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subtitel. Berlinale 04 - Teresa Urban

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»Die Übelkeit kommt mit einer Weintraube«»Die Übelkeit kommt mit einer Weintraube«26Persönliche Wunschvorstellung. Um ehrlich zu sein: Ich war schonbeim Lesen der Kurzbeschreibung bitter enttäuscht. Ich war so gespannteine kolumbianisch-amerikanische Koproduktion auf der <strong>Berlinale</strong> zusehen und schon fast desillusioniert, als ich von der Thematik selbigererfuhr. Ich weiß, dass dies zu keiner fairen Kritik oder zu keinem berechtigtenVorwurf dieses Films werden kann … aber nichtsdestotrotz.Es geht um Mulas (Maulesel), Menschen, die Kokain in geschlucktenGummipäckchen über die Grenze in die USA schmuggeln. Kolumbien istnach Aussagen des auswärtigen Amtes mit das gefährlichste Land derWelt. Ein Land geprägt von 30 Jahren Bürgerkrieg. Die Geo schreibt von50 Entführungen die Woche und 30 000 Gewaltmorden im Jahr. Ich wollteetwas über die FARC sehen. Die ultrarechten Paramilitärs. Die irrsinnigeGewalt in den Städten und die Massaker auf dem Land. Eben genauüber die Dinge, über welche hier nie berichtet wird. Und statt dessen istder Film über den Kokainschmuggel. Ein sicherlich nicht unrelevantesThema gerade in Verbindung mit dem von den USA angestrebten PlanColombia. Aber auch dieser wird nicht erwähnt. Der Drogenschmuggelpasst nur einfach zu gut in das bestehende Bild seit der Zeit Escobars.Eben in dieses krasse, romantisierte, glamourbeladene Bild eines Paten,nachdem sich dann schlechte Bands benennen, durch dessen Brutalitätaber Tausende von Menschen ermordet wurde. Escobar ist seit fast zehnJahren tot. Die großen Kartelle sind zerschlagen. Und an den Grenzenbetreiben die Guerilla wie die Paramilitärs den Drogenhandel, um ihrenKrieg zu finanzieren.Die Folgen eben dieser Zeit hatte der amerikanische Regisseur BarbettSchroeder in »La virgen de los sicerios« thematisiert: Die Sicarios, meistauf der Straße lebende Killer, in einer Gesellschaft am Rande des Chaos,in der ein Menschenleben im Kampf ums Überleben nicht mehr vielbedeutete. In Kolumbien sorgte der Film für einen riesigen Skandal, da erin seiner Brutalität das Bild suggerierte, man könne dort kaum über dieStraße ohne erschossen zu werden. Obgleich esall das gab, waren diese Vorwürfe durchausgerechtfertigt. Kolumbiens Vorzeigeregisseur istVictor Gaviria, dessen Filme Rodrigo D.: Nofuturo 1990 und La vendedora de las rosas1998 in Cannes gezeigt wurde. Dieser veranschaulichtedie klassische Geschichte einesStraßenkindes, die Armut und die Bandenkriminalitätin Medellin in Anlehnung an HansChristian Andersens Märchen »Das kleineMädchen mit den Schwefelhölzern«. Der mitLaien gedrehte Film stellte ungefähr das kolumbianischePendant zu »Wir Kinder vom BahnhofZoo« dar. Ich persönlich empfand »La vendedorade las rosas« an den falschen Stellen zu romantisierendund mit Pathos aufgeladen.»Maria llena eres de Gracia« ist abgesehen vonseinem dämlichen Titel sicherlich ein durchwegguter Film. Es gibt eine Art verborgene Schlüsselszenein diesem Film: Maria, die nach demTransport bei der Schwester einer anderen Mulauntergekommen ist, fragt diese, warum sie nienach Kolumbien zurückgekehrt ist. Sie antwortet,dass es für ihr Kind besser sei und zwar »porla situación en colombia«. Kolumbianer sprechenimmer nur von der »situación« wenn sievon der politischen Lage ihres Landes reden.Und zwar weil mit diesem einfachen Ausdruckein ganzer zusammenhängender Themenkomplexgemeint ist, bei welchem nicht mehrdifferenziert werden muss, was nun genaugemeint ist: der Krieg zwischen Guerilla,Paramilitärs und Armee, der Narkoterrorismus,die Armut, die Kriminalität und die Gewalt, dieKorruption oder die wirtschaftlich miserableLage – scheint es doch so oder so hoffnungslos.Maria weiß, was mit der Situation gemeint ist.Ich weiß es auch. Aber nicht jeder Zuschauer.Maria arbeitete in einer Blumenplantage, bis siekündigte und da sie ihr weniges verdientes Geldmit ihrer schwangeren Schwester und ihrerMutter teilen muss, entschließt sie sich, alsDrogenkurier zu arbeiten. Maria kommt auseinem Dorf, nicht aus einem Elendsviertel. Mankönnte dem Film jetzt zu Gute halten, dass erauf Stereotypen des kolumbianischen Elendsverzichtet. Aber eben diese Blumenplantagensind bekannt dafür, dass die Arbeiter dort nichtnur ausgebeutet werden, sondern auch ohneSchutzanzüge arbeiten müssen und somit durchEinsatz von Pestiziden vergiftet werden. Und ineben diesen Dörfern in der Savanne am Randeder großen Städte finden Massaker von Milizen,der Guerilla oder Drogenhändlern statt. Auchdas zeigt der Film nicht.Verstehen sie mich nicht falsch. Es geht hier umFilm und um die politische Macht und Kraft, dieFilm haben kann. Es geht um mehr als nurÖffentlichkeitsarbeit oder um »ein Bewusstmachen«.Ich weiß, dass ich einem Film ausKolumbien nicht vorwerfen kann, dessen explizitestepolitische Probleme zu thematisieren. Ich weiß, dass ich einemkolumbianischen Regisseur auch nicht vorwerfen kann, keinen kritischenFilm über die FARC oder die Paramilitärs zu machen, da dieser dann mitganz anderen persönlichen Problemen konfrontiert sein wird. Aber ichweiß um die politische Kraft die Filme haben können, die Filme wie »Inthis world« oder »Osama« haben. Filme, die den Blick auf unsere Welt verändern.Und ich hatte mir einen Film gewünscht, der es schafft, hier denBlick auf all die in Deutschland lebenden Kolumbianer zu ändern, derenLeben tatsächlich aus politischen Gründen in der Heimat bedroht ist, dieaber trotzdem kein Asyl bekommen. Für diejenigen, die genau deshalbhier in dem absolut unakzeptablen Zustand der Duldung leben müssen.Für diejenigen, die in Deutschland nicht arbeiten dürfen, hier aber bleibenmüssen, weil die Lufthansa nicht mehr nach Kolumbien fliegt und siedaher nicht abgeschoben werden können.Am Ende entschließt sich die schwangere Maria, nicht nach Kolumbienzurück zu fliegen, sondern als Illegale in den USA zu bleiben. Sie wirdwahrscheinlich als Näherin zum Mindestlohn oder als Hausmädchenarbeiten. Es ist ein Happy Ending. Und vielleicht schafft es »Maria llenaeres de Gracia«, dann doch den Blick auf illegale Immigranten zu ändern.Indem man an die Geschichten denkt, die sich hinter diesen Gesichternverbergen, wenn man ihnen auf der Straße begegnet. Kino kann dasnämlich. Und man mag mir jetzt den Vorwurf der Naivität machen, daFilme wie diese nur in Programmkinos laufen. Und meist nur Menscheneben diese Filme sehen, denen man das nicht mehr erzählen muss. Aberdie Hoffnung stirbt ja meistens leider zuletzt. J . W. H .27

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