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SFT 5/84 - Science Fiction Times

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4<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> <strong>Times</strong> 5/<strong>84</strong>ZWEI ESSAYSNEUELANDBESCHREIBUNGENDER HÖLLEZugegeben, die <strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> ist einhoffnungsloser Fall; aber einer mit Ausnahmen,wie Lem, der selber eine derbedeutendsten ist, zurecht bemerkt hat.Gerade seine Bücher belegen, daß dieModelle der <strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> weit mehrals andere Modelle der Trivialliteraturgeeignet sind, in der Hochliteratur mitGewinn eingesetzt zu werden. Das Phänomen<strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong> verdient Interesse,nicht so sehr wegen seiner schonvorgelegten Produktionen (die sind inder Tat zum allergrößten Teil schlichtindiskutabel), wohl aber wegen seinerMöglichkeiten, deren wichtigste ichdarin sehe, menschliche Entwicklungslinienauf die konsequenteste Weise zuEnde zu denken. Diese Möglichkeit der(vor allem negativen) Utopie hat ja auchimmer wieder bedeutende Autoren derHochliteratur fasziniert. Man denke nuran Huxleys „Schöne neue Welt“, an Orwells„19<strong>84</strong>“ oder an „ Die Gelehrtenrepublik“von Arno Schmidt.Inzwischen sind jedoch die Schreckensvisionenwohlfeile Massenware geworden,entartet zu einem leeren Spiel,wenn auch ausgehend von einer nichtleeren Prämisse, die aber durch denpermanenten gedankenlosen Raubbau,der damit getrieben wird, längst zu einemweiteren <strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong>-Klischeeerstarrt ist: „new maps of hell“. Das istnicht verwunderlich; denn das Glück istbanal und ergo nicht literaturfähig, nichteinmal in der Trivialliteratur; und darumwird beim Happyend (nicht nur im Kino)eben meistens abgeblend‘ …Daß diesem so delikaten Thema auchliterarisch noch überraschende Seitenabzugewinnen sind, zeigt uns (ausgerechnet!)ein <strong>Science</strong> <strong>Fiction</strong>-Autor, undnicht einmal einer von den literaturambitionierten,sondern einer, der das Schreibenals solides Handwerk betreibt. Ichspreche von Herbert W. Franke. Von ihmstammt eines der radikalsten und konsequentestenBücher, die je über das Glückgeschrieben worden sind! Die Rede istvon DER ORCHIDEENKÄFIG*. DiesesBuch sollte zur Pflichtlektüre jedesSozialutopisten gehören, führt es dochdie menschenfreundliche Idee des größtenGlücks der größten Zahl auf brillanteWeise und ganz unpolemisch ad absurdum.Die Geschichte ist angesiedelt aufeinem unendlich fernen Planeten in einernicht minder fernen Zukunft. EinigeMenschen geraten (wenn auch nichtdirekt leiblich, so doch mit dorthin projiziertenund materialisierten Pseudokörpern)im Zuge einer Art Abenteuer-Safari in eine Stadt, in der Wesen einerhochentwickelten Zivilisation gelebtzu haben scheinen. Man beginnt schonbald, sich nach Art verwöhnter Kinderzu amüsieren, sprich, die vorhandenenGebäude und Einrichtungen mutwilligzu zerstören; und dabei gerät man überraschenddoch noch in Kontakt mit denBewohnern des Planeten, das heißt mitihren Sachwaltern, den Robotern.Tief unter der Erde leben sie, perfektabgeschirmt und versorgt durch einesich selbst reproduzierende Maschinerie.Sie haben den Weg zum vollkommenenGlück, zum vollkommenen Frieden undzur vollkommenen Sicherheit gefunden,wie der Roboter versichert, der die unerwünschtenEindringlinge schließlichdoch zu einer Audienz bei den Herrendes Planeten geleitet. Was sie schließlichin einem feuchten unterirdischen Korridorvorfinden, sind rosarote, fleischige,vielfach zerlappte Gebilde, die in einemGeflecht aus Leitungen, Drähten, Reflektoren,Fäden und Plastikhüllen stecken.Der begleitende Roboter stellt diese Gebildeals „Menschen“ vor; und dann entwickeltsich ein äußerst lapidarer, aberbezeichnender Dialog:„…Sie können sich nicht bewegen, stellteAl fest.Wozu sollten sie sich bewegen?*)Herbert W. Franke: „Der Orchideenkäfig“,2. Aufl., München: Goldmann 1982Wo sind ihre Knochen?Sie brauchen keine Knochen.Und ihre Arme und Beine?Sie brauchen weder Arme noch Beine.Ihre Augen und Ohren?Sie brauchen keine Sinnesorgane.…Und was sind das für Fäden?Mit ihnen erzeugen wir angenehmeVorstellungen. Ruhe, Zufriedenheit,Glück – und anderes, wofür ihr keineWorte habt.Denken sie nicht?Wozu sollten sie denken?Glück kommt nur durch das Gefühl.Alles andere stört.Wie vermehren sie sich?Sie brauchen sich nicht zu vermehren,denn sie sterben doch nicht.Können sie sich mit uns verständigen?Sie brauchen sich nicht zu verständigen– mit niemand.“Und damit ist das logische Ende desDialogs erreicht, die Neugierigen ziehensich zurück, konsterniert, aber auchnachdenklich. Das also ist das Paradies,das Nirwana, das Alles und das Nichts– ein violett durchdampfter, feuchter,unterirdischer Korridor ... Das wahrhaftGrandiose an dieser Konzeption ist, daßman am Ende nicht unbedingt sicher seinkann, ob es sich hier um die die endlicheVerwirklichung des Traums vomParadies handelt oder bloß um eine neueVersion der Hölle. (Der nur scheinbareUnbegriff eines „ausbruchssicheren Paradieses“fallt einem dabei ein.) Abersind am Ende nicht Himmel und Höllenur zwei Seiten derselben Münze? – Undje mehr wir dem einen zustreben, destomehr nähern wir uns zugleich dem anderenan. Das ist die Tragik aller Utopienvon Platons grotesker Staats-Vergötzungbis hin zum real existierenden Sozialismus.Es ist jedoch mehr als die Idee desParadieses auf Erden, die Franke problematisiert,es ist nicht minder zugleichauch die Idee des vollendeten Glücks alsletztes Ziel individueller Existenz, dieda ad absurdum geführt wird . Man mußdurchaus kein Puritaner sein, um Glück

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