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IMAGE 17 - Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft

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Dimitri Liebsch: Wahrnehmung, Motorik, AffektZu Carrolls Verteidigung könnte man nun vorbringen, dass es sich bei seinerOntologie ja nicht einfach um eine Ontologie des Films handelt, sondern umeine des ›bewegten Bildes‹. Diese Verteidigung ist meines Erachtens jedochnicht überzeugend. Unter eine Gattung wie ›bewegtes Bild‹ müssten schließlichalle Arten subsumiert werden können – und darunter müsste sich auchdas finden können, was üblicherweise Gegenstand der Rezeption vor demFernseher oder im Kino ist. (Der Bequemlichkeit halber werde ich derartigeArtefakte im Folgenden ›Filme im alltäglichen Sinne‹ nennen.) Außerdemhandelt es sich bei dem Gros der in Carrolls Ontologie verhandelten Fälleausgerechnet um Filme im alltäglichen Sinne, also um Casablanca oder dieHBO-Serie Rom, und nur bei einem Bruchteil um reine ›bewegte Bilder‹ ohneTon (wie etwa Experimentalfilme oder Artefakte aus der Kinetoskopie).Carrolls Ontologie müsste also Filme im alltäglichen Sinne thematisierenkönnen und in der Tat spricht sie sie ja auch an. Damit stellt sich allerdingsdie Frage, auf welche Weise sie es tut. Die Antwort ist einfach: Carrolls Ontologiethematisiert solche Filme eben nur so weit, wie es sich bei ihnen um›bewegte Bilder‹ handelt. Akustische Eigenschaften entgehen ihr. Anders gesagt:Carrolls ›bewegte Bilder‹ verhalten sich zu Filmen im alltäglichen Sinnenicht allein wie die Gattung zu einer Art, sondern zugleich – und in dieserReihenfolge! – wie der Teilaspekt zum Ganzen.An diesem Punkt könnte man <strong>für</strong> Carroll vorbringen, dass seine DefinitionFilme ja keineswegs zur Gänze thematisieren muss und nicht verpflichtetist, alle Eigenschaften von Filmen im alltäglichen Sinne zu nennen. Gemäßihrer Struktur nennt die Definition ja lediglich die notwendigen Bedingungen,also die Bedingungen, die vorliegen müssen, damit etwas als ›bewegtes Bild‹bezeichnet werden kann; und selbstverständlich ist der Ton nichts, was etwaszu einem ›bewegten Bild‹ macht. Formal ist es also korrekt, wenn CarrollsOntologie vom Ton absieht. Sind damit aber alle wesentlichen Eigenschaftenvon Filmen im alltäglichen Sinne schon genannt? Auch hier ist die Antworteinfach, sie lautet: nein – und das nicht nur in Hinsicht auf Fernsehformatewie Nachrichten oder Talk-Shows. Man stelle sich nur vor, was von einerKomödie Eric Rohmers übrig bliebe ohne das ewige Parlando ihrer Heldinnenund Helden. Und was würde aus Der weiße Hai ohne die Musik von JohnWilliams und vor allem ohne das bedrohliche Zwei-Ton-Motiv in den tiefenStreichern und Bläsern, das man hört, selbst wenn man den Hai nicht sieht?Ungeachtet ihrer Meriten, verschiedene Medienarten unter die Gattungder ›bewegten Bilder‹ subsumieren zu können, ist Carrolls Ontologie derMultimodalität, wie sie sich beim Film im alltäglichen Sinne findet, nicht angemessen.Um dieser gerecht zu werden, wäre ein anderes Definitionsverfahrensinnvoll, das etwa die Filme im alltäglichen Sinne als »Prototypen« verstünde(vgl. HOLENSTEIN 1985: 194ff.). 10 Auf diese Weise könnten dann jeneArtefakte auch theoretisch fokussiert werden, die de facto ohnehin im Zentrumvon Carrolls Ontologie stehen; und erst dann könnte Carrolls Ontologie10Dass im ästhetischen Kontext die Angabe von notwendigen (und gegebenenfalls auch hinreichenden)Bedingungen nicht alternativlos ist und dass vielmehr eine Pluralität von Definitionsverfahrenbesteht, die unterschiedliche Zwecke erfüllen, zeigt grundsätzlich Strube 1993: 29-39.<strong>IMAGE</strong> | Ausgabe <strong>17</strong> | 1/2013 144

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