»Die Musik ist aus.«8»Die Musik ist aus.«Die Nacht singt ihre LiederRegie: Romuald KarmakarDeutschland 2003Absurdes Theater. Man stelle sich einen Steinvor der in einem weiten Bogen über einenAbgrund geworfen wird. Nachdem er den höchstenPunkt dieser Kurve erreicht hat, wird erunweigerlich nach unten gezogen. Die Beziehungvon ihr und ihm ist dieser Stein, der sichschon unumkehrbar im freien Fall über demAbgrund befindet. »Ich halt das nicht mehraus.« Eigentlich hört man den Stein dieserBeziehung schon vom ersten Satz an tief untenaufdonnern und zerschellen. Aber am höchstenPunkt der Kurve friert die Bewegung ein. Inabsurden Diskussionen drehen sich die beidenan diesem ›point of no return‹ umeinander, ohneje wieder zueinander zu finden.Die Haltung der Zuschauer beschreibt auch eineKurve, die allerdings anders als die der Handlungverläuft: Anfangs steigt die Verärgerungüber die hölzernen Darsteller rapide an. Aufdem Höhepunkt steht plötzlich die Erkenntnis,dass gerade das Absurde zum Prinzip des Filmsgehört. Danach fällt die Spannungskurve ab,denn nun hat man die Vorzeichen im Kopfu m g e kehrt: Man erwartet von den Protagonistenkein sinnvolles Handeln mehr – das Absurde istzum organisierenden Prinzip geworden. Besondersgrotesk-bedrückende Blüten des Wa h n s i n n squittiert man mit einem höhnischen Lachen.Ich fühle mich wie eine Patientin, der man denPuls künstlich herunterfährt, bis jenseits desNullpunkts. Anfangs rebelliere ich noch gegendie Beziehungshölle (à la »Warum verlässt sieihn nicht auf der Stelle!?«), zuletzt empfinde ichgar nichts mehr – außer einer grausamen Genugtuungdarüber, dass alles nur noch absurderwird. Klar, sie holt mitten in der Nacht ihrenGeliebten namens »Baste« – im Kinosaal erhebtsich brüllendes Gelächter. Als würden wir unsfür einen Moment noch einmal dem Absurdenentwinden wollen. So wie wir die Emotionennicht mehr an uns heranlassen, so perlen imFilm Regentropfen von Scheiben ab. Ohnmächtigstarrt sie sie von Innen an – ohne je weinen zukönnen. Der Damm bricht erst, als es zu spät ist.Als der Stein der Beziehung endlich aufgeplumpstist: Er ist vom Balkon gesprungen. Sieschaut vom Balkon hinunter auf seinen Körper,geht wieder rein, dreht ihr Gesicht in die Kamera.Man hört sie atmen. Dann endlich läuft eineTräne über ihre linke Wange. Sie schlägt ihreAugen nieder, cut.Auch für den Zuschauer kommt diese Menschwerdungzu spät. Seine Kurve ist schon langeunten angekommen – gefühllos schluckt manden Selbstmord als letzte Schraubdrehung indiesem absurden Spiel.L.H.Musik im Film. Folter der Monotonie. Terror des Stillstands. SeelischesVakuum. Die ewige Wiederholung subtiler oder offensichtlicher Grausamkeitenergibt schon fast einen Beat. Ausgehen als Flucht. »Ich mussmal raus. Weggehen. Mal jemand Anderen sehen. Das wirst du doch verstehen.Das verstehst du doch, oder?« Und noch mal. Und noch mal. Undnoch mal. Das Sprachsample stoppt. Break: Tür auf. Tür zu. Abgang vonder Bühne. Die Musik setzt ein.Draußen: Mitte. Cooky´s. Kompakt. Michael Mayer. House. Auf Housetanzen. House ist das, was Adorno wohl somatische Stimulanz nennenwürde. Die Sehnsucht nach Erlösung ist das treibende Gefühl fast allerpostmoderner Tanzmusik. Das Hoffen auf Erlösung schafft Distanz zumdiesseitigen Leben. Das Jenseits der Erlösung bleibt undeutlich – es gehtum den Zustand zwischen Spannung und Erlösung. Erlösung ist alsBegriff eng mit Religion verbunden, als lockender Gegenpol zur Schuld.House transformiert die metaphysische Qualität der Erlösung. Niemandwird im Club von einer Schuld erlöst werden, die Erlösung wie auch dieaufgebaute Spannung werden von House gemacht. Über lange, monotoneRhythmuspassagen, mit spärlichen Samples verziert, immer wiederunterbrochen wird eine Spannung aufgebaut, die eine diffuse Erregungbewirkt. Der Begriff der Erlösung muss daher auch im sexuellen Sinneverstanden werden. Ganz Körper sein, schwitzen und Reibung erzeugen,meint die Erlösung im Orgasmus. Beim Tanzen ganz bei sich selbst sein.House wird zur kollektiven Masturbation. Die orgiastische Erlösung findetdirekt auf der Tanzfläche statt (vgl. Poschardt DJ Culture).Die Musik ist aus. Wieder auf die Bühne der Wirklichkeit heimkehren.House ist ein Erlösungssurrogat. Die Wirklichkeit ist ein Loop langen,monotonen Stillstands, verziert durch die Unkenntnis der Selbstverschuldungund gelegentlich unterbrochen von verbaler, seelischer Grausamkeit.Die Spannung baut sich in kleinen Funken der Hoffnungen aufÄnderung auf, um dann doch im Stillstand zu erlöschen.Der Körper als letztes Hindernis zur Auflösung des Selbst. Masturbationam eigenen Leid mittels Schleifpapier, führt doch nicht zur Befriedigung.Sie haben nur sich und damit keine Chance auf Glück oder Erlösungverdient.J.W.H.9
»Dreifache Rückblende«»Dreifache Rückblende«Hard Luck HeroRegie: SabuJapan 200310Yuppies und Yakuza. Ein häufiger Eindrucknach dem Kino ist das etwas hilflose »ja … und?«.Da gab es eine Geschichte, technische Finessen,dramaturgische Kniffe und das alles hat nichtgereicht, Sympathie in echte Begeisterung zusteigern. Der auf der <strong>Berlinale</strong> oft gesehene Mixaus überdrehter Komik, ästhetisch inszenierterGewalt und rasanten Fahrten durch Straßenund urbane Schleichwege und ein (oft) moralischesGrundproblem, das in den ruhigerenMomenten zwischen einzelnen Protagonistengelöst werden soll, scheint ein vor allem asiatischesKonzept zum Filme machen sein. WennSabu als Regisseur vor dem Film ein paar publikumswirksameMätzchen macht, wie das Fotomit Publikum und die »persönliche Szene mitviel Herzblut« am Ende des Films ankündigt, istdie Erwartungshaltung vielleicht etwas größer,als bei anderen Filmen.Dann der Plot: wieder einmal Yakuza, zweiYuppies, die zur falschen Zeit am falschen Ortsind und zwei Jungs, die eine Schuld bei derYakuza begleichen müssen. Die dreifache Rückblendeerinnert stark an Tarantino, die Spannung,die durch das Wissen um die Motive derBeteiligten entsteht, bleibt bei den folgendenVerfolgungsjagden an einer überfahrenen rotenAmpel auf der Strecke. Rührend, daß derYakuza-Sohn dann bei 140 km/h noch dieFreundschaft zu seinem mutigen, angeschossenenBegleiter entdeckt!Und für die Auflösung durch den punktgenauenZusammenprall aller Beteiligten an einerKreuzung soll Herzblut geflossen sein oderdoch eher für die langsame Szene mit allenBeteiligten in Gips und einem leeren Bett?S.B.Kreuzungen. Straßen pumpen 24 Stunden am Tag das Blut durch denKörper der Großstadt. Wenn einzelne Partikel des Stroms aufeinanderprallen,beeinträchtigt das nicht den Kreislauf. Asai, Ishii, Ikeyama,Kishimoto, Fujita und Kudo krachen in drei Autos und drei Geschichtenfrontal aufeinander. Sie haben nichts gemein, als die Tatsache, dass alleihre Geschichten wie Planeten um einen Fixstern kreisen. Einen illegalenBoxkampf, der alle mit unterschiedlichen Intentionen zu einem bestimmtenZeitpunkt an einen bestimmten Ort treibt. Die Charaktere sind dabeiKarikaturen, die die Stadt selber zeichnet. Da sind die aufschneiderischenGeschäftsleute in Anzug und mit Aktenkoffer. Auf der anderen Seite diekleinkriminellen Jugendlichen, die es auf eben diesen Koffer abgesehenhaben. Ihre Hosen sind zu groß, ihr schwerer Schmuck nicht echt. Nichtviel besser geht es den Lebenskünstlern, die sich mit Jobs in Imbissendurchschlagen und die auf ihrer Suche nach Geldquellen direkt insKampfgeschehen trudeln. Regisseur Sabu legt eine Muschel ans Ohr derGroßstadt und lässt im Schneckengang das Blut rauschen. Das Haupt dieserStadt ist bedeckt mit einer westlichen Kappe, aber ihre Kleider bleibendoch immer gleich gestrickt. Aus dem Stoff, aus dem die Träumesind, und der nach Abgasen stinkt.K.K.11