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IMAGE 17 - Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft

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Dimitri Liebsch: Wahrnehmung, Motorik, Affektwhen semiotics, structuralism, and psychoanalysis were regarded as methodologicalantidotes to a ›soft‹ and unscientific humanist film criticism, and Marxist culturalcritique and feminist theory were regarded as ideological antidotes to bourgeoisand patriarchal aestheticism (SOBCHACK 2004: 56).Einen zentralen Stellenwert neben den Arbeiten von Christian Metz nimmt indiesem Mix die sogenannte ›Apparatustheorie‹ von Jean-Louis Baudry ein.Baudrys theoretischer Ausgangspunkt wiederum ist Jacques Lacans ›Spiegelstadium‹,demzufolge in der menschlichen Ontogenese eine folgenschwereBegegnung mit dem eigenen Spiegelbild stattfindet. Die visuelle Prägnanzdieser Begegnung soll dem Säugling oder Kleinkind, das seiner Bewegungennicht oder noch kaum mächtig ist, plötzlich zu (s)einem Selbst verhelfen. 2 Wieschon Lacan selbst bezieht sich auch Baudry teils direkt, teils nur metaphorischauf dieses Theorem. Wir finden daher in der ›Apparatustheorie‹ nebendem Hinweis auf die frühkindliche Situation und den kleinen Narziss aucheine Beschreibung des Kinos als eines Apparats, in dem das (dann vermutlichältere) passive Subjekt sich in der Leinwand ›spiegelt‹ und ideologisch imprägniertwird. Kontinuitäten betont Baudry insofern, als er sowohl im ›Spiegelstadium‹als auch im Kino eine »Aufhebung der Motorik und Prädominanzder visuellen Funktion« gegeben sieht (BAUDRY 1970: 41). Diesem Befundschließt sich auch Metz mit leicht lyrischem Einschlag an, wenn er über dieBesucher des Kinos schreibt: »spectator-fish, taking in everything with theireyes, nothing with their bodies« (zit. nach SOBCHACK 1992: 269).Damit sind die beiden Gegner bezeichnet, die Sobchacks Interessemotiviert haben: die Kultur des Elektronischen oder – wie sie sie andernortsauch nennt – die Hegemonie des nur Sichtbaren (SOBCHACK 2004: 180) undeine dem entsprechende Filmtheorie, die den Körper ebenfalls marginalisiert.2. Sobchacks PhänomenologieNach den Gegnern werde ich mich im Weiteren den Grundlagen von SobchacksPosition zuwenden. Ähnlich wie im Poststrukturalismus liegt auch mitder Phänomenologie, auf die sie sich in ihrer umfangreichen Studie TheAddress of the Eye. A Phenomenology of Film Experience von 1992 und ineiner Reihe von Aufsätzen stützt, keine Theorie oder Methode vor, die ursprünglichzur Analyse von Kino oder Film konzipiert worden wäre; sie kanngegenüber dem poststrukturalistischen Eklektizismus allerdings eine etwashöhere Homogenität beanspruchen. Sobchack definiert Phänomenologie durchauskonventionell als »foundational study and description – a ›first‹ philosophy– of phenomena in the ›life-world‹ as they seem given and are taken upas conscious experience« (SOBCHACK 2009: 435). Mit dem Gründer der Phä-2Die von Lacan behauptete empirische Basis <strong>für</strong> das ›Spiegelstadium‹ gibt es nicht. Die kindlicheErkenntnis erfolgt anfänglich nicht plötzlich, sondern prozessual. Ausschlaggebend ist dabei auchnicht die visuelle Wahrnehmung einer gestalthaften Ganzheit im Spiegel, sondern das imitative(Bewegungs-)Verhalten vor dem Spiegel. Damit entfällt der <strong>für</strong> Lacan fundamentale Kontrastzwischen einem motorischen Defizit des Kindes und einem verheißungsvollen, nur visuell erfahrbarenGanzen (vgl. BILLIG 2006: 9f.; 14ff.).<strong>IMAGE</strong> | Ausgabe <strong>17</strong> | 1/2013 126

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