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subtitel. Berlinale 04 - Teresa Urban

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»Abbildungsverhältnisse«28Im Gespräch mitHarun FarockiHARUN FAROCKI: Ich habe leider nicht studiert.Aber als Leute in den 60er/70er Jahrendie Filmkritik übernommen haben, die GruppeGansera oder Bitomski, Bühler und ich, wirwaren alle schwer links radikalisiert, hattenaber gleichzeitig das Gefühl, dass der Traditionsbruch, der generell in denpolitischen Gruppen gemacht wurde, völlig haltlos war. Dann wiederhielten wir »Harold & Maud« für den größten Film des Jahrtausends. Oderirgendeinen Fernsehfilm über Fabrikarbeiter. Während wir an allemanderen etwas auszusetzen hatten, was nicht in die Ideologie ging. Beimversuchten Traditionsbruch liegt die Schwierigkeit darin, das, was manwegschmeißt, durch etwas anderes zu ersetzen. Oder dafür eine neueTradition, oder besser: eine neue Begründung zu finden.Diese enge Vorstellung, dass man mit einem Satz von 20 Lebensregelneine Kultur begründet (was '68 so halbwegs gedacht wurde), das istnatürlich entsetzlich, falsche Kahlschlagsidee. Das haben wir ja irgendwiegeahnt, das es so nicht geht. Wir haben so ein bisschen gegen-stilisiertund standen auf den alten kinematographischen Errungenschaften derNouvelle Vague-Zeit; also z.B.: Die besten Filme sind im StudiosystemHollywoods gemacht worden. Bei den Amerikanern hat die Fabel eineMusikalität, die im Einklang mit der Bewegung der Figuren und mit demFluss der story-narration ist. Das schließt etwas ein, was man sehr, sehrschwer benennen kann. Rein konstruktivistisch kann man das nicht fassen.Zu akzeptieren, dass die Oper auch eine gültige Geschichtsbetrachtungist, obwohl der Historiker sagen würde: »Das stimmt nicht,das ist doch viel zu verdichtet«. Wir hatten uns darauf verlegt, diesesÜberkonstruierte des Storyfilms großartig zu finden ist, bestimmteStilisierungen und so. Bei mir ging das so weit, dass ich lange versuchte,nur den Raum zwischen den Figuren kompositorisch zu betrachtenund vollständig von den Charakteren abzusehen.Auch nachdem ich mich lange schon»Abbildungsverhältnisse« daran gewöhnt hatte, sowohl den Schatten desMikros und der Angel als auch ein Stativ imBild zu sehen, trotzdem noch zu sehen, was dortgemacht wurde. Dann gab ich mir als dritten Schritt Mühe, auch dasnicht mehr zu sehen. Wir machten dann Wetten »Das waren 21 Schnitte.«»Nein, nein, das waren 23«. Dann gingen wir wieder ins Kino und zähltennach, und keiner hatte gewonnen.Der Versuch, einen Formalismus an den Tag zu legen und von der Fabelabzusehen, hatte natürlich mit der Ideologiekritik zu tun. So hatte ja auchdie Filmkritik angefangen, dass sie Horkheimer, Adorno und Kracauernachdruckten – als Aufruf. Die wurden sozusagen als Banner hingestellt.Die Ideologiekritik war dann relativ schnell verbraucht. Man entdeckte ineinem Film nur noch das wieder, was man eh schon wusste: »Das entsprichtder folgenden Ideologie und das diese Person so und so handelt,das war dann dieses ideologische Modell und darum ist dieser Film nichtso toll.« Dagegen opponierten wir so stark, dass wir Ideologiekritikunmöglich fanden – was auch wieder nicht zu halten ist. Natürlich giltsie, in den Filmen sind ideologische Konstruktionen. Es stimmt, wennimmer Indianer fliehen und Frauen verhauen werden, dass der Film auseinem Geist des Indianerhauens und Frauenverjagens entspringt. Dasstimmt, das kann man nicht ändern. Nur so ist nicht das letzte Wort überJohn Ford gesprochen.Ich habe es jedenfalls geleugnet. Das hat auch mein Schreiben sehrerschwert. Mein Schreiben war immer eher Vorwort, Behauptung, Einordnungoder so etwas. Ich habe erst sehr viel später gelernt, dass zurIdeologiekritik eine Kenntnis der Ideologie und der Welt gehört – mit sovielen Rastern. Wenn man sich überlegt, was es für andere Konstruk-tionen gibt, in der Ethnographie z.B.: Beziehungen über das Storymomentund -konstruktion, was die alles bedeuten können und in welcherVielfalt die existieren können, dann kann das eine ganz reicheMethode sein.In den frühen 80ern war es dann halbwegs soweit, dass es mir so schien,dass ich auf den gegenwärtigen Film eingehen kann und nicht diese ganzenideologischen Vorgefechte machen musste (»Darüber darf man sonicht reden, um nicht mit dem und der Fraktion ein Bündnis einzugehen«).Das war dann aber auch schon fast des Ende der Zeitschrift.LEA HARTUNG: Würden sie sagen, das Ende der Filmkritik hatte damitzu tun, dass keine Empfehlungen für Filme ausgesprochen wurden?HARUN FAROCKI: Ja, wir haben diese Serviceleistung verweigert. Daslag auch an unserer Tiefenstruktur: Wenn wir einen aktuellen Film besprochenhaben, oder sogar Robert De Niro auf dem Cover hatten, dannhaben wir das Heft bestimmt zu spät ausgeliefert oder kein einziges Stückverkauft. Einmal hatten wir Glück, dass Rohmer vorne drauf war undgerade in Deutschland bekannt wurde, weil er gerade Die Marquise vonO. gemacht hatte. Da verkauften wir mal 100 Stück in einerBuchhandlung am Bahnhof Zoo – das war nur Zufall. Wir haben nie zuden anlaufenden Filmen geschrieben – das ist die Servicefunktion desFeuilleton. Wir setzten auf Autonomie. Nachträglich kann man sagen,dass die deutsche Filmkultur damals nicht stark genug war, um eineAbspaltung zu vertragen. Anders als in Frankreich, wo Traffic existierenkann. Dort schreiben auch ›cahiers‹ Autoren, ohne Bilder, es wird gänzlichauf die Autonomie des Nachdenkens gesetzt. Dafür waren die Kräftenicht da.STEPHAN BÜLOW: Und heute ist es so etwas noch weniger möglich?HARUN FAROCKI: Nein, ich denke mir, dass es heute Autoren gäbe –wie Michael Baute zum Beispiel. Damals kam der Film nur so imDeutschlehrer-Kontext vor: Heinrich Böll, Vergleich zwischen Buch undFilm. Dass der Film ein autonomes Fach geworden ist, mit allenEinflüssen drumrum, das ist erst ganz neu. In Frankreich und den USAgehört Film schon seit 30, 40 Jahren zum normalen Bildungskanon einesIntellektuellen. Das war damals in Deutschland nicht der Fall. Diemeisten Professoren hatten damals »Kinder des Olymp« als letzten Filmgesehen.TERESA URBAN: Eine handwerkliche Frage, die das Verhältnis vonKritik und Authentizität betrifft. Ken Loach sagte gerade in einerDiskussion, die Filmkritik müsse den Film in seinem gesellschaftlichenKontext stellen und ihn nach dem Kriterium beurteilen: Was habe ichüber die Welt gelernt? Was sind die Konsequenzen für mich?HARUN FAROCKI: Ken Loach, der glaubt ja, näher an der Wahrheit zusein, als z.B. Lola Montez.UTE HOLL: An der Realität sogar!HARUN FAROCKI: Ich möchte nur zu bedenken geben, damit man nichtselber ein Serviceunternehmen wird im Leben. Man kann auch Tolstoilesen; und natürlich soll man sich fragen, was man mit der religiösen,urchristlichen Verpflichtung zu tun hat, die da drin steckt. Aber manmuss ja nicht gleich aus jedem Buch gleich eine Lebenslehre ziehen – daswäre auch wieder eine Funktionalisierung. Man kann sich z.B. »PatGarrett and Billy the Kid« anschauen. Da sieht man einen Kampf zwischenzwei Leuten, die immer weiter ermüden, die werden immer lächerlicher,machen aber immer weiter. Diese Erfahrung ist tief, wenn ich diesehe. Aber »was soll ich daraus lernen?« Zu einem politisch-kulturellenUrteil gehört auch ein Repertoire an Bildung, Dinge, die man durchdachthat, scharf oder auch vieldeutig verschwommen zu verstehen versucht.29

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