung des B die Täuschungshandlung auch kausal für die<br />

Irrtumserregung.<br />

3. Vermögensverfügung (=jedes Tun oder Unterlassen, das sich unmittelbar<br />

vermögensmindernd auswirkt. 17 ) Hier wollte B, dass S ihn auf den Opernball lässt und er<br />

dadurch Einlass erhält ohne bezahlt zu haben. Damit wollte er an sich eine<br />

Vermögensverfügung. Problematisch könnte sein, dass sich diese Vermögensverfügung zu<br />

Lasten des Betreibers des Opernballs ausgewirkt hätte. Hier wäre die Vermögensverfügung<br />

aber dem Betreiber nach allen derzeit vertretenen Ansätzen (Nahetheorie, Lagertheorie,<br />

Befugnistheorie) 18 zuzuordnen. Damit hatte B auch Tatentschluss hinsichtlich einer<br />

Vermögensverfügung.<br />

Auch sollte die Vermögensverfügung nach der Vorstellung des B kausal auf der<br />

Irrtumserregung beruhen.<br />

4. Schaden (= negativer Saldo zwischen dem Wert des Vermögens vor und nach der<br />

irrtumsbedingten Vermögensverfügung 19 )<br />

Hier entsteht eine Minderung des Vermögens, indem die Forderung gegen B nicht geltend<br />

gemacht wird. Somit wollte B einen Vermögensschaden, der kausal auf der<br />

Vermögensverfügung beruhte, und hatte diesbezüglich Tatentschluss.<br />

5. Absicht rechtswidriger Bereicherung<br />

14 Joecks, § 22 Rn. 3.<br />

15 Kindhäuser/Nikolaus, Jus 2006, S. 193 (S. 194)<br />

16 Fischer, § 263, Rn. 33.<br />

17 Fischer, § 263, Rn. 40.<br />

18 Theorien ausgeführt bei Kindhäuser/Nikolaus, Jus 2006, S. 293 (294)<br />

19 Fischer, § 263 Rn. 70.<br />

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B müsste weiterhin die Absicht rechtswidriger Bereicherung gehabt haben. Für diese muss es<br />

dem Täter zunächst zielgerichtet darauf ankommen sich oder einen <strong>Dr</strong>itten zu bereichern. 20<br />

Im vorliegenden Fall kam es B gerade zielgerichtet darauf an, den Preis für die Eintrittskarte<br />

nicht zu zahlen und sich somit zu bereichern. Weiterhin muss der von B angestrebte<br />

Vermögensvorteil gerade die Kehrseite des Schadens sein, es muss Stoffgleichheit<br />

bestehen. 21 Hier besteht der Vermögensvorteil gerade in der Ersparnis des Eintritts und stellt<br />

daher die Kehrseite zum Schaden, d.h. des Verlustes des Eintrittsgeldes dar. Weiterhin hatte<br />

B keinen Anspruch auf die angestrebte Bereicherung somit war sie auch rechtswidrig. Daher<br />

hatte B die Absicht rechtswidriger Bereicherung.<br />

III. Unmittelbares Ansetzen<br />

Zu prüfen ist, ob B zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt hat. Das<br />

unmittelbare Ansetzten liegt stets vor, wenn der Täter bereits ein Merkmal des gesetzlichen<br />

Tatbestandes erfüllt. 22 Hier hat T bereits getäuscht, indem er die kopierte Karte vorgezeigt<br />

hat. Dadurch er ein Tatbestandsmerkmal des Betruges erfüllt und somit unmittelbar<br />

angesetzt.<br />

IV Rechtswidrigkeit (+)<br />

V. Schuld (+)<br />

VI. Ergebnis<br />

B hat sich wegen eines versuchten Betruges gem. § 263 I, II, 22 StGB, indem B mit kopierter<br />

Eintrittskarte Einlass erhalten wollte.<br />

D. Strafbarkeit des B gem. §§ 265a I, II, 22 StGB, indem er mit kopierter<br />

Eintrittskarte Einlass erhalten wollte<br />

Eine Strafbarkeit des B gem. §§ 265a I, II, 22 StGB scheidet aufgrund formeller Subsidiarität<br />

gem. § 265a I StGB aus, da der oben geprüfte und hier einschlägige versuchte Betrug<br />

schwerer bestraft wird.<br />

Tatkomplex 2: Der Gerichtsprozess<br />

§ 1 Strafbarkeit der T<br />

A. Strafbarkeit der T gem. § 154 I StGB durch Beschwören ihrer Aussage<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

Der objektive Tatbestand des § 154 StGB setzt das falsche Schwören vor Gericht oder einer<br />

anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle voraus. 23<br />

1)Zuständige Stelle<br />

Hier ist das Amtsgericht eine zuständige Stelle. Der Eid ist zudem in diesem Verfahren<br />

zulässig und von der zuständigen Person, dem Richter am Amtsgericht, abgenommen.<br />

20 Hefendehl in MüKo, § 263, Rn. 721<br />

21 Hefendehl in MüKo, § 263, Rn. 705.<br />

22 Engländer, Jus 2003, S. 330 (S. 331).<br />

23 Lencker in MüKo, § 154, Rn. 2.<br />

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2)Falschheit der Aussage<br />

Problem Falschheit: Aufgrund welcher Kriterien ist eine Aussage als falsch zu qualifizieren?<br />

Eine Aussage ist nach der subjektiven Theorie falsch, wenn ein Widerspruch zwischen<br />

Wirklichkeit und Wissen des Täters besteht. Danach wird auch eine Strafbarkeit begründet,<br />

wenn jemand entgegen seinem Wissen etwas Wahres aussagt. Dafür spricht, dass eine<br />

zufällig wahre Aussage für die Sachverhaltserforschung von geringem Wert ist, weil mit einer<br />

Zufallsbehauptung die Wahrheit nicht ordnungsgemäß bewiesen werden kann. 24 Gegen<br />

diese Theorie ist spricht aber, dass das Gesetz in § 160 StGB (Verleitung zur Falschaussage)<br />

davon ausgeht, dass ein gutgläubiger eine falsche Aussage machen kann; also eine falsche<br />

Aussage vorliegt, obwohl kein Widerspruch zwischen Wissen und Wirklichkeit besteht. Hier<br />

wusste T, dass sie den Abend nicht mit B bei der Reparatur eines Notebooks verbracht hat.<br />

Daher ist ihre Aussage nach dieser Theorie falsch.<br />

Nach der objektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie mit dem wirklichen<br />

Geschehen nicht übereinst<strong>im</strong>me, ihr Inhalt also der objektiven Wirklichkeit widerspricht.<br />

Dafür spricht, dass sich aus der der Strafbarkeit der fahrlässigen Falschaussage ergibt, dass<br />

es nicht auf das subjektive Vorstellungsbild des Aussagenden ankommt, sondern zunächst<br />

auf den objektiven Wahrheitsgehalt der Aussage. 25 Hier hat T den Abend nicht mit B<br />

verbracht. Damit widerspricht der Inhalt ihrer Aussage der objektiven Wirklichkeit und ist<br />

nach dieser Ansicht als falsch zu qualifizieren.<br />

Vertreter der Pflichttheorie werten eine Aussage als falsch, wenn der Aussagende seine<br />

Aussagepflicht verletzt. 26 Diese ist verletzt, falls der Aussagende sein potentiell erreichbares<br />

Erlebnisbild nicht vollständig oder korrekt wiedergibt und nicht über Zweifel an der Qualität<br />

ihrer Aussage unterrichte. Dafür spricht, dass eine Strafbarkeit nicht weiter reichen dürfe, als<br />

die tatsächliche Möglichkeit des Aussagenden, Aussagen über einen Sachverhalt zu treffen.<br />

Hier wusste T, dass sie und B an dem Abend nicht zusammen waren, damit hat sie ihre<br />

Aussagepflicht verletzt. Ihre Aussage ist dieser Ansicht nach als falsch zu werten.<br />

Damit ist die Aussage der T nach allen drei Theorien falsch. Eine Entscheidung, welcher<br />

Theorie zu folgen ist, ist daher nicht erforderlich.<br />

3) Schwören<br />

T hat hier den Nacheid geleistet. Sie ist jedoch fünfzehn Jahre alt. Gem. § 60 StPO wäre von<br />

ihrer Vereidigung abzusehen gewesen.<br />

Problem Eidesunmündigkeit: Fraglich ist, wie sich dieser prozessuale Verstoß auf ihre<br />

Strafbarkeit auswirkt. Teilweise wird vertreten, dass bei einer prozessordnungswidrig<br />

vorgenommenen Vereidigung die Aussage nicht mehr als eidliche Aussage verwertbar ist.<br />

Daher komme nur eine Strafbarkeit wegen uneidlicher Falschaussage in Betracht. 27 Dafür<br />

spricht auch, dass das Gesetz in § 60 StPO selbst davon ausgehe dass einem Jugendlichen<br />

unter 16 Jahren die nötige Reife fehlt, die Tragweite einer eidlichen Wahrheitsbekräftigung<br />

zu verstehen. Diese Verantwortlichkeitsregelung für den speziellen Fall könne nicht mit der<br />

allgemeineren Verantwortlichkeitsregelung nach § 3 I JGG wieder aufgehoben werden. 28<br />

Dieser Ansicht folgend wäre also ein falsches Schwören der T abzulehnen.<br />

24 Darstellend Müller in MüKo, § 153, Rn. 47.<br />

25 Joecks, Vor § 153, Rn. 5.<br />

26 Müller-Dietz, Jus 1984, S. 161 ff.<br />

27 Joecks, § 155, Rn. 6.<br />

28 Müller in MüKo, § 154, Rn. 13.<br />

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Eine andere Ansicht sieht bei der versehentlichen Vereidigung eines Eidesunmündigen den<br />

Tatbestand des § 154 StGB als erfüllt an. 29 Ein prozessualer Verstoß ist lediglich in der<br />

Strafzumessung zu berücksichtigen. 30 Nach dieser Ansicht hätte T falsch geschworen. Gegen<br />

diese Ansicht spricht allerdings, dass der Gesetzgeber eine Strafmilderung in der<br />

Strafzumessung nur für den Fall der uneidlichen Falschaussage ausdrücklich in § 157 StGB<br />

vorgesehen hat, und gerade nicht für den Meineid. Ausschlaggebend ist hier aber, dass der<br />

Zweck des § 60 StPO nicht in einer Verantwortlichkeitsregelung zu sehen ist, sondern darin,<br />

dass es überflüssig ist, eine wahrheitsgemäße Aussage dadurch herbeiführen zu wollen, dass<br />

man den Zeugen mit einem Mittel konfrontiert, dessen Tragweite er nicht versteht. Dieses<br />

folgt auch aus einem systematischen Vergleich mit § 61 StPO, der von seiner Formulierung<br />

<strong>im</strong> Gegensatz zum § 60 StPO ein Recht zugesteht. 31 Daher ist der zweiten Ansicht zu folgen. T<br />

hat falsch geschworen.<br />

II. Subjektiver Tatbestand (+)<br />

III. Rechtswidrigkeit (+)<br />

IV. Schuld<br />

T war auch gem. § 3 S. 1 JGG verantwortlich (+)<br />

V. Ergebnis<br />

T hat sich wegen eines Meineides gem. § 154 I StGB strafbar gemacht, indem sie aussagte,<br />

den Abend des Opernballs mit B verbracht zu haben, und dies beschwor.<br />

B. Strafbarkeit der T gem. § 271 I StGB durch Veranlassen einer<br />

Beurkundung durch den Protokollführer<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

1. Tatobjekt: öffentliche Urkunde (= Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde oder<br />

einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb ihrer Zuständigkeit in der<br />

vorgeschriebenen Form aufgenommen sind, vgl. § 415 ZPO 32 . Sie muss weiterhin<br />

öffentlichen Glauben genießen, d.h. best<strong>im</strong>mt und geeignegt sein, <strong>im</strong> Rechtsverkehr die<br />

Richtigkeit des Inhalts mit Wirkung für und gegen jedermann zu beweisen. 33 )<br />

Protokoll stellt öffentliche Urkunde dar. (+)<br />

2. Taterfolg: unwahre Urkunde (= der gedankliche Inhalt der Urkunde st<strong>im</strong>mt nicht mit der<br />

Wirklichkeit überein 34 )<br />

Hier st<strong>im</strong>mt der Inhalt, die Aussage der T, nicht mit der Wirklichkeit überein.<br />

Weiter ist zu verlangen, dass diese Unwahrheit sich auf jene Inhalte bezieht, die zu<br />

öffentlichen Glauben beurkundet wurden. 35 Beurkundet iSv. § 271 sind lediglich diejenigen<br />

Erklärungen und Tatsachen, auf die sich die Beweiskraft der jeweiligen öffentlichen Urkunde<br />

29 Ruß in LK § 154 Rn. 10.<br />

30 BGHSt 10, 143.<br />

31 Reese, JA 2005, S. 612 (S. 613)<br />

32 Cramer/Heine in Schönke/Schröder, § 271, Rn. 4.<br />

33 Küper, BT, S. 333<br />

34 Joecks, § 271, Rn. 15.<br />

35 Joecks, § 271, Rn. 15.<br />

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bezieht. 36 Die Beweiskraft des Urteils müsste sich also auf die Aussage der T erstrecken. Bei<br />

Gerichtsprotokollen ist aber anerkannt, dass dieses nur die Abgabe der Erklärungen, nicht<br />

aber deren Richtigkeit beurkunden soll. 37 Damit bezieht sich die Beweiskraft des Protokolls<br />

nicht auf die Richtigkeit der Aussage der T. Damit liegt keine unwahre Urkunde vor.<br />

II. Ergebnis<br />

O hat sich nicht wegen einer mittelbaren Falschbeurkundung gem. § 271 I StGB strafbar<br />

gemacht, indem sie den Protokollführer dazu veranlasste, ihre Aussage zu protokollieren.<br />

§ 2 Strafbarkeit des St<br />

A. Strafbarkeit des St gem. § 153 StGB durch Aussage über wirtschaftliche<br />

Situation des B<br />

I. Objektiver TB<br />

1. zuständige Stelle:<br />

St hat vor einem Gericht und damit einer zuständigen Stelle ausgesagt.<br />

2. als Zeuge oder Sachverständiger<br />

Auch hat St als Zeuge oder Sachverständiger ausgesagt.<br />

3. Falschheit der Aussage<br />

St’s Aussage st<strong>im</strong>mt objektiv nicht mit der Wirklichkeit überein. Er wusste auch, dass seine<br />

Aussage nicht mit der Wirklichkeit übereinst<strong>im</strong>mt und hat ebenso seine Aussagepflicht<br />

verletzt. Folglich ist die Aussage des T nach allen drei Theorien (s.o.) falsch.<br />

II. Subjektiver TB<br />

St wollte etwas Falsches aussagen und wusste dieses auch handelte somit vorsätzlich.<br />

III. Rechtswidrigkeit (+)<br />

IV. Schuld (+)<br />

V. Ergebnis<br />

St hat sich durch das Bestätigen der wirtschaftlich guten Situation des B wegen einer<br />

uneidlichen Falschaussage gem. § 153 I StGB strafbar gemacht.<br />

B. Strafbarkeit des St gem. § 153 StGB durch Aussage über das Alibi des B<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

1. Falsche Aussage<br />

Problem: Umfang der Wahrheitspflicht<br />

Der Umfang der Wahrheitspflicht wird durch den Vernehmungsgegenstand begrenzt. Dieser<br />

wird durch die Fragen des Richters best<strong>im</strong>mt. Hier sollte St eigentlich zur finanziellen Lage<br />

des B aussagen. Er hat jedoch auch das Alibi des B ungefragt bestätigt. Fraglich ist, wie<br />

solche Spontanäußerungen zu behandeln sind.<br />

Grundsätzlich fallen spontane, den Gegenstand der Vernehmung überschreitende Angaben<br />

nicht unter die Wahrheitspflicht, da dadurch die staatliche Rechtspflege nicht bedroht wird.<br />

Dies gilt auch, wenn sie eine entscheidungserhebliche Tatsache betreffen. 38 Eine Ausnahme<br />

hiervon ist nur machen, falls die spontane Äußerung nach einer Erweiterung des<br />

36 BGHSt 22, 201 (203); Joecks, § 271, Rn. 16.<br />

37 Cramer/Heine in Schönke/Schröder, § 271, Rn. 23.<br />

38 Lenckner in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 153 ff. Rn. 14.<br />

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Vernehmungsgegenstandes bestätigt wird. 39 Eine Erweiterung hat hier nicht stattgefunden.<br />

Daher liegt keine falsche Aussage des St bzgl. der Alibibestätigung vor.<br />

II. Ergebnis<br />

St hat sich die Alibibestätigung nicht wegen einer uneidlichen Falschaussage gem. § 153 I<br />

StGB strafbar gemacht.<br />

C. Strafbarkeit des St gem. § 271 I StGB durch Veranlassen einer<br />

Beurkundung durch den Protokollführer<br />

Der objektive Tatbestand ist ebenfalls nicht erfüllt, da sich die Beweiskraft des Protokolls<br />

nicht auf die Richtigkeit der Aussage bezieht. (s.o.)<br />

§ 3 Strafbarkeit des B<br />

A. Strafbarkeit des B gem. §§ 154 I, 25 I 2. Alt., indem er der T den falschen<br />

Termin einredete und um eine Aussage bat<br />

Eine mittelbare Täterschaft des B scheidet aus, da es be<strong>im</strong> § 154 I StGB um ein<br />

eigenhändiges Delikt handelt.<br />

B. Strafbarkeit des B gem. §§ 154 I, 26 StGB, indem er der T den falschen<br />

Termin einredete und um eine Aussage bat<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

1. vorsätzliche rechtswidrige Haupttat<br />

Wie oben geprüft, hat T einen Meineid begangen. Dieser stellt eine vorsätzliche<br />

rechtswidrige Haupttat dar.<br />

2. Best<strong>im</strong>men (= Hervorrufen des Tatentschlusses 40 )<br />

Hier hat B der T einen falschen Termin eingeredet und dadurch Tatentschluss<br />

hervorgerufen. B hat daher O zum Meineid best<strong>im</strong>mt.<br />

II. Subjektiver Tatbestand (= „doppelte Anstiftervorsatz“ )<br />

Der Vorsatz des B müsste sich sowohl auf die vorsätzliche rechtswidrige Haupttat der T als<br />

auch auf das Best<strong>im</strong>men beziehen. B glaubt, T begehe keinen Meineid, da sie nicht<br />

vorsätzlich handele; daher handelt B bzgl. des Vorliegens der vorsätzlich-rechtswidrigen<br />

Haupttat nicht vorsätzlich.<br />

III. Ergebnis<br />

B hat sich nicht wegen einer Anstiftung zum Meineid gem. §§ 154, 26 StGB strafbar<br />

gemacht.<br />

C. Strafbarkeit des B gem. § 160 I Var. 1 StGB, indem er der O den falschen<br />

Termin einredete und um eine Aussage bat<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

1. objektiver Tatbestand des § 153, 154 oder 156<br />

Wie oben geprüft, hat T den Tatbestand des Meineides gem. § 154 I erfüllt.<br />

39 Joecks, § 153, Rn. 5.<br />

40 Joecks, § 26, Rn. 9.<br />

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2. Verleiten<br />

(=jede Einwirkung auf den Willen der Beweisperson, die diese dazu best<strong>im</strong>mt, die von dem<br />

Täter gewollte Tat zu verwirklichen 41 )<br />

Hier war die T bösgläubig. Fraglich ist, ob auch ein nur vermeintlich Gutgläubiger verleitet<br />

werden kann. Dies ist umstritten.<br />

Teilweise wird vertreten, § 160 erfasse nur die Fälle, in denen die Voraussetzungen der<br />

mittelbaren Täterschaft vorliegen und eine Strafbarkeit der mittelbaren Täterschaft nur<br />

daran scheitere, dass es sich bei den Aussagedelikten um eigenhändige Delikte handele. 42<br />

Hier lägen die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft aufgrund der Bösgläubigkeit der<br />

T nicht vor. Danach wäre hier eine Strafbarkeit gem. § 160 StGB abzulehnen. Die<br />

Rechtssprechung und ein anderer Teil der Literatur vertreten hingegen § 160 StGB erfasse<br />

auch die Fälle, in denen der „Vordermannes“ entgegen der Annahme des „Hintermannes“<br />

bosgläubig ist. 43 Begründet wird dies damit, dass Aufgabe des § 160 StGB sei, diejenigen<br />

Fälle einer Anstiftung zu bestrafen, in denen wegen des Erfordernisses der vorsätzlichen<br />

rechtswidirgen Haupttat nicht mehr nach § 26 StGB bestraft werden könne. Zu diesen Fällen<br />

gehören aber nicht nur diejenigen, in denen der Vordermann nicht vorsätzlich handelt,<br />

sondern auch die, in denen der vermeintliche Anstifter nicht weiß, dass der Haupttäter<br />

vorsätzlich handelt. 44 Dieser Ansicht folgend läge hier ein Verleiten iSd § 160 StGB vor. Hier<br />

ist allerdings der ersten Ansicht zu folgen, da § 160 StGB nur Strafbarkeitslücken schließen<br />

will, die aus der Eigenhändigkeit der Aussagedelikte folgen. Es besteht kein Anlass, Fälle<br />

einzubeziehen, in denen der Hintermann lediglich versucht hat, sich eines gutgläubigen<br />

Werkzeugs zu bedienen, da hier § 160 II in Betracht kommt und die Strafmilderung des § 23<br />

II StGB zudem nur fakultativ ist.<br />

II. Ergebnis<br />

B hat sich nicht wegen einer Verleitung zur Falschaussage gem. § 160 I StGB strafbar<br />

gemacht, indem er der T den falschen Termin einredete und um eine Aussage bat.<br />

D. Strafbarkeit des B gem. §§ 160 I, II, 22 StGB, indem er der T den falschen<br />

Termin einredete und um eine Aussage bat<br />

I. Vorprüfung<br />

1. Strafbarkeit des Versuchs<br />

Die versuchte Verleitung ist gem. §§ 160 II, 22 StGB strafbar.<br />

2. Nichtvollendung des Delikts<br />

Das Delikt dürfte nicht vollendet sein. Hier fehlt das Verleiten, da T gutgläubig war. Daher ist<br />

der objektive Tatbestand des § 160 I StGB nicht erfüllt. Das Delikt ist nicht vollendet.<br />

II. Tatentschluss<br />

B musste Tatentschluss gehabt haben. B könnte die T verleiten gewollt haben. Durch das<br />

Einreden des falschen Termins wollte er die T dazu best<strong>im</strong>men, die von ihm gewollte<br />

Falschaussage zu begehen. Damit hatte B Tatenschluss bzgl. des Verleitens. Weiterhin<br />

41 Joecks, § 160, Rn. 3.<br />

42 Joecks, § 160 Rn. 6.<br />

43 BGHSt 21, 116f.<br />

44 Sk-Rudolphi §160 Rn. 4.<br />

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müsste sich dieser auf den Meineid erstreckt haben. Hier hat B zumindest die Vereidigung<br />

und den Meineid billigend in Kauf genommen. Damit hatte B auch Tatentschluss hinsichtlich<br />

des Meineides.<br />

III. Unmittelbares Ansetzen<br />

B musste zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt haben. Hier hat B durch<br />

Einreden und Bitten zur Aussage bereits begonnen den Tatbestand zu verwirklichen und<br />

damit unmittelbar angesetzt.<br />

IV. Rechtswidrigkeit (+)<br />

V. Schuld (+)<br />

VI. Ergebnis<br />

B hat sich einer versuchten Verleitung zur Falschaussage gem. §§ 160 I, II, 22 StGB strafbar<br />

gemacht, indem er der T den falschen Termin einredete und um eine Aussage bat.<br />

E. Strafbarkeit des B gem. §§ 153, 26 StGB durch die Benennung des St als<br />

Zeugen<br />

I.Objektiver Tatbestand<br />

Best<strong>im</strong>men<br />

B könnte St zur Falschaussage best<strong>im</strong>mt haben, indem er ihn als Zeuge für eine bewusst<br />

wahrheitswidrige Behauptung benennt. Anders als <strong>im</strong> Zivilprozess reicht eine bloße<br />

Zeugenbenennung <strong>im</strong> Strafprozess nicht aus eine Anstifterstrafbarkeit zu begründen, selbst<br />

wenn der Angeklagte davon ausgeht, der Zeuge werde zu seinen Gunsten falsch aussagen.<br />

Vielmehr ist diese Möglichkeit Ausfluss des § 219 StPO. 45 Daher liegt kein Best<strong>im</strong>men vor.<br />

II. Ergebnis<br />

B hat sich nicht wegen einer Anstiftung zur Falschaussage strafbar gem. §§ 153 I, 26 StGB<br />

gemacht, indem er den St als Zeugen benannte.<br />

F. Strafbarkeit des B gem. §§ 153, 27 I, 13 StGB durch die Benennung des St<br />

als Zeugen und Schweigen während der Vernehmung<br />

I. Objektiver Tatbestand<br />

1.vorsätzliche rechtswidrige Haupttat<br />

Als vorsätzliche rechtswidrige Haupttat liegt die oben geprüfte Falschaussage des St vor.<br />

2. Hilfeleisten (= jede kausale Förderung der Haupttat 46 )<br />

Hier käme eine Förderung der Falschaussage durch Unterlassen, indem B während der<br />

Falschaussage des von ihm benannten Zeugen schwieg, in Betracht. Hierzu müsste das<br />

Unterlassen des B aber einem aktiven Tun gleichgestellt sein. B müsste eine besondere<br />

Rechtspflicht zum Handeln gem. § 13 StGB treffen. Er müsste eine Garantenstellung<br />

innehaben. B hat T als Zeuge einer wahrheitswidrigen Behauptung benannt. Daher kommt<br />

eine Garantenstellung aus Ingerenz in Betracht. Dies ist jedoch umstritten.<br />

Eine Ansicht sieht diese Garantenstellung begründet, da derjenige, der eine Gefahr<br />

geschaffen habe, nach den allgemeinen Grundsätzen dafür verantwortlich ist, den aus dieser<br />

45 Heinrich, JUS 1995, S. 1115 (S. 1117).<br />

46 Joecks, § 27, Rn. 7.<br />

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Gefahr folgenden schädlichen Erfolg abzuwenden, auch wenn er sich dadurch selbst der<br />

Strafverfolgung aussetzt. 47 Danach wäre hier eine Garantenstellung zu bejahen.<br />

Andere lehnen eine Garantenstellung aus Ingerenz in diesen Fällen grundsätzlich ab. Der<br />

Zeuge handle unter eigener Verantwortung; weiterhin sei es für einen Angeklagten<br />

unzumutbar, eine für sich selbst günstige – wenn auch wahrheitswidrige Zeugenaussage<br />

richtig zu stellen. 48 Dieser Ansicht folgend läge hier also keine Garantenstellung vor.<br />

Eine vermittelnde Ansicht verneint grundsätzlich eine Garantenpflicht aus Ingerenz. Nur<br />

wenn der Zeuge in eine prozessunangemessene besondere Gefahr der Falschaussage<br />

gebracht werde, für diese müssen neben der bloßen Benennung weitere Umstände<br />

hinzukommen. 49 Hier sind solche weiteren Umstände nicht ersichtlich. Dieser Ansicht<br />

folgend läge ebenfalls keine Garantenstellung des B vor. Der zweiten Ansicht ist zu folgen, da<br />

den Angeklagten <strong>im</strong> Prozess keine Wahrheitspflicht trifft, er ein Recht zur Lüge hat und<br />

daher keine Interventionspflicht des Angeklagten bestehen kann, auch nicht wenn er den<br />

Zeugen formal benannt hat. Somit ist eine Garantenstellung des B abzulehnen.<br />

IV. Ergebnis<br />

B hat sich durch die Benennung des St als Zeugen und Schweigen während der Vernehmung<br />

keiner Beihilfe zur Falschaussage durch Unterlassen gem. §§ 153 I, 27 I, 13 StGB strafbar<br />

gemacht.<br />

Gesamtergebnis & Konkurrenzen<br />

T hat sich wegen eines Meineides gem. § 154 I StGB strafbar gemacht.<br />

St hat sich wegen einer uneidlichen Falschaussage gem. § 153 StGB strafbar gemacht.<br />

B hat sich wegen einer Urkundenfälschung gem. § 267 I Var. 1 StGB strafbar gemacht und<br />

wegen eines versuchten Betruges gem. § 263 I, II, 22 StGB durch den Kopiervorgang mit<br />

anschließender Verwendung der Kopie. Die Urkundenfälschung und der versuchte Betrug<br />

bilden eine Tateinheit gem. §52 StGB. Weiterhin hat sich B einer versuchten Verleitung zur<br />

Falschaussage gem. §§ 160 I, II, 22 StGB strafbar gemacht. Diese steht zur<br />

Urkundenfälschung und zum versuchten Betrug in Realkonkurrenz gem. § 53 StGB.<br />

Anmerkung zu einer möglichen Strafbarkeit wegen Strafvereitelung:<br />

Eine Strafbarkeit des B wegen Strafvereitelung scheidet schon aus, weil B nur sich selbst der<br />

Strafverfolgung entziehen will. Es liegt schon keine taugliche Vortat vor. Auf § 258 V StGB<br />

kommt es hier insofern nicht an.<br />

Für T und St kommt allerdings eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung in Betracht.<br />

47 RGSt 70, 82.<br />

48 Joecks, Vor § 153 Rn. 11.<br />

49 darstellend Heinrich, JuS 1995, S. 1115 (S. 1118ff.).<br />

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Literaturhinweis zur Vertiefung:<br />

Geppert, Klaus Grundfragen der Aussagedelikte, in JURA 2002, S. 173 – 181.<br />

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