Utopie - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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14<br />
Feature<br />
Tortilla-Chips verbinden Himmel und Erde<br />
Von Swantje Kasper<br />
Erstmals Kontakt zu E. T. & Co. im Jahre 2096?<br />
n einer weit entfernten Galaxis, mehrere Lichtjahre von<br />
dem Planeten Erde entfernt, sitzen kleine ulkige Kreaturen<br />
zusammen: grünes Gesicht, lange Stilaugen, eine<br />
hervorstehende, trompetenartige Nase. Heiter und sichtlich<br />
begeistert, wippen sie im Takt zum Beatles-Song „Across<br />
The Universe“. Gleichzeitig schauen sie gebannt auf eine sechsstündige<br />
Dauerreklame für amerikanische Tortilla-Chips. Ihnen<br />
läuft das Wasser im Mund zusammen. Sie lecken sich die Lippen,<br />
streichen sich über ihren runden Bauch und geben ähnliche<br />
Geräusche von sich: hmmm.<br />
Dank ihrer Trompetennase können die grünen Männchen –<br />
und Weibchen – elektromagnetische Wellen aus den Tiefen des<br />
Weltalls empfangen. Sie wandeln diese in rhythmische Impulse<br />
um und erzeugen runde ausgedehnte Seifenblasen, die sich<br />
zur transparenten Leinwand umbilden. Mit einem leisen Surren<br />
werden die Inhalte der elektromagnetischen Wellen auf die Fläche<br />
projiziert. Warum sind Tortilla-Chips eigentlich rot? Keine<br />
Farbe für Grünlinge. Drei von ihnen wenden sich nun einer<br />
160-minütigen ARTE-Sendung zu. Fasziniert folgen sie der<br />
klaren, tiefen Männerstimme, die detailliert und anschaulich<br />
den Körperbau des Menschen erklärt. Beine, Zehen, Arme, Ellenbogen,<br />
Handgelenk - all das ist ihnen neu. Nie zuvor haben<br />
sie auf ihr Aussehen geachtet, die Glücklichen. Langsam, von<br />
unten nach oben, wandern ihre Blicke prüfend über die Gestalt<br />
des Nebenmanns. Alle sind sich einig. Die Menschen verfügen<br />
über ein ungewöhnliches Erscheinungsbild. Höchst<br />
merkwürdig. So gar nicht nach ihrem Geschmack!<br />
Diese Vorstellung erscheint absurd und unrealistisch?<br />
Sie ist es aber nicht ganz, denn der<br />
Mensch versucht schon seit geraumer Zeit, Lebewesen<br />
aus dem All zu kontaktieren. Begonnen hat alles<br />
mit der Pioneer 10 und 11 im Jahre 1972 und 1973,<br />
einer US-amerikanischen Raumsonde, die zur Erforschung<br />
des Pla- neten Jupiter, des interplanetaren Mediums<br />
und des Asteroidengürtels eingesetzt<br />
wurde. Es folgten 1977 die Voyager<br />
1 und 2. Einige der wohl wichtigsten<br />
Apparate, die die beiden Raumsonden<br />
mit sich führten, waren<br />
eine Alu-Plakette<br />
sowie eine Datenplatte.<br />
Erstere wies<br />
eine schematische<br />
Dar-<br />
stellung von Mann und Frau auf. Tiefgründiger auf das<br />
menschliche Leben gingen dagegen die mehr als hundert analog<br />
gespeicherten Bilder ein. Ebenso die anderthalb-stündige<br />
Musik von Beethoven, Bach und Mozart, die in verschiedenen<br />
Sprachen gesprochenen Grüße sowie Naturgeräusche. Und damit<br />
die Geschöpfe aus der anderen Welt auch wissen, wem<br />
Was kommt also nach Chips-Werbung und<br />
Fernseh-Doku? Womit müssen die Außerirdischen<br />
noch rechnen?<br />
sie das Ganze zu verdanken haben, enthält die Voyager eine<br />
Botschaft des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter: „Dies<br />
ist ein Geschenk einer kleinen, weit entfernten Welt, eine Probe<br />
unserer Klänge, unserer Wissenschaft, unserer Bilder, unserer<br />
Musik, unserer Gedanken und unserer Gefühle. Wir versuchen,<br />
unser Zeitalter zu überleben, um so bis in Eure Zeit hinein<br />
leben zu dürfen.“<br />
Natürlich könnte man sich nun fragen, ob die grünen Kreaturen<br />
ihre Wohnungen mit all den Bildern, die sie von der<br />
Raumsonde Voyager geschickt bekommen haben, schön bunt<br />
tapeziert haben oder nun hingerissene Fans der Beatles und<br />
des ARTE-Senders sind. – So sie denn Wohnungen haben und<br />
die Botschaften überhaupt decodieren können. – Darüber kann<br />
man vorerst leider nur spekulieren, denn ungefähr im Jahre<br />
2096, also nach einer aktuellen Wartezeit von mehr als 80<br />
Jahren, ist mit einer Antwort zu rechnen. Auch in Zeiten von<br />
Smartphones, Twitter und sozialen Netzwerken können solch<br />
große Distanzen nicht in kurzer Zeit überwunden werden.<br />
Doch der Mensch hat schon oft bewiesen, dass er zu neuen<br />
Ufern aufbrechen kann. Was kommt also nach Chips-Werbung<br />
und Fernseh-Doku? Womit müssen die Außerirdischen noch<br />
rechnen? Oder sollten wir uns ganz andere Fragen stellen? Zum<br />
Beispiel, ob sich die Grünlinge durch unsere kommunikative<br />
Umwelt-Verschmutzung belästigt fühlen? Und sie deshalb so in<br />
Rage waren, dass sie uns bereits Protestbotschaften auf die Erde<br />
zurückgeschickt haben und wir es nur nicht bemerkt haben?<br />
Absurde Dinge gibt es jedenfalls schon genug: Traumschiff-Serien,<br />
Tamagotchis, Schlumpf-Lieder. Wenn wir in fünfhundert<br />
Jahren endlich Wege gefunden haben, unsere grünen Freunde<br />
persönlich zu besuchen, können wir uns zum Dauerreklame-<br />
Gucken dazu gesellen. Das wäre vielleicht die gerechte Strafe<br />
für unsere galaktische Umwelt-Verschmutzung. n