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Zeitpolitisches Magazin - Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik

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NEUE LITERATURDenken sei und sich vom Fremdbezug herbegreife: Verzögerung als der Übergangvom Vorreflexiven zum Reflexiven.„Denken wird zum Nach-Denken, das …sich in der Zeit erstreckt und vor allemein selbstständiges Durch-Denken ist.“(S. 66) Daraus ergibt sich dann das Problem,wie sich in einer „Kontrollgesellschaft“ein solcher Anspruchverwirklichen lasse. „Der Habitus desLebenslangen Lernens, der permanentenWeiterbildung als das Nichtfertigwerdenschlechthin wird zum Lebens- zeitregime“heißt es kritisch (ebd.). Dörpinghausund Uphoff kontrastieren diesengängigen Anspruch mit einer fundiertenKritik, in der sich das Unbehagen unsererEpoche an der Vereinnahmung desLebens durch die Zeit, das heißt durch einengmaschiges Netz infiniter zeitlicherAnsprüche, wiederfindet. Freiheit wirddamit zu einem wichtigen Topos.Dabei wird deutlich, wie sehr es beimLernen auf Zeitkompetenzen ankommt.Schäffter versteht Lernzeit als Übergangszeit.„Die temporale Struktur vonÜbergangszeiten, in denen erst dieBedingungen <strong>für</strong> zukunftsfähigeAnschlussmöglichkeiten geschaffenwerden müssen, unterliegt einem modalphilosophischenSpannungsverhältniszwischen „Potentialität“ und„Possibilität.“ (S. 137). Diese Begriffeweisen auf Ernst Bloch hin und damit aufdie Problematik, wie aus dem Möglichendas tatsächlich Wirksame werden kann.Schäffter postuliert weiter, dass dasmögliche Maß an Bildung einer Personnicht eine von vornherein gesetzte Größeist, sondern dass das Potential, das diesemzugrunde liegt, gesellschaftlich undindividuell erst entwickelt, hergestellt,evoziert werden muss – selbstredenddurch Lernprozesse. In diesem Prozessder permanenten Steigerung des Möglichkeitsrahmensdurch die Lernbedingungenselbst spielen viele Subprozesseeine Rolle, auch das wechselseitige Ineinandergreifenungleichzeitiger Entwicklungenim Subjekt. Diese Vorgängesucht der Autor mit einen systemtheoretischenAnsatz der „Formation Trajectory“auf die Spur zu kommen – einemProzess, der einer „Verzwirnung“ ebenjener vielschichtigen Komponentengleicht, die in sachlicher, sozialer undzeitlicher Hinsicht im Bildungsprozesseine Rolle spielen.Bildung ist stets geprägt von Kontinuitätund Kontingenz, von Dauer und Wandel,von Brüchen und Übergängen. UrsulaPfeiffer unternimmt eine systemtheoretischeKlärung dieser Zusammenhängein Bildungsprozessen auf der Basis derKategorien von Niklas Luhmann. ImAnschluss an Benner werden dann dasPrinzip der Bildsamkeit und die Aufforderungzur Selbsttätigkeit im Horizontzeittheoretischer Reflexion gedeutet.Konstitutiv sei dabei ein „Doppelcharakterder Zeit“ (S. 94), der aus dem Nebeneinandervon Dauer und Wandel sowievon Notwendigkeit und Möglichkeit entstehe,verbunden mit der Frage, wiediese „jenseits einer sich ausschließendenAlternative gedacht werden“ könnten(ebd.). Pfeiffers oben erwähntesModell benennt hierzu Kategorien, mitdenen soziale (Bildungs-)Prozesse imHinblick auf ihre Zeitlichkeit beschriebenwerden können (S. 106).Ohne sich damit gegen die anderen Beiträgeabzugrenzen, wählt Faulstich einenbetont kritisch-pragmatischen Ansatz.Er stellt den Begriff des Handelns insZentrum seiner Theorie, der zugleicheingebunden sei in die Kontinuität vonVergangenheit und Zukunft wie auch geöffnet<strong>für</strong> die Möglichkeiten, die sich imin der Gegenwart konkretisierten (S.76).So brauchten Lernerfolge den rechtenAugenblick und diesem müsse auch inden äußeren Rahmenbedingungen desLehrbetriebes Rechnung getragen werden;mit Copei rekurriert er auf den„fruchtbaren Moment des Bildungsprozesses“(S. 84). Faulstich gelangt so zudem Ergebnis, dass die Entschleunigungaller Tätigkeiten angesagt sei. Wasinzwischen als eine Allerweltsweisheitder Zeit-Diskussion gilt, wird in diesemBeitrag, der sowohl in Richtung abstraktererBildungstheorie als auch in Bezugauf die Institutionen der Bildung anschlussfähigist, hier noch einmal in Bezugauf Bildungsprozesse überzeugendhergeleitet.Mit den Begriffen der Artikulation, Synchronisationund Asynchronisation bietetKathrin Berdelmann Planungs- undReflexionskategorien, die über reinpragmatische Fragen des effektiven Zeitmanagementsin Bildungsprozessen hinausgehen.Auf der Grundlage einerempirischen Untersuchung wendet siesich kritisch gegen allzu einfacheSchlussfolgerungen von den Theoriender Entschleunigung auf die Pädagogik.So könne es nicht einfach darum gehen,die didaktischen Zeitstrukturen an dieEigenzeit des Lernenden anzupassen.Von „produktiver Asynchronisation“ istin diesem Zusammenhang die Rede (S.169). Damit gibt dieser Beitrag wichtigeImpulse <strong>für</strong> die dringend notwendigeDifferenzierung bei der Umsetzung vielerinzwischen weithin etablierter zeitpolitischerNormen.Ich habe dieses Buch mit großem Gewinngelesen. Allerdings: Es eignet sich nicht<strong>für</strong> den Nachttisch oder die langen Winterabende,sondern ist – erfreulicherweisemal wieder – ein wissenschaftlichanspruchsvolles Werk zum Thema Zeit.Man sollte sich unbedingt damit weiterbeschäftigen – vielleicht auch auf einerder kommenden Jahrestagungen derDGfZP?JÜRGEN P. RINDERSPACHER40 ZPM NR. 23, DEZEMBER 2013

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