Utopie - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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Das war ganz wichtig und verband uns.“ Im Freundes- und Bekanntenkreis<br />
diskutierte man, es gab genug Aspekte, die nicht<br />
so gut liefen im Staat. In der emotional aufgeladenen Atmosphäre<br />
entstanden rasch Liebesverhältnisse. Einerseits, weil es<br />
nicht so viel Auswahl gab wie heute, erzählt uns die Berlinerin<br />
lächelnd. Andererseits bekam man in kleinen Kreisen schneller<br />
mit, was denn so möglich sei. „Man hat sich eben schneller<br />
verliebt, es gab keine Konsequenzen.“ Die selbst mit 21 Jahren<br />
Verheiratete beschreibt „das private Leben der Leute, das heißt<br />
mit der Familie, Freunden und Liebschaften, war in der Diktatur<br />
der einzige Freiraum.“ Die Menschen zogen sich in ihre<br />
Beziehungen zurück, sie gaben ihnen Sicherheit. Doch kam es<br />
ebenso zu schnellen Scheidungen. „Es gab bei Trennung oder<br />
Scheidung keinen Besitz zu verteilen, man brauchte keine Existenzangst<br />
zu haben.“ Gegen Ende des sozialistischen Staates<br />
gingen rund 66 Prozent der Scheidungen von Frauen aus. Auch<br />
Uta Kolano ging diesen Weg.<br />
„Dass man einen anderen Umgang mit Sexualität<br />
und Partnerschaft hatte, das hing mit der<br />
Rolle der Frau in der Gesellschaft zusammen“,<br />
sagt sie. Die Frau war gleichberechtigt und<br />
nutzte dies auch. Zudem sollte Weiblichkeit<br />
nicht vermarktet werden. Die Frau sollte kein<br />
Sexobjekt sein. Pornographie wurde verboten.<br />
„Die Medien unterlagen dem Einfluss der älteren<br />
Führungsriege und Generation, so dass<br />
man als Redakteur oft nicht über Sexualität<br />
reden konnte.“ Man durfte auch nicht sehen.<br />
Die Grenze zwischen ästhetischer Nacktheit<br />
und Pornografie wurde streng gezogen. Das<br />
politische Dogma und das Menschenbild in<br />
der DDR erlaubten keine Freizügigkeit. Dass<br />
der Vorwurf der Pornographie genutzt wurde,<br />
um politisch unliebsame Medienprodukte<br />
zu verbieten, blieb im Dunkeln. Die obersten<br />
Staatsmänner wussten sich zu helfen. Auch<br />
wenn es um Prostitution in Ostdeutschland<br />
ging. Sie war verboten. Der Arbeits- und Bildungsprozess<br />
stand den Frauen offen, niemand<br />
sollte es nötig haben, seinen Körper zu<br />
verkaufen. Natürlich war das gut. Schließlich<br />
wurde Prostitution „doch toleriert und Anfang der 70er Jahre<br />
politisch ausgenutzt“: Frauen dieses Gewerbes wurden als<br />
Spitzel engagiert und sollten Informationen über Freier an den<br />
Staat liefern. In unserem Gespräch schmunzeln wir darüber,<br />
dass auch aus dieser eigentlich unliebsamen Sache Profit geschlagen<br />
wurde. „Die DDR war ein äußerst widersprüchliches<br />
Gebilde“, meint Uta Kolano.<br />
Angst vs. Rationalität<br />
Die Nacktheit lässt sie hilflos erscheinen,<br />
doch dann trifft einen<br />
dieser paradox selbstbewusste<br />
Blick. Dieser geheimnisvolle<br />
Charakter schmückt das Cover<br />
des Anfang 2012 erschienenen<br />
Buches „Kollektiv D´Amour-<br />
Liebe, Sex und Partnerschaft in<br />
der DDR“<br />
Die Angst, welche die sozialistische Führungsriege hatte und<br />
welche sich in weiteren Verboten ausdrückte, richtete sich gegen<br />
alles, was nicht dem Gesellschaftsideal entsprach. „Alles,<br />
was fremd war, war ihnen suspekt“, erinnert sich die Autorin<br />
kopfschüttelnd. So war zum Beispiel auch Homosexualität anders.<br />
Anders war gefährlich. Oppositionsbildung durch Grup-<br />
penbildung. Homosexualität gab es nicht in den Medien. Auch<br />
im Staat sollte es sie nicht geben. Sie wurde aber nicht mehr<br />
gesetzlich verfolgt, Aufklärer plädierten für die Natürlichkeit<br />
dieser sexuellen Orientierung. Trotzdem. Auch der FKK-Strand<br />
war zuerst verboten. Der Körper sollte nicht zur Schau ge-<br />
Mehr Informationen gibt es hier:<br />
8 www.medienkomm.uni-halle.de/kontakt/mitarbeiter/<br />
kolano/<br />
Department<br />
Das politische Dogma und das Menschenbild in der<br />
DDR erlaubten keine Freizügigkeit<br />
stellt werden. Dass es darum gar nicht ging, war den Politikern<br />
scheinbar nicht bewusst. Doch auch hier eroberten sich<br />
die Bürger ihre Freiheiten. Die Tradition der Körperkultur war<br />
schließlich das Ergebnis einer reformerischen Bewegung Ende<br />
des 19. Jahrhunderts. Und Traditionen hieß die DDR gut. FKK<br />
wurde erlaubt.<br />
Der verordnete rationale Umgang mit Sexualität<br />
spiegelte sich weiterhin in den Medien wider:<br />
fachliche Beschreibungen, Skizzen statt Abbildungen,<br />
wissenschaftliche Definitionen … Die<br />
Entwicklung in Ostdeutschland ging zwei Wege.<br />
Einerseits erkannte die Führungsriege, dass es<br />
Probleme in Partnerschaft, Liebe und Sexualität<br />
gab, welche nicht nur Einzelne interessierten. Es<br />
wurde als „Grundbedürfnis“ akzeptiert, die Menschen<br />
aufzuklären. So konnten „Liebesredaktionen“<br />
entstehen, welche sich mit Leserfragen<br />
auseinandersetzten. Wenn schon in den Büchern<br />
wenig lebensnahe Erklärungen zu finden waren,<br />
las man sie eben hier. Andererseits wollten auch<br />
Wissenschaftler mehr über die Sexualität und<br />
Partnerschaften der Menschen erfahren, um weiter<br />
aufklärerisch tätig zu sein. Hier bedienten sich<br />
die Staatsmänner wieder eines Tricks. Papier war<br />
in der DDR knapp. Man konnte nicht forschen. Die<br />
Knappheit durfte nicht weiter steigen. „Die Politiker<br />
hatten wieder Angst, Angst vor den empirischen<br />
Ergebnissen“, stellt Kolano nüchtern fest.<br />
In der DDR setzte man auf das Verschweigen: In<br />
der Forschung, in der Aufklärung, in den Medien. Die Angst<br />
war zu groß. Im Privaten hatte man keine Angst. Im Gegenteil.<br />
Es wurde offen über Missstände diskutiert, man kam sich näher.<br />
Das Gefühl der existenziellen Sicherheit, durchaus durch den<br />
Staat vermittelt, schuf den Platz für andere Gedanken. Diese<br />
zu äußern war jedoch gefährlich. Man suchte Menschen, denen<br />
man vertrauen konnte. Dann wurde geredet. Liebe und Sexualität<br />
lassen sich nicht verschweigen. n<br />
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