»Das hier ist echt!«»Das hier ist echt!«72zu: »Freedom2Speak V2.0« / M. Schmidt, C. Gampl, B. Kramer, M. Meyer, U. Nagel / D 2003Das Schönste am Krieg oder Freiheit macht arm. Während imFebruar 2003 der Irak Krieg kurz vor der Eskalation steht, dokumentiertein Team von fünf Filmemachern die Reaktionen hierzu auf der <strong>Berlinale</strong>.So auch während des Krieges auf den Filmfestspielen in Istanbul undnach dem ausgerufenen Ende des Krieges seitens der USA in Cannes.Diverse Filmschaffende aus aller Welt kommen in Interviews zu Wort.Durchsetzt ist die Doku Collage mit Trennern, die den Verlauf des Weltgeschehenswiedergeben und Kurzfilmen oder Spotsequenzen zum Irakkrieg.Man wollte der Ohmacht etwas entgegensetzten, so der Text. Fragt sichnur welcher Ohnmacht in Anbetracht des Films. Überraschend zeigt sich,das kaum jemand zur <strong>Berlinale</strong> 2003 über oberflächliche, banale Aussagehinauskommt. An den Stellen, wo es dann mal interessant werden könnte,hören die Interviews auf. Stattdessen sieht man jeden noch so kurzenAuftritt von Georg Clooney und Dustin Hoffman, die man auf Grund desvermeintlichen Skandals im Fernsehen andauernd gesehen und heuteimmer noch auswendig mitsprechen kann. Hinzu kommt, dass sie imGrunde nichts anderes sagen als »ich bin dagegen.« Daran ändert sichauch nichts in Istanbul oder Cannes. Gelegentlich wird man ein wenigzynisch, wenn bspw. ein Cutter erzählt, wie schlecht inszeniert undgeschnitten doch die Bilder vom Fall der Saddamstatue waren. DieSinnlosigkeit des Filmes offenbart sich bereits nach 15 Minuten, wasnicht den befragten anzukreiden ist, sondern in der ideenlosenHerangehensweise der Macher von »Freedom2Speak« begründet ist.Aneinander geschnitten wirkt es fast grotesk, wenn belanglose Reflexionauf Filmfestivals auf reißerisch inszenierte Fakten über den Krieg aufBildzeitungsniveau treffen. Ferner habe ich die Wirklichkeit in einemDokumentarfilm selten erlebt. Die Kurzfilme machen alles noch vielschlimmer, schwanken sie meistens nur zwischen Stammtischphrasen,plumpen Antiamerikanismus und Geschmacklosigkeit.Außerhalb eines Festivals verfolgen wir plötzlich irgendwo im BerlinerSommer ein Gespräch zwischen Volker Schlöndorff und Gerd Conradt.Schlöndorff argumentiert die deutsche bzw. die gesamte internationaleProtestbewegung sei sinnlos, da es sich hierbei ausschließlich um einProblem der USA handle und eben nur dort gegen diesen Krieg demonstriertwerden solle. Wie hahnebüchen diese Herleitung, das gesamteArgument auch sein mag, so unnötig ist es doch auch eine solche Szenezu verwenden, widerspricht sie doch auch dem Festivalkonzept. Dient siedoch ausschließlich der Stigmatisierung Schlöndorffs. Will man uns hiersagen, man solle seine Filme von nun an boykottieren, vertritt er dochdie falsche Meinung? Und auf eben einer solchen unsympathischen Artund Weise skizziert »Freedom2Speak« diese eine Sichtweise: nämlich die»einzig Richtige«. Behauptet dies zumindest. Und wird damit zu einer Artreißerischem politischen Boulevardjournalismus in der A- F i l m f e s t i v a l w e l t .Die »Bild« unter den Filmemachern. Produkt der Blumfeld/Roger Behrensschen›Diktatur der Angepassten‹.Gerd Conradt hat auch einen dieser Spotsequenzen. Gerd Conradt hatmeiner Meinung nach mit Die rote Fahne 1968 einen der besten Polit/Agitprop Filme gemacht, die damals an der dffb entstanden. Und ja ichmag diesen Menschen sehr. Die rote Fahne war wild und Ausdruckemphatischer Energie. Aber hier steht er nur ganz hippieesk vor einemalten Baum und umarmt diesen, angesichts dessen, was dieser Baumschon so alles gesehen haben mag. Im Umschnitt steht er ganz ohnmächtigvor einem Rosinenbomber und fordert eben diese: »Rosinenbomber!Das ist es doch was wir brauchen! Rosinenbomber!«. Nein, nein.Ein Statement allein heiligt nicht den Film. Und politischer Film ist etwasanderes. Wenn Conradts melodramatischer Blick auch auf echter Verzweiflungberuht und eine Ausnahme darstellt, fragt es sich doch:Welcher Ohmacht wollte man denn entgegen treten, findet man doch hierkeine selbstkritische Reflexion, sondern nur Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeitgegenüber dem eigenen Privileg?Es ist genau das was »Freedom2Speak V 2.0« darstellt. Ein unreflektiertesAnbiedern an einen pseudo linken Mainstream.Wenn schon, wie aufgeführt wird, die Mehrheit gegen den Krieg ist, dannist ein Film, der nichts weiter sagt, als »Krieg ist doof« und »Georg W.Bush ist doof« genau so unnötig wie »Schill raus« Plakate nach der letztenHamburg Wahl. Schlimmer noch. Es ist ein populistischer Film, dereine stumpfe Absolution erteilt, indem er behauptet, man wäre mit jedernoch so belanglosen Aussage, Hauptsache sie sei gegen den Krieg, auf derrichtigen Seite. Es ist diese Art an albernem politischen Geschwätz, dasseinen dummen unreflektierten Antiamerikanismus und eine ebenso gestörte,vermeintlich linke Renationalisierung Deutschlands nährt. Mankönnte schon fast meinen, »Freedom2Speak« zeigt ungewollt den sichentpolitisierenden Moment einer sich kurzzeitig politisierenden Mehrheit,der sich in seiner Belanglosigkeit und Selbstgenügsamkeit (vom Ursprung,dem Widerstand und der Absicht weit entfernt,) in sich selbst auflöst.Es sollte sich aber alles noch nach dem Film erklären, als Markus C.M.Schmidt, Brigitte Kramer, Christoph Gampl, Marc Meyer und Uwe Nagelden Saal betreten, um Rede und Antwort zu stehen.Ich frage nach: »Manipulation durch Montage seitens der USA wurdeeinerseits in den Statements thematisiert und kritisiert, gleichzeitig wirddiese wiederum sichtbar in den Kurzfilmen als Stilmittel eingesetzt. Inwiefernwurde nun bei der Montage der Statements, also der Auswahl,unsichtbar selektiert und damit manipuliert?« Meine Frage wird wederauf Englisch noch auf Deutsch verstanden. Ich bekomme vom EditorMarkus C. M. Schmidt nur ein »Montage ist immer Manipulation« zuhören. Kurzes gegenseitiges auf die Schulter klopfen, dann die wohlwollendenFrage: »Warum nur so wenig Georg Clooney und Dustin Hoffman?«Brigitte Kramer entschuldigt sich, man habe ja nur normale Akkreditierunggehabt, da wäre es nicht möglich gewesen, extra Interviews zubekommen. Was ich persönlich für einen Film im Panorama der <strong>Berlinale</strong>als Entschuldigung für nicht akzeptabel halte. Und dann: Marc Mayerspricht weiter und verrät endlich genau das, was ich die ganze Zeit hörenwollte: »Natürlich war es eben wichtig diese in den Vordergrund zu stellen.Die Schönen und Berühmten. Weil sie sexy sind. Und Sex sells. …«Und damit erklärt sich alles, was man durch die Handschrift der Filmemacherdurch den Film transportiert bekam. Sie selbst sichtlich erfreutund stolz auf ihr Werk vor dem Publikum und unausgesprochen steht imRaum: »Das Schönste an diesem Krieg war doch, dass wir diesen Filmmachen konnten und heute hier sind.«Ich verlasse augenblicklich den Saal, um mich sehr entspannend einemSchreikrampf hinzugeben.J.W.H.73
»Ihre Antwort dehnt den Augenblick«74»Ihre Antwort dehnt den Augenblick«B-HappyRegie: Gonzalo JustinianoChile/Spanien/Venezuela 2003Wunderbare Leichtigkeit. Südliche Farben,staubige Straßen, ein schmieriger Lastwagenfahrer.In seinem Laden hebt die Mutter ihrKleid, die Tochter weiß sich ihm zu wehren.Katti ist ein junges Mädchen, und ihre Augenhaben bereits die Härte des Lebens gesehen. IhrVater ist nur kurze Zeit aus dem Gefängnis undwieder auf der Flucht und auch ihr BruderDanilo und ihre Mutter lassen sie allein zurück.Chemo und Katti begegnen sich in der Schuleund auf dem Weg sprechen sie die ersten Wortemiteinander. Ihr flüchtiger Abschied kennt dasWiedersehen.In ihrem Zimmer bewegen sie sich aufeinanderzu. Sein Moment des Innehaltens und Kattisbestimmende Worte »Zieh dich aus«. Seine fragendeund dann schnellere Bewegung desEntkleidens. Ihre Antwort dehnt den Augenblick.Sonnenstrahlen tauchen sie in ein Licht,umschmiegen ihren Körper und schenken eineFotografie, deren Schönheit berührt. Die Kameradeutet ihre Umarmung nur an, sie verweilt nicht.Sie findet einen Raum für das eigentliche Kleid,das erste Mal. Es ist ihr Mann und ihr Augenblickund wir erleben die Leichtigkeit, die ihrnatürliches Wesen zeichnet.Kattis Suche nach ihrem verschwundenen Vaterwird zu einer Reise der Begegnungen. MitSehnsucht in der Stimme hatte er ihr von einerHafenstadt erzählt. Anfang und Ende von »B-Happy« wiederholen die wie ein Gedicht gesprochenenWorte: Ich habe keine Angst, nichtvor dem Wind, nicht vor den Zigeunerinnen …Gonzalo Justinianos Film und Manuela Martellimachen nachdenklich-glücklich und bald süchtignach einem Wiedersehen.W.B.Jenseits der Kulissenhaut. Eine Szene ineinem verlassenen Haus. Die Katze schleichtdurch die leeren Räume. Nur Katti und Chemo.Der Wind spielt zaghaft an den Fensterläden.Sie quietschen. Bestimmt aber sanft befiehlt sieihm, sich auszuziehen. Sie sind Schulfreunde.Sitzen nebeneinander in der Klasse. Zögerndstreift er seinen Pullover ab, dann das Hemd,die Hose – Kattis Gesicht blinzelt vor Neugierde.Sie muss ungefähr 13 oder 14 sein, nicht älter.In Windeseile hat sie sich ausgezogen. Nackt.Kindlich. Erotisch steht sie vor ihm, fragt, obihm gefällt was er sieht. Gleich einer Katze klettertsie zu ihm aufs Bett. Ihr Körper ist fest,klein und stark. Ihre honigbraune Haut leuchtetim zaghaften Licht. Man kann sich eine Katze,einen Hund oder seine Freunde aussuchen, aberseinen Vater, seine Familie, die kann man nichtwählen. Katti bestimmt Chemo zu ihrem erstenLiebhaber, weil man sagt, dass man das ersteMal nicht vergisst. Als könnte sie ihn in ihreErinnerung brennen – da in diesem nacktenund warmen Augenblick. Als könnte sie diesevon ihr erwählte Erinnerung über die anderenErinnerungen legen, sie erstummen lassen.Es gibt jene Momente im Kino, in denen dieKamera unseren Blick direkt da auf der nacktenHaut ablegt. Momente, in denen wir zuschauendürfen, wenn das Paar sich liebt. In denen wirzwischen den Finger hindurch luken, wennDemütigung und Erniedrigung einsetzt. Peinlichkeit.Scham. Nacktheit als Entblößung. Alsverführerischer Moment. Als Spiel. Nacktheitals Natürlichkeit. Als Peinigung. Strafe. AlsWaffe. Das Gesicht der Nacktheit weiß einevielfältige Mimik.Wenn Katti sich vor Chemo entkleidet, ist siemit sich angezogener denn je. Es ist dieser insich nackte Moment, in dem es nicht um ihreEntblößtheit als solche geht. Nicht um das Spielder Liebenden. Nicht um Verführung. Vielmehrist es der Augenblick, in dem sie sich das ersteMal offenbart, das erste Mal nach dem greift,was sie allein will. Das diese erste ÖffnungKattis mit dem Moment ihres ersten Malszusammenfällt, untermalt die Bewusstheit diesesfilmischen Augenblicks. Wenn Katti ihreKleider ablegt, streift sie auch ihre Kindhaftigkeitvon sich. Kattis honigbraune Haut wird zurProjektionsfläche einer Selbstbestimmung.Wird zum Gewand ihrer Mutes, sich das eigeneLeben anzueignen. Das eigene Leben da in demverlassenen Haus in den Bergen Chiles. Wenndie Kamera rechtzeitig das Liebespaar verlässtund weiter an diesem coming-of-age Poemdichtet, wird deutlich, dass sich das. was unsder Film »B-Happy« wirklich erzählen möchte,jenseits dieser Kulissenhaut bewegt. S.R.75