8Benjamin Britten: „Four Sea Interludes“Eine Kindheit mit MeeresblickDie salzige Luft, die rauschende Brandung, diegellenden Schreie der Möwen, der heulendeWind – das waren die prägenden Sinneseindrücke,die Benjamin Britten schon in frühesterKindheit empfing. Sein Elternhaus in Lowestoft,der östlichsten Stadt Großbritanniens, wo er vorgenau hundert Jahren, am 22. November 1913,als Sohn eines Zahnarztes zur Welt kam, lag inder Kirkley Cliff Road, in unmittelbarer Nähedes Strands, mit Blick auf das Meer. Wenn derkleine Benjamin aus dem Fenster sah, konnte ervor allem in der dunkleren Jahreszeit die Naturgewaltenhautnah miterleben, etwa „die wildenStürme, die oftmals Schiffe an unsere Küstewarfen und ganze Strecken der benachbartenKlippen wegrissen“, wie sich Britten 1945 erinnerte.Der weit gestreckte Landstrich an derrauen britischen Nordsee, die Grafschaft Suffolk,war ihm mehr als Heimat: Sie bildete einunverzichtbares Fundament seines Lebens.„Suffolk mit seiner welligen trauten Landschaft,seinen herrlichen gotischen Kirchen, hoch und eng,mit seinen Marschen, seinen wilden Wasservögeln,seinen großen Häfen, seinen kleinenFischerdörfern. Ich bin ganz und gar in dieserwunderbaren Grafschaft verwurzelt. Und icherfuhr es an mir selbst, als ich einst versuchte,woanders zu leben.“Die einschneidende Selbsterfahrung, von derBritten sprach, sammelte er Anfang der vierzigerJahre. Am 29. April 1939 hatte er gemeinsammit seinem künftigen Lebenspartner, demTenor Peter Pears, in Southampton einen Ozeandampferbestiegen, um in der Neuen Welt seinGlück zu versuchen. Als eingefleischter Pazifistwar er tief beunruhigt über die politische Situationin Europa, die unausweichlich auf einenneuen Krieg zulief; als sensibler Künstler fühlteer sich obendrein verletzt von einigen Kritiken,die ihm zwar eine meisterhafte Beherrschungdes kompositorischen Handwerks attestierten,zugleich aber bemängelten, dassseine Musik zu brillant sei und geistiger Tiefeentbehre. Seine Hoffnungen, die er mit demfreiwilligen Exil in den USA verband, solltensich indes bald zerschlagen, denn einerseits littBritten fürchterlich unter Heimweh, und andererseitsfühlte er sich auch vom gesellschaftlichenKlima in den Vereinigten Staaten abgestoßen.Schon im April 1940 schrieb er an seinenSchwager: „Dieses Land ist genauso korrupt wiedie Alte Welt, doch hat es nur wenig von derenCharme. Wie hier schon im letzten Krieg gegenPazifisten vorgegangen wurde, ist unvorstellbar,und es hat seither jede Menge Beispielevon Massenhysterie gegeben, etwa die Aktionendes Ku-Klux-Klan, die Pogrome gegen Schwarze,usw. Jeder nur annähernd liberale Menschwird hier als Kommunist bezeichnet und entsprechendbehandelt.“ Zwei Jahre später zogBritten die Reißleine und entschied sich dafür,in das kriegsgeplagte Großbritannien zurückzukehren– die Sehnsucht nach der Heimat hatteüber alle Sorgen und Zweifel gesiegt.Außerhalb der MengeEs war die Lektüre des britischen Dichters GeorgeCrabbe (1754–1832), die Britten während seineramerikanischen Jahre Trost gespendet hatte.In Crabbes Œuvre, das der Grafschaft Suffolkeine prominente Rolle zuweist, stieß er auf dieVerserzählung „The Borough“ (Die Gemeinde),
Peter Pears als Peter Grimes (Uraufführung am Sadler’s Wells Theater, 1945)9